Die historische West-Ost-Differenzierung
Ostmitteleuropa ist räumlich von Westen nach Osten differenziert, soziale Prozesse und ökonomische Innovationen haben sich stets - paradoxerweise auch in der sozialistischen Nachkriegsperiode - von Westen nach Osten ausgebreitet. Hierbei wurden komplexe räumliche Organisationssysteme reinfacht, formale physische Strukturen polarisiert; soziale Substitute und informelle Organisationsstrukturen entstanden als Puffer im sozialen und räumlichen System.
Diese Aussage trifft bereits für die vorsozialistischen Siedlungsmuster von Ostmitteleuropa zu. Die abendländische Siedlungsdreiheit von Stadt, Land und Burg einer ständisch gegliederten Gesellschaft von Bürgern, Bauern und Adel hat sich nur in den Beckenräumen von Böhmen und Mähren und in den heutigen westlichen Landesteilen von Ungarn und Polen ausgebreitet. In den östlichen Weiten der ungarischen und polnischen Niederungen, östlich der Donau und der Weichsel, fehlten die Bürger, um den virtuellen ökonomischen Lebensraum für die großzügigen anlagen von Stadtgründungen im Spätmittelalter bzw. in der Neuzeit zu nutzen. Die bescheidenen, z.T. aus Holz errichteten niedrigen Bauten rings um riesige Stadtplätze belegen dieses Defizit sehr eindrucksvoll.
Als z.T. ghettoisierte Zwischenschicht von Händlern und Handwerkern haben Juden die Marktfunktionen wahrgenommen, wurde das Jiddische zur Handelssprache dieses Raumes. Das Zentrale-Orte-Netz blieb rudimentär, mit weiständigen Rangstufen und geringer Ausstattung; die Dorfstädte Ungarns lassen in der Bezeichnung bereits die Übergangsfunktion erkennen. Die ländliche Gesellschaft polarisierte sich in beiden Staaten, Polen und Ungarn, in adelige Gutsbesitzer und Kleinbauern. Die zweite Gesellschaft der Frühindustrialisierung, jene der Manufakturisten, Unternehmer und Gewerbebürger, hat sich im Wesentlichen nur mehr in Böhmen und Mähren sowie in den Sudetenländern gebildet, ehemaligen Kronländern der k. u. k. Monarchie, die voll in die Industrialisierung des 19.Jahrhunderts integriert waren und zu den alten Kernräumen einer hoch entwickelten Industrie in Kontinentaleuropa gehörten. In Kongresspolen und Ungarn beschränkte sich die Industrialisierung auf einzelne Städte im Westen, auf Budapest und in geringem Ausmaß auf Warschau. Beide Staaten waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts Agrarstaaten. Die Primacy-Regel bestimmte die Verstädterung in der Gründerzeit, d.h., der Wachstums- und Bedeutungsvorsprung der Hauptstädte erhöhte sich, Mittel- und Kleinstädte blieben relativ zurück.
Der Erste Weltkrieg war ein Schock für das Städtesystem - die Revision der politischen Grenzen in Mitteleuropa, der Zusammenbruch der Monarchie, die Bildung der Nachfolgestaaten, stoppte die Urbanisierung in der Zwischenkriegszeit (Lichtenberger 1982, S. 9). Die Tragweite des politisch-administratin Autoritätsrlustes spiegelt sich in einer anarchischen Urbanisation ohne Flächenwidmung und Infrastruktureinrichtungen, zum Teil selbst ohne Rechtstitel, welche das Umland der großen Städte Budapest, Prag und Warschau mit Einzelhäusern besetzte. Ostmitteleuropa hat im Großen und Ganzen nicht zu den Rechts- und Ordnungsformen der britischen Gartenstadtidee gefunden. Nur gleichsam auf dem Experimentierfeld sind Minimodelle, wie u.a. in Prag, gebaut worden. Eine beachtliche agrarische Überschussbevölkerung rblieb im ländlichen Raum als Kleinlandwirte und Tagelöhner auf den großen Gütern. Die Bodenreform avancierte zum Thema Nr. 1.
