REFERAT-MenüArchaologieBiographienDeutschEnglischFranzosischGeographie
 GeschichteInformatikKunst und KulturLiteraturMarketingMedizin
 MusikPhysikPolitikTechnik

Wanderungen im Erzgebirge - sachsen

Wanderungen im Erzgebirge - sachsen

Das Erzgebirge steigt von Norden mit seinen gefalteten Schiefern langsam und fällt nach Süden in mehreren Absätzen steil ab. Der im Mittel 500 Meter hohe Abfall zum Egertal, wo der Fuß des Erzgebirges bis zu 260 Metern herabsinkt, erinnert ebenso an die Steilabfälle des Schwarzwaldes und der Vogesen zum Rheintal, wie deren sanfte Abdachung zum Neckar und zur Mosel an die Abdachung des Erzgebirges zur Mulde. Das Bild der halbaufgehobenen Falltür wäre auch hier vollkommen anwendbar. Auch im Erzgebirge sind die höchsten Erhebungen (Keilberg 1240, Fichtelberg 1215 Meter) zum Steilabfall zugekehrt. Der breite Kamm, der über 180 Kilomeier weit in einer Höhe von durchschnittlich 840 Metern hinzieht, ist nur der obere Rand der von Norden sich aufwellenden Felsmasse. Die Gipfel treten sehr wenig hevor, ihre mittlere Höhe ist nur 38 Meter über der mittleren Höhe des wellenförmigen Kammrückens, den Wiesen, Acker und Waldparzellen bedecken. Zahlreiche Dörfer und Häuser, die großen, einförmigen Gebäude der Bergwerke und Fabriken, die Schutthalden und die Schornsteine in den flach eingesenkten Tälern tragen die Merkmale der Kulturlandschaft bis in die höchsten Teile des Gebirges. Plutonische Durchbrüche kommen nur in beschränktem Maße vor. Erst der Blick vom Kamm nach Süden auf das wie ein Stück Mondrelief vor uns liegende böhmische Mittelgebirge zeigt die in Mitteldeutschland sonst so vertraute Kraterlandschaft. Im Kaiserwald bei Karlsbad ist ein Rest des alten Gebirges südlich von der Bruchzone stehen geblieben. Während sich das Vogtländische oder Elsterbergland, ein Hügelgewirr, in dem sich das erzgebirgische, fichtelgebirgische und böhmische System durchkreuzen, allmählich zur sächsischthüringischen Bucht herabsenkt, hat das Erzgebirge eine Stufe im Norden. Durch das erzgebirgische Becken (300-400 m) und eine Reihe von flachen Erhebungen, die diesem folgen, ist der Fuß des Erzgebirges vom Tiefland getrennt.




Unddiese Stufe verliert sich in das Tiefland durch eine Reihe von runden Hügeln, die zum Teil vereinzelt aus dem Tieflandschutt aufragen. Dieser wellige Abfall nach Norden bewirkt einen großen landschaftlichen Gegensatz: ein voller Blick auf das Erzgebirge wie im Süden aus dem Egertal ist von Norden her nicht zu gewinnen. Das sächsische Mittelgebirge mit seiner welligen Hochfläche von 300-400 Metern ist eins der in Deutschland so weitverbreiteten Hügelländer von milden Formen. Zwischen dem Erzgebirge und diesem Mittelgebirge liegen im erzgebirgischen Becken die reichen Kohlenlager von Zwickau.1
So beschrieb vor rund hundert Jahren der bekannte Geograph Friedrich Ratzel etwas trocken zwar, dafür aber sehr präzise in seinem Werk "Deutschland das Erzgebirge. Und seinen Worten muß man nicht mehr allzuel hinzufügen. Das Tal der Flöha, die, vom Fichtelberg kommend, bei Chemnitz in die Zschopau .mündet, trennt das Gebirge in eine westliche und eine östliche Hälfte. Die geographischen Unterschiede interessieren dabei in erster Linie den Fachmann, uns mag der Hinweis auf die Grenzlinie genügen, wenn im folgenden vom West- und vom Osterzgebirge die Rede ist. Wir könnten auch noch zwischen unterem und oberem Erzgebirge unterscheiden. Während im unteren die landwirtschaftlichen Nutzflächen überwiegen, dominiert im oberen der Wald, wenn auch die zusammenhängenden Waldgebiete teilweise schwer angeschlagen sind und die schönen Wälder längst ein Opfer des katastrophalen Waldsterbens wurden. Schließlich sollten wir auch nicht übersehen, daß auf dem Kamm des Gebirges seit elen Jahrhunderten die Staatsgrenze verläuft und es in einen deutschen und einen böhmischen Teil trennt, wobei letzterer bis 1918 zur habsburgischen Monarchie gehörte und seitdem mit einer Unterbrechung von sieben Jahren zur Tschechoslowakei.

Dem Westen wie dem Osten, dem unteren und dem oberen, dem sächsischen wie dem böhmisehen Teil gemeinsam aber ist der Name. Das Gebirge verdankt ihn den Erzvorkommen, vor allem Silber und Zinn. Sie haben auch den Verlauf der Besiedlung beeinflußt und lange Zeit Wirtschaft, Geschichte und Kultur dieses Raumes geprägt. Auch brachten sie den Bergstädten einmal jenen Wohlstand, der sich noch heute in Bauwerken und Kunstschätzen spiegelt.
Der sanfte Abfall des Gebirges nach Nordwesten erleichterte den Beginn der Besiedlung, die in fünf Phasen verlief. Zögernd nur setzte sie zu Beginn des 11. Jahrhunderts unter den Markgrafen von Meißen ein. Diese unterwarfen die am Nordwestrand des Waldgebietes gelegenen slawischen Siedlungen. Neben den Fürsten unterstützten vor allem die Klöster das Siedlungswerk und die damit verbundene Rodung der dichten Wälder. Dabei wurde die Kolonisation im Westerzgebirge von Franken über das heutige Vogtland und das Egerland, im Osterzgebirge von der Lausitz aus vorangetragen. In den Tälern zeugen noch die Waldhufendörfer von dieser Entwicklung. Trotzdem war die Besiedlung keineswegs flächendek-kend, beschränkte sich auf einzelne Zentren, zu hart waren die natürlichen Bedingungen, zu rauh das Klima, als daß das Gebirge die Siedler angelockt hätte. Damals sprach man auch nur vom "böhmischen oder vom Grenzwald.

