Scheune
Groove Station
Alter jüdischer Friedhof
Pfunds Molkerei
Martin-Luther-Kirche
Zwischen Bautzner Straße, Bischofsweg und Königsbrücker Straße, wo Erich Kästner seine Kindheit verbrachte, sind flippige Cafes, Kneipen, Galerien und Läden entstanden. Die »Bunte Republik Neustadt« ist ein Dorado für Alternativ-Freaks und Nachtschwärmer. Man findet hier noch Abendunterhaltung zu normalen Preisen, doch auch die Yuppie-Kultur hat schon Fuß gefasst. Herrliche Gründerzeithäuser prägen das Straßenbild in diesem historischen Stadtertel, das vor 1989 beinahe der Spitzhacke zum Opfer gefallen wäre. Ideal ist es, den Ausflug am Nachmittag zu beginnen und gemächlich in einen langen Abend übergehen zu lassen.
Vom Albertplatz in die Außere Neustadt
Startpunkt dieses Spaziergangs ist das verkehrsreiche nördliche Ende des Albertplatzes (s. S. 59 f.).
Eine kleine Oase inmitten des lärmend lauten Treibens ist der 1893 aufgestellte Artesische Brunnen, dessen tempelartige, auf Säulen ruhende Überdachung ins Auge fällt. In seinem Becken tummeln sich Goldfische. Das Brunnenwasser gilt als frisch und wohlschmeckend, und manche Dresdner holen sich hier ihr Trinkwasser.
Gegenüber zweigt die Königsbrücker Straße ab, die Hauptverkehrs- und Geschäftsader der Außeren Neustadt. Im Haus Nr. 66 kam 1899 Erich Kästner zur Welt (s. S. 60 und 72). Schräg gegenüber zeigt in ener alten Villa das Puppenmuseum Puppen, Bären und Spielzeug des 19. und frühen 20. |hs. (Tel. 56 35 57 21, Di-Fr 10-l2, 14-l8 Uhr, Sa/So 11-l6 Uhr
Cafe Kästner, Tel. 810 40 50.
Überdachter Kaffeegarten an der Ecke Alaunstraße.
Sybillenort, Königsbrücker Str. 44/ Ecke lordanstr., Tel. 8 02 05 09. Hier holte der kleine Erich Kästner für seine Eltern Bier im Krug. Die Spuren sind gründlich verwischt, denn jetzt kocht hier das euro-asiatische Schnellrestaurant Tickende Pfanne asiatische Spezialitäten. O
Vor dem Cafe Kästner erinnert ein Denkmal-Stillleben an den Dresdner Autor (s. Abb. S. 24).
Alaunstraße
Einkaufsmeile mit Atmosphäre
Die Alaunstraße ist der Haupteingang ins Szene-, Kneipen- und Sanierungsertel Außere Neustadt. Weil die Gegend erst während der Regierungszeit König Antons (1827-l836) nach Dresden eingemeindet wurde, heißt sie auch »Antonstadt«.
Die schmale Alaunstraße präsentiert sich als Einkaufsmeile mit Kiez-Atmosphäre und erfreulich wenig Autoverkehr. Die Läden hier verkaufen Gemüse und Secondhand-Kleidung, schrille lugend-Mode, Blumen und CDs. In Nummer 12 hat ein »DDR-shop« eröffnet, der von Hattorenkugeln bis zur Spreewaldgurke Ost-Produkte anbietet. Selbst die Präsentation erinnert an alte Zeiten.
Kulturzentrum Scheune©
Zwischen Louisenstraße und Böhmischer Straße schaut rechts zwischen Bäumen die Scheune hervor, ein Zentrum alternativer lugendkultur. In dem geräumigen Haus traf sich die »Neustädter Szene«, junge Leute, die in die leer stehenden maroden Altbauten zogen und sich notdürftig darin einrichteten. Sie verhinderten so den Ab-riss zahlreicher Gründerzeithäuser.
Vom Aussteiger - zum Szeneertel
Als Investoren die schnelle Mark witterten, besetzten die jungen Neustädter die Häuser und riefen die »Bunte Republik Neustadt« aus. Die Wogen haben sich wieder geglättet: Die Sanierungsarbeiten gehen gut voran.
