Geschichte
Thüringen ist wie fast kein anderes Bundesland von der typisch deutschen Kleinstaaterei geprägt: Es gibt kaum eine Stadt oder Kleinstadt, kaum ein Dorf ohne die Residenz oder die Sommerresidenz eines Herzogs, Großherzogs oder eines anderen Provinzfürsten, und selbst der Tod setzte der Prachtentfaltung der Herrschaften kein Ende. In vielen Kirchen Thüringens finden sich aufwändige Grabdenkmäler und Epitaphien oftmals obskurer Duodezfürsten.
In wesentlich früherer Zeit entstanden die Bauwerke, die Herrschern wie Untertanen Schutz vor Überfällen feindlich gesinnter Nachbarn boten: die Burgen. Die bekannteste dieser Befestigungen ist die Wartburg, die 1067 von Ludwig dem Springer gegründet wurde. Weit älter ist die Steinsburg, eine 70 Hektar große Keltenfestung bei Römhild.
Aus dem Königreich der Thüringer, das zur Zeit der Völkerwanderung von ca. 400-531 bestand und von der Werra bis zur Elbe sowie von der Oker, einem Nebenfluss der Aller, bis an den Main reichte, sind keine Baudenkmäler erhalten. Nach der Schlacht an der Unstrut (531) gelangte das Gebiet unter fränkische Herrschaft. Franken waren es auch, die die Thüringer zu christianisieren begannen.
Die dauerhafte Bekehrung der Belkerung gelang aber erst Bonifatius, welcher um 725 die lohanniskirche bei Georgenthal, das Kloster Ohrdruf und die Marienkirche Erfurt stiftete. 742 schließlich gründete er das Bistum Erfurt. Das idyllisch an der Gera gelegene Arnstadt wird bereits im Jahr 704 urkundlich erwähnt.
Architektur
Romanik- Renaissance
Aus romanischer Zeit sind die Krypten einiger Kirchen erhalten geblieben, beispielsweise in Heiligenstadt und Erfurt, sowie die Ruine des Klosters Paulinzella, des wohl berühmtesten romanischen Baudenkmals in Thüringen. Auf den baukünstlerischen und architektonischen Wert der Wartburg machte schon Johann Wolfgang von Goethe aufmerksam; Palast und Kapelle ziert figürlicher und pflanzlicher Schmuck aus dem 13. Jh.
Gotische Baudenkmäler finden sich nahezu überall in Thüringen - Burgen, Stadtbefestigungen, Bürgerhäuser, Kirchen und Klöster. Herausragende Beispiele für diesen Baustil sind die St.-Severi-Kirche auf dem Domberg in Erfurt, das Rathaus und die Marienkirche in Mühlhausen oder auch die üebfrauenkirche in Arnstadt.
In vielen thüringischen Städten und Dörfern ist noch das mittelalterliche Straßennetz erhalten. In den verwinkelten Gassen weht auch heute ein Hauch des Mittelalters, besonders im idyllischen Schmalkalden und in Mühlhausen, dem Zentrum des deutschen Bauernkrieges.
Die Baukunst der Renaissance hat überwiegend in Rathäusern und Bürgerhäusern ihren Niederschlag gefunden. Die unruhigen Zeiten mit Bauernkrieg, der Nachreformation und Dreißigjährigem Krieg hemmten die Bautätigkeit. Noch vor dem Ende dieses Krieges, der weite Teile des damaligen Mitteldeutschlands verwüstete, begann jedoch Herzog Ernst I. von Sachsen-Gotha, der Fromme genannt, 1643 in der Residenzstadt seines 27 km* großen Fürstentums mit dem Bau eines großen Schlosskomplexes: Friedenstein; er wurde der erste Schlossneubau in Deutschland nach dem großen Glaubenskrieg. Friedenstein war das erste Thüringer Ba-rockschloss - viele weitere folgten.
