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DIE POLITISCHE KULTUR DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND

DIE POLITISCHE KULTUR DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND

The government institutions of a sle demoeraey exist as do the nongov-ernment political institutions. But have German polilical ways of thinking been reshaped to provide a basis for a demoeratie political System? (Almond/rba 1980, 263).

Amerikanische Politologen wie Sidney rba. der diese Frage an die Bundesrepublik Deutschland vortrug, hatten in den fünfziger Jahren für die Entwicklung der Demokratie im westlichen Deutschland eine düstere Prognose gestellt: Es werde wohl an die hundert Jahre dauern, bis die Deutschen die Demokratie akzeptiert und demokratisches Denken gelernt hätten. Wie die Weimarer Republik werde die Bonner Demokratie zunächst von der Bevölkerung abgelehnt, im Laufe der Zeit vielleicht gar in ihrer Substanz durch autoritäre Strukturen ausgehöhlt werden.

Heute meint rba, zusammen mit anderen Politologen der USA und Europas, die Bundesrepublik Deutschland gehöre inzwischen zu den silsten und zuverlässigsten Demokratien der Erde. Ein überraschender Wandel, sowohl im Blick auf das obige Urteil als auch vor allem auf die Entwicklung der westdeutschen Demokratie. Wie ist es nun heute tatsächlich bestellt um die Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, um ihre "politische Kultur?



Wer den Zustand eines politischen Systems kennenlernen will, muß zuerst nach der rfassung und nach der Funktionsfähigkeit der politischen Institutionen fragen. Ihre Silität sagt über die "innere rfassung einer Gesellschaft noch wenig aus. Um deren politische Physiognomie zu erfassen, bietet seit Anfang der sechziger Jahre die empirisch orientierte Erforschung der "politischen Kultur Möglichkeiten. Unter politischer Kultur wird hier die Gesamtheit der politischen Orientierung eines Volkes verstanden, also politische Meinungen. Einstellungen und Werthaltungen. Politische Kulturforschung interessiert sich demnach nicht für Institutionen. Das politische Bewußtsein (in Grenzen auch politische rhaltensformen) der Bevölkerung ist ihr Gegenstand: Sind die Bürger zufrieden mit ihren rtretern, ihren Institutionen? Welche Probleme und Themen beschäftigen die Bürger hauptsächlich? Werden politische Ereignisse eher passiv oder aktiv verfolgt? Wie steht es um Konfliktbereitschaft und Toleranz?
Zur politischen Kultur gehören nicht nur Erscheinungen aktueller Politik, sondern historische Erfahrungen, die weit zurückliegen, aber unter Umständen als "kollektives Gedächtnis eines Volkes gespeichert sein können. Die Forschung nimmt an. daß politische Traditionen einer Nation das gegenwärtige Erscheinungsbild dieses Landes mitprägen. Wer über demokratische Einstellungen und rhaltensweisen ganzer Völker urteilen will, muß definieren, was er unter Demokratie versteht. Dabei sind folgende Faktoren zu berücksichtigen: der politische Kenntnis- und Informationsstand eines Volkes über Institutionen. Politiker oder Gesetze; die Beteiligung am politischen Leben in Parteien, rsammlungen oder Demonstrationen; der Glaube an eigene Einflußmöglichkeiten auf das politische Geschehen; das Maß an Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Minderheiten; die Fähigkeit zur Kooperation: die Fähigkeit, an der eigenen Meinung auch gegen die Überzeugung anderer festzuhalten; Konflikt- und Kompromißbereitschaft; der Grad der Gefühlsbindung an das politische System. Auch die psychische Grunddisposition des demokratischen Bürgers wird erforscht und bewertet.

Autoritäre Traditionen überwiegen in Deutschland

Nach solchen Gesichtspunkten haben Ende der fünfziger Jahre amerikanische Politologen fünf Staaten in einer Studie verglichen. Die Bundesrepublik Deutschland schnitt damals, gemessen an den klassischen Demokratien England und USA. schlecht ab. Zwar schienen die westdeutschen Bürger mit ihrer Demokratie durchaus zufrieden, man hielt sie für "effektiv und "modern. Genauere Analysen zwangen jedoch zu einem im ganzen ungünstigen Urteil: Nur wenige westdeutsche Bürger bekundeten Interesse für politische Vorgänge, man glaubte kaum an den eigenen Einfluß im politischen Leben und beteiligte sich wenig am politischen Tagesgeschehen. Nur eine Minderheit empfand Grund zum Stolz auf das politische System ihres Landes; stolz waren die meisten nur auf ihr Wirtschaftswunder. Anders als Engländer und Amerikaner zeigten die Westdeutschen in den fünfziger Jahren Angst und Mißtrauen gegenüber ihrer menschlichen Umwelt: schlechte Voraussetzungen für demokratische Kooperation. Fast ein Drittel der Bevölkerung war noch der Ansicht, ein Einparteiensystem sei für ein Volk besser als parteipolitischer Pluralismus, der nur "Unruhe bringe.
Alarmierende Ergebnisse brachten auch Studien westdeutscher Forscher über das Bild des Nationalsozialismus in der Bevölkerung: Ein Drittel der Bürger war der Ansicht, "ohne den Krieg wäre Hiller einer der größten deutschen Staatsmänner gewesen. Über die Hälfte hielt den Nationalsozialismus für "im Grund eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde.
Auf zwei Feldern erzielten die Westdeutschen in der amerikanischen Studie allerdings sehr gute Resultate, welche die Forscher verblüfften. Bei näherer Betrachtung stellten sie sich aber auch nicht als Lichtblicke demokratischen Bewußtseins heraus: Die westdeutschen Bürger erwiesen sich als politisch überdurchschnittlich gut informiert und zeigten eine außergewöhnlich hohe Wahlbeteiligung. Da sie jedoch gleichzeitig der Meinung waren, man könne durch Partizipation in der Politik wenig ausrichten, so galt der Gang zur Wahlurne nach der Veränderung der politischen Verhältnisse wohl als die jetzt gebotene Bürgerpflicht. Die Wahl löste die Akklamation zum Führerstaal ab und galt als neue politische Pflicht, ohne daß man ihren demokratischen Sinn als Bestimmung des politischen Weges durch das Volk voll erfaßt oder sich von dieser Methode viel versprochen hätte.

Die amerikanischen Forscher Almond und Verba faßten ihre Studie deshalb mit den folgenden Worten zusammen:
The contemporary political eulture reflects Germanys traumalic political history (...) Many Germans assume that the act of voting is all that is requir-ed of a Citizen (...) In Germany a sense of administrative competence oecurs more frequently than a sense of political competence ... Though there is a high level of cognitive competence. the orientalion to the political System is still relatively passive - the orientation of the subjeet rather than of the parli-cipant (...) Germans tend to be satisfied with the Performance of their government. but lo lack a more general attachment to the System (...) Thcirs is a highly pragmatic - probably overpragmatic - orientation to the political System; as if the intense commilment to political movements that character-ized Germany under Weimar and the Nazi era is now being balanced by a detached, practical and almosl cynical attitude toward polilics. And the attitudes of the German Citizen to his fellow political actors are probably also colored by the country's political history (...) And the abilily of Germans to cooperate politically also appears to have serious limitations (Almond/Verba 1963,429).

