Theodor Heuss traf den Nagel auf den Kopf. Bei seinem ersten Besuch als Bundespräsident im Hamburger Rathaus 1950 mußte er, wie jeder Staatsgast, die Senatstreppe emporsteigen, wo ihn auf dem obersten Absatz der Erste Bürgermeister erwartete. Ein Brauch, der fest im ungeschriebenen Protokoll der Freien und Hansestadt verankert ist, der den Bürgerstolz einer Stadtrepublik ausdrückt, die sich nie fremden Oberhäuptern beugte. Auf den Hinweis eines Mitarbeiters, diese Sitte könne man doch in Bonn übernehmen, meinte Heuss: "So etwas kann man nicht einführen. Man hat es. Man hat es. Das ist so selbstbewußt gedacht, wie man in Hamburg gern denkt. Über Geld redet man nicht. Man hat es. Über die schönste Stadt in Deutschland diskutiert man nicht. Man hat sie natürlich. Klar, daß der an Alster und Elbe Geborene, der sich in die Welt aufmacht - eher nach London, New York, Schanghai als nach Berlin, München, Paris -, immer seine Heimatstadt im Sinn behält und gar nicht in Frage stellt, daß er eines Tages wieder dorthin zurückkehren wird.
Das hanseatische Selbstbewußtsein dieser Stadtrepublik mit beneidenswert ungebrochener Tradition ist gepaart mit Höflichkeit. Sollte man die britische Königin Elisabeth II. bei ihrem Staatsbesuch im Mai 1965 allein die Senatstreppe emporsteigen lassen, wie das Protokoll es befahl? Das kann nicht angehen, fand der Erste Bürgermeister und schickte der königlichen Hoheit auf halber Treppe den Zweiten Bürgermeister entgegen. Seitdem werden alle echten Königinnen, nicht die angeheirateten, vom Zweiten Bürgermeister die letzten Stufen bis zum Hamburger Staatsoberhaupt emporgeleitet.
Das schöne nasse Herz
Kein Schloß, keine Kirche bildet das Herz dieser Hafen- und Handelsstadt. Hamburgs Herz ist naß, kalt und von so großer Schönheit, daß man ins Schwärmen gerät. Binnenalster und Außen-alster als ästhetisches Zentrum der Metropole spiegeln den Himmel, verelfachen das Licht über der City und machen das Herz hell, großzügig und weit. So gar nicht nebenbei ist dem aufgestauten Alsterfluß, der als früher Handelsweg im Verein mit der Elbe die Stadt reich machte, hier ein wunderbares Denkmal gesetzt. Und das Rathaus? Wirkt es nicht wie ein Schloß oder zumindest wie eine weltliche Kathedrale? Obwohl die meisten Hamburger das Rathaus bei einer Umfrage für das imponierendste Gebäude ihrer Stadt hielten, muß sich dieser republikanische Prunkpalast auf Anhieb doch erstmal der schöneren Augenfälligkeit des Wassers beugen. Auf den zweiten Blick kommt keiner mehr an der gründerzeitlichen Prächtigkeit vorbei. Auch bei diesem Nobelkasten für Senat und Bürgerschaft war hanseatisches Selbstbewußtsein der Geburtshelfer. Als der große Brand von 1842 die halbe Innenstadt in Schutt und Asche gelegt hatte, kam bald der Gedanke auf, Ansehen, Macht und Reichtum des Stadtstaates in einem Rathausneubau Gestalt zu geben. Der wirtschaftliche Boom des jungen Industriezeitalters und der Überseehandel hatten den Reichtum an Elbe und Alster enorm vermehrt. Die gute alte Hanseatentradition, daß man Geld hat, aber nicht zeigt, wurde beim Bau des neuen Rathauses ausnahmsweise über Bord geworfen. Der sächsische Kurfürst August der Starke hatte Anfang des 18. Jahrhunderts Künstler aus ganz Europa in seine kleine Residenzstadt an der Elbe geholt, um aus Dresden eine Weltstadt der Kultur zu machen. So weit mochte man elbabwärts in Hamburg im 19. Jahrhundert nicht gehen. Die Hanseaten hatten anderes im Sinn. Der gewaltige Neubau des Rathauses, 1886 begonnen, sollte vor allem die Leistungen der einheimischen Architekten, Kunsthandwerker und Künstler beflügeln. Unter der Federführung von Martin Haller vereinigten sich sieben Hamburger Architekten zur Rathaus-"Bauhütte. Internationale Maßstäbe der Baukunst blieben "außen vor, wie man an der Elbe sagt. Weltniveau war nicht gefragt. Man baute auf solide norddeutsche Qualität, allerdings mit teuren Materialien aus ganz Europa. Eine Entscheidung, die sich hundert Jahre später im Baurausch der achtziger Jahre wiederholte. Die Folge? In beiden Fällen in der Regel ansehnliches Mittelmaß. Warum das am 26. Oktober 1897 festlich eröffnete Rathaus heute trotzdem eine Sehenswürdigkeit ist? Weil hier glänzend der Zeitgeist einer Epoche, das Selbstbewußtsein einer traditionsreichen Stadtrepublik und die Unfähigkeit, solides Kunsthandwerk Kunst werden zu lassen, dingfest gemacht wurden. Ist ja gediegen? Das auf jeden Fall.
