Enttäuschte Hoffnungen und Kampf um Eigenständigkeit
Am Morgen des 14. Januar 1814 verließen die letzten französischen Soldaten Köln, anderntags rückten kampflos preußische und russische Truppen in die Stadt ein. Die Kölner, die noch am 6. Dezember 1813 mit großem Pomp den Krönungstag Napoleons gefeiert hatten, begrüßten die neuen Machthaber freundlich; hofften sie doch, daß Köln als die rheinische Metropole bei der Neuordnung der Verhältnisse im Rheinland eine führende Rolle spielen würde. Am 8. Februar 1815 erhielt Preußen auf dem Wiener Kongreß die Rheinlande zugesprochen. Köln war zu einer preußischen Stadt geworden. Ihre Hoffnungen sahen viele bestätigt, als der preußische König Friedrich Wilhelm III. am 5. April 1815 im sogenannten »Besitzergreifungspatent« den Rheinländern eine Verfassung und eine gesamtpreußische Repräsentation des Volkes sowie eine Vertretung der Provinzen versprach und zudem eine gerechte Verwaltung, wirtschaftliche Wohlfahrt, geringe Steuern und Militärlasten zusicherte.
Und dennoch stand man zunächst der preußischen Herrschaft skeptisch gegenüber. In Köln und im Rheinland herrschte die Überzeugung r, Preußen ökonomisch und politisch weit überlegen zu sein. Dieses kölnische Selbstwertgefühl drückte der Kölner Bankier Abraham Schaaffhausen in einem Ausspruch aus, der bald zum geflügelten Wort wurde: »Jesses, Maria, Joseph, do hierode mer ävver in en arm Famillich«. Die Kölner Gassenjungen riefen den Repräsentanten der neuen Ordnung hinterher: »Rote Kragen, nix im Magen./ Goldene Tressen, nix zu fressen./ Stinkpreuß'!«. Allgemein wurden die Preußen als »Litauer« beschimpft und der Gendarme als »Schnäutzerkowsky« zum Inbegriff der Obrigkeit. Der Gegensatz zwischen dem protestantischen und trotz Reformen absolutistisch regierten Preußen und der katholischen Bürgergesellschaft Kölns war denkbar schroff. Deutlich spürbar war auch die Abneigung gegen den preußischen Soldatengeist, gegenüber einem Staat, in dem das Militär eine dominierende Rolle spielte.
Bitter enttäuscht wurden allerdings die Erwartungen der Kölner, Köln würde die führende Rolle bei der Neugestaltung der Rheinlande spielen. Im Gegenteil: Köln sah sich stärker noch als zur Franzosenzeit übergangen und betrogen: Die Rheinische Universität kam 1818 nach Bonn - für die Kölner eine besonders schmerzliche Entscheidung, hatten sie sich doch seit der Schließung der Universität durch die Franzosen intensiv darum bemüht. Die Kunstakademie wurde 1819 in Düsseldorf errichtet. Das Oberpräsidium war 1822 nach Koblenz verlegt worden, nachdem Köln zunächst Sitz einer n zwei geschaffenen Provinzen im Rheinland gewesen war, bis diese 1822 zur Rheinprovinz zusammengelegt wurden. 1824 erhielt Düsseldorf den Sitz des neu geschaffenen Provinziallandtags. Köln blieb nur der Sitz des Regierungsbezirks und erhielt das rheinische Appellationsgericht, aus dem sich später das Oberlandesgericht entwickelte. Da mochte es nicht sonderlich trösten, daß 1821 das Erzbistum Köln wiederhergestellt wurde und 1825 mit Ferdinand August Graf Spiegel das Amt des Kölner Erzbischofs wieder besetzt war. Erfolgreich hingegen waren die Bemühungen der Kölner um den Erhalt einiger französischer »Errungenschaften«, die sie mittlerweile für unverzichtbar hielten. Bereits 1815 und 1817 wandte sich der Rat in Denkschriften an den König mit der Bitte, das Gute in der bisherigen Verfassung zu bewahren. Damit waren r allem das Rechtswesen, die Wirtschaftsstruktur und die Gemeindeverfassung gemeint. Insbesondere galt dies für die n den Franzosen eingeführte Rechtsordnung, die die Kölner als »rheinisches Recht« sich zu eigen gemacht hatten und nunmehr gegen das reaktionäre, aufständischen Unterschieden beruhende preußische System verteidigten. In ihrem Rechtssystem sahen die Kölner die bürgerliche Freiheit und Gleichheit aller Staatsbürger r dem Gesetz realisiert, gewährleistet durch die Öffentlichkeit des Verfahrens und die Einführung n Geschworenengerichten. Der Kampf um das Rechtswesen bildete daher auch den Kernpunkt der rheinischen Selbstbehauptung gegenüber dem preußischen Staat. Aber in diesem Kampf hatten die Kölner Erfolg: das französische Recht blieb bestehen; allerdings folgte ein langes Ringen um die Rechtsvereinheitlichung im preußischen Staat. Erhalten blieben auch die wirtschaftliche Gesetzgebung und bis 1845 die französische Gemeindeverfassung. Im wesentlichen fanden lediglich Umbenennungen statt: aus dem Maire wurde der Oberbürgermeister, aus den Adjunkten die Beigeordneten und aus den Munizipalräten die Stadträte. In preußischen Regierungskreisen hatte man die Probleme bei der Integration der Rheinlande in den preußischen Staat erkannt und war entsprechend klugerweise den Rheinländern in bestimmten Punkten entgegengekommen.
Reibungen und Klagen ergaben sich aber rasch dadurch, daß die neueingerichteten Verwaltungsstellen rnehmlich mit altpreußischen evangelischen Beamten besetzt wurden, um eine schnelle Eingliederung zu gewährleisten. Diese empfanden die Kölner als Fremde, die zu allem Überfluß auch noch die falsche Religion hatten. Auch bei den Preußen herrschte zunächst skeptische Zurückhaltung gegenüber den Kölnern und Rheinländern r. So wurde über den »lauen Charakter« der Kölner geklagt, denen »ein gemächliches Leben« liege und »die eigentliche Tatkraft« fehle, und zudem sei der Karneval eine »anomalische, in polizeilicher Hinsicht bedenkliche Volkslustbarkeit«. Zu einem entspannteren Verhältnis zwischen der Stadt und dem preußischen Staat trugen einige preußische Spitzenbeamte bei, die es geschickt verstanden, auch die stadtkölnischen Interessen zu vertreten. Zu ihnen zählten der erste preußische Oberbürgermeister Karl Josef n Mylius (n 1815 bis 1818), der Oberpräsident und gleichzeitige Regierungspräsident Graf Solms-Laubach (n 1815 bis 1817) und der Regierungspräsident Heinrich Delius (n 1825 bis 1832), der sogar eine gewisse Popularität erlangte.