Dann aber wurde 1168 am Fuße des Osterzgebirges in der Nähe des heutigen Freiberg Silber entdeckt. Die Nachricht lockte Bergleute aus dem Harz an, die hier die erste städtische Siedlung errichteten. Das "große Berggeschrey setzte nun machtvoll ein, lockte neue Siedler und löste am Ende des 12. Jahrhunderts die zweite große Siedlungswelle aus. Merkwürdigerweise ebbte diese aber schon um die Mitte des 13. Jahrhunderts wieder ab, und es vergingen nochmals rund hundert Jahre bis neue Silberadern am Schneeberg (1460), bei Annaberg (1492) und Marienberg (1519) entdeckt wurden. Sie bildeten die Ursache für die dritte Siedlungswelle am Ende des 15. und am Beginn des 16. Jahrhunderts. Wie intensiv sie war, beweist beispielsweise allein schon die Tatsache, daß in den ersten zwanzig Jahren nach der Entdeckung der Silberader am Schneeberg und der Gründung der gleichnamigen Stadt dort bereits 265 Zechen entstanden; in dem 1497 gegründeten St. Annaberg waren bis 1530 fast 400 Zechen in Betrieb. Neben Silber wurden Blei. Kupfer und seit dem 15. Jahrhundert auch Eisenerz und Steinkohle abgebaut.
Eine erte, kleinere Siedlungsperiode setzte kurz vor der Mitte des 17. Jahrhunderts ein, als nach dem Sieg der Gegenreformation in Böhmen dort rücksichtslos gegen die Protestanten vorgegangen wurde. Viele von ihnen entzogen sich dem unerträglichen Druck und oft brutalen Vorgehen der Behörden durch die Auswanderung und Flucht auf die sächsische Seite des Erzgebirges. Flüchtende protestantische Bergarbeiter aus Platten, Gottesgab, Zinnwald gründeten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mehrere Orte wie Johanngeorgenstadt, Neuschönberg, Deutschneudorf. Aber nicht nur Bergleute kamen, auch tüchtige Instrumentenbauer waren unter den protestantischen Auswanderern. Sie brachten die Kunst des Geigenbaus in das obere Vogtland am Südwestrand des Gebirges, und der sogenannte Musikwinkel zehrt, wie wir schon hörten, heute noch von dieser Tradition. Die letzte Besiedlungsphase setzte dann im 19. Jahrhundert, als der Bergbau schon zum Erliegen kam, infolge zunehmender Bevölkerungsdichte ein.
Einen gewissen Wohlstand gab es eigentlich nur im 15. und 16. Jahrhundert, Reichtümer sammelten die Bewohner des Erzgebirges nie; im Gegenteil, sie mußten sich nach dem allmählichen Erliegen des Bergbaus nach neuen Erwerbszweigen umsehen, intensierten den Instrumentenbau, das Spitzcnklöppeln und die Fertigung von Holzspielzeug. Die Landwirtschaft bot in tieferen Lagen einen Nebenerwerbszweig, und gelegentlich nutzten die Bauern in den grenznahen Dörlern auch die Möglichkeit, sich als "Pascher, als Schmuggler also, auf gefährlichen Wegen ein paar Pfennige zusätzlich zu verdienen. Kein Wunder, daß die schlechte Wirtschaftslage in Verbindung mit dem rauhen Klima im 19. Jahrhundert das Wort vom "Sächsischen Sibirien aufkommen ließ.
Die Menschen des Erzgebirges blieben bescheiden. Noch Ende des 19. Jahrhunderts charakterisierte ein damals so bekanntes Buch wie die "Bunten Bilder aus dem Sachsenlande sie recht treffend:

"Der Erzgebirger selbst ist an seiner Armut selten schuld; er ist fleißig. Schon die Kinder erzieht er zu nützlicher und einträglicher Geschäftigkeit. Während sie im Sommer die mannigfachen Schätze des Waldes, die .schwarzen und die roten Beer', die Suppen- und Heilkräuter, wohl auch die Tannenzapfen und anderes zusammensuchen, sitzen sie im Winter am ,Klipplkasten' oder an der Spule oder fangen an zu schnitzen und zu schneiden. .Viel Kinder, el Segen' gilt daher im Erzgebirge in ganz besonderem Sinne; hier helfen die Kinder nicht nur verzehren, sondern auch verdienen. Bettler sind selten in den Dörfern. Als der Touristenstrom noch nicht durch die erzgebirgi-schen Thäler wogte, sah man selten bettelnde Kinder; jetzt freilich ist das in jenen Gegenden, durch welche der Hauptweg führt, nicht ohne Schuld der Fremden selbst, etwas anders geworden. Eine Eigenschaft fehlt den Bewohnern des Erzgebirges vollständig, das ist die Willenskraft. Seine Gemächlichkeit zeigt sich schon in seiner Mundart, in der Weise des Sprechens und in der Eigenart seiner Bewegungen. Der Vogtländer hat noch eine Spur von der bayerischen ,Schneid', dem Erzge-birger fehlt sie ganz. Am liebsten bleibt er das, was der Vater gewesen; und mag ein anderer Beruf noch soel klingenden Lohn versprechen, er wendet sich nicht von dem ererbten oder gewählten ab. Wie ele erzgebirgische Hausierer klagen über die Not der Zeit; allein auf die Aufforderung, sich doch einem anderen Gewerbe zuzuwenden, bringen sie nichts anderes vor als: ,Doas ka ich net!' Die Gewohnheit ist eine Macht im Leben des Erzgebirgers. Neuerungen brechen sich langsam Bahn, mit Mißtrauen werden neue Erwerbszweige angesehen. Wer, um die Lage der Leute zu verbessern, irgend ein gewerbliches Unternehmen anfing, hatte von diesen Eigentümlichkeiten des Stammes el zu leiden. Wenn nun einerseits diese Gemächlichkeit insofern bedenklich ist, als sie eine kräftige Willensthätigkeit ausschließt oder wenigstens nicht sofort aufkommen läßt, so hängt doch mit ihr auch jene tiefinnerliche Gemütlichkeit zusammen, die den Erzgebirger auszeichnet. Diese Gemütlichkeit äußert sich überall. Er hängt mit großer Liebe an seinen Blumen, an seinen Vögeln, nach deren Besitz er so lüstern ist, daß er sonst oft genug mit den Wächtern der staatlichen Ordnung in bösen Streit kam; er ist ungemein sorglich und mitleidig mit seinem Vieh. Das Leben in der Familie und zwischen den verschiedenen Familien ist vertraulich und herzlich. Wie er an seinen Ahnen und Eltern mit großer Liebe hängt und mit einer seltenen Hochachtung zu ihnen emporschaut, so ist er auch durch die Bande innigster, nie verlöschender Liebe mit seinem Hcimatlande verknüpft. In der Fremde verläßt ihn das Heimweh nimmer; die Außerungen desselben sind um so rührender, als sie den Eindruck unmittelbarer Empfindung machen und wie von selbst hervorzuquellen scheinen.

