In allen vier Himmelsrichtungen schließen sich Vorstädte an die Dortmunder Innenstadt an. Die einzelnen Stadtviertel werden häu durch Industrieareale neinander getrennt. Die gründerzeitlichen Neustädte besitzen in der Regel ein ll angelegtes Straßennetz, das nur relativ selten in Grünanlagen oder Schmuckplätzen eine Auflockerung findet. Bei den drei- bis fünfstöckigen Reihenhäusern des privaten oder genossenschaftlichen Mietwohnungsbaus ist die Vorderfront häu mit Stuckdekor verziert. Die stattliche Anzahl an Kirchen spiegelt die neuere Architekturentwicklung m Historismus bis hin zu modernen Stilrichtungen nuancenreich wider.
Bei der neugotischen Liebfrauenkirche (15) an der Amalienstraße im Westviertel handelt es sich um die größte katholische Kirche in Dortmund (Architekt: Friedrich n Schmidt, 1880-83). IhrTurm-helm ist mit zahlreichen Krabben und Zickzackbändem aus verschiedenfarbigen Ziegeln recht kunstll gestaltet. Die St. Anna-Kirche an der Rheinischen Straße entstand 1911-l3 als zweitürmige, neuromanische Basilika nach Plänen n Georg Spelling. Über dem Hauptportal, dessen Pfeiler n steinernen Löwen getragen werden, ist das Jesuskind zusammen mit seinen Verwandten und alttcsta-mentlichen Vorfahren dargestellt. Wir finden hier Maria und Anna, Josef und Joachim, den Propheten Jesaias und den König David. In das Pflaster des Vorplatzes ist ein Davidstern eingelassen. Diese starke Betonung der jüdischen Tradition erregte seit 1933 Anstoß: NS-Formationen grölten antisemitische Lieder (»Judenblut muß spritzen n unseren Messern«), wenn sie an der Kirche rbeimarschierten. In der Gemeinde wurde daraufhin erwogen, wenigstens den >Judenstern< im Straßcnpflaster zu entfernen. Wie wir noch heute sehen können, blieb man standhaft!
Vor St. Suitbertus. einem schlichten Nachkriegsbauwerk an der Annenstraße, steht ein Monument aus fünf ineinander geschachtelten Stahlreifen, eine Stiftung der Thyssen-Wagner GmbH an die Kirchengemeinde. Eine Inschrift interpretiert dieses Denkmal als Symbol für den gesamten Erdkreis und erinnert an ein kirchliches Großereignis aus jüngerer Zeit: »Der Geist des Herrn erfüllt den Erdkreis (Weisheit 1, Vers 7) Johannes Paul II. besucht Dcutschland./1980.« Weitere Denkmäler finden sich im nahe gelegenen Westpark, der ursprünglich ein Friedhof war: Grabsteine Dortmunder Bürger, ein ruhender Löwe als Erinnerung an den deutschen >Bruderkrieg< n 1866, sechs hohe Eisenkreuzc zum Andenken an die >Dortmunder Bartholomäusnacht während des Ruhrkampfs: Nachdem zwei französische Soldaten in Dortmund erschossen aufgefunden worden waren, richtete die Besatzungsmacht in der Nacht m 9./10. 1923 unter der Bevölkerung ein Blutbad an, dem sechs Dortmunder Bürger zum Opfer fielen.
Ausgedehnte Industrieanlangen begrenzen die westlichen Vorstädte nördlich der Rheinischen Straße. An der Ecke zur Brinkhoff-straße bildet der Turm der ehemaligen Union-Brauerei (16) einen markanten Blickpunkt, quasi das älteste Hochhaus Dortmunds (1926/27). Das Backstein-Bauwerk findet in einer zweistuen Fassadenverzierung aus Betonwerkstein seinen Abschluss. Seit 1968 dienen die gitterförmigen Elemente als Postament für ein riesiges >UUnion< und Wcstfalen-hütte. Hauptbahnhof und Kanalhafen zum zentralen Malochcrviertel der Stahlwerker, Kommunisten und >PolenHölle Westdeutschlands^ Noch heute sind die stählernen T'angnetze in den Gängen und Treppenhäusern zu sehen, die n der Gestapo zum >Schutz< verzweifelter Selbstmörder installiert worden waren. In den Gefängniszellen informieren 2000 Origi-nal-Kxponate über Dortmunder Widerstand und Verfolgung im Dritten Reich.
