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Dresden

Dresden

Es gibt gewiß ältere, ehrwürdigere Städte als Dresden, es gibt historisch und kunsthistorisch bedeutsamere, aber nur in wenigen Städten verbinden sich Natur und Kunst auf so harmonische Weise wie gerade hier. Heinrich Laube (1806-l884) hat das in seinen "Reiscnovellen trefflich erfaßt, und wenn diese auch schon vor hundertfünfzig Jahren geschrieben wurden und sich seitdem soviel gewandelt hat, wird man auch heute noch davon angerührt:

"Dresden ist eine der Städte, wo ich gerne ankomme. Es hat mir immer aus der Ferne das meiste Vergnügen gemacht. Aber man muß aus den schlesischen Grenzwäldern nach Sachsen reisen, um einen entzückenden italienischen Anblick zu finden: das bergige, sonnenfrische Bautzen, die schöne hügelige Straße links mit den blauen Bergen, die hinabführt zu dem heiteren Bischofswerder, wo so hübsche Mädchen wohnen, das alles stimmt überaus empfänglich. Und nun kommt man zu den waldigen Bergen, wo die breite Straße eilig hinabrennt zum Elbtale, und zwischen Fichten, Tannen und Landhäusern sieht man weit unten im Hintergrunde, begrenzt von einer sanften Hochebene, eine breite Stadt mit italienischen Türmen, Kirchen und Schlössern: Florenz, das blühende, in weichen, gefälligen Farben prangend und lockend. Dieser Anblick hat so viel Südliches, Fabelhaftes, daß es mir stets die buntesten Hoffnungen und Illusionen weckt. Dresden wimmelt stets von Reisenden. Es ist eine Winter- und Sommersaison, die Italien vertritt. Die Brühische Terrasse an der Elbe, von der man hinab gegen Meißen, hinauf bis in die Vorberge der Sächsischen Schweiz sieht, klingt von allen Sprachen Europas.




Den Zauber spürt man auch heute noch, obwohl das alte, vielgerühmte Dresden, das "Eibflorenz, wie es Johann Gottfried Herder einmal enthusiastisch nannte, in der Bombennacht des 13. Februar 1945 sinnlos zerstört wurde. Das neue Dresden stieg in den folgenden Jahren und Jahrzehnten keineswegs wie ein Phönix aus der Asche. Sozialistischer Baueifer zerstörte oft noch vorhandene Reste alter Substanz und ließ in weiten Teilen aus den Trümmern eine moderne, sterile Großstadt erstehen. Die alte prachtvolle Silhouette scheint für immer dahin, aber schon strahlt der "Balkon Europas, die Brühische Terrasse an der Elbe, in altem Glanz mit Hofkirchc und Semperoper im Hintergrund, schon geht das Schloß seiner Vollendung entgegen, werden die aufwendigen Restaurierungsarbeiten verstärkt fortgesetzt, und man überlegt sogar, ob nicht auch die Frauenkirche mit ihrer markanten Kuppel wiedererstehen soll.
Den Kunstliebhaber mag es gleich zum Zwinger oder zum Albertinum, den Musikfreund zur Semperoper ziehen, beginnen sollte man aber den Rundgang durch die Stadt in der Augustenstraße vor dem "Fürstenzug; denn dieses in seiner Art einmalige Geschichts-Bilderbuch ist nicht nur eine berühmte Sehenswürdigkeit, sondern erleichtert auch die Begegnung mit den Fürsten des Hauses Wettin und damit mit der Geschichte Sachsens. Die ursprünglich in Sgraffitotechnik gemalten überlebensgroßen Rciterbildnisse der sächsischen Fürsten wurden 1907 in der Porzellanmanufaktur in Meißen auf 24 000 Porzellanfliesen übertragen und fugenlos an der 957 Quadratmeter großen Wandfläche angebracht. 1979/80 wurde der Fürstenzug sorgfältig gereinigt und restauriert, so daß er heute in neuem Glanz erstrahlt. Der Maler Adolf Walther (1826-l913) hat in jahrelanger mühsamer Arbeit die einzelnen Gestalten lebensnah und weitgehend ohne übertriebenes Pathos gestaltet, so daß kein martialischer Triumphzug, sondern eine den Beschauer auch heute noch ansprechende durchaus individuelle Reihe von 35 Persönlichkeiten entstand.

Allein schon das Lesen der Beinamen am unteren Rand des Frieses bereitet Vergnügen. Das beginnt mit Konrad dem Großen, dann kommen Otto der Reiche, Albrecht der Stolze, Dietrich der Bedrängte, Heinrich der Erlauchte, Friedrich der Gebissene (oder der Freidige), Friedrich der Ernsthafte, Friedrich der Strenge, Friedrich der Streitbare, Friedrich der Sanftmütige, Albrecht der Beherzte, Friedrich der Weise, Johann der Beständige, Johann Friedrich der Großmütige, Georg der Bärtige, Heinrich der Fromme, Friedrich August der Gerechte und endet mit Anton dem Gütigen. Man sieht, daß die Sachsen sich ihre Herrscher schon genau betrachteten und zu charakterisieren wußten. Auch eine Lektion in Kostüm-, Rüstungsund Uniformkunde vom Mittelalter bis zur Gegenwart erhält der Betrachter, wenn er einfache Jagdkleider, Kurfürstenmäntel, Landsknechttracht, spanische Hoftracht, Harnische, Söldnerwämser, barocke Fürstengewänder oder die Offiziersuniformen des 19. Jahrhunderts bestaunt. Vor allem spiegell der Fürstenzug natürlich die Geschichte der Weltiner. 1089 hatte dieses Geschlecht von Kaiser Heinrich IV. die Markgrafschaft Meißen übertragen bekommen, unter Konrad dem Großen (1123-l156), der den Fürstenzug anführt, war die Markgrafenwürde erblich geworden. Im Zuge der Oslsiedlung riefen die Fürsten bäuerliche Siedler in das Land, die hier die dünne adlige und geistliche Oberschicht verstärkten. Im Gegensatz zu den Niedersachsen an der Unterelbe wurden diese Siedler als Obersachsen bezeichnet. Deutlich läßt sich von da an verfolgen, wie der Name des alten Stammesherzogtums Sachsen allmählich elbauf wärts wanderte. Nach dem Sturz Heinrichs des Löwen endete dieses Herzogtum, es wurde geteilt, und der Name ging an das Herzogtum der Aska-nier im Ostteil des alten Territoriums über. Dieses wiederum wurde achtzig Jahre später in die Linien Sachsen-Lauenburg und Sachsen-Wittenberg geteilt. Letztere erhielt 1356 durch die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. die Kurwürde, und als die Askanier 1422 ausstarben, übertrug Kaiser Sigis-mund Herzogstitel und Kurwürde an den Grafen Friedrich den Streitbaren zum Dank für die Hilfe im Kampf gegen die Hussiten.

Er ist im Fürslenzug nicht zu übersehen; denn der Künstler hat ihn als ersten Kurfürsten des Hauses Wetlin deutlich hervorgehoben. Dabei wirkt er gar nicht so streitbar, trägt das Kurschwert geradezu lässig wie einen Spazierstock geschultert. Die hinter ihm reitenden drei Fürsten bilden eine auffallende Gruppe. Herzog Friedrich faßt seine Söhne Ernst und Albrecht an der Hand, als ahne er, daß unter ihnen die Dynastie auseinanderbrechen werde. Tatsächlich wurde der Gesamtbesitz 1485 geteilt. Der Westen und die Kurwürde fielen an Herzog Ernst, während Albrecht den Ostteil erhielt und fortan in Dresden residierte. Nun wird es etwas schwieriger, sich unter den hohen Herren zurechtzufinden. Da reiten zuerst einmal gemeinsam die drei ernestinischen Kurfürsten, unter ihnen jener Friedrich der Weise, der als Landesherr Luthers diesen auf der Wartburg in Sicherheit bringen ließ. Es liegen turbulente und schwierige Jahre zwischen diesen drei Fürsten und jenem schwer gerüsteten Moritz aus der Albertinischen Linie, der nach der Schlacht bei Mühlberg 1547 und der Niederlage Johann Friedrichs von Kaiser Karl V. die Kurwürde für sich und die Albertini-sche Linie übertragen erhielt, was ihn jedoch nicht daran hinderte, eben diesen Kaiser schon fünf Jahre später zu verraten. Neben ihm reitet sein Bruder August, jener Vater August, dem wir beim Bau des Schlosses Augustusburg südlich von Chemnitz noch einmal wieder begegnen werden. Der grimmig blickende Johann Georg I. im Harnisch mit dem Feldherrnstab in der Rechten erinnert an die Rolle Sachsens im Dreißigjährigen Krieg, in dem er und sein Land zuerst auf Seiten des Kaisers, dann auf der des Schwedenkönigs Gustav Adolf standen, um schließlich wieder zum Kaiser überzuwechseln und dafür die Lausitz für Sachsen zu gewinnen.