Unsere Fahrt durch das Erzgebirge beginnen wir unmittelbar an der böhmischen Grenze zwischen Gottesgab und Oberwiesenthal. Wenn wir zurückblicken, grüßt in Böhmen drüben der Keilberg, mit 1244 Meter die höchste Erhebung des Gebirges überhaupt, und vor uns liegt in Sachsen der um 29 Meter niedrigere Fichtelberg. Gottesgab auf tschechischer Seite, heute Bozi Dar, das höchstgelegene Städtchen Mitteleuropas, ist die Heimat des erzgebirgischen Volksdichlers und Komponisten Anton Günther. Er ruht drüben auf dem kleinen Friedhof. Lieder wie "Vergeß dei Haamit net oder ,,s' is Feierobnd halten nun diesseits der Grenze die Erinnerung an die deutschen Nachbarn lebendig, die von drüben nach 1945 aus ihrer Heimat vertrieben wurden.
Oberwiesenthal gleich diesseits der Grenze am Fuße des Fichtelberges ist geradezu programmatischer Auftakt unseres Ausfluges durch das Gebirge, dessen Zukunft im Fremdenverkehr liegt. Die Nachbildung einer Postmeilensäule aus dem Jahre 1730 auf dem Marktplatz erinnert an die einstige Bedeutung des Ortes an der Straße von Leipzig nach Karlsbad. Als sich 1897 der norwegische Ingenieur Ohlsen hier mit seinen Schneeschuhen vergnügte, wurde er von den Bewohnern des kleinen Ortes noch wie ein Wundertier bestaunt und wohl im stillen auch verspottet. Heute verschwinden die Einheimischen geradezu unter den Touristenmassen, die sommers wie winters Oberwiesenthal bevölkern. Der Fichtelberg mit seinem Restaurant und dem 40 Meter hohen Turm bietet nicht nur eine herrliche Aussicht, sondern auch ein ideales Wintersportgelände, das in den letzten Jahren so perfekt mit Sessel- und Skiliften, Sprungschanzen, Rennrodelbahn, Biathlonanlage und Langlaufloipen ausgebaut wurde, daß man manchmal meinen könnte, etwas weniger wäre mehr gewesen. Aber König Wintersport hat den Kurort fest in seinem Griff und wird ihn sicher nicht mehr loslassen, sondern nur noch intensiver umfassen.
Wir fahren etwa 15 Kilometer in die etwas tiefer gelegene Doppelstadt Annaberg-Buchholz, das wirtschaftliche Zentrum des Osterzgebirges. Früher einmal - so könnten wir eigentlich jede Ortsbeschreibung beginnen - war St. Annaberg durch den Erzbergbau zu einem gewissen Reichtum gelangt. Die "Neue Stadt am Schreckenberge hatte 1501 durch Kaiser Maximilian I. ihren jetzigen Namen erhalten zu Ehren der hl. Anna, die als Schutzpatronin der Bergleute galt. Ihr ist auch die Stadtpfarrkirche geweiht, die größte spätgotische Hallenkirche Sachsens. Während das Außere schmucklos ist, spiegelt die Innenausstattung mit hundert Emporenreliefs, der Schönen Tür und der prächtigen Kanzel den damaligen Reichtum der Bergstadt. Und auf der Rückseite des "Bergaltars kann man die Arbeitsmethoden der Bergleute im Silberbergbau studieren, die der Maler Hans Hesse 1521 dort dargestellt hat.

Zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt gehört in der Johannisgasse das Haus, in dem Adam Riese (Ries) ele Jahre gewohnt hat. Wer kennt nicht die Redensart "Nach Adam Riese ist das? Leicht und ganz selbstverständlich dahingesagt, erinnert sie an den Rechenmeister aus Staffel stein bei Bamberg (1492-l559), der seit 1525 in Annaberg wirkte und bis 1528 hier Bergbeamter war. Er verfaßte mehrere Lehrbücher des praktischen Rechnens, darunter in Annaberg seine "Reche-nung nach der lenge auff den Linihen und Federn, dessen Titelbild sein Porträt zeigt, ein, wie es scheint, gestrenger Herr mit einem mächtigen Vollbart. Die Rechenbücher wurden wahre Bestseller und machten den Namen des Verfassers in ganz Deutschland berühmt.
In einem anderen der alten Bürgerhäuser hatte nur wenige Jahre später die Frau Barbara Uttmann gelebt, Gattin eines angesehenen Bergherrn. Sie hatte eine Flüchtlingsfrau aufgenommen, die wegen ihres Glaubens aus Brabant vertrieben worden war, und diese unterrichtete zum Dank ihre Wohltäterin in der Kunst des Spitzenklöppelns. Barbara Uttmann war eine kluge Frau. Sie erkannte Wert und Möglichkeiten dieser Kunst vor allem auch als Erwerbszweig für die ärmere Bevölkerung. So wurde das Spitzenklöppeln angeblich 1561 im Erzgebirge eingeführt, gerade zum richtigen Zeitpunkt; denn allenthalben verklang das Bergge-schrey, auch die Silberminen von Annaberg waren erschöpft, ihre Erträge deckten kaum noch die Kosten des Betriebes. Spitzen aus dem Erzgebirge wurden zu einem wichtigen Exportartikel, weil hier bei verhältnismäßig billigem Materialeinsatz das Werk geschickter Hände in klingende Münze umgesetzt werden konnte. Wer einmal einer Klöpplerin zugesehen hat, die an ihrem Klöppelsack sitzt, einer Art Kissenrolle, und mit flinken Fingern die Klöppel mit den Garnfäden zwischen den Nadeln bewegt, wird bald aufgegeben haben, dem Muster zu folgen. Rasch erkennt man, daß es dafür jahrelanger Übung bedarf, mit der am besten schon in Kinderlagen begonnen wird. Da man früher gerade auf diese Weise die Mitarbeit der Kinder im Kampf um das tägliche Brot nutzen oder, wohl besser, ausnutzen konnte, wurden überall in den Dörfern sogenannte Klöppelschulcn eingerichtet. Wie es da noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts zuging, schildert ein Bericht aus dem Jahre 1852:
"Könnten wir doch in die Klöppelschule zu Oberwiesenthal alle die Kinder führen, welche Aeltern haben, die ihnen das Nolhwendige an Nahrung und Kleidung geben können; so würden sie hier lernen können, welch' ein Glück es sei, solche Aeltern zu besitzen. Die armen Klöppelschüler zu Oberwiesenthal müssen nämlich durch Klöppeln für sich und zum Theil selbst für ihre Aeltern das Brod verdienen. Diese armen Kinder (gegen 70) haben keine freie Stunde des Tags; denn früh von 6 bis 9 Uhr besuchen sie die öffentliche Schule, und dann geht's von 9 bis 12 Uhr in die Klöppclschule. Um 1 Uhr nimmt der Unterricht in der Klöppelschule wieder seinen Anfang und dauert mit kurzer Unterbrechung im Winter bis um 10 Uhr, im Sommer bis um 12 Uhr in der Nacht. Und diese armen Kinder finden, wenn sie zu Mittag nach Hause kommen, oft nicht einmal das trockene Brod! Und doch hat sich der Staat durch Errichtung dieser Klöppelschule, welche eine jährliche Unterstützung aus der Landesprä-miencasse erhält, ein wahres Verdienst um Ober-wicsenthal erworben. Die Stadt ist nämlich arm und wird immer ärmer, und die 60 bis 70 armen Kinder, welche hier von zwei Lehrerinnen das Klöppeln erlernten, würden mit ihren Aeltern das Drückende der Armuth noch weit mehr empfinden, wenn sie nicht in dieser Schule einige Groschen verdienen könnten.

Barbara Uttmann liegt in der Hospitalkirchc begraben, ihr Werk lebt fort, zur Spitzenklöppelei gesellte sich ebenfalls schon Ende des 16. Jahrhunderts die Posamentenmacherei, also die Herstellung von Bändern, Bordüren, Kleiderbesatzen, die einmal sehr begehrt waren. Ein aus Dinkelsbühl in Franken eingewanderter Posamentierer hatte die Fabrikation eingeführt, die sich aufs beste mit der Spitzenklöppelei ergänzte, da auch hier die ganze Familie von den Kindern bis zu den Großeltern bei der Fabrikation in Handarbeit helfen konnte. Immerhin erzielten im 19. Jahrhundert fleißige Klöpplerinnen Stundenlöhne bis zu fünf Pfennigen, Posamentiererinnen nicht el weniger! Kein Wunder, daß bei derart fürstlichen Löhnen das Geschäft blühte und Annaberg im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts noch über hundert, die Schwesterstadl Buchholz etwa dreißig Spitzen- und Posamentjerhandlungen aufzuweisen hatte. Haupnehmer waren damals die Vereinigten Staaten, die deswegen sogar zeitweilig ein eigenes Konsulat in Annaberg unterhielten.

