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Von der Revolution 1848 zur Reichseinheit 1871

Von der Revolution 1848 zur Reichseinheit 1871

Die Relution n 1848

Extrablätter meldeten am 26. Februar 1848 Sensationelles aus Paris: In Frankreich war die Relution ausgebrochen, der König zurückgetreten. Die Nachricht stieß in Köln wie überall in Deutschland auf reges Interesse. Auch im liberalen Bürgertum ging nun die Furcht r einem gewaltsamen Umsturz um. Im März brach die Relution in Deutschland aus. In Köln geschah dies sogar noch früher als im gesamten Land. Am 3. März 1848 zog eine gewaltige Menge n 5.000 Menschen r das Rathaus, um dem Stadtrat eine Petition zu überreichen. Die Ratsherren berieten gerade über liberale Forderungen an den König und hatten den Antrag d'Esters auf eine Verfassung, umfangreiches Wahlrecht und Assoziationsfreiheit abgelehnt. Den Protestzug hatten führende Mitglieder des »Bundes der Kommunisten« wie Andreas Gottschalk, August n Willich, Friedrich Anneke und Nikolaus Hocker organisiert. Eine Delegation unter Führung Gottschalks wurde zum Rat durchgelassen. Gottschalk betonte in einer Rede, in Deutschland »knirscht« das Volk »in seinen Ketten« und verlas die sechs »Forderungen des Volkes«:

1. Gesetzgebung und Verwaltung durch das Volk. Allgemeines Wahlrecht und allgemeine Wählbarkeit in Gemeinde und Staat.



2. Unbedingte Freiheit der Rede und der Presse.
3. Aufhebung des stehenden Heeres und Einführung einer allgemeinen Volksbewaffnung mit m Volke gewählten Führern.
4. Freies Vereinigungsrecht.
5. Schutz der Arbeit und der Sicherstellung der menschlichen
6. Bedürfnisse für alle. Vollständige Erziehung der Kinder auf öffentliche Kosten.«

Nachgetragen war auf einigen Zetteln, die in der Menge verteilt wurden, noch als siebte Forderung: »Friede mit allen Völkern.«
Der Stadtrat - selbst Raveaux - lehnte die Forderungen ab, obwohl sich Gottschalk sehr moderat gegeben hatte und nicht einmal die Republik, sondern die konstitutionelle Monarchie (»Monarchie auf demokratischer Grundlage«) befürwortete. Noch während man debattierte, zog Militär auf und trieb die friedliche Menge auseinander. Wiederum war es das Militär, das in der Festungsstadt Köln für »Ruhe und Ordnung« sorgte und gegen Demokratie und Freiheit eingriff. Ein Teil der Menschen wurde ins Rathaus gedrängt oder war dorthin geflohen. In dem entstandenen Chaos bekamen es zwei Ratsmitglieder kräftig mit der Angst zu tun und sprangen aus dem Fenster. Dies ist als »Kölner Fenstersturz« in die Geschichte der Stadt eingegangen. Das Militär löste die Ratssitzung auf, verhaftete Willich, der auf dem Vorplatz zu der Menge gesprochen hatte, und am folgenden Tag Gottschalk, Anneke, Hermann Becker. Sie wurden erst am 21. März 1848 wieder freigelassen, nachdem die Relution auch Berlin erreicht hatte. Im übrigen wurde, anders als etwa in Mainz, in den Tagen danach in Köln Karneval gefeiert, da der 3. März Weiberfastnacht war. Aber die relutionären Ereignisse waren nicht durch das Militär niederzuprügeln. Eine zwölfköpe Delegation des Kölner Stadtrats unterbreitete am Morgen des 18. März in Berlin dem König die maßllen Forderungen des Kölner Gemeinderats nach Reformen wie nach der deutschen Einheit und den Grundzügen einer künftigen Verfassung. Die Kölner wollten den König zum Einlenken bewegen, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Sie wurden in Berlin Augenzeugen der Relution: Nach blutigen Barrikadenkämpfen zwischen dem Volk und dem Militär am 18./19. März in Berlin sah sich der König gezwungen nachzugeben und erfüllte am 21. März wichtige Forderungen der Märzbewegung wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit und Meinungsfreiheit. Als eine Art Rettungsanker gegen die Relution berief der König mit dem Kölner Ludolf Camphausen und dem Aachener David Hansemann ein liberales Ministerium. Plötzlich rückte das liberale rheinische Großbürgertum an die Spitze der Macht in Preußen auf.

In Köln wurde die Nachricht n den Berliner Ereignissen mit großem Jubel aufgenommen. Mindestens 10.000 Menschen strömten auf dem Neumarkt zusammen. Begeistert empfingen die Kölner die aus Berlin zurückgekehrten Ratsmitglieder. In diesen Wochen herrschte in Köln eine bislang einzigartige politische Aufbruchstimmung. Fast täglich fanden große Volksversammlungen statt, die n Tausenden n Menschen besucht wurden, so im Cafe Stollwerck oder im Gürzenich. Gottschalk, Anneke und n Willich wurden freigelassen. Die politischen Forderungen wurden radikaler. Jetzt sprach man sich für die »bürgerliche und politische Gleichstellung sämtlicher Staatsbürger« aus. Die fünf Kölner Delegierten zum Vorparlament in Frankfurt wurden auf einer n mehr als 4.000 Bürgern besuchten Volksversammlung gewählt. Dabei siegten die Linken: Gewählt wurden der außerordentlich populäre Franz Raveaux, Demokrat, Zigarrenhändler und Karnevalist in einem, sowie die Kommunisten Heinrich Bürgers und Karl d'Ester. In Frankfurt jedoch scheiterte d'Ester mit seiner Forderung nach einem gleichen und allgemeinen Wahlrecht und Stärkung der Rechte der Nationalversammlung und kehrte enttäuscht bereits am 5. April nach Köln zurück. Die Kölner nahmen jetzt auch auf einem anderen Feld das Heft selbst in die Hand: Am 20. März gründeten sie die Kölner Bürgerwehr, die anstelle des verhaßten Militärs für Ruhe und Ordnung, aber auch für den »Schutz der gesetzlichen Freiheit« sorgen sollte. Die Bürgerwehr bestand aus insgesamt 20 Kompanien mit 6.000 Männern, die sich freiwillig meldeten und ihre Anführer selbst wählten. Ihre Hauptaufgabe bildeten die nächtlichen Kontrollen, um Ruhestörungen und Krawalle zu verhindern. Die Bürgerwehr durfte auch Waffen tragen - als einzige Kraft neben dem Militär. Allerdings wurde militärischer Drill bei der Bürgerwehr nicht groß geschrieben, ging es doch auch recht gesellig zu. In den entscheidenden Situationen versagte die Bürgerwehr kläglich, etwa als es am 11. September zu Übergriffen n Soldaten auf Kölner Bürger kam. Am 26. September 1848 wurde die Bürgerwehr, nachdem die Relution zurückgedrängt worden war, m Stadtkommandanten aufgelöst.

