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Entlang der Saale

Entlang der Saale

Die malerischen Ufer der Saale nannte 1848 ein Professor sein Buch über eine Reise entlang der Saale n ihrer Quelle im Fichtelgebirge quer durch Thüringen bis zu ihrer Mündung zwischen Dessau und Magdeburg in die Elbe. Reizlle Bilder bestätigen, daß dieser Fluß tatsächlich viele malerische Partien aufwies, und unwillkürlich fällt einem dabei das 1826 entstandene Lied "An der Saale hellem Strande ein, das n Burgen, Rittern und Wanderern singt. Längst ist die alle Romantik vergangen, ist an der unteren Saale eine durch die chemischen Werke geprägte bedrückende Industrielandschaft entstanden, ist dort der Fluß verschmutzt und vergiftet. Aber wenigstens gehört das thüringische Saaletal zwischen Saalfcld im Süden bis etwa Bad Kosen nahe der Unstrut-Mündung immer noch zu den schönsten Flußlandschaften in ganz Deutschland.

Und es ist gar nicht so schwierig, ihr zu folgen, da die Fernstraße an ihrem Ufer entlang trotz des zunehmenden Verkehrs immer noch zu einer besinnlichen Fahrt einlädt. Die Vielfalt der Landschaft und die Spuren der Vergangenheit unmittelbar am Fluß selbst und im Hinterland lohnen die Reise. Wir beginnen sie bei Saalfeld im Süden, dort wo der Fluß das Gebirge verläßt und in einen Talkessel eintritt, der sich zum Thüringer Becken hin öffnet. Ein Blick auf die Karte zeigt dabei die verkehrstechnisch günstige Lage gleichermaßen am Schnittpunkt n Fcrnhandelswegen wie auch an der Übergangsstelle zwischen Gebirge und Ebene. Das nutzte der Ort Saalfeld seit dem hohen Mittelalter, dazu kamen Erträge aus den nahe gelegenen Kupfer- und Silberbergwerken. Nur politisch konnte er sich nicht frei entfalten, gehörte bald diesen, bald jenen Herren, den Grafen n Schwarzburg, den Wettincrn, den Herzögen n Sachsen-Saalfeld, deren Residenz die Stadt sogar n 1735 bis 1826 war, und schließlich den Herzögen n Sachsen-Meiningcn. Dabei blieb es bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ein richtiges Klein-städlchen mit nicht einmal 7000 Einwohnern, erst dann begann im Zuge der Industrialisierung ein wirtschaftlicher Aufstieg.



Noch ist die Stadtbefestigung mit ihren vier Toren und der Mauer gut erhalten; das spätgotische Rathaus am Markt, die Sladtkirchc St. Johannes, eine der schönsten gotischen Hallenkirchen Thüringens, und das Schloß lohnen schon die Besichtigung und den Spaziergang durch das Städtchen, r allem aber auch ihr altes Wahrzeichen, der "Hohe Schwärm, die Ruine eines mittelalterlichen Wohnturms, in dem einmal die Vögte residierten. Natürlich werden Kenner nicht versäumen, das "Loch zu besuchen, zählt es doch zu den ältesten Gaststätten Thüringens, und der Saal, in dem die Irinkfreudigen Zünfte ihre Gelage hielten, ist noch in seinem ursprünglichen Zustand erhalten. Kein Wunder, daß Saalfeld den Beinamen "Steinerne Chronik Thüringens erhielt.

Und wer dazu noch ein besonders schönes Naturdenkmal sehen möchte, wird unbedingt auch die Feengrotlen besuchen. Diesen werbewirksamen, romantischen Namen haben die Saalfelder den 1911 in einem ehemaligen Alaunschiefcrbcrg-werk entdeckten Tropfsteinhöhlen gegeben. Die Oxydation hat dort die Minerale in den Tropfstein-Kalkzapfen verfärbt und wunderbare Gebilde geschaffen, die als "Venezianische Grotte oder "Märchendom angepriesen und natürlich auch alljährlich n hunderttausenden Besuchern bewundert werden.
Wer einmal alle Burgen des Saaletals besuchen und darüber genau Buch führen möchte, darf notieren, daß in Saalfeld neben dem Hohen Schwärm und dem Stadischloß noch das Renaissanceschlößchen Kitzerstein und ein weiteres Schlößchen im Ortsteil Obernitz zu besuchen sind, und vermerken, daß die etwas weiter östlich gelegenen Schlösser wie Könitz, Ranis und Brandenstein erst auf der Fahrt in das Land zwischen Saale und Elster behandelt werden. Auf dem Weg saaleabwärts beachtet der Autoreisende meistens gar nicht das kleine Monument am Straßenrand nördlich n Saalfeld, das auch die meisten Reiseführer nicht erwähnen. Es erinnert an den Prinzen Louis Ferdinand n Preußen, der hier in der Nähe am 10. Oktober 1806 bei einem Gefecht gegen die anrückenden Franzosen tödlich verwundet wurde. Seine Schwester hat es 1823 nach Plänen n Schinkel errichten lassen.

Bald kommt auf der Weiterfahrt die nächste Burg in Sicht. Es ist die Ruine Greifenstein hoch über Bad Blankenburg. Bedeutsamer als sie aber ist für uns die Stadt selbst, genauer gesagt ein Bürger dieser Stadt. Friedrich Fröbel wurde 1782 in dem etwas südwestlich gelegenen Oberweißbach geboren. Der gelernte Forstmann verschrieb sich früh schon der Pädagogik, traf als Sechsundzwan-zigjähriger in der Schweiz mit Heinrich Pestalozzi zusammen, dessen Ideen er übernahm. Er widmete seine Aufmerksamkeit besonders den Kindern im rschulpflichtigen Alter und gründete 1837 in Blankenburg den ersten Kindergarten in Deutschland. So wie Salzmann seinerzeit in Schnepfenthal, so war auch Fröbel seiner Zeit mit seinen pädagogischen Ideen weit raus. "Kommt, laßt uns unseren Kindern leben! war sein auch heute noch beherzigenswerter Wahlspruch. Fröbel beschränkte sich nicht allein auf die Arbeit im Kindergarten. Da er die Wichtigkeit der familiären Erziehung für den Lebens- und Bildungsweg der Kinder erkannte und richtig einschätzte, ließ er n Blankenburger Handwerkern "Spielgaben, einfaches Spielzeug wie Kugel, Walze, Würfel, fertigen und verschickte sie mit eigenen Gebrauchsanleitungen. Die Blankenburger wissen, was sie seinem Andenken schulden. Sein Bildnis grüßt n einer Bronzetafel am Rathaus, und zu seinem 200. Geburtstag entstand in der Stadt 1982 ein Fröbel-Muscum. Eine Mitarbeiterin beschrieb später den Tageslauf im ersten Kindergarten:

"Mit großer Freude wurde auch n Fröbel bei den Bewegungsspielen jedes neue hinzukommende Kind aufgenommen, begrüßt und ihm ein Platz im Kreise angewiesen. Dem neu hinzugekommenen Kinde gehörte dann seine ganze Aufmerksamkeit. Er beobachtete das Kind unausgesetzt, um zu erforschen, welchen Eindruck der Eintritt in einen solchen geschlossenen Kreis, welchen Eindruck der Gesang, die Bewegungen, das ganze Spiel auf das neue Kind herrbringen werde. Bei solchen Gelegenheiten übergab er die Leitung des Spiels einem anderen und verließ den Kreis, um sich entweder hinter das Kind zu stellen und auf seine Stimme zu lauschen oder sich ihm gegenüber aufzustellen und seine Mienen zu beobachten. So sehe ich ihn immer noch r mir, als eines Tages die zwei kleinen Söhne des Holelwirts Weise, Leon-hard und Oskar, in den Kindergarten traten und der ältere, Leonhard, im Namen der Mutter kindlich freundlich um Aufnahme in den Kindergarten bat und der kleine, Oskar, herzig zu ihm aufschauend, fragte: ,Ich auch?' Man sah Fröbel an, wie ihm die Kinder wohlgefielen und wie er n den Kindern und ihrem artigen Benehmen zurück auf Mutter und Elternhaus schloß. Als sich die beiden Knaben in den Kreis gestellt hatten und beide gleich fröhlich und mutig mitspielten, holte Fröbel einen nach dem anderen n uns Erwachsenen zu sich, um uns auf die Kinder aufmerksam zu machen. Namentlich gefiel ihm der kleine blonde Krauskopf Oskar, der unbekümmert um jede Melodie laut und fröhlich in die Welt hineinsang, mochte es zur gegebenen Melodie stimmen oder nicht. Seine helle, liebliche Stimme entzückte Fröbel über alle Maßen und er konnte uns nicht genug darauf aufmerksam machen, wie geeintes Kinderspiel und Gesang andere Kinder anziehe und wohltätig auf sie wirke.

Von Bad Blankenburg aus lohnt sich der Abstecher das Schwarzatal aufwärts nach Schwarzburg, dem Sitz des gleichnamigen thüringischen Grafengeschlechts. Was heute eine Autofahrt n wenigen Minuten ist, bedeutete im 19. Jahrhundert noch ein touristisches Erlebnis, und der aus Gali-zien stammende Schriftsteller Karl Emil Franzos hat in seine "Reise- und Kulturbilder eine idyllische Schilderung seiner Eindrücke n Schwarzburg aufgenommen:
"Als bei der Einfahrt in den Schwarzburger Bahnhof der Regen wie eine Wand r dem Coupefenster stand, flüchtete ich unter aufgespanntem Schirm auf den Bahnsteig. Er war ganz menschenleer; nur der junge Stationschef mit roter Mütze, dem man sofort den ehemaligen Offizier ansah, ging händereibend auf und nieder, denn für einen Augusttag war's recht empfindlich kühl. Das Züglein glitt weiter, der Beamte wollte in seinem Büro verschwinden, da fragte ich ihn, ob es hier keine Omnibusse gebe. .Freilich', erwiderte er, ,aber wo stecken die Kerels? Die sind in diesem sojenannten Sommer Jäste jar nich mehr je-wohnt! He, Wirtschaft!' und darauf erschienen wie auf einen Zauberruf zwei Kutscher in triefenden Mänteln, der eine lang und dünn, der andere kurz und dick, und erhoben bei meinem Anblick ein betäubendes Gebrülle. .Thüringer Hof!' schrie der Dicke, .Weißer Hirsch!' der Dünne. Dem übergab ich meinen Koffer und fragte, ob ein Zimmer mit der Aussicht auf die Hirschwiese frei sei. Er bejahte, und die Konkurrenz bestätigte liebenswürdig: .Fünfzig solche Zimmer können sie dort haben, aber Hirsche - hehe!' Es war ein wahrhaftig diabolisches Lachen, das aber der ,Weiße Hirsch' durch eine vernichtende Außerung über die Kost des .Thüringer Hofs' in ein Wutgeheul verwandelte, worauf wir als Sieger abfuhren.

Es ist ein langer Weg, denn der Bahnhof liegt hoch oben auf einer Berghalde, das Hotel aber auf dem Schloßberg, und so führt die Straße in Windungen hinunter und dann wieder empor. Da rechts und links nichts zu sehen war als die nassen Schutzdecken des Omnibus, so knüpfte ich ein Gespräch mit dem Kutscher an. Ob die Saison gut sei? Sehr gut, versicherte er, obwohl diesmal die Stammgäste fast ganz fehlten, ,denn die Leipz'ger haben noch mit dem Krach z'schaffen und die Holländer tun alles Geld dene Buren geben. Aber wir sind ja's feinste Haus in Thüringen, da darf's nimmer ll sein. Ja, wenn wir jeden nehmen täten wie der >Thüringer Hof< - die nehmen sogar Engländer!' - ,Ihr nicht?' - ,Wenn sie kommen täten', erwiderte er stolz, .würden wir sie abweisen tun, aber der >Weißc Hirsch< ist für die Buren, das weiß die ganze Welt, seit die Königin Wilhelmina hier war, und da fragen sie nich erst an!' Dann erzählte er n dem Aufenthalt der jungen Fürstin; die Wahrheit zu sagen, hat ihm nicht so sehr ihr Trinkgeld als ihr Wuchs imponiert Während er so loslegte, verstummte er plötzlich, hielt die Pferde an und zog den Hut: uns überholte eben ein reitendes Paar, der Fürst und die Fürstin n Schwarzburg-Rudolstadt. Da sie auf Schloß Schwarzburg hausen, so bin ich ihnen seither fast täglich begegnet; er ein stattlicher, freundlicher Herr, immer in derselben Uniform, sie eine schlanke Dame, immer im selben Reitkleid. Man kann sich ein schlichteres Auftreten kaum denken. Kurz, nachdem ich den Herrscher des Ländchens zuerst gesehen, wurde ich n dem Gebieter des ,Weißen Hirsch' in seinem Audienzsaal, dem Vestibül des Gasthofs, empfangen. Ich bat um ein Zimmer mit Aussicht; .sie bekommen eines nach rn heraus', lautete die Entscheidung. Als ich nun dieses Zimmer in Begleitung eines Adjutanten des Gebieters betrat, konnte ich mich überzeugen, daß es wirklich eine Aussicht hatte: trunken schweifte mein Blick über den Biergarten des .Thüringer Hof; das Postgebäude im Hintergrunde war auch recht malerisch. Ich wandelte den Korridor auf und nieder; dabei konnte ich, da die Zimmertüren offen standen eine Reihe hübsch möblierter Zimmer sehen, aus deren Fenster sich ein prächtiges Waldbild bot. ,Die Zimmer sind wohl alle besetzt?' fragte ich eine würdige Greisin, die eben mit Staubtuch und Besen herankam, worauf diese Seniorin aller mitteleuropäischen Stubenmädchen seufzend erwiderte: ,1 du meine Güte -merschtentels nich! Sic müssen nor natürlich feste drufdrücken, denn sie geben doch natierlich lieber zuerscht nor die Stuben nach rn naus wech!' Da ersuchte ich nochmals um eine Audienz nach, drückte aber nicht feste, sondern erklärte nur: ,Wenn ich das Postgebäude allein bewundern darf, so will ich's doch wenigstens in seinem ganzen Reiz genießen; ich glaube, m >Thüringer Hof< macht es sich noch malerischer', worauf ich ein Zimmer nach hintenhinaus bekam, etwas hoch zwar, aber ein schönes Zimmer mit Balkon und herrlicher Aussicht auf Wald und Wiese.