Insbesondere halfen die preußischen Spitzenbeamten bei der Sanierung der zerrütteten städtischen Finanzen, wozu die Kölner unter dem schwachen Oberbürgermeister Johann Adolf Steinberger, der n 1823 bis 1848 dieses Amt ausübte, alleine nicht in der Lage waren. Oft genug klagte die Regierung darüber, daß die Kölner Stadtverwaltung es nicht vermochte, einen ordnungsgemäßen Haushalts aufzustellen. Als mit der neuen preußischen Zoll- und Steuerpolitik 1819 die Verbrauchssteuer für die Stadt wegfiel, gestaltete sich die städtische Finanzlage katastrophal - ganz im Widerspruch zu den llmundigen Versprechungen des Königs, die Stadt finanziell nicht zu belasten. Jährlich war ein Verlust n 100.000 Talern zu beklagen. Die Stadt schob lange Jahre einen großen Schuldenberg r sich her; eine eigenverantwortliche Stadtpolitik war nicht möglich. Der Staat mußte für die Stadt Tilgungspläne für die Schulden aufstellen und ihr mit Finanzspritzen unter die Arme greifen. Der Streit um die Steuerfrage beherrschte jahrelang die Diskussion.
Bedeutende Verdienste erwarb sich der preußische Staat durch die Reform des Bildungswesens, das in Köln Schulrat Karl Friedrich August Grashof n Grund auf erneuerte. Schon 1815 wurde im alten Tricoronatum die Zentralschule in ein Gymnasium umgewandelt, das spätere Marzellengymnasium, 1825 folgte das evangelische Gegenstück, das spätere Friedrich-Wilhelm-Gymnasium. Den modernen Ausbildungserfordernissen der industriellen Entwicklung entsprach die n Grashof auch gegen das Berliner Kultusministerium durchgesetzte Gründung der »Höheren Bürgerschule« unter dem Protektorat der Stadt Köln, die für die Ausbildung n Kaufleuten und Gewerbetreibenden sorgte. Hieraus entwickelte sich das Gymnasium und Realgymnasium in der Kreuzgasse. 1833 wurde die Provinzial-Gewerbeschule, das heutige Humboldt-Gymnasium, eingerichtet, die als lateinlose Realschule ihr Schwergewicht in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern hatte.
Besonders dringend war eine grundlegende Reform des Volksschulwesens, die Grashof auch gegen den Widerstand der Stadt und der Unternehmer in jahrelangen Bemühungen durchsetzte. Die gesetzlich rgeschriebene Schulpflicht stand lange Zeit nur auf dem Papier. 1815 gingen mehr als die Hälfte aller Jungen und Mädchen nicht zur Schule, nochjahre später waren es immer noch ein Drittel (1823: 9.000 schulpflichtige Kinder). Dafür waren soziale Gründe verantwortlich: das extreme Ausmaß der Kinderarbeit und das Schulgeld, das für viele Arme unerschwinglich war. Nur mühsam konnten die Unternehmer dazu verpflichtet werden, die Arbeitszeiten n in Fabriken arbeitenden Kindern so zu verkürzen, daß wenigstens abends n sechs bis acht Uhr der Besuch der Abendschule möglich wurde. Noch 1850 war es nicht durchsetzbar, die Arbeitszeit für Kinder bis fünf Uhr nachmittags zum Zwecke des Schulbesuchs herabzusetzen. Erst 1853 wurde durch Gesetz die Arbeitszeit n Kindern unter vierzehn Jahren auf sechs Stunden beschränkt und der tägliche Schulunterricht auf drei Stunden festgelegt. 1854 war schließlich die allgemeine Schulpflicht prinzipiell verwirklicht. Erst allmählich wurde Kindern armer Eltern, die kein Schulgeld zahlen konnten, der Schulbesuch ermöglicht. In den Pfarrschulen gab es allerdings schulgeldbefreite Kinder, sogenannte Freischüler, zunächst 10%, um 1850 ein Drittel der Schüler. Da angesichts der hohen Anzahl n Armen dies bei weitem nicht ausreichend war, wurden Armenschulen geschaffen. Doch hier konnte sich nur eine drittklassige Bildung entwickeln. Riesige Klassen n 400 Schülern wurden n einem Lehrer und einer Lehrerin unterrichtet. Im dürftigen Unterricht der schlecht bezahlten Lehrer ersetzte der Rohrstock pädagogisches Können. Aber immerhin bedeuteten die Armenschulen einen wichtigen Schritt zur Verwirklichung der allgemeinen Schulpflicht. In den 1840er Jahren erhielten jetzt knapp 12.000 Kinder Unterricht in 30 Pfarrschulen, 12 Tagesarmenschulen, 5 Armen-Mädchenschulen der Frauenvereine und der Industrieschule. 1858 gab es etwa 7.000 Freischüler in Pfarrschulen und auf Armenschulen, etwa die Hälfte aller Schüler. Besonders notwendig war eine stark verbesserte Lehrerausbildung, da bislang Lehrer ohne fachliche Ausbildung unterrichteten. Auch Frauen wurden bereits zu Lehrerinnen ausgebildet. Seit 1828 erhielten Lehrer feste, wenn auch sehr kleine Bezüge und waren nicht mehr auf schwankende Schulgeldzahlungen angewiesen.