Mit Deutschlands "traumalischer politischer Geschichte erklären amerikanische Politologen das Bild der politischen Kultur Westdeutschlands in den fünfziger Jahren. Das Ergebnis der Studie kann nicht verwundern, wenn man weiß, wie lange es dauert, bis eine Bevölkerung in neue Systeme "hineinwächst. Den Anstoß zur politischen Kulturforschung hatten die Staaten der "Dritten Welt geliefert, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit vorbildlich demokratischen Verfassungen in die Selbständigkeit gingen und dennoch fast alle im Laufe der Jahre autoritäre Strukturen annahmen. Demokratische Denkweisen und Verhaltensstile bilden sich über Jahrzehnte und Jahrhunderte heraus, nicht "über Nacht oder binnen weniger Jahre.
Nach solchen Kriterien stand es um die Voraussetzungen für die Entwicklung der Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland nicht günstig: Deutschlands Geschichte ist eine Geschichte autoritärer Regime, mit wenigen Ausnahmen, die nicht ins Gewicht fallen. Anders als Dieter Langewiesche glaube ich, "einen deutschen Sonderweg der früh verkümmerten Demokratie feststellen zu können (S. 191). Dieser Widerspruch zwischen zwei grundverschiedenen Auffassungen soll hier nicht harmonisiert werden. Der Streit um die deutsche Geschichte und ihre Folgen bis heute gehört mit zum Bild der politischen Kultur unseres Landes.

Die demokratische Tradition in Deutschland ist nach meiner Meinung kaum ein halbes Jahrhundert alt. Das ist wenig im Vergleich zu England, den USA. Skandinavien oder Holland. Wer in Frankreich ..Tradition sagt, ist auf zwei politische Tradiüonsstränge verwiesen: einen monarchisch-autoritären und einen revolutionär-demokratischen. In Deutschland führen politikgeschicht-liehe Erinnerungen fast nur in obrigkeitlich-autoritäre Zeiten. Das gilt jedenfalls für die geschichtlich wirksamen und also Tradition bildenden Kräfte.
Die Jahre der Weimarer Republik zählen für die Ausbildung einer demokratischen Tradition streng genommen nicht mit. Diese demokratische Generalprobe mißglückte und lebt auch heute, wie Umfragen zeigen, im Bewußtsein der Bevölkerung fort als politisch düstere Zeit, in der "es Deutschland schlecht ging. Es gibt kaum einen schlimmeren Vorwurf unter politischen Gegnern, als "den Weg nach Weimar zu gehen. Das ergäbe noch einen Sinn, wenn man dabei die undemokratischen Züge der Weimarer Republik in den Blick nehmen würde, z.B. die fast ungebrochene obrigkeitsstaatliche Orientierung in Armee, Justiz und Verwaltung. Statt dessen kommen als "Schwächen des Weimarer Systems nur Züge ins Bild, die man damals wie heute als Auswüchse demokratischer Partcienvielfalt, ideologischer Zerrissenheit und institutioneller Unsicherheit der demokratischen Staatsform anlastet: instabile Regierungen, Unfähigkeit zur Koalitionsbildung, Polarisierung. Die Weimarer Demokratie gilt heute vielen Deutschen als das, was sie in den Augen ihrer Kritiker damals erschien: ein System politischer Ohnmacht und nationaler Demütigung.
Weder die Weimarer noch die Bonner Demokratie hat sich das Volk selbst erkämpft. In beiden Fällen war sie das Resultat militärischer Niederlagen. Demokratie wurde auf diese Weise mit Gefühlen politischer Ohnmacht verknüpft. Nationalfeiertage wie der Tag des Sturms auf die Bastille oder andere Tage der "Befreiung eines Volkes von Unterdrückung und Despotie blieben den Deutschen versagt. Damit fiel eine wichtige Quelle demokratischer Traditionsbildung und positiver Gefühlsbindung an das neue System aus. Der 3. Oktober als Datum der deutschen Einigung besitzt als zukünftiger Nationalfeiertag im Vergleich zu früheren Gedenktagen sicher eine neue Qualität, er wird jedoch nicht wie in den USA oder in Frankreich Anlaß zu breiteren öffentlichen Feiern geben; die Deutschen werden an diesem Tag wohl eher Ausflüge ins Grüne unternehmen.
Statt demokratischer Traditionen lebten in Deutschland über Jahrhunderte autoritäre Politiktraditionen. In fast allen politischen Territorien auf deutschem Boden konnten sich bis zur Rcichsgründung (1871) Obrigkeitsstaaten erhalten. Bis zur Revolution von 1918 blieb das deutsche Kaiserreich durch die Tradition des preußischen Obrigkeitsstaates geprägt, eines Gebildes, dessen autoritäres Staatsverständnis durch eine lutherische Staatstheologie und eine preußische Staatsphilosophie aufs effektivste gestützt wurde. Folgende Merkmale charakterisieren modellhaft den preußischen Staat:

- Die Trennung von Staat und Gesellschaft. Nur der Staat und staatliche Institutionen, d.h. die Regierung und ihre Verwaltung, bestimmten die politischen Geschicke des Landes. Die Gesellschaft (Vereine, Wissenschaft, Kultur. Wirtschaft. Familie) hatten sich politischer Tätigkeit weitgehend zu enthalten und der politischen Führung des Staates anzuvertrauen. Politische Parteien waren zwar tätig, wirkten am politischen Prozeß aber nur am Rande mit und gehörten zum "Bereich der Gesellschaft. Parteipolitik war "Interessenpoli-lik und stand im Gegensatz zur gemeinwohlorientierten "Staatspolitik.
- Der Staat galt als Substanz von eigener Würde und eigenem Recht. Er war nicht (wie in den angelsächsischen Demokratien) auf freier Vereinbarung selbständiger Bürger gegründet, sondern besaß einen den Bürgern vorgeordneten, ursprünglichen Rang.
- Die politischen Tugenden des Untertanen bestanden in absolutem Gehorsam gegenüber staatlicher Autorität und Nichteinmischung in staatliche Dinge. Das Bürgertum war im Obrigkeitsstaat preußischer Prägung politisch zur Ohnmacht verurteilt. Es reagierte in zweifacher Weise: durch Rückzug in mancherlei Innerlichkeit der Familie, Musik oder Dichtung, gleichzeitig jedoch durch ein höchst ambivalentes Verhältnis zur politischen Macht. Einerseits mußte dem Bürger in dem Maße, in dem er ihr fernblieb, Politik als "schmutziges Geschäft erscheinen, andererseits gerade deshalb als eine Welt eigener Maßstäbe, der großen politischen Persönlichkeit, vaterländischer Pflicht, nationaler Ehre. Selbstbewußtsein. Selbstvertrauen und damit dynamische Kräfte bezog das Bürgertum Deutschlands überwiegend aus der Wirtschaft.
- Dem Fürsorgegebot des Staates und der oberen Stände für "ihre Leute entsprach auf der Seite der Untergebenen, wie gesagt, die strikte Pflicht zum Gehorsam. Die absolutistische Regel war in Preußen religiös überhöht und auf diese Weise "verinnerlicht. Sebastian Haffner meinte in seinem Preußen-Essay, die Choralstrophe, welche die preußischen Grenadiere auf dem Marsch in die Schlacht bei Leuthen anstimmten, hätte eine passende preußische Staatshymne abgegeben:

Gib. daß ich tu mit Fleiß, was mir zu tun gebühret. Wozu mich Dein Geheiß in meinem Stande führet. Gib, daß ich's tue bald, wann ich es tuen soll, Und wenn ich's tu, so gib, daß es gerate wohl. (Haff ner 1978,81).

