Weimar - das ist heute eine Stadt mit rund 64 000 Einwohnern. Die gründlichsten Pläne in den Fremdenführern vermögen nicht mehr als maximal rund dreißig Sehenswürdigkeiten anzumerken, und selbst der interessierte Tourist wird sich im allgemeinen mit einem guten Dutzend begnügen. Im Gegensatz zu einer ganzen Reihe anderer Orte in Thüringen ist Weimar überhaupt erst seit siebenhundert Jahren als Stadt bezeugt, von denen die ersten fünfhundert recht bescheiden verliefen, wenn sie auch schon seit 1547 Residenz des Herzogtums Sachsen-Weimar war. 575 Häuser lassen sich ohne Schwierigkeit auf dem ältesten Stadt von 1593 zählen, dazu natürlich ein Schloß; etwa 3200 Menschen wohnten in dem Städtlein, vorwiegend Bauern, Handwerker und Hofbeamte. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts verdoppelte sich etwa die Einwohnerzahl, und die Zahl der Häuser wuchs auf etwas mehr als 800. Das ist alles so klein, so bescheiden, fast dürftig, an unserem heutigen Lebenszuschnitt gemessen, und doch hat keine Stadt Thüringens, kaum eine andere Stadt Deutschlands eine solche symbolhafte Bedeutung erlangt wie dieses kleine Weimar. Sein Name war und ist Hoffnung für ein besseres, für ein geistiges Deutschland, daran haben das nationalsozialistische und das SED-Regime nichts ändern können, die beide den Ruf und das Ansehen dieser Stadt für ihre Zwecke zu nutzen suchten. Wenn auch zu befürchten ist, daß die Touristenmassen in den nächsten Jahren Weimar mehr und mehr erobern werden, so bleibt doch zu hoffen, daß die Stadt Kraft genug besitzt, um ihr geistiges Erbe zu bewahren und zu verteidigen.
In den vergangenen einhundertfünfzig Jahren ist eine Vielzahl von Büchern, Aufsätzen, Berichten über dieses Weimar erschienen. Man kann in ihnen und mit ihnen die Stadt und ihre jüngere Geschichte so lebendig nach- und miterleben wie bei keiner anderen in Thüringen. Sie lassen das alte Weimar in seinem Alltag, vor allem aber natürlich in der Ausstrahlung des Musenhofes, der Goethezeit und des Silbernen Zeitalters lebendig werden. Und manche der Reisenden oder Augenzeugen sind deshalb auch gute Begleiter durch die Stadt zu den Sehenswürdigkeiten.
Die eigentliche Geschichte Weimars beginnt 1758, als die kaum zwanzigjährige verwitwete Herzogin Anna Amalia, eine Nichte Friedrichs des Großen, nach dem überraschend frühen Tode ihres Gatten die Regentschaft für ihren einjährigen Sohn Carl August übernahm. Zwar hatten die Herzöge schon seit der Mitte des 17. Jahrhunderts gewisse kulturelle Impulse gesetzt, war unter ihrem Protektorat 1617 der "Palmenorden gegründet worden, eine der bedeutendsten deutschen Sprachgesellschaften, hatten sie seit 1696 ein eigenes Hoftheater eingerichtet, aber insgesamt waren das eben doch nur bescheidene kulturelle Ansätze.
Trotzdem dominierten stets und überall das Schloß und der Hof, wie schon 1789 der russische Reisende Nikolai Karamsin berichtete:
"Die Lage Weimars ist artig. Die umliegenden Dörfer mit ihren Feldern und Gehölzen gewähren eine anmutige Aussicht. Die Stadt ist nur klein, und außer dem herzoglichen Palast gibt es hier weiter keine großen Gebäude. Als man mich am Stadttor befragt hatte, befragte ich auch meinerseits den wachhabenden Sergeanten: .Ist Wieland hier? Ist Herder hier? Ist Goethe hier?' - ,Hier, hier, hier', antwortete er, und ich befahl dem Postillion, nach dem Gasthof ,Zum Elefanten' zu fahren. Der Lohnlakai wurde nun sogleich abgefertigt, um sich zu erkundigen, ob Wieland zu Hause sei. ,Nein', war die Antwort, ,er ist bei Hofe.' - Ob Herder zu Hause sei? - ,Nein, er ist bei Hofe.' - Ob Goethe zu Hause sei? - ,Nein, er ist bei Hofe.' - ,Bei Hofe, bei Hofe', spottete ich halb bürgerlich den Bedienten nach, nahm meinen Stock und ging in den dicht an der Stadt liegenden Park.1
Hier ist auch vom "Elefanten die Rede. Welcher Reisende hätte die Renommierherberge am Markt in Weimar nicht gekannt? Literarischen Ruhm hat sie allerdings erst durch Thomas Mann erfahren, der den "Elefanten in seinem Roman "Lotte in Weimar zum Schauplatz wählt und dabei eingangs die Ankunft der Frau Rat Kestner, Goethes "Lotte, in Weimar beschreibt:
"Der Kellner des Gasthofes ,Zum Elefanten' in Weimar, Mager, ein gebildeter Mann, hatte an einem fast noch sommerlichen Tage ziemlich tief im September des Jahres 1816 ein bewegendes, freudig verwirrendes Erlebnis. Nicht, daß etwas Unnatürliches an dem Vorfall gewesen wäre; und doch kann man sagen, daß Mager eine Weile zu träumen glaubte.
Mit der ordinären Post von Gotha trafen an diesem Tage, morgens, kurz nach acht Uhr, drei Frauenzimmer vor dem renommierten Haus am Markte ein, denen auf den ersten Blick - und auch auf den zweiten noch - nichts Sonderliches anzumerken gewesen war. Ihr rhältnis untereinander war leicht zu beurteilen: Es waren Mutter, Tochter und Zofe. Mager, der, zu Willkommensbückliagen bereit, im Eingangsbogen stand, hatte zugesehen, wie der Hausknecht den beiden ersteren von den Trittbrettern auf das Pflaster half, während die Kammerkatze, Klärchen gerufen, sich von dem Schwager verabschiedete, bei dem sie gesessen hatte und mit dem sie sich gut unterhalten zu haben schien. Der Mann sah sie lächelnd von der Seite an, wahrscheinlich in Gedanken an den auswärtigen Dialekt, den die Reisende gesprochen, und folgt ihr noch in einer Art von spöttischer rsonnenheit mit den Augen, indes sie, nicht ohne Windungen, Raffungen und Zierlichkeiten, sich vom hohen Sitz hinunterfand. Dann zog er an der Schnur sein Hörn vom Rücken und begann zum Wohlgefallen einiger Buben und Frühpassanten, die der Ankunft beiwohnten, sehr empfindsam zu blasen.
Die Damen standen noch, dem Hause abgekehrt, bei dem Postwagen, die Niederholung ihres übrigens bescheidenen Gepäcks zu überwachen, und Mager wartete den Augenblick ab, wo sie, beruhigt über ihr Eigentum, sich gegen den Eingang wandten, um ihnen sodann, ganz Diplomat, ein verbindliches und gleichwohl leicht zögerndes Lächeln auf dem käsfarbenen, von einem rötlichen Backenbart eingefaßten Gesicht, in seinem zugeknöpften Frack, seinem verwaschenen Halsluch im abstehenden Schalkragen und seinen über sehr großen Füßen eng zulaufenden Hosen, auf den Bürgersteig entgegenzukommen.
Natürlich war der "Elefant nicht das einzige gute Haus am Markt, der daneben gelegene "Erbprinz hatte einen ebenso guten Ruf, hier wurde beispielsweise 1848 der Freundschaftsbund zwischen Richard Wagner und Franz Liszt geschlossen. Heute interessiert uns der "Elefant eigentlich auch nur noch vom Namen her, denn mit dem alten Weimar hat er nichts mehr gemeinsam. Aber an das erinnert am Markt noch der schöne Renaissancebau des sogenannten Cranach-Hauses, das der Kanzler Christian Brück 1547-49 hatte bauen lassen.