Entscheidend für die Stadtentwicklung des nächsten Jahrhunderts wurde es, daß mit dem Einzug der Preußen die umfas-
sende Militarisierung Kölns begann. Köln wurde zur größten Festungsstadt des preußischen Westens ausgebaut, zur Frontstadt gegen das bald zum Erzfeind erklärte Frankreich. Schon 1815 hatte der preußische König in seinem Patent das gesamte Rheinland als »Vormauer der Freiheit und Unabhängigkeit Deutschlands« bezeichnet. Das Wort n der »Wacht am Rhein« kam auf. Gräben r der Stadt wurden neu ausgehoben, die mittelalterliche Mauer instandgesetzt, die Torburgen zu Kasematten und die säkularisierten Klöster und Stifte zu Kasernen und Militärmagazinen umgewandelt. Mitten in der Stadt, am Neumarkt, wurde eine Kaserne errichtet. Etwa 700 Meter r der mittelalterlichen Stadtmauer entstand ein Ring n elf Forts, zwischen denen sich zusätzliche kleinere Erdbefestigungen, sogenannte Lünetten, befanden. Vor den Forts wurde das notwendige Schußfeld, die sogenannten »Rayons«, eingerichtet. Die Bebauung des ersten Rayons, etwa 600 Meter r den Forts, war verboten, im zweiten Rayon, 400 Meter r dem ersten, waren nur Wohn- und Wirtschaftsgebäude in leichter Bauweise zulässig.
Juli-Revolution - Kölner Ereignis - Verfassungsfragen
Die Kölner lernten bald: Preußen bedeutete nicht allein Militarisierung, sondern auch politische Reaktion: die polizeiliche Überwachung und Bespitzelung von Vereinen und Versammlungen, die Verfolgung der Opposition, Unterdrückung von Streiks mit Hilfe von Polizei und Militär, politische Zensur. 1817 erschien die Kölnische Zeitung aus Protest gegen die Pressezensur unter der Überschrift »Deutschland« mit einer leeren Titelseite. In Köln wurde Polizeipräsident von Struensee zur verhaßten Symbolfigur der Reaktion. Er bediente sich ei-nes großen Netzes von Spitzeln, um Oppositionelle oder solche, die er dafür hielt, zu überwachen. Ein prominentes Opfer der sogenannten Demagogenverfolgung wurde Ernst Moritz Arndt, der 1820 seine Bonner Geschichtsprofessur verlor.
Die politische Unterdrückung, die vor allem seit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 einsetzte, wurde durch die Ereignisse von 1830 noch verstärkt. Mit der Juli-Revolution von 1830 ging nochmals von Frankreich eine revolutionäre Bewegung aus, die in ganz Europa tiefe Spuren hinterließ: in Frankreich kam der »Bürgerkönig« Louis Philippe von Orleans an die Macht, in Belgien entstand ein unabhängiges Königreich, in Polen wurde - unter großer Anteilnahme der liberal-demokratischen Kräfte in Europa - ein demokratisch-revolutionärer Aufstand von Rußland mit preußischer Hilfe niedergeschlagen. Die Juli-Revolution führte überall in Deutschland zu Unruhen. Köln erlebte einen größeren Aufruhr, in dem sich die wachsende Unzufriedenheit der ärmeren Bevölkerung entlud. Zwei Tage lang kam es zu Unruhen und Menschenaufläufen, aber ohne Ausschreitungen. Polizeipräsident von Struen-see wurde, von einer Katzenmusik begleitet, aus der Stadt getrieben und später nach Breslau versetzt. Die wohlhabende Bürgerschaft fürchtete Übergriffe. Eine von ihr gebildete Bürgerwehr und das preußische Militär stellten rasch wieder »Ruhe und Ordnung« her.
Auch wenn die Unruhen schnell niedergeschlagen wurden, offenbarte sich doch die Aufbruchstimmung und die Politisierung im Lande. Sichtbar wurde sie bald im Hambacher Fest von 1832, das eine machtvolle Kundgebung für Freiheit, De mokratie und nationale Einheit war. Als einziger Kölner scheint nurjakob Venedey am Hambacher Fest teilgenommen zu haben. Es gärte politisch: Revolutionäre Geheimbünde entstanden, Vereine wurden gegründet, die aber zumindest nach außen unpolitisch sein mußten. Die Antwort des Staates darauf bestand in einer neuen Welle von Verboten, Zensur, Kontrolle von Universitäten bis zur bekannten Amtsenthebung der »Göttinger Sieben«. Gerade Preußen ging dabei besonders reaktionär vor. In Köln führte der Verfolgungswahn der Behörden dazu, daß eine aufgedeckte angebliche Verschwörung sich als Seifenblase erwies und die Behörden sich kräftig blamierten.
Bald beherrschte eine andere Auseinandersetzung das politische Klima in der Stadt: der erste große Konflikt zwischen preußischem Staat und katholischer Kirche. Er entzündete sich an der Frage der konfessionellen Mischehen, deren Zahl durch den Zuzug evangelischer Beamter stark angestiegen war. Die katholische Kirche hatte die kirchliche Einsegnung gemischter Ehen von der Zusage der katholischen Taufe und der katholischen Erziehung der Kinder abhängig gemacht. In Preußen hatte sich aber die Praxis eingebürgert, Kinder nach der Religion des Vaters erziehen zu lassen. Erzbischof Graf Spiegel hatte dies in einem geheimen Abkommen mit dem preußischen Staat akzeptiert. Dies widersprach eindeutig der katholischen Lehre, wie sie im Konzil von Trient festgelegt worden war. Der Nachfolger des 1835 verstorbenen Spiegel, Clemens August Droste zu Vischering, entschied zunächst wie sein Vorgänger, weigerte sich aber dann, diese Praxis fortzusetzen. Dies führte zum ernsten Konflikt mit dem Staat: Am 20. November 1837 wurde der Erzbischof durch Militär verhaftet und auf die Festung Minden gebracht. Dieser spektakuläre Akt ist als »Kölner Ereignis« in die Geschichte eingegangen. Jahrelange Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Staat folgten. In In- und Ausland rief dies großes Aufsehen hervor, mehrere hundert Flug- und Streitschriften behandelten das Thema. Aber das »Kölner Ereignis« führte zu einem unerwarteten Ergebnis: Aufgrund der staatlichen Pressionen erwachte der deutsche und kölnische Katholizismus zu einem gemeinsamen politischen Bewußtsein. Daran hatte vor allem einer der bekanntesten Publizisten Deutschlands, Josef Gör-res, großen Anteil. Er entfachte mit seiner 1838 veröffentlichten Schrift »Athanasius« eine heftige Polemik gegen die preußische Politik. Zum ersten Mal wurde dabei die Macht der Presse deutlich.Der Streit endete mit einem Kompromiß, der die kirchlichen Rechte weitgehend wahrte, den Erzbischof aber nicht in sein Amt zurückkehren ließ. Die Position der katholischen Kirche war gestärkt, sie hatte sich gegen staatliche Eingriffsmöglichkeiten erfolgreich verteidigt. Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat entkrampfte sich in den folgenden Jahren nur sehr allmählich. Der Thronwechsel 1840 zu König Friedrich Wilhelm IV. machte vielen Hoffnungen auf ein besseres Verhältnis zwischen Staat und Kirche. Als Versöhnung von Thron und Altar wurde vielfach das glanzvolle nationale Fest der Grundsteinlegung zum Weiterbau des Kölner Domes am 4. September 1842 verstanden. Aber drei Jahrzehnte später sollte dieser Konflikt wieder - und zwar um so heftiger - ausbrechen.