Die Einordnung von Ostmitteleuropa in den Staatssozialismus hat im Zusammenhang mit der nochmaligen Revision der politischen Landkarte von Europa eine Westrschiebung des polnischen Staates gebracht und Ungarn u.a. um die öst-ichen Teile rkleinert. Erstaunlicherweise sind in der Nachkriegszeit insgesamt jedoch nicht räumliche Angliederungseffekte an die Supermacht des Sozialismus, sondern Übersprungseffekte zu rzeichnen gewesen. Das heißt konkret: Es sind nicht die grenznahen Gebiete zur UdSSR am stärksten von den politischen Intentionen der wirtschaft erfasst und umgestaltet worden, sondern vielmehr die westlichen, unter einer "bürgerlichen Gesellschaft rstädterten und industrialisierten Teile der sozialistischen Staaten. Allen voran wurde die DDR als Modellfall des real existierenden Sozialismus eliert. Umgekehrt hat im Kernraum von Polen, dem ehemaligen Kongresspolen, keine Kollektivierung der Landwirtschaft stattgefunden, und ebenso haben die Siedlungen in der Ungarischen Tiefebene teilweise ihre Sonderstellung bewahrt.
Politische Grenzen werden noch lange in Satellitenbildern sichtbar sein. Als Beispiele wurden die Westgrenze Polens gegen Ostdeutschland längs des breiten Odertales (Abb. ^.12) und die Ostgrenze Polens gegen Weißrussland (Abb. 4.13) ausgewählt. 'm ersten Fall wird das Paradoxon belegt, dass die ursprünglich vielschichtig strukturierte Landschaft Pommerns im kommunistischen System in der DDR zu Staatsgütern umgewandelt wurde, während andererseits östlich der Oder, wo die deutsche Bevölkerung durch eine polnische ersetzt wurde, eine teilweise Auflösung der Gutsbetriebe in kleinst-bäuerliche Betriebe erfolgt ist. Ein breiter Grenzstreifen trennt längs der Ostgrenze von Polen gegen Weißrussland die beiden Staaten und rstärkt die Unterschiede zwischen der kleinzügigen Streifenflur der kleinbäuerlichen Wirtschaft Polens und den Großblöcken der Sowchosen in Weißrussland.
Die Effekte der sozialistischen Planwirtschaft
Die Frage nach den Effekten der sozialistischen Planwirtschaft ist zweigeteilt. Sie lautet: Welche Elemente des Siedlungssystems haben davon profitiert, welche wurden benachteiligt und welche Entwicklungen sind aller Voraussicht nach irreversibel, d.h., welches sozialistische Erbe wird Ostmitteleuropa in mittelfristiger Zukunft vom westlichen Mitteleuropa hinsichtlich der räumlichen Organisation von Gesellschaft und Wirtschaft deutlich abheben?
Entsprechend den Grundprinzipien sozialistischer Planung und Ideologie haben die Stadt und städtische Lebensform das Vorbild abgegeben. Stadtplanung und Städtebau waren zentrale Instrumente der zentralistischen und sektoralen Planung. Insgesamt hat der Staatssozialismus durch staatsweit einheitliche Wohnungsgrößen im öffentlichen Wohnungsbau, durch kollektive Lohnschemata und dergleichen eine vereinheitlichende Decke über die städtischen Siedlungen gebreitet und damit auch eine neue Gesellschaftsklasse einer egalitär-gewerkschaftlich organisierten sozialistischen Arbeiterschicht erzeugt.
In einer ersten Anstrengung gelang in Polen in den 1960er Jahren der Wiederaufbau der kriegszerstörten Städte. Danzig, Posen und Warschau seien als Beispiele genannt, eine staunenswerte Leistung und ein architektonisches Bekenntnis zum europäischen Urbanismus (vgl. Kapitel 6). Die sozialwissenschaftliche Forschung muss erst die Gründe für diesen beachtlichen, auch wirtschaftlichen Aufschwung erhellen, der damals die Staaten Ostmitteleuropas erfasst hat (so lag z.B. das BNP der CSSR Ende der 1960er Jahre annähernd auf derselben Höhe wie in Österreich), und ebenso für sein Abstoppen in den 1970er Jahren.