Wo der erfinderische Apotheker Ottomar Heinsius von Mayenburg einst seine »Chlorodont«-Zahnpasta in Tuben presste, hat sich ein Szenegelände entwickelt, bestehend aus der Groove Station (s.u.), der Galerie Treibhaus unter einem 200 m! großen Glasdach mit angrenzenden Werkstätten für Schmuck, Leder, Siebdruck, Lithographie, der Down Town (Diskothek und iugendtanzlokal), der Party Location Lofthouse (ab April) für Feierwütige sowie einem Internetcafe. In die Louisenstraße umgezogen ist der Mondpalast, ein Hostel mit preiswerten Mehrbettzimmern für junge Rucksackreisende aus aller Welt (Tel. 5 63 40 50, www.mondpalast.de).
Groove Station: Ein Exempel für alternativen Unternehmergeist ist die Kneipe mit Wasch- und Billardsalon im Hinterhof der Katharinen-straße 11-l3. Neu: das Internetcafe; www.groovestation.de
Einkaufen und Einkehren
Immer mehr originelle Geschäf- te werden in dieser Gegend eröffnet. Ein Beispiel ist die Spinnwebe, Alaunstr. 43 (im Hof), Tel. 8 0124 40. Hier gibt's handgesponnene Wolle. Leinengardinen, handgewebte Schafwollteppiche, Theaterkostüme. Schmuck und Hüte. I Eine große Auswahl an Künstlerbedarf-Farben, Pinsel, Bilderrahmen und Spezialpapier - gibt es im Malkasten (Louisenstr. 12). Im Haus Louisenstr. 59 war eine der ersten Volks- und Industrieschulen.
Caf6 Kontinental, Görlitzerstr.
Ecke Louisenstraße, Tel. 8 0135 31. Auf den dekorativen Mosaikflächen werden rund um die Uhr Nachtschwärmer, Frühaufsteher und anderes buntes Volk bewirtet. Live |azz.
I Die schon legendäre Planwirtschaft (Nr. 20), eine der ersten Neustädter Kultkneipen nach der Wende, hat sich ein neues Outfit zugelegt. Darüber kann man im Louise 20 Hostel, Tel. 8 89 48 94, in sauberen Mehrbettzimmern günstig übernachten.
Erich Kastners Kindheit
In einer Mansardenwohnung in der Neustadt, Königsbrücker Str. 66, kam Erich Kästner 1899 zur Welt. Sein Vater arbeitete in einer Kofferfabrik, die Mutter zu Hause an der Nähmaschine.
In der Villa seines Onkels am Albertplatz war der kleine Neffe oft zu Besuch. Seine Erinnerungen an diese Zeit brachte er zu Papier:
»Am liebsten hockte ich dann auf der Gartenmauer und schaute dem Leben und Treiben auf dem Albert-platze zu. Die Straßenbahnen, die nach der Altstadt, nach dem Weißen Hirsch, nach dem Neustädter Bahnhof und nach Klotzsche und Hellerau fuhren, hielten dicht vor meinen Augen, als täten sie's mir zuliebe. Hunderte von Menschen stiegen ein und aus und ein und um, damit ich etwas zu sehen hätte Die Feuerwehr ratterte, mit ihrem Hornsignal und glockenläutend, vorbei. Eisverkäufer in weißer Uniform verkauften an der Ecke Waffeln für fünf und für zehn Pfennige. Ein Bierwagen verlor ein Hektoliterfaß, und die Neugierigen kamen gelaufen. Der Albertplatz war die Bühne.« (Aus: Erich Kästner, »Als ich ein kleiner Junge war«, Atrium-Verlag, Zürich.)
Mutter Kästner tat alles, um die Fähigkeiten ihres Sohnes zu fördern: Ein Zimmer der kleinen Wohnung wurde an den Lehrer Schurig vermietet, der dem Sohn ein anregender Gesprächspartner werden sollte. Der Musterschüler schaffte den Sprung auf das Fletschersche Lehrerseminar, doch die autoritären Unterrichtsmethoden verdarben ihm die Lust, Lehrer zu werden. Nach kurzer Militärzeit holte er 1919 auf dem König-Georg-Gymnasium das Abitur nach. Mit dem »Goldenen Stipendium der Stadt Dresden« ging Kästner zum Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie an die Universität Leipzig. Mutter Kästner war stolz auf ihn. Und der Vater? Man weiß bis heute nicht, ob der Sattler Emil Kästner der leibliche Vater war oder aber Dr. Zimmermann, der Hausarzt der Familie.