Jahrelang beschäftigte sich in Köln wie im gesamten Rheinland die Öffentlichkeit sehr lebhaft mit Verfassungsfragen: der Unmut über das nichteingehaltene Verfassungsversprechen des Königs war groß und führte zu Spannungen zwischen dem liberalen Bürgertum und dem preußischen Staat. Es ging dabei auch um regionale Eigenständigkeit gegenüber der Zentrale, um die Demokratisierung der Gesellschaft und des Staates. Die Forderung nach dem Verfassungsstaat ließ sich nur noch mühselig unterdrücken. Die 1824 geschaffenen Provinzial-landtage enttäuschten das liberale Bürgertum, weil sie keine Volksvertretung darstellten und weder über Entscheidungs-noch über Kontrollrechte verfügten, sondern ständisch zusammengesetzte Gremien waren, in denen der Landadel dominierte und ein Großteil der Bevölkerung vom Wahlrecht ausgeschlossen war. Die Liberalen nutzten aber das Forum des Landtags zur Verbreitung ihrer Ideen. 1826 gehörte dem ersten Landtag als Kölner Abgeordneter der damals führende Unternehmer und Vizepräsident der Handelskammer, Peter Heinrich Merkens, an; später war der führende Kopf des rheinischen Liberalismus, Ludolf Camphausen, Abgeordneter des Provinziallandtags und 1847 auch für Köln im Vereinigten preußischen Landtag.
Trotz jahrelanger Repression, trotz enttäuschter Hoffnungen in den Verfassungsfragen änderte sich allmählich die Einstellung der Kölner gegenüber Preußen zum Positiven hin. Deutlich wurde dies 1840: Das Nationalbewußtsein erwachte, als Frankreich während der orientalischen Krise Anspruch auf das linke Rheinufer erhob. Der Kölner Gerichtsassessor Nikolaus Becker dichtete das mit großer Begeisterung aufgenommene nationalistische Lied, »Colonaise« genannt, in dem es hieß: »Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein«.
Wirtschaftliche und soziale Lage
In den Jahren der preußischen Herrschaft veränderte sich das Stadtbild Kölns grundlegend. Noch bis in die I830erjahre war Köln eine Gartenstadt: Die Wohnhäuser verfugten in der Regel über einen eigenen Blumen- und Nutzgarten. Es gab eine Fülle von ausgedehnten Obst- und Weingärten und an der Peripherie umfangreiche Gemüsegärten, die ehemaligen Stifte St. Severin, Pantaleon, Mauritius und Gereon lagen inmitten umfangreicher Grünanlagen. Etwa 30 zum Teil bepflanzte Plätze, selbst große Landgüter befanden sich in der Stadt. 1801 war bereits im ehemaligen Jesuitenkolleg ein botanischer Garten eingerichtet worden und 1827 der Stadtgarten als erste Erholungszone außerhalb der Mauern entstanden, dem mehr als drei Jahrzehnte später Zoo und Flora in Riehl folgten. Bevorzugtes Freizeitvergnügen waren ein Spaziergang auf dem bepflanzten Festungsglacis (Erdaufschüttung vor einem Festungsgraben) oder ein Ausflug zum Werthchen, der Insel und späteren Halbinsel vor dem heutigen Rheinauhafen mit englischem Garten und Cafe-Restaurant.
Der Landwirtschaft kam im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts immer noch eine beachtliche Bedeutung zu. Ackerland befand sich außerhalb der Mauern der Stadt. Da die Landwirt-Schaft für eine Stadt einen erstaunlich bedeutsamen Wirtschaftszweig darstellte, hatten Mißernten ernsthafte Auswirkungen: regelrechte Hungersnöte brachen aus. So war es schon 1816/17 zu einer großen Hungersnot gekommen, die nur durch großzügige Weizenlieferungen der neuen preußischen Herren behoben werden konnte. Weitere Hungersnöte entstanden Mitte der vierziger Jahre - ausgelöst durch Mißernten und Massenarbeitslosigkeit infolge der allgemeinen Wirtschaftskrise.
Gegen Ende der 1830er Jahre entfaltete sich eine erste rege Bautätigkeit in Köln, durch die sich das Kölner Stadtbild grundlegend wandelte. Der Charakter einer Gartenstadt verschwand. Nunmehr wurden sogar große Hofgüter in kleine Grundstücke aufgeteilt und bebaut; so beispielsweise 1838 der mehr als sechs Morgen große Hof Benesis zwischen Neumarkt und Hahnentor. Straßen wurden angelegt bzw. verbreitert. Das bauliche Bild Kölns prägten seit 1821 Regierungsbaumeister Matthias Biercher und Stadtbaumeister Peter Joseph Weyer sowie seit 1835 Ernst Zwirner als Dombaumeister und zudem einige ausgezeichnete freiberuflich tätige Architekten wie Hermann Otto Pflaume oder Friedrich Schmidt. Die preußische Herrschaft machte für Köln eine Reihe von Bauten im militärischen und öffentlichen Bereich notwendig-Zunächst wurden neben den übrigen militärischen Anlagen zwei neue Kasernen gebaut, am Neumarkt und am Rheinufer in Deutz. Seit Mitte der 1820erjahre entstanden u.a. der großartige Bau des Gerichtsgebäudes am Appellhofplatz, danach das 900 Zuschauer fassende Theater in der Komödienstraße, das Regierungsgebäude in der Zeughausstraße und das Casi-nogebäude am Augustinerplatz. Die Zahl der Wohnhausneubauten stieg von 92 im Jahre 1837 auf 428 im Jahre 1845. Seit 1822 waren die beiden Rheinufer durch eine dauerhaft angelegte Schiffsbrücke verbunden. Durch die rasch wachsende Dampfschiffahrt gewann der Rhein als Verkehrsader an Bedeutung.