Der Blick fällt nun wieder auf den nächsten einzelnen Reiter, einen typischen Barockfürsten, der auf einem Denkmalssockel zu posieren scheint. Es ist Kurfürst August IL, der 1697 König von Polen wurde und dem die Stadt Dresden soviel verdankt. Seinen Beinamen "der Starke verschweigt diesmal der Namensfries, warum soll er auch unbedingt an den etwas zweifelhaften Ruhm erinnern, den ihm der Volksmund wegen seiner Körperstärke gab? Um die Krone Polens zu gewinnen, trat dieser Kurfürst zum Katholizismus über. Der alte Herr in der folgenden erergruppe ist Friedrich August der Gerechte. Er regierte nicht nur am längsten von allen diesen Fürsten, nämlich ganze vierundsechzig Jahre, sondern durfte - wenn auch von Napoleons Gnaden - für sein Haus eine Rangerhöhung erfahren; denn Sachsen wurde 1806 zum Königreich erhoben. Dafür bezahlte er dann 1813, als er in die Niederlage Napoleons hineingezogen wurde. Im Fürstenzug fehlt als letzter König Friedrich August III., der letzte regierende Wettiner, ein tüchtiger und allseits anerkannter Mann, von dem zu Unrecht meistens nur jene geflügelten Worte bekannt sind, mit denen er angeblich 1918 seine Abdankung bekräftigt haben soll.
Nach solchem Eilkurs durch die Geschichte Sachsens können wir nun getrost den Rundgang durch die Stadt beginnen. Die Anfänge waren bescheiden, zu Füßen der Burg, die einen Eibübergang bewachte, war erst zu Beginn des 13. Jahrhunderts hier eine kleine Siedlung entstanden, die aber bald das Stadtrecht erhielt. Schon 1275 wird erstmals eine steinerne Brücke erwähnt, die von der Stadt aus hinüber nach Altendresden, einem slawischen Dorf auf dem rechten Eibufer, führte. Wie bei manchen anderen Städten Sachsens bildeten Tuch- und Fernhandel die Quellen eines passablen Wohlstands, aber gegen das benachbarte Pirna beispielsweise kam Dresden nicht an.
Als Herzog Albrecht die Stadt 1485 zu seiner Residenz erhob, war sie mit rund 4000 Einwohnern nach unseren heutigen Begriffen kaum größer als ein bescheidenes Kleinstädtchen. Dann aber begann der Aufstieg. Sichtbares Zeichen der neuen Würde wurde das aus der alten Burg hervorgegangene Schloß. Das Georgentor, der Moritzbau, der Große Schloßhof entstanden bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, auch die "Schöne Pforte, die heute das Johanneum am Neumarkt schmückt. Schon 1560 richtete Kurfürst August jene Kunstkammer ein, die zur Keimzelle des berühmten "Grünen Gewölbes werden sollte.
Und nun tauchen auch die ersten berühmten Namen auf, beginnt die lange Reihe jener Männer und Frauen, die den Ruf Dresdens als Kunst- und Musikstadt begründeten. An der Hofkapelle wirkte seit 1617 Heinrich Schütz (1585-l672), der wohl bedeutendste deutsche Komponist seiner Zeit. 1627 schuf er mit "Daphne die erste deutsche Oper. Von den Wirren des Dreißigjährigen Krieges blieb Dresden im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Städten glücklicherweise verschont und konnte sich weitgehend ungestört entwickeln. Schon 1676 ließ Kurfürst Johann Georg TT. außerhalb der Stadtmauern jenen "Großen Garten anlegen, auf den die Dresdner auch heute noch zu Recht stolz sind. Dabei durften sie ihn ursprünglich gar nicht einmal betreten, blieb er allein dem Hof vorbehalten, und erst der russische Stadtkommandant gab ihn 1814 für die Öffentlichkeit frei. Als erster Barockbau der Stadt entstand in diesem Park das Italienische Palais, das jene Antikensammlung aufnahm, die den Archäologen Johann Joachim Winckelmann so nachhaltig inspirierte.
Die Glanzzeit Dresdens begann dann seit 1694 mit dem Kurfürsten Friedrich August I. Unter ihm und seinem Sohn Friedrich August II. erlebte die Stadt jene höchste und schönste künstlerische Blüte, die zu Recht das "Augusteische Zeilalter genannt wird. Johann Joachim Winckelmann (1717-l768), der seine Fähigkeit als bedeutendster Kunstinterpret des 18. Jahrhunderts in den Dresdner Sammlungen entwickelte und schulte, schrieb über die Regierungszeit Augusts:
"Der Geschmack war ohne Zweifel ganz und gar fremd unter dem nordischen Himmel zu der Zeit, da die beiden Künste, deren große Lehrer die Griechen sind, wenig Verehrer fanden; zu der Zeil, da die verehrungswürdigsten Stücke des Corregio im königlichen Stall zu Stockholm vor die Fenster, zur Bedeckung derselben, gehängt waren. Und man muß gestehn, daß die Regierung des großen August der eigentliche glückliche Zeitpunkt ist, in welchem die Künste als eine fremde Kolonie in Sachsen eingeführt wurden.
Unter seinem Nachfolger, dem deutschen Titus, sind dieselben diesem Lande eigen geworden, und durch sie wird der gute Geschmack allgemein. Es ist ein ewiges Denkmal der Größe dieses Monarchen, daß zu Bildung des guten Geschmacks die größten Schätze aus Italien und was sonst Vollkommenes in der Malerei in andern Ländern hervorgebracht worden, vor den Augen aller Welt aufgestellt sind. Sein Eifer, die Künste zu verewigen, hat endlich nicht geruht, bis wahrhaft untrügliche Werke griechischer Meister den Künstlern zur Nachahmung sind gegeben worden. Die reinsten Quellen der Kunst sind geöffnet; glücklich ist, wer sie findet und schmeckt. Diese Quellen suchen, heißt nach Athen reisen, und Dresden wird nunmehr Athen für die Künstler.