Der Verfall zahlreicher Innenstädte setzte in massiver Form erst in den 1970er Jahren ein, als sich das Syndrom von Großorganisationen der Bauwirtschaft - Plattenbauweise und Großwohnanlagen - zu verfestigen begann und die Stadterweiterung in Form von Großwohnanlagen, nach einem kurzen Zwischenspiel von Altstadterhaltung und Denkmalschutz, das Primat erhielt.
Die staatliche Bautätigkeit in den sozialistischen Staaten konzentrierte sich allerdings im Wesentlichen auf die großen Städte und darüber hinaus im Zuge der massiven Industrialisierungspolitik auf die planmäßige Anlage von neuen Industriestädten, die jedoch keineswegs als Innovationsträger in abgelegene ländliche Räume, sondern vielmehr in das weitere Umland von Agglomerationen hineingesetzt wurden. Eine planmäßige Industrieansiedlungspolitik, wie sie im westlichen Mitteleuropa in entwicklungsschwachen Räumen als Mittel zum Disparitätenausgleich betrieben wurde, fehlte. Damit ist gleichzeitig auch noch ein weiterer wesentlicher Unterschied in der Zentrale-Orte-Politik angesprochen.
Die sozialistischen Staaten haben den Zentralen Orten eine Funktion zugewiesen, die sie im Westen nicht besaßen. Sie wurden aus konsumentenorientierten Zentren für ein ländliches Umland zu "agrartechnologischen Vororten für die kollektivierte Agrarwirtschaft des ländlichen Raumes umfunktioniert. Maschinenreparaturstationen und dergleichen ersetzten das traditionelle zentralörtliche Gewerbe. Die Zentrale-Orte-Theorie wurde derart vom sozialistischen System aus der konsumentenorientierten Ausrichtung herausgelöst und als Instrument für die Steigerung der Produktion verwendet.
Entsprechend der Top-down-Verteilung der zentralistischen Budgets kamen bei der Zuteilung von Einrichtungen der technischen Infrastruktur und von "sozialen Gütern die unteren Stufen der Zentralen Orte zu kurz. Die Zentrale-Orte-Politik der sozialen Wohlfahrtsstaaten in den 1960er Jahren, die Bildungs- und Sozialeinrichtungen der mittleren zentralörtlichen Stufe zuteilte, fehlte und wird aller Voraussicht nach in den postsozialistischen Staaten kaum mehr nachgeholt werden.
Auch im Rahmen des Wirkens von Marktkräften ist eine Wiederbelebung der unteren Ränge des zentralörtlichen Systems nicht zu erwarten. Für diese Annahme sprechen Analogien hinsichtlich der Reduzierung des Einzelhandels in den Kleinstädten im nordamerikanischen Siedlungssystem. Konzentrationsprozesse bezüglich der Betriebsgrößenstruktur und die daraus resultierende Eliminierung von Kleinbetrieben im Einzelhandel bilden somit trotz aller Unterschiede im Warensortiment und in der Branchendifferenzierung ein beide Systeme, den Privat- und den Staatskapitalismus, ergreifendes gemeinsames Merkmal. Die kleinen und selbst die mittleren Zentralen Orte waren die Verlierer im Staatssozialismus, und sie sind es auch beim Übergang vom Plan zum Markt geblieben. Ausnahmen bilden nur jene ökologisch begünstigten Räume, in denen eine europäische Freizeitgesellschaftim Siedlungssystem Fuß fassen kann und Zentrale Orte zu Zentren von Freizeitregionen avancieren.
Irreversibel ist in Ostmitteleuropa ferner die Beseitigung einer besitzbürgerlichen Gesellschaft durch Enteignung und Diskriminierung. Diese ist als tragende Schicht der Kleinstädte nicht wiederherstellbar.