In diesem ersten Bauboom hatten auch die Spekulanten Hochkonjunktur. Das Bankhaus Schaaffhausen spielte dabei eine zentrale Rolle. Als 1846 das Spekulationsfieber zusammenbrach und eine Baukrise folgte, mußte die Bank die Zahlungen einstellen. Auf Anregung von David Hansemann und Gustav Mevissen wurde das Unternehmen in die erste preußische Aktienkreditbank umgewandelt, die später einen entscheidenden Beitrag zur Industrialisierung des Rheinlandes leistete.
In den ersten Jahrzehnten der preußischen Herrschaft wuchs die Kölner Bevölkerung überdurchschnittlich rasch: 1850 war sie mit fast 100.000 Menschen bereits doppelt so groß wie 1816. Das starke Bevölkerungswachstum verschärfte die sozialen Probleme in der Stadt. Köln konnte sich als Festungsstadt nicht ausdehnen, sondern nur zusammenrücken. Die Wohnverhältnisse wurden katastrophal: Die schmalen kleinen Reihenhäuser, wegen ihres kleinen Grundstücks auch »Kölner Handtuch« genannt, wurden nunmehr von mehreren Familien bewohnt, Zimmer und sogar Betten vermietet und Hinterhäuser gebaut. In Köln war die Armut traditionell schon sehr groß: 1817 waren von den 49.000 Einwohnern bis zu 19.000 tägliche Almosenempfanger. In den vierziger Jahren entstanden aber eine Massenverarmung und ein Massenelend, wie es sie vorher noch nicht gegeben hatte. Dieses als Pauperismus (pauper = arm) bezeichnete soziale Elend war auf dem platten Land noch ausgeprägter und gipfelte schließlich im schlesi-schen Weberaufstand von 1844 und in der schweren Wirtschafts- und Agrarkrise der Jahre 1846 bis 1848. Aber auch im Rheinland kam es im Tuchgewerbe zur Maschincnstürmerei.
Die beginnende Industrialisierung hatte viele Heimweber und ihre Familien ins Elend gestürzt, da sie keine neue Arbeit in den Fabriken fanden.
Die Krise hatte ein verheerendes Ausmaß angenommen. Über die Hälfte der Bevölkerung dürfte am Rande des Existenzminimums gelebt haben. Viele hungerten, eine große Zahl verhungerte. Die Sterberate stieg in Preußen um ein Viertel. Dieses Massenelend war Ausdruck der vorindustriellen Zeit. Starkes Bevölkerungswachstum gepaart mit industrieller Rückständigkeit, ließ den Pauperismus entstehen, da die traditionelle Wirtschaft nicht imstande war, dem Anstieg der Bevölkerung auch einen Anstieg an Erwerbsmöglichkeiten entgegenzustellen. Erst durch die Industrialisierung in den folgenden Jahrzehnten konnte der Pauperismus überwunden werden. Soziale Unruhen bis hin zu Hungersnöten waren die Folge von Wirtschaftskrise, Lohnverfall und Mißernten. Armut und Unterernährung führten häufig zu Epidemien wie Typhus und Cholera, Tuberkulose war weit verbreitet. 1819, 1830, 1849 sowie 1866/67 starben besonders viele Menschen in Köln an Epidemien. Bei Choleraepidemien starben 1849 in Köln 1.274 und 1866/67 861 Menschen.
Dieses Massenelend ermöglichte es den Unternehmern, die Arbeitsbedingungen, Arbeitszeit und Arbeitslohn, zu diktieren. Arbeitszeiten bis zu 13, 14, ja bis zu 17 Stunden unter schlechtesten, gesundheitsgefährdenden und streng reglementierten Bedingungen wurden üblich ebenso wie sinkende Löhne, die knapp an der Grenze zum Existenzminimum lagen. Sonntagsarbeit war die Regel. Krankheit und Unfall waren gleichbedeutend mit Not und Elend; Alter bedeutete Armut, da es keinerlei Vorsorge gab. Die Löhne reichten nicht zum Lebensunterhalt einer Familie aus; die zusätzliche Arbeit von Frauen und Kindern wurde notwendig für das Überleben. Die weit verbreitete Frauenarbeit diente auch dazu, die Löhne zu senken, die tatsächlich in den vierziger Jahren noch weiter sanken. Denn Frauen wurden sehr viel schlechter bezahlt als Männer: in der Regel erhielten sie nur 50 % des Lohnes eines Mannes. Kinderarbeit war sehr verbreitet. Kinder erhielten ihrem Alter entsprechend nur rund 10 °/o des Lohns des Mannes bis maximal zur Höhe des Lohns der Frau.
Welch extremes Ausmaß die Kinderarbeit angenommen hatte, zeigen die sehr spät erfolgten gesetzlichen Maßnahmen. Kinder arbeiteten ab vier Jahren und hatten im allgemeinen die gleichen Arbeitszeiten wie die Erwachsenen, nur mit größeren Pausen, die teilweise für Schulunterricht genutzt wurden. Der preußische Staat griff erst sehr spät und sehr zurückhaltend ein - und nicht aus humanitären Gründen: Erst 1839 kam es zur ersten Arbeitsschutzmaßnahme - aus Sorge um den Bestand der preußischen Armee, der nicht mehr genügend kräftige Soldaten zur Verfügung standen. Kinder durften nun in Fabriken und Bergwerken nur noch ab neun Jahren beschäftigt werden, Nacht-, Sonntags-und Feiertagsarbeit wurden verboten und eine immerhin maximal zehnstündige Arbeitszeit festgelegt. Erst ein weiteres preußisches Gesetz aus dem Jahre 1853 verbot Kinderarbeit in Fabriken unter 12 Jahren und begrenzte die Arbeitszeit bis zum 14. Lebensjahr auf sieben Stunden. Bis 1840 mußten über 1.500 Kölner Kinder in rund 50 sogenannten »Wirkschulen« arbeiten, wo sie eine »Ausbildung« im Stricken und Spitzenklöppeln erhielten. Dem Kölner Waisenheim war eine Arbeitsanstalt angeschlossen, in der Spielsachen produziert wurden. Noch 1850 waren im Tabakgewerbe rund vierzig Prozent der Beschäftigten Kinder. Kinderarbeit in Köln war noch bis nach 1870 in bestimmten Gewerbezweigen durchaus üblich.