Das Hofleben Augusts, seine Vergnügungen und vor allem seine zahlreichen Liebschaften waren schon für die Zeitgenossen eine stete Quelle der Aufmerksamkeit und der Unterhaltung. Zu den originellsten, teils auf Tatsachen, teils auf Hofklatsch basierenden Berichten gehört dabei "Das galante Sachsen des Freiherrn Karl Ludwig Wilhelm von Pöllnitz (1692-l775), das die kurfürstlichen bzw. später königlichen Eskapaden und Liebesabenteuer von der Jugend bis zum Alter Augusts mitverfolgte und so zu einer Quelle des öffentlichen Amüsements wurde. Als kleine Probe mag die Schilderung des Liebeswerbens um die Madame von Hoym dienen, die dann später den Titel einer Gräfin Cosel erhielt und deren schlimmes Ende wir beim Besuch der Burg Stolpen noch kennenlernen werden:
"So bald sie der König nur einmal gesehen hatte, wurde er gleich von ihrer Schönheit eingenommen. Er nahm an ihr den muntern Geist wahr, den er bey seinen Maitressen zu finden verlangte. Es war nun nichts mehr nöthig um ihn würeklich verliebt zu machen. Seine Zuneigung vor die Fürstin von Teschen bestritte eine Zeitlang die, welche ihn zu der von Hoymb zog. Das wird nur ein kleiner Liebes-Handel werden, dachte er bey sich selbst. Ich werde die von Hoymb so bald wieder vergessen, alsbald ich sie nicht mehr sehen werde. Er hielte vor leichte sie zu gewinnen. Indessen, da er ihr von Liebe vorgesaget hatte, traff er bey ihr diejenige Leichtigkeit nicht an, mit der er sich schmeichelte. Niemals hat ihm eine Maitresse zu gewinnen mehr gekostet, als diese. Er mußte, so zu reden. Mühe, Fleiß und Geld recht verschwenden. Dieser Widerstand aber verursachte nur, daß sein Verlangen zu überwinden vermehret wurde. Alsbald die Madame von Hoym glaubte, daß sie sich des Hertzens des Königs versichert hätte, gab sie es etwas gelinder, und zuletzt gieng sie mit ihm gewisse Bedingungen ein, durch welche ihr eine vollkommene Gewalt über das Hertz Friederich Augusts zugestanden wurde. Er versprach der Fürstin von Teschen auf ewig gute Nacht zu geben; eine Ehescheidung zwischen der von Hoym und ihrem Gemahl auszuwüreken; und endlich verband er sich durch eine eigenhändige Hand-schrifft. daß, im Fall die Königin zu sterben kommen solte, die von Hoym ihre Stelle einnehmen, auch alle die Kinder die sie so wohl vor als nach dieser versprochenen Vermählung miteinander zeugen würden, vor rechtmäßige Printzen von Sachsen gehalten werden solten. Allen diesen Dingen ließ sie ein jährliches Behalt von hundert tausend Thalern beyfügen.
Auf erstbesagte Bedingung, nahm die von Hoym den Titul einer Königl. Maitresse an.

August war geradezu besessen-von seiner Bau-unii Kunstleidenschaft. Das 1685 niedergebrannte Altdresden ließ er als "Neue Stadt bey Dresden wieder aufbauen. Dort übrigens, und nicht in der Altstadt, steht auf dem Marktplatz auch das berühmte Denkmal des Kurfürsten, das ihn in der Pose und Tracht eines römischen Imperators auf einem sich bäumenden Roß zeigt. Es wurde, wie konnte es anders sein, vergoldet, 1956 reichte es bei der Renovierung nur noch für goldene Ölfarbe, doch strahlt der Kurfürst als "Goldener Reiter wie eh und je.
Schönstes Zeugnis der kurfürstlichen Bauleidenschaft ist der,'Zwinger im Herzen Dresdens, eines der wohl schönsten Werke des europäischen Barock überhaupt, den August zur Verherrlichung seiner Macht und seines Ansehens von dem Architekten Matthäus Daniel Pöppelmann (1662-l736) errichten ließ. Der bekannte Kunsthistoriker Carl Justi schrieb vor hundert Jahren in seiner Winckelmann-Biographie über dieses Bauwerk:
"Der Zwinger war der monumentale Schauplatz für die Feste des Kurfürsten und Königs. Sein Architekt nennt ihn eine Schauburg, d.h. ein Theater oder Amphitheater, bestimmt für Ritterspiele und Prachtaufzüge, Karussells und Quadrillen in den Rollenkostümen der italienischen Komödie. Die einfach regelmäßige Grundform war gewiß den bisher zu dem Zweck geschaffenen Hol/.schranken und Schaugerüslen entlehnt. Wo die Feste, sonst eine vorübergehende Erhöhung des Lebensgenusses, monatelang dauerten, ja zum Inhalt und Zweck des Lebens geworden schienen, wie auch der Regentenberuf in Zeremonie und Repräsentation aufging, da war der Einfall fast logisch, die Festschranken und ihren vergänglichen Schmuck in einen dauernden Steinbau zu verwandeln. So entstand etwas, das in Originalität zu jener Zeit seinesgleichen nicht hat
Der Reiz des Zwingerstils liegt in dem Mut, diese Dekoration der Frucht- und Blumengehänge, diese Porzellanvasen mit Blumensträußen und zierlichen Vorhängen, alle diese Anspielungen von Emblemen und Wappenzeichen, so wenig stilisiert, fast naturalistisch, aber mit Geschmack und Anmut, in soliden Sandstein zu übersetzen. Die dichtgedrängten burlesken Satyr-Hermen verkündigten lärmend ebenfalls diesen permanenten Karneval. Grazie und grotesker Übermut wechseln ab. Mit einer jeden Griffs sicheren Gewandtheit sind alle Teile für die malerische Wirkung des Ganzen berechnet, selbst in dem tollen Zerreißen und Durcheinanderwerfen baulicher Glieder (in den Tortürmchen). Der Anblick kann fast melancholisch wirken, wie ein Ballsaal bei einbrechendem Morgenlicht, mit so gespenstiger Lebendigkeit spricht hier die Zeit zu uns, wo Dresden, wie der Tourist von Loen sagt, .ein bezaubertes Land war, das sogar die Träume der alten Poeten übertraf, wo es unmöglich war, ernsthaft zu sein, und wo man nur spielte und gespielt wurde'.4
Der Zwinger ist gleichermaßen verspielter Traum wie auch Manifest des fürstlichen Absolutismus. Als Pöppelmann und der Bildhauer Balthasar Permoser 1709 mit dem Werk begannen, war Friedrich August mit einem Heer nach Polen gezogen und hatte das schon einmal verlorene Königreich zurückerobert, und im Bürgerkrieg von 1715/17 behielt er dort endgültig die Oberhand. Daran erinnert das Kronentor, über dem vier polnische Adler die Königskrone stützen, aber auch Plastiken des Wallpavillons, wo die ur des Kurfürsten Polens Krone in den Händen trägt, oder das sächsisch-polnische Wappen mit den Initialen A.R. (Augustus Rex) im Mittelgiebel und darüber der "Hercules saxonicus. Aber auch der Wandel in den absolutistischen Träumen des Kurfürsten und Königs wird spürbar; denn das großartige Werk blieb unvollendet, und schon 1728 ist es vorbei, und der Zwinger wurde nun zu einem "Palais de sciences, einer Stätte für die Kunstsammlungen, die ja auch dem Kurfürsten soviel verdanken.

August der Starke als Sammler - auch das ist ein umfangreiches Thema, das sich hier nur in wenigen Strichen andeuten läßt. Dabei konnte der Kurfürst auf dem Erbe seiner Vorfahren aufbauen und fand seinerseits in seinem Sohn einen würdigen Nachfolger. Unter der Regierung der beiden Fürsten wurden aus ganz Europa 4000 Gemälde erworben, darunter so kostbare und einmalige Werke wie die "Sixtinische Madonna Raffaels aus dem Kloster von Piacenza. Friedrich August II. berief 1747 den Venezianer Bernardo Beiotto (1720-l780), der sich Canaletto nannte, nach Dresden, wo er monatlich jeweils ein Bild malen sollte. Auch seine Ansichten von Dresden und aus der Umgebung der Stadt zählen heute zu den Meisterwerken der Gemäldesammlung, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in dem Bau der Gemäldegalerie an der unvollendeten Ostseite des Zwingers durch Gottfried August Semper (1803 bis 1879) eine würdige Heimstätte fand.
Die Schatzkammer ließ Friedrich August I. in die "Grünen Gewölbe des Schlosses verlegen und um die erlesensten Kostbarkeiten bereichern. Allein etwa der "Hofstaat von Delhi am Geburtstag des Großmoguls, der heute das Entzücken aller Besucher bildet, kostete fast doppelt soviel wie der Bau des Schlosses Moritzburg! Wenn man dann noch die Skulpturensammlung und die Porzellansammlung, die nur von der Sammlung im Serail zu Istanbul übertroffen wird, dazuzählt, kann man den Umfang der Sammeltätigkeit Friedrich Augusts einigermaßen abschätzen. Dresden war eine Kunstmetropole von europäischem Rang geworden und blieb es auch in der Folgezeit; denn im 19. Jahrhundert sorgten die kunstsinnigen sächsischen Könige für die Erweiterung der Gemäldesammlung, aus der schließlich von 1931 an die "Gemäldegalerie Neue Meister hervorging.
Wer Dresden um die Mitte des 18. Jahrhunderts kennenlernen möchte, muß nur die herrlichen Stadtansichten von Bernardo Beiotto betrachten, die ihm einen getreuen Anblick vermitteln. Damals schon zeigte die Stadt ihre unverwechselbare Silhouette; denn die Frauenkirche mit ihrer mächtigen Kuppel war seil 1743 vollendet, und auch die katholische Hofkirche am Brückenkopf der Augu-stusbrücke in der Altstadt, Sachsens größte Kirche und zugleich der letzte Barockbau, ist in sechzehnjähriger Bauzeit erstanden. Die schöne Ansicht Beiottos vom rechten Eibufer aus zeigt den Turm 1748 noch eingerüstet. Es hatte einigen Arger mit dem Bau gegeben; denn die Errichtung einer katholischen Kirche war im Mutterland der Reformation auf erheblichen Widerstand gestoßen, und so hatte man auch den Grundstein am 28. Juli 1739 morgens früh um fünf Uhr in aller Stille gelegt. Mit den Bauarbeiten an der Hofkir-che hängt auch das "Italienische Dörfchen auf dem heutigen Theaterplatz zusammen, bezeichnet diese Gastställe doch den Platz, an dem die Unterkünfte jener italienischen Gastarbeiter standen, die unter der Leitung des römischen Architekten Gae-lano Chiaveri am Bau der Hofkirche mitgewirkt hatten.