Bei einem Spaziergang durch das Nordvicrtel sollte man einen Blick in die katholische Apostelkirche an der Lessingstraße werfen. Die Bruchstein-Basilika (Architekt: August Menken, 1899/1900) birgt einen urenreichen Hochaltar aus französischem Kalksandstein. An einem neugotischen Beichtstuhl dokumentiert eine Inschrift in polnischer Sprache, dass auch in dieser Kirchengemeinde zahlreiche Zuwandercr aus den preußischen Ostprovinzen lebten. In der XI. Kreuzwegtafcl (>Jesus wird ans Kreuz genageltKünstlerracheKaiserzimmer< in seiner ursprünglichen Ausstattung erhalten. Außerdem ist dort heute eine Ausstellung zum Thema »Schifffahrt und Hafen< untergebracht.
Am Nordrand der Dortmunder Nordstadt liegt schließlich noch das Museum für Naturkunde. Das tradtitionsreiche Institut wurde in den 1970er Jahren ganz bewusst aus der Innenstadt an die nördliche Münsterstraße verlegt, um diese Region kulturell aufzuwerten. Der moderne Museumsbau birgt sehr umfangreiche botanische, zoologische und erdgeschichtlichc Sammlungen, darunter ca. 800 Fossilfunde aus der Grube Messcl bei Darmstadt. Im Foyer fällt der erste Blick auf zwei lebensgroße Saurierskulpturen. Auf dem benachbarten Freigelände wurden ein Geologischer Lehrgarten und ein künstlicher Bergesenkungssce (mit der entsprechenden Flora und Fauna) angelegt. Außerdem steht hierein kleines Fördergerüst aus dem Blei-Zink-Bergwerk Lüderich bei Untereschbach im Bergischen Land.
Die Vorstädte im Osten und Süden
In deutlicher Distanz zur >proletarischen< Nordstadt blieb das Dortmunder Ostviertel lange den >besseren Kreisen< rbehalten. Neben einzelnen Behördenbauten (z. B. dem Oberbergamt an der Coeben-straße) liegen hier gutbürgerliche Mietwohnhäuser und Villen. Eigens erwähnt werden soll das repräsentative Haus des Kaufmanns Hugo Friemann (Gruben- und Sicherheitslampcn, Gesteinsbohrer etc.) an der Prinz-Friedrich-Karl-Straße 3: Im Dreiecksgiebel der Eingangsfassade, der n vier mächtigen Säulen getragen wird, sind Bcrgbausymbole eingefügt (1900). Als katholische Pfarrkirche des Stadtviertels dient die Franziskanerkirchc in der gleichnamigen Straße. Die neugotische Basilika besitzt lediglich einen kleinen Dachreiter, da ein großer Glockenturm dem Armutsideal des Bcttel-ordens widersprochen hätte (J. F. Klomp, 1900-02). Im rechten Seitenschiff befindet sich das Grab n Bruder Jordan Mai, der - nach einem Lebensweg »der Unscheinbarkeit und Unauffälligkcit«, der »Armut und Demut«-l922 im Dortmunder Franziskanerkloster verstarb und n vielen bald als Heiliger verehrt wurde (P. Heribert Grie-senbrock OFM).
Auf dem benachbarten parkähnlichen Ostenfriedhof liegen außer Dortmunder Lokalpolitikern und Großindustriellen (Hoesch, Klönne, Schüchtermann) auch >einfache Bürgen begraben, darunter Henriette Davidis (gest. 1876), die als erfolgreiche Kochbuch-Autorin noch heute vielen bekannt ist. In der Nähe der lebensgroßen Porträtplastik des Berghauptmanns Otto Taeglichsbeck (»gewidmet n den Bergbautreibenden und Bergbeamten des Oberbergamtes Dortmund«) verweisen zwei Ehrenmale auf die Grubenunglücke n 1893 und 1897 auf der Zeche Kaiserstuhl. Schließlich erinnert noch ein schlichter Gedenkstein an Dortmunder Bürger, die als Juden dem Nazi-Terror zum Opfer fielen. Die Begrenzungssteine seiner Einfriedung nennen sechs Ortsnamen, die für Konzentrationslager stehen: Auschwitz, Mauthausen. Thercsienstadt, Buchenwald, Zamosch, Riga.