In ihm verbrachte sein Schwiegervater, der Maler Lucas Cranach d.A., die letzten Lebensjahre bis zu seinem Tode 1553. Die herzogliche Familie residierte im Schloß, bis es ein großer Brand 1774 bis auf die Außcn-maucrn in Schutt und Asche legte. Die nächsten achtundzwanzig Jahre wohnten die hohen Herrschaften im "Fürstenhaus, der heutigen "Hochschule für Musik, nur wenige Schritte vom Marktplatz entfernt. Während sich die Hofgesellschaft kaum von den anderen Fürstenhöfen des 18. Jahrhunderts unterschied, entfaltete sich das geistige Leben dank der Aufgeschlossenheit der Herzogin Anna Amalia weit reger als anderswo. Schon 1772 berief sie Christoph Martin Wieland, damals schon ein bekannter Dichter und rfasser des sozialpolitischen Romans "Der goldene Spiegel, als Erzieher ihres Sohnes von Erfurt, wo er an der Universität gelehrt hatte, nach Weimar. Seine verantwortungsvolle Tätigkeit dauerte zwar nur drei Jahre, in dieser Zeit beeinflußte er aber entscheidend das geistige Leben nicht nur der herzoglichen Familie, sondern ganz Weimars. Nach dem Regierungsantritt Carl Augusts konnte sich der damals erst Dreiundvierzigjährige, wohlversehen mit einer Pension, ins Privatleben zurückziehen und sich fortan ganz seinen schriftstellerischen Neigungen und seiner großen Familie widmen. Der Theologe und Schriftsteller V. Wölf-ling erzählt 1796 von einem Besuch bei ihm:
"Dieser Mann, den Deutschland verehrt und das Ausland schätzt, lebt hier mit einer Simplizität, welche des großen Mannes würdig ist - ohne Glanz und Geräusche. Ein kleines, einfach gebautes Haus ist seine Wohnung; ein gutes schwäbisches Hausmütterchen seine Gattin; Kleidung und Lebensart einfach und seine Bibliothek der Aufenthalt, in welchem er den größten Teil seines Lebens zubringt. Es fällt schwer, ihn zu sehen oder zu sprechen, wenn er sich einmal in das Heiligtum seines Musentempels verschlossen hat. Aber wenn man so glücklich ist, so findet man einen schlichten Deutschen, der wenig spricht, bevor nicht erst eine interessante Materie seine Ideen in Fluß gebracht hat, der ungleich besser schreibt, als er spricht, und dessen Physiognomie außer einem gewissen Scharfblick im Auge, der erhabenen Stirnc und der griechischen Nase wenig Auszeichnendes hat. Kein Schriftsteller war imstande, die Welt zugleich mit Produkten seines Geistes und seiner Lendenkraft zu beschenken wie Wieland. Die Zahl seiner Kinder wird der Zahl seiner Werke ziemlich gleichkommen.
Allein schon generationsbedingt, stand er dem Kreis um die Herzoginmutter nahe, die sich nach dem Regierungsantritt des Sohnes in das sogenannte Wittumspalais am heutigen Theaterplatz zurückgezogen hatte, wo sie hofhielt und einen geistig aufgeschlossenen Kreis von Gleichgesinnten um sich sammelte. Hier lassen sich heute auch die Spuren Wielands in Weimar am besten verfolgen; im Kleinen Festsaal hielt Goethe seine berühmte Trauerrede auf ihn, und das Palais selbst birgt auch ein Wieland-Museum. Dagegen ist es mühsam, die Wohnungen Wielands aufzusuchen, da dieser während seines vierzigjährigen Aufenthalts in Weimar insgesamt sechsmal die Wohnung wechselte, die letzte lag in der heutigen Wielandstraße 1, nahe am Wittumspalais.
Kurz nach seinem Regierungsantritt hatte 1775 der erst achtzehnjährige Herzog Carl August den um acht Jahre älteren, durch seine frühen Dichtungen schon bekannten Johann Wolfgang Goelhe aus Frankfurt zu einem Besuch nach Weimar eingeladen. Niemand konnte ahnen, daß aus dem Besuch eine lebenslange Freundschaft erwachsen und Goethe bis zu seinem Tode 1832 in Weimar bleiben sollte. Wie kein anderer hat er den Geist der Stadt um 1800 geprägt, so daß man diese häu mit ihm gleichsetzt. Aber sie hat auch ihr Eigenleben, und deshalb ist umgekehrt Goelhe schlecht denkbar ohne dieses Weimar, ohne seine Weggefährten, Freunde und Feinde, an deren Lebenswelt heute noch eine Reihe von Bauten und Gedenkstätten erinnert.
Wir sind gewohnt, nur das Haus am Frauen als Wohnung Goethes zu sehen, aber auf der Suche nach dessen früheren Unterkünften läßt sich ein schöner Rundgang durch die Stadt absolvieren. Nach seiner Ankunft am 7. November 1775 wohnte er erst einmal als Gast im Hause des Kammerpräsidenten von Kalb, in der ehemaligen Deutschordens-Komturei am damaligen Töpfermarkt, dem heuligen Herder-Platz. Von da waren es ja nur ein paar Schritte hinüber zum Schloß, und manchmal nahmen die neuen Freunde das Essen auch gemeinsam in der Komturei ein. Im März 1776, als feststand, daß er in Weimar bleiben würde, mietete Goethe eine eigene Wohnung in einem alten Rillerhaus neben der Hauplwache und gegenüber dem "Gelben Schloß. "Er hat sich ein Haus gemietet, daß wie eine kleine Burg aussieht, und es macht ihm großen Spaß, daß er mit seinem Philipp ganz allein sich im Notfalle etliche Tage gegen ein ganzes Corps darin wehren könnte, berichtete Wieland an einen Freund. Aber hier blieb der Dichter nur ein Jahr bis Ostern 1777, dann übersiedelte er in das Gartenhaus an der Um, das er für 600 Taler gekauft hatte. Er liebte das Häuschen und den Garten von der ersten Minute an und behielt es sein ganzes Leben lang. Noch am 20. Februar 1832, vier Wochen vor seinem Tode, hat er es das letzte Mal besucht. Selbst die Bäume hier gehörten zu seinen rtrauten:
"Sag' ich's euch, geliebte Bäume, Die ich ahndevoll gepflanzt, Als die wundervollsten Träume Morgenrötlich mich umtanzt? Ach, ihr wißt es, wie ich liebe! Die so schön mich wiederliebt!
Wenn man Glück hal, kann man gerade am Morgen oder am Abend hier eine stille Stunde genießen und fernab von allem Trubel Begegnungen mit dem Dichter hallen. Rings um das Haus entstand nach und nach der Park im englischen Landschaftsstil, auf dessen Gestaltung Goethe maßgebenden Einfluß nahm. J. P. Eckennann hat ihn im März 1824 zusammen mit Goethe besucht und gibt darüber einen stimmungsvollen Bericht:
"Mit Goethe vor Tisch nach seinem Garten gefahren. Die Lage dieses Gartens, jenseits der Um, in der Nähe des Parks, an dem westlichen Abhänge eines Hügelzuges, hat etwas sehr trauliches. Von Nord- und Ostwinden geschützt, ist er den erwärmenden und belebenden Einwirkungen des südlichen und westlichen Himmels offen, welches ihn, besonders im Herbst und Frühling, zu einem höchst angenehmen Aufenthalte macht. Der in nordwestlicher Richtung liegenden Stadt ist man so nahe, daß man in wenigen Minuten dort sein kann, und doch, wenn man umher blickt, sieht man nirgends ein Gebäude oder eine Turmspitze ragen, die an eine solche städtische Nähe erinnern könnte; die hohen dichten Bäume des Parks verhüllen alle Aussicht nach jener Seite. Sie ziehen sich links nach Norden zu, unter dem Schutz des Siemes, ganz nahe an den Fahrweg heran, der unmittelbar vor dem Garten vorüberführt
Auf den Wiesen waren kaum einige grünende Stellen sichtbar, die Bäume des Parks standen noch in braunen Zweigen und Knospen; doch verkündigte der Schlag der Finken, so wie der hin und wieder vernehmbare Gesang der Amsel und Drossel das Herannahen des Frühlings. Die Luft war sommerartig, angenehm; es wehte ein sehr linder Südwestwind. Einzelne kleine Gewitterwolken zogen am heiteren Himmel herüber; sehr hoch bemerkte man sich auflösende Cirrus-Streifen.,..
