Einen der sieben schönsten Blicke der Welt nannte Alexander von Humboldt die Aussicht von der Glienicker Brücke. Er, der in der Welt viel herumgekommen war, mußte es wissen. Der Blick, den Humboldt genoß, läßt sich heute nur bedingt nachvollziehen. Kurfürst Friedrich Wilhelm ließ in den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts eine 300 Fuß lange Holzbrückc mit einer Ziehvorrichtung über die Hal bauen, um von Potsdam aus das nahegelegene Jagdschloß Glienicke schneller erreichen zu können. 1777 ersetzte eine neue Konstruktion die alte Brücke, die dem stark angewachsenen Verkehr auf der Berlin Potsdamer Landstraße nicht mehr gewachsen war. Nach Plänen von Schinkel entstand 1831-34 eine repräsentati, 565 Fuß lange Steinbrücke mit zehn überwölbten Öffnungen und einer hölzernen Zugbrücke als Schiffsdurchlaß. Ihre heutige Gestalt als Eisenkonstruktion bekam die Brücke 1906/07.
Für Jahrzehnte ermöglichte die Brücke die kürzeste Verbindung zwischen Berlin und Potsdam, ehe sie am 28. April 1945 vor den heranrückenden sowjetischen Truppen gesprengt wurde. Eine hölzerne Notbrücke rband die beiden Halufer, bis am 19. Dezember 1949 die Stahl-brücke wieder dem Verkehr übergeben werden konnte. Der Name, den ihr die damalige brandenburgische Landesregierung gab, war noch Programm: »Brücke der Einheit«, die politische Entwicklung indes eine andere.
Schon Ende der fünfziger Jahre durfte die Brücke im wesentlichen nur noch von alliierten Militärangehörigen und einem kleinen Personenkreis mit Sondergenehmigung passiert werden. Seit dem 13. August 1961 umfaßte der Kreis der Passanten nur noch Mitglieder der alliierten Militärmissionen, die in Potsdam akkreditiert waren, aber in West-Berlin wohnten, ab Nomber 1985 auch in Ost-Berlin akkreditierte Diplomaten. Als Nahtstelle zwischen den Weltmächten trat die Glienicker Brücke mehrfach aufsehenerregend in Erscheinung. Der Kulisse eines Agenten thrillers ähnelte die Brücke, als im Morgennebcl des 10. Februar 1962 zwei Limousinen, von beiden Ufern kommend, in der Brückenmitte nebeneinander hielten und die Passagiere die Wagen wechselten. Es handelte sich um den sowjetischen Spion Oberst Rudolf Iwanowilsch Abel und den US-Piloten Francis Gary Power, die hier ausgetauscht wurden. Power war zwei Jahre zuvor bei Swcrdlowsk mit einem Spionagc-Flugzeug vom Typ U-2 abgeschossen worden, was eine internationale Krise ausgelöst hatte.
Und ein letztes Mal setzte sich die Drehscheibe für den ost-westlichen Agentenhandel in Bewegung, als am 11. Februar 1986 fünf Ost-Spione auf der einen, zwei West-Spione und der sowjetische Bürgcr-rechtler Anatolij Schtscharanskij auf der anderen Seite aus der Haft entlassen wurden. Derartige Aktionen regten Schriftsteller wie John Le Carre dazu an, die Glienicker Brücke zum Schauplatz von Spionageromanen zu machen.
Die Trennung von Ost und West: An kaum einer anderen Stelle wurde sie so deutlich und so schmerzhaft empfunden wie hier. Für die Bürger beider deutscher Staaten war an der Glienicker Brücke, über deren Mitte die »Staatsgrenze« rlief, die Welt zu Ende. Als am Abend des 9. Nomber 1989 die Brücke aus einem 28jährigen Dornröschenschlaf erwachte, gab es kein Halten. Zehntausende waren unterwegs, oft um nur einmal schnell den Fuß auf das andere Halufer zu setzen. Heute markiert die Mitte der Brücke nur noch die Grenze zwischen Berlin und Potsdam.