Ahnlich wie das Ostvicrtel sind auch die südlichen Dortmunder Stadtviertel rwiegend bürgerlich geprägt. Am Südostrand lag allerdings das Firmenarcal der Kronenbrauerei. Im ehemaligen Sudhaus und angrenzenden Räumen informiert heute ein Brauereimuseum über Bierherstellung und die Kulturgeschichte des Trinkens. Die katholische St. Bonifatius-Kirche an der gleichnamigen Straße entstand nach schweren Kriegsschäden 1953-55 unter Verwendung n Trümmersteinen weitgehend neu. Dabei wurde der moderne Kirchenräum nach Plänen n Emil Stcffann zwischen den drei erhaltenen Türmen des neuromanischen Vorgängerbaus quasi als weites, lichtes Zelt aufgespannt. Bei der evangelischen Nikolaikirche an der Lindemannstraße handelt es sich um die vielleicht früheste Eisenbetonkirche des Ruhrreviers (Pinno & Grund, 1929/30). Nach erklärtem Willen der Gemeinde sollte das moderne Bauwerk ein Zeugnis dafür sein, »daß die frohe Botschaft des Evangeliums auch als gebautes Wort nicht veraltet, sondern in neuen, jungen Formen einem neuen Geschlecht seine Verkündigung bringt.« (Kirchlicher Heimatkalender, Dortmund 1931)
Bei der katholischen Kreuzkirche am Vinckeplatz wird der breit-massige Glockenturm n expressionistischen Zickzackbändern gegliedert und durch eine eigenwillige Doppelspitze bekrönt (Hans Hohmann, 1914-l6). Auf einem fragwürdigen Mosaikbild über dem Haupteingang symbolisieren zwei Frauengestallcn die >Kirche< als Siegerin und die >Synagoge< als Besiegte. In dem schlicht modernisierten Kirchenraum dient ein spätgotischer Christus-Torso als Altar-kreuz und Mahnmal zugleich: Der Skulptur fehlen - wohl auf Grund n Kriegseinwirkung - die Arme.
Im Süden endet der Dortmunder Vorstadtgürtel am Ruhrschnell-weg, der hier trotz autobahnähnlichen Ausbaus auf weiten Strecken einer baumbestandenen Allee gleicht. An ihrer Südseite liegen u. a. die überregional bekannten >Dortmunder Drillingen Westfalenstadion, Westfalcnhalle, Westfalenpark. Das Westfalenstadion wurde anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft n 1974 gebaut und bietet nach der Erweiterung n 1996 Platz für 55 000 Fans. Das »gemütlichste Fußballstadion der Welt« steht in der Tradition des benachbarten >Stadions Rote F,rdc< n 1926. Die Westfalcnhalle ist gleichzeitig Sportarena, Showpalast und Herzstück eines modernen Messe- und Ausstellungszentrums. Auf elliptischem Grundriss errichtet, fasst die Haupthalle aus Beton, Stahl und Glas ca. 25 000 Zuschauer (W Höl-tje, 1951/52). Sie ersetzt einen hölzernen Vorgängerbau n 1925, der mit einer Spannbreite n 75 m als Triumph der Technik galt, ber er im Bombenkrieg verbrannte. Keimzelle des Westfalenparks war ein Kaiser-Wilhelm-Hain, n dessen Skulpturenausslattung noch eine Sitzur Wilhelms I. rhanden ist (Johannes Schilling, 1894). In dem beträchtlich erweiterten Park wurde 1959 anlässlich einer Bundesgartenschau der Florian errichtet: ein Funk-, Fernseh-und Aussichtsturm n 220 m Höhe.