Wir traten in die Nähe des Hauses, das er seinem Diener aufzuschließen befahl, um mir später das Innere zu zeigen. Die weißabgetünchten Außenseiten sah ich ganz mit Rosenstöcken umgeben, die, von Spalieren gehallen, sich bis zum Dach hinaufgerankt hatten. Ich ging um das Haus herum und bemerkte zu meinem besonderen Interesse an den Wänden in den Zweigen des Rosengebüsches eine große Zahl mannigfaltiger Vogelnester, die sich von vorigem Sommer her erhalten hatten und jetzt bei mangelndem Laube dem Blick frei standen. Besonders Nester der Hänflinge und verschiedener Art Grasemücken, wie sie höher oder niedriger zu bauen Neigung haben. Goethe führte mich darauf in das Innere des Hauses, das ich vorigen Sommer zu sehen versäumt hatte. Unten fand ich nur ein wohnbares Zimmer, an dessen Wänden einige Karten und Kupferstiche hingen; desgleichen ein farbiges Porträt Goethes in Lebensgröße Wir gingen die Treppe hinauf in die oberen Zimmer; ich fand deren drei und ein Kabinettchen, aber alle sehr klein und ohne eigentliche Bequemlichkeit. Goethe sagte, daß er in früheren Jahren hier eine ganze Zeit mit Freuden gewohnt und sehr ruhig gearbeitet habe. Die Temperatur dieser Zimmer war etwas kühl, und wir trachteten wieder nach der milden Wärme im Freien
Die Kaiserkronen und Lilien sproßten schon mächtig, auch kamen die Malven zu beiden Seiten des Weges schon grünend hervor. Der obere Teil des Gartens, am Abhänge des Hügels, liegt als Wiese mit einzelnen zerstreut stehenden Obstbäumen. Wege schlängeln sich hinauf, längs der Höhe hin und wieder herunter, welches einige Neigung in mir erregte mich oben umzusehen. Goethe schritt, diese Wege hinansteigend, mir rasch voran und ich freute mich über seine Rüstigkeit.
Oben an der Hecke fanden wir eine Pfauhenne, die vom fürstlichen Park herübergekommen zu sein schien; wobei Goethe mir sagte, daß er in Sommertagen die Pfauen durch ein beliebtes Futter herüberzulocken und herzugewöhnen pflege. An der anderen Seite den sich schlängelnden Weg herabkommend, fand ich von Gebüsch umgeben einen Stein mit den eingehauenen rsen des bekannten Gedichtes:
,Hier im Stillen gedachte der Liebende seiner Geliebten'
und ich hatte das Gefühl, daß ich mich an einer klassischen Stelle befinde. Ganz nahe dabei kamen wir auf eine Baumgruppe halbwüchsiger Eichen, Tannen, Birken und Buchen. Unter den Tannen fand ich ein herabgeworfenes Gewöll eines Raubvogels; ich zeigte es Goethe, der mir erwiderte, daß er dergleichen an dieser Stelle häu gefunden, woraus ich schloß, daß diese Tannen ein beliebter Aufenthalt einiger Eulen sein mögen, die in dieser Gegend häu gefunden werden.
Goethe besaß aber zwischen 1779 und 81 noch eine Stadtwohnung in der Seifengasse. Gleich anschließend an das Haus der Familie Stein hatte er sich für fünf Taler im Vierteljahr ein paar hübsche Zimmer gemietet, die vor allem im Winter manchmal behaglicher gewesen sein mochten als die des Gartenhauses. Die Seifengasse mündet in den Frauen; dort mietete Goethe im Hause des Konsistorialrates Helmershausen eine Wohnung, die er auch während seiner Italienreise beibehielt. Im November 1789 bezog er ein Quartier im Jägerhaus, das bisher nur herzoglichen Forstleuten als Unterkunft gedient hatte. Es lag schon außerhalb der Stadt vor dem Frauentore im Süden, Goethe kam es gerade recht, hatte er doch damals Christiane Vulpius zu sich genommen, und so saß er mit seinem "Bettschatz wenigstens nicht unmittelbar im Zentrum unter den Blicken der gesamten Gesellschaft.
Aber im Sommer 1792, kurz vor dem Feldzug in die Chamne gegen die französischen Revolutionstruppen, kaufte der Herzog für 6000 Gulden das Haus am Frauen, in dem Goethe ja schon einmal gewohnt hatte, und schenkte es dem Freund.
Vierzig Jahre - bis zu seinem Tode - wohnte hier nun der Dichter. "Das Haus am Frauen wurde schon bald ein feststehender Begriff und geistiger Mittelpunkt Weimars. Hier schuf sich Goethe das ihm angemessene Zuhause, hier lebte er mit seiner Familie. Eine der schönsten Beschreibungen dieses Hauses stammt wohl aus der Feder des Schriftstellers Karl Leberecht Immermann, der es fünf Jahre nach Goethes Tode besuchte:
"An einem freien Platze, den ein Brunnen lebendig macht, zeigt sich in graurötlicher Tünche, die Fenster mit schwarzen Einfassungen umgeben, ein zweistöckiges Haus, geräumig dem Ansehen nach, aber durch nichts über das Maß der Wohnung eines wohlhabenden Bürgers hinausgestellt. Wir treten über die Schwelle und befinden uns in einem Hausflur, den eine gelbliche Steinfarbe hell und heiter erscheinen läßt. Wir steigen die mit massiv gemauerten Wangen versehene Treppe hinan, die sich mit breiten Stufen in der sachtesten Hebung emporschwingt. Ihre Größe muß uns überraschen, sie steht in keinem rhältnis zu den übrigen Dimensionen des Gebäudes und nimmt das Unterhaus zumeist für sich weg
Im oberen stibüle blicken uns aus Mauernischen die Gestalten des Schlafs und des Todes und das kolossale Haupt der Juno entgegen. Auch römische Prospekte, die über die Treppe hangen, erinnern an jenes Land, nach dessen rlassen er, wie er zu sagen pflegte, nie wieder ganz glücklich geworden ist. Ein längliches, gelbes Sälchen tut sich auf. Darin speiste er mit seinen Gästen. Mey-ersche Zeichnungen antiker oder Poussinscher Gegenstände bedecken die Wände; hinter einem grünen Vorhange verwahrte er die Aquarellkopie der Aldobrandinischen Hochzeit von Meyer, die er für seinen köstlichsten Schatz hielt. Auch die Nebenräume rechts und links zeigen nur Dinge, die dieser Richtung und Periode der Kunst angehören Jetzt tat der Bibliothekssekretär Kräuter, der frühere Schreiber Goethes, bevor er John zum Kopisten annahm, der treue Wächter des Allerheilig-sten, die Tür des Arbeitszimmers auf, und da wurde mir ein rührender Anblick. Ich erinnere mich aus Eckermanns Gesprächen der angelegentlichen Außerungen Goethes, die mich wohl Simplizität hier erwarten ließen, aber wieder war die Wirklichkeit anders. Dieses kleine, niedrige, schmucklose, grüne Zimmerchen mit den roten Rouleaus von Rasch, den abgeschabten Fensterbrettern, den zum Teil morsch gewordenen Rahmen war also der Ort, von dem aus sich eine solche Fülle des glänzendsten Lichtes ergossen hatte! Ich fühlte mich tief bewegt, ich mußte mich zusammennehmen, um nicht in eine Weichheit zu geraten, die mir die Kraft zur Anschauung geraubt hätte.