Die autoritäre Politiktradition Preußens lebte im Deutschen Kaiserreich fort (1871-1918), aber in immer größerer Spannung zu den sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen, welche das rasche Wirtschaftswachstum Deutschlands begleiteten. Einerseits trug Deutschland noch immer die Züge eines im Grunde absolutistischen Staatswesens, andererseits zeigte es die Dynamik einer modernen Wirtschaftsgesellschaft. Hans Joachim Schoeps hat diesen Widerspruch des Deutschen Reiches als Spannung zwischen Biedermeier und politischer Großmannssucht beschrieben:

1871 hatte Deutschland die Biedermeierzeit im Grunde weder überwunden noch verlassen gehabt. Seine Menschen konnten nämlich noch gar nicht aus der behaglich-lauen Atmosphäre der bisherigen Kleinstaaterei - auch der preußischen Kleinstaaterei - in die Großmachtexistenz erhoben werden. Das konnte das Volk seelisch-geistig noch gar nicht verkraften; die meisten dachten, fühlten, lebten weiter in den gewohnten kleinen Maßen. Außerdem schnappten viele aus der jungen Generation der nach 1860 Geborenen über und begehrten nach Erfolgen, die noch über das Errungene hinausgehen und unter Wilhelm II. schon den weiteren Schritt von der Großmacht zur Weltmacht verwirklichen sollten. Das ergab nun eine innere Spannung und einen unausgetragenen Zwiespalt. Man trieb große Politik an Stammtischen mit Bier und Musik, träumte von weltgeschichtlich großen Taten, pflegte aber zugleich die gemütlichen Formen der alten Zeit (Schoeps, zit. n. M. Greif-fenhagen 1981.123).

Die Nation und die Linke

Mit der Gründung des Kaiserreichs 1871 war eines der wichtigsten Ziele der Liberalen in Deutschland erreicht, nicht als Ergebnis politischen Kampfes, sondern als Folge des militärischen Sieges über Frankreich: ein Geschenk Bismarcks an das Bürgertum, das sich (in seiner Mehrheit) dafür mit dem Obrigkeitsstaat arrangierte.
Die Sozialdemokratie sah sich durch die enge Verbindung des Bürgertums mit dem Obrigkeitsstaat ins politische Abseits gedrängt. Ihr Verhältnis zur deutschen Nation blieb - man kann sagen, bis heute - gebrochen. Der soziaüstische Aufruf zur Klassensolidarität über die europäischen Grenzen hinweg brachte sie in den Verdacht nationaler Unzuverlässigkeit. Bismarcks Sozialistengesetz (das Verbot der Sozialdemokratischen Partei) sorgte dafür, daß die nationale Feinderklärung gegenüber der Sozialdemokratie sich tief im politischen Bewußtsein eingraben konnte. Die SPD konnte sich von dem Verdacht, eine Partei ..vaterlandsloser Gesellen zu sein, nicht befreien, und immer wieder zeigten sich im Lauf der Jahrzehnte Züge des alten Mißtrauens: Sozialisten "verrieten die nationalen Interessen: in der Revolution von 1918/19 und mit ihrer Unterschrift unter den Friedensvertrag von Versailles, mit der sie auf riesige deutsche Gebiete Verzicht leisteten und hohe Reparationen in Kauf nahmen. Dieser Vorwurf nationaler Unzuverlässigkeit diente den nationalen Parteien und schließlich der Hitlerbewegung im Laufe der Weimarer Jahre immer zur Diffamierung der Sozialdemokraten.
Noch in der Bundesrepublik Deutschland mußte sich Willy Brandts Ostpolitik den "Ausverkauf deutscher Interessen vorwerfen lassen: Wahlplakate der Christdemokraten zeigten den SPD-Kanzler Arm in Arm mit Breschnew. Immer wieder unterstellte man der Linken, einen "Weg nach Moskau zu gehen, und zwar in doppelter Hinsicht: als Weg zu einem radikalen Sozialismus und als Verrat nationaler Interessen. Das Wahlkampfmotto "Freiheit statt Sozialismus der CDU/CSU in den Wahlkämpfen der 80er Jahre meint diese traditionelle Doppelgesichtigkeit des sozialdemokratischen "Reichsfeinds: Die SPD erscheint in diesem Slogan als Feind von Menschlichkeit, Nation und Verfassung in einem. Die Linke in Deutschland blieb aus diesen Gründen über Jahrzehnte geschwächt. Gegen den Ansturm von rechts, dem sich die Weimarer Demokratie ausgesetzt sah, war sie machtlos.

Konservative Traditionen und Nationalsozialismus

Daß der Nationalsozialismus in Deutschland Fuß fassen und sich über Jahre an der Macht halten konnte, verdankt sich vor allem der politischen Unmündigkeit eines Volkes, das sich im selbständigen Denken zu wenig und im Ungehorsam gegenüber der Obrigkeit niemals geübt hatte. Es gab damals zwar viele überzeugte Anhänger des Nationalsozialismus, es gab aber vor allem zu viele Untertanen, die das System, obwohl sie es ablehnten, mittrugen.
Zur Erklärung des Nationalsozialismus reicht der Blick auf die Tradition des deutschen Obrigkeitsstaates noch nicht aus. Eine Vielzahl anderer Faktoren kommt hinzu. Die Weimarer Republik war. wie Langewiesche schreibt, "mit Lasten überbürdet, die sie aus der Konkursmasse des Kaiserreichs ererbt hatte, die ihr jedoch von vielen Menschen aufs Schuldkonto geschrieben wurden. Ein Zentralproblem war, daß die Weimarer Republik in eine Phase stagnierenden oder sogar rückläufigen Wachstums fiel (S.208) und schließlich in schwere Krisen gestürzt war. Der Verweis auf die objektiv schlechten Bedingungen in Deutschland vor 1933 genügt allerdings nicht als Begründung der Anfälligkeit deutscher Bürger für den Nationalsozialismus. Noch einmal ist ein Exkurs in die deutsche Geschichte vonnöten.
Zwei verschiedene Formen von Konservatismus prägten die deutsche Geschichte: der skizzierte Obrigkeitsstaat und die deutsche Romantik. Beruhte der Obrigkeitsstaat als "Kind der Aufklärung auf hohem Rationalismus, wirtschaftlichem und politischem Effizienzdenken und dem Glauben an "Fortschritt zumindest im ökonomischen Sinne, so bezog der zweite Strang konservativer Politiktradition gerade aus der Abwehr solch rationalistischer Züge seine politische Stoßkraft. Im Kapitel "Aspekte deutscher Zeiterfahrung (S.65f.) ist diese Spielart des deutschen Konservatismus beschrieben und in ihrer Reichweite freilich eingegrenzt worden. Es seien hier deshalb nur die wichtigsten Stichpunkte noch einmal genannt: Irrationalismus. Anti-Westlichkeit, Anti-Parlamentarismus, Anti-Industrialismus. Zivilisationskritik, Kulturpessimismus, Innerlichkeit, "Volksgemeinschaft statt Massengesellschaft, Glaube an Herkunft statt an Zukunft.