Während die Frauenkirche in der Bombennacht 1945 in Trümmer sank und nur noch ein paar Ruinen als Mahnmal erhalten blieben, brannte die Hofkirche zwar ebenfalls gänzlich aus, wurde aber nach dem Krieg sorgfältig restauriert und 1980 durch ein Dekret des Papstes zur Kathedrale des Bistums Dresden-Meißen erhoben.
Auf Beiottos Bild des Altmarkles erkennt man im Hintergrund die mächtige Fassade der alten Kreuzkirche. Sie fiel bereits dem Bombardement der Preußen 1716 zum Opfer, brannte damals nieder und wurde schließlich völlig abgebrochen. er Jahre später errichtete man an ihrer Stelle einen barocken Neubau. Der Name der Kirche erinnert daran, daß dort das älteste und bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts einzige Gymnasium Dresdens lag, während der Chor dieser Kirche als "Kreuzchor heute noch weltbekannt ist.

Nach damaligen Verhältnissen war Dresden mit etwa 60 000 Einwohnern schon eine Großstadt. Der sächsische Adel hatte nicht hinter seinem Kurfürsten zurückstehen wollen und sich entsprechend schöne Paläste erbaut. Allen voran Graf Heinrich von Brühl (1700-l763), der Vertraute Friedrich Augusts III., der das ihm geschenkte Gelände auf der alten Festungsmauer über der Elbe in einen Lustgarten umwandeln und dort mehrere Gebäude errichten ließ. Von ihnen ist nichts mehr erhalten, geblieben aber ist die Terrasse, die zu Recht als der "Balkon Europas gepriesen wird. Für die Dresdner Bevölkerung war sie ursprünglich auch nicht zugänglich und wurde wie der Große Garten erst ab 1814 geöffnet.

Der Siebenjährige Krieg brachte Dresden schwere Belastungen. 1760 wurde die Stadt von den Preußen belagert und beschossen. Dabei wurden mehrere hundert Wohnhäuser und die Kreuz-kirche zerstört. Der Friede von Hubertusburg bedeutete zwar das Ende der klassischen Blüte Dresdens, doch sank dieses keineswegs in die Bedeutungslosigkeit ab. Zwar wandelte es sich von der Stadt des Adels zu einer Stadt der Bürger, noch dominierten die gewerblichen Kleinbetriebe, das Alltagsleben verlief ohne besondere Höhepunkte. Unter den ortsansässigen Bürgern ragten vereinzelte Persönlichkeiten hervor, so etwa der Appellationsrat Christian Gottfried Körner (1756 bis 1831), der Vater des Dichters Theodor Körner, in dessen gastfreiem Hause so bedeutende Männer wie Goethe, Heinrich von Kleist, Wilhelm von Humboldt, Ernst Moritz Arndt und der Freiherr vom Stein einkehrten und der auch 1785 bis 1787 dem jungen Schiller in seinem Gartenhause in den Loschwitzer Weinbergen Unterkunft gewährte. Es war eine großzügige Geste Körners gewesen, daß er dem Freund nicht nur eine Heimstatt bot, sondern ihn auch in die behagliche Geborgenheit seiner Familie aufnahm. Schiller fand hier die dringend benötigte Ruhe, aus der heraus er schöpferisch arbeiten konnte. Wie froh er über diese Einladung war, hat er gleich zu Beginn seines Dresdner Aufenthalts in einem anschaulichen Brief geschildert:

"Was bisher meine heißesten Wünsche erzielten, hab ich nun endlich erlangt. Ich bin hier, im Schooße unsrer lieben, aufgehoben wie im Himmel. Ich würde es wagen. Dich in das Innre meiner Seele hineinzuführen, und Dir die Geschichte meines Herzens von gestern an zu beschreiben, wenn ich Dich solange könnte vergeßen machen, daß ich Dichter bin. Laß Dir's also mit troknen Worten mahlen: Mir ist wohl, und in der jezigen Faßung meines Gemüths kenne ich keine andere Besorgniß mehr, als die Furcht vor dem allgemeinen Loos der Zerstörenden Zeit. Erblike in mir Dein eigenes Schiksal. Wie mir jezt ist wird Dir in wenigen Wochen auch seyn - Betrachte mich also in den - ,selgen Spiegel Deiner Seligkeit'.
Ich schreiben Dir auf meinem Zimmerchen im Weinberg, über mir höre ich unsere lieben Weiber-chen herum kramen in häußlichen Geschäften, und mitunter auf dem Klavier klimpern. Wie viel Stimmung gibt mir das zu einer Unterhaltung mit Dir!
Unsre Hieherreise war wirklich sehr angenehm, schade nur, daß der Abend und die Nacht uns beim Eintritt in die schönre Landschaften überfielen. Mit dem andächtigen Schauer eines Wallfahrers grüßte ich die merkwürdigen Pläzchen wieder, die sich meinem Herzen unter der neulichen Reise vorzüglich ausgezeichnet hatten, als zum Beispiel die Abschieds Stelle zwischen Stauchiz und Hubertsburg. Als auf einmal, und mir z,um erstenmal, die Elbe zwischen 2 Bergen heraustrat, schrie ich laut auf. O mein Liebster Freund, wie intereßant war mir alles! Die Elbe bildet eine romantische Natur um sich her, und eine schwesterliche Ahnlichkeil dieser Gegend mit dem Tummelplatz meiner frühen dichterischen Kindheil macht mir sie dreifach theuer. Meißen, Dresden und seine Gegenden gleichen ganz in die Familie meiner vaterländischen Fluren.
Zwölf Uhr in der Nacht war es, als wir über die Brücke fuhren.
Ich sah hinter mir in der Neustatt in der Gegend, worinn ich Körners Hauß vermuthete einige Häußer erleuchtet, und mein Herz wollte mich bereden, daß Körners darunter war. Im goldnen Engel traten wir ab, und den andern morgen schikt ich in die Neustatt, mich nach Körners Auffcnthalt zu erkundigen, weil ich vermuthete daß er im Weinberge wäre, und unsern Bedienten kommen zu laßen. Der Bediente brachte mir Grüße von den Weibern, Körner war noch biß 1 im Collegium.