Klassizismus - Funktionalismus
Dass es in Schleiz und im nicht weit davon entfernten Zeulenroda noch im frühen 19.1h. zu furchtbaren Stadtbränden kam, hatte zur Folge, dass hier klassizistische Bauensembles von einzigartiger Geschlossenheit entstehen konnten, die man noch heute bewundern kann.
Der Baustil der Gründerzeit, der Historismus, lässl sich am Kyffhäuser-Oenkmal bei Bad Frankenhausen, das das nationale Pathos und Selbstbe-wusstsein der Epoche nach dem Sieg über Frankreich 1870/71 sehr gut widerspiegelt, studieren, an den Versicherungspalästen in Gotha zwischen Schloss und Bahnhof und am Anger in Erfurt, dessen Randbebauung ebenfalls größtenteils aus dieser Zeit stammt. Das Rathaus in Erfurt ist wie die Rathäuser in Leipzig und München ein Zeugnis für den Wohlstand und den Zukunftsglauben der Zeit.
Nach der Ära des Jugendstils (Theater in Gera und das Bauhaus in Weimar) machte sich, hervorgerufen durch den Ersten Weltkrieg und die Weltwirtschaftskrise, Ernüchterung breit, die in der Architektur des Funktionalismus sowie der Kunst des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit (einer ihrer bedeutenderen Vertreter ist der Geraer Maler Otto Dix) ihren Niederschlag fand.
An der Entwicklung der Ideen des Funktionalismus war das Staatliche Bauhaus in Weimar, das 1919 gegründet wurde, maßgeblich beteiligt. Was dagegen aus der Zeit des Nationalsozialismus blieb, sind Gedenkstätten der Zerstörung und Vernichtung.
Sozialismus
Mit den industriellen Baumethoden des Plattenbaus begann der Niedergang vieler thüringischen Städte. Historische Bausubstanz verfiel oder wurde großflächig niedergerissen und durch eine seelenlose Einheitsarchitektur ersetzt. Trotzdem ist vielerorts noch mehr an historischer Bausubstanz zu finden als in vergleichbaren westdeutschen Städten. Auch verdienen einige Bauwerke aus DDR-Zeiten aufgrund ihrer ausgefallenen Architektur Beachtung. So ähnelt das Hotel Panorama im Wintersportort Oberhof zwei gegeneinander gekehrten Sprungschanzen. Für das Universitätshochhaus in Jena nahm man sich ein Fernrohr als Modell. Schließlich der zylindrische Zweckbau, der über Bad Frankenhausen thront und im Volksmund auch »Elefantenklo« genannt wird: Das Panorama-Museum (s. S. 95) mit dem umstrittenen Monumentalgemälde »Frühbürgerliche Revolution in Deutschland« (1987) von Prof. Werner Tübke ist hier zu Hause.
Feste & ranstaltungen
Januar: Kalter Markt in Römhild (Töpfermarkt letzter Do im Monat). Februar: Karneval in Wasungen und anderen Werra-Orten; Ober-hofer Skifasching (Sa vor Rosenmontag).
März: Sommergewinn in Eisenach (Jahrmarkt am dritten So vor Ostern), vermutlich größtes Volksfest in Thüringen. - Die Heiligenstädter Leidensprozession am Palmsonntag versammelt die Katholiken des Eichsfelds. - Bachwochen in Arnstadt, Eisenach, Erfurt, Gotha, Mühlhausen und Weimar mit Konzerten und Vorträgen (Näheres bei der Gesellschaft Thüringer Bach-Wochen, Frauenplan 17,99817 Eisenach, Tel. 036 91/88 96 90).
April: Thüringer Musiktage in Gera; Frühlingsfest (Jahrmarkt) in Erfurt; Shakespeare-Tage in Weimar. Mai: Skatbrunnenfest in Altenburg; Steigerfest in Erfurt; Tage der Volkskunst in Suhl; Frühlingsmärkte in Nordhausen und Jena.