Es gab keine Planung des ländlichen Raums und ebenso keine Regionalplanung im Sinne des westlichen Mitteleuropa für die Entwicklung zurückgebliebener ländlicher Regionen. Der ländliche Raum wurde jedoch in die Kollektivierungsmaschinerie des Sozialismus eingebunden. Mit Ausnahme großer Teile von Polen und Teilen Jugoslawiens sowie einzelner Gebirgsräume haben die ländlichen Fluren durch die Änderung der Eigentumsverhältnisse und Betriebsgrößen einen tiefgreifenden Wandel erfahren. Der Staatskapitalismus hat das kleinzügige Muster der Fluren, die Raine und Wege der vorindustriellen mitteleuropäischen Kulturlandschaft, weitgehend beseitigt, wenn man vom unmittelbaren Hofland der Dörfer absieht, das sich in Ungarn erhalten konnte, wo man die kleinstbetrieblichen Doppelexistenzen im ländlichen Raum durch die Wirtschaftsreform der 1970er Jahre wieder zugelassen hat.
Unmittelbar nach der Wende schien die "Industrialisierung der AgraWirtschaft auch in ihrer gesellschaftlichen Konsequenz einer Ablösung der ständisch organisierten Agrargesellschaft durch unselbständige landwirtschaftliche Erwerbstätige mit je nach Ausbildung gestuften Aufgabenbereichen irreversibel zu sein.
Diese Annahme bedarf inzwischen einer Revision. Sie erwies sich als richtig in den gut entwickelten EU-Erweiterungsstaaten, Tschechien und Ungarn, wo sich bei geänderten Eigentumsverhältnissen die großbetriebliche Organisationsform erhalten konnte. Anders in den schwach entwickelten Staaten wie Rumänien, wo als Überlebensstrategie eine Landaufteilung der Staatsgüter in Kleinstbetriebe notwendig war, wie die Satellitenbilder von 1990 und 2000 eindrucksvoll belegen (Abb. if.15).
Ein entscheidender Eingriff in die politisch-administrative Organisation der ostmitteleuropäischen Staaten war die Beseitigung der Gemeindeverfassung. Damit wurde das im westlichen Mitteleuropa für die räumliche Ordnung entscheidend wichtige autonome territoriale Widerlager der staatlichen Gesamtverfassung und Verwaltung beseitigt. Gemeinden wurden zu Großeinheiten zusammengefasst, deren Größe mit amerikanischen Counties vergleichbar ist. Es war daher ein langer und mühsamer Weg, eine Gemeindeverfassung wieder als Kernstück der demokratischen Organisation, vor allem des ländlichen Raumes, aufzubauen und Gemeinden mit entsprechenden rechtlichen Befugnissen und den kommunalen Aufgaben adäquaten Budgets auszustatten, was bisher nicht in allen EU-Erweiterungsstaaten gelungen ist.
Wie erwähnt, rückte der ländliche Raum nicht ins Blickfeld sozialistischer Siedlungsplanung. Eine weitere Ausbreitung der anarchischen Urbanisa-tion der Zwischenkriegszeit war die Konsequenz. Mit Nachdruck sei betont, dass aufgrund der informellen Strukturen und der vormonetären Marktsituation eine Gleichsetzung dieser von spontaner privater Initiative getragenen extensiven Siedlungsbewegung mit der Suburbanisierung nordamerikanischer und westeuropäischer Städte, wie sie vielfach in der Literatur aufgrund des formalen Merkmals der Einzelhausverbauung vorgenommen wird, unzutreffend ist.
Dazu kommt ein Weiteres: Die sozialpolitische Einbeziehung der Wohnung als soziales Gut in das "social overhead und die Zuteilung von Wohnungen in Großwohnanlagen an die Staatsbürger zum Nulltarif haben eine mächtige Bewegung der Aufspaltung der Wohnfunktion in Arbeitswohnungen und Freizeitwohnungen gefördert. Mit der allgemeinen Akzeptanz der privaten Datsche wurde diese indirekt staatlich subventioniert und wird, in den Lebensstil integriert, weiter fortbestehen.
Es verdient somit das Persistenz-Syndrom unterstrichen zu werden, d.h., dass aus dem Staatskapitalismus östlicher Prägung Teile der physischen Strukturen und das Organisationssystem noch weit ins 21.Jahrhundert hinein bestehen bleiben werden.