Ich ließ mich in einer porteChaise hintragen, weil es ganz entsetzlich regnete, und die Freude unseres Wiedersehens - und eines solchen Wiedersehens - war himmlisch
Abends gegen 5 fuhren wir nach dem Weinberge, unterwegs fand ich die himmlischste Gegend. Er ligt eine Stunde vor der Stadt, ist beträchtlich, und hat Terrain genug, Körners Erfindungsgeist zu allerlei Ideen zu verführen. Am Fuße des Berges ligt das Wohnhauß, welches weit geräumiger ist als das Endnerische zu Golis. Am Hauß ist ein niedlicher kleiner Garten, und oben auf der Höhe des Weinbergs steht noch ein artiges Gartenhäuß-gen. Die Aussicht von diesem und der Untergang der Sonne soll ganz zum Entzüken seyn. Alles hier herum wimmelt von Weinbergen, Landhäuß-chen und Gütern.
Der gestrige Abend hier auf dem Weinberge war mir ein Vorschmak von allen folgenden. Während daß Dorchen und Minna auspakten und im Hauße sich beschäftigten hatten Körner und ich philosophische Gespräche. Jetzt wird er anfangen thätig zu werden. O liebster Freund das sollen göttliche Tage werden.5
Bedeutendste Frucht seiner literarischen Tätigkeit in diesen Jahren ist der "Don Carlos, den Schiller im Weinberghäuschen vollendete. Liebenswerte, ortsbezogene kleine Arabeske am Rande sind die Worte des Ersten Jägers aus "Wallen-steins Lager: "Was? Der Blitz! Das ist ja die Gustl aus Blasewitz, erinnern sie doch an die Wirtstochter Justine Segedin aus der Schenke an der Eibfähre in Blasewitz, die Körner und Schiller so gern vom gegenüberliegenden Loschwitz aus besuchten.

Die Dresdner Sammlungen lockten auch immer wieder Künstler an, so ließ sich Caspar David Friedrich 1798 in Dresden nieder, ihm folgte 1801 für einige Jahre Philipp Otto Runge, bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts kamen die Maler Georg Friedrich Kersting, Ferdinand von Rayski, Alfred Rethel und Julius Schnorr von Carolsfeld. Aus Dresden selbst stammte Adrian Ludwig Richter, der 1803 als Sohn eines Kupferstechers geboren wurde, seiner Vaterstadt zeitlebens eng verbunden blieb und 1884 hier starb. Wie stolz die Dresdner zu Recht auf diesen Maler und vor allem Illustrator waren, beweist allein schon die Tatsache, daß er als einer der ganz wenigen Bürger im "Fürstenzug verewigt wurde und dort als ein Vertreter der Künste seinen Fürsten folgt. In seinen "Lebenserinnerungen eines deutschen Malers hatte er das Leben in Dresden zu Beginn des 19. Jahrhunderts geschildert:
"Die Müller-Großeltern wurden oft besucht. Das kleine Kaufmannslädchen, durch welches man den Eingang in das noch kleinere und einzige Slübchen nehmen mußte, war ein höchst interessantes Heiligtum. Das Fenster außen garniert mit hölzernen, gelb und orange bemalten Kugeln, welche Zitronen und Apfelsinen vorstellten, die aber niemals in natura vorhanden waren und auch bei der armen Kundschaft keine Käufer gefunden haben würden; dann der große, blanke Messingmond, vor welchem abends die Lampe angezündet wurde, und der dann mit seinem wunderbar blendenden Glanz das Lädchen zu einem Feenpalast verwandelte; die vielen verschlossenen Kästen, der anziehende Sirupständer, dessen Inhalt so oft in den schönsten Spirallinien auf das untergehaltene Dreierbrot sich ergoß, die Büchsen mit bunten Zuckerplätzchen, Kalmus, Ingwerblättchen, Johannisbrot - und schließlich der Duft dieser Atmosphäre: welche ahnungsvolle Stätte voll Herrlichkeit!
Endlich der Kaufherr selbst, mit baumwollener Zipfelmütze und kaffeebrauner Ladenschürze geschmückt, wie hastig und eifrig fuhr er in die Kästen, langte dem Barfüßler für ein Pfennig Pfeffer, ein Pfennig Ingwer, ein Pfennig neue Würze und drei Pfennig Baumöl freundlichst zu, der Barfüßler verschwand, und die Klingel an der Türe bimmelte unaufhörlich der ab- und zugehenden Kun-schaft vor und nach!

Endlich der von den Nebengebäuden eingeschlossene Hof mit dein daranstoßenden, sehr großen Garten, welch ein Schauplatz süßester Freuden! Da wurde mit der Jugend der Nachbarschaft ein Vogelschießen veranstaltet, am Johannistag um eine hohe Blumenpyramide von Rosen und weißen Lilien getanzt, oben die herrlich duftende Vorratskammer besucht, wo die süßen Zapfenbirnen und anderes frisches und trockenes Obst in Haufen lagen, unten der Schweinestall mit seinen Insassen rekognosziert, und welch ein Festtag, wenn das Tier geschlachtet wurde. Zwar durfte ich bei dieser Exekution nicht zugegen sein und hörte die durchdringenden Seufzer nur von ferne; aber dann sah ich das schöne Fleisch gar appetitlich zerlegen, das Wellfleisch kochen, und das kleine, einfenstrige Wohnstübchen war für den Metzgermeister zum Wurstmachen hergerichtet. Ein Geruch von süßem Fleisch, kräftigem Pfeffer und Majoran durchwürzle die Luft, und welche Wonne, zu sehen, wie die hellen langen Leberwürstlein samt den teils schlanken, teils untersetzten oder gar völlig korpulenten Blut- und Magenwürsten in dem Brodeln des großen Kessels auf- und untertauchten, endlich herausgefischt und probiert wurden. - Wie lebendig wurde es dann im Lädchen, die Klingel bimmelte ohne Aulhören, denn Füllers hatten ein Schwein geschlachtet', und so kamen die Kinder in Scharen mit Töpfchen und Krügen, und immer wiederholte sich die Bitte: .Schenken Sie mir ein bißchen Wurstbrühe', oder ,für zwei Pfennig Wurstbrühe, Herr Müller! '

Auch E. T. A. Hoffmann kam 1813 nach Dresden, wurde hier Musikdirektor bei einer Schauspieltruppe und schrieb während dieser Zeit sein Märchen "Der goldene Topf', mit dem er der Stadt ein kleines, reizvolles literarisches Denkmal setzte; denn der Student Anseimus, der Held der Geschichte, irrt gleich zu Beginn durch die Eibauen am rechten Flußufer und hat nicht einmal das Geld, um das Linkesche Bad zu besuchen, eine zu dieser Zeit ungemein beliebte Vergnügungsstätte mit einem Sommertheater:
"Als der Student schon beinahe das Ende der Allee erreicht, die nach dem Linkischen Bade führt, wollte ihm beinahe der Atem ausgehen. Er war genötigt, langsamer zu wandeln; aber kaum wagte er den Blick in die Höhe zu richten, denn noch immer sah er die Apfel und Kuchen um sich tanzen, und jeder freundliche Blick dieses oder jenes Mädchens war ihm nur der Reflex des schadenfrohen Gelächters am Schwarzen Tor. So war er bis an den Eingang des Linkischen Bades gekommen; eine Reihe festlich gekleideter Menschen nach der andern zog herein. Musik von Blasinstrumenten ertönte von innen, und immer lauter und lauter wurde das Gewühl der lustigen Gäste. Die Tränen wären dem armen Studenten Anseimus beinahe in die Augen getreten, denn auch er hatte, da der Himmelfahrtstag immer ein besonderes Familienfest für ihn gewesen, an der Glückseligkeit des Linkischen Paradieses teilnehmen, ja er hatte es bis zu einer halben Portion Kaffee mit Rum und einer Bouteille Doppelbier treiben wollen und, um so recht schlampampen zu können, mehr Geld eingesteckt, als eigentlich erlaubt und tunlich war. Und nun hatte ihn der fatale Tritt in den Apfelkorb um alles gebracht, was er bei sich getragen. An Kaffee, an Doppelbier, an Musik, an den Anblick der geputzten Mädchen -kurz! - an alle geträumten Genüsse war nicht zu denken; er schlich langsam vorbei und schlug endlich den Weg an der Elbe ein, der gerade ganz einsam war. Unter einem Holunderbaume, der aus der Mauer hervorgesprossen, fand er ein freundliches Rasenplätzchen; da setzte er sich hin und stopfte eine Pfeife von dem Sanitätsknaster, den ihm sein Freund, der Konrektor Paulmann, geschenkt. - Dicht vor ihm plätscherten und rauschten die goldgelben Wellen des schönen Eibstroms, hinter demselben streckte das herrliche Dresden kühn und stolz seine lichten Türme empor in den duftigen Himmelsgrund, der sich hinabsenkte auf die blumigen Wiesen und frisch grünenden Wälder, und aus dieser Dämmerung gaben die zak-kichten Gebirge Kunde vom fernen Böhmerlande.