Zu guter Letzt sollte man auch nicht vergessen, daß in Annaberg 1726 jener Christian Felix Weiße (1726-l804) geboren wurde, der als Mitautor und Herausgeber des "Kinderfreundes nicht nur Popularität, sondern eine gewisse Berühmtheit erlangte, gehörte diese Zeitschrift doch zu den meistgelesenen Wochenschriften für Kinder in der Aufklärungszeil. Allerdings kümmerte er sich dabei gar nicht so sehr um die Kinder seiner engeren Heimat. Das tat elmehr sein Zeitgenosse Johann Christoph Adelung (1732-l806), der in erstaunlich fortschrittlicher Weise den Reingewinn des von ihm herausgegebenen "Leipziger Wochenblattes für Kinder'* den Waisenkindern im Erzgebirge übertrug und überdies eifrig (wie heute beim "Großen Preis) die Werbetrommel für Spenden rührte.
Ein Ausflug ins Westerzgebirge führt uns über Schwarzenberg mit seinem Schloß nach Aue, dem Industriezentrum des Westerzgebirges, das nach 1945 ähnlich wie drüben auf der böhmischen Seite St. Joachimsthal einen gefürchteten Klang hatte, war es doch das Zentrum des sächsischen Uranbergbaus, bei dem die Russen rücksichtslos politische Gefangene als Arbeiter einsetzten. Darüber vergißt man zu leicht, daß bis 1854 ausschließlich von hier aus der "Weißerdenzeche St. Andreas jene Kaolinerde geliefert wurde, die der Meißner Porzellanmanufaktur als Rohstoff für die Herstellung ihres Porzellans diente.
Auch Schneeberg, nur wenige Kilometer westlich von Aue, war einmal eine wohlhabende Bergstadt gewesen. 1471 wurde dort eine reiche Silberader entdeckt. Noch heute erinnert ein Sandsteinrelicf an dem neugotischen Rathaus an diesen Fund, der sich aber schon 1540 erschöpfte. Die rührigen Bürger mußten sich nach immer neuen Erwerbsmöglichkeiten umsehen. Brauereigewerbe und Buchdruck, später Spitzenklöppelei kamen dazu. Anstelle des Silbers wurden Wismuterze und Kobalt abgebaut, ab 1800 auch Nickel, später Uran. So konnte der Bergbau ununterbrochen bis 1956 aufrechterhalten werden. Es lohnt sich deshalb, den Lehrpfad durch die Schneeberger Bergbaulandschaft zu begehen; denn durch ihn gewinnt man einen ungemein lebendigen und geschlossenen Eindruck von den Anlagen in den verschiedenen Jahrhunderten.
Noch heute erinnert das "Museum für bergmännische Volkskunst an die Freizeitbeschäftigungen der Bergleute, bei denen sie sich an Klöppelei und Holzschnitzerei erfreuten und vor allem durch das Anfertigen von Holzfiguren und Holzschnitzereien ein bescheidenes, aber wichtiges Zubrot schafften. Da entstanden die Nußknacker und das bunte gedrechselte Holzspielzeug, die Räuchermännlein und vor allem die prachtvollen und oft höchst aufwendigen Weihnachtspyramiden und -berge, der Stolz eler Familien, nicht nur hier in Schneeberg, auch in elen anderen Orten des Erzgebirges.
Wie schön ist es, in der Weihnachtszeit, wenn die Dämmerung hereinbricht, eine verschneite Dorfstraße entlangzugehen und in den Fenstern die Lichter dieser Weihnachtspyramiden leuchten und in ihrem Glänze die uren sich drehen zu sehen. Die heimatverbundenen Erzgebirgler liebten und lieben das Weihnachtsfest mehr als andere Jahresfeste und feierten es in ihrer bescheidenen Art:
"Unter allen Festen des Jahres nimmt unstreitig das Weihnachtsfest die erste Stelle ein. Bereits einige Tage vor dem heiligen Abende reinigt die Hausfrau mit ihren Töchtern das ganze Haus, putzt Fenster und Gefäße und fegt die Stube. Auf die Dielen der Wohnstube streut sie Stroh, welches auch, solange die zwölf Nächte dauern, liegen bleibt. Der heilige Abend gilt schon als halber Feiertag. Erwachsene und Kinder haben ihr Sonntagskleid angelegt. Aus dem Keller werden die am Andreastag gebrochenen Reiser geholt, die in der kurzen Zeit kleine Schößlinge getrieben haben. Kaum ist die Sonne zu Rüste gegangen, so vereinigen sich die Familienmitglieder zum frohen Mahl; denn heute giebt es .Neunerlei'. Die sonst so sparsame Hausfrau hat den Ihrigen Semmelmilch, Klöße, Bratwurst und Linsen, Sauerkraut, Heidelbeeren und sonstige erzgebirgische Feiertagsspeisen, so daß sie neun Gerichte bilden, aufgetischt. Nach dem Essen bestreut der Hausvater einige Brotschnitte mit Salz und Nußkernen und giebt sie dem Vieh im Stalle; auch dieses soll wissen, daß heule Weihnachten ist. Um die Obstbäume im Garten schlingt er ein Strohscil, damit die in der Christnacht beschenkten Bäume reichlicher tragen. Brot und Salz bleibt im Tischtuche eingeschlagen auf dem Speisetische liegen; denn nur dann geht das ganze Jahr hindurch der Segen nicht aus. Viele verbringen die Nacht wachend, um, wie sie sagen, die Metten nicht zu verschlafen.
Das junge Volk vertreibt sich die Zeit durch allerhand Kurzweil. In ein volles Wassergefäß gießen die Mädchen durch einen Erbschlüssel flüssiges Blei und suchen aus der Form des plötzlich erstarrten Bleitropfens die Beschäftigung des zukünftigen Bräutigams zu erraten. Drei Silberpfennige läßt man in einer mit Wasser gefüllten Schüssel schwimmen; nähern sie sich, so findet noch im Laufe des Jahres Hochzeit statt, wozu der Pfarrer, welchen der dritte Pfennig darstellt, seinen Segen giebt. Ein Auseinanderschwimmen bedeutet die Lösung einer angeknüpften Bekanntschaft. Die Zahl zwölf ist bedeutungsvoll bei verschiedenen abergläubischen Gebräuchen. Zwölf Schüsseln stellt man auf den Tisch. In der einen liegt ein Brautkranz, in der andern ein Totenkranz, in der dritten ein Gevatter-Sträußchen u.f.m.; in die vorletzte hat man helles und in die letzte trübes Wasser gegossen. Mit verbundenen Augen naht sich die fragende Person; je nach dem Wasser, wonach dieselbe greift, wird das Jahr trübe oder heiter sein

Nach Mitternacht steigen einige Mitglieder der Kantoreifraternität die steilen Stufen im alten Wachtturme bis zur Türmerwohnung empor und singen da Weihnachtslieder. Durch die offenen Fenster schallt der Choral .Vom Himmel hoch, da komm' ich her' in die schweigende Winlernacht hinaus. Noch ist das Licht der Sterne nicht erblichen, da rufen die Kirchenglocken zur Christmette. Reich und arm, groß und klein gehen zum Gotteshause; wohl das ganze Jahr hindurch sieht dasselbe selten eine so zahlreiche Menge Andächtiger als an diesem Morgen. Vom Chore herab ertönt das alle lateinische Weihnachtslied:


Quem Pastores laudavere,
quibus Angeli dixere:
Absit, vobis jam timere,
malus est Rex gloriae.