Das Erbe der sozialistischen Stadtplanung
Der Staatskapitalismus östlicher Prägung hat besonders in den großen Städten mit Infrastrukturmaßnahmen und Großinvestitionen eine Erbschaft für die nächsten Jahrzehnte hinterlassen. Das integrierte Paket von Massenverkehrsmitteln und Größt-wohnanlagen hat sich von Moskau aus als Modell in allen Großstädten der ehemals dem COMECON angehörenden Staaten ausgebreitet. Von oben nach unten durchstrukturierte, mehrgliedrige territoriale Einheiten in Größenordnungen bis zu mehreren hunderttausend Personen kennzeichnen die Stadterweiterung der Nachkriegszeit. Großbaukombinate, Plattenbauweise und Großwohnanlagen bestimmen das Design (Abb. ^.16). Das Nachbarschaftsprinzip des Mikro-Rayons mit 1.500 Wohneinheiten, mit einer Volksschule und Kindergärten ausgestattet, bildete dabei das untere Modul der Planung, welches in beliebiger Form bis zu großen Stadtteilen zusammengefügt wurde. Zu den Großleistungen zählen zweifellos die U-Bahnen, welche selbst in Staaten mit geringerem Entwicklungsstand in den Hauptstädten errichtet worden sind.
Von Vorteil für die gegenwärtige Entwicklung ist die Tatsache, dass durch die seinerzeitige Verstaatlichung von Grund und Boden das Hindernis, welches Privateigentum für eine umfassende Planung darstellt, ausgeschaltet wurde und damit der Staatskapitalismus aufgrund der Anwendung eines Reserveprinzips bei allen Nutzungen große Flächen ausgewiesen hat, welche gegenwärtig den Stadtbehörden für anderweitige Verwendungen zur Verfügung stehen.
Die Erbschaft des Staatskapitalismus ist daher, was den großzügigen Umgang mit Stadtfläche und damit eine Vorsorgepolitik für künftiges Stadtwachstum anlangt, durchaus günstig zu beurteilen. Die negative Erbschaft besteht darin, dass der private Raum insgesamt einem Minimierungsprin-zip unterlag, das heißt, dass die Wohnfläche ebenso wie der Zuschnitt der Wohnräume nach Minimalanforderungen bemessen wurden.
Darüber hinaus sind aus bautechnischen Gründen viele Großanlagen bereits zu Sanierungsfällen geworden, was die nunmehr erwünschte Privatisierung erschwert bzw. überhaupt verhindert. Die in der ehemaligen DDR viel beklagte Plattenbauweise ist in allen ehemaligen COMECON-Staaten ein zur Sanierung anstehendes Problem.
Das Hauptproblem in den einst sozialistischen Städten bilden jedoch die Innenstädte, in denen eine Verstaatlichung des privaten Hausbesitzes erfolgt ist, der Staat aber aufgrund des Niedrig-mietenprinzips nicht imstande war, die notwendigen Erneuerungsmaßnahmen durchzuführen. Der Stadtverfall in den Innenstädten und in den gründerzeitlichen Mietshausquartieren gehört daher zu den auffälligsten Erscheinungen in den ostmitteleuropäischen und südosteuropäischen Städten. Die Konsequenzen sind unterschiedlich je nach der Lage der betreffenden Stadtteile zu den im Aufbau begriffenen innerstädtischen Citybereichen, in denen aufgrund des raschen Wachstums des quartären Sektors Abbruch und Neubau von Büroobjekten bzw. teuren Appartementhäusern die Regel ist. In den entfernter liegenden Stadtteilen mit geringerer Lagequalität gehören Verslu-mung und schließlich Abriss zum gängigen Sukzessionsprinzip, wobei die neu auftretenden Phänomene wachsender Segregation an nordamerikanische Verhältnisse erinnern.
Das Erbe des geteilten Europa im Verkehrssystem
Die vier Jahrzehnte der Trennung des östlichen und des westlichen Teils von Zentraleuropa haben tiefgreifende Auswirkungen auf das gesamte räumliche System des Verkehrs und der Infrastruktur zur Folge gehabt. Der Eiserne Vorhang wird nicht nur durch die Kollektivierung der Flursysteme im Staatskapitalismus als landschaftliche Grenze noch weit in das 21. Jahrhundert hinein fixiert bleiben, sondern beide Supermächte haben in der Zeit des Kalten Krieges längs des Eisernen Vorhangs potentielle Aufmarschfronten erzeugt. Damit sind in Hinblick auf das Liniennetz der technischen Infrastruktur Doppelungen der Verkehrsstrukturen (Autobahnen, Straßen) und von Rohrleitungen aufgrund der Einflüsse von NATO-Strategien im Westen und von COMECON-Strategien im Osten des Eisernen Vorhangs entstanden, die weiter Bestand haben werden. Ferner ist eine Kappung von alten historischen Routen, vor allem in Zusammenhang mit der weit nach Westeuropa hineinreichenden CSSR erfolgt.