1943 hatte man begonnen, das prachtll auf einem Bergkegel über dem Tal gelegene Schloß des Grafen auf Befehl Hitlers in ein "Reichsgästc-haus umzubauen, der fortschreitende Krieg unterbrach die Pläne, und zurück blieb eine Bauruine, die bisher nur zum geringen Teil renoviert wurde. Aber der schöne wiederhergestellte Kaisersaal mit seiner vierseitigen Kuppel und den Kaiserbildnissen n Cäsar bis Karl V. läßt vielleicht hoffen.
Vor der Rückkehr ins Saaletal nach Rudolstadt lohnt sich noch der kleine Abstecher n Schwarzburg nach Paulinzella. Das Kloster wurde n Benediktinermönchen aus Hirsau gebaut und 1124 eingeweiht. Vierhundert Jahre lang bis zur Reformation war es geistiger und wirtschaftlicher Mittelpunkt dieses Raumes, über hundert Orte waren ihm zinspflichtig. Seit dem 17. Jahrhundert setzte der rasche Verfall ein, die verlassenen Gebäude dienten als billiger Steinbruch, und übrig blieben nur ein paar Ruinen, die heute nach der sorgfälligen Restaurierung in den sechziger Jahren zu den schönsten Zeugnissen romanischer Baukunst in ganz Thüringen gehören. Schiller halte Paulinzella schon während seines Rudolstädter Aufenthalts 1788 besucht und wurde n den damals noch romantischer als heute wirkenden Ruinen zu seinem Gedicht "Im Kloster Paulinzelle angeregt:

"Einsam steh'n des öden Tempels Säulen,
Efeu rankt am unverschlossnen Tor,
Sang und Klang verstummt, des Uhu Heulen
Schallet nun im eingestürzten Chor.
Weg sind Prunk und alle Herrlichkeiten,
Schon enteilt im langen Strom der Zeiten,
Bischofshut mit Siegelring und S
In der Vorwelt ewig offnes Grab.
Nichts ist bleibend, alles eilt n hinnen,
Jammer und erhörter Liebe Glück;
Unser Streben, unser Hoffen, Sinnen,
Wichtig nur auf einen Augenblick;
Was im Lenz wir liebell umfassen,
Sehen wir im Herbste schon verblassen,
Und der Schöpfung größtes Meisterstück
Sinkt veraltet in den Staub zurück.

Obzwar die Ruinen sozusagen nur einen Katzensprung n Ilmenau entfernt liegen, hatte sich Goethe lange Zeit überhaupt nicht für sie interessiert und war erst n dem jungen Franzosen Sul-piz Boisseree auf ihre Schönheit und Bedeutung aufmerksam gemacht worden. Deshalb unternahm er an seinem 68. Geburtstag 1817 zum ersten Mal einen Ausflug nach Paulinzella und vermerkte dann in seinen "Tag- und Jahresheften:
"Seit vierzig Jahren zu Wagen, Pferd und Fuß Thüringen kreuz und quer durchwandernd, war ich niemals nach Paulinzelle gekommen, obgleich wenige Stunden dan hin und her mich bewegen. Es war damals noch nicht Mode, die hiesigen Ruinen als höchst bedeutend und ehrwürdig zu betrachten, endlich aber mußte ich so viel dan hören, die einheimische und reisende junge Welt rühmte mir den großartigen Anblick, daß ich mich entschloß, meinen diesjährigen Geburtstag, den ich immer gern im Stillen feierte, einsam dort zuzubringen. Ein sehr schöner Tag begünstigte das Unternehmen, aber auch hier bereitete mir die Freundschaft ein unerwartetes Fest. Oberforstmeister n Fritsch hatte n Ilmenau her mit meinem Sohn ein frohes Gastmahl veranstaltet, wobei wir jenes n der Schwarzburg-Rudolstädtischen Regierung aufgeräumte Bauwerk mit heiterer Muße beschauen konnten.