Ein gemeinsames Bewußtsein über ihre Lage hatten die Arbeiter allerdings noch nicht; man sprach nicht von Arbeiterklasse, sondern von einander getrennten »arbeitenden Klassen«. Die Herausbildung des Klassenbewußtseins ist denn auch eng an die volle Industrialisierung geknüpft, die durch die Ausbreitung von Fabriken vergleichbare Lebens- und Arbeitsbedingungen schuf. Lebte die Arbeiterschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts insgesamt in bedrückenden Verhältnissen, so dürfen die Unterschiede innerhalb der Arbeiterschaft selbst nicht übersehen werden: Zwischen Gelernten und Ungelernten, deren Lage jedoch noch besser war als die der Heimarbeiter, war ebenso zu unterscheiden wie zwischen Tagelöhnern und in dauerhafteren Arbeitsverhältnissen Beschäftigten, von den Unterschieden zwischen Männern, Frauen und Kindern ganz zu schweigen. Ein einheitliches Bewußtsein ließ sich so nicht entwickeln, ebensowenig wie ein sich daraus ergebender organisierter Protest. Die Arbeiterschaft war nicht nur wirtschaftlich ausgebeutet und sozial benachteiligt, sondern politisch rechtlos. Der Staat untersagte das Koalitionsrecht: Streng verboten war es, sich in Parteien oder Gewerkschaften zu organisieren. Streiks waren ebenso untersagt wie die Bildung von Arbeitervereinen. Die Arbeiter waren bloßes Objekt von Unternehmern und Staat. Solidarisches Handeln und politische Aktion ließen sich daraus nicht entwickeln.
Bis 1850 gab es in Köln keine nennenswerte Industrialisierung. Ohnehin setzte die Industrialisierung in Deutschland relativ spät ein und entwickelte sich langsam; vor allem England war weit voraus. Die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, das Ausscheiden aus dem französischen Staat und die ausländische Konkurrenz infolge der neuen Zollpolitik wirkten sich negativ auf die Kölner Wirtschaft aus. Die Baumwollspinnerei und die Samt- und Seidenproduktion gingen fast ein, die Textilindustrie unterlag ohnehin einem starken Schrumpfungsprozeß, auch die Tabakindustrie erreichte die frühere Bedeutung nicht mehr. Aber bescheidene Anfange der Industrialisierung kündigten sich an. Die erste Dampfmaschine in preußischer Zeit - die einzige in französischer Zeit eingesetzte Dampfmaschine war seit 1815 nicht mehr in Betrieb - wurde seit 1828 bei der Getreidemühle der Gebrüder Ja-cobi eingesetzt. Bis 1846 folgten weitere 25 Dampfmaschinen in Köln. Herrschte bis in die 20er Jahre noch der Kleinbetrieb vor, entstanden seitdem vermehrt Manufakturen. Zu den ersten vorindustriellen Gründungen zählten: der in den 20er Jahren entstandene Industriezweig der Zuckersiedereien; der Mürbebäcker Franz Stollwerck begann mit seiner Produktion; die 1820 gegründete Firma Feiten & Guilleaume stellte seit 1838 Drahtseile für den Bergbau her; 1843 nahm Ferdinand Kohlstadt als einer der ersten deutschen Unternehmen in Köln die Herstellung von Gummiband auf; in den 1830er und 1840er Jahren wurden in Köln und seinen Vororten mehrere Eisengießereien und Maschinenwerkstätten gegründet; die Firma van der Zypen & Charlier betrieb bereits seit 1845 in Deutz Waggonbau.
Noch 1845 verdiente fast ein Drittel der 35.000 Erwerbstätigen ihren Lebensunterhalt im Handwerk (11.000), während in Großgewerbe und Industrie und bei Handel, Banken und Versicherungen jeweils rund 4.000 (ca. 12%) beschäftigt waren. Nach der Statistik arbeiteten immerhin 5.800 als »Gesinde«, 5.000 als Handarbeiterund Tagelöhner. Immerhin lebten aber auch 1.500 Kölner damals als »Rentiers« ausschließlich von ihrem Vermögen.
Der Handel bildete aber nach wie vor das Rückgrat der städtischen Wirtschaft. Auch als das Stapelrecht 1831 auslief, konnte der Handel sich im Eigenhandel neue Felder erschließen, die mit zunehmender Industrialisierung noch wichtiger wurden. Technische Umwälzungen förderten den Handel. Die Dampfschiffahrt machte in den 30er und 40er Jahren große Fortschritte. 1816 legte das erste Dampfschiff in Köln an; 1825 fand mit dem in Köln weilenden König Friedrich Wilhelm III. die erste Fahrt mit einem Dampfschiff bis nach Koblenz rheinaufwärts statt. Die 1826 gegründete »Preußisch-Rheinische Dampfschiffahrts-Gesellschaft« ermöglichte einen starken Aufschwung des Fremdenverkehrs, und die 1841 die »Rheinische Eisenbahngesellschaft« gegründet worden. 1839 konnte die erste Teilstrecke von Köln nach Müngersdorf eröffnet, 1841 die Strecke Köln-Aachen fertiggestellt werden. Die 1843 gegründete »Köln-Mindener Eisenbahngesellschaft« schuf Verbindungen ins Ruhrgebiet und in den Norden. Mit der Ausdehnung des Eisenbahnnetzes nach 1850 nahm der Warenverkehr stark zu.