Schnccberg weiß, was es der Tradition schuldig ist. Haben doch die Mitglieder des Bergvereins zwischen 1898 und 1926 einen großen "Schnee-berger Weihnachtsberg mit über fünfhundert uren geschnitzt. Und um er Uhr in der Frühe des 25. Dezember steigen immer noch an die zweihundert Männer, Frauen und Kinder die 250 Stufen im Kirchturm der St.-Wolfgangs-Kirche hinauf, und dann erklingt von oben die altehrwürdige, dreihundert Jahre alte Bergmannsweise: "Glückauf. Glückauf
Nahe Schneeberg, schon am Nordwestrand des Gebirges zum Vogtland hin, liegt Hartenstein. Das Schloß fiel noch in den letzten Kriegstagen einem Bombenangriff zum Opfer, erhalten blieb die Burg im Orlsteil Stein mit ihren Wehranlagen. Das dort untergebrachte Heimatmuseum erinnert an den Barockdichter Paul Fleming, der 1609 als Sohn des Schulmeisters von Hartenstein geboren wurde.

Er ist der Schöpfer frischer und herzlicher Lieder, in seinen geistlichen Dichtungen spiegeln sich Frömmigkeit und Gottergebenheit. Die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges trieben ihn aus seiner sächsischen Heimat fort nach Norddeutschland, wo er sich als Vierundzwanzigjähriger einer Gesandtschaft unter Adam Olearius anschloß, mit der er über Rußland nach Persien zog. In die Heimat zurückgekehrt, erlag er 1640 in Hamburg wohl den Strapazen dieser Reise. Noch wenige Tage vor seinem Tode dichtete er selbst seine Grabinschrift, die den Bogen zurückschlägt in die Erzgebirgshei-mat, die er nicht mehr wiedersah:

"Ich war an Kunst und Gut, an Stande groß und reich,
des Glückes lieber Sohn, von Eltern guter Ehren,
frei, meine; konnte mich aus meinen Mitteln nähren;
mein Schall floh überweit: kein Landsmann sang mir gleich;
von Reisen hochgepreist, vor keiner Mühe bleich,
jung, wachsam, unbesorgt. Man wird mich nennen hören,
bis da!.'> die letzte Glut dies alles wird
verstören.
Dies, deutsche Klarien, dies ganze dankIch euch!
Verzeiht mir's, bin ich's wert, Gott,
Vater, Liebste, Freunde!
Ich sag' euch gute Nacht und trete willig
ab:
Sonst alles ist getan bis an das schwarze
Grab.
Was frei dem Tode steht, das tu er seinem Feinde!
Was bin ich el besorgt, den Odem aufzugeben?
An mir ist minder nichts, das lebet, als mein Leben.

Im Wald bei Hartenstein spielte 1455 auch der letzte Akt des Ritterschauerdramas vom sächsischen Prinzenraub; denn die Entführer der beiden sächsischen Prinzen hielten sich dort verborgen und nachdem die Köhler kurz zuvor schon Kunz von Kauffungen gefangengenommen und den älteren Kurfürstensohn befreit hatten, gaben die anderen Entführer auf und lieferten das zweite Prinzlein freiwillig in Hartenstein ab.
Nach Annaberg-Buchholz zurückgekehrt, führt uns der nächste Rundweg in das mittlere und östliche Erzgebirge, zuerst zu den Greifensteinen bei Ehrenfriedersdorf, hat man doch von den bizarren Granitfelsen aus einen wunderbaren Blick fast über das gesamte Gebirge. Eine Höhle erinnert an den Wildschützen Stülpner, der hier gehaust haben soll. Was für den Bayern sein Jennerwein, das ist für den Erzgebirgler der "Stülpner Karl aus Scharfenstein bei Zschopau. Geboren wurde er 1762, als Sechzehnjähriger diente er 1778 schon im Bayerischen Erbfolgekrieg als Rekrut, danach im Brühischen Regiment in Chemnitz, später desertierte er und trieb sich als Wildschütz im Erzgebirge herum und schoß, was ihm vor den Büchsenlauf kam. Bald kursierten im Volk Geschichten von seinen kühnen Taten, seinen Stücklein, durch die er die Obrigkeit foppte und den armen Leuten half. Als ihm der Boden schließlich zu heiß wurde, ging er erst einmal nach Bayern, fiel dann preußischen Werbern in die Hände, nahm am Ersten Koalitionskrieg teil, desertierte erneut und kehrte nach sieben Jahren in die Heimat zurück, wo er sein Leben als Wildschütz wieder aufnahm. Nun setzten die Behörden sogar 50 Taler auf seinen Kopf, wie der Steckbrief beweist:
"Nach dem in Gewißheit eines unterm 4. dieses Monats ergangenen höchsten Rescripts auf die Habhaftwerdung des, eingezogener Erkundigungen nach, in der Gegend des hiesigen, Amtsbezirks gelegenen Rittergutes Scharfenstein sich aufhaltenden Raubschützen Karl Heinrich Stilp-ner, welcher, dem Verlaute nach, mehr langer als kurzer Statur sein soll, einen grünen Tuchrock, ein dergleichen kurzes Jagdwestchen, schwarzledernes Kuppel nebst Hirschfänger und Fangleine trägt, auch eine Jagdtasche, Flinte oder Kugelbüchse und ein großes Messer bei sich führet, fernerweit alle Sorgfalt angewendet und die auf dessen Inhaftierung oder sichere Angebung bereits vorhin gesetzte Belohnung von 50 Thalern auch unter anderen in den öffentlichen Zeitungen nochmals zugesagt werden soll, als wird in Verfolg dieses Höchsten Anbefohlnisses hierdurch nochmals zu jedermanns Wissenschaft bekannt gemacht, daß derjenige, welcher bemeldeten Stilp-ner zum Arrest bringen oder auch selbigen zuverlässige und mit Entdeckung solcher Umstände, welche genugsam Anleitung geben, selbigen zur wirklichen Haft bringen, anzeigen wird, eine Belohnung von Thalern zu erwarten haben solle.