Das elegante Klinker-Schiff
Architektonische Weltklasse steht im Rücken des Rathauses. Der klassizistische Bau der Börse, 1841 vollendet, heute Sitz der Handelskammer, glänzt mit seiner vollendet harmonischen Eingangshalle. Aber am besten dient der Hafenstadt ein architektonisches Flaggschiff, das wie ein elegant geschwungener Dampfer daherkommt. Das Chilehaus. Mein und nicht nur mein Lieblingsgebäude in Hamburg. Backstein-Expressionismus vom "Klinkersticker Fritz Höger (1877-l949) und Spitzenreiter aller Kon torhausprächtigkeit, die sich in der Altstadt ii den zwanziger Jahren aufs nachdrücklichst breit machte. Von den Schreibtischen der Kon tore aus wird der Hafen regiert. Hier war recht zeitig die Containerisierung der Güter vorange trieben worden, so daß Hamburg heute zu dei zwölf größten Containerhäfen der Erde zählt Das Ein- und Auslaufen der großen "Pötte is ein Schauspiel, das immer wieder das Her höher schlagen läßt. Hamburg - Tor zur Wel' Nirgendwo wird das augenfälliger als an der Pro menade von Deutschlands größtem Seehafer zwischen Deichtor und Övelgönne. Klinker und Klunker haben die Stadt in den vei gangenen Jahren erneut gewaltig herausge putzt. Klinker wie Backstein, Klunker wie neue Reichtum. Die noblen Einkaufspassagen rum um den Jungfernstieg sind zur Attraktion für eil kaufkräftiges Publikum geworden. Pöseldorf - Schnöseldorf. Vor einem Vierteljahi hundert war das noch eine ebenso verschwie gene wie verschlafene Wohnadresse an de Außenalster. Heute promeniert der internatic nale Jet-set durch die Pöseldorfer Milchstraße. Die Eibchaussee galt Anfang der siebziger Jahn schon als eine der schönsten Straßen der Erde an der sich Parks, Villen und die Quartiere geho benen Wohnens aneinanderreihen. Aber we damals die Mäander der flußbegleitendei Chaussee gegen Mitternacht absuchte nacl einer Möglichkeit, noch irgendwo einzukehrer dem wurden in einem mufen Gasthaus aller höchstens und sehr widerwillig noch ein paa kalte Ölsardinen in der Dose aufgetischt. Weni überhaupt Wein, dann gab es nur zwei Differen zierungen: rot oder weiß. Heute zählt die Elb chaussee neben allen anderen Vorzügen aucl als kulinarische Meile, die mit mehreren Koch sternen und -mutzen dekoriert ist.
Es ist noch nicht lange her, da war das Gelände um die Deichtorhallen ein rattenreicher Trampelpfad durch vergessene Stadtsteppe. Belebt nur von verzweifelt Umherirrenden auf der Suche nach dem von der Polizei abgeschleppten Auto. Heute? Als Ausstellungshallen für internationale Kunst ziehen die beiden Stahl-Glas-Gebäude den Troß der Künstler, Sammler, Galeristen, Museumsleute und einfach nur so Interessierten zum Deichtor. Hamburg, das traditionell einen guten Ruf als Theater-, Literatur-und Musikstadt hat und genauso traditionell nie ein Paradiesgarten für die bildenden Künste war, hat sich staunenswert gemausert. Die Kunst schlägt heute eine beachtliche Brücke zwischen Aister und Elbe. Von der Elbe nach Norden zur Aister reihen sich in kurzer Gehzeit auf der ehemaligen Wallanlage der Stadt (Kloster- und Glockengießerwall) aneinander: Deichtorhallen, Kunstverein, Freie Akademie der Künste, das Kunsthaus des Berufsverbandes Bildender Künstler, das Galerienhaus, das Museum für Kunst und Gewerbe, die Kunsthalle mit Alt- und Neubau sowie als neuestes Bauwerk der Ungers-Kubus für zeitgenössische Kunst.
