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"Volk ohne Raum": Ideologie und Folgen nationalsozialistischer Expansionspolitik

"Volk ohne Raum": Ideologie und Folgen nationalsozialistischer Expansionspolitik

Deutschland ist jedoch nicht allein durch eine nach innen gewendete Gefühlskultur, sondern zugleich und mehr noch durch eine äußerst aggressive Expansionspolitik in die Geschichte eingegangen. Der entgrenzte Sehnsuchtsraum, ästhetischer Gegenentwurf zur Enge deutscher I-ebenswellen und ihrer idyllischen Verklärung, verwandelte sich in irrational aufgeladene Großraumphantasien und -ideologien, die die imperialistische Kolonialpolitik des deutschen Kaiserreiches bis hin zu den verheerenden Vernichtungs- und Eroberungskriegen Hitlers begründen halfen. Die Vorstellung von der "Raumgebundenheit (Haushofer) aller politischen Vorgänge vermischte sich dabei mit dem Mythos von "Blut und Boden, mit Nationalismus und Rassismus, Ideologeme, die in unterschiedlicher Ausprägung bis weit in das konsertiv-nationale Lager hineinwirkten.

Die Geschichte der deutschen Geopoütik von Friedrich Ratzeis "Politische(r) Geographie (1897) bis hin zu den einschlägigen Schriften des bayerischen Generals Karl Haushofer (1869-l946) und seinen modernen Adepten ist noch nicht geschrieben. Insbesondere die Idee des "Lebensraums, von Ratzel als populärwissenschaftlicher Begriff eingeführt, schien die nationalkonsertive und nationalsozialistische Expansionspolitik einleuchtend zu legitimieren (vgl. Faber 1982).



Aber auch die völkische Erzählliteratur, allen voran Hans Grimms in über 800 000 Exemplaren verkauftes Werk "Volk ohne Raum (1926), hat in diesem Zusammenhang eine unheilvolle Rolle gespielt. Bei der Betrachtung des Romans kann die umständliche Handlung vom Bauernsohn Cornelius Friebott aus dem Weserbergland, der nach mehreren vergeblichen Versuchen, in Südafrika Fuß zu fassen, schließlich wieder nach Deutschland zurückkehrt und durch einen Steinwurf eines gewaltsamen Todes stirht, unbeachtet bleiben. Wirkungsvoller als das Werk selbst lieferte der von ihm abgelöste Titel das zündende Schlagwort für das gesamte Gebräu von nationalsozialistischem Machtstreben, nationalem Größenwahn und kollektivem Minderwertigkeitskomplex. In der Vorstellung von Hans Grimm war Deutschland ein Agrarland und sollte es auch bleiben. Vor diesem Hintergrund steigert sich seine Klage in "Volk ohne Raum über das bedrängte und eingeengte deutsche Volk zu einer fixen, immer wieder repetierten und riierten Idee. Enge und Überbevölkerung erzeugen in der biologistischen und zugleich mechanistischen Sicht Grimms einen Druck, von dem sich das Volk nur durch die Ausdehnung der Grenzen des "Lebensraums befreien kann. Spruchbandartig und unermüdlich beklagt er die deutsche Enge, die sich für ihn nach dem "großen Betrüge von Versailles noch verschärft hat.

Nach dem verlorenen Kriege haben je fünfzehn Engländer eintausend Meter im Geviert zu eigen, und je acht Franzosen haben eintausend Meter im Geviert zu eigen, und je sieben Russen haben eintausend Meter im Geviert zu eigen, und je sechs Belgier haben eintausend Meter im Geviert zu eigen, wie alles verteilt ist, und hundertzweiunddreißig Deutsche müssen sich also mit eintausend Meter im Geviert begnügen (Grimm 1975, Bd. 4,1240).
Die kaum verhüllte Drohung, daß aus dem solcherart um sein Recht betrogenen Deutschen einmal ein "Zänker werden könnte, der - eigentlich ein unschuldiges Kind - "auf den bösen Weg gedrängt wird, folgt auf dem Fuße:

Der Sprecher fragte: "Welches Recht ist das, daß allein in Europa und ohne Weltenraum, den sie dazu haben und dahin sie kaum je gehen, sechsunddreißig Millionen Franzosen ein größeres und dazu fruchtbareres Land eignen als zweiundsiebenzig Millionen Deutsche? Welches Recht ist das, daß ein deutsches Kind, wenn es geboren wird, in solche Enge hineingeboren wird, daß es bald nicht weiter kann und daß es bald ein Zänker werden muß. daß, wenn es mit Eigenschaften der Kühnheit geboren wird, es vor lauter Mangel auf den bösen Weg gedrängt wird? (ebd., 1241)
Als das NS-Rcgime die Idee vom "Volk ohne Raum in die Tat umzusetzen begann und "mit barbarischen Methoden der Völkerwanderungszeit und zugleich den Mitteln der modernsten Technologie ein großgermanisches Reich errichten wollte, "scheiterte es vollständig, und damit wurden auch die Ideen der Geopolitik radikal diskreditiert (Wehler 1982, 64). Der Versuch, dem "Volk ohne Raum seinen "Lebensraum zu verschaffen, endete bekanntlich mit großen Gebietsverlusten und der Teilung Deutschlands.

Der Bruch in der Raumerfahrung, den vor allem der Zweite Weltkrieg und die Nachkriegsjahre für den überwiegenden Teil der Bevölkerung mit sich brachte, soll hier nur stichwortartig angedeutet werden. In den Erzählungen deutscher Landser werden die Schrecken des Krieges häu durch die Erinnerung an die Abenteuer in fremden Ländern verdeckt. Vergleichbare "Horizonterweiterungen brachten die Ekuierung vor allem der Großstadtbevölkerung in zum Teil weit entfernte Regionen des Reichs oder die damit nicht ohne weiteres vergleichbaren Erfahrungen all derer, die ins Exil getrieben wurden. Die wohl größte Zwangsmobilisierung erfuhren die Flüchtlinge und Vertriebenen, bei denen der Verlust der Heimat einen dramatischen Bruch in der Lebensgeschichte bedeutete. In den meisten Fällen jedoch ist die Integration der etwa zwölf Millionen Heimatvertriebenen gelungen.

Die Reaktion auf diese allumfassende räumliche und soziale Mobilisierung ist bekannt: Auf die (auch erzwungene) Öffentlichkeit in den NS-Organisationen, das Herausgerissenwerden aus den vertrauten Lebenswelten, die neuen Berufserfahrungen der Frauen folgte in der Adenauerzeit der Rückzug in die Pritheit der Familie und die ReSilisierung traditioneller Bindungen.







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