Solche Abwehr einer modernen Gesellschaft hatte sich schon zu Zeiten der Aufklärung formiert, zur Zeit der Romantik gewann sie in Deutschland ihre politische Prägekraft. Die Enttäuschung über die jakobinische Phase der Französischen Revolution entfremdete deutsche Intellektuelle den Idealenpolitischer Freiheit und Partizipation, und die Freiheitskriege der Deutschen wurden für viele zwangsläufig zum Krieg gegen "westliche Werte. Der Nationalismus in Deutschland hatte von Anfang an irrationale, antidemokratische Elemente enthalten; je weiter das Jahrhundert voranschritt, desto stärker traten chauvinistische Züge zutage, die mit der Tradition des preußischen Militarismus eine explosive Mischung eingingen.
Hitler gelang es. die beiden Hauptströme des Konservatismus in Deutschland in dem symbolkräftigen Festakt des "Tages von Potsdam zu vereinen und -zumindest für einige Jahre - hinter seine Ziele zu bringen. Er gewann damit nicht nur die Mehrheit der Deutschen, sondern mit den Konservativen vor allem die tonangebenden Gruppen.
Die NSdAP hat bei freien Wahlen nie die absolute Mehrheit der Stimmen errungen. Dennoch stimmte der Reichstag dem "Ermächtigungsgesetz Hitlers zu und räumte auf diese Weise das Feld für die diktatorischen Maßnahmen der Nationalsozialisten. Die Sozialdemokratie stimmte geschlossen dagegen, die Abgeordneten der KPD konnten an der Abstimmung schon nicht mehr teilnehmen. Weder das liberale Bürgertum noch die deutsche Linke besaßen genug Einfluß und Macht, um das NS-Regime zu verhindern.

Nationalsozialistische Schatten auf der Bundesrepublik Deutschland

Fast jeder europäische Staat, auch die Vereinigten Staaten, kennt Phasen in seiner Geschichte, deren genaue Beschreibung sich in den Geschichtsbüchern nicht gut ausnehmen würde. Aber kein Volk ist durch eine verbrecherische historische Phase in seiner Identität so geschädigt wie die Deutschen. Nirgends sonst gab es eine solche Diskussion um Kollektivschuld oder -haftung. Der Nationalsozialismus ist für die Geschichte der deutschen Nation "konstitutiv. Er bleibt, wenn schon negativ, gegenwärtig. Das zeigt sich bereits an der Verfassung, die eine Reihe von "Narben aufweist, in der detaillierten Ausformulierung des Gleichheilssatzes zum Beispiel: "Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat oder Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden (Grundgesetz Art. 3, Abs. 3).
Eine Reihe der neu gegründeten Institutionen und Rechtsgarantien in der Bundesrepublik Deutschland müssen als Antwort auf den Nationalsozialismus interpretiert werden: das Bundesverfassungsgericht, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, das Asylrecht.
Konstitutiv ist der Nationalsozialismus auch darin, daß politische Themen, weiche die Bevölkerung über Monate, auch Jahre bewegten, ohne den Hintergrund nationalsozialistischer Erfahrung kein so großes Gewicht gehabt hätten: die Frage der Wiederbewaffnung z.B., der Extremistenbeschluß (Angehörige verfassungsfeindlicher Parteien können nicht Beamte werden) oder die Frage der Euthanasie.
Auch die Radikalität der Protestbewegung in den sechziger Jahren ist nicht nur durch den Vietnamkrieg oder die Notstandsgesetze bedingt. Sie ist nicht zuletzt in Verbindung mit dem Nationalsozialismus, dem Kampf der Jugendgeneration gegen die Nazi-Väter zu sehen: Man meinte, die nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches versäumte "Stunde Null nachholen und mit der Demokratisierung Deutschlands jetzt ernstlich beginnen zu müssen.
Große Wirkung hat der Nationalsozialismus bis heute auf das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland. Rechtsextreme Parteien und Organisationen werden stets unter dem Gesichtspunkt der Gefahr einer Wiederkehr nationalsozialistischer Brutalitäten gesehen. Mögen sich antisemitische Ausschreitungen und die Aktivität faschistischer Bünde in Deutschland äußerlich von denen in anderen Staaten Europas oder Amerikas kaum unterscheiden, so versetzen an Wände gemalte Hakenkreuze, das Umstürzen von Grabsteinen auf jüdischen Friedhöfen oder Nazilieder doch Tausende von Nazi-Verfolgten erneut in Angst und Schrecken und führen im Inland und Ausland zu besorgten Recherchen. Auch die neuerdings in vielen Staaten Europas anwachsende Ausländerfeindlichkeit gegenüber Gastarbeitern oder Asylsuchenden gibt in der Bundesrepublik mehr Anlaß zur Sorge als in anderen Ländern: Nirgendwo sonst wurde schon einmal ernst gemacht mit der Drohung, unerwünschte Menschen mit aller Brutalität aus dem Land zu vertreiben und gar zu vernichten. Die ausländische Presse - vor allem der Länder, die unter dem Nationalsozialismus in besonderem Maße zu leiden hatten - verfolgt die deutsche Entwicklung mit kritischem Blick.

Rascher Wandel nach 1960

Gemessen an den ungünstigen Chancen, die man einer raschen Demokratisierung Westdeutschlands nach dem Krieg gab. mußten die Erkenntnisse einiger Studien europäischer und amerikanischer Politologen aus den sechziger und siebziger Jahren überraschen: Auf allen Feldern hat die Bundesrepublik Deutschland von Jahr zu Jahr auf den Demokratieskalen der Forscher bessere Werte zugunsten einer demokratischen Werthaltung geliefert. Hier einige Beispiele:

- Die Deutschen zeigen weit mehr Interesse für Politik als in den fünfziger Jahren.
- Politische Partizipation ist auf allen Ebenen seit den fünfziger Jahren erheblich gestiegen.
- Dasselbe gilt für das Vertrauen darin, daß solche Aktivität den politischen Weg des Bundes, des Landes und der Kommune zu ändern vermag.
- Die Überzeugung, man könne in Deutschland seine Meinung frei sagen, ist ständig gewachsen.
- Die Deutschen zeigen heute mehr Vertrauen in ihre soziale Umwelt, auch weniger Angst vor der Zukunft.
- Immer noch sind die Bürger der alten Bundesrepublik auf ihre Wirtschaft stolzer als auf ihr politisches System. Je jünger die Befragten sind, desto höher isl allerdings der Anteil derer, die auf ihren Staat stolz sind. Bei den jüngsten untersuchten Gruppen rangiert das politische System in der emotionalen Wertschätzung sogar vor dem Wirtschaftssystem.