Man geht aus
50 000 Menschen machen sich in Hamburg jeden Abend auf ins Theater, in die Oper, ins Konzert, Kino oder Kabarett. 50 000 Menschen! Das ist eine halbe Großstadt, jeden Abend unterwegs auf dem Kulturtrip. Noch gar nicht gerechnet die Einzelgänger, Paare, Grüppchen, die die unendliche Vielzahl von Lokalen in der Hansestadt bevölkern. Man geht gerne aus an Aister und Elbe. Das hat zu tun mit einer gewandelten Bevölkerungsstruktur. Die Hafen- und Handelsstadt ist heute auch Metropole für Verlage, Werbung, Film und Mode. In die Hamburger Gesellschaft kommt man nicht rein? Den Neu-Hamburgern ist ziemlich egal, wie fein, steif, unzugänglich oder gediegen sich die alteingesessene Bourgeoisie der Hansestadt geriert. Jede Szene ist sich selbst genug. Man muß es nur einmal erleben, das Defilee zur Glitzer- und Glamourparty einer neuen Trendzeitschrift oder zur Premiere eines neuen Luxusparfums. Da verwandeln sich die Deichtorhallen für eine Nacht in ein Elb-Hollywood der schönen Menschen. Die Fischauktionshalle am Altonaer Hafenrand widerspricht im Katzengoldglanz dieser Feste so sehr ihrem ureigenen Zweck, daß es kaum vorstellbar ist, wie jeden Sonntag in aller Herrgottsfrühe dann doch wieder die Hühner, Gänse, Kaninchen und Enten zum Hamburger Fischmarkt hier Einzug halten können.
Musik und Mäzene
Wo der Mississippi in die Elbe fließt. Das war in den siebziger Jahren die große Zeit des "Onkel Pö in Eppendorf und der "Fabrik in Altona, die damals als erstes soziokulturelles Kommunikationszentrum ele Nachahmerfand. Die Musikszene hat sich verändert. Viele neue Orte für Jazz, Rock, Pop, Rap und Techno-Sound kamen hinzu. Die Lokale im Schatten der Reeperbahn sind heute Mekka für U- und Underground-Musik. Daß die Musikhalle mit dem Denkmal für den in Hamburg geborenen Johannes Brahms nur eben um die Ecke liegt, wissen die Fans der einen Szene meist genauso wenig, wie die Abonnenten der Sinfoniekonzerte Auskunft geben können, wo's denn hier zum "Docks, "After Shave, "Grünspan oder zur "Großen Freiheit 36 geht.
Die Musikhalle liegt wie eine neobarocke Torte im Schatten eines gläsernen Hochhauses, in dem ein Konzern für Lebensmittel, Waschpulver und Kosmetik regiert. Heilige Hamburger Nachbarschaften. Denn das eine ist hier nicht ohne das andere zu haben. Der Bau der Musikhalle wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von dem Reederehepaar Sophie und Carl Heinrich Laeisz finanziert. Der Kaufmann als Stifter und Mäzen - eine wichtige Institution an der Elbe. Wer das kulturelle Leben dieser Hansestadt durch die Jahrhunderte verfolgt, stößt auf eine mäzenati-sche Tradition in der Bürgerschaft, deren rechte Würdigung bis heute aussteht. Wo Könige und Fürsten sich nicht durch ein Klein-Versailles oder Neuschwanstein verewigten, öffnete sich ein Betätigungsfeld für Initiativen der Bürger. Das war zu keiner Zeit so glanzvoll, maßlos und spektakulär wie bei den blaublütigen Herren. Dafür war es wirksam, durchsetzungskräftig, vernünftig und in der Regel zum Nutzen aller. Zum Beispiel die hervorragende Bürgerinitiative mit dem aus der Zeit heraus geborenen Namen "Patriotische Gesellschaft: Dieser 1765 mit Rückenwind der französischen Aufklärung gegründete Verein ist ein wahres Nest für gute Taten. Heute kann hier jeder in den diversen Arbeitskreisen mitwirken, sich um Neue Musik, Denkmalschutz, Stadtentwicklung, soziale Fragen oder Bürgerprojekte kümmern. Die "Patriotische Gesellschaft zur Förderung der Kunst, des Handwerks und sozialer Einrichtungen war die Mutter der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen (jährlich von 4,5 Millionen Menschen genutzt) und der heutigen Hochschule für Bildende Künste. Ihre Mitglieder gründeten den Kunstverein, dem die Kunsthalle entsprang. Sie machten die Ansiedlung der Universität möglich. Nur die Oper konnten sie nicht mehr gründen. Sie war bereits 1678 als erste Bürger-Oper Deutschlands ins Leben gerufen worden. Heute gehört die Oper, die im Dunkeln aussieht wie ein feines Aquarium für feine Leute, zu den international angesehenen Häusern. Doch sie ist es nicht, die einen spezifischen Aha-Effekt auslöst, wenn einer irgendwo in Afrika, Amerika, Asien oder Australien sagt: "Ich komme aus Hamburg. - "Aha! Kleine Pause. Ein wissendes Grinsen macht sich auf dem Gesicht des anderen breit, und er sagt nur ein Wort: "Reeperbahn! Als ob man da in Hamburg allnächtlich drüberwalzte und in sämtlichen Bordellen Stammgast wäre. Als ob der Mensch von der Elbe beim Stichwort Reeperbahn nicht el mehr vom Tuten der Schiffe im Hafen träumte! Diesem sentimentalen Ton im kalten Norden, der Fernweh und Heimweh zu einem heißen Labskaus für die Seele verrührt. Wer lange verreist war, sich wieder der Stadt nähert und den Turm der St-Michaelis-Kirche entdeckt oder die Landungsbrücken oder den herrlich geschwungenen Bogen der Köhlbrand-brücke oder die Türme von St. Nikolai, St. Petri, St. Jacobi, St. Katharinen oder den Rathausturm - dieser Heimkehrer weiß: Jetzt bin ich wieder zu Hause.
Die Alsterarkaden wurden 1844-l846 errichtet. Ganz früher hatte sich hier ein Apothekergarten befunden. Um die Ecke, am berühmten Jungfemstieg, pulsiert das Leben.
Die Außenalster ist ein inmitten der Stadt gelegenes Erholungsgebiet ganz eigener Art. Jedes der umliegenden Viertel hat seinen ganz eigenen Charakter, seine eigene Geschichte, sein eigenes Flair.
Das Chile-Haus, dessen Konturen an einen Schiffsrumpf erinnern, ist eines der elen Hamburger Kontorhäuser. Es wurde in den zwanziger Jahren von dem Architekten Fritz Höger errichtet.
Dort, wo heute die ab 1883 errichtete Speicherstadt steht, befand sich vorher ein Wohnertel. Dieser Teil Hamburgs mit seinen schönen roten Backsteinhäusern ist seit 1888 "Zollausland, er gehört zum Freihafen.
Blick von den im 17. Jahrhundert für die Witwen der Einzelhändler errichteten Krameramtswohnungen auf das Wahrzeichen Hamburgs, den "Michel. Die Michaeliskirche wurde von 1751 bis 1762 errichtet, der Turm 1786 vollendet.
Jeden Sonntag in aller Herrgottsfrühe ist am Hafen Fischmarkt. Hier gibt es alles, was das Herz begehrt. Die Fischauktionshalle (links) wurde liebevoll restauriert.
Was wäre Hamburg ohne die Reeperbahn, ohne die Große Freiheit und ohne die Dadswache? In den letzten Jahren haben sich auf der legendären Amüsiermeile wieder Kabaretts, Musik-Clubs und Musicals eliert.
Die Köhlbrandbrücke ist ein Beispiel herausragender Ingenieurskunst. Die an zwei schlanken, 135 Meter hohen Pylonen aufgehängte Fahrbahn verbindet seit 1974 mehrere Hafenbecken miteinander.
Im Jenisch-Haus befindet sich heute ein Museum für die großbürgerliche Wohnkultur des 19. Jahrhunderts. Das 1831 bis 1834 für den Senator Martin Johann Jenisch gebaute Haus liegt mitten im an der Elbe gelegenen Jenischpark.
Durch den Fischer- und Lotsenort Övelgönne bei Altona an der Elbe führt ein schmaler linden- und laternengesäumter Weg. Auf dem breiten Eibstrand findet nicht nur die Jeunesse doree Erholung.
Blankenese mit seinem Treppenertel liegt malerisch am Eibhang. Weit geht der Blick über den großen Strom hinüber auf die unter Naturschutz stehende Elbinsel und ins Alte Land, eines der größten Obstanbaugebiete Europas.