Justizamt Wolkenstein mit Annaberg den 16. November 1795

Noch einmal trat StUlpner in den Militärdienst, kämpfte 1806 in der Schlacht bei Jena mit, um schließlich ein letztes Mal zu desertieren und in Böhmen eine Schenke zu pachten. Als Greis kehrte er wieder in seine Erzgebirgsheimat zurück, wo er als alter Mann noch einen legendären Ruf genoß. Sogar zum Helden eines Volksschauspiels "Karl Stülpner, der kühne Raubschütz von Schar-fenstein wurde er erhoben. Wer weitere Nachrichten über ihn sucht, wird sie im Heimatmuseum von Marienberg finden, und in Großolbersdorf bei Zschopau kann man sein Grab noch heute besuchen.
Die Kreisstadt Zschopau gehört ebenfalls zu den alten Bergstädten, die letzten Gruben wurden hier 1884 stillgelegt. Über dem restaurierten alten Stadtkern thront die mächtige Burg Wildeck, die in ihren Ursprüngen schon auf das 12. Jahrhundert zurückgeht. Auch das Osterzgebirge lohnt einen Besuch, mehr noch, es lohnt einen längeren Aufenthalt sowohl im Sommer wie im Winter; denn Wanderer und Wintersportler kommen gleichermaßen auf ihre Kosten. Kleinere malerische Städte wechseln sich ab mit langgestreckten Waldhufendörfern in den Tälern, ein paar Burgen und Ruinen erinnern daran, daß hier Grenzland ist, über den nahen Kamm führen wichtige Straßen hinüber nach Böhmen. Für den historisch und technisch interessierten Touristen gibt es mehrere Schaubergwerke und kleinere technische Museen, der Naturfreund kommt im Landschaftsschutzgebiet der Oberen Freiberger Mulde im Blockmeer auf dem Kahleberg oder im Georgenfelder Hochmoor voll auf seine Kosten.

Zu den bekannten Bergorten gehören Olbern-hau mit seinem "Althammer, einem wichtigen technischen Denkmal, an dem man die Entstehung eines Blechwalzwerks kennenlernen kann, und das nahegelegene Seiffen; denn hier blüht vor allem die erzgebirgische Spielzeugindustrie. Der Besuch im Spielzeugmuseum von Seiffen ist geradezu Pflicht, vor allem aber ein Vergnügen ersten Ranges, kann man hier doch die Entwicklung des Holzspielzeugs von der Feierabendkunst des Bergmanns bis zum begehrten modernen Exportartikel mitverfolgen, und in einer Schauwerkstatt darf man den Drechslern, Schnitzern und Malern über die Schultern schauen. Wer da nicht zum Andenken einen der prächtigen Nußknacker oder wenigstens ein Räuchermännlein mitnimmt, ist ein hoffnungsloser Spielzeugmuffel. Wie es hier früher einmal zuging, berichtet Gottlob E. Leos "Beschreibung des Königreichs Sachsen von 1852:
"Hier nämlich, zum Theil auch in der Gegend von Augustusburg, Olbernhau und Gräfenhaini-chen, werden Millionen von Schachteln, Kästen, Tellern, Quirlen, Rührlöffeln, Mulden, Schaufeln, Kuchenschiebern usw., besonders aber in und um Seiffen die zahllosen Döschen, Nadelbüchsen, Pfeifen, Violinen und Hackebretter, uren aus Thier- und Menschenwelt, Spiele, Bauhölzer zu Gärten, Häusern, Vorwerken, Burgen und Städten und sonst noch eine Menge klingendes, quikendes, bellendes und knarrendes Spielzeug gefertigt, das man, unter dem Namen ,Seiffener Waare', Frachtwagen voll auf unsere Märkte, am meisten nach Nürnberg fährt, ja über Hamburg sogar in die fernsten Welttheile verschifft. Von einem Artikel werden oft el tausend Stück auf einmal verladen, und die Fälle sind nicht selten, daß ein Hamburger Kaufmann 10 bis 12.000 Dutzend Nadelbüchsen, 2 bis 3000 Dutzend Schachteln mit Häusern usw. bestellt. Jede Woche geht ein erspänniger Wagen solcher Waare einmal nach Nürnberg, einmal nach Leipzig. Die Entstehung dieser Fabrik, welche gegen 400 Menschen beschäftigt, fällt ins 16. Jahrhundert; doch lieferte sie bis vor etwa 90 Jahren nächst Hemdenknöpfen, Tellern, Spinnrocken usw. blos wenige Sorten plumpes Spielzeug, das mit dem jetzt so niedlichen und mannichfachen nicht zu vergleichen ist. Nur Buchen, Ahorn, Tannen und Fichten taugen dazu. Viel Waare wird geschnitzelt, weit mehr, mit Hilfe des Wassers gedreht; denn durch die meisten Stuben gehen kleine Canäle, welche die Drehbänke in Bewegung setzen. In Seiffen giebt es fast kein Haus, wo nicht entweder jahraus jahrein oder wenigstens im Winter und an Feierabenden die Drechselbank schnurrt. In einer Stube arbeiten oft 8 bis 10 Drechsler, während Weiber und Kinder malen, schnitzen, leimen, zusammensetzen, ausstoßen usw. Jahre-, ja wohl Lebenslang fertigt eine Person täglich dieselbe Sache, ein Drechsler z.B. Schäfchen, der andere Rädchen, ein dritter Pfeifchen usw. Nur dadurch sind die geringen Preise dieser Waaren möglich, wobei der Fleißige dennoch wöchentlich mehrere Thaler verdienen kann. Ein Blick in die Werkstätten dieser thätigen Menschen ist erhebend, wenn man sich erinnert, wie el Millionen von Kindern an Jahren und Geist - denn Seefahrer beschenken auch die Wilden mit Seiffener Waaren - hier Freude bereitet wird.