Die empirischen Ergebnisse sind, im Vergleich etwa zu Großbritannien und den USA. in absoluten Zahlen gemessen, noch nicht besonders beeindruckend. Hoffnungsvoll aber stimmen die Trends: Die Jugend zeigt bessere Werte als ältere Deutsche. Gleichzeitig sind alte deutsche Tugenden allmählich zurückgedrängt worden; die Umgangsformen in Familie, Schule und am Arbeitsplatz ändern sich rasch: Eltern. Lehrer und Lehrmeister kommandieren weniger; "Diener und ..Knicks sind vergessen, die preußische Regel "Keine Wider-worte! gilt nicht mehr uneingeschränkt. Stand das Wort "deutsch früher in aller Well für Ordnung. Pünktlichkeit, Fleiß oder gar Arbeitswut, so sind die Westdeutschen auch in dieser Hinsicht "normaler geworden.
In die Verwaltungen ist ein ziviler Ton eingezogen. Hackenknallen und schnarrender Befehlston sind in deutschen Büros nicht mehr gefragt. Seit dreißig Jahren ist in der Bevölkerung kontinuierlich die Bereitschaft gestiegen, Kinder eher zu "Selbständigkeit und freiem Willen zu erziehen, während in den fünfziger Jahren noch eher "Gehorsam und Unterordnung im Vordergrund standen. Langfristig ist deshalb mit noch rascherem Wandel zu rechnen als bisher.
Natürlich kamen die Veränderungen nicht über Nacht, sie kamen auch nicht alle gleichzeitig. Meinungen kann man rasch ändern, neue Einstellungen brauchen länger (z.B. daß es besser sei. mehr als nur eine Partei zu haben), Gefühlsbindungen fordern viel Zeit (z.B. ein "Verfassungspatriotismus).
Rascher als vorhergesagt, ist vor allem die Bereitschaft zur aktiven Teilnahme der Bürger am politischen Leben gestiegen. Nach dem Krieg hatte zunächst aus verständlichen Gründen eine "Ohne-mich-Haltung dominiert, die Resignation im Blick auf den eigenen Einfluß, aber auch Abscheu vor jedem politischen Wirken verriet. Mancher bereute zutiefst, in der NS-Zeit von der apathischen Grundhaltung des "Untertans abgegangen zu sein. Der "Fragebogen zur Entnazifizierung bewies es: "Politische Aktivität brachte nichts Gutes. Wie in Zeiten des Obrigkeitsstaats zog man den Kopf wieder ein, ließ Politik wie das Wetter als Schicksal über sich ergehen und konzentrierte sich lieber auf die Familie, auf Wiederaufbau und Wirtschaftswachstum. Nur ein Fünftel der Bürger bekundete, wie bereits vermerkt, an politischen Themen Interesse, und nur ein Bruchteil engagierte sich in den wiedererstandenen Parteien.
Seit den späten fünfziger Jahren, verstärkt in den sechziger und siebziger Jahren, stieg die Bereitschaft zur Partizipation kontinuierlich, und zwar im "konventionellen wie im "unkonventionellen Bereich. Zur konventionellen Partizipation zählen die Lektüre der Zeitung (auch des politischen Teils!). Diskussionen mit Freunden. Teilnahme an politischen Versammlungen oder Wahlkämpfen, Kontakte zu Politikern oder Beamten. In einer Fünf-Länder-Vergleichsstudie wiesen die Bürger Mitte der siebziger Jahre im Blick auf ihre konventionelle politische Aktivität hinter den US-Amerikanern den zweithöchsten Wert auf, vor Österreich, Britannien und Holland (Barnes/Kaase 1979).
Vor allem die jüngeren Deutschen schnitten gut ab: Gewöhnlich nimmt nämlich die Jugend am politischen Leben kaum teil: konventionelle Partizipation steigt bis zum Alter von 50 Jahren kontinuierlich und sinkt dann wieder ab. Die westdeutsche Jugend (bis zu 30 Jahren) wies in den siebziger Jahren aber schon einen Partizipationsgrad auf, der fast dem der 50jährigen gleichkam. Hält diese Entwicklung weiterhin an. so wird diese Jugend, wenn sie selbst 50 ist, sehr viel stärker partizipieren als ältere Deutsche bisher.
Unkonventionelles politisches Verhalten umfaßt eine Skala von legalen bis zu kriminellen Aktivitäten: Petitionen, Demonstrationen. Boykott, Verkehrsbehinderungen. Wandaufschriften, Hausbesetzungen. Für die ersten drei Formen bekunden die westdeutschen Bürger vergleichsweise hohe Zustimmung, kaum für die übrigen drei (bei denen im internationalen Vergleich die Holländer die Spitze einnehmen). Zu unkonventionellen politischen Aktivitäten neigen besonders die jüngeren Deutschen.
Die höchste Bereitschaft zur politischen Teilnahme, konventionell oder unkonventionell, zeigt sich bei jungen, gut ausgebildeten Westdeutschen, die aus der Mittelschicht stammen. Diese Gruppe stellt heute den überwiegenden Anteil der Mitglieder von Neuen Sozialen Bewegungen, die von Jahr zu Jahr mehr Anhänger finden und immer mehr Einfluß gewinnen. Vorläufer dieser Bewegung war die Protestbewegung der sechziger Jahre, die fast nur die studentische Jugend erfaßte. Ein Teil der Studentenbewegung machte sich in den siebziger Jahren auf den "Marsch durch die Institutionen, ein anderer Teil begann mit dem Rückzug "nach innen, in mancherlei Experimente mit spirituellen und Psycho-Erfahrungen.
Die Studentenbewegung zerfiel dabei in zahllose Gruppen und Grüppchen: Bürgerinitiativen. Frauenbewegung, alternative Projekte.