Juni: Rolandfest in Nordhausen; Volkstanz- und Musikfest in Rudol-stadt; Meininger Parkfestspiele, Krämerbrückenfest in Erfurt. Kunstfest in Weimar bis Ende Juli.
Juli: Altenburger Sommerfestspiele; Tag des Bergmanns in Sondershausen und Bad Salzungen; Suhler Sommermarkt; Motorradrennen auf dem Schleizer Dreieck; Orgelwoche in Gera; Pferdewallfahrt in Etzelsbach bei Heiligenstadt (am zweiten So im Juli); Festival der Weltmusik in Jena bis Ende August.
August: Kirmes in Mühlhausen; Lichter- und Laternenfest im ega-Parkaufdem Gelände der früheren Cyriaksburg in Erfurt; am 5. Wallfahrt in Etzelsbach bei Heiligenstadt zu Maria Schnee; Vogelschießen in Rudolstadt. September: ega-Blumenball und Tage der Volkskunst in Erfurt; Jazztage in Jena; Erntedank-Jahrmarkt in Nordhausen. Oktober: Thüringer Herbst in den Städten an der »Klassikerstraße«; Heinrich-Schütz-Tage in Bad Köstritz; Geraer Kulturtage; Zwiebelmarkt in Weimar (zweiter Sa); Theresienfest in Hildburghausen.
November: Musikwochen in Greiz (Stavenhagen-Wettbewerb); Martinsfest (10.) in Nordhausen.
Dezember: Weihnachtsmärkte.
Geistesgroben
Kaum ein Ort in Thüringen, wo nicht an irgendeiner Hauswand ein Schild auf ruhmreiche Besucher hinweist: Hier lebte, wirkte, feierte, stritt oder fluchte Goethe, Schiller oder Wieland, Luther, Müntzer, Nietzsche, Fröbel oder Zeiß, Wagner, Bach oder Meister Eckhart... Die Liste der Berühmtheiten ließe sich noch lange fortsetzen. Was zog sie alle nach Thüringen?
Ein Blick auf Weimar, die Stadt der deutschen Klassik, kann zeigen, wie Kultur vom Wirken bestimmter Persönlichkeiten abhängt. Hätte die schöngeistig veranlagte Fürstin Anna Amalia, die als 20-jährige Witwe die Herrschaft übernahm, die Erziehung ihres Sohnes Carl August nicht in die Hände von aufgeschlossenen Lehrern wie Christoph Martin Wieland gelegt, hätte sich wohl kaum die Freundschaft mit Goethe entwickelt. Als Herzog holte Carl August Goethe später nach Weimar, und Herder und Schiller folgten. Das 6000 Einwohner zählende Städtchen war zu einem Treffpunkt der geistigen Elite geworden.
Nach Goethes Tod war es Franz Liszt, der Weimar neue kulturelle Impulse gab. Er förderte avantgardistische und unkonventionelle Komponisten wie Richard Wagner. Was die Musik angeht, hatte Weimar schon immer große Namen zu bieten. Johann Sebastian Bach war hiervon 1708 bis 1717 Hoforganist und Kapellmeister.
1919 ging das staatliche Bauhaus unter Walter Gropius aus der Kunstgewerbeschule Henry van de Veldes hervor, der Nachfolgerin der ebenfalls progressiven Kunstschule Weimars. 1925 zog das Bauhaus nach Dessau, da auf Betreiben der rechtsradikalen Parteien der konservative Landtag kein Geld mehr bereitstellte. So war es immer: Künstler und Wissenschaftler blieben auf die Unterstützung durch Mäzene aus Politik und Wirtschaft angewiesen. Da die zahlreichen Fürstentümer in Thüringen viel zu klein waren, um politische oder militärische Macht zu erringen, verschafften sich ihre Herrscher eben Weltruhm als Förderer von Kunst und Kultur.
Thüringen-Urlauber, die auf den Spuren der Geistesgrößen wandeln möchten, können bei den Fremdenverkehrsämtern (s. S. 102) kostenlos spezielle Prospekte anfordern (s. S. 6).