Von hier führt der Weg über Bad Blankenburg wieder zurück in das Saaletal nach Rudolstadt, die ehemalige Residenz des Fürstentums Schwarz-burg-Rudolstadt, die n der stolzen Heidecksburg überragt wird. 1710 waren die Schwarzburger Grafen in den Reichsfürstenstand erhoben worden, fünfundzwanzig Jahre später brannte das alte Schloß ab, und die neuen Fürsten erbauten es ihrem nunmehrigen Rang entsprechend wieder auf. So entstand innerhalb weniger Jahre das prachtllste Barockschloß Thüringens; daß es ein paar Nummern zu groß geraten war für die kleine zu seinen Füßen liegende Residenz, störte niemanden. "Hübscher als Rudolstadt ist kaum irgendein deutsches Städtchen gebaut, das, wie dieses, nicht einmal fünftausend Einwohner zählt, vermerkte um die Mitte des rigen Jahrhunderts "Meyers Universum. Kronzeuge für diese Behauptung ist kein geringerer als Friedrich Schiller, der 1788 in der kleinen Stadt den Sommer verbrachte, Wochen, die für sein Leben und Schaffen n schicksalhafter Bedeutung wurden. Die erste Zeit lebte er im Vorort Volkstedt, wo noch heute eine Gedenktafel an ihn erinnert. Begeistert berichtete er an seinen Freund Körner:

"Das Dorf liegt in einem schmalen aber lieblichen Tale, das die Saale durchfließt, zwischen sanft ansteigenden Bergen. Von diesen habe ich_ eine sehr reizende Aussicht auf die Stadt, die sich am Fuße eines Berges herumschlingt, n weitem schon durch das fürstliche Schloß, das auf die Spitze des Felsens gepflanzt ist, sehr rteilhaft angekündigt wird, und zu der mich ein sehr angenehmer Fußpfad, längs des Flusses, an Gärten und Kornfeldern rüber führt In der Stadt selbst habe ich an der Lengefeldschen und Beulwitz-schen Familie eine sehr angenehme Bekanntschaft und bis jetzt noch die einzige, wie sie es vielleicht auch bleiben wird. Doch werde ich eine sehr nahe Anhänglichkeit an dieses Haus, und eine ausschließende an irgend eine einzelne Person aus demselben sehr ernst zu vermeiden suchen.5
Später übersiedelte er in die Stadt, erst in die heutige Schillerstraße 1, danach in das Haus Nr. 3 am Schloßaufgang 11. Freunde fand er rasch, liebster Aufenthalt aber blieb ihm das Haus der Frau n Lengefeld (Schillerstraße 25), wo ihn bald zarte Bande festhielten, sollte doch Charlotte, die Tochter der Hausherrin, im Februar 1790 seine Frau werden. Und hier im Lengefeldschen Hause erfolgte auch die erste denkwürdige Begegnung mit Goethe, über die er selbst wieder an Körner berichtet:
"Endlich kann ich dir n Göthen erzählen, worauf du wie ich weiß sehr begierig wartetest. Ich habe vergangenen Sonntag beinahe ganz in seiner Gesellschaft zugebracht, wo er uns mil der Herdern, der Frau n Stein, und der Frau n Schardl, der, wie du im Bad gesehen hast, besuchte. Sein erster Anblick stimmte die hohe Meinung ziemlich tief herunter, die man mir n dieser anziehenden und schönen Figur beigebracht hatte. Er ist so mittlerer Größe, trägt sich steif und geht auch so, sein Gesicht ist verschlossen, aber sein Auge sehr ausdrucksll, lebhaft und man hängt mit Vergnügen an seinem Blick. Bei vielem Ernst hat seine Miene doch viel wohlwollendes und gutes. Er ist brünett, und schien mir älter auszusehen als er meiner Berechnung nach wirklich seyn kann. Seine Stimme ist überaus angenehm, seine Erzählung fließend, geistll und belebt, man hört ihn mit überaus viel Vergnügen; und wenn er bei gutem Humor ist, welches dißmal so ziemlich der Fall war, spricht er gern und mit Interesse. Unsere Bekanntschaft war bald gemacht, und ohne den mindesten Zwang; freilich war die Gesellschaft zu groß und alles auf seinen Umgang zu eifersüchtig, als daß ich viel allein mit ihm hätte seyn oder etwas anders als allgemeine Dinge mit ihm sprechen können.

Goethe war ja in diesen Jahren auch immer wieder gerne in die Gegend n Rudolstadt gekommen; denn ihn zog es nach Schloß Kochberg im nahe gelegenen Dorf Großkochberg. Es ist ein heute rzüglich renovierter Renaissancebau "hinter den Bergen, wie Goethe einmal sagte. 1735 war es in den Besitz der Familie der Freiherrn n Stein gelangt. Charlotte n Stein fuhr n Weimar aus gern hierher, Goethe reiste ihr oft genug nach oder beklagte sich darüber, daß er sie nicht sehen konnte, weil sie auf dem Schlosse weilte.
Nach der italienischen Reise, als das Verhältnis zu Frau n Stein rasch abkühlte, kam er nur noch einmal, eben in jenen Septembertagen 1788, in denen er auch mit Schiller zusammentraf. Das Andenken an Goethe hat wahrscheinlich das Schloß gerettet; denn es wurde n den Nationalen Forschungsstätten Weimar in Obhut genommen und sorgfältig restauriert. Sogar das reizende kleine Liebhabertheater, in dem Karl n Stein, der Sohn Charlottes, mil Begeisterung Aufführungen inszenierte, wartet heute wieder auf Zuschauer.
Auf Vermittlung Goethes hatte im Herbst 1776 auch der unglückliche Jakob Michael Reinhard Lenz als Gast der Frau n Stein im Schloß Kochberg geweilt und zum Abschied ein Gedicht hinterlassen:

"So soll ich dich verlassen, liebes Zimmer, Wo in mein Herz der Himmel niedersank. Den ich aus ihrem Blick, wie selig, aus dem
Schimmer Der Gottheit auf der Wange trank. Wenn sich ihr Herz nach ihm, nach ihm empörte. Und ihr entzücktes Ohr der Sphären Wohllaut
hörte, Wenn sie mit Shakespeare der ihren Geist umfing, Ha zitternd oft r Furcht und Freude, Der Engel Lust im süßen Unschuldsklcidc, In die Mysterien des hohen Schicksals ging: Auch ich sah ihren Pfad, auch mir War es vergönnt ein Röschen drauf zu streuen. Zur Priesterin des Gottes sie zu weihen Und hinzuknieen r ihm und ihr.

Ach war ich nur so rein gewesen,
Als die Erscheinung dieses Glücks
Vorausgesetzt! Ihr höhern Wesen,
Verzeiht dem Strauchelnden, euch waren sie erlesen;
Doch Ewigkeiten Lust sind Kranken, die genesen,
Nur Freuden eines Augenblicks.