Wohngemeinschaften, Arme-Welt-Läden und Selbsterfahrungsgruppen. Hatten die Studenten Themen wie Nationalsozialismus. Rätedemokratie und Vietnam eingebracht, so traten ab Mitte der siebziger Jahre, vor dem Hintergrund der Ölkrise 1973. ganz neue Themen hervor:
die ökologischen Folgeprobleme des industriellen Wachstums, die fortschreitende Zerstörung natürlicher und sozialer Lebensräume, die wachsenden Risiken neuer Großtechnologien und die Verdichtung technokratischer Kontroll- und Systemzwänge... In der Antikernkraft-Bewegung bündelten sich ökologische und atomare Katastrophenängste, ein selbstbewußt gewordener bürgerlicher Widerstand gegen die Belastungen großtechnischer Projekte und der emanzipative, gegenkulturelle Protest gegen die fortschreitende "Maschinisierung gesellschaftlicher Verhältnisse, gegen Industrialis-mus. Patriarchalismus und staatliche Repression, zu einer ersten breiten Mobilisierungswelle des "neuen Typus sozialer Bewegung (Roth/Rucht 1987.30).
Anders als die Parteien sind diese sozialen Bewegungen häufig "Einpunkt-Bewcgungen {one-issue-movements). Ihre Struktur ist flexibel; es gibt keinen offiziellen Beitritt zur Gruppe, auch keine förmliche Mitgliedschaft, wohl aber fast immer ein ausgeprägtes "Wir-Gefühl. das sich in Sprache, Umgangsformen und auch Kleidung ausdrückt. Neue Soziale Bewegungen legen sich nicht auf bestimmte Aktionsformen fest, neigen aber gewöhnlich zu unkonventioneller Partizipation: "Die Akteure sozialer Bewegungen sind eben nicht nur .Anders-Denkendc', sondern auch vielfach .Anders-Handelnde (Roth 1987, 23). Die Zahl der in solchen Aktionsgruppen mitwirkenden Menschen steigt noch immer an. Brachte die Friedensbewegung der frühen 60er Jahre nur wenige tausend Ostermarschierer für ihre Zieie auf die Beine, so schlössen sich in den 80er Jahren mehr als eine Million westdeutscher Bürger zu einer "Frie-denskelte zusammen, um für neue Strategien der Friedensbewegung zu werben. 62 Prozent der Bundesbürger bezeichneten sich Ende der 80er Jahre als "Sympathisanten oder "potentielle Mitglieder der Friedensbewegung. Vierzig Prozent standen der Antikernkraft-Bewegung nahe, weil mehr als in jedem anderen europäischen Land (vgl. Roth/Rucht 1987, 52f.). Gerade Themen wie Frauen, Frieden und Umwelt, die von den Parteien nicht ernsthaft genug oder auch gar nicht angepackt wurden, bestimmten im Lauf des letzten Jahrzehnts immer mehr Bürger, direkten Einfluß auf politische Prozesse zu suchen, in Initiativen, auf Demonstrationen und schließlich auch durch die Gründung der Grünen Partei, die sich als parlamentarischer "Stoßtrupp der neuen Bewegung empfand und von Teilen der Grünen bis heute so definiert wird.
Das Urteil darüber, ob diese Aktivitäten der parlamentarischen Demokratie Deutschlands langfristig nützen oder ihr eher Schaden zufügen, provoziert häufig politischen Streit: Konservative fürchten eine Politisierung des deutschen Alltags, warnen vor der Gefahr einer Stimmungsdemokratie und sagen bei weiter anhaltendem Partizipationswillen unweigerlich "Unregierbarkeit für die westlichen Demokratien voraus. Progressive dagegen begrüßen die lebhafte Teilnahme von Bürgern als basisnah. demokratisch und legitimitätsförderlich. Eines aber ist sicher: Mit dem Erstarken der Neuen Sozialen Bewegungen geht gleichzeitig eine nicht unbedenkliche Distanzierung von den Parteien einher, die zum Teil auf berechtigter Kritik an Skandalen beruht, andererseits aber in alle deutsche Politikmuster zurückweist: Moderne "Parteiverdrossenheit beschwört in Deutschland zugleich die Erinnerung an die Parteienfeindschaft des vergangenen Jahrhunderts, der Weimarer und der NS-Zeit herauf. Deshalb erheben sich auch bei der politischen Linken zunehmend warnende Stimmen vor radikaler Parteien-Kritik.

Bedingungen für den politischen Wandel

Die Abkehr von obrigkeitlicher Praxis hatte unterschiedliche Quellen: die politischen Vorstellungen der Alliierten, eine neue Verfassung, eine Personalpolitik, die - zumindest auf einigen Feldern - die Kontinuität zum NS-Regime unterbrechen sollte, und nicht zuletzt den Wandel von Werten und Normen bei den nachwachsenden Generationen.
Dies alles hätte aber wenig ausgerichtet, wenn nicht eine Fülle günstiger Umstände es den Westdeutschen leicht gemacht hätte, sich mit der Demokratie anzufreunden. Hier nur die wichtigsten Gründe:
- Die beiden Eliten, die die politische Geschichte Preußen-Deutschlands und auch der Weimarer Demokratie geprägt hatten - der landbesitzende Adel Ostelbiens und das Militär -, waren dauerhaft entmachtet.
- Statt Reparationslasten, Inflation, Wirtschaftskrisen und Arbeitslosigkeit gab es bald ökonomische Hilfe nach dem Marshallplan und einen Wirtschaftsaufschwung.
- Der enorme wirtschaftliche Aufschwung führte zur Herausbildung einer neuen Mittelklasse. Diese relativ wohlhabende Schicht besaß eine bessere und längerdauernde Schulbildung und berufliche Positionen, die von sich aus demokratische Werte stützten und förderten. Hinzu kamen noch zwei Bedingungen, die gleichfalls Ergebnis des Wirtschaftsaufschwungs waren und sich in Richtung Demokratisierung auswirkten: mehr soziale Sicherheit und mehr Freizeit.
- Die Westdeutschen öffneten sich zunehmend Einflüssen von außen: durch Exportverbindungen, Tourismus, internationalen Jugendaustausch. Dieser Verkehr förderte eine Weltoffenheit, die Handels- und Seenationen schon früher für demokratische Ideen empfänglich gemacht hatten, weil sie sich "auszahlten: als Sinn für Innovation, Pluralität. Toleranz.
- In der Wirtschaftswunder-Gesellschaft gewannen, vor allem bei jüngeren Menschen mit guter Ausbildung und Mittelschichts-Sozialisation, neue "postmaterialistische Werte an Boden: Wer, wie die westdeutsche Jugend der achziger Jahre, in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität aufgewachsen sei -so die Theorie amerikanischer und deutscher Sozialwissenschaftler -, räume Bedürfnissen nach Selbstvcrwirklichung, sinnvoller Beschäftigung in Arbeit und Freizeit, Mitspracherecht usw. einen höheren Rang ein als "materiellen Bedürfnissen wie wirtschaftlicher Sicherheit. Preisstabilität oder Leistung, Ruhe und Ordnung.
- Indizien für einen solchen Werte-Wandel von materiellen zu postmateriellen Bedürfnissen in der westdeutschen Jugend gibt es in Fülle: Junge Menschen verzichten eher als ältere auf ein höheres Einkommen zugunsten von "nicht-entfremdeter Arbeit, die Spaß macht und weitgehend selbstbestimmt ist. Freundschaften schüeßen sie weniger unter den Gesichtspunkten "Prestige oder "Einkommen als im Blick auf Originalität und Freundlichkeit des Partners.
Solche Veränderungen auf der Werte-Skala der westdeutschen Gesellschaft sind dafür verantwortlich, daß immer mehr junge Menschen zum "einfachen Leben zurückkehren. Alternativen zur Lebensweise der Eltern entwickeln, Konsum verweigern und sich als Vorreiler auf einem Weg fühlen, von dem sie überzeugt sind, daß alle Industriegesellschaften angesichts jetzt erkannter Grenzen wirtschaftlichen Wachstums und Umweltzerstörung ihm eines Tages folgen werden. (Es gibt natürlich auch viele westdeutsche Jugendliche, die nach den gleichen Prinzipien und Maßstäben leben wie ältere Generationen. In diesem Beitrag sollen sie aber nicht thematisiert werden.)