Nichts ist von seiner Stelle gerückt; Kräuter hielt mit frommer Strenge darauf, daß jedes Blättchen, jeder Federschnitzel am Ort bleibe, wo er lag, da der Meister entschlief. Noch zeigt die Uhr die Todesstunde, halb zwölf, sie stockte damals, der Zufall schuf ein Wunder-Ahnliches. Neben ihr steht am Fenster rechts das kleine Schreibtischchen, welches der Großvater für die Enkel machen ließ, die er nach dem Tode des Vaters wieder unter die eigene Obhut und in seine nächste Nähe nahm Hier ist jeder Fleck heiliger Boden, und tausend Gegenstände, von denen das Zimmerchen erfüllt ist, reden von dem Wesen und Weben des Geistes, ringsumher an den Wänden laufen niedrige Schränke mit Schiebfächern, in denen Skripturen aufbewahrt wurden, darüber befinden sich Rc-positorien. worein Goethe die Sachen stellte, mit denen er sich eben beschäftigte. Das Holzwerk ist alterbraun, ein Schrank von poliertem und glänzendem Kirschbaum sticht dagegen ab; die Schwiegertochter redete ihm denselben auf, Goethe mochte lange das gleißende Möbel nicht leiden, ,das ihn zerstreute'. - Darum ist auch kein Kunstwerk im Zimmer, wie man auch vergeblich sich nach einem Spiegel und Sofa umsieht. Letzteres bedürfe er schon deshalb nicht, weil er den ganzen Tag über ging oder stand. Er las stehend, er schrieb stehend, er verzehrte selbst sein Frühstück an einem hohen Tische stehend. Ein gleiches rhalten empfahl er jedem, für den er sich interessierte, als lebenderhaltend angelegentlich sowie, daß die Hände auf den Rücken gehalten - . würden, wodurch, wie er sagte, die Brust vor jeder rengung und Zusammenpressung bewahrt werde In der Mitte des Zimmers steht ein großer runder Tisch. Daran saß der Kopist, dem Goethe diktierte, während er den Tisch unaufhörlich umwandelte. Die Arbeit begann um acht Uhr morgens und dauerte oft bis zwei Uhr nachmittags, ohne Unterbrechung.
Abends, wenn Goethe sich wieder, wie er in den letzten Jahren immer tat, in dieses stille Zimmer zurückgezogen hatte, sah ihm der Bediente nach den Augen, ob diese freundlich und aufgeweckt waren. Ließ sich darin ein Begehren nach Mitteilung und Gesellschaft verspüren, so rückte er stillschweigend den Lehnsessel zum Tisch, breitete ihm ein Polster auf demselben, setzte einen Korb zur Seite, in den Goethe sein Tuch legte, und dann nahm Goethe Platz, harrend, ob ihn ein Freund besuchen möge. Den Nächsten war unterdessen Nachricht gegeben worden, und wer wäre nicht gerne, wenn er konnte, gekommen? - Dann saß er mit seinem kleinen Zirkel bis gegen elf in traulicher Unterhaltung, ließ ihnen Wein und kalte Küche geben, er selbst genoß schon seit Jahren am Abend nichts mehr.
Nun sollte ich auch noch seine letzte Lagerstatt sehen! Zwar ist er nicht liegend gestorben, sondern, wenn auch nicht, wie dem Imperator geziemt, stehend, doch wenigstens sitzend. Links an das Arbeitszimmer stößt das Schlafzimmer. Es ist auch ganz klein, schmucklos, noch abgenutzter als das Arbeitszimmer. Nur in seinen höheren Jahren sorgte Goethe in der Art für sich und sein Lager, daß er zwischen dem Bett und den daran stoßenden Wänden eine wollene Decke an Ringen aufziehen ließ, um die Kälte der Wand von sich abzuhalten. Außer dieser Vorrichtung und einem schmalen Karpet vor dem Bett ist auch nichts von Weichlichkeit oder bequemen Wesen hier sichtbar. Das Bett selbst ist niedrig, mit einer alten rotseidenen Decke überlegt, so schmal, daß ich nicht begreife, wie sein großer Körper darin Platz haben konnte.5
Aber auch die letzte Wohnung Goethes müssen wir noch kennenlernen. Südlich des Frauens auf dem Alten Friedhof, dem damals "Neuen, hatte schon 1825 der Großherzog eine Gruft für seine Familie anlegen lassen. Hierher übertrug man zwei Jahre später die Gebeine Schillers, 1828 wurde der Herzog selbst beigesetzt, dann seine Gemahlin und schließlich am 28. März 1832 auch Goethe. Heute stehen die Eichensärge Goethes und Schillers auf gemauertem Sockel in dem schlichten Grabgewölbe. Der Besucher, der ihnen einen Augenblick des Gedenkens geschenkt hat, wird anschließend bei einem stillen Rundgang über den aufgelassenen Friedhof noch manchem bekannten Namen begegnen; die Weggefährten Eckermann, Riemer, Kanzler v. Müller, Charlotte von Stein sowie manche bekannte Schauspieler des Weimarer Theaters ruhen hier.
Goethe lockte ja schon bald nach seiner Ankunft die ersten Freunde und Bekannten in die kleine Residenz, manche blieben nur kurze Zeit, andere wurden ansässig und prägten mit ihm zusammen das geistige Leben der Stadt. Die alteingesessenen Bürger begegneten einigen mit Mißtrauen, andere gewannen mit Goethes Unterstützung rasch Amt und Würden, wie etwa Johann Gottfried Herder, der 1776 nach Weimar kam und fast dreißig Jahre als Prediger, Oberkonsistorialrat und schließlich in den letzten zwei Jahren vor seinem Tode 1803 als Präsident des Oberkonsistoriums wirkte. Die Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul, seine Wirkungsstätte, trägt heute als Herder-Kirche seinen Namen, und hier steht unter der Orgelempore im Westchor sein Sarkophag. Vor der Kirche erinnert ein Denkmal an den gestrengen Herrn Pfarrer, dessen Predigten die Einwohner sehr rasch schätzenlernten, wie Wieland einmal vermerkte. Die Herdersche Wohnung lag unmittelbar nördlich hinter der Kirche in der Jakobstraße. Johann Georg Müller hat einen Besuch dort im Jahre 1780 beschrieben:
"Auf dem großen Marktplatz fragte ich: man wies mich hinter die Kirche. Furcht und Hoffnung lag auf mir: der Gedanke in einigen Minuten siehst du Herder! war mir unausdenklich.
Hinter der Kirche steht ein großes modernes Haus mit halberhobnen Säulen bis obenauf; es hat vor den andern etwas antikem Häusern etwas Stolzes. Hart dran ist eines Obristen Haus: da stand eine Schildwacht; ich fragte an - ,Gehen sie gleich daneben ein!' Ich öffnete eine Tür und stand in einem Unterhaus, das sich gegen einen Hof und Garten öffnete. Das ist Herders Haus. Es wälzten sich unbekannte Gefühle in mir herum. Bang ging ich hinauf; ,wenn er nur nicht so plötzlich daherkommt!' war meine dunkle Empfindung. Als ich eine Treppe hoch war, fragte ich die Magd. .Ich sollte nur diese gebrochene Treppe hinaufgehen.'
Ich stand auf einer Laube. Eine so ganz sonderbare Empfindung verspürte ich noch nie. Meine Seele ist ganz wieder darin. Eben itzt drängt sich mein Blut wieder zum Herzen und mit Heftigkeil an diese Fingerspitzen; ich meinte - das ist gewiß wahr -, alles sei ganz anders um mich; es umschwebe mich ein dunkler fremder Geist. Alles ahnte den geheimen Sinn und unausgesprochene Worte. Endlich bopperte ich an eine Tür rechter Hand an, eine große hellblaue Türe mit zwei Flügeln - einmal, zweimal; keine Antwort; so wend' ich mich zu den Heiden und ging zur linken ebenso gestalteten Türe, klopfte auch an; vergebens. -,Wie wird's mir gehen? Er wird mich kalt wie ein Theolog empfangen und höflich wie ein Staatsmann wieder gehen lassen! Ich will herunter!'