Die Burgen locken wieder in das Tal der Saale zurück, und es fällt gar nicht schwer, die einmal begonnene Sammlung zu erweitern; denn da sind die Reste der Grafenburg in Orlamünde, die schon auf den Beginn des 12. Jahrhunderts zurückgeht, n der aber nur der gewaltige Wohnturm erhalten blieb, und knapp zehn Kilometer östlich liegt das Schloß Hummclshain, das aber im Gegensatz zu all den anderen Schlössern und Burgen für einen versnobten Burgenliebhaber viel zu jung ist, wurde es doch erst 1880-85 n den Altenburger Herzögen als Jagdschloß errichtet. Interessanter ist schon Rieseneck bei Kleinleutersdorf, die wohl besterhaltenste barocke Jagdanlage in ganz Deutschland, mit Blockhäusern, Ställen, Gästehaus und r allem mit Gehege und dem Hetzgarten. Hier wurde das Wild n Hegern gefüttert, um es an den Platz zu gewöhnen, und bei Hetzjagden konnte es dann um so leichter zusammengetrieben und n den Gästen aus den verborgenen Jagdständen bequem abgeschossen werden. Diese fröhliche Art edlen Waidwerks wurde hier immerhin bis 1830 gepflegt!

Bleiben wir am rechten Saaleufer, so ist es nur ein Katzensprung bis zur Leuchtenburg, hoch über dem Flußtal auf dem frei stehenden Lichtenberg. Die Herren n Lobdeburg haben sie schon im Mittelalter erbaut, dreimal wurde sie zwischen 1602 und 1712 m Feuer zerstört und immer wieder neu aufgebaut, diente eine Zeitlang als Zuchthaus und ist seit 1919 Jugendherberge. Frei geht der Blick n hier aus über das Saaletal n Rudolstadt bis Jena, unten am linken Saaleufer liegt Kahla mit den Industrieanlagen des ehemaligen Porzellankombinats, und im Norden, schon am Stadtrand n Jena, kann man die Ruinen der Lobdeburg erahnen, die dem gleichen Geschlecht gehörte wie die Leuchtenburg. Es stammte aus Franken, war schon im 12. Jahrhundert n der Wörnitz an die mittlere Saale übergewechselt und hatte sich hier seit dem 13. Jahrhundert in mehrere Linien verzweigt und nach Meißen und Böhmen übergegriffen. Ursprünglich hatten auf dem Johannesberg drei Burgen gestanden, n denen aber nur noch die Ruinen der mittleren und oberen an das einst machtlle Herrengeschlecht erinnern, das um 1230 auch die Stadt Jena gründete.
Weimar und Jena werden häu in einem Atemzug genannt, als gehörten sie zusammen. Und doch kann es heute keinen größeren Unterschied geben als diese beiden Städte. Weimar hatte das Glück - oder das Unglück? -, n der modernen Industrialisierung weitgehend verschont zu bleiben. Jena hatte das Unglück - oder das Glück? -, n ihr erfaßt zu werden. Die einst idyllische kleine und zugleich berühmte Universitätsstadt ist heute eingeengt n modernen Industric-siedlungen, und selbst in der alten Innenstadt spürt man nichts mehr n Idylle und Romantik. Der riesige, unförmige Zylinder der Universität und die Hochhäuser der Zeiss-Werke verwandelten die Silhouette und dominieren. Die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs haben den Großteil der Altstadt zerstört, so daß es im Gegensatz zu Weimar schon etwas schwieriger ist, historischen Spuren zu folgen. Das ganze Mittelalter hindurch hatte die kleine Stadt m Weinbau gelebt, 1558 erhielt sie eine Universität, das Denkmal ihres Gründers, des Kurfürsten Johann Friedrich des Großmütigen, der "Hanfried, wie ihn die Jenaer nennen, steht auf dem Marktplatz r dem Rathaus. Für kurze Zeit zwischen 1672 und 1690 war Jena sogar Residenz des Herzogtums Sachsen-Jena, um dann endgültig an Sachsen-Weimar zu fallen. Allerdings führte es den Titel "Residenz- und Universitätsstadt sogar bis 1918. Die Universität erlebte nach dem Dreißigjährigen Krieg eine erste Blüte, seit der Mitte des 18. Jahrhunderts sanken die Studentenzahlen, um dann gegen Ende des Jahrhunderts einen neuen Aufschwung zu erleben. Goethe kümmerte sich n Weimar aus eifrig um die Landesuniversität und weilte häu und gern längere Zeit in der Stadt. Damals war die Universität noch im sogenannten Collegium Jenense, dem alten Dominikanerkloster im Stadtzentrum, untergebracht. Noch heute kann man den in einer ehemaligen Mönchszelle eingerichteten Karzer besichtigen und mag sich dabei an das hübsche Studentenlied n J. Wagner erinnern:

"Und in Jene lebt sich's bene, Und in Jene lebt sich's gut. Bin ja selber drin gewesen Wie's da steht gedruckt zu lesen. Zehn Semester wohlgemut.
Und die Straßen sind so sauber. Sind sie gleich ein wenig krumm; Denn ein Wasser wird gelassen Alle Wochen durch die Straßen, In der ganzen Stadt herum.
Und ein Wein wächst auf den Bergen, Und der Wein ist gar nicht schlecht, Tut er gleich die Strümpfe flicken Und den Hals zusammendrücken, Ist er doch zur Bowle recht!
Auf dem Markte, auf den Straßen Stehn Studenten allzuhauf; Mädchen an den Fenstern stehen Und nach den Studenten sehen. Und wer will, der schaut hinauf.
Und die allerschönste Freiheit Ist in Jena auf dem Damm; In Schlafröcken darf man gehen Und den Bart sich lassen stehen Wie ein jeder will und kann.