Trennung von Staat und Gesellschaft

Im insgesamt erfreulichen Bild der Entwicklung westdeutscher Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es allerdings Schatten. Sie werden unter Sozialwissenschaftlern kontrovers diskutiert. Konservative Forscher stellen die Frage, ob denn die Bundesrepublik in jedem Falle dem Bild von Demokratie gleichkommen müsse, das sich unter ganz anderen politikgeschichtlichen Voraussetzungen in den westlichen Industriegesellschaften herausgebildet habe. Vielleicht paßte zu den Deutsehen eine "andere, spezifisch deutsche Form von Demokratie besser als das Modell, das die angelsächsischen Demokratien abgeben? Es zeigt sich, daß politische Kulturforschung nicht wertfrei sein kann und daß die Sozialwisscnschaften eines Landes zu seiner politischen Kultur selbst dazugehören, nicht nur im Blick auf ihre politischen Tendenzen, sondern auch auf Theorien und Methoden der Forschung. Hier ist also grundsätzlich Vorsicht geboten. Dennoch sollen im folgenden einige Felder genannt sein, auf denen die Bundesrepublik Deutschland, gemessen an den klassischen Demokratien Europas, "Nachholbedarf hat.
Noch immer gilt in der Bundesrepublik die Trennung von Staat und Gesellschaft. Diese Tatsache wird unterschiedlich beurteilt: Viele meinen, die überkommene Trennung staatlicher Institutionen von der Gesellschaft, die sich als eher unpolitischer Bereich der Führung des "Staates anzuvertrauen habe, sei eine durchaus vernünftige Tradition. Andere sehen die klassische Zweiteilung als Hindernis für die Demokratie. Das westliche Demokratieverständnis lasse die Vorstellung eines Staates nicht zu, welcher von demokratischer Willensbildung und Volkssouveränitäl getrennt gedacht wird.

Das Grundgesetz wollte die deutsche Tradition der Staatsphilosophie nicht fortsetzen. Der Weg, auf dem die Verfassungsväter versuchten, der Gefahr der Staatsvergottung zu entgehen, hat allerdings eine andere Gefahr mit sich gebracht. An die Stelle des unangreifbaren Staates ist die unangreifbare Verfassung getreten; man spricht inzwischen kritisch von der "Verfassungsvergot-tung der Deutschen. Das angelsächsische Verständnis von Verfassung ist das eines Forums für politische Auseinandersetzungen. Die Verfassung gilt als sachlich und zeillich offen und setzt den gesellschaftlichen Wandel, auch den Wandel von Wertvorstellungen, als normal voraus. Das Grundgesetz dagegen wird heute vielfach als "absolutes Wertgehäuse betrachtet, das unveränderbar ist. Die politische Macht hat sich zuweilen auf die Seite der rechtlichen Macht verschoben: wenn das Bundesverfassungsgericht darüber entscheidet, wie das "geschlossene Verfassungshaus systemkonform "möbliert wird.
Deutlichstes Kennzeichen für die noch nicht aufgehobene Trennung von Staat und Gesellschaft ist die Institution des deutschen Berufsbeamtentums. Es gilt als eine besonders staatsnahe Gruppe von Bürgern, die ihrem "Dienstherrn durch ein besonderes Treuegelöbnis verpflichtet ist. Beamte sind Bürger erster Klasse, im Unterschied zum "Normalbürgcr, der seinem Staat die Treue nicht schwört.
Die Bürger der Bundesrepublik Deutschland zeigen noch immer weniger Toleranz gegenüber Minderheiten und Andersdenkenden, als die Demokratie-Meßskalen sozialwissenschaftlicher Forscher für "gute Demokraten erfordern. Auch Konflikt- und Kompromißbereitschaft sind immer noch in unzureichendem Maße ausgebildet. Demokratie setzt das grundsätzliche Einverständnis darüber voraus, daß verschiedene Meinungen und Überzeugungen sich gleichberechtigt gegenüberstehen. Letzte Wahrheiten und Ziele gibt es nicht (außer dem demokratischen Grundkonsens, zu dem das Toleranzprinzip selber gehört). Nur die Einsicht in die Berechtigung verschiedener, also notwendig konfligierender Meinungen und Interessen erlaubt Kompromisse. Wer nur die eigene Überzeugung gellen läßt, muß jeden Kompromiß als Niederlage und "Verrat an der guten Sache empfinden.
Ralf Dahrendorf hat schon vor Jahren im deutschen Streben nach Harmonie undemokratische Züge aufgezeigt. Neue empirische Untersuchungen bestätigen diese traditionelle Konfliktscheu: Deutsche meiden noch immer (und neuerdings zunehmend) das politische Gespräch, weil es "darüber leicht Streit gibt. Sie sehen in Meinungsverschiedenheiten innerhalb einer Partei ein Zeichen der Schwäche, halten weniger vom Streik als Bürger anderer Staaten und fürchten, bei Kompromissen die eigene Meinung zu verraten.
Mangelnder Konfliklbereitschaft entspricht ein Mangel dessen, was man in der sozialwissenschaftlichen Fachsprache "Ambiguitätstoleranz nennt: das Ertragen widersprüchlicher Aspekte mit dem Ziel, nach Prüfung zu einem Urteil zu kommen, das diese Widersprüchlichkeit unter Umständen enthält, jedenfalls aber in seiner Problematik bejaht. Wer widersprüchliche Lagen psychisch nicht aushält, neigt leicht dazu. Entscheidungen nur um der Entscheidung willen zu radikal oder zu rasch fällen zu wollen. Schwache Konfliktbereitschafl führt unter Umständen dazu, die Rolle der politischen Opposition zu mißachten. Wer opponiert, gilt in der Bundesrepublik Deutschland häufig als Störenfried, zumal wenn er nur eine kleine Gruppe vertritt. Fast die Hälfte der westdeutschen Bevölkerung meinte noch Ende der siebziger Jahre, man solle einer Minderheil, die in einer Abstimmung unterlegen ist. das Recht auf weitere oppositionelle Äußerung in dieser Sache versagen. Über drei Viertel der Bürger sind noch heute der Ansicht, die politische Opposition sei dazu da, die Regierung in ihrer Arbeit zu unterstützen, nicht sie zu kritisieren - ein fatales Mißverständnis politischer Opposition.
Konfliktscheu führt paradoxerweise mitunter zu Polarisierung: Wer die Interessen des Andersdenkenden nicht ernst nimmt, verwechselt den politischen Gegner leicht mit einem politischen Feind. Die traditionelle Konfliklscheu verstärkt den Wunsch nach Gemeinschaft und Harmonie. Dieser Konsens stellt sich umso leichter ein, je rascher ein Feindbild bei der Hand ist. Die Unterscheidung von Freund oder Feind wird zur grundlegenden politischen Theorie. Immer wieder fällt die politische Kultur der Bundesrepublik in das klassische deutsche Politikmuster des Freund-Feind-Denkens zurück: Parteien entwickeln "Lagerideologien, Funkhäuser und Zeitungen ergänzen ihre Redaktionen aus politisch gleichgerichteten Gruppen, Zitier- und Berufungskartelle beherrschen die Universitäten, Fakultäten und Institute. Der politische Gegner als Feind: immer wieder hat man den Deutschen ihre Radikalität im Blick auf Ideologien und Attacken gegen andersdenkende Gruppen vorgeworfen. Parlamentarismus. Parteiendemokratie und die Tugend des Kompromisses galten auf dem rechten wie dem linken Flügel politischen Denkens als oberflächlich, krämerisch und verlogen. Geringschätzung angelsächsisch-demokratischer Tugenden findet sich auch auf der politischen Linken in der Bundesrepublik Deutschland. Ein ehemaliges Mitglied der Studentenbewegung der sechziger Jahre schreibt heute die folgenden Sätze:

Ich kann aber nicht leugnen, daß ich von diesem deutschen Hang zum Absoluten, von dieser Verbohrtheit und Dickschädeligkeit auch fasziniert bin: den Sachen auf den Grund gehen, auch auf den Grund des Schreckens, nicht beim seichten common Sense stehen bleiben. Tief, unergründlich, rätselhaft sein. Gegenpart dazu sind die angelsächsischen Kulturen: verschiedene Ansätze. Lebensweisen können nebeneinander bestehen. Das ist auch wirklich faszinierend: Verschiedenes kann tatsächlich nebeneinander bestehen, wird akzeptiert - die angelsächsische Toleranz ist eine Tugend, und uns Deutschen geht sie weitgehend ab. Aber sie hat auch ihr Negatives: alles dulden, an der Oberfläche bleiben, alles mit allem vereinbaren und versöhnen wollen: Seichtigkeit... Ich will hier eine Linke, die nicht nur "kosmopolitisch, sondern auch "deutsch ist. Die den Mangel an politischer Kultur in Deutschland nicht dadurch beheben will, daß sie auf den Zug der anderen Länder aufspringt, sondern dadurch, daß sie eine spezifisch deutsche politische Kultur entwickelt (zit n. M. und S. Grciffenhagen 1979,272f.).
Diese Passage bringt Töne in Erinnerung, die in der Weimarer Republik eine "deutsche Linke mit einer "deutschen Rechten verband: im Kampf gegen westliche Seichtigkeit. die parlamentarische Quasselbude, den Parteien-Kuhhandel, gegen das Mehrheitsprinzip. Polarisierung durch Konfliktscheu - ein typisch deutsches Problem?

Staat ohne Identität?

Diese Konfliktscheu hat in Deutschland eine lange Tradition. Sie weist auf das politikgeschichtliche Erbe hohen politischen Homogenitätsbedarfs hin. Preußen war ein "Staat ohne Eigenschaften (Sebastian Haffner), ohne Identität: Das Fürstenhaus hatte keine dynastische Tradition, seine Untertanen waren aus verschiedenen Regionen. Religionen. Kulturen zusammengewürfelt. Eine "Idee wie die demokratische Solidarität aller Bürger gab es nicht. Ein großer König wurde Friedrich II., weil er aus all diesen Defiziten eine effektive Staatsmaschine zu formen verstand: Zukunft statt Herkunft, Wille zum Neuen statt Ehrfurcht vorm Alten, explosive Kraft statt gelassener Ruhe, Disziplin und Fleiß statt Gemächlichkeit, Effektivität statt Schlamperei.
Die Tradition dieser politischen Kultur des Emporkommens und Durchbeißens hat Preußen-Deutschland geprägt. Der Soziologe Max Weber hat das kaiserliche Deutschland mit einem führerlos dahinrasenden Schnellzug verglichen. Trotz des scheinbar durchgreifenden Wandels seit den 60er Jahren gibt es in der Bundesrepublik Deutschland Tendenzen, die auf ältere deutsche Mentalitätsmuster zurückweisen: Staatsgläubigkeit. Pflicht-Religion, Glaube an den Selbstwert von Ordnung. Disziplin und Effektivität. Sie werden sichtbar etwa im Umgang mit Terroristen oder Protestbewegungen, in der Schulpolitik konservativer Kultusminister, sie zeigen sich im Versuch, politische Fragen durch Gerichte entscheiden zu lassen, auch im Vorschlag konservativer Pädagogen und Philosophen, Kinder wieder stärker zu Fleiß, Ordnung und Disziplin anzuhalten, zu Tugenden also, die seit dem Nazi-Regime vielen Bürgern als obsolet gelten, nach Ansicht konservativer Pädagogen aber unter allen politischen Umständen nötig sind. Über all diese Fragen entbrennt in der Bundesrepublik heftiger Streit zwischen Bürgern, die sich eher dem angelsächsischen Demokratiemodell verpflichtet fühlen, und Bürgern, die eine Demokratie "eigenen westdeutschen Zuschnitts wünschen, basierend auf im eigenen Land gewachsenen politischen Traditionen.

Ist die Bundesrepublik Deutschland, wie die Regime vor ihr, noch immer ein "Staat ohne Slaalsidee, ohne Identität? Sie tut sich sehr schwer mit ihren nationalen Symbolen: "Revolutions-Feiertage oder andere Tage nationaler und demokratischer Befreiung kannte die Bundesrepublik Deutschland, wie schon erwähnt, nicht. Die erste Strophe der Nationalhymne spricht von vier Gewässern, die sämtlich außerhalb der heutigen Grenzen des Landes liegen. Nur wenige Bürger kennen den vollen Text dieser Hymne, nicht einmal den Text der einzig bei offiziellen Anlässen gesungenen dritten Strophe. "Freude empfindet beim Anblick der Nationalflagge nur ein Drittel der Bürger. Flaggen auf Privat- oder Behördenschreibtischen sind selten, auch das Foto des Bundespräsidenten hängt in kaum einer Amtsstube.
In dieser Lage diagnostizieren konservative Historiker der Bundesrepublik ein gefährliches "Sinn-Defizit. Identität müsse gestiftet werden, um den Zusammenhalt der Gesellschaft auf Dauer gewährleisten zu können: In vielen Schuleg wird neben dem Schulgebet das Singen der Hymne obligatorisch. Landkreise werden aufgefordert. Flaggen zu schaffen. Museen werden gegründet, die den Deutschen ihre Geschichte näher bringen und damit Identifikationsangebote machen sollen. Politischer Grundkonsens, so die vorgetragene These, könne sich nicht allein auf die Demokratie stützen, sondern bedürfe stärkerer Verankerungen in einem gemeinsamen Geschichtsbild, das Stolz vermittle. Der Historiker Michael Stürmer schreibt, nur die Nation stille heute "jenen Hunger nach Sinn und Identität, den vordem Religion und Magie befriedigt hatten (zit. n. Wehler 1988, 69). Auch der "Historikerstreit hat hier seine Wurzeln: Nur wenn die Verbrechen des Nationalsozialismus relativiert sind durch die Verbrechen anderer Völker, werde Stolz auf die nationale Vergangenheit der Bundesrepublik Deutschland wieder möglich.
Die westdeutsche Demokratie gilt im Urteil vieler Deutscher noch nicht als gefestigt: Sehen die einen im Rückfall in ältere deutsche Politikmuster Gefahren, so fürchten andere um den Bestand des Staatswesens durch ein Sinn-Defizit oder durch "Unregierbarkeit als Folge zu breiter Beleiligungswünsche auf Seiten der Bürger. Im ganzen scheint aber die Demokratie auf westdeutschem Boden gut unterwegs. Die Bundesrepublik hat schon eine eigene kleine demokratische Tradition ausgebildet. Die Mehrheit ihrer Bevölkerung ist in dieser Republik geboren und in dem Bewußtsein aufgewachsen, in ihr politisch gut untergebracht zu sein. Viele demokratische Institutionen und Einstellungen sind als "Errungenschaften inzwischen weder wegzudenken noch abzuschaffen. Sie sind Bausteine einer neuen staatlichen Identität, die sich ausbildet. Doch das braucht Zeil.







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