Kunsthof
In der Alaunstraße 78 ist der Durchgang zur Kunsthofpassage. Jeder einzelne der ehemals tristen Hinterhöfe ist kreativ gestaltet. Kneipen, Läden und Galerien laden zum Verweilen ein. Wer mehr über die Künstler erfahren will: www.kunsthof.com
Ganz am Ende der Alaunstraße, im Haus Nr. 100, harrt zäh das Cafe 100 aus, eine der elen schnell improsierten Szenekneipen, die in der Neustadt eröffnet wurden. Geöffnet von 17 bis 3 Uhr, lockt das Cafe mit einem gut bestückten Weinkeller und, bei schönem Wetter, mit einem romantischen Hofgarten zum Draußensitzen (Tel. 8 0139 57).
Ein paar Schritte weiter mündet die Alaunstraße in den Bischofsweg südlich des Alaunplatzes, des einzigen größeren grünen Flecks im Viertel. Die zum Teil prächtigen Gebäude wurden zwischen 1860 und 1900 gebaut. Von hier aus hat man die neuromanische Garnisonskirche im Blick. In den ehemaligen protestantischen Teil der Doppelkirche zieht 2004 die Puppentheatersammlung ein.
Cineasten kommen in der Schauburg © auf ihre Kosten: Im größten Kino der Neustadt, einemstilvoll renoerten i92oer-Jahre-Film-palast, laufen (fast) rund um die Uhr Klassiker und Kultfilme, aber auch Neues aus Hollywood (Programmansage: Tel. 8 02 58 29).
Mezcalero, Königsbrücker Str. 64, Tel. 8107 70,
www.mezcale-ro.de. Mexikanisches Flair in ruhigem Hinterhaus mitten im Szene-Viertel. Unten Hostel, oben kreativ gestaltete, preisgünstige Hotelzimmer.
Görlitzer Straße und Umgebung
Neue Geschäfte scheinen sich mit Vorliebe in der Görlitzer Straße anzusiedeln, so der DJ-Store T.OAS.T.-Records (Nr. 9), der über seine Website auch Internetshopping anbietet. Auch in der Verlängerung der Görlitzer, der Rothenburger Straße, hat sich allerhand Trendiges angesiedelt. Manches von hier kann man aber wohl nur bei den Neustadt-Partys tragen.
Bei Muttern, Schönfelder Str. 2/Ecke Kamenzer Str., Tel. 8028537. Uriges Lokal mit original Dresdner Hausmannskost. Die Wirtin ist mit Tipps und Infos zur Stelle.
Im Jazz Cafe in der Martin-Lu-ther-Str. 37/Ecke Louisenstr., Tel. 8039907, trifft man sich abends mit Freunden oder einfach nur, um bei sanftem Jazz mal wieder die Seele baumeln zu lassen und dazu einen Cocktail wie den »Black Moon« zu schlürfen, während draußen vor den großen Fenstern das Publikum vorbeipromeniert.
Alter Jüdischer Friedhof
Der Alte Jüdische Friedhof scheint etwas in Vergessenheit geraten zu sein und ist auf elen Stadtplänen nicht mehr verzeichnet. Werden Friedhof besichtigen möchte, kann sich in der Pulsnitzer Str. 10 beim Verein Hatikva melden. Angelegt wurde der Begräbnisort 1751 nach einem Gesuch der jüdischen Gemeinde an den Kurfürsten, dem stattgegeben wurde. Seit 1869 finden die Juden von Dresden und Umgebung auf dem Neuen jüdischen Friedhof ihre letzte Ruhe.
Isbuschka, Pulsnitzer Str. 1, Tel. 8047623. Russische Spezialitäten, Moskauer Bier und Brot aus dem eigenen Backofen. Dem Namen zum Trotz (Isbuschka heißt Hexenhaus) ist die Einrichtung hell und freundlich. Samstags Livemusik.