Aber natürlich erinnern wir uns auch an alle die berühmten Professoren und Studenten der kleinen Universität, an Professoren wie Leibniz, Fichte, Schelling, Schlegel, Hegel oder Rückert, an Studenten wie Klopstock, Claudius, Novalis, Brentano, Fritz Reuter. Wer den Herrn Professoren in Bronze begegnen möchte, muß nur die Goethe-Allee entlang schlendern, diese "Via Triumphalis der Jenaer Universität; denn sie wird gesäumt n deren Denkmälern. Sicher nicht zu den bedeutendsten, wohl aber zu den populärsten Hochschullehrern Jenas zählte Friedrich Schiller, der durch Vermittlung Goethes 1789 eine Professur für Geschichte bekam. Am 26. Mai hielt er seine Antrittsrlesung über das Thema "Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? Die Jenaer Studenten wollten natürlich den berühmten Dichter der "Räuber hören, und dementsprechend kam es zu jenem Massenauflauf, n dem Schiller nicht ohne Stolz zwei Tage danach an Körner berichtet:
"Vorgestern als dem 26sten habe ich endlich das Abenteuer auf dem Katheder rühmlich und tapfer bestanden und gleich gestern wiederholt. Ich lese nun zweimal in der Woche und zwei Tage hintereinander, so daß ich fünf Tage ganz frei behalte. Das Reinholdische Auditorium bestimmte ich zu meinem Debüt. Es hat eine mäßige Größe und kann ohngefähr achtzig sitzende Menschen, etwas über hundert in allem fassen; ob es nun freilich wahrscheinlich genug war, daß meine erste Vorlesung, der Neugierde wegen, eine größere Menge Studenten herbeilocken würde, so kennst Du ja meine Bescheidenheit. Ich wollte die größere Menge nicht gerade raussetzen, indem ich gleich mit dem größten Auditorium debütierte. Diese Bescheidenheil ist auf eine für mich sehr brillante Art belohnt worden. Meine Stunden sind Abends n sechs bis sieben. Halb sechs war das Auditorium ll. Ich sah aus Reinholds Fenster Trupp über Trupp die Straße heraufkommen, welches gar kein Ende nehmen wollte. Ob ich gleich nicht ganz frei n Furcht war, so hatte ich doch an der wachsenden Anzahl Vergnügen und mein Mut nahm eh'r zu. Überhaupt hatte ich mich mit einer gewissen Festigkeit gestählt, wozu die Idee, daß meine Vorlesung mit keiner andern die auf irgend einem Katheder in Jena gehalten worden, die Vergleichung zu scheuen brauchen würde, und überhaupt die Idee n allen die mich hören als der Überlegene anerkannt zu werden, nicht wenig beitrug. Aber die Menge wuchs nach und nach so, daß Vorsaal, Flur und Treppe llgedrängt waren und ganze Haufen wieder gingen. Jetzt fiel es einem der bei mir war ein, ob ich nicht noch für diese Vorlesung ein anderes Auditorium wählen sollte. Griesbachs Schwager war gerade unter den Studenten, ich ließ ihn also den Vorschlag tun bei Griesbach zu lesen und mit Freuden ward es aufgenommen. Nun gab es das lustigste Schauspiel. Alles stürzte hinaus und in einem hellen Zug die Johannesstraße hinunter, die eine der längsten in Jena, n Studenten ganz besät war. Weil sie liefen was sie konnten, um in Griesbachs Auditorium einen guten Platz zu bekommen, so kam die Straße in Alarme und alles an den Fenstern in Bewegung. Man glaubte anfangs es wäre Feuerlärm und am Schloß kam die Wache in Bewegung. Was ists denn? Was gibts denn? hieß es überall. Da rief man denn, der neue Professor wird lesen. Du siehst, daß der Zufall selbst dazu beitrug, meinen Anfang recht brillant zu machen. Ich folgte-in"ei-ner kleinen Weile n Reinhold begleitet nach, es war mir als wenn ich durch die Stadt, die ich fast ganz durchzuwandern hatte, Spießruten liefe.

Griesbachs Auditorium ist das größte und kann, wenn es ll gedrängt ist 3 und 400 Menschen fassen. Voll war es diesmal und so sehr daß ein Vorsaal und noch die Flur bis an die Haustüre besetzt war und im Auditorio selbst viele sich auf die Subsellien stellten. Ich zog also durch eine Allee n Zuschauern und Zuhörern ein und konnte den Katheder kaum finden, unter lautem Pochen, welches hier für Beifall gilt, bestieg ich ihn und sah mich n einem Amphitheater n Menschen umgeben. So schwül der Saal war, so erträglich wars am Katheder, wo alle Fenster offen waren und ich hatte doch frischen Odem. Mit den zehn ersten Worten, die ich selbst noch fest aussprechen konnte, war ich im ganzen Besitz meiner Contenance, und ich las mit einer Stärke und Sicherheit der Stimme, die mich selbst überraschte. Vor der Tür konnte man mich noch recht gut hören. Meine Vorlesung machte Eindruck, den ganzen Abend hörte man in der Stadt dan reden und mir widerfuhr eine Aufmerksamkeit n den Studenten, die bei einem neuen Professor das erste Beispiel war. Ich bekam eine Nachtmusik und Vivat wurde dreimal gerufen.

Nicht alle waren so mit seiner Vorlesung einverstanden wie er selbst, das geht aus dem Bericht des bekannten Berliner Pädagogen Friedrich Gedicke herr; denn der vermerkte: "Er las alles Wort r Wort ab, in einem pathetischen, deklamatorischen Ton, der aber häu zu den simplen historischen factis und geographischen Notizen, die er rzutragen hatte, gar nicht paßte. Schiller konnte seinen Lehrverpflichtungen nur ein Jahr nachgehen, dann zwang ihn ein Brustleiden zur Aufgabe. Trotzdem trägt die Universität heute als Friedrich-Schiller-Universität seinen Namen.

Als sich 1813 Deutschland in einer Welle nationaler Begeisterung gegen Napoleon und seine Soldaten erhob, wurde gerade die Jenaer Universität zu einem Zentrum dieser Bewegung, und zahlreiche Studenten zogen, angeregt durch die Aufrufe der Professoren H. Luden und L. Oken, freiwillig in den Kampf. Zum Andenken an diese Erhebung schuf der deutsch-schweizer Maler Ferdinand Hodler 1908/09 in der Aula des neuen Universitätsgebäudes sein mitreißendes Wandbild "Aufbruch der Jenaer Studenten. Es gehört zu den ganz wenigen Historienbildern r dem Ersten Weltkrieg, die das Thema nicht rdergründig realistisch heroisieren. In seiner sachlichnüchternen Strenge wirkt es heute auf uns um so eindringlicher. Den Nationalsozialisten paßte es nicht in ihre Auffassung n Heldentum und Vaterlandsliebe, und so verbannten sie es aus der Aula, in die es aber seit den sechziger Jahren wieder zurückgekehrt ist.
Als diese Studenten auszogen, hatte Jena die Folgen der napoleonischen Kriege schon unmittelbar zu spüren bekommen. Denn als Preußen 1806 an Frankreich den Krieg erklärt hatte, wurde auch das mit ihm verbündete Herzogtum Sachsen-Weimar in den Kampf hineingezogen, und im Raum Jena trafen die gegnerischen Heere aufeinander. Am 14. Oktober 1806 kam es nördlich n Jena bei Vierzehnheiligen zur Schlacht, in der Napoleon siegte, während am gleichen Tage sein Marschall Daust bei Auerstedt ein anderes preußisches Heer unter dem Oberbefehl des Herzogs n Braunschweig besiegte. Selbstverständlich ist viel über diese Doppelschlacht berichtet und geschrieben wordene Allen ran hat Napoleon selbst mit seinem berühmten 5. Bulletin eine bemerkenswerte Schlachtschilderung gegeben, die in dem Satz gipfelt: "Die Schlacht n Jena hat den Flecken n Roßbach abgewaschen, und in sieben Tagen wurde der Feldzug entschieden, welcher den kriegerischen Wahnsinn in den Köpfen der Preußen abgekühlt hat. Uns interessiert weniger das Schlachtgeschehen selbst als seine Folgen, n denen ja Soldaten wie Zivilbevölkerung gleichermaßen betroffen wurden. Eduard Genast hat sie als Junge im nahen Weimar miterlebt und in seinen "Erinnerungen geschildert:

"Es war am 14. Oktober; ich ging früh mit der Mutter aus, um Einkäufe zu machen, da der Vater befohlen hatte, so viel Lebensmittel als irgend möglich herbeizuschaffen. Da hörten wir dumpfes Donnern. .Mutter!' rief ich, ,was ist denn das?' .Das ist Kanonendonner, mein Söhnchen', sagte ein Bürger, der r seiner Tür stand. Die Schlacht hatte begonnen, und ich bat die Mutter, doch schnell zu gehen, damit wir bald nach Hause kämen. In banger Besorgnis wurde der Vormittag verbracht, zumal da das Schießen hier und da näher zu kommen schien. Die ganze Nachbarschaft war an den Fenstern und jeder Vorübergehende wurde angerufen und befragt; einer sagte: ,Die Preußen siegen', ein anderer schrie: .Die Preußen sind geschlagen! Die Franzosen sollen schon das Mühltal haben; Jena brennt an allen Ecken!' Endlich ging mein Vater aus, um nähere Nachrichten einzuholen; dieselben lauteten schlimm genug; es bestätigte sich, daß die Franzosen bereits in dem Besitz der Höhen des Mühltals wären. Er war mehreren Wagen mit Verwundeten begegnet, die in der schnell zum Spital eingerichteten Stadtkirche untergebracht wurden. Alles sprach nur n Jena; n der grimmigeren Schlacht bei Auerstedt wußte man gar nichts Nach Tische wurde der Kanonendonner immer heftiger und kam näher. Ich wich nicht n unseren Fenstern, die, nach dem Graben gelegen, den Überblick über die breiteste Straße, welche nach Erfurt führte, gewährten. Gegen drei Uhr kamen schon mehrere Bagagewagen und auch einzelne Flüchtlinge in llem Galopp daher Allmählich veränderte sich die Szene. Nicht mehr einzelne Flüchtlinge, sondern ein Gewühl aller Waffengattungen, Munitions- und Bagagewagen, auf denen Verwundete lagen, rasten rüber; Markelenderinnen und Musketiere jagten auf Pferden rbei, die wahrscheinlich n den Geschützen abgeschnitten waren; jedes Pferd hatte zwei Menschen zu tragen, und wer keinen solchen Platz hatte gewinnen können, der hing an den Strängen, um nur schneller fortzukommen; dabei erfüllte Geschrei und Wehklagen fortwährend die Luft. Es war die wildeste, sinnloseste Flucht. Nachdem der ganze Troß rüber war, wurde es in unserer Straße auf kurze Zeit totenstill.

Es wird gut sein, wenn wir uns nach so viel Krieg und Leid wieder auf friedlichere Dinge besinnen. Auf dem Carl-Zeiss-Plalz südwestlich der Altstadt steht das Ernst-Abbe-Denkmal. Beide Namen - Zeiss und Abbe - stehen für einen neuen Geist in der alten Stadt, verbunden mit wirtschaftlichem Aufschwung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Mechanikermeister Zeiss hatte 1846 in Jena eine optische Werkstatt gegründet. Er wurde zum Mitarbeiter des Physikers Ernst Abbe, und zu ihnen gesellte sich der Rheinländer Otto Schott, der ein glastechnisches Unternehmen gegründet hatte und mit den beiden zusammenarbeitete. Sie entwickeilen jene optischen Geräte, r allem Mikroskope, die in den Zeisswerken hergestellt wurden, bald Weltruhm erlangten und auch heute das industrielle Potential der Stadt darstellen. Wie glücklich sich dabei gelegentlich-industrielle und wissenschaftliche Arbeit verbinden, beweist das Zeiss-etarium am Botanischen Garten, das älteste seiner Art in der ganzen Welt (Kuppelbau n 1926) und Vorbild für zahlreiche spätere Anlagen ähnlicher Art.
Die Zeiss- und die Schottwerke haben aber auch zur Veränderung des Stadtbildes beigetragen. Wir fahren an den modernen Stadtteilen an den flachen Buntsandsteinhängen rüber saaleab-wärts nach Norden. Am rechten Saaleufer liegen der Fuchslurm, der letzte Überrest n ehemals drei Burgen, und die Ruinen der Gleiß- oder Ku-nitzburg, n denen aus der Besucher wieder einen schönen Blick über das Saaletal genießt, und dann kommt Dornburg, die "Thüringer Lorelei, wie es auch im Volksmund heißt. Hoch auf dem 90 m über dem Tal aufragenden Felsen grüßen die drei Dornburger Schlösser. "Ich weiß nicht, ob Dornburg dir bekannt ist, lieber Leser, könnte man mit Goethe fragen, wobei er auch gleich die Antwort auf diese rhetorisch gemeinte Frage in einem Brief an Zelter gab:

"Es ist ein Städtchen aul der Höhe im Saaletale unter Jena, r welchem eine Reihe n Schlössern und Schlößchen gerade am Absturz des Kalkflözgebirges zu den verschiedensten Zeiten erbaut ist; anmutige Gärten ziehen sich an Lusthäusern her; ich bewohne das alte neu aufgeputzte Schlößchen am südlichsten Ende. Die Aussicht ist herrlich und fröhlich, die Blumen blühen in den wohl unterhaltenen Gärten, die Traubengeländer sind reichlich behangen, und unter meinem Fenster sehe ich einen wohlgediehenen Weinberg, den der Verblichene auf dem ödesten Abhang noch r drei Jahren anlegen ließ und an dessen Ergrün-dung er sich die letzten Pfingsttage noch zu erfreuen die Lust hatte. Von den anderen Seiten sind die Rosenlauben bis zum Feenhaften geschmückt und die Malven und was nicht alles blühend und bunt, und mir erscheint das alles in erhöhteren Farben wie der Regenbogen auf schwarzgrauem Grunde.