Die Relution machte auch Veränderungen im politischen Spektrum der Stadt deutlich. Die einheitliche Oppositionsbewegung differenzierte und spaltete sich. Die demokratische Bewegung löste sich n der Vormundschaft der Liberalen. Es entstanden mehrere Vereine mit unterschiedlichen Zielen, in denen man Vorformen n Parteien sehen kann. Auf Initiative n Andreas Gottschalk, der bei der Bevölkerung aufgrund seines sozialen Engagements als Armenarzt sehr beliebt war, wurde am 13. April 1848 der »Kölner Arbeiterverein« gegründet. Gottschalk wurde auch Präsident des Vereins. Sein erstes Ziel sah der Verein in der »entschiedenen und allseitigen Vertretung der Interessen des Arbeiterstandes«. Er gab eine eigene »Zeitung des Arbeiter-Vereins zu Köln« heraus, die unter dem Motto »Freiheit, Brüderlichkeit, Arbeit« stand. Innerhalb weniger Wochen schnellte die Mitgliederzahl auf bis zu 8.000 Mitglieder hoch, das waren immerhin 15 % der Kölner Bevölkerung! Damit war der Kölner Arbeiterverein der größte lokale Arbeiterverein in Deutschland. Der Verein, der aufgrund seiner Größe bald Filialvereine gründete, war nach Berufszweigen aufgebaut und anfanglich stark gewerkschaftlich orientiert. Der Arbeiterverein vertrat in erster Linie die sozialen Interessen seiner Mitglieder. Politisch orientierte er sich an den am 3. März im Rathaus erhobenen Forderungen. Im engeren Sinn politische Fragen spielten für ihn nur eine untergeordnete Rolle. So war für Gottschalk die Forderung nach der Republik zweitrangig, noch bis Anfang Juni befürwortete er die konstitutionelle Monarchie. Politisch ins Abseits begab sich der Verein, als er sich weigerte, an den Wahlen zur Nationalversammlung in Frankfurt und zur verfassunggebenden Versammlung in Berlin teilzunehmen, womit er sich politische Einflußmöglichkeiten nahm. Gottschalks wechselnde Politik scheiterte ein weiteres Mal, als er im Juni 1848 auf dem Kongreß der demokratischen Vereine in Frankfurt nicht in den Vorstand gewählt wurde. Auch kam die n ihm angestrebte Vereinigung des Arbeitervereins mit der »Demokratischen Gesellschaft« und dem »Verein der Arbeiter und Arbeitgeber« in Köln nicht zustande. Am frühen Morgen des 3. Juli 1848 wurden Gottschalk und Anneke verhaftet. Erst im Dezember kamen sie nach gewonnenem Prozeß wieder frei.

Neben dem Arbeiterverein entstanden weitere Vereine. Am 25. April 1848 wurde die »Demokratische Gesellschaft« gegründet. In ihr sammelte sich das mittlere und kleinere Bürgertum. Sie vertrat fortschrittliche demokratische Positionen, wollte Demokratie und Volkssouveränität verwirklichen. Als eine direkte Gegengründung zur »Demokratischen Gesellschaft« wurde am 20. Mai 1848 der »Kölner Bürgerverein« geschaffen. In ihm schloß sich das wohlhabende liberal-konservative Bürgertum zusammen, das anders als die republikanische Linke eindeutig die konstitutionelle Monarchie befürwortete und auf den Einklang zwischen Volk und Regierung setzte. Der Anfang Mai gegründete »Verein der Arbeiter und Arbeitgeber« strebte die »Versöhnung der Interessen n Arbeitern und Arbeitgebern« sowie die Schaffung sozialer Gerechtigkeit und sozialen Friedens an. Einer seiner prominentesten Vertreter war der spätere Kölner Oberbürgermeister Hermann Becker. Im ebenfalls im Mai 1848 begründeten »Piusver-ein« sammelte sich der politische Katholizismus Kölns, der bereits eine wichtige Rolle spielte und Wahlerfolge erzielt hatte. Die entscheidenden Impulse gingen bereits damals n den Gebrüdern August und Peter Reichensperger aus, die auch in den folgenden Jahrzehnten die führenden Vertreter des politischen Katholizismus in Köln waren. Der Verein wollte die »sozialen und politischen Fragen n christlichem, speziell katholischem Standpunkt aus« behandeln und die Freiheit der Kirche bewahren. Der »Piusverein« stand nicht unter der Obhut konservativer Bischöfe, sondern sein politischer Standort war deutlich fortschrittlicher als der des »Bürgervereins«, so forderte man einen demokratischen Rechtsstaat auf parlamentarischer Grundlage. Aber während der Relution spielte der Verein kaum eine Rolle.

Größere Bedeutung kam bald einer anderen politischen Kraft zu. Marx und Engels waren am 11. April 1848 nach Köln zurückgekehrt. Ihre Positionen waren seit ihrem letzten Aufenthalt in Köln deutlich entschiedener geworden. Im Februar 1848 hatten sie das »Kommunistische Manifest« und im März 1848 die siebzehn »Forderungen der kommunistischen Partei Deutschlands« veröffentlicht. Eine ihrer zentralen Forderungen lautete: »Ganz Deutschland wird zu einer einigen, unteilbaren Republik erklärt«. Die Republik stellte für sie die Voraussetzung für die erfolgreiche Emanzipation der Arbeiterklasse dar. Marx und Engels scheiterten zwar mit ihren Bemühungen, eine zentrale deutsche Arbeiterorganisation aufzubauen, aber um so erfolgreicher entwickelte sich die n ihnen geprägte Zeitung: Seit dem 1. Juni 1848 erschien die »Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie«. Chefredakteur und alles beherrschende Person war Karl Marx, der um sich einen Kreis herausragender Mitarbeiter versammelte: Friedrich Engels, Heinrich Bürgers, Ernst Dronke, Wilhelm Wolffund die Dichter Ferdinand Freiligrath und Georg Weerth. Diese Überregionale Tageszeitung erwarb sich rasch großes Ansehen und beeinflußte stark die öffentliche Meinung in Deutschland. Konsequent focht sie für die radikale Demokratie und kritisierte lebhaft jeden Kompromiß mit dem Staat und sah im Verhalten des Großbürgertums einen Verrat an der Relution. Damit verschärfte die Zeitung die Fronten zwischen liberalem und demokratisch-sozialistischem Lager. Zwischen dem »Arbeiterverein« und Marx und Engels herrschte ein gespanntes Verhältnis. Marx und Engels waren nicht allein Mitglied im »Arbeiterverein«, sondern auch in der »Demokratischen Gesellschaft«, Marx sogar im Vorstand. Gottschalk entfremdete sich Marx zunehmend und trat Anfang Mai aus dem »Bund der Kommunisten« aus. Da der Arbeiterverein ganz unter dem Einfluß n Gottschalk stand, konnten die Anhänger n Marx erst nach der Verhaftung Gottschalks im Arbeiterverein Fuß fassen und den Verein stärker auf politische Forderungen hin orientieren.