Das tat ich schleichend; da kommt der Bediente. .Belieben sie in dies Zimmer, der Herr Generalsuperintendent werden sogleich ihre Aufwartung machen.' So ging ich zwischen Himmel und Erde. Ich ging hinein, linker Hand; ein hübsches Zimmer, fein tapeziert, Kanapee, Kupferstiche, Cleopatra der Angelika Kaufmann, Samma und Benoni, einige von Schmidt und dgl. Ich stand vor der Cleopatra und mochte wohl gezittrel haben. Endlich hörte ich jemand gehen. Zum letzten Mal der Donner auf alle meine Nerven, die Tür aufda stand Herder! Voll Huld und Milde, lächelnd wie ein Frühlingsmorgen. Weg wie ein Blitz alle Silhouetten, Kupferstiche, Beschreibungen u. dgl. Das Zimmer gegenüber war geöffnet. Er gab mir, glaub' ich, die Hand, führte mich hinein und setzte mich auf's Kanapee, nahm einen Sessel und -setzte sich hart an mich bei dem kleinen Tischgen. Ich gab ihm Häfelys Brief; er las ihn, wie alles, mit vielem Bedacht; ich war so voll Freuden, daß ich den Mund fast gar nie in seinen gewöhnlichen Falten halten konnte. Ich sah auch geradeaus wie ein Pilger. - Währenddem er las, gaffte ich mit Ruhe umher; ein geschmackvolles Zimmer. Gleich gegen mir über einem Schreibtisch stand eine herrliche Büste der Minerva von schwarzem Stein, die ihm die Herzogin Luise geschenkt, und wonach Goethe ein sehnliches vergebliches rlangen hat Endlich war er fertig, wir drückten uns stark die Hände und ich bezeugte ihm mehr mit Blicken als mit Worten, wie sehr's mich freue, ihn zu sehen Nun sagte er, er wolle seine Frau rufen. Das war mir recht und doch nicht recht. Ich hatte ihre Silhouette in der Physiognomik gesehen und eben kein gutes Omen d'raus gezogen. Ich hielt sie für sehr gelehrt und ihre Gelehrsamkeit fühlend. Er ging in ein Nebenzimmer und blieb eine gute Weile aus. Endlich kam er wieder, und bald hinter ihm sie, - oh! Das ist nun gar ein herrlicher, freundlicher Engel! Sie schwebte daher, leicht und sanft, und so milde, so freundlich und lieblich, so zart und treu und vertraulich, nahm gleich einen Sessel, setzte sich auf meine linke Seite, fragte mich tausend Dinge aus; ich saß mitten inne, wie einer aus ihnen. Auch mußten ein paar Buben kommen, weiß nicht mehr, welche; die waren auch freundlich und strotzten in ihrer Jugendkraft Nun spazierten wir ganz vertraulich wohl eine Stunde, bis Zwölfe, die Stube auf und ab und redeten über eine Menge Dinge, die aber meistens ihn und seine Schriften betrafen und mir nur durch Gespräche wieder beifallen können. Alle Bande waren gelöst. Er hatte alles Hohe, Wunderbare für mich verloren, und Höhe und Tiefe waren durch sanfte Bande verbunden worden Um zwölf Uhr gingen wir zum Essen. Wir hatten Eiersuppe, Rübli, Braten, Fleisch, Karpfen, Wein, Trauben, Nüsse Eine fröhliche Mahlzeit für Geist und Leib, alles mit Salz gewürzt. Ich mußte ihnen von Häfelys Hausregiment erzählen, das sie sehr delektierte, und von einem jeden seiner Züricher Freunde besonders. Man horchte sehr aufmerksam, und am Ende wurde für allseiliges Wohlsein ein Glas Wein ausgestürzt. Der hiesige Wein will mir aber nicht behagen Nun tranken wir Kaffee. S. Hochwürden schmauchten dabei ein halbes Pfeifgen Tobak; denn sie sagen, sobald's über die Hälfte sei, tauge es nicht mehr. Herder raucht des Tages, wie ich glaube, nur zwei- höchstens dreimal, macht aber dann ein sehr süffisantes Mündchen dazu.
Es dauerte lange, bis auch Schiller in Weimar ansässig werden konnte, und so selbstverständlich und eng verbunden wie heute auf dem berühmten Gocthe-Schiller-Denkmal Rielschels vor dem Na-tionallhcater waren die beiden keineswegs immer. Ein erster rsuch Schillers, schon 1787 in Weimar Fuß zu fassen, war gescheitert. Nachdem er sich aber seit 1788 mit Goethe in zunehmendem Maße befreundet hatte, war er erst nach Jena und 1799 ein zweites Mal, diesmal für immer, nach Weimar umgezogen. Da seine finanzielle Lage in dieser Zeit sehr schlecht war, wohnte er anfangs etwas beengt in der Windischen Gasse, parallel zur heutigen Schillerstraße, in Miete; erst 1802, also drei Jahre vor seinem Tode, konnte er sich das Haus an der Esade (heute Schillerstraße) leisten. Die Familie wohnte im Obergeschoß, er selbst behielt die Mansarde für sich. Hier schrieb er den "Wilhelm Teil, "Die Braut von Messina, begann mit dem "Demetrius, den er nicht mehr vollenden konnte, und hier starb er am 9. Mai 1805.
Damals wurden die Toten noch auf dem Jakobsfriedhof im Norden der Stadt beigesetzt, den man 1818 aufließ. Hier fand Schillers Sarg in der Nacht vom 11. auf den 12. Mai in einem merkwürdig stillen, hastigen Begräbnis im sogenannten Kassengewölbe seine letzte Ruhe. Elf Jahre später suchte man unter dem Moder der dort zerfallenden Särge nach seinen Gebeinen, um sie nun würdig in der neuen Fürstengruft beizusetzen. Die Suche erwies sich als unerwartet schwierig, und selbst bis heute ist nicht völlig geklärt, ob man seinerzeit wirklich die richtigen gefunden hat.
Hier auf dem Alten Friedhof, der nur selten von den Touristen besucht wird, finden sich unter anderem auch die Grabstätten von Lucas Cra-nach d.A., von Goethes Frau Christiane und von Carl August Musäus. Gerade letzterer erinnert uns ja daran, daß der Kreis um Herzog Carl August und Goethe nicht auf wenige berühmte Persönlichkeiten beschränkt war, sondern uns in den zeitgenössischen Texten, den Briefen, Tagebuchnotizen, Erinnerungen noch manche andere begegnen, deren Lebensspuren sich allenthalben in Weimar auffinden lassen. Gleich in der Nähe des Jakobsfriedhofs liegt beispielsweise das Haus des Unternehmers, rlegers, herzoglichen Schatullenverwalters Friedrich Johann Justin Bertuch, eines gebürtigen Weimarers, der in der Vaterstadt dank seiner vielseitigen literarischen und kaufmännischen Begabung und vor allem seines Organisationstalents bald Ansehen und rmögen gewann und zu den einflußreichsten Bürgern zählte. Er gab Bücher, Journale und eine Literaturzeitung heraus, war an den verschiedensten geschäftlichen Unternehmungen beteiligt, hatte 1782 eine Fabrik zur Herstellung künstlicher Blumen gegründet, in der er armen Mädchen eine Beschäftigung bot. Auch Christiane Vulpius war dort beschäftigt gewesen, bevor sie Goethe kennenlernte. Es ist verständlich, daß es bei seiner Geschäftstüchtigkeit nicht immer ohne Spannungen mit den Weimarer literarischen Größen abging. Schiller hat sein kaufmännisches Geschick neidlos anerkannt; er beschreibt zugleich das stattliche Wohnhaus, das heute das sehenswerte Stadtmuseum beherbergt:
"Bertuchen habe ich kürzlich besucht. Er wohnt vor dem Tore und hat ohnstreitig in ganz Weimar das schönste Haus. Es ist mit Geschmack gebaut und recht vortrefflich möbliert, hat zugleich, weil es doch eigentlich nur ein Landhaus sein soll, einen recht geschmackvollen Anstrich von Ländlichkeit. Nebenan ist ein Garten, nicht viel größer als der Japanische, der unter 75 Pächter verteilt ist, welche 1 bis 2 Taler jährlich für ihr Plätzchen erlegen. Die Idee ist recht artig, und das Ökonomische ist auch dabei nicht vergessen. Auf diese Art ist ewiges Gewimmel arbeitender Menschen zu sehen, welches einen fröhlichen Anblick gibt. Besäße es einer, so wäre der Garten oft leer. An dem Ende des Gartens ist eine Anlage zum rgnügen, die Bertuchs Geschmack wirklich Ehre macht. Durch ein wildes buschreiches Wäldchen, das vielleicht nicht größer als der Raum ist, den das Japanische Palais einnimmt, ist ein Spazierweg angelegt, der acht bis zehn Minuten dauert, weil er sich in Labyrinthen um sich herumschlingt Die Bertuchs müssen in der Welt doch überall Glück haben. Dieser Garten, gestand er mir selbst, verinteressiert sich ihm zu 6 pro Cent und dabei hat er das reine rmögen umsonst! Wie hoch mußt du dieses anschlagen!7
So schön konnte C. A. Musäus, dessen Grab wir ja eben auf dem Jakobskirchhof besucht haben, nicht auftreten. Er war zur Goethezeit Gymnasiallehrer in Weimar, ein sehr beliebter sogar, aber auch ein armer Teufel, wie es sich eben für einen richtigen Pädagogen gehört. Um sein Häuslein zu erreichen, müssen wir quer durch die ganze Stadt wieder zurück in die Seifengasse, wo wir es gegenüber von Goethes ehemaliger Stadtwohnung finden. Kaum zu glauben, daß er die wenigen Räume, die er hier besaß, noch an Kostgänger vermieten und sich auf einen einzigen beschränken mußte, in dem er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern wohnte. Schreiben konnte er nur nachts bei Kerzenschein, wenn er endlich die nötige Ruhe hatte - und doch entstanden hier so schöne Geschichten wie die uns schon bekannte "Melechsala, die Geschichte vom Grafen von Gleichen und seinen zwei Frauen.