Schon für das 10. Jahrhundert ist hier oben eine Reichsburg bezeugt, zwei der Schlösser in der heutigen Gestalt - das nördliche und das südliche - gehen auf das 16. Jahrhundert zurück, das mittlere dagegen ist ein Rokokoschlößchen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Goethe weilte gern und mehr als zwanzigmal im Laufe seines Lebens hier. Der Kastellan Sckell berichtet aus seiner Erinnerung an einen der letzten Besuche des recht anspruchsllen alten Herrn im Sommer 1828:

"Am Morgen nach der Ankunft Goethes erhielt er wie an den folgenden Tagen den Kaffee früh 6 Uhr aus meiner Küche; das Frühstück wurde um 10 Uhr, das Mittagessen um 1 Uhr aus dem Ratskeller geholt. Beides behagte ihm nicht. Bald stellte sich daher der Sekretär John wieder bei mir ein, um mir die Not zu klagen. Ich machte den Vorschlag, das Essen bei dem Gastwirt ,Zum Schieferhof' in dem eine Viertelstunde entfernten, am Fuße Dornburgs gelegenen Dorfe Naschhausen zu bestellen. Man ging auf meinen Vorschlag ein; aber auch hier war Goethe nicht zufrieden. Beim Mittagessen am folgenden Tage äußerte er gegen seinen Bedienten: Bei dieser Kost könne er nicht bestehen; der Kaffee sei zwar sehr gut, aber dan allein könne er nicht existieren. Er trug nun John auf, nochmals Rücksprache mit mir zu nehmen und mir zu sagen, der Hofmarschall n Spiegel habe ihm gesagt, daß er sich wegen der Beköstigung nur an mich wenden möge. Wolle ich dieselbe aber durchaus nicht übernehmen, so sehe er sich genötigt, am andern Tage wieder n Dornburg abzureisen. Der Sekretär stellte mir das Unangenehme der Situation Goethes so lebhaft r und drang so sehr in mich, außer Goethe doch auch ihn, den Bedienten und Kutscher mit an den Tisch zu nehmen, daß ich mich endlich nach vielem Sträuben dazu bereit erklärte, zumal ich in den Worten des Hofmarschalls n Spiegel, meines unmittelbaren Vorgesetzten, eine gewisse Verpflichtung ausgesprochen fühlte. Ich sandte nun Boten auf die umliegenden Dörfer nach Geflügel, Fischen und Aalen, nach Tautcnburg an den Leibjäger Ciliax nach Wildpret aus. Meine Küche war bald bestellt, um die Zubereitung der Speisen durch meine Frau durfte ich ohne Sorge sein. Schon nach dem ersten Frühstück äußerte Goethe gegen seinen Bedienten: ,Das ist ein guter Anfang!' und bei dem aus fünf Gängen bestehenden Mittagessen: ,Das laß ich mir gefallen! Sage Sckell, er solle so fortfahren.' Tags darauf kam Goethes Schwiegertochter, die Frau Geheime Kammcrrätin Ottilie n Goethe geb. Freiin n Pogwisch, mit ihren beiden Kindern und der Hofrat Eckermann. Sie wiederholten fortan wöchentlich ihren Besuch zwei-, auch dreimal. Auch der Kanzler n Müller besuchte Goethe wöchentlich einige Male, ebenso sein Sohn, der Geheime Kammerrat, welcher seine Besuche gewöhnlich in Begleitung des Landesdirektionsrats Töpfer machte. So hatte ich fast täglich sechs bis zehn Personen zum Mittagstisch. Auch seine jenaischen Freunde, besonders der Legationsrat Weller, besuchten ihn häu. Fremde waren fast täglich da, um Goethe ihre Aufwartung zu machen, namentlich viel Engländer.

Eigentlich würde der Weg weiter saaleabwärts luhren, aber man sollte sich doch den kurzen Abstecher westwärts bis Apolda gönnen, der alten thüringischen Glockengicßerstadt, zugleich einem Zentrum der Strumpferzeugung. "Socken und Glocken haben die Stadt bekannt gemacht, und kein Fremdenführer versäumt daraufhinzuweisen, daß hier 1923 mit der Hauptglocke des Kölner Domes die größte läutbare deutsche Glocke überhaupt gegossen wurde. Aus Apolda und aus der alten Glockengießerei in Rudolstadt bezog Schiller seine Kenntnisse für das "Lied n der Glocke.

Nach Dornburg zurückgekehrt, geht es über Camburg zu den Ruinen Saaleck und Rudelsburg, die allerdings schon im Bundesland Sachsen-Anhalt liegen, aber den Abschluß der Burgenkette im mittleren Saalctal bilden und einfach schon deshalb genannt werden sollten, weil auf der aus dem 12. Jahrhundert stammenden Rudelsburg Franz Kugler im Jahre 1826 sein bekanntes Lied schrieb. "In einer schönen Sommernacht auf einem der Tische in der Rudelsburg aufgeschrieben. Wir waren damals ein kleiner Kreis n fröhlichen Studenten, und meine Freunde haben das Lied weiter umhergetragen; heuer ist es schon gar sehr zersungen worden, vermerkte Kugler. Aber wieder klingt es nun im Herzen Deutschlands an einer der schönsten Stellen des Saaletales wie in alten Zeiten:

"An der Saale hellem Strande
Stehen Burgen stolz und kühn;
Ihre Dächer sind gefallen,
Und der Wind streicht durch die Hallen,
Wolken ziehen drüber hin.
Zwar die Ritter sind verschwunden, Nimmer klingen Speer und Schild; Doch dem Wandersmann erscheinen Auf den alt bemoosten Steinen Oft Gestalten zart und mild.
Droben winken holde Augen, Freundlich lacht manch roter Mund. Wandrer schaut wohl in die Ferne, Schaut in holder Augensterne, Herz ist heiter und gesund.
Und der Wandrer zieht n dannen. Denn die Trennungsstunde ruft; Und er singet Abschiedslieder, Lebe wohl tönt ihm hernieder, Tücher wehen in der Luft.







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