Das rhältnis zum Erzbischof nach der Schlacht von Worringen
Der einzige unmittelbare Vorteil, den die Kölner aus der siegreichen Schlacht von Worringen zogen, war die Schleifung stadtnaher Burgen des Erzbischofs, darunter auch der in Worringen. Ansonsten aber zog sich die Stadt die erbitterte Feindschaft Siegfrieds von Westerburg zu, der bis an sein Lebensende versuchte, die Herrschaft über Köln zurückzugewinnen. Bei Papst Nikolaus IV. erreichte er die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, der sich mit den Ursachen und Folgen der Worringer Schlacht befaßte. In Bonn nahmen die Ausschußmitglieder, an ihrer Spitze die Erzbischöfe von Mainz und Trier, im Sommer 1290 ihre Arbeit auf- ihre Aufgabe sollte es sein, einen Prozeß gegen die Widersacher des Erzbischofs zu eröffnen; doch nicht die fürstlichen Gegner, sondern allein die Stadt Köln saß schließlich auf der Anklagebank. In den rnehmungen ging es hauptsächlich um die Frage, weshalb sich die Bürger mit Waffengewalt gegen ihren rechtmäßigen Stadtherrn, den Erzbischof, gestellt hatten. Einer der 26 aufgebotenen Zeugen faßte seine Eindrücke so zusammen: »Die Kölner Bürger sind mächtig geworden und können daher keinen Herrn mehr über sich ertragen.«
Am 5. Juli 1290 erging das Urteil - Köln sollte 200.000 Mark, eine astronomische Summe, an den Erzbischof zahlen, für den
Fall der Weigerung wurde mit Kirchenbann und Interdikt gedroht. Die Kölner Bürgerschaft nahm diesen Prozeß indessen nicht besonders ernst, sie schickte lediglich einen Prozeßbeobachter, der sich die Vorwürfe anhörte und kommentarlos wieder verschwand.
Daraufhin belegten die geistlichen Würdenträger die Stadt tatsächlich mit dem Interdikt - auf städtischem Territorium durften keinerlei geistliche Handlungen, kein Gottesdienst, keine Taufe, keine Bestattung vorgenommen werden. Diese Kirchenstrafe hat erst Siegfrieds Nachfolger, Wikbold von Holte, aufgehoben, der sich zehn Jahre nach Worringen mit der Stadt verglich und ihre Privilegien bestätigte. Er versprach den Bürgern Schutz, Friedenswahrung und Freundschaft, »solange die Bürger uns die geschuldete Treue bewahren und als unsere Bürger uns ergeben sein wollen«. Gerade die letzte Formulierung nahmen die Kölner hin, um endlich vom Interdikt befreit zu werden. So leisteten sie ihrerseits Wikbold den Huldigungseid, indem sie als »freie Bürger von Köln dem Erzbischof von Köln, unserm Herrn«, die Treue gelobten. Dieser Eid sollte bis ins 15. Jahrhundert hinein von den rtretern der Bürgerschaft geschworen werden, wenn ein neugewählter Erzbischof seinen Antrittsbesuch in der Stadt machte. Gleichwohl kennzeichnet diese Eidesformel die Zwitterstellung, die die Stadt fortan einnahm - die Erzbischöfe residierten nicht mehr in Köln, sondern zumeist in Brühl, Lechenich, Poppels-dorf und Godesberg, hielten aber an ihrem Anspruch auf das Stadtregiment fest. Doch als sich im 14. Jahrhundert eine ausgewogene Territorialstruktur im Umkreis der Stadt (vor allem ein rdienst der Grafen von Jülich und Berg) elierte, waren die Rahmenbedingungen geschaffen, innerhalb derer Köln sich zu einer »freien« Stadt entwickeln konnte. Und so wurde die Stadt denn auch seit etwa 1390 zu Reichstagen eingeladen. Die deutschen Könige standen im Dauerstreit Erzbischof gegen Köln gewöhnlich auf seiten der Bürger, was sich aber meist aus der aktuellen politischen Lage ergab; so zwang König Albrecht I. im Jahre 