Niemand wird Seiffen verlassen, ohne die Dorfkirche besucht zu haben, ein barockes Kleinod, wie man es hier gar nicht vermuten würde. Ein Zimmermann hat sie 1776/79 erbaut, und seit dem 19. Jahrhundert diente sie als Vorbild für die zahllosen kleinen Kirchlein, die zusammen mit den winzigen Dorfhäuschen in Spanschachteln verpackt wurden und ein beliebtes Kinderspielzeug bildeten.
Wir können noch die Burgen besichtigen, allen voran Lauenstein und die Ruine Frauenstein. In dem unterhalb der Ruine gelegenen Schloß gibt es eine Sammlung zu Leben und Werk des großen Orgelbaumeisters Gottfried Silbermann, der 1683 im heute eingemeindeten Kleinbobritzsch als Sohn eines Bauern geboren wurde. Sein Geburtshaus blieb erhalten, die beiden Orgeln, die seine Heimatgemeinde von ihm besaß, sind bei Bränden zerstört worden. Anders in Freiberg, der letzten Station unserer Erzgebirgsreise; denn dort gibt es gleich er Silbermann-Orgeln.
Freiberg, die "Stadt auf dem freien Berge, liegt am Rande des Erzgebirges, könnte also auch bei unserer Reise vom Vogtland bis nach Leipzig besucht werden, aber wie keine andere ist sie mit dem Bergbau verbunden, der von hier seinen Ausgang nahm. Zugleich ist sie ein Bindeglied zum übrigen Sachsen, dessen größte und bedeutendste Stadt sie im Mittelalter einmal war. Schon 1168 wurde hier, wie wir schon eingangs erfuhren, das erste Silber geschürft. Bergknappen, Handwerker und Kaufleute gründeten die "Sächsstadt, die mit drei anderen Siedlungen zum heutigen Freiberg zusammenwuchs. Die Silberfunde, eine Münze und die günstige Lage als Fernhandelsplatz begründeten den Reichtum Freibergs, der sich augenfällig in den öffentlichen und privaten Bauten niederschlug. Das heutige Bild Freibergs mit schönen alten Bürgerhäusern, einem spätgotischen Rathaus und bedeutenden Kirchen entwickelte sich nach dem großen Brand von 1484. Im Dom, einer stattlichen Hallenkirche, die ebenfalls nach diesem Brand errichtet wurde, blieb noch die "Goldene Pforte aus dem alten romanischen Bau erhalten, die den Einfluß der großen französischen Kathedralen verspüren läßt. Welcher Genuß, wenn man im Innern bei den Klängen der ältesten und größten Silbermann-Orgel Sachsens die Tulpenkanzel von 1508, die schöne Bergmannskanzel von 1638 oder den großen Kenotaph des Kurfürsten Moritz von Sachsen bewundern kann.

1765 wurde in Freiberg eine Bergakademie gegründet, an der bedeutende Männer studierten, so etwa Alexander von Humboldt, Friedrich von Hardenberg, Theodor Körner und Michail Lomonossow, nach dem die heutige Moskauer Universität benannt ist. Von Freiberg aus schrieb Friedrich von Hardenberg, der sich als Dichter Novalis nannte, am 5. Februar 1798 an eine Bekannte und berichtete ihr vom gesellschaftlichen Leben in der kleinen Stadt:

"Liebens sind äußerst brave Leute - aber in Hinsicht auf Unterhaltung gibt es doch ele Schranken Bei Heynitzens bin ich aus Grundsatz oft. Hingegen bei Charpentiers bin ich sehr gern und wünsche Sie und die Tante oft in diesen* Zirkel, der mich auf eine mannigfache Weise angenehm berührt. Je öfter ich dagewesen bin - je mehr haben die beiden Mädchen bei mir gewonnen. Sie sind einigermaßen das für mich, was Sie und Karolinchen Kühn für mich sind. Die älteste ist klug, in allen Dingen geschickt und ein durchaus eigentümliches höchstlebhaftes Wesen - echtes ionisches Blut, wenn Sie mir diesen Platneri-schen Ausdruck verzeihen - der soel ausdrückt wie sanguinisch und hübscher, wie mich dünkt, ist - Sie ist für alles empfänglich und weiß meiner Schwachheit, laut zu denken, sehr gut zu schmeicheln. Julchen ist ein schleichendes Gift - man findet sie, eh man sich versieht, überall in sich und es ist um so gefährlicher, je angenehmer es uns deucht. Als ein junger Wagehals würde ich einmal eine solche Vergiftung probieren - So aber, abgestumpft, wie ich bin, reizt es meine allen Nerven nur so eben zu leichten, fröhlichen Vibrationen und erwärmt stundenlang mein starres Blut. In zarten, kaum vernehmbaren Empfindungen begegnet man ihr und ist gewiß, daß das Schönste von ihr zuerst bemerkt, getan und bewahrt wird. Sie spielt nur die Harmonika, indes ihre Schwester alle übrigen Künste mit gleichem Glück treibt. Sie würden sich überzeugen, wie wohl ich mich dort befinde, wenn Sie neulich eine stille Zuschauerin gewesen wären, wie ich beiden abends in einer großen Stube, wo wir ganz allein waren, einige Ideen über Zukunft, Natur und Menschenleben vortrug und von ihrer wahrhaften Aufmerksamkeit und tätigen Teilnahme begeistert wie ein Eleusini-scher Priester vor ihnen saß. Dies ist nun alles zwar recht schön, aber ich bin nicht mehr, der ich vor war - ich tauge nicht mehr in die Welt.8
Zu den Denkmalen der Bergbaugeschichte Freibergs, die einen Besuch lohnen, gehören die Grube "Alte Elisabeth und der Abrahamsschacht, beide aus dem 19. Jahrhundert. Die Zeit des Bergbaus ist auch hier vorbei, 1968 fuhr die letzte Schicht ein. Aber noch immer, wie seit 1574, läutet mittags um zwölf Uhr vom Hauptturm der Pe-trikirche das "Hauerglöckchen, das erhundert Jahre lang die Bergleute zur Schicht rief: "sooft ihr in die Grube fahret, so denket in die Höh!







Haupt | Fügen Sie Referat | Kontakt | Impressum | Nutzungsbedingungen