Politisches Klima am Vorabend der Revolution
Das politische Klima in Köln war lange von Spannungen zwischen liberalem Bürgertum und preußischem Staat beherrscht. Das gebildete und wirtschaftlich aufstrebende Bürgertum vertrat eine Reformbewegung, die grundlegende Änderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft anstrebte. Auch wenn der rheinische und kölnische Liberalismus von Angehörigen des Großbürgertums wie den Unternehmern und Großkaufleuten Hansemann, von der Heydt, Camphausen und Mevissen repräsentiert wurde, vertrat er das Programm einer breiten bürgerlichen Mehrheit. Zum Bürgertum wurden auch Handwerksmeister und Kleinhändler gerechnet. Durchaus erfolgreich waren die Bemühungen der Liberalen beim Kampf um das »rheinische Recht« und bei der 184S erlas-
senen »Gemeindeordnung für die Rheinprovinz«. Sie löste die französische Mairieverfassung ab. Die Gleichstellung von Stadt und Land blieb erhalten. Immerhin wurden die Gemeinderäte jetzt nicht mehr ernannt, sondern gewählt, wenn auch nach einem strengen Zensus. Die (Ober-)Bürgermeister wurden weiter vom Staat berufen. Sie hatten wie bisher die alleinige Vollzugsgewalt. Der Rat besaß demgegenüber lediglich eine beratende Funktion. Der Gemeinderat stellte aber kein demokratisch gewähltes Gremium dar. Es wurde ein strenges Dreiklassenwahlrecht eingeführt, das den größten Teil der Bevölkerung vom Wahlrecht ausschloß, weil es das Wahlrecht von hohen Steuerleistungen abhängig machte. Lediglich rund 5% der männlichen Bevölkerung konnten in den 40er Jahren wählen. Frauen verfugten weder über das passive nach das aktive Wahlrecht. Die Wahlberechtigten wurden je nach Steuerleistung in drei Klassen aufgeteilt, die jeweils ein Drittel der Stadtverordneten stellten, aber eine sehr unterschiedliche Anzahl von Wahlberechtigten hatten. So konnten in Köln zum Beispiel in den drei Klassen nur 533,1.262 und 2.304 Personen von insgesamt 83.195 Einwohnern an den Stadtratswahlen teilnehmen. Dennoch bedeutete selbst dieses reaktionäre Dreiklassenwahlrecht den Beginn einer Stärkung des politischen Einflusses des Stadtrats.
Für die Politisierung der Bevölkerung spielten in diesen Jahren auch die Zeitungen eine wichtige Rolle. Die »Kölnische Zeitung« war seit 1839 die einzige in Köln erscheinende Tageszeitung, nachdem ein Konkurrenzblatt an den Buchhändler DuMont Schauberg verkauft worden war. Die Monopolstellung der »Kölnischen Zeitung« war der preußischen Regierung ein Dom im Auge. Das Blatt, das überregionale Bedeutung erlangte, galt in den Augen der Berliner Zentrale als katholisch-klerikal, auch wenn es während der Kölner Wirren eher eine vermittelnde Position einnahm. Die Regierung befürwortete daher auch die Gründung einer weiteren Zeitung. Als »Rheinische Allgemeine Zeitung« erschien dieses Blatt aber nur ein gutes Jahr und mußte Ende 1841 wegen finanzieller Verluste sein Erscheinen einstellen.
Die Lizenz an der Zeitung wurde an einen Kreis von jüngeren Männern verkauft, die zu den Junghegelianern zählten und nun zum ersten Mal in Preußen eine Zeitung als Aktiengesellschaft gründeten: die »Rheinische Zeitung«. Sie erschien am 1. Januar 1842 zum ersten Mal. Aktien der »Rheinischen Zeitung« hielten fast alle namhaften Kölner. Treibende Kräfte waren zum einen der Gerichtsassessor Georg Jung, der mit einer Tochter des Bankiers Stein verheiratet war und zum anderen der sozialistische Journalist Moses Heß. Sie gewannen u.a. Gustav Mevissen und Dagobert Oppenheim für eine finanzielle Unterstützung. Mitte Oktober 1842 übernahm ein 24jähriger, frisch promovierter Philosoph namens Karl Marx die Redaktion. Aus Zensurgründen trat er formell niemals als Chefredakteur in Erscheinung.
Marx stellte in seinen Artikeln praktische soziale Probleme in den Mittelpunkt und kritisierte anhand von konkreten politischen Tagesfragen die bestehenden Verhältnisse und den preußischen Staat. Er begann mit mehreren Artikeln über die unterdrückte Pressefreiheit, die er als ein unverzichtbares Grundrecht bezeichnete. Mit einer Artikelserie über den Holzdiebstahl machte er auf die bittere Not der Bauern und Landarbeiter aufmerksam, die aufgrund ihres Elends gezwungen waren, Holz zu stehlen. Marx empörte sich darüber, daß der Rheinische Landtag den Holzdiebstahl in Zukunft mit Gefängnis bestrafen wollte. Lebhaft kritisierte Marx in Artikeln über die elende Lage der Winzer an der Mosel die sozialen Mißstände, prangerte das Versagen der Behörden an und forderte die allgemeine Volksvertretung mit Budgetrecht. Für Marx stellte sein Aufenthalt in Köln einen wichtigen Wendepunkt in seinen politischen und theoretischen Anschauungen dar. Er beschäftigte sich mit konkreten, materiellen Dingen, die in seinem bisherigen Studium der Philosophie nicht vorgekommen waren. In der sozialen Frage sah er das zentrale Problem der Zeit und erkannte im Gegensatz zu Hegel, daß angesichts dieses sozialen Elends der Staat nicht die Verkörperung der Vernunft und sittlichen Idee sein könnte. Zum ersten Mal wurde bei Marx die Ökonomie in den Mittelpunkt gerückt. In Köln begann Marx sich mit Kommunismus und Sozialismus zu beschäftigen; er las die Werke französischer Sozialisten wie Proudhon. Dazu angeregt wurde er sicherlich auch durch Diskussionen im sogenannten Montagskränzchen, das jeden Montag im Hotel Laacher Hof zusammen kam. Marx nahm daran teil, zumal er zeitweise in dem Hotel wohnte. Weitere Teilnehmer waren unter anderem Karl d'Ester, Moses Heß, Gustav Mevis-sen, Fritz Anneke, Ignatz Bürgers und Georgjung. Das Montagskränzchen bildete die Keimzelle der späteren Gemeinde des Bundes der Kommunisten in Köln.