Die biedermeierliche Idylle wurde rauh durch die politischen Ereignisse unterbrochen. Zu Pfingsten 1812 hatten sich noch Kaiser Franz von Österreich, König Friedrich Wilhelm III. von Preußen und der sächsische König zu einem glänzenden Abschiedsfest mit Napoleon in der Stadt getroffen, bevor letzterer unmittelbar zur Großen Armee abreiste. Schon in der Nacht des 14. Dezember hielt er, diesmal auf der Flucht, erneut Rast in Dresden, und im Sommer 1813 kehrte er noch einmal für mehrere Wochen hierher zurück und errang am 26./27. August vor den Toren seinen letzten Sieg auf deutschem Boden über die verbündeten Russen und Österreicher. Der einmal viel gelesene Jugend- und Volksschriftsteller Gustav Nieritz (1795-l876), ein gebürtiger Dresdner, hat als junger Seminarist die Tage nach der Schlacht beschrieben:
"In dem weiteren, dreitägigen Verlaufe der Schlacht wurden immer neue Haufen namentlich östreichischcr Gefangenen eingebracht, deren Zahl sich auf 12 000 steigerte. In Ermangelung anderer, hierzu passender Räumlichkeiten sperrte man diese Gefangenen in Dresdens Kirchen, mit alleiniger Ausnahme der katholischen und der evangelischen Hofkirche, so wie in das leerstehende Orangeriehaus der Ostra-Allee.
Kaum daß die letzten Schüsse in Dresdens nächster Umgebung verhallt waren, so trieb mich die Neugierde, in Begleitung vieler Seminaristen, das noch buchstäblich rauchende Schlachtfeld zu betreten. Die Neugierde ist in einer ereignisreichen Zeit eine Leidenschaft, welche selbst sonst ernstbesonnene Männer beherrscht. Auch unser ehrwürdiger Cantor F. machte hierin keine Ausnahme, indem er, gleich mehreren Seminaristen, während der tobenden Schlacht das kleine Thürm-chen auf dem Seminargebäude bestiegen und von dort aus nach den Kämpfenden ausgeschaut hatte, bis einige wohlgezielte Kugeln des Feindes, welcher in den Neugierigen Kundschafter vermuthe-te, jene rasch wieder vertrieben. Wir wanderten aus dem Löbtauer Schlage und sahen bald die weite Fläche mit Menschen- und Pferdeleichen, mit Kugeln und zerschossenen Wagen usw. bedeckt. Auch einen Russen fanden wir noch lebend, welcher mit beiden Händen sein zerschmettertes Knie umfaßt hielt und laut jammerte. Wir hatten nichts Eiligeres zu thun als solches einigen Arbeitern zu melden, welche auf dem Schlachtfelde tiefe Gruben ausschaufelten und die Gebliebenen einscharrten. Gleichmüthig entgegneten sie uns, daß sie nur für das Begraben der Todten gemiethet wären und bezahlt würden, aber nicht für das Unterbringen der Lebenden. In der von uns betretenen Gegend lagen lauter Oestreicher und namentlich viele Ungarn, schöne, kräftige Gestalten. Daß sie Mangel an Nahrung gelitten hatten, erkannte man an den unreifen Aepfeln, welche viele der Todten neben sich liegen hatten. Der Tod war in mancherlei Gestalten hier dargestellt und immer mehr gewöhnte sich der erst entsetzte Blick an die reichlich gehaltene Aerndte des bleichen Sensenmannes. Am dichtesten war dieselbe vor der Redoute bei Mozunsky's Garten, die von den Oestreichern bereits genommen worden war. Hier lagen die östreichischen Czakko's wie gesäet umher und die Erde war mit Menschenblut reich gedüngt. Die Seele von dem Gesehenen erfüllt, kehrte ich wieder heim.

Am andern Tage darauf strömte fast die ganze Bevölkerung Dresdens hinaus auf das weite Schlachtfeld, auf welchem die indes gänzlich ausgeplünderten Todten in völliger Nacktheit die Erde bedeckten. Die Feder möchte vor Scham erröthen, indem sie niederschreibt, wie die Mehrzahl dieser Besucher aus Frauen und Jungfrauen bestand, welche, im Sonntagsschmuck prunkend, die nackenden Kriegergestalten mit schamlosen Blicken musterten und entweihten.8
Noch heute erinnert bei Räcknitz am Südrand von Dresden das in seiner klassizistischen Schlichtheit beeindruckende kleine Denkmal an jenen französischen General Moreau, der in dieser Schiacht fiel.
Zwischen 1815 und 1850 blühte das durch den Krieg so jäh unterbrochene kulturelle Leben wieder auf. Arthur Schopenhauer (1788-l860) lebte vier Jahre in der Stadt, 1817 erhielt Carl Maria von Weber (1786-l826) die Stelle des Hofkapellmeisters und gab dem Musikleben für knapp ein Jahrzehnt wichtige Impulse. 1842 übernahm Richard Wagner dieses Amt. Mit Ludwig Tieck (1773-l853), der von 1819 bis 1841 am Hoftheater als Dramaturg wirkte, hatte sich einer der Hauptvertreter der literarischen Romantik in Dresden niedergelassen. Sein Haus am Altmarkt wurde zum Treffpunkt nicht nur der literarisch interessierten Dresdner, sondern von Gästen aus der ganzen Welt, wie der dänische Märchendichter Hans Christian Andersen erzählt:
"Gegen sieben Uhr abends begab ich mich mit Dahl und den beiden jungen Norwegern zu Tieck. Jetzt sollte ich den großen Dichter sehen und kennenlernen, dessen geistiges Ich mich so oft und leidenschaftlich beschäftigt hatte. Ich dachte nicht an seinen ,Gestiefelten Kater' und ,Prinz Zerbi-no', an seine schöne Elfenwelt und die herrlichen Novellen, nein, alles verschmolz mir in ihm selbst, in Deutschlands Tieck, jenem Mann, der als Meister für eine ganze Schule steht, die romantische Poesie, jenem Dichter, der bei seinen Landsleuten Goethe an Alter, Werl und Bewunderung am nächsten kommt.