Wenn man von seiner Haustür die Gasse überquert, gelangt man zum Hintereingang des Hauses, in dem die Familie des Oberstallmeisters von Stein wohnte, weshalb es in der üblichen rkürzung heute nur das "Haus der Frau von Stein genannt wird. Ursprünglich war es ein Vorwerk gewesen und hatte die Pferdeställe für die herzog- . liehen Husaren beherbergt. Unter Goethes Mitwirkung wurde es 1776 umgebaut, und hier erhielt im Obergeschoß die Familie von Stein eine Wohnung, während unten bis zu einem weiteren Umbau 1795 die Stallungen erhalten blieben. Goethe war zumindest bis zu der Italienischen Reise ein gern gesehener und häuer Gast bei der Familie, insbesondere bei Frau von Stein, und bestimmt werden sich respektlose Besucher beim Anblick des Hauses an Eugen Roths rse aus der "Frau in der Weltgeschichte erinnern:
Doch ungern leuchten wir hinein
In die Affäre Frau von Stein,
Wo sich die Welt den Kopf zerbricht:
Hat er nun oder hat er nicht?
Weimarer Leben in der Goethe-Zeit war ein geselliges Leben. Unbelastet vom Druck der Massenmedien, die unseren Alltag und unser Freizeitverhalten heute so stark beeinflussen, konnten die wohlhabenden Bürger und die Mitglieder des Hofes sich den verschiedenartigsten Unterhaltungen widmen. Goethe selbst hat ja einmal nachsichtig das bunte Treiben seiner Frau und ihres Freundeskreises verspottet:
"Donnerstag nach Belvedere, Freitag geht's nach Jena fort: Denn das ist, bei meiner Ehre, Doch ein allerliebster Ort!
Samstag ist's, worauf wir zielen, Sonntag rutscht man auf das Land; Zwäzen, Burgau, Schneidemühlen Sind uns alle wohlbekannt.
Montag reizet uns die Bühne; Dienstag schleicht dann auch herbei, Doch er bringt zu stiller Sühne Ein Rapuschchen frank und frei.
Mittwoch fehlt es nicht an Rührung: Denn es gibt ein gutes Stück; Donnerstag lenkt die rführung Uns nach Belvedcr' zurück
Und es schlingt ununterbrochen Immer sich der Freundeskreis Durch die zweiundfunfzig Wochen, Wenn man's recht zu führen weiß.
Spiel und Tanz, Gespräch, Theater, Sie erfrischen unser Blut; Laßt den Wienern ihren Prater; Weimar, Jena, da ist's gut!
Als er das schrieb, war er selbst aber schon vierundsechzig und stand etwas über derartigen rgnügungen. In früheren Jahren war es dagegen schon nach dem Motto "Keine Feier ohne Goethe gegangen, er hatte sommers wie winters selbst Bälle, Treffen, Maskenfeste inszeniert, sich vor allem dem Theater gewidmet. Was wäre Weimar ohne seine Bühne gewesen! Nach dem Brand des ersten Hoftheaters ließen Carl August und Anna Amalia gegenüber dem Wittumspalais ein Komödien- und Redoutenhaus erbauen. In diesem Theater wirkte Goethe bis 1817 als Direktor. Das Innere beschreibt W. G. Gotthardi, der 1813 als Siebenjähriger das Theater erstmals besuchen durfte:
"Die Größe der Räume mochte der früheren numerisch um mehrere tausend geringeren Einwohnerzahl Weimars ganz angemessen sein. Der Eindruck, den dieselben machten, war der des im höchsten Grade Gemütlichen, Freundlichen, Traulichen, Anheimelnden. Der Zuschauerraum hatte eine hübsche Höhe; Breite und Tiefe reichten ziemlich aus. Zwei Galerien liefen um den oberen Teil des Saales; die untere für die Elite der Gesellschaft bestimmt, in der Mitte die herzogliche Loge enthaltend; die obere, wie alle oberen Theatergalerien, der geringeren Volksklasse zugeteilt. Das Parterre war durch einen nicht zu schmalen Zwischenraum in eine rechte und linke Reihe geschieden, teilte indes nicht die Eigenschaft, oder, wenn man lieber will, das Vorrecht des Balkons, in eine ,adelige' und .bürgerliche' Seite zu zerfallen. Jedem, der seine acht guten Groschen zahlte, stand die beliebige Wahl zwischen rechts und links darin frei. Jene erwähnte und zwar sonst gestrenge Geschiedenheit des adeligen und bürgerlichen Balkons hätte man unter dem Regiment eines so liberalen, von verknöchertem Aristokratismus gänzlich freien Fürsten, wie Carl August war, kaum für möglich halten sollen; und doch verhielt sich's in Wahrheit so. Die Logenreihe beschränkte sich - die zwei Logen auf beiden Seiten des Balkons über der Bühne ausgenommen - lediglich auf die der Bühne gegenüberliegende Seite des Parterre, und unter diesen geringzähligen Parterrelogen befand sich auch die Goethesche. Die Seitenabteilungen des Parterre, von den mit rotem Tuch beschlagenen Sitzen desselben durch viereckige, hölzerne Träger getrennt, gab Stehplätze ab
Hier fanden die Uraufführungen einiger Werke Goethes und vor allem Schillers statt, aber auch zahlreiche Rührstücke für ein breites Publikum gingen über die Bühne. Natürlich lockten Goethe und Schiller die bedeutendsten Schauspieler ihrer Zeit an, die ihrerseits hier weit höheres Ansehen als in anderen Städten genossen. 1825 brannte dieser Bau nieder, ein Neubau, der so gar nicht Goethes Vorstellungen entsprach, konnte schon im Jahre darauf eingeweiht werden und blieb bis 1907 in Betrieb. Inzwischen war das gegenwärtige viel größere Hoftheater vollendet worden. Beide Häuser, das alte wie das neue, setzten die große mit Goethe begonnene Tradition fort, nicht nur im Bereich des Schauspiels, sondern seit der Jahrhundertmitte auch im Musiktheater.
Goethe war 1832 gestorben. "Mit Weimar ist es nun aus, soll ein bekannter Bürger nach Erhalt der Todesnachricht gesagt haben. Es ist ein großartiges Phänomen, daß die Stadt aber keineswegs in eine Art musealen Dornröschenschlafs versank, sondern mehrfach die Kraft zur Erneuerung fand. Sicher war es dabei die große Tradition der klassischen Zeit, auf der diese geistige Erneuerung basierte, aber sie war durchaus eigenständig und keineswegs nur epigonal. Das bewies schon Franz Liszt, der 1848 nach Weimar übersiedelte. Er führte hier zum ersten Male Richard Wagners "Tannhäuser (1849) und den "Lohengrin (1850) auf und sammelte bedeutende Künstler und Musikfreunde um sich. Liszt wohnte in den ersten Jahren gemeinsam mit der Fürstin Wittgenstein in der "Altenburg, einer Villa im Süden der Stadt, und von 1869 bis zu seinem Tode 1886 in dem heute nach ihm benannten Haus am Rande des Parks, in dem nun auch eine kleine Ausstellung die Erinnerung an ihn wachhält.