Für die Doppelung der Verkehrsstrukturen sei zunächst auf die österreichische Situation verwiesen. Rückblickend ist außer Zweifel zu stellen, dass die Neutrassierung der Autobahn von Wien über Graz nach Klagenfurt nicht dem tatsächlichen Bedarf österreichischer Industriestandorte und Bevölkerungsballungen entsprochen hat, sondern dass längs des Eisernen Vorhangs damit eine maximal 60 km entfernte "Aufmarschstraße entstanden ist, und zwar aufgrund einer Kombination von föderalistischen Interessen mit NATO-Interessen. Ebenfalls nicht aus österreichischen Interessen erfolgte die zweite echte Neutrassierung ohne historischen Vorläufer im europäischen Verkehrssystem, nämlich die Nordwest-Südost-Transversale durch die Alpen von Passau nach Wels und Graz, welcher strategische Bedeutung für den Verkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem NATO-Staat Türkei zukommt.
Von Ostberlin, der ehemaligen Hauptstadt der DDR, aus wurde eine neue Verbindungsachse über Prag nach Bratislava und Budapest innerhalb der COMECON-Staaten geschaffen und damit Budapest im Straßen- und im Eisenbahnsystem eine neue zentrale Rolle als strategischer Knoten im Rahmen der COMECON-Staaten zugewiesen. Ebenso wurde aber auch der Standort Bratislava langfristig aufgewertet, was sich nach dem EU-Beitritt der Slowakei schlagartig im Entstehen eines Clusters von Autofabriken ausgewirkt hat. Als Konsequenz dieser Neutrassierung wurden die einst wichtigen Verkehrsstrecken von Wien nach Norden, die Prager und die Brünner Straße, gekappt. Beide Straßenzüge regredierten zu Verkehrstoten Strecken. Ein ähnliches Schicksal erlitt die einst wichtige Verbindung von Wien nach Triest aufgrund der an den Alpenrand verlagerten Trassierung der oben genannten Autobahn.
Die Doppelung der Erdöl- und Erdgasleitungen ist als Erbe der Struktur eines geteilten Zentraleuropa noch deutlicher als auf dem Verkehrssektor von Bahn und Straße erkennbar. Auch hier gehen heute die Rohrleitungen direkt aus dem Raum Magdeburg über das ehemalige Braunkohlengroß-revier von Mitteldeutschland in die CSSR und in die Slowakei nach Bratislava und schließlich nach Budapest, welches in der Erdölversorgung ebenfalls r eine Drehscheibenfunktion im Rahmen der COME-t CON-Politik erhalten hat. Die Vorfeldsituation zum russischen Erdöl besteht bis heute. Die so genannite Adriapipeline führt mit der offiziellen Bezeich nung Drushba IB südlich an Budapest vorbei zur Raffinerie nach Szahalombatta und von hier weiter an die Adria nach Rijeka in Kroatien. Der zweite Ast, die Drushba IIA, zweigt an der ukrainischen Grenze Richtung Slowakei ab und führt einerseits zur Raffinerie nach Bratislava und versorgt andererseits Tschechien.
An zwei Standorten wurde das russische Netz
mit dem westlichen verknüpft: im Raum von Wien
im Zusammenhang mit der Großraffinerie Schwe-
Chat und im Raum Magdeburg-Hannover mit den
Schwerpunkten der Raffinerien in Gelsenkirchen
im Ruhrgebiet.
Interessanterweise ist das System der Erdgasleitungen nicht in gleicher Art in die interkontinentale Planung im Raum des ehemaligen COMECON einbezogen worden wie die Planung und der Bau der Erdölleitungen.