Das Zimmer, in das wir eintraten, war nicht groß. Hier saß die Familie mit einigen Fremden, zumeist Ausländern, am Teetisch. Ich hatte ,01e Namenlos' von Ingemann sowie meine ,Phantasien und Skizzen' mit. Dahl stellte die beiden Norweger und mich als seine Landsleute vor, und der Dichter begrüßte uns freundlich und hieß uns willkommen. Als ich ihm darauf die Bücher und Ingemanns Brief überreichte, nahm er freundlich meine Hand, fragte, ob ich der Verfasser der ,Fuß-reise' sei, und als ich das bejahte, sagte er mir etwas Verbindliches, hieß mich in Deutschland herzlich willkommen und fragte nach Ingemann, den er sehr schätzte. Welch ein Ausdruck lag in seinem Blick! Nie habe ich ein offeneres Gesicht gesehen, sein Ton war so gutherzig, und wenn man ihm in die großen klaren Augen sah, mußte man sich ihm ganz anvertrauen. Ich liebte nicht nur den Dichter, der Mann wurde mir jetzt lieb; ja, so hatte ich ihn mir gedacht, als ich die ,Elfen' las - doch meine Träume haben sich so oft zerschlagen, daß ich bisweilen wieder dachte: er ist in Wirklichkeit vielleicht ein steifer, vornehmer ,Hofrat und das hätte mich vollkommen abgestoßen. So stelle ich mir auch Goethe vor, und dies hat meine Lust bezwungen, den großen Dichter zu sehen, der sich, wie ich mir denke, am herrlichsten ausnimmt, wenn man ihn wie die Kirchtürme aus der Entfernung sieht.
Die Gesellschaft bestand übrigens aus Leuten von verschiedenen Orten des Erdballs, hier war einer aus Amerika, ein anderer war um die Welt gereist, hier waren Norweger, Deutsche usw., ich war der einzige Däne.
Tieck liebt Holberg, er besitzt ihn in einer alten deutschen Übersetzung, aus der er gelegentlich vorliest, und das ganz vortrefflich! An diesem Abend hörte ich ihn den zweiten Teil von Shakespeares ,Heinrich IV lesen. Er nennt, wenn er liest, nicht die Personen, sondern er spielt jede in einer Weise, daß man sofort hört, wer es ist. Vor allem die komischen Szenen gab er ganz meisterlich, und ob man wollte oder nicht, mußte man über Falstaff und Frau Hurtig lachen.
Als wir am Abend aufbrachen, bat er mich, ihn während meines Aufenthalts in Dresden öfter zu besuchen, und bereitete mich insbesondere auf jenen Genuß vor, der mir mit der Sächsischen Schweiz und der Gemäldegalerie noch bevorstand.9
Robert und Clara Schumann wohnten von 1844 bis 1850 in Dresden und trugen mit dazu bei, daß dessen Ruf als Musikstadt wuchs. So war es nur folgerichtig gewesen, daß man schon 1837 mit dem Bau eines Hoftheaters begann und dafür gegenüber dem Zwinger und der Hofkirche auf dem heutigen Theaterplatz einen dominierenden Standort wählte. Der erst dreißigjährige Architekt Gottfried August Semper schuf den Bau in nur vier Jahren, und als das Theater 1869 abbrannte, projektierte er vom Ausland aus (als Mitkämpfer der Revolution von 1849 hatte er Dresden verlassen müssen) einen zweiten Bau, der als eine architektonische Meisterleistung des 19. Jahrhunderts angesehen wird. 1885 wurde diese "Semperoper, wie man sie fortan ganz allgemein nannte, mit Webers "Freischütz eingeweiht. Sie wurde ihrem Ruf als eines der bedeutendsten Musiktheater Deutschlands stets gerecht. Hier fanden die Uraufführungen von Richard Wagners Opern "Rien-zi, "Der Fliegende Holländer und "Tannhäuser statt. 1945 brannte auch dieses Gebäude nieder. Es ist das unbestreitbare Verdienst der damaligen DDR, daß es zwischen 1977 und 1985 rekonstruiert und in alter Pracht wieder aufgebaut wurde.
Hatten sich die Dresdner für die Juli-Revolution von 1830 begeistert, so blieb es 1848 weitgehend ruhig. Erst 1849 kam es, ausgelöst durch die Weigerung des Königs, die in Frankfurt beschlossene Reichsverfassung anzuerkennen, zum "Maiaufstand. Aufrechte Demokraten und Patrioten, unter ihnen auch Gottfried Semper und Richard Wagner, kämpften hier gemeinsam mit Anarchisten und Berufsrevolutionären vom Schlage eines Michail Bakunin, der zwar dank seiner Erfahrungen die Führung rasch an sich riß, jedoch den anrückenden preußischen Truppen keinen geordneten Widerstand entgegensetzen konnte, so daß der Aufstand innerhalb einer Woche zusammenbrach. Richard Wagner, der damals in die Schweiz floh und in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde, gibt in seinen "Erinnerungen eine Schilderung der Ereignisse, in denen sich Vaterlandsliebe und demokratischer Freiheitsdrang mit biedermeierlichem Dilettantismus auf eigenartige Weise vermischten:

"Am folgenden Morgen des Montags, 8. Mai, versuchte ich von meiner vom Kampfplatz abgeschnittenen Wohnung aus, um Erkundigungen über den Stand der Dinge willen, nochmals bis zum Rathause vorzudringen. Als ich hierbei über eine Barrikade bei der Annenkirche mich verfügte, rief mir ein Kommunalgardist die Worte zu: ,Herr Kapellmeister, der Freude schöner Götterfunken hat gezündet, das morsche Gebäude ist in Grund und Boden verbrannt.' Offenbar war dies ein begeisterter Zuhörer der letzten Aufführung der Neunten Symphonie gewesen. Auf mich wirkte dieses Pathos, welches so unerwartet mich betraf, seltsam kräftigend und befreiend. Ein wenig weiter traf ich in einsamen Gassen der Plauen-schen Vorstadt auf den Kammermusikus Hiebcn-dahl, den jetzt noch sehr belobten ersten Oboebläser der Königl. Kapelle; er war in der Uniform der Kommunalgarde, jedoch ohne Gewehr, und plauderte mit einem gleich ausgerüsteten Bürger. Da er meiner ansichtig wurde, glaubte er zunächst meine Intervention gegen Röckel anrufen zu müssen, welcher, von einer revolutionären Ordonnanz begleitet, in diesem Quartier Haussuchung nach Gewehren anstellte. Da er sogleich meine teilnehmende Frage nach Röckel selbst vernahm, schrak er zurück und frug mich in höchster Besorgnis: .Aber, Herr Kapellmeister, denken Sie denn gar nicht an Ihre Stellung und was Sie, wenn Sie sich so aussetzen, verlieren können?' Diese Ermahnung wirkte höchst drastisch auf mich; ich brach in ein lautes Gelächter aus und erklärte, daß es damit nicht viel auf sich habe. In der Tat sprach ich hiermit den Grundton meiner lange verhaltenen und nun fast zu freudigem Ausbruch kommenden Stimmung aus. Da sah ich Röckel mit zwei Männern der Volkswehr, welche einige Gewehren trugen, auf mich zukommen. Er begrüßte mich freundlichst, wandte sich aber sofort an Hie-bendahl und dessen Nachbar mit der Vermahnung: warum er denn im Bürgerwehrrock so hier herumlungere und nicht auf seinem Posten stünde? Da Hiebendahl sich damit entschuldigte, daß man von ihm das Gewehr requiriert habe, rief ihm jener zu: .Ihr seid mir schöne Kerl!' und ließ ihn lachend stehen. Er berichtete mir kurz beim Weitergehen, was sich, seit ich ihn nicht gesehen, mit ihm begeben, erließ mir den Bericht über sein "Volksblatt, und wir beide wurden bald durch eine stattliche Truppe wohlbewaffnter jugendlicher Turner unterbrochen, welche soeben von außen zugezogen kam und den sicheren Weg nach ihrem Sammelplatz geführt zu werden begehrte. Der Anblick dieser wohl mehrere Hunderte zählenden Schar jugendlichster und fest daherschreitender Gestalten konnte den erhebendsten Eindruck auf mich nicht verfehlen; Röckel übernahm es, über die Barrikaden sie sicher zu dem Waffenplatze vor dem Rathause zu begleiten.