Natürlich waren die Weimarer stolz auf ihre großen Mitbürger und pflegten ihr Andenken. 1849 feierte man mit großem Aufwand Goethes 100. Geburtstag, 1850 erhielt als erster Herder ein Denkmal auf dem Platz vor der heuligen Herder-Kirche, 1857 wurden am gleichen Tage das Wieland- und das Goethe-Schiller-Denkmal enthüllt. Wicland steht auf dem nach ihm benannten Platz nur etwa hundert Meter südlich des Frauens. Was aber wäre Weimar ohne sein Goethe-Schiller-Denkmal von Ernst Rietschel, das die beiden Dichter so einträchtig und heroisch zeigt, wie es den Idealvorstellungen des deutschen Bildungsbürgertums entsprach? Auch heute noch bilden die beiden wohl das am häusten fotografierte Motiv in Weimar. Eduard Genast, ein alter Schauspieler, der Goethe noch gekannt hatte, berichtete als Augenzeuge über die Einweihung:
"Der Festzug nahm seinen Weg über den Goetheplatz, durch die Schillerstraße nach dem Theater, vor welchem die Doppelstatue von Goethe und Schiller aufgestellt war und ihrer Enthüllung harrte. Dem Standbilde gegenüber war eine mächtige Tribüne, mit Teppichen und Blumen geschmückt, errichtet, zu der acht Stufen führten und auf welcher die verwitwete Großherzogin Maria Paulowna, der regierende Großherzog und seine Gemahlin, Herzog Bernhard mit seinen Söhnen, die Prinzeß Heinrich der Niederlande und die Nachkommen Goethes, Schillers und Wielands Platz nahmen. Gymnasialdirektor Heylen hielt eine herrliche, oft von lautem Beifall unterbrochene Weiherede
Auf die Doppelstatue hinweisend schloß der Redner mit den Worten: ,Der Kranz, der sie verbunden hält, ist zugleich dein Kranz, mein deütsches Volk, der Kranz, mit dem sie dich königlich
geschmückt haben vor allen Völkern der Erde. Schaue selbst und kränze deine Dichter mit neuer rehrung und neuer Liebe!'
Bei diesen Schlußworten enthüllte sich das Meisterwerk von Rietschel und Miller. Die Totenstille wurde zunächst durch ein staunendes, leises ,Ah!' unterbrochen, dann aber brach ein endloser Jubel aus, womit man den Redner und die Meister ehrte. Gleich darauf rief der Großherzog von der Tribüne herab: ,Rietschel! Rietschel! kommen sie zu mir!' Rietschel. der bisher ziemlich verborgen in seiner angeborenen Bescheidenheit unter den Künstlern, Dichtern und Literaten gestanden hatte, bestieg die Stufen der Tribüne, auf denen ihm Carl Alexander mit ausgebreiteten Armen entgegenkam und ihn begeistert an das Herz drückte.10
1885 starb Walter von Goethe, der letzte Enkel des Dichters. In seinem Testament vermachte er das Haus und die Sammlungen dem Staat und setzte die Großherzogin Sophie als Erbin des literarischen Nachlasses ein. Als die Erben Schillers ebenfalls dessen Nachlaß der Großherzogin übertrugen, ließ sie bis 1896 das Goethe-Schiller-Archiv jenseits der Um im Norden der Stadt erbauen. Heute umfaßt es als eines der größten deutschen Literaturarchive die Nachlässe von sechzig Dichtern, darunter Herder, Wieland und Otto Ludwig. Mit ihm begann der Ausbau der Museen und Sammlungen, zu denen die Zentralbibliothek der Deutschen Klassik im Grünen Schloß ebenso gehört wie das große Goethe-Nationalmuseum neben Goethes Wohnhaus, das Wieland-Museum im Wittumspalais oder - als jüngstes - das erst 1988 eingeweihte Schiller-Museum neben dessen Wohnhaus.
Mit dem Regierungsantritt des jungen Großherzogs Wilhelm Ernst begann 1901 eine dritte kulturelle Blüte des nachklassischen Weimar. Eine Reihe bekannter Schriftsteller hatte sich, angezogen vom Genius loci, in der Stadt niedergelassen, unter ihnen Paul Ernst, Wilhelm von Scholz und Johannes Schlaf. 1902 kam der belgische Baumeister Henri van de lde, einer der maßgebenden Künstler des "Jugendstils, nach Weimar und begründete hier die kunstgewerblichen Lehrstätten, aus denen 1907 die Kunstgewerbeschule hervorging. In seinen Erinnerungen zeichnete er ein Bild auch des literarischen Lebens in Weimar am Vorabend des Ersten Weltkrieges:
"Nach Gide kamen die deutschen Dichter Richard Dehmel, Gerhart Hauptmann, Hugo von Hofmannsthal und später auch Rainer Maria Rilke nach Schloß Belvedere. Diese Dichterlesungen fesselten durch ihre Lebendigkeit und geistige Freiheit die Großherzoginmutter Pauline mehr als die Gespräche, die sie in Rom mit Gelehrten, Professoren und Prälaten zu führen pflegte. Die Großherzoginmutter war literarisch und künstlerisch an sich nicht gebildeter als ihr Sohn, aber sie genoß mit lebhaftem Interesse den geistigen Austausch, der bei diesen Zusammenkünften entstand, bei denen sie sich doch als eine Art Mittelpunkt empfand. Bald versammelte man sich im Freien, im Schatten der üppigen Bäume, bald in einem der Salons des Schlosses. Nur die Dienerschaft mit ihren starren, ausdruckslosen Zügen erinnerte uns an die Vorschriften der Etikette, die unsere freimütigen Diskussionen kaum behinderten. Der Besuch Gerhart Hauptmanns ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Die Großherzoginmutter erkundigte sich unbefangen nach den Anfängen von Hauptmanns Laufbahn als Dramatiker. Hauptmanns Bericht über seine Entwicklung und seine ersten Dramen machte auf uns, die wir einigermaßen orientiert waren, einen ebenso tiefen Eindruck wie auf sie. Hauptmann war an jenem Tage ausgezeichnet aufgelegt und von der Natürlichkeit der Großherzoginmutter und unserem Interesse geradezu hingerissen. Er redete nicht nur von seinem ersten Stück, sondern auch von den .Webern', von .Florian Geyer' und den anderen Dramen Es war ein langer Monolog; wir hingen buchstäblich an seinen Lippen, bis uns der Hufschlag der Pferde im Schloßhof und das Erscheinen der Lakaien daran erinnerten, daß wir Abschied zu nehmen hatten. Mit großem Geschick meisterte die Großherzoginmutter die Situation, erhob sich und dankte Hauptmann in ihrem und unser aller Namen mit schlichter, bezaubernder Liebenswürdigkeit.
Unmittelbar nach Kriegsende rückte die kleine Stadt an der Um in den Mittelpunkt der deutschen Politik. Nach schweren inneren Unruhen entschlossen sich die deutschen Politiker gegen Berlin als Tagungsort einer Nationalversammlung und wählten dafür das ruhige Weimar. Das geistige Klima der Stadt, so hofften sie, sollte sich zugleich prägend auf die Beratungen zur Fertigstellung einer ersten demokratischen rfassung der neuen deutschen Republik auswirken. Sieben Monate rangen die rtreter der Parteien im Nationaltheater um das rfassungswerk, das schließlich am 11. August 1919 verkündet wurde. Damit verband sich der Name Weimars mit dieser jungen Republik. Daß die rbindung nicht glücklich wurde, lag weder an dem von den Politikern immer wieder gern beschworenen "Geist von Weimar noch an der staatsrechtlichen Qualität des rfassungswerkes, sondern an der verfahrenen allgemeinen politischen Lage.