Die »Rheinische Zeitung« wurde bald wegen ihrer radikalen Kritik am preußischen Staat und ihres hohen Niveaus überregional beachtet. Bekannte Köpfe der Zeit schrieben in der Zeitung: neben Marx Moses Heß, Friedrich Engels, Julius FrÖbel, Georg Herwegh, Gustav Mevissen. Marx gelang es, die Auflage der »Rheinischen« von 800 Exemplaren im August 1842 in wenigen Monaten bis Januar 1843 auf 3.400 Abonnenten zu steigern. Damit trug er wesentlich zur Politisierung der Öffentlichkeit bei. Der Erfolg der Zeitung und die zunehmende Radikalität und Kritik an der Regierung riefen in Berlin und anderswo die Zensoren verstärkt auf den Plan. Die kritischen Artikel von Marx über die Moselbauern brachten das Faß zum Überlaufen: König Friedrich Wilhelm IV. sprach seinen höchsten Unwillen über diese Zeitung aus und war besonders über ihre Feststellung empört, »in der Zensur liege sicherlich die tiefste Unsittlichkeit«. Die Zeitung wurde zum Ende des Quartals verboten. Marx trat am 17. März 1843 aus der Redaktion der »Rheinischen Zeitung« aus und ging nach Paris. Schon die Behandlung der sozialen Probleme in der »Rheinischen Zeitung« führte zu einer Differenzierung der Opposition und zur beginnenden Abgrenzung zu fuhrenden Liberalen, die ja auch Unternehmer waren. Deutlich wurde dies bei der Gründung des Lokalvereins zum »Wohle der arbeitenden Klassen« im November 1844. Ins Leben gerufen wurde er vom Montagskränzchen, das sich zum Kreis Kölner Sozialisten und Kommunisten entwickelte, nachdem die Liberalen sich 1844 allmählich zurückgezogen hatten. Die Diskussion über den Charakter des Vereins offenbarte die Gegensätze im oppositionellen Lager. Zunächst waren Vertreter aller Klassen beteiligt: Unternehmer, Beamte, Militär, Handwerker und Arbeiter. Aber an der Frage, ob der Verein ein reiner Wohltätigkeitsverein oder auch ein Bildungsverein sein sollte, schieden sich die Geister. Auch Ludolf Camphausen, der Präsident der Kölner Handelskammer und führende Liberale Kölns, hatte sich zunächst beteiligt, zog sich aber bald zurück. Der Verein, in dem schließlich Sozialisten, Kommunisten und Demokraten zusammenarbeiteten, nannte sich um in »Allgemeiner Hilfs- und Bildungsverein (für Köln und Deutz)«. Vom gleichen Kreis von Demokraten wurde im März 1845 der »Verein zur Abhülfe augenblicklicher Noth« gegründet. Der Verein richtete eine Suppenanstalt im Haus Friesenstraße 1 ein, wo täglich kostenlos im Durchschnitt 3.000 Portionen Suppe verteilt wurden. Ende 1847 wurde dem Verein jede weitere Tätigkeit untersagt. Die Armen-verwaltung hatte mittlerweile ähnliche Aufgaben übernommen, verteilte die Suppen aber nicht kosten los. In einem merkwürdigen Kontrast zu dem sozialen Elend stand der Besuch Friedrich Wilhelms IV. und der jungen Queen Victoria im Sommer 1845: Eine Rheinillumination zu Ehren der Gäste kostete die stolze Summe von 6.000 Talern.
Die wirtschaftliche und soziale Krise jener Jahre ließ eine poli-tisch brisante Lage entstehen. Ein Vorbote der kommenden Revolution von 1848 waren die blutigen Zwischenfalle am 3. und
4. August 1846 während der Martinskirmes: Das preußische Militär wurde aus nichtigem Grund -Jugendliche hatten verbotenerweise Feuerwerkskörper geworfen - von der Polizei um Hilfe gerufen und ging unverhältnismäßig brutal gegen die Menschenmenge vor. Mehrere junge Leute wurden verletzt und der Faßbindergeselle Statz von einem Polizisten und einem Soldaten derart mißhandelt, daß er seinen Verletzungen erlag. Die Empörung in der Bevölkerung darüber war groß. Ein Untersuchungsausschuß unter der Leitung des linken Demokraten und Zigarrenhändlers Franz Raveaux deckte Mißstände auf.
Daß sich politisch einiges bewegte, zeigte sich auch bei den Gemeinderatswahlen vom Sommer 1846, bei denen es den Sozialisten gelang, den Arzt Karl d'Ester in der dritten Klasse durchzubringen. Er setzte im Rat auf eine Zusammenarbeit mit den Demokraten unter Führung Raveaux'. Die sozialistische Richtung formierte sich. Frühestens im September 1847 gab es in Köln eine Gemeinde des Bundes der Kommunisten. Jetzt traten im Kreis der Kölner Demokraten und Sozialisten stärker sozialistisch orientierte Personen in den Vordergrund wie der Armenarzt Dr. Andreas Gottschalk und der ehemalige Offizier August von Willich.
Eine bedeutende Rolle spielte auch Friedrich Anneke, der 1846 auf Betreiben des Königs aus der preußischen Armee entlassen worden war und 1847 eine Anstellung bei der Colonia-Feuerversicherung gefunden hatte. Im Juni 1847 hatte er Mathilde Franziska Giesler, geschiedene Tabouillot, geheiratet. Ihr Haus Am alten Ufer 5/7 wurde zum Treffpunkt für Intellektuelle und Demokraten. Dort verkehrten Freiligrath, Her-wegh und Gottschalk, war Bakunin zu Gast. Zweimal in der Woche kam das »Kränzchen« zusammen; es wurde diskutiert, gelesen und gesungen. Mathilde Franziska Anneke war die treibende Kraft dieses Kreises, der sich abwechselnd bei ihr und ihrer Freundin Emma Bunteschuh traf. Aus diesem Kreis entstand «ine neue kommunistische Gruppe. Am Vorabend der Revolution herrschte eine kritische Stimmung und dominierten Demokraten und Sozialisten die öffentliche Meinung.
Wenn auch Opposition sich formierte, darf nicht außer Acht gelassen werden, daß die Kolner sich mittlerweile mit den neuen Herren arrangiert hatten. Die Integration Kölns in Preußen war rascher gelungen, als Kölner und Preußen erwartet hatten. Erstaunlich schnell waren die tiefgreifenden Gegensätze in politischen, rechtlichen, konfessionellen, wirtschaftlichen und mentalitätsgeschichtlichen Bereichen eingeebnet oder ausgeräumt worden. Die Kölner waren so rasch gute Preußen geworden, wie sie zuvor gute Franzosen geworden waren.