Marx hatte sich bereit erklärt, bis zur Freilassung Gottschalks
die Präsidentschaft des Vereins zu übernehmen. Der Name der Zeitung wurde in »Freiheit, Brüderlichkeit, Arbeit« verändert. Im Verein wurden nun auch die siebzehn »Forderungen« n Marx und Engels diskutiert.

Ab 10. September erschien die »Neue Kölnische Zeitung für Bürger, Bauern und Soldaten«, die zwar keine große Bedeutung erlangte, aber das imponierende Unternehmen einer einzigen Frau war. Mathilde Anneke, die kurz zur noch ein Kind geboren hatte, stellte nach der Verhaftung ihres Mannes das Blatt im wesentlichen allein her und ließ es in einem Zimmer ihrer Wohnung drucken. Die Zeitung trat für eine Verbesserung der Lage der Arbeiter ein, aber wollte dies auf demokratischem, nicht relutionärem Weg verwirklichen. Einen weiteren Höhepunkt erreichte die Relution im September 1848. Mit großer Empörung wurde in Deutschland aufgenommen, daß Preußen eine zentrale Forderung der nationalen, demokratischen Bewegung aufgab und der Abtretung Schleswig-Holsteins an Dänemark zustimmte. Aus Protest dagegen fanden in Köln mehrere sehr große Volksversammlungen statt. Dabei kam es am 11. September wieder zu einem Übergriff des Militärs, bei dem Bürger mißhandelt wurden. Der gewaltige Zorn der Kölner darüber entlud sich u.a. in tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Militär und Bürgerwehr. Eine Volksversammlung wählte daraufhin einen Sicherheitsausschuß, der ein Gegengewicht gegen Reaktion und Militär bilden sollte. Maßgeblich beeinflußt wurde er n der Redaktion der »Neuen Rheinischen Zeitung«. Gegen das Erstarken der Reaktion versuchten jetzt Arbeiterverein, Demokratische Gesellschaft und »Neue Rheinische Zeitung« mit großen Massenbewegungen anzukämpfen und die ländliche Bevölkerung zu gewinnen. In Worringen fand am 17. September eine Kundgebung mit 8.000 Menschen statt. Dennoch erfolgten in diesen Tagen bereits die ersten Verhaftungen. Gegen den befürchteten Eingriff des Militärs wurden auf dem Alter Markt Barrikaden errichtet. Dieser blieb zwar aus, aber jetzt wurde bereits zeitweilig der Belagerungszustand verhängt, politische Vereine und Zeitungen wurden verboten und die Bürgerwehr aufgelöst.

Die Tage der Relution waren gezählt. In Wien wurde der Aufstand niedergeschlagen und der Kölner Robert Blum, der Abgeordneter der Nationalversammlung war, am 9. November 1848 standrechtlich erschossen. Anfang November vertagte der König die Nationalversammlung und verlegte sie nach Brandenburg. Dies bedeutete Bruch der Volkssouveränität. Zorn und Empörung waren entsprechend groß und schlugen sich in zahlreichen Solidaritätsbekundungen mit der Nationalversammlung nieder. Der r allem n Marx und seinen Anhängern angeregte Versuch, durch Steuerverweigerung den König zur Rücknahme seines Beschlusses zu bewegen, konnte nichts bewirken. Der Höhepunkt der relutionären
Ereignisse war auch in Köln überschritten. Am 5. Dezember erfolgte der entscheidende Schlag: Die Nationalversammlung wurde aufgelöst und eine Verfassung oktroyiert. Doch es kam zu keinen Unruhen oder Volksbewegungen mehr, vielmehr breitete sich politische Apathie aus. Der Arbeiterverein war so geschwächt, daß er im März 1849 nur noch 464 Mitglieder zählte. Gottschalk hatte sich nach seiner Freilassung im Dezember 1848 nach Streitigkeiten mit seinen Gegnern im Verein »Bund der Kommunisten« enttäuscht zurückgezogen und war nach Paris gegangen. Erst Mitte 1849 kam er nach Köln zurück, um wieder als Armenarzt zu arbeiten. Dabei steckte er sich mit der damals grassierenden Cholera an, die 1.274 Opfer zählte, und starb im Oktober 1849. Sein Begräbnis auf Mela-ten gestaltete sich zu einer riesigen Demonstration und unterstrich nochmals Gottschalks große Beliebtheit.

Karl Marx und seine Anhänger llzogen eine politische Wende: sie lösten sich n den bürgerlichen Demokraten, die ihrer Ansicht nach in der Relution versagt hatten. Nur die Arbeiterklasse sahen sie jetzt in der Lage, die Ziele der Relution zu erreichen. Dementsprechend versuchten sie, die Arbeitervereine zentral zu organisieren und zu stärken. Die »Arbeiterverbrüderung« n Stephan Born hatte gezeigt, wie erfolgreich dies sein konnte. Am 6. Mai 1849 fand der Provin-zialkongreß der Arbeitervereine für das Rheinland und Westfalen im Gürzenich statt. Doch der Kongreß konnte keine Wirkung mehr erzielen. In Deutschland brachen Aufstände aus, um die n der Frankfurter Nationalversammlung erarbeitete Neuordnung zu retten. Daß es in Köln ruhig blieb, war nicht zuletzt eine Folge der eindringlichen Appelle n Marx, der einen Aufstand bei der militärischen Lage in der Festungsstadt Köln für sinnlos und gefahrlich gehalten hatte. Aber jetzt ging es auch gegen eines der letzten und wichtigsten Bollwerke der Demokratie, die »Neue Rheinische Zeitung«. Noch im Februar war Marx in aufsehenerregenden Prozessen freigesprochen worden, im Mai wurde er als »geduldeter Fremder« aus der Stadt ausgewiesen. Kommandant Engels begründete dies damit: »Man n einem blos geduldeten Fremden es sich doch nicht gestatten zu laßen braucht, daß er alles mit seinem Gift begeifere, da ohnehin inländisches Geschmeiß dies hinlänglich thut«. Am 16. Mai erhielt Marx den Ausweisungsbefehl. Dies bedeutete zugleich das Ende der »Neuen Rheinischen Zeitung«. Am 19. Mai erschien deren letzte - berühmt gewordene - Nummer in rotem Druck.

Düstere Reaktionsjahre

Mit der endgültigen Niederschlagung der Revolution von 1848/49 begann eine Phase der verschärften Reaktion. Demokraten und Revolutionsfreunde oder solche, die man dafür hielt, wurden verfolgt, die Pressefreiheit beseitigt, freie Vereine und Organisationen verboten. Zahlreiche Demokraten und Sozialisten sahen sich zur Emigration gezwungen. Trotz dieser Reaktion war an eine einfache Restauration, eine Wiederherstellung der vorrevolutionären Verhältnisse nicht zu denken. Selbst in Preußen gab es jetzt eine Verfassung, auch wenn sie oktroyiert war, und eine Volksvertretung, auch wenn sie infolge des Dreiklassenwahlrechts nicht demokratisch gewählt wurde. Sogar Preußen war zu einem konstitutionellen System übergegangen. Der Staat setzte jetzt auf die Zusammenarbeit mit dem aufstrebenden Bürgertum. Große Teile des liberalen Bürgertums schlössen ihren Frieden mit den herrschenden Verhältnissen und widmeten sich nun in erster Linie ihren wirtschaftlichen Aktivitäten. Dies galt auch für die führenden liberal en Politiker in Köln, Gustav Mevissen und Ludolf Gamphausen. Nach der Niederlage des politischen Liberalismus begann der Aufstieg des Wirtschaftsliberalismus. Es kamen Jahre ohne große politische Bewegung. Erst Anfang der sechziger Jahre entfachte der Verfassungskonflikt wieder das politische Leben.

In Preußen war die Reaktionszeit besonders ausgeprägt. Kritische Zeitungen wurden verboten, mißliebige Personen ausgewiesen, Vereine polizeilich bespitzelt und aufgelöst. Auch der Arbeiterverein wurde verboten. Er konnte zwar als Arbeiterbildungsverein unter der Präsidentschaft des Zigarrenarbeiters Peter Röser für kurze Zeit wieder aufleben, wobei führende Kommunisten Unterricht erteilten; aber im September 1850 wurde er schließlich aufgelöst. Der »Bund der Kommunisten« arbeitete wieder als Geheimorganisation. Reste der alten Gemeinde bestanden weiter. Röser war ihr Vorsitzender. Die Kölner Gemeinde stand in Verbindung zu der Londoner Zentrale um Marx und Engels. Nachdem es zu Auseinandersetzungen und zur Spaltung gekommen war, wurde im September 1850 der Sitz der Zentralbehörde nach Köln verlegt. Köln wurde so zum Zentrum des internationalen Sozialismus. Die neue Zentrale mit Peter Röser als Vorsitzendem, Heinrich Bürgers als Sekretär und Karl Otto als Kassierer entwarf neue Bundesstatuten, verbreitete Flugschriften und Broschüren in großer Zahl. Das Ende kam rasch. Am 10. Mai 1851 wurde ein Mitglied des Bundes, Peter Nothjung, auf dem Bahnhof in Leipzig verhaftet. Da die Polizei bei ihm zahlreiche Dokumente und Adressenlisten fand und überall kommunistische Umtriebe witterte, wurden in den nächsten Tagen eine Reihe von Mitgliedern verhaftet. Alle Ermittlungen erfolgten von Köln aus, unterstützt vom Chef der politischen Polizei Preußens, Schultz. Ihr Ziel war es, einen kommunistischen Umsturzversuch und Hochverrat nachzuweisen. Doch an belastendem Material mangelte es. Marx hatte sehr erfolgreich umfangreiches entlastendes Material zusammengetragen. Erst nach anderthalbjährigen Ermittlungen konnte der Prozeß beginnen. Dieser Kölner Kommunistenprozeß erregte national wie international großes Aufsehen. Im Prozeß wurde aufgedeckt, daß die Staatsanwaltschaft Beweismittel gefälscht und die Polizei Zeugen bestochen hatte. Der Prozeß hatte eine ungeahnte agitatorische Wirkung. Und dennoch ließ sich das Kölner Appellationsgericht unter Druck setzen und verurteilte sieben der Angeklagten zu Festungshaft zwischen drei und sechs Jahren. Wenige Tage nach Prozeßende wurde auf Antrag von Marx der »Bund der Kommunisten« aufgelöst. Der Kölner Kommunistenprozeß bedeutete daher das Ende des »Bundes der Kommunisten«.

In den Jahren nach der Revolution vollzog sich auch ein Wandel in der Kölner Verwaltung und Verfassung. 1850 wurde die Gemeindeordnung geändert. Der Bürgermeister wurde nicht mehr vom König ernannt, sondern Oberbürgermeister und -zumeist zwei - Beigeordnete wurden durch den Gemeinderat für die Dauer von zwölf Jahren gewählt. Damit war eine liberale Forderung in Erfüllung gegangen. Der König mußte die Wahl allerdings bestätigen. Die starke Stellung des Oberbürgermeisters blieb erhalten: Er führte die Verwaltung, setzte Gesetze, Verordnungen und Beschlüsse um und konnte Entscheidungen des Rates beanstanden. Der Rat erhielt aber erweiterte Kompetenzen in allen Finanzfragen und konnte die Verwaltung durch Akteneinsicht und Fachausschüsse kontrollieren. Erster nach der neuen Gemeindeordnung gewählter Oberbürgermeister wurde 1851 der Advokatanwalt Hermann Josef Stupp, der dieses Amt bis 1863 innehatte. Stupp kam aus dem politischen Katholizismus, sympathisierte aber auch stark mit dem rheinischen Liberalismus. Als Hermesianer war er beim Kölner Kardinal nicht sonderlich gelitten. Nachfolger Stupps wurde der Jurist Alexander Friedrich Wilhelm Bachern (bis 1875), der im preußischen Verfassungskonflikt ganz auf Seiten der Regierung stand. Die 1856 erlassene Städteordnung für die Rheinprovinz unterschied sich im Kern nur sehr wenig von der bisherigen Gemeindeordnung. Die Stadt wurde kreisfrei und unterstand damit unmittelbar dem Regierungspräsidenten. Der Gemeinderat wurde in Stadtverordnetenversammlung umbenannt, bestand wie bisher aus 30 Mitgliedern, die nach dem Dreiklassenwahlrecht auf sechs Jahre gewählt wurden und zur Hälfte Hausbesitzer sein mußten.

Industrialisierung

Die Industrialisierung, die in Köln in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts begonnen hatte, nahm nach 1850 auch hier eine stürmische Entwicklung. Die »industrielle Revolution« brach aus; beginnend mit bahnbrechenden Erfindungen wie der Dampfmaschine, dem Spinnrad und dem mechanischen Webstuhl veränderte sie alle Lebensbereiche so grundlegend wie nie zuvor: Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Politik. Es vollzog sich innerhalb kurzer Zeit ein radikaler Wandel von der bisherigen Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft. Fabriken lösten die älteren »Verlage« und »Manufakturen« ab und vollzogen damit den Übergang von der handarbeitsorien-tierten zur maschinenorientierten Tätigkeit. Arbeitsabläufe wurden den Maschinen angepaßt, Massenfabrikation ersetzte die frühere handwerkliche Einzelanfertigung, anders als bei den Handwerkern wohnten die Fabrikarbeiter nicht mehr in unmittelbarer Nähe des Arbeitsplatzes. Die Großbetriebe zogen die vielen arbeitslos gewordenen Handwerksgesellen und die verarmten Kleinbauern an. Viele von ihnen fanden dank der Industrialisierung auch einen Arbeitsplatz. Eine wichtige Voraussetzung für die Industrialisierung bildete ein funktionierendes Bankwesen, das umfangreiche Investitionen ermöglichte. Denn einzelne Unternehmer konnten die gewaltigen Summen zur Gründung einer Fabrik nicht mehr aufbringen, sondern in der Regel nur noch Aktiengesellschaften. Da Köln der führende Bankplatz der Rheinprovinz war, bot es günstige Voraussetzungen für die Industrialisierung. Als besonders wichtig kam noch Kölns Rolle als Verkehrsknotenpunkt hinzu. Vor allem wurde die Erschließung durch Eisenbahnen für die industrielle Entwicklung Kölns wichtig. In den 1840er Jahren gab es bereits Anschlüsse nach Belgien und Berlin, in den 1860er Jahren dann Strecken nach Holland sowie den Ausbau des Nahverkehrsnetzes. Der Ausbau des Verkehrs bedeutete schon damals: Eingriffe in Natur und gewachsene Strukturen der Stadt. Dem Bau des Hauptbahnhofs am Dom und der linksrheinischen Brückenrampe fiel der alte Botanische Garten zum Opfer, es mußten mehr als 150 Häuser abgerissen werden. 1859 wurde eine für den Eisenbahnverkehr bestimmte feste Gitterbrücke über den Rhein gebaut, die wegen ihres Aussehens den Spitznamen »Mausefalle (Muusfall)« trug. Sie war die erste feste Rheinbrücke Kölns seit der Konstantinischen Brücke.

Die in Köln ansässigen Eisenbahngesellschaften ließen in großem Umfang einen ganzen Industriezweig entstehen. Die Eisenbahn wurde zum Motor der industriellen Entwicklung. Köln nahm bei der Herstellung von Eisenbahnwagen und Eisenbahnanlagen bald eine bedeutende Stellung in Deutschland ein. 1845 wurde in Deutz die Waggonfabrik van der Zy-pen 8c Charlier gegründet, die Kölnische Maschinenbau-AG spezialisierte sich auf Eisenbahnbrückenbau. Bald spielten auch Betrieb und Unterhaltung der Eisenbahnen eine wichtige Rolle: 1860 wurde in Nippes das Zentralausbesserungswerk der Rheinischen Eisenbahngesellschaft eröffnet, die zwanzig Jahre später, als sie verstaatlicht wurde, bereits ungefähr 600 Arbeitsplätze bot. Der personalintensive Eisenbahnbau gab vielen Menschen Arbeit.

Die von Gustav Mevissen 1853 in Form einer Aktiengesellschaft gegründete Kölnische Baumwollspinnerei und -weberei war eine der ersten an industriellen Produktionsmethoden ausgerichteten Fabrikanlagen und wurde rasch eines der größten deutschen Unternehmen. Bereits 1861 waren in dem in der Nähe des Bayenturms gelegenen Werk 1.600 Menschen beschäftigt, eine Dampfmaschine mit 400 PS Leistung, 600 mechanische Webstühle und 44.000 Spindeln eingesetzt. Mevissen gründete 1856 mit der Kölnischen Maschinenbau-Anstalt eine weitere große Fabrik, die, wiederum als Aktiengesellschaft gegründet, auf einem etwa 18.000 mz großen Gelände wegen der günstigen Lage zum Rhein in Bayenthal angesiedelt wurde und wo Dampfmaschinen, Dampfkessel und Maschinenteile hergestellt wurden. Schon zu Beginn der 1860er Jahre arbeiteten dort mehr als 1.500 Menschen.

Die metallverarbeitende Industrie entwickelte sich vor allem seit den 50erJahren. Sie siedelte sich vornehmlich in den Vororten an. Nach einer alten Statistik des Regierungsbezirks bestanden 1861 in Köln und seinen Vororten drei »Eisenwerke« und neun Maschinenfabriken mit über 2.100 Beschäftigten sowie fünf Gießereien mit 188 Arbeitern und sechs Waggonfabriken mit 515 Arbeitern. Die Weltgeltung der Stadt im Motorenbau begründete die Kölner Erfindung des »Otto-Motors« von Nicolaus August Otto, dem 1867 auf der Pariser Weltausstellung dafür die Goldmedaille verliehen wurde. In seiner mit Finanzpartnern gegründeten Firma konnte er seit 1869 bereits 360 Motoren jährlich herstellen. Feiten & Guilleaume entwik-kelte sich bei der Kabelherstellung zum Monopolisten auf dem europäischen Kontinent. Die 1856 gegründete »Maschinenfabrik für den Bergbau von Sievers & Co.« produzierte Walzmühlen, Steinbrecher und Zerkleinerungsanlagen für den Bergbau. In der chemischen Industrie Kölns stach die Chemische Fabrik Kalk hervor, die seit 1858 Kalisalpeter herstellte. Die Kölnisch-Wasser-Hersteller blieben im wesentlichen kleine Familienunternehmen mit handwerklichem Charakter. In den 50er Jahren verdrängte die Rübenzuckerfabrikation fast vollständig die bis dahin übliche Verarbeitung von Rohzucker. Außerdem entstanden eine Reihe von mittleren Betrieben im Bereich der Farbenherstellung. Auch mit modernen Verfahren wurde in Köln produziert: die Firma Helios zeigte sich zukunftweisend bei der Produktion elektrotechnischer Ausrüstungen, auch die Gummifabrik Clouth war ein hochspezialisiertes modernes Unternehmen.

Gesellschaftliche und soziale Verhältnisse

Die Industrialisierung verwandelte das gesamte städtische Leben grundlegend. Die konfessionelle Zusammensetzung änderte sich allmählich: nach wie vor war Köln eine eindeutig katholische Stadt - wenn auch mit abnehmender Tendenz: 1816 waren noch 95,8% der Kölner Bevölkerung katholisch, dagegen 1871 84% ; während der Anteil der Kölner evangelischen Glaubens im gleichen Zeitraum von 3,9 % auf 13,5 % anstieg und der Anteil der Kölner jüdischen Glaubens von 0,3 °/o auf 2,5 °/o. Das Verhältnis zwischen katholischer Kirche und Staat hatte sich nach den »Kölner Wirren« entspannt. Diese Normalisierung kam in der Grundsteinlegung zum Weiterbau des Kölner Doms 1842 in Anwesenheit des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. zum Ausdruck. Die nach der Revolution erlassene preußische Verfassung garantierte die Glaubens- und Gewissensfreiheit, gewährte Versammlungs- und Vereinsfreiheit für die katholische und die evangelische Kirche und überließ es der Kirche, ihre Angelegenheiten selbständig zu regeln. Mit gewachsenem Selbstbewußtsein nutzten die Katholiken die neugewonnene Freiheit. Es entstanden eine Fülle von katholischen Vereinen insbesondere im Erziehungsund Bildungswesen und im sozialen Bereich. Köln wurde zu einer Hochburg des sozialen Katholizismus in Deutschland. Eine Reihe der hier gegründeten Vereine erstreckten ihre Tätigkeit bald auf ganz Deutschland, und Köln wurde Sitz ihrer Zentralorganisation. 1853 konnten die Jesuiten nach Köln zurückkehren. Der bedeutendste dieser Vereine war der 1849 von Adolf Kol-ping gegründete Kölner Gesellenverein. Kolping hatte als Schustergeselle das soziale Elend der Handwerksgesellen am eigenen Leibe kennengelernt und sich entschlossen, Priester zu werden. 1848 veröffentlichte er seine Schrift »Der Gesellenverein. Zur Beherzigung für alle, die es mit dem wahren Volkswohl gut meinen«, in der er die soziale und sittliche Förderung der Gesellen forderte. Den Priester sah er als einen Volkserzieher, der die jungen Handwerker zu guten Bürgern, Christen und Meistern erziehen sollte. Die Grundlage dazu bildete für ihn ein gesundes christliches Familienleben. Die Idee des Gesellenvereins breitete sich rasch aus. 1865, im Todesjahr Kol-pings, waren bereits rund 25.000 Mitglieder in den über 400 Vereinen organisiert, auch außerhalb Deutschlands. Köln blieb Sitz des Zentralvorstands. In der Minoritenkirche, in der er zum Priester geweiht worden war, wurde Kolping beerdigt; sie ist seitdem Wallfahrtskirche der Kolpingfamilie. 1991 wurde Kolping seliggesprochen. Mit den Problemen des Industrie- und Lohnarbeiters und den Folgen der Industrialisierung taten sich Kirche und Katholizismus um einiges schwerer. Nur wenige führende Katholiken hatten soziale Reformen verlangt wie vor allem der Mainzer Bischof Ketteier. In Köln wurde erst in den 1880er Jahren ein christlich-sozialer Verein gegründet.

Sehr bedeutsam für den politischen Katholizismus wirkte sich die Gründung einer katholischen Tageszeitung aus. Aus den von Joseph Bachern im Verlag Bachern seit 1860 herausgegebenen katholisch-konservativen »Kölner Blättern« entstand 1869 die »Kölnische Volkszeitung«. Zu den bedeutendsten Publizisten zählten Julius Bachern, der die Zeitung 45 Jahre leitete-, und der Historiker Hermann Cardauns. Im politischen Bereich wurden die katholischen Interessen dadurch vertreten, daß sich 62 katholische Abgeordnete der Zweiten Preußischen Kammer seit 1852 zu einer »Katholischen Fraktion« zusammenschlössen. Eine führende Rolle in der Fraktion spielten die Kölner Appellationsgerichtsräte, die Brüder August und Peter Reichensperger. Die Fraktion brach zwar 1862 wieder auseinander, aber aus ihr entwickelte sich 1870 das Zentrum. Prägend für die katholische Politik war ihre Gegnerschaft zum Liberalismus und ihre Hinwendung zu den Konservativen.
Die Evangelische Gemeinde wuchs in der preußischen Zeit stark. Zahlreiche preußische Spitzenbeamte waren protestantisch, und protestantische Unternehmer übten einen großen Einfluß auf die Kölner Wirtschaft aus. Selbstbewußt verstanden es die Protestanten, den Versuch abzuwehren, die Kirche unter unmittelbare Staatsaufsicht zu stellen. Seit 1826 hatten sich Reformierte und Lutheraner vereinigt, wozu der Grundstock bereits seit der gemeinsamen Nutzung der Antoniterkir-che ab 1805 gelegt worden war. Lange hielt man trotz der stark wachsenden Anzahl der evangelischen Christen am Prinzip der einheitlichen Gemeinde, der Gemeinde »Alt-Köln«, fest. Erst 1861 trat die Trinitatiskirche als zweite evangelische Gemeindekirche hinzu. 1819 war bereits die säkularisierte Abtei von St. Pantaleon evangelische Garnisonskirche geworden. Vor allem im schulischen und sozialen Bereich wurden eine große Anzahl von Gemeindeorganisationen gegründet: 1825 die Elementarschule mit Armen- und Industrieschule, sowie das seit 1825 evangelisch geprägte Friedrich-Wilhelm-Gymnasium, 1845 bzw. 1852 Schulen am Gereonsdriesch und am Filzengraben; daneben eine Reihe karitativer Einrichtungen und Vereine: von Kleinkinderschulen in der Antonsgasse (1846) und Im Ferkulum (1864) und der Versorgungsanstalt für evangelische Waisen (1844) bis zum Marthastift für weibliche Dienstboten (1865) und dem Frauenverein (1841) und zahlreichen weiteren sozialen Vereinen. Hinzu kamen noch Missionsvereine. Die evangelischen Wohltätigkeitseinrichtungen wurden von dem großen Engagement evangelischer Frauen des Bürgertums getragen: sie hatten zumeist die Initiative zur Gründung der Vereine ergriffen und deren Arbeit wesentlich gestaltet.

Auch die jüdische Gemeinde, die 1801 in Köln mit 17 Familien gegründet worden war, entwickelte sich rasch: 1850 waren bereits 5.746 Juden in Köln ansässig, 15 Jahre später über 10.000. Das »Schändliche Dekret« Napoleons, das die Berufsfreiheit und die Freizügigkeit der Juden stark einschränkte, wurde in Köln großzügig gehandhabt. Erst die oktroyierte Verfassung von 1848 garantierte die völlige Gleichberechtigung der Juden mit den Christen; bis dahin galten starke Beschränkungen durch 18 verschiedene sogenannte Judenverordnungen. Verwaltungsvorschriften schränkten aber die Emanzipation wieder erheblich ein. In der Praxis stand die Zulassung zu Staatsämtern in Heer, Verwaltung und Justiz lediglich auf dem Papier. Die Entwicklung ließ sich aber nicht aufhalten: 1869 im Norddeutschen Bund und 1871 im Deutschen Reich war die rechtliche Emanzipation erreicht.

Bereits vorher nahmen eine Reihe jüdischer Geschäftsleute rasch eine bedeutende Rolle in der Kölner Wirtschaft ein. An erster Stelle ist dabei Salomon Oppenheim jr. zu nennen. Er wurde 1822 einstimmig zum Mitglied der Handelskammer gewählt und war damit der erste Jude, der in Köln ein öffentliches Amt bekleidete. Sinnfälliger Ausdruck der neugewonnenen Stärke der Kölner jüdischen Gemeinde war die 1861 eingeweihte neue Synagoge in der Glockengasse, die das alte Gotteshaus an derselben Stelle ersetzte. Die große, im maurischen Stil gehaltene Synagoge war von Dombaumeister Ernst Zwirner entworfen worden und ein großzügiges Geschenk des Bankiers Abraham Oppenheim an die Gemeinde. 1830 wurde eine jüdische Elementarschule gegründet, an der auch Hebräisch unterrichtet wurde. Die Zahl der Schüler wuchs rasch. Die Schule wurde 1881 als öffentliche Schule anerkannt.
Innerhalb der jüdischen Gemeinde entwickelte sich ein Richtungsstreit zwischen Orthodoxen und Liberalen. Dabei ging es in erster Linie um unterschiedliche Anschauungen in Theologie und Liturgie. Die orthodoxen Gemeindemitglieder spalteten sich ab und gründeten eine neue israelitische Religionsgemeinschaft: Adass-Jeschurun, die die traditionelle Liturgie beibehielt. Für ihre Mitglieder wurde 1884 die dritte Kölner Synagoge, die Synagoge in der St.-Apem-Straße, errichtet. Aus der Entwicklung des Kölner Kulturlebens jener Jahre ragt das Musikleben hervor. 1850 wurde Ferdinand Hiller zum städtischen Kapellmeister ernannt. Er verstand es, die Aktivitäten der verschiedenen Musikvereine zu bündeln und in den 35 Jahren seiner Tätigkeit weltberühmte Musiker und Komponisten wie Felix Mendelssohn-Bartholdy, Franz Liszt, Robert Schumann, Clara Schumann nach Köln zu holen. Auf seine Initiative ging auch der Umbau des Gürzenichs zu einem glanzvollen Konzertsaal zurück. Hiller leitete zudem den städtischen Gesangverein und die »Rheinische Musikschule«, die seit 1850 junge Männer und Frauen ausbildete. Einer der begabtesten Schüler Hillers war der in Köln geborene Max Bruch. Rasch fand auch der 1842 gegründete Männergesangverein internationale Anerkennung.

Alle diese Aktivitäten beruhten auf der tatkräftigen Förderung durch Mäzene: Das galt für die Vereine ebenso wie für den Ausbau des Gürzenichs oder die Rheinische Musikschule, wobei der Großkaufmann Peter Michels und der Bankier Ludolt Camphausen eine bedeutende Rolle spielten. In den Musiksalons wie dem von Robert und Viktor Schnitzler versammelte sich die internationale Musikszene. Das Mäzenatentum spielte auch in der Kunst eine wichtige Rolle: Der Häutegroßhändler Johann Heinrich Richartz ermöglichte durch eine umfangreiche Stiftung den Bau eines Museums für die Kunstsammlung von Ferdinand Franz Wallraf. Das auf dem Gelände des ehemaligen Minoritenklosters errichtete Museum wurde 1861 eröffnet. Richartz stellte auch zum Erhalt der Mi-noritenkirche und zum Neubau der Irrenanstalt auf dem Gelände der Lindenburg namhafte Beträge zur Verfügung.

Bis auf das Musikleben war die Kölner Kultur von Mittelmäßigkeit und Provinzialität geprägt. Theater und Oper standen dem Musikleben deutlich nach: Die Direktoren wechselten häufig, das künstlerische Niveau war schwankend und niedrig, zu allem Überfluß brannte das Theater in der Komödienstraße innerhalb von zehn Jahren, 1859 und 1869, zweimal ab. Dem Theater liefen die Besucher davon, denn das Kölner Publikum war an Seichterem interessiert: etwa an den Lustspielen und simplen Possen, die seit 1850 im Kaffeehaus Stollwerck in der Schildergasse aufgeführt wurden und sich großer Beliebtheit erfreuten, zumal kostenlos Getränke während der Aufführung serviert wurden. Großen Anklang fanden auch die Puppenspiele von Christoph Winters, der das Hänneschen-Theater begründete, oder von Franz Millowitsch, aber auch Karnevalslieder. Um das nicht sehr anspruchsvolle Kölner Publikum bei Laune zu halten, wurden in Opern possenhafte Einlagen, häufig mit lokalem Bezug, geboten oder zu Beginn und in den Pausen Militärmusik gespielt. Als Jakob (Jacques) Offenbach 1849 in seiner Heimatstadt zum ersten Mal eine Oper aufführen ließ, stieß er auf vollständiges Desinteresse. Offenbach kehrte Köln den Rücken und ging nach Paris. Erst in den 1860er Jahren wurden seine Opern auch in seiner Heimatstadt zum Publikumserfolg. Auch andere Talente wurden von dem wenig entwickelten Kunstverständnis der Kölner vergrault wie der Tenor Hugo Pikanser, der nach seinem Weggang von Köln in den USA große Erfolge feierte.
Politisch kam nach Jahren des Stillstands Ende der 1850er Jahre einiges in Bewegung. Die Übernahme der Regierungsverantwortung durch Prinz Wilhelm 1858 weckte bei den Liberalen Hoffnungen auf eine »Neue Ära«. Tatsächlich berief Wilhelm, der als Scharfmacher und als »Kartätschenprinz« während der Revolution berüchtigt gewesen war, zunächst ein liberales Ministerium und wurden die Verfolgungen etwas gemildert. Aber die Hoffnungen wurden bald enttäuscht. Mehr
noch: In dem Verfassungskonflikt zwischen der Krone und der liberalen Mehrheit des Abgeordnetenhauses um die Heeresreform war ein schwerwiegender Konfliktstoff für mehrere Jahre entstanden. Das Parlament hatte die Mittel für die Heeresreform abgelehnt, der König sich aber darüber hinweggesetzt. Es handelte sich bei der Auseinandersetzung um einen Streit um das Budgetrecht des Parlaments und die Macht des Königs. 1862 wurde der Konservative Otto von Bismarck zum preußischen Ministerpräsidenten ernannt und berief sich gegen den energischen Widerstand der Liberalen auf eine »Gesetzeslücke« bei der Heeresreform.

Noch 1861 war König Wilhelm bei seinem ersten Besuch in Köln begeistert empfangen worden, aber infolge des Budgetkonflikts formierte sich in Köln eine starke Opposition gegen die Politik der Krone. Gegen die Regierungspolitik organisierten vor allem in Köln Oppositionelle um die linksliberale Fort-
schrittspartei einen »passiven Widerstand«. Die Fortschrittspartei unter der Führung des Kaufmanns Johann Classen-Kap-pelmann und des ehemaligen Kommunisten Heinrich Bürgers gewann damals eine dominierende politische Bedeutung, deutlich stärker als der Rechtsliberalismus unter Gustav Me-vissen und Ludolf Camphausen oder der politische Katholizismus unter Friedrich Baudri und August Reichensperger. Die Fortschrittspartei versuchte in den Jahren 1862 bis 1866 in der Stadtverordnetenversammlung und in Wirtschaftsverbänden, bei kulturellen Ereignissen und im Karneval gegen die Politik Bismarcks zu demonstrieren. Die oppositionellen Abgeordneten aus Rheinland-Westfalen feierten nach dem Ende der Legislaturperiode 1863 in Köln ein Fest. Das Dombaufest von 1863 stand auch im Schatten der Auseinandersetzung: Wegen der Teilnahme des Königs an dem Fest versagte die Stadtverordnetenversammlung auf Antrag von Wilhelm Kae-sen und Johann Classen-Kappelmann eine finanzielle Unterstützung für das Fest; weitere Querelen führten schließlich zur Absage des Königs.

Die Stadtverordnetenversammlung zog sich ein weiteres Mal den Zorn des Königs zu, als sie sich weigerte, das Fest zur Grundsteinlegung des Denkmals für Friedrich Wilhelm III. am 16. Mai 1865 mitzufinanzieren. Von der Bevölkerung allerdings wurde das Königspaar freundlich empfangen. Wenig später schlug der König zurück: Er verbot das Fest der Fortschrittspartei zu Ehren ihrer Mitglieder im preußischen Abgeordnetenhaus. Unter tumultartigen Bedingungen wurden die Festteilnehmer von Polizei und Militär auseinandergetrieben. Dieser Willkürakt löste große Empörung aus und erregte national wie international erhebliches Aufsehen und führte zu zahlreichen Solidaritätsbekundungen.

Ins Zentrum des politischen Geschehens rückte seit Ende der 50er Jahre die Nationalbewegung, die durch das Beispiel der italienischen Einheit wieder auflebte. Die deutsche Einheitsbewegung war geprägt vom Rivalitätskampf zwischen Preußen und Österreich um die Vormacht in Deutschland. Der jahrelang heftig ausgetragene Konflikt drehte sich um die Alternative kleindeutsche Lösung der nationalen Frage ohne Österreich unter der Vorherrschaft Preußens oder die großdeutsche Lösung unter Einschluß Österreichs. Wichtig war auch die Frage, ob die Einigung »von oben« durch die Machtmittel des preußischen Staates oder »von unten« durch eine demokratische Volksbewegung mit dem Ziel eines freiheitlichen RechtsStaats verwirklicht werden sollte. Der deutsch-dänische Krieg von 1863/64 um Schleswig-Holstein wurde noch einmütig begrüßt. Der »Bruderkrieg« von 1866 zwischen Preußen und der katholischen Großmacht Österreich stieß in Köln jedoch auf fast einhellige Ablehnung. Der Sieg Preußens allerdings löste bereits großen Jubel aus: Für den Empfang der heimkehrenden Truppen, die zur Kölner Garnison gehörten, wurde auf dem Neumarkt eigens ein Triumphbogen errichtet. Faktisch wurde mit dem Sieg Preußens auch der Verfassungskonflikt entschieden: Die eindeutige Vormachtstellung Preußens im Einigungsprozeß verfehlte ihre Wirkung auf das liberale Lager nicht. Große Teile der Liberalen schlössen ihren Frieden mit dem Staat. Sie setzten nun auf Kooperation statt Konflikt mit dem Staat. Die liberale Opposition brach auseinander, ihr rechter Flügel schloß sich 1867 zur Nationalliberalen Partei zusammen und unterstützte nun den Kurs Bismarcks, insbesondere nach der Reichseinigung von 1871. Der Ausbruch des Krieges gegen Frankreich war auch in Köln mit großem Jubel aufgenommen worden. Bei einem Zwischenstopp auf seiner Fahrt zur Front wurde dem preußischen König zum ersten Mal in Köln ein begeisterter Empfang durch riesige Menschenmengen bereitet. Bezeichnend genug für den raschen Wandel der Politik der Liberalen war es, daß ausgerechnet einer der entschiedensten Gegner Bismarcks, Classen-Kappelmann, 1875 die Initiative zur Verleihung der Ehrenbürgerschaft Kölns an Bismarck ergriff.







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