Pfunds Molkerei
Den Anspruch, »der schönste Milchladen der Welt« (Guinnessbuch der Rekorde) zu sein, erhebt der unter Denkmalschutz stehende Verkaufsraum von Pfunds Molkerei in der Bautzner Straße 79 zu Recht. Die Wände, der Fußboden, ja sogar die Decke sind mit farbig bemalten Fliesen verkleidet -der Laden ist einfach traumhaft schön! Es fing 1879 damit an, dass der Landwirt Paul Pfund sechs Kühe hintereine Glasscheibe stellte und die Kunden wählen ließ, von welcher sie die Milch haben wollten. Bis in die 1970er Jahre konnte sich eine der größten Molkereien Deutschlands elieren. Nach 1990 wurde der Milchladen detailgetreu restauriert.
Heute kann man bei Pfunds Molkerei nicht nur Milch trinken, sondern auch unter mehr als 100 Käsesorten wählen, von denen die meisten aus Rohmilch von frei weidenden Kühen hergestellt werden. Links neben dem Laden findet man Lausitzer Keramik, rechts Plauener Spitzen und andere textile Souvenirs. Bei Stadtrundfahrten ist ein Halt bei Pfunds einget.
In Gebäuden der ehemaligen Molkereistadt, Prießnitzstr. 10, hat neben dem Hotel-Cafe Backstage und dem Restaurant Lehmofen das Travestie-Revuetheater sectiune Blanche eröffnet (Mi-Fr 20 Uhr, Sa/So 19 und 20 Uhr, Tel. 20 47 20).
Martin-Luther-Kirche und Böhmische Straße
Die Martin-Luther-Kirche erhielt ihren Namen 1883 anlässlich der Feier des 400. Geburtstags des Reformators.
Während der Bauzeit 1883-l887 galt eine Vorschrift, nach der für protestantische Kirchenbauten nur historische Formen erlaubt waren. Das basilikaähnliche Bauwerk mit 81m hohem neugotischem Turm ist so im neoromanischen Stil gehalten (Di-Sa 10-l2, Mi und Fr 15-l7 Uhr).
Eine Oase der Ruhe und Besinnung inmitten des geschäftigen Treibens der Neustadt bildet der von alten Bäumen und stattlichen Bürgerhäusern umgebene Martin-Luther-Platz.
Cafe Neustadt, Bautzner Str. 63 Tel. 8 99 66 49. Das Cafe in einem schön restaurierten Eckhaus wird auch von elen Einheimischen frequentiert. Sporadisch gibt es hier auch Ausstellungen. OO
In der engen Böhmischen Straße sind einige Häuser schon saniert, manche im Bau und andere noch marode.
nln der sanierten Nr. 30 vermittelt das Themenlokal Oscar, die Filmkneipe (Tel. 8 02 94 40) echtes Hollywood-Flair: An den Wänden hängen Filmplakate aus aller Welt, Projektoren und Studiolampen. Fast 2000 Videofilme werden hier zum Verleih angeboten. Donnerstags 22 Uhr werden Filme gezeigt.
Wo die Böhmische auf die Rothenburger Straße trifft, steht an der Ecke die Familieneinkehr Hebeda, eine der letzten Arbeiter-Eckkneipen in dieser Gegend. Früher trafen sich hier die Leute aus dem Kiez mit Kind und Kegel zum Schwatz. Auch heute begrüßen sich die Stammgäste noch mit Handschlag und diskutieren die Ergebnisse des letzten Pferderennens. Bier und Schnitzel kosten im »sozialistischen« Ambiente nur etwa die Hälfte von dem, was in den umliegenden Szenelokalen genommen wird - Happy hour forever (Mi/Do sind Ruhetage).
In neuem Glanz erstrahlt am Ende der Böhmischen Straße die älteste Weinhandlung der Neustadt, eine ehemalige Destille und Schlächterei, deren Ladeneinrichtung noch aus den 1920er Jahren stammt. Nach wenigen Schritten ist man wieder am Albert-platz, wo für einen richtigen Alaunertel-Bewohner die Welt zu Ende ist.