1302 die drei geistlichen Kurfürsten, die Erzbischöfe von Köln, Mainz und Trier, die sich gegen ihn gestellt hatten, in einem kurzen Feldzug nieder - und nötigte Wikbold von Holte zugleich zur erneuten Anerkennung Kölner Eigenrechte. König Ludwig der Bayer nahm die Stadt 1314 in seinen Schutz und erneuerte alle Privilegien Kölns, weil ihm die Bürger die Tore geöffnet hatten - und weil der Kölner ErzbischofHeinrich von Virneburg maßgeblich zur Wahl des Gegenkönigs Friedrich von Habsburg beigetragen hatte. Und auch Karl IV., der sich mit der rgabe reichlicher Privilegien rbündete am Niederrhein zu schaffen suchte, verzichtete zugunsten Kölns im Jahre 1349 auf neue Zölle am Rhein und befreite die Stadt von Heeresfolge und Kriegssteuern - zugleich erlaubte er der Bürgerschaft, ihre Bündnispolitik völlig selbständig zu bestimmen. So wurde die Stadt auch »außenpolitisch« hoffähig. Zudem ermöglichte die fehlende Präsenz der Erzbischöfe in »ihrer« Stadt eine ungestörte Entwicklung der innerstädtischen rwaltungsorgane.
Geschlechter, Zünfte, Gaffeln
Seit dem 13 .Jahrhundert bildete ein Kreis von 15 Familien, die sich selbst als »edle Geschlechter« bezeichneten, die führende Schicht der Stadt: Neben den schon erwähnten Overstolzen treten die Familienverbände der Scherfgin, von Hörn, Aducht, Spiegel, Jude, Lyskirchen, Gryne, Birkelin, Quattermart, Mommersloch, Kleingedank, Gyr, Hirzelin und Hardefust hervor. Der Ursprung dieser Geschlechter, die nach dem Sturz der bis 1268 tonangebenden Familie von der Mühlengasse die Bürgerschaft nach außen vertraten, ist unklar, einige sind wahrscheinlich als erzbischöfliche Ministerialen zu Wohlstand und Ansehen gelangt, andere wurden durch den Fernhandel reich und mächtig. Neben Grundbesitz innerhalb der Stadt verfügten sie zumeist auch über große Besitztümer auf dem Lande; ihre Wohnsitze in der Stadt waren burgähnliche, von starken Mauern umschlossene Häuser. Die führenden Vertreter der Geschlechter bildeten nicht nur die Richerzeche, sondern stellten auch die Mitglieder des Schöffenkollegs und des Rates, bestimmten daher die Politik jener drei Körperschaften, die im Laufe der Zeit die Verwaltung der Stadt an sich gezogen hatten. Das gilt insbesondere für den Rat, dessen Bedeutung in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ständig zugenommen hatte. Die Angehörigen des Rates, 15 an der Zahl, die jährlich wechselten, gehörten ausnahmslos den Geschlechtern an.
Da indessen auch andere Familien nach politischer Macht drängten, kam es zur Bildung eines weiteren Gremiums, des im Jahre 1321 estmals erwähnten »weiten Rates«; hier bot sich den nicht zu den Geschlechtern zählenden Familien die Möglichkeit, auf das Stadtregiment Einfluß zu nehmen - wohlhabende Kaufleute, Händler und Finanzleute aus den Sondergemeinden stellten die 82 Mitglieder des weiten Rates, der gewisse Kontrollfunktionen gegenüber dem alten Rat (der nun zur Unterscheidung »enger Rat« genannt wurde) übernahm. Die große Masse der Kölner Bevölkerung, die Frauen, die kleinen Handwerker und Gewerbetreibenden, Gesellen, Mägde und Knechte, Dienstleute, Hilfs- und Gelegenheitsarbeiter, war von der politischen Willensbildung ausgeschlossen. Die meisten Handwerks- und Gewerbezweige hatten sich allerdings auch zu Körperschaften zusammengeschlossen, den Zünften oder - wie man sie in Köln auch nannte -»Ämtern«. Ursprünglich waren sie Bruderschaften, in denen