Die Jahrhundertmitte bildete dann wieder eine Zäsur. Dresden verlor als schöpferischer kultureller Mittelpunkt rasch an Bedeutung, mehr und mehr wurde die Altstadt mit ihren architektonischen und musealen Schätzen zu einem beliebten Besichtigungsobjekl für zahlreiche Touristen des In- und Auslands. Gleichzeitig setzte, begünstigt durch die verkehrstechnische Entwicklung, die rasche Industrialisierung ein. Firmen wie lleroy & Boch als Steinguthersteller, Hartwig & Vogel als Schokoladenfabrik, die erste deutsche Zigarettenfabrik, aus der später die Marken Jasmatzi und Yenidze hervorgingen, der Dresden das berühmte moscheeartige alte akkontor verdankt, nicht zuletzt die Lingner-Werke, die Hersteller des "Odol-Mundwassers - sie alle und noch manche andere begründeten den Ruf Dresdens als bedeutende deutsche Industriestadt. Dem rührigen Großindustriellen Lingner war es zu verdanken, daß hier 1911 die erste Internationale Hygieneausstellung stattfand, aus der das Deutsche Hygienemuseum hervorging, wo seit 1930 erstmals ein "Gläserner Mensch die Besucher anlockte.
Hatte noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein einziges Gymnasium an der Kreuzkirche existiert, so waren es siebzig Jahre später schon deren sechs. Die 1828 gegründete "Technische Bildungsanstalt wandelte sich über ein "Polytechnikum 1890 zur Technischen Hochschule.
Natürlich wirkte sich die industrielle und technische Entwicklung auch auf die Bevölkerungszahl aus, die bis zur Mitte des Jahrhunderts schon auf 100 000 angewachsen war und sich dann bis 1900 noch einmal mehr als verdreifachte.* Sie sprengte die Stadt geradezu aus ihrem alten Rahmen. Hier bot die Dresdner Heide günstige Ausweichmöglichkeiten, an deren Rande das vornehme llenviertel "Weißer Hirsch entstand, und unten an der Elbe wurde 1891 bis 1893 eine Stahl-Hängebrücke gebaut, die Dresdens Bürger so begeisterte, daß sie fortan vom "Blauen Wunder sprachen, ein Name, der sich bis heute sogar offiziell erhalten hat.
Auch die Neustadt wuchs, allerdings keineswegs so vornehm; denn dort lagen im Norden die Kasernen, und an den Straßen hinaus entstanden jene Mietshäuser, von denen Erich Kästner in seinen Kindheitserinnerungen erzählt. Kästner wurde 1899 in der Königsbrücker Straße in Dresden-Neustadt geboren, er hat seine Vaterstadt immer geliebt und ihr 1957 in seiner autobiographischen Erzählung "Als ich ein kleiner Junge war ein Denkmal gesetzt. Dabei beschreibt er auch die Mietshäuser an der Königsbrücker Straße:

"Die Königsbrücker Straße begann als Verlängerung der Achse Prager Straße, Schloßstraße, Augustusbrücke, Hauptstraße und Albertplatz freundlich und harmlos. Mit .Hollacks Festsälen', einer alten Gastwirtschaft nebst Vorgarten, auf der einen und mit der von Nolden'schen Privatschule .für höhere Töchter' auf der anderen Seite.
Damals gab es noch ,höhere' Töchter! So nannte man Mädchen, deren Väter adlig waren oder vielleicht eine Menge Geld verdienten. Höhere Töchter hießen sie vielleicht, weil sie die Nase höher trugen als die anderen. Es gab daher auch .höhere Schulen', und noch höher als die höheren waren die Hochschulen.
Und auch sonst war man nicht gerade bescheiden. An vornehmen Haustüren stand .Eingang nur für Herrschaften' und an den Hintertüren ,Für Lieferanten und Dienstboten'. Die Herrschaften hatten ihre eignen Treppen mit weichen Teppichläufern. Die Dienstboten und Lieferanten mußten die Hintertreppe benutzen. Sonst wurden sie vom Hausmeister ausgeschimpft und zurückgeschickt. An den hochherrschafllichen Türen erklärten hochherrschaftliche Porzellanschilder streng und energisch: .Betteln und Hausieren verboten!' Wieder andre Schilder benahmen sich höflicher und bemerkten: ,Es wird gebeten, die Füße abzustreichen'. Habt ihr es einmal versucht? Ich weiß bis heute noch nicht, was man tun muß, um sich ,die Füße abzustreichen'.
Ich wüßte zur Not, was man anstellen müßte, um sie sich anzustreichen! Andrerseits, so hochherrschaftlich kann keine lla sein, daß ich mir an der höchstherrschaftlichen Haustür die Füße lackierte!
In solchen Fällen pflegte mein Vater zu sagen: .Sachen gibt's, die gibt's gar nicht!' Nun ja, fast alle diese Schilder sind mittlerweile verschwunden. Sie sind ausgestorben. Auch die Göttinnen und Nymphen aus Bronze und Marmor, die nackt und ratlos am Treppenaufgang herumstanden, wie bestellt und nicht abgeholt. Höhere Töchter und bessere Herrschaften gibt es allerdings auch heute noch. Sie heißen nur nicht mehr so. Es steht nicht mehr auf Schildern.

In den drei Häusern meiner Kindheit gab es keine Marmorgöttinnen, keine Nymphen aus Bronze und keine höheren Töchter. Je mehr sich die Königsbrücker Straße von der Elbe entfernte, um so unfeierlicher und unherrschaftlicher geriet sie. Die Vorgärten wurden seltener und schmäler.

Die Häuser waren höher, meistens vierstöckig, und die Mieten waren billiger. Es kam das .Volks-wohl', ein gemeinnütziges Unternehmen, mit der Volksküche, der Volksbücherei und einem Spielplatz, der im Winter in eine Eisbahn verwandelt wurde. Es kamen der Konsumverein, Bäckereien, Fleischereien, Gemüseläden, kleine Kneipen, eine Fahrradhandlung, zwei Papierläden, ein Uhrengeschäft, ein Schuhgeschäft und der Görlitzer Wareneinkaufsverein. In diesem ertel lagen die drei Häuser meiner Kindheit.
Noch einmal erlebte die Stadt dann unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg eine künstlerische Blüte, als sich Archilekturstudenten der Technischen Hochschule zur Künstlergemeinschaft "Die Brük-ke zusammenschlössen. Ernst Ludwig Kirchner (1880-l938), Karl Schmidt-Rottluff (1884-l976), Emil Nolde (1867-l956) und Max Pechstein (1881-l955) gehörten zu diesem Kreis expressionistischer Künstler, während Otto Dix (1891 bis 1969) in den zwanziger Jahren an der Akademie zu den bedeutendsten Vertretern der vom Expressionismus angeregten "neuen Sachlichkeit zählte.
1918 büßte Dresden zwar seinen Charakter als Residenz ein, doch blieb es Landeshauptstadt, und die positive wirtschaftliche Entwicklung setzte sich auch in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen fort. Sogar neue Museen wuFdeji in dieser Zeit errichtet. Fast schien es, als würde die Stadt auch den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstehen, da griffen sie die Alliierten am 13. Februar 1945 in einem völlig sinnlosen, unmotivierten und deshalb um so furchtbareren Bombenangriff an und zerstörten sie. Fast 35 000 Menschen, darunter zahlreiche Flüchtlinge aus dem Osten, fielen den Bomben zum Opfer. Das alte Dresden war unwiederbringlich dahin, und der greise Gerhart Hauptmann (1862-l946), der den Angriff als Augenzeuge miterlebt hatte, klagte: "Wer das Weinen verlernt hat, der lernt es wieder beim Untergang Dresdens. Dieser heitere Morgenstern der Jugend hat bisher der Welt geleuchtet. Ich weiß, daß in England und Amerika gute Geister genug vorhanden sind, denen das göttliche Licht der Six-tinischen Madonna nicht fremd war und die von dem Erlöschen dieses Sternes allertiefst schmerzlich getroffen weinen. Ich habe den Untergang Dresdens unter den Sodom und Gomorrha-Höllen der feindlichen Flugzeuge persönlich erlebtIch stehe am Ausgangstor des Lebens und beneide alle meine toten Geisteskameraden, denen dieses Erlebnis erspart geblieben ist. Ich weineVon Dresden aus, von seiner köstlichen gleichmäßigen Kunstpflege in Musik und Wort, sind herrliche Ströme durch die Welt geflossen, und auch England und Amerika haben durstig davon getrunken. Haben sie das vergessen? Ich bin nahezu 83 Jahre alt und stehe mit meinem Vermächtnis vor Gott, das leider machtlos ist und nur aus dem Herzen kommt: Es ist die Bitte, Gott möge die Menschen mehr lieben, läutern und klären zu ihrem Heil als bisher.

Seit 1951 begann dann der Wiederaufbau der Innenstadt, der zu einem weitgehenden Wandel ihres Gesichts führte. ele Kunstdenkmäler sind für immer zerstört, andere wurden und werden wieder aufgebaut. Gewiß, das alte Dresden ist tot - doch die Stadt geht einer neuen Zukunft entgegen







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