Die Stadt erlebte noch einmal neue beachtenswerte künstlerische Impulse durch Walter Gropius und die Gründung des "Bauhauses. Der damals schon bekannte Architekt war durch Henri van de lde nach Weimar empfohlen worden, und hier forderte er schon 1919 in einem Manifest die Einheit aller bildenden Künste unter der Führung der Baukunst, zugleich betonte er aber auch die Einheit von Kunst und Handwerk. Seinem Ziel glaubte Gropius durch Zusammenschluß der Weimarer Hochschule für Bildende Kunst und der Kunstge-werbeschule praktisch näher zu kommen. Zu seinen Mitarbeitern zählten damals die bedeutendsten modernen Künstler wie etwa Lionel Feininger, Gerhard Marcks, Paul Klee, Wassily Kandinsky und andere. Wie dabei gearbeitet wurde, schildert Lothar Schreyer:
"Die pädagogische Neuerung, die Gropius einführte, war die enge rbindung zwischen bildender Kunst und Handwerk zu gegenseitiger Befruchtung. Jeder Werkstatt, deren Lehrgang mit der Meisterprüfung abschließen sollte, stand gleichzeitig ein bildender Künstler als Formmeister und ein Handwerksmeister als Werkmeister vor. Dieses Novum begeisterte uns und war maßgebend dafür, daß wir die Berufung an das Bauhaus annahmen, zumal aus der früheren Kunstgewerbcschule Persönlichkeiten übernommen werden konnten, zu denen wir menschlich und sachlich volles rtrauen hatten. Wir hatten das Glück, unter uns in Johannes Uten nicht nur einen führenden Künstler des Expressionismus, sondern auch einen schöpferischen Pädagogen höchsten Ranges zu haben. Die ,Voiiehre die er als Grundlage der Bauhauspädagogik einrichtete, zielte in lebendiger Weise auf die harmonische Entwicklung der handwerklichen und künstlerischen Möglichkeiten der Schüler; die Wirkung und der Erfolg waren, wie stets im ,Lehren', völlig abhängig von der Persönlichkeit des Lehrers und an ihn gebunden. In die Vorlehre und die Werkstätten zog eine kleine, aber aufgeschlossene Schar junger Menschen als Schüler und Lehrlinge ein. Alles schien uns so verheißungsvoll wie möglich, trotz der Schwere der Zeit und der sogleich einsetzenden Angriffe gegen das Bauhaus und jeden einzelnen von uns.
Schon 1925 übersiedelte das Bauhaus aber nach Dessau, in Weimar wurde es still. Noch kamen weiterhin Besucher aus aller Welt, jeder suchte "sein Weimar, kritisch die einen, voll Begeisterung die anderen, sie sprachen von der "guten Stube des Kleinbürgers, vom "Naturschutzpark der Geistigkeit, der "Dichterstadt'*. Die Nationalsozialisten suchten Weimar für ihre Zwecke ebenso zu vereinnahmen wie danach die Kulturschaffenden des Sozialismus. Was wird aber aus diesem Weimar? Wird der Moloch Tourismus es schlukken? Wenn man die neuesten Zahlen liest, muß man sorgenvoll in die Zukunft blicken
Wer Weimar kennenlernen will, muß aber auch seine Umgebung kennen. Da sind die Schlösser, das barocke Jagdschloß in Ettersburg als das älteste, sein Landschaftspark wurde mit Unterstützung des Gartennarren Fürst Pückler gestaltet. Da sind, etwas näher an der Stadt gelegen, die Schlösser Belvedere und Tiefurt. Hier traf sich die Hofgesellschaft der Goethezeit in den Sommer-monaten, hier wurde vor allem begeistert Theater gespielt. Goethes Singspiel "Die Fischerin war eigens für Tiefurt gedacht und auf die Landschaft dort berechnet.
Nördlich von Weimar erhebt sich weithin sieht-bar der 478 m hohe Ettersberg. Eckermann hat ihn am 26. September 1827 mit dem damals schon achtundsiebzigjährigen Goethe besucht und dort ein paar ungetrübte Stunden in der Natur genossen, wie er erzählt:
"Wir waren jetzt oben auf der Höhe und fuhren rasch weiter. Rechts an unserer Seite hatten wir Eichen und Buchen und anderes Laubholz. Weimar war rückwärts nicht mehr zu sehen. Wir waren auf der westlichsten Höhe angelangt; das breite Tal der Unstrut, mit vielen Dörfern und kleinen Städten, lag in der heitersten Morgensonne vor uns.
.Hier ist gut seyn! sagte Goethe, indem er halten ließ. ,Ich dächte, wir versuchten, wie in dieser guten Luft uns etwa ein kleines Frühstück behagen möchte.
Wir stiegen aus und gingen auf trockenem Boden am Fuße halbwüchsiger von vielen Stürmen verkrüppelter Eichen einige Minuten auf und ab, während Friedrich das mitgenommene Frühstück auspackte und auf einer Rasenerhöhung ausbreitete. Die Aussicht von dieser Stelle, in der klaren Morgenbcleuchtung der reinsten Herbstsonne, war in der That herrlich. Nach Süden und Südwesten hin übersah man die ganze Reihe des Thüringer Wald-Gebirges; nach Westen, über Erfurt hinaus, das hochliegendc Schloß Gotha und den Inselberg; weiter nördlich sodann die Berge hinter Langensalza und Mühlhausen; bis die Aussicht, nach Norden zu, durch die blauen Harzgebirge abschloß. Ich dachte an die rse:
Weit, hoch, herrlich der Blick
Rings ins Leben hinein!
Von Gebirg zu Gebirg S
chwebt der ewige Geist,
Ewigen Lebens ahndevoll.
Wir setzten uns mit dem Rücken nach den Eichen zu, so daß wir während dem Frühstück die weite Aussicht über das holde Thüringen immer vor uns hatten. Wir verzehrten indes ein paar gebratene Rebhühner mit frischem Weißbrot und tranken dazu eine Flasche sehr guten Wein, und zwar aus einer biegsamen feinen goldenen Schale, die Goethe in einem gelben Lederfutteral, bei solchen Ausflügen gewöhnlich bei sich führt.13
Hundertzehn Jahre später errichteten auf dem Eltersberg die nationalsozialistischen Machthaber das bald berüchtigte Konzentrationslager Buchenwald, und während sie scheinheilig das Kulturerbe von Weimar in einem "Ewigen Deutschland beschworen, folterten und töteten ihre Schergen im Angesicht der nahen Stadt. 1954-58 wurde an der Stelle des Lagers eine Gedenkstätte an die 56 000 Menschen aus 18 Ländern, die hier den Tod fanden, errichtet. Auch sie ist ein Stück deutscher Geschichte, wie sie Ernst Wiechert in seinem "Totenwald beschwört:
"Am nächsten Tag lud man sie dann am Vormittag wieder in einen Tran Sportwagen, und gegen zwei Uhr hielten sie in Weimar. Unzählige Polizisten mit dem Karabiner unter dem Arm nahmen sie in Empfang. Der Unterlagerführer in SS.-Uniform gab ihnen die ersten Anweisungen derart etwa, daß sie bei einem Fluchtversuch oder der geringsten Widersetzlichkeit sofort .abgeschossen' würden, daß sie ihre .Schnauzen' geradeaus zu nehmen hätten, daß man diesen .Schweinen' schon Schliff beibringen würde, und ähnliche Außerungen einer neuen, Johannes noch unbekannten Kultur. Wieder stand eine dichte Menschenmenge auf dem Vorplatz, aber schweigend, mit ernsten Gesichtern. Einen Blick noch warf Johannes auf das Bild der ihm so vertrauten Stadt, in der er so viel an Erhebung, an Glück, an stiller Hingabe erfahren hatte. Dann stieß man sie in einen geschlossenen Polizeiwagen, der vielleicht für zwölf Menschen Raum bot und in dem sie nun zweiundzwanzig waren, gebückt stehend die meisten, da das Dach niedrig war, bis eine Reihe von ihnen ohnmächtig wurde und so etwas Platz machte.
Die Türen schlugen zu. der Motor sprang an, und dann fuhren sie die Strecke nach Ettersberg hinaus, demselben Berg, von dem Goethe mit Charlotte von Stein über das thüringische Land geblickt hatte, und wo nun hinter den elektrischen Drahtverhauen das Lager auf sie wartete - _
Schon an diesem ersten Tag sahen sie, daß .Vater Hermann', es nicht überstehen würde. Sie halfen ihm nach Kräften, aber er fiel immer wieder in die Knie, und seine Augen sahen mit einer verstörten Ratlosigkeit in die Runde, als sei dies alles ein böser Traum und es müsse doch nun endlich das Erwachen kommen.
Auch hörten sie von Zeit zu Zeit, zumal aus der Richtung des Steinbruches, den scharfen Schlag eines Schusses hinter den Waldstücken, und die älteren unter ihnen sahen sich verstohlen an und hoben auf eine leise Frage nur die Schultern. Es gab Tage, an denen es den Posten Spaß machte, nach der Scheibe zu schießen, und niemand zog sie zu einer besonderen rantwortung, wenn es lebende Scheiben waren.