Schattenseite der Besatzung
6. Oktober 1794 - dieses Datum markiert einen der wichtigsten Wendepunkte in der Geschichte Kölns. An diesem Tag besetzten französische Revolutionstruppen die Stadt. Die damit beginnende fast 20jährige Herrschaft der Franzosen bedeutete das Ende der »freien Reichsstadt« und den Anfang eines neuen Zeitalters für Köln in nahezu allen Bereichen. Es bedurfte des Anstoßes von außen, damit Köln das Mittelalter hinter sich ließ und endlich die Neuzeit in der Stadt beginnen konnte.
Aufmerksam beobachtete man in Köln wie in weiten Teilen Deutschlands seit Juli 1789 Ausbruch und Verlauf der Französischen Revolution. Sie hatte sich die Parole »Freiheit, Gleich-
heit, Brüderlichkeit« auf die Fahnen geschrieben und bereits am 26. August 1789 die bahnbrechende Erklärung der Menschenrechte abgegeben. Ausgelöst durch die Revolution kam es in Köln zwischen August und Dezember 1789 mehrfach zu Unruhen, Massendemonstrationen und politischen Aktionen. Dabei wurden bereits Revolutionslieder angestimmt und Kokarden als sichtbares Zeichen der Revolution getragen. Doch nur eine kleine Minderheit der Kölner unterstützte die Revolution. Sie wollte auch nicht einfach die französischen Ereignisse kopieren, sondern die Gunst der Stunde nutzen, um die Gewichte im lange schwelenden innerstädtischen Machtstreit zu rschieben. Der Deputatschaft der Zünfte gelang es nun, ihre altbekannten Forderungen durchzusetzen. Aber dieser demokratische Erfolg war nur von kurzer Dauer. Der Kaiser rlangte die Wiederherstellung der alten Ordnung, der Rat ging mit Hilfe von Polizei und Militär gegen Freiheitsbekundungen und ihre »Rädelsführer« scharf vor. Damit war es Ende 1789 für die freiheitliche Bewegung in Köln fürs erste wieder vorbei.
Das revolutionäre Frankreich, in dem von September 1792 bis zur Hinrichtung Robespierres am 28. Juli 1794 die Schreckensherrschaftwütete, stand seit April 1792 im Krieg mit einer Koalition europäischer Mächte, unter ihnen vor allem Österreich und Preußen. Im selben Jahr war Köln nur knapp einer französischen Besatzung entkommen. Einige unentwegte Anhänger der Revolution in Köln hatten bereits etwas voreilig das Symbol der Revolution, einen Freiheitsbaum, aufgestellt.
Doch am 4. Oktober 1794 war in Köln aus der Ferne Kanonendonner zu hören. Dieses Mal wurde es ernst. Die französischen Truppen hatten Aachen zum zweiten Mal besetzt und die belgische Stadt Fleurus eingenommen. Die kaiserlichen Truppen und drei Kompanien von Stadtsoldaten zogen sich fluchtartig über den Rhein zurück. Die Kölner ergaben sich wehrlos. Bürgermeister Klespe übergab am Nachmittag des 6. Oktober 1794 am Hahnentor Brigadegeneral Francois Championnet die Stadtschlüssel und bat lediglich darum, die Verfassung der Stadt, Religion und privates wie kirchliches Eigentum unangetastet zu lassen. Danach zogen die französischen Truppen in die Stadt ein: Insgesamt waren es am 6. und 7. Oktober etwa 12.000 Mann. Damit war die Stadt zum ersten Mal nach 900 Jahren von feindlichen Truppen besetzt. Zur großen Beruhigung der Kölner erklärte der französische Volksrepräsentant Gillet am 8. Oktober, Rat und Verwaltung würden bestehen bleiben und Personen, Eigentum, Gesetze und Religion geachtet werden. Tags drauf, am 9. Oktober, wurde auf dem Neumarkt feierlich ein Freiheitsbaum aufgestellt, den die Ratsherren zu umschreiten hatten.
Die Lasten der Besatzung erlebten die Kölner als sehr drük-kend. Die etwa 12.000 französischen Soldaten mußten bei den seinerzeit rund 40.000 Kölnern einquartiert und von ihren »Gastgebern« aus der eigenen Tasche rundherum rsorgt werden: mit Nahrung und Kleidung oder Materialien für die Armee wie z.B. Möbeln. Zu diesen Requisitionen, d. h. Sachleistungen, kamen noch Kontributionen, d. h. Kriegssteuern, die immer drückender wurden und vom Rat aufgetrieben werden mußten. Bis Anfang 1798 war es bereits eine gewaltige Summe von 20 Millionen Talern. Die zwangsweise Einführung des Papiergeldes der französischen Republik, der Assignaten, anstelle des Metallgeldes empfanden die Kölner als besonders bitter. Denn sie kam einer Enteignung gleich, da die schon stark entwerteten Assignaten aufgrund einer galoppierenden Inflation rasch an Wert rloren. Der Kaufwert der Assignaten, die bereits am 8. Oktober 1794 in Umlauf kamen, sank bis zum Mai 1795 auf ein Zehntel. Trotz harter Strafen stellten Verstöße gegen die Assignatenbestimmung den häusten Grund für Konflikte mit der Besatzungsmacht dar. Die Assignaten wurden am 20. März 1796 wieder aus dem Verkehr gezogen. Erst 1800 wurden Francs und Centimes auch in Köln eingeführt.
Geradezu systematisch wurde die Beschlagnahmung von Kulturgut von einer bereits 1793 gebildeten sachkundigen Kunstkommission (»Commission temporaire des arts«) organisiert. Begonnen hatte es bereits am 10. Oktober 1794 mit dem Raub des berühmten Gemäldes »Die Kreuzigung Petri« von Peter Paul Rubens vom Hochaltar der Kirche St. Peter. Kunstwerke aus einer Reihe anderer Kirchen wie St. Maria im Kapitol, St. Gereon und St. Pantaleon wurden ebenso wie wertvolle Handschriften und Bücher aus den Bibliotheken der Kirchen und Klöster nach Frankreich rschleppt. Aus dem Zeughaus wurden wichtige Zeugnisse der Stadtgeschichte nach Paris abtransportiert: nicht allein Geschütze, Fahnen, sondern auch der nachgebaute Streitwagen aus der Schlacht von Worringen. Der Domschatz mit dem Dreikönigenschrein war rechtzeitig in Sicherheit gebracht worden. Ein Großteil der Kunstschätze und Bücher konnte allerdings nach 1814 wieder zurückgeholt werden.
Ansonsten hielten die Franzosen zwar zunächst ihr Versprechen, sich aus der städtischen Selbstrwaltung herauszuhalten . Aber das äußere Erscheinungsbild der Stadt, vor allem der unglaubliche Dreck auf den Straßen und mangelnde Sicherheit in der Nacht, muß sie doch sehr massiv gestört haben. Die von Rationalität und systematischem Denken geprägten Re-volutionsgeister sahen sich daher schon wenige Wochen nach Beginn der Besatzung ranlaßt, den Kölnern Ordnung, Sauberkeit und Sicherheit beizubringen - zumindest rsuchten sie es. Jeder Bürger hatte nun morgens die Straße zu reinigen und abends für Straßenbeleuchtung zu sorgen. Eine Müllabfuhr mit Pferde- und Schubkarren wurde geschaffen. Der Erfolg blieb aber eher bescheiden: eine helle, aufgeräumte Stadt war damit noch lange nicht erreicht. Trotz Androhung von Geld- und Haftstrafen rharrten die Kölner im alten Trott und blieben Klagen über Schmutz in der Stadt häu. 1804 mußte die Bevölkerung anläßlich des ersten Besuchs Napoleons in Köln ermahnt werden, die Schweine von den Straßen fernzuhalten, die der Kaiser passieren werde. Noch 1813 stürzte der Platzkommandant nachts über einen Dreckhaufen beinahe zu Tode. Dem Ordnungssinn der Franzosen entsprach auch, daß 1796 sämtliche Häuser Kölns eine fortlaufende Numerierung erhielten, wobei insgesamt 7.404 Häuser und 194 geistliche Gebäude gezählt wurden. Das Stammhaus von Wilhelm Mülhens, des Produzenten des »Echt Kölnischen Wassers«, in der Glockengasse erhielt dabei die Nummer 4711. Auch der Kölner Karneval war den Franzosen zunächst nicht ganz geheuer: Am 12. Februar 1795 rboten sie den Karneval, weil sie Unruhen fürchteten. Erst 1803 wurde dieses Verbot wieder aufgehoben. So sehr die Kölner unter den Lasten der Besatzung stöhnten, so waren immerhin Klagen über Diebstähle und Übergriffe der Besatzungssoldaten nicht zu hören, vielmehr wurde deren »strenge Manneszucht« gerühmt; nicht für jede Besatzungsmacht eine Selbstrständlichkeit.
Wechselhafte Besatzungspolitik
Auch wenn die Franzosen zunächst die städtische Selbstverwaltung unangetastet ließen, traten Konflikte zwischen Rat und Militärverwaltung rasch auf. Dabei ging es in erster Linie Um die drückende finanzielle Bürde der Besatzung. Die Franzosen ließen in den ersten Monaten den städtischen Rat von einem »Comite de Surveillance« (Aufsichtsausschuß) kontrollieren, wobei acht der zwölf Mitglieder Kölner waren, unter ihnen zum ersten Mal in einer führenden Position in der Stadt zwei Protestanten. Eine Entmachtung des Rats betrieb das Comite jedoch nicht, denn es ahndete vor allem Verstöße gegen die Assignatenbestimmungen.
Die Kritik in Köln an den finanziellen Lasten der Besatzung und die Befürchtungen um den Bestand der alten freistädtischen Ordnung faßte um die Jahreswende 1794/95 Ferdinand Franz Wallraf, der im Dezember 1793 zum Rektor der Kölner Universität gewählt worden war, in der Denkschrift »Der Senat der Ubier an den Nationalkonvent zu Paris« zusammen. Angestrengt und nicht ohne Anbiederung an die Franzosen bemühte er sich darzulegen, daß Köln eine wenn auch kleine, aber dafür alte Republik mit einer freiheitlichen Verfassung (»auf demokratischer Grundlage«) sei, wie sie in Frankreich soeben erst erkämpft worden sei und daher überhöhte Kontributionsforderungen die republikanische Solidarität verletzen würden. Um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, entsandte der Rat im Februar 1795 Bürgermeister Nikolaus Dumont und den Ratsherrn Stöhr nach Paris. Am 19. März konnte Dumont vor dem Nationalkonvent sprechen. Der Kölner Bürgermeister wurde aber im Laufe der zähen Verhandlungen vorübergehend unter Arrest gestellt. Der Wohlfahrtsausschuß beschied die Kölner lapidar: Köln sei als Teil des Deutschen Reiches besetzt worden und damit als erobert zu betrachten. Die gewünschte Sonderrolle wurde Köln nicht zugestanden, auch nicht bei den Kontributionen, die - so der Wohlfahrtsausschuß - dank der freundlichen Haltung der Bevölkerung bereits herabgesetzt worden seien. Allerdings wußten die Franzosen lange Zeit selbst nicht so recht, was sie mit den eroberten Gebieten des linken Rheinufers anfangen sollten. Hektische Wechsel des politischen Kurses prägten die ersten Jahre der französischen Besatzung. Zunächst waren Ende 1794 für das besetzte Gebiet eine Zentralverwaltung und Bezirksverwaltungen geschaffen worden. Sehr zum Verdruß der Kölner ging Köln dabei leer aus: Aachen wurde Sitz der Zentralverwaltung und Bonn Sitz der Bezirksverwaltung. Am 28. Mai 1796 kam es schließlich zu einer grundlegenden Veränderung: der Rat der Stadt wurde aufgelöst - 400 Jahre nach dem Verbundbrief von 1396. Begründet wurde dies mit der Unfähigkeit des Rates, die Kontributionszahlungen rechtzeitig einzutreiben.
An die Stelle des Rates trat eine Munizipalverwaltung nach französischem Vorbild. An ihrer Spitze stand als Aufsichtsbeamter der Nationalkommissar Antoine, das ihm unterstellte Amt des Präsidenten übernahm der frühere reichsstädtische Bürgermeister Johann Jakob von Wittgenstein. Dennoch bedeutete dies noch keinen radikalen Bruch, da Mitglieder des Rates weiterhin bestimmenden Einfluß hatten und auch die städtischen Beamten ihre Ämter behielten. Zudem blieben die Gaffeln und die alte Gewerbeordnung bestehen. Für einige Monate, von März bis September 1797, wurde der Rat sogar wieder eingesetzt und eine Mittelkommission mit Sitz in Bonn unter dem Substitutskommissär, dem Elsässer Johann Rethel, geschaffen. Zwischen Rat und französischer Verwaltung verschärften sich die Konflikte. Der Rat hatte wenig gelernt: er setzte seine Politik fort, die wenige Monate zuvor zu seiner Auflösung geführt hatte. Schließlich wurde der Rat am 5. September 1797 endgültig abgeschafft. An seine Stelle trat ein 13köpfiger »provisorischer Magistrat«. Mitte 1797 begann die Phase, in der der Einfluß der Radikaldemokraten und Jakobiner deutlich zunahm. Die Franzosen hatten es bis zu diesem Zeitpunkt der kleinen Gruppe von Anhängern ihrer Revolution nicht leicht gemacht und sie nicht an der Macht in der Stadt beteiligt. Nachdem die französische Verwaltung unter Rethel stärker die Übertragung der französischen Gesetze anstrebte, wurden jetzt auch die Jakobiner von den Franzosen unterstützt, u.a. mit einem bedeutenden Geldbetrag. Johann Baptist Geich, ehemaliger Priester und einer der radikalen Verfechter der Revolution, trat mit einer Reihe von Schriften hervor.
So verfaßte er beispielsweise im Februar 1795 eine Gegenschrift zu dem Werk Wallrafs, worin er die »üble Wirtschaft des Senates« anprangerte, dessen weitere Existenz für »den Bürger fortdauernde Sklaverei« bedeuten würde. 1795 erschien Geichs Abhandlung »Gespräche über Freiheit«. Franz Theodor Biergans, ein ehemaliger Mönch und Priester, veröffentlichte Anfang April 1795 die Schrift »Über Freiheit und Anschluß an die Französische Republik« und im Januar 1796 »Geschichte meiner Verhaftnehmung in Köln« und gab später vor allem eine der bekanntesten republikanischen Zeitschriften heraus: »Brutus oder der Tyrannenfeind«, die massive Anschuldigungen gegen Rat und Kirche enthielt. Eine andere kleine Zeitschrift erschien 1795 unter dem Motto der Französischen Revolution »Freiheit, Gleichheit, Verbrüderung«. Biergans und Geich siedelten 1797 nach Bonn über. 1797 aber hatte die Stunde der Radikaldemokraten geschlagen. Am 29. Juli 1797 forderten die Republikaner im »Aufruf an die Bewohner des linken Rheinufers« die Bildung einer cis-rtienanischen, d.h. diesseits des Rheins gelegenen Republik unter dem Schutz und dem Einfluß Frankreichs mit Köln als Hauptstadt oder eine Vereinigung mit Frankreich. Anhänger der cisrhenanischen Republik fanden sich besonders im aufgeklärten Bürgertum - unter ihnen eine Zeitlang auch der junge Josef Görres. Gegen den alten Rat entfalteten die Cisrhenanen bzw. Jakobiner eine rege Agitation. Im August 1797 forderte Peter Wasserfall in einem »Aufruf an die Bürger Kölns«, ihre »alten unterdrückten Rechte aufleben zu lassen«. Der Aufruf endete mit den Worten: »Es lebe die Freiheit«. Christian Sommer veröffentlichte im November 1797 die »Konstitution für die Stadt Köln«, einen ausführlichen und in der deutschen Verfassungsgeschichte bedeutsamen Verfassungsentwurf für die Gründung einer kölnischen Republik. Die Grundprinzipien des Entwurfs waren die Volkssouveränität, die Menschen- und Bürgerrechte, die Freiheit und Gleichheit im Sinne der Französischen Revolution - u.a. durch weitgehende Kontrolle der Exekutive, durch Urversammlungen und Wahlversammlungen der Bürger, durch selbständige Rechtspflege. Am 17. September 1797 wurde die cisrhenanische Republik mit Köln als Hauptstadt mit den Rufen »Es lebe die Republik! Es lebe die Freiheit!« proklamiert. Bei diesen Feierlichkeiten wurde ein Freiheitsbaum vor dem Rathaus gepflanzt und die Gülich-Schandsäule als Symbol der alten Ordnung und der Unfreiheit öffentlich niedergelegt. Die Cisrhenanen beherrschten nun den »provisorischen Magistrat«, u.a. war ihr Sprecher Peter Wasserfall im Magistrat vertreten. Damit begann die Phase grundlegender städtischer Reformen.
Radikaler Umbruch
Der Traum von der rheinischen Republik war jedoch schnell ausgeträumt. Denn bereits im September 1797 begann der entscheidende Wechsel der französischen Besatzungspolitik: Von nun an wurde die direkte Angliederung des linken Rheinufers an Frankreich betrieben. Durch den Fructidor-Staats-streich vom 4. September 1797 waren in Frankreich die Befürworter einer Annexion an die Macht gekommen und zudem hatte Österreich im Frieden von Campo Formio vom 17. Oktober 1797 in geheimen Zusatzartikeln die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich zugestanden. War das Ziel der französischen Politik bis dahin, aus Köln wie den anderen besetzten Gebieten so viel wie möglich zur Kriegsfinanzierung herauszupressen, so trat jetzt anstelle der wirtschaftlichen Ausplünderung die allmähliche Integration Kölns als gleichberechtigter Teil in den französischen Staat. Damit waren die Jahre der Ungewißheit, des Zick-Zack-Kurs in der französischen Besatzungspolitik beendet. Schon Ende 1797 begann in rast gHe
raschem Tempo die schrittweise Eingliederung des linken Rheinufers und damit auch der Stadt Köln in das französische Staatsgebiet, bis schließlich am 23. September 1802 nach Auslaufen der letzten Sonderregelungen die Stadt vollgültiges Mitglied des französischen Staatsverbandes mit allen Rechten und pflichten geworden war. Die Entscheidung für die Annexion brachte Klarheit - für die Franzosen, aber auch für die Kölner. In den folgenden Monaten und Jahren erlebte Köln einen radikalen Umbruch seiner Verfassung, Verwaltung und Gesellschaft wie nie zuvor in seiner Geschichte. Vieles von dem, was noch heute die Stadt prägt und als selbstverständlich erscheint, wurde damals grundgelegt.
Nach Auflösung der Militärverfassung wurde der Elsässer Richter Franz Josef Rudier am 4. November 1797 zum Regierungskommissar für das Rheinland ernannt, der eine neue Verwaltung nach französischem Muster einführen sollte. Er proklamierte Ende Dezember die Gleichheit aller Bürger und kündigte die bürgerliche Freiheit ohne Feudallasten und die Religionsfreiheit an, sowie die Einbeziehung in die französische Gesetzgebung, Gewaltenteilung, eine Verwal-tungs- und Gerichtsordnung. Der von Cisrhenanen beherrschte »provisorische« Magistrat unterstützte nun die Vereinigung mit Frankreich und legte am 4. Dezember 1797 den Treueid auf die französische Republik ab. Diesen Eid hatten nun alle Beschäftigten der Verwaltungen zu leisten, bei Verweigerung wurden sie aus dem Dienst entlassen. Den Eid zu schwören weigerten sich neben einigen Richtern Beamte des Offizialats und des Generalvikariats und vor allem die Mitglieder der Kölner Universität, deren Protest ihr Rektor Wallraf formulierte. Dies führte zu ihrer Absetzung. Ein Jahr später allerdings leistete Wallraf dennoch den Eid auf die Republik. Die Franzosen unterstützten nun die Jakobiner. Am 20. Januar 1798 entstand eine Volksgesellschaft, der »Konstitutionelle Zirkel«, der seine Aufgabe in der Propagierung der neuen französischen Verfassung sah. Seine führenden Köpfe waren Christian Sommer, der Mitte 1798 Vorsitzender des Zirkels Wurde, Peter Wasserfall, der auch dem Magistrat angehörte, und Michel Venedey, allesamt Juristen. Anfang Februar zählte «er Zirkel bereits 203 Mitglieder, und als er Ende 1798 auseinanderfiel, noch 86. Vertreten waren Personen aller Schichten, hauptsächlich Handwerkerund Angehörige mittlerer und niederer Schichten, aber auch Bildungs- und Besitzbürgertum. Für die Jakobiner bildete der Zirkel eine neue Plattform ihres Wirkens, nachdem der cisrhenanische Gedanke durch die Zeitläufte überholt war. Er stellte eine bürgerlich-radikale Demokratiebewegung dar: An die Stelle des fürstlichen und städtischen Despotismus sollte die Herrschaft des Volkes treten, und auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet die Interessen der unteren Schichten berücksichtigt werden, indem die Feudallasten für Bauern und die Akzise, die indirekten Steuern, abgeschafft werden sollten. Die republikanische Bewegung in Köln war zu jener Zeit sehr stark, so daß zu öffentlichen Versammlungen des Zirkels mehrmals über tausend Teilnehmer gezählt wurden.
Dennoch verlor der Zirkel, in dem von Beginn an lebhafte Richtungskämpfe ausgefochten wurden, innerhalb weniger Monate rasch an Bedeutung. Ihm gelang es nicht, Einfluß in der Verwaltung und bei den Gerichten zu gewinnen. Ab Ende 1798 kritisierte er zunehmend die neuen Machthaber und fiel auch bei den Franzosen in Ungnade. Nach 1800 jedenfalls waren radikale Kräfte der cisrhenanischen Phase nicht mehr an der städtischen Verwaltung beteiligt. Besser arbeiteten die Franzosen bald mit der weniger radikalen Freimaurerloge zusammen, in der sich zahlreiche einflußreiche Beamte und Kaufleute zusammengeschlossen hatten. Am 9. April 1798 trat auch in Köln eine neue Stadtverfassung nach französischem Muster in Kraft: anstelle des Magistrats wurde die siebenköpfige Munizipalität geschaffen. Schließlich veränderten die Franzosen am 17. Februar 1800 abermals - und zum letzten Mal - die Stadtverfassung: die Munizipalität wurde ersetzt durch die französische »Maine-Verfassung«, die Bürgermeisterordnung. Der Bürgermeister erhielt außerordentlich große Machtbefugnisse. Zwei Beigeordnete waren seine Gehilfen, nicht seine Kollegen. Der neu geschaffene 30köpfige Munizipalrat (Gemeinderat) wurde vom Präfekten ernannt und hatte nur beratende Funktion: er prüfte lediglich das Finanz- und Rechnungswesen sowie öffentliche Arbeiten. Erster Bürgermeister (Maire) wurde der Kaufmann Johann Peter Kramer. Ihm folgte am 9. Juli 1803 Johann Jakob Wittgenstein, der bis zum Ende der französischen Zeit das Amt ausübte.
Zum ersten Mal wurde jetzt auch eine moderne Stadtverwaltung aufgebaut. Sie gliederte sich fortan in acht Fachressorts: Sekretariat, Polizei, Steuern, Finanz- und Rechnungswesen, Zivilstand, öffentliche Arbeiten, Unterstützungswesen und öffentlicher Unterricht und Handel, Schiffahrt und Gewerbe. Die öffentliche Verwaltung wurde jetzt an einen jährlich neu aufzustellenden Finanzplan gebunden. Heirat, Geburt und Tod wurden nun auf dem Rathaus vom Standesbeamten beurkundet und nicht mehr vom Pfarrer.
Zu den grundlegenden städtischen Reformen, die bereits der von den Cisrhenanen beherrschte Magistrat beschlossen hatte, zählte die Emanzipation der Protestanten und Juden.
Der alte Rat hatte sich bis zuletzt unbelehrbar dagegen gewehrt - selbst nach seiner Wiedereinführung. Bereits am 20. Oktober 1797 verfügte der »provisorische Magistrat« die Aufhebung der Ungleichheit der Abgaben zwischen Protestanten und Katholiken und im November 1797 aufgrund einer Initiative von französischer Seite auch die rechtliche Gleichstellung. Den nicht-katholischen Einwohnern wurde ausdrücklich das volle Bürgerrecht zuerkannt, die Bezeichnung »Beisaß« verboten. In dieser Form galten die Bestimmungen nicht nur für Protestanten, sondern auch für Juden, die seit ihrer Vertreibung von 1424 nicht mehr in der Stadt leben durften und selbst für einen eintägigen Aufenthalt in Köln eine Sondergenehmigung brauchten und dann noch den entehrenden Leibzoll zu zahlen hatten, der ansonsten nur für Vieh verlangt wurde. Jetzt aber war ein radikaler Bruch vollzogen: Bürger war nunmehr jeder Einwohner, allerdings - wohlgemerkt - nicht Frauen und Kinder. Wer Bürger war, wurde nicht mehr ständisch bestimmt, und die Zünfte verloren vollends ihre Bedeutung. Erst die Franzosen brachten Protestanten und Juden die Freiheit und das gleiche Bürgerrecht. Es war eine importierte Freiheit.
Anders als die Juden hatten die Protestanten Aufenthaltsrecht in Köln. 1787 lebten etwa 300 bis 400 Protestanten in Köln, also etwa 1% der Bevölkerung. Sie durften sich in bestimmten Bereichen wirtschaftlich betätigen: aus dem Detailhandel und dem zünftigen Gewerbe wurden sie herausgedrängt und nur im Großhandel zugelassen. In diesem Bereich erreichten sie aber bald wirtschaftlichen Erfolg, weil sie, außerhalb des eingefahrenen Zunftsystems gestellt, Kreativität entwickeln mußten. Bald bildeten Protestanten einen wesentlichen Teil der wirtschaftlichen Elite Kölns: Von den 70 reichsten Kölner Familien war 1784 ein Drittel protestantisch. In der 1798 neu geschaffenen Munizipalität waren erstmals zwei Protestanten in öffentlichen Ämtern der Stadt vertreten. Erst 1802 wurde den Protestanten die freie Religionsausübung gestattet. Zunächst wurde von den protestantischen Gemeinden der Zunftsaal der ehemaligen Brauerzunft: auf der Schildergasse für den Gottesdienst hergerichtet. Von dem säkularisierten Kirchenbesitz wählten die Protestanten die auf der Schildergasse gelegene Antoniterkirche als ihre künftige Kirche aus, die nebst dem dazugehörigen Klostergebäude am 6. August 1802 in den Besitz der Gemeinden überging. Am 19. Mai 1805 wurde die Antoniterkirche nach umfangreichen Umbauten feierlich eingeweiht. Damit war die lange Zeit der Diskriminierung für die Kölner Protestanten zu Ende. Rasch stieg auch die Zahl der Protestanten: 1812 lebten bereits über 1.700 in Köln. Nunmehr konnten sich die protestantischen Gemeinden auch intern entwickeln: die Anstellung von Pfarrern ermöglichte eine eigenständige Seelsorge; eigene Schulen wurden aufgebaut. Nachdem sich die drei reformierten Gemeinden 1806 zusammengeschlossen hatten, führte die engere Zusammenarbeit zwischen Lutheranern und Reformierten 1826 zur Union der Gemeinden.
Als erster Jude seit der Vertreibung von 1424 erhielt am 16. März 1798 Josef Isaak (Josef Stern) aus Mülheim am Rhein die Erlaubnis, sich von diesem Tag ab in der Stadt niederzulassen. Einer der ersten Juden, die sich in Köln ansiedelten, war 1801 Salomon Oppenheim, der angesehene Handelsbankier. Am 12. Oktober 1801 konstituierte sich im ehemaligen Klarissenkloster an der Glockengasse eine neue jüdische Gemeinde von 18 Personen. Salomon Oppenheim hatte eine herausragende Stellung in der Gemeinde inne. Die Gemeindeverfassung regelte das jüdische Leben, u.a. wurden Zahlungen an die Gemeinde festgelegt. Als erstes gemeinsames Gotteshaus diente das ehemalige Klarissenkloster in der Glockengasse; 1807 war eine Synagoge in einem von Samuel Benjamin Cohen, dem Sohn des Hauptrabbiners, gekauften Haus in der Glockengasse eingerichtet worden. 1808 lebten bereits 133 Juden in Köln. Bis dahin bekleidete kein Jude ein öffentliches Amt. Napoleon schränkte 1808 durch das »Schändliche Dekret« die Rechtsgleichheit der Juden bei der Kreditvergabe und der Berufsausübung, speziell in Handel und Gewerbe, wieder erheblich ein. Jährlich mußten Juden den Präfekten um die Patentierung ihres Handels bitten, was nur bei positivem Leumund von Stadtrat und jüdischer Gemeinde gewährt wurde. Die Durchführung des Dekrets wurde in Köln großzügig gehandhabt; alle Juden erhielten das Patent. Dennoch blieben die Juden als einzige Gruppe Sondergesetzen unterworfen. Aber auch das »Schändliche Dekret« vermochte - vor allem während der preußischen Zeit - den wirtschaftlichen wie sozialen Aufstieg der Juden nicht aufzuhalten. Parallel zur Verwaltungsreform begann 1798 die grundlegende Reform des Rechtswesens, wobei am 1. September 1802 die Gerichtsverfassung in den rheinischen Departements eingeführt wurde. Die Rechtsprechung, bis dahin Teil der Verwaltung und mit 30 Gerichten völlig unübersichtlich geworden, wurde nun von der Verwaltung strikt getrennt. Damit wurden Richter in ihren Entscheidungen unabhängig und einer der zentralen Grundsätze moderner Rechtsstaatlichkeit verwirklicht. Gerichte für Zivil-, Straf-, Handels- und Gewerbesachen wurden eingerichtet, Schwurgerichte und Berufungsregelungen eingeführt, die Verfahren öffentlich und mündlich verhandelt. Dies stellten Garantien für die Gleichheit vor dem Gesetz dar; nicht mehr Person und Stand sollten eine Rolle spielen. Zur Rechtssicherheit trug bei, daß die Rechtsprechung nunmehr kodifiziert wurde und damit auch einklagbar war. Fünf große Gesetzbücher wurden erlassen: Zivilgesetzbuch (Code civil) (1804), die Zivilprozeßordnung (1806), Handelsgesetzbuch (1807), Strafprozeßordnung (1808) und Strafgesetzbuch (1810). Das wichtigste Gesetzbuch war der Code civil, häufig nach seinem Urheber auch »Code Napoleon« genannt. Er garantierte die Freiheit der Person und des blgentums, die Vertrags- und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit. Die feudalistisch beschränkte Eigentumsordnung hörte damit auf, jeder konnte über seinen Besitz frei verfügen.
Der Code civil garantierte auf den verschiedensten Feldern die Freiheitsrechte der Bürger, z.B. auch im Schuldrecht und im Erbrecht, und sicherte die sozialen Errungenschaften der Revolution. Allerdings war es ein Männer-Recht: die verheiratete Frau stand nach wie vor ganz unter der Vormundschaft des Mannes.
Das neue Rechtswesen war eine der größten Leistungen der Französischen Revolution und wurde bald auch in Köln wie im Rheinland populär. Nach 1815 wurde es als »rheinisches Recht« gegen Preußen verteidigt. Der Code civil blieb in Köln gültiges Recht bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches 1900 und in einigen Teilen bis zum 1. Juli 1969. Grundlegend veränderten sich durch die französische Herrschaft auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Seit der Aufhebung der Zünfte am 26. März 1798 herrschte Gewerbefreiheit. Damit brachen die festen, eingefahrenen zünftigen Strukturen auf, wirtschaftliche Initiative und Kreativität waren nunmehr gefordert und die Grundlage für die Ausbreitung neuer kapitalistischer Wirtschaftsstrukturen gelegt. Damit beendete die französische Zeit auch auf ökonomischem Gebiet das Mittelalter in Köln und schuf die Basis für den späteren wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt. Zudem konnten seit ihrer rechtlichen Gleichstellung Protestanten und Juden wirtschaftliche Aktivitäten entfalten und damit einen Beitrag zur Wirtschaftskraft Kölns leisten.
Dennoch kämpften die Kölner - im Gegensatz zu dem neuen ökonomischen Liberalismus - um ihre bisherigen Handelspri-vilegien. Es gelang ihnen, das alte Stapelrecht aufrechtzuerhalten und sogar einen Freihafen zugestanden zu bekommen, der, als er 1805 an der Frankenwerft fertiggestellt wurde, bereits wieder überholt war. Die Eingliederung in das französische Staatsgebiet hatte allerdings auch wirtschaftliche Nachteile: Seit dem 3. Juli 1798 wurde die französische Zollgrenze an den Rhein verlegt. Köln war somit zur Grenzstadt geworden. Den Kölner Handel beeinträchtigte dies erheblich: wichtige geschäftliche Verbindungen zum Bergischen Land wurden abgeschnitten, ohne daß der französische Markt dafür bereits Ersatz bot. Es blühte daher der Schmuggel, der so manchem der zahlreichen Erwerbslosen eine Chance bot, sich durchzuschlagen. Es kam aber auch dazu, daß Unternehmer, vor allem aus dem Textilgewerbe, ihre Produktionsstätten aus dem Rechtsrheinischen nach Köln bzw. ins linke Rheinland verlagerten. Die Baumwollspinnerei entwickelte sich stark. Eine weit in die Zukunft reichende Neuerung stellte auch der 1797 gegründete Kölner Handelsvorstand dar, der 1803 nach französischem Muster in eine Handelskammer umgewandelt wurde und sich zum wichtigen Faktor der städtischen Wirtschaftspolitik entwickelte. Für die Kölner Großkaufleute und Großgewerbetreibenden bildete dieses Gremium bald ein Instrument, ihre wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. Die Umstrukturierung des Kölner Wirtschaftslebens vollzog sich in einer außerordentlich schwierigen Zeit. Insofern bedeutet die Tatsache, daß es nicht zu einem Zusammenbruch der Wirtschaft kam und die Lage sich beruhigte, bereits einen Erfolg der französischen Wirtschaftspolitik. Nach der Entscheidung für die Annexion wurde versucht, die eroberten Gebiete wirtschaftlich zu stabilisieren und zu fördern. So erlebte das Manufakturwesen einen wirtschaftlichen Aufschwung: 1811 gab es in Köln 416 Manufakturbetriebe, in denen 13.704 Arbeiter beschäftigt waren. Rund 15 Millionen Francs machte bereits der Wert der Jahresproduktion aus. In der französischen Zeit ging zwar der Handel zurück und wuchs das Großgewerbe, aber dennoch blieb der Handel weiterhin das Rückgrat des Wirtschaftslebens und politisch gegenüber dem Großgewerbe bestimmend.
Die Politik der Französischen Revolution war durch einen schroffen antikirchlichen Kurs bestimmt, der in den ersten Jahren der Besatzung nicht voll in den besetzten Gebieten umgesetzt wurde. Aber auf Kirchen und Klöster wurde zunehmend Druck ausgeübt; von ihnen mußte ein großer Teil der Kontributionen erbracht werden. Verweigerte die Kirche die Zahlung, wurden Geistliche verhaftet. Die Franzosen nutzten Kirchen und Klostergebäude als Magazine, Kasernen und Pferdeställe. Der Dom wurde seit 1797 zum Lager für einige Tausend österreichische Kriegsgefangene, später zum Getreide-und Futterspeicher und zuletzt zum Pferdestall für die Armee umgewidmet. Schon 1795 wurde vereinzelt kirchlicher Besitz beschlagnahmt. Seit 1797 ging man dabei planmäßig vor, beginnend mit den Besitztümern des Jesuitenordens. Seit 1798 waren alle kirchlichen Handlungen wie Prozessionen, Wallfahrten und Beerdigungsriten außerhalb der kirchlichen Räume verboten. Religiöse Symbole mußten aus der Öffentlichkeit verschwinden, Geistlichen war es nicht mehr erlaubt, sich in ihrem Habit auf der Straße zu zeigen. Religiöse Orden durften seit Februar 1798 keine Novizen mehr aufnehmen. Durch die Eingliederung der linksrheinischen Gebiete in den französischen Staat und das Konkordat zwischen Frankreich und dem Vatikan von 1801 hörte das Erzbistum Köln links des Rheins auf zu bestehen, der Dom wurde einfache Pfarrkirche. Ein neues Bistum wurde in Aachen gebildet.
Am 9. Juni 1802 erfolgte nun der Hauptschlag: Ein Konsularbeschluß verfügte die Aufhebung der Stifte und Klöster und ihre Überfuhrung in Staatsbesitz. Jetzt sollte die bis dahin beherrschende Rolle der Kirche endgültig gebrochen werden. Der Beschluß traf das »heilige Köln« besonders hart, denn keine andere deutsche Stadt war so stark von Sakralbauten geprägt: 11 Stiftskirchen und 19 Pfarrkirchen, 19 Männer- und 39 Frauenklöster, außerdem 49 Kapellen. Auf 40.000 Einwohner kamen in Köln 2.500 bis 3.000 geistliche Personen. Erhalten blieben Köln vier Hauptpfarreien: St. Maria im Kapitol, St. Peter, St. Kolumba und der Dom mit einer Reihe von Nebenpfarreien. Mehrere Kirchen und andere sakrale Bauten wurden einfach abgerissen, andere umfunktioniert zu Lagern, Fabrikhallen oder ähnlichem. So wurde aus dem Dominikanerkloster (am früheren Hauptpostgebäude) eine Kaserne, aus dem Klarissenkloster (Schildergasse, Ecke Neumarkt) ein Gefängnis, aus dem Frauenstift St. Ursula eine Samt- und Seidenfabrik und aus dem Minoriten kloster eine Arbeitsanstalt. Die Säkularisation bedeutete sicherlich einen Verlust an Kunst- und Kulturgut und veränderte das Bild der Stadt. Doch sie hatte auch weitgehende sozialpolitische Auswirkungen: Hatte bislang zumeist die Kirche die große Zahl von Bettlern unterstützt, wurde dies nun zu einer städtischen Aufgabe; für die Armenverwaltung verwendete die Stadt bereits 1810 34% ihres Etats. Aber die Säkularisation schaffte auch die Voraussetzung zur wirtschaftlichen Entwicklung. Das expandierende Großgewerbe hatte nun die Möglichkeit, preiswert Gebäude zu erwerben und sie zu Produktionsstätten auszubauen. Vor allem die nach Köln ziehenden bergischen Unternehmer nutzten diese Chance. Besondere Gewissensskrupel hegten übrigens die Katholiken beim Kauf der säkularisierten Gebäude nicht: sie kauften den überwiegenden Teil, und nicht etwa - wie häufig behauptet wurde - Protestanten und Juden. Die Aufhebung der geistlichen Anstalten verlief ohne nennenswerten Protest, auch nicht von Seiten des deutschen Episkopats oder des Weltklerus. Offenkundig empfand man die Säkularisation als so zeitgemäß wie überfallig. Für Spekulanten jedenfalls war ein goldenes Zeitalter angebrochen; die von der Säkularisation betroffenen einfachen Mönche hingegen standen auf der Verliererseite und gerieten in bittere Not.
Auch das Bildungswesen wurde von Grund auf verändert. Die Kölner Universität wurde wie die anderen Universitäten im Rheinland am 28. April 1798 aufgelöst. Sie stand schon lange nicht mehr auf der Höhe ihrer Zeit, war auf ein mittelmäßiges Niveau herabgesunken und bekannt als ein Hort der Reaktion gegenüber Aufklärung und republikanischen Ideen. Eine Neubzw. Wiedergründung der Universität sollte erst 1917 wieder erfolgen. An die Stelle der Universität trat eine Zentralschule, die am 21. November 1798 im ehemaligen Jesuitengymnasium in der Marzellenstraße eröffnet wurde. Hier sollte nach einer Unterrichtsreform im Sinne der Aufklärung und der Französischen Revolution gelehrt werden. An der Schule wirkten so herausragende Gelehrte ihrer Zeit wie Wallraf, der Naturwissenschaftler Kramp und der Literaturhistoriker Friedrich Schlegel. 1804 wurde die Zentralschule nach einer erneuten Reform wieder abgeschafft und durch eine Sekundärschule ersetzt. Die Kölner bemühten sich intensiv um die Einrichtung eines Lyzeums, das zum Studium an einer Spezialschule etwa für Medizin oder Recht berechtigte. Diesen Wunsch trugen sie Napoleon bei seinem ersten Besuch in Köln 1804 vor. Allerdings erreichten sie nur einen halben Erfolg: Zwar wurde kein Lyzeum eingerichtet, dafür aber eine im gesamten französischen Staatsgebiet einmalige »Sekundärschule zweiten Grades«, die auch in Ethik, in philosophischen, mathematischen und physikalischen Fächern unterrichtete. Für diese Schule bürgerte sich bald die Bezeichnung Gymnasium ein. Die später geplante Gründung einer Akademie scheiterte vor allem am fehlenden Geld.
Anpassungsfähige Kölner
Den radikalen Wandel ihres Lebens haben die Kölner rasch akzeptiert. Nach der Änderung der französischen Politik gab es so gut wie keine Proteste gegen die Besatzungsmacht mehr. Groß war in Köln die Sympathie für Napoleon, der 1799 mit seinem Staatsstreich die Revolution beendet und sich am 2. Dezember 1804 selbst zum Kaiser der Franzosen gekrönt hatte. Die Begeisterung kannte keine Grenzen mehr, als Napoleon zusammen mit seiner Frau Josephine vom 13.bis 17.September 1804 zu einem Staatsbesuch in Köln weilte. Die Stadt war festlich geschmückt und erleuchtet, mit Glockengeläut und Kanonendonner wurde Napoleon empfangen, als er durch das Eigelsteintor einzog. Die Menschen ließen es sich nicht nehmen, die Pferde auszuspannen und selbst den Wagen bis zum Quartier des Kaisers zu ziehen. Am Abend des 14. September wurde eine großartige Illumination der Rheinufer mit Feuerwerk begangen. Transparente, Ehrensäulen und Inschriften wie »Napoleon ist da! Jauchzet, Uferbewohner!« huldigten dem Kaiser. Rufe »Vive l'Empereur« erklangen dort, wo Napoleon gesehen wurde. Die Feierlichkeiten wurden von Wallrar organisiert, der sich mittlerweile zum glühenden Napoleonverehrer gewandelt hatte und überschwengliche Lobgedichte auf den Kaiser verfaßte.
Napoleon war von der Begeisterung der Kölner so angetan, daß er ihnen ihr Stapelrecht bestätigte und Köln in die Reihe der »bonnes villes« (guten Städte) erster Ordnung aufnahm-Zudem sicherte er die Rückgabe zahlreicher Gebäude zu, die für kommunale Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser und Schlachthöfe benötigt wurden. Die Begeisterung der Kölner für Napoleon war schier unbegrenzt: So soll nur ein Kölner bei dem Plebiszit über die Erblichkeit des napoleonischen Kaisertums am 27. Mai 1804 mit »Nein« gestimmt haben. Feierlich begangen wurden jährlich mit Prozession und Umzügen am 15. August das »Fest des heiligen Napoleon«, das Napoleon eingeführt hatte, und am 6. Dezember der Krönungstag des Kaisers. Anläßlich der Geburt von Napoleons Sohn veranstalteten die Kölner einen feierlichen Umzug mit dem Stadtbanner durch die Stadt.
Napoleons zweiter Besuch in Köln vom 5. bis 7. November 1811 wurde zwar nicht mehr ganz so überschwenglich begangen, aber war immer noch triumphal. Mit seiner zweiten Frau Marie Louise wurde der Kaiser in dem prächtig hergerichteten Zuyderdyckschen Haus in der Gereonstraße untergebracht. Die armseligen Hütten in der Umgebung hatte man hinter Laubgewinden und Pflanzen versteckt. Bei einem Spaziergang, den er mit seiner Frau inkognito durch Köln machte, entdeckte Napoleon jedoch das Elend und beschloß, der Stadt die 12.000 Francs, die sein Empfang gekostet hatte, zur Verteilung an die Armen zu schenken.
So tiefgreifend der Wandel durch die französische Herrschaft auch war, die Sozialstruktur Kölns blieb im wesentlichen unangetastet. Der soziale Gegensatz war nach wie vor extrem: Etwa ein Prozent der von 40.000 auf 46.000 angestiegenen Bevölkerung zählte zur Oberschicht, zehn Prozent zur Mittelschicht und der Rest, also die große Mehrheit, zur Unterschicht. Vor und nach 1794 lag die wirtschaftliche und politische Macht in Köln bei einer kleinen Oberschicht, die sich allenfalls in ihrer Zusammensetzung leicht verändert hatte. Kölns Eliten hatten es - insbesondere nach dem Staatsstreich Napoleons - schnell verstanden, sich den veränderten Umständen anzupassen. Am bedeutsamsten war die wirtschaftlich starke Gruppe der Großkaufleute. Die Anzahl der Großkaufleute stieg von 250 am Ende der reichsstädtischen Zeit auf 416 im Jahr 1811.
Die Mittelschicht war vom sozialen Abstieg bedroht, da die Schutzfunktion der Zünfte verlorengegangen war. Die Auflösung der Zünfte und die Gewerbefreiheit führten zum Verarmen vieler Handwerker und Gesellen. Das Entstehen von Verlagen und gewerblichen Großbetrieben ließ viele Handwerker sozial herabsinken. Ein mittelständisches Unternehmertum gab es so gut wie nicht. Für den größten Teil der Bevölkerung hatte sich die wirtschaftliche und soziale Lage durch die Revolution nicht wesentlich verbessert. So war beispielsweise kein gerechteres Steuersystem eingeführt worden, obwohl die Jakobiner dies entschieden gefordert hatten. Im Kontrast zu der sehr kleinen Schicht sehr Wohlhabender zählte die große Masse der Einwohner zur Unterschicht. Etwa ein Drittel der Bevölkerung gehörte zu den Armen, den Tagelöhnern und Bettlern. Ihre Zahl war während der Franzosenzeit kaum gestiegen, aber ihre Zusammensetzung hatte sich geändert: neben Kranken und Alten wurden jetzt zunehmend ganze Familien als arm eingeschätzt und unterstützt. Die städtischen Arbeiter und Angestellten waren zumindest auf einem niedrigen Niveau sozial abgesichert: Sie waren kaum kündbar und bezogen im Krankheits- und Invaliditätsfall eine Unterstützung, die der Nachfolger auf einer Arbeitsstelle seinem Vorgänger bzw. dessen Witwe zu zahlen hatte.
Auch das Krankenhauswesen wurde der städtischen Verwaltung unterstellt. Seitdem der Staat die Zuständigkeit für die Hospitäler auf die Stadt übertragen hatte, waren diese praktisch Gemeindeanstalten geworden. Im großen Cäcilienstift, das Napoleon der Hospitalverwaltung schenkte, wurden Kranke untergebracht. In der Stolkgasse bestand ein eigenes Haus für Geisteskranke, das sogenannte Tollhaus oder »Hospital zu den vielen Heiligen«. Eine ordnungsgemäße und menschenwürdige Behandlung war in dem Gebäude allerdings nicht möglich, da die Räume feucht und dunkel sowie unbe-heizbar waren. In der Maximinenstraße befand sich das städtische Waisenhaus, das seit 1599 in Köln bestand. 1800 wurde das Haus in das ehemalige Arbeits- und Zuchthaus in die Wahlengasse verlegt.
Von herausragender Bedeutung für jene Zeit war der Aufbau wertvoller privater Kunstsammlungen. Durch die Säkularisation wurden Kunstwerke aus Klöstern und Kirchen in Hülle und Fülle angeboten und drohten zugrunde zu gehen. Kunstsammler wollten die der Kirche genommenen Schätze wenig stens in der Stadt erhalten. Aber die bedeutendsten Sammlungen gingen Köln verloren, pie Sammlung Wallrafs war nicht die wichtigste, hatte er doch relativ systemlos gesammelt, dem Zeitgeschmack verhaftet und den Wert der mittelalterlichen Kunst lange verkennend. Wallrafs Schenkung 1821 stellte die erste städtische Kunstsammlung auf deutschem Boden dar. Anfangs waren seine Schätze im alten Jesuitenkolleg an der Marzellenstraße untergebracht, nach seinem Tod im ehemaligen Kurfürstlichen Hof an der Trankgasse. Sie bildeten den Grundstock des 1861 fertiggestellen Wall-raf-Richartz-Museums. Die Sammlung des Barons von Hüpsch, d.i. Jean Guilleaume Fiacre Honvlez, ging nach Darmstadt, da in Köln weder Interesse noch Geld vorhanden war. Die Sammlung der Brüder Boisse-ree war von außerordentlichem Wert, da nach kunstwissenschaftlichen Kriterien nur das Beste erworben wurde; die Sammlung wurde aber an König Ludwig I. von Bayern verkauft und ist heute in der Alten Pinakothek in München zu bewundern. Auch die Sammlung von Franz Pick blieb nicht in Köln, sondern wurde 1819 in Bonn versteigert. Viele Dinge im alltäglichen Leben der Kölner wandelten sich. Zeitweilig hatten sie Kokarden zu tragen und sich mit »Bürger« anzureden. Sie mußten sich über mehrere Jahre mit dem ungeliebten Revolutionskalender abkämpfen, der die Monate in dreißig Tage und in drei Zehntagewochen unterteilte und neue Namen für Tage und Monate einführte. Das Dezimalsystem wurde bei der Reform der Münz-, Maß- und Gewichtsysteme zugrunde gelegt und die noch heute gültigen Maßeinheiten Meter, Hektarund Liter eingeführt. Selbst das Begräbniswesen ordneten die Franzosen neu: waren bislang die Bestattungen bei der jeweiligen Pfarrkirche erfolgt, so wurde 1810 mit dem Friedhof Melaten (auf dem Gelände der ehemaligen Leprosen-anstalt »zu den Maladen«) an der Aachener Straße eine zentrale Begräbnisstätte geschaffen. Seit 1813 wurden französi-she Bezeichnungen für Straßen und Plätze eingeführt. So wurde etwa aus der Krebsgasse die Rue de l'ecrevisse. Im Köl-ner Dialekt sind zahlreiche französische Bezeichnungen erhal-ten geblieben.
Die Kölner hatten sich im Lauf der Jahre an die französische Herrschaft gewöhnt. Besonders die wirtschaftlichen Eliten schlossen ihren Frieden mit den Franzosen. Wäre die französische Herrschaft von Dauer gewesen, so wären die Kölner höchstwahrscheinlich genau so gute Franzosen geworden wie es später die Elsässer wurden. Die Bewertung der französischen Zeit in Köln als einer Zeit drückender Fremdherrschaft stellt jedenfalls das Zerrbild späterer Jahrzehnte dar. Als im Januar 1814 die Franzosenzeit in Köln ihr plötzliches Ende fand, dürfte die zum Teil vorhandene anfängliche Erleichterung rasch wieder verflogen sein, denn angesichts des zunächst ungeliebten Preußen wurde die französische Zeit verklärt. An ein Zurück zu reichsstädtischen Zuständen, wovon Wallraf dachten ernsthafte Menschen jedenfalls nicht. Das Rechtswesen, der wirtschaftliche Strukturwandel, die Gemeindeverfassung und manches andere mehr blieben für viele Jahre erhalten und wurden gar nunmehr als französische Errungenschaften gegenüber den neuen Herren verteidigt. Napoleon-Bilder hingen häufig noch bis zur Gründung des Deutschen Reiches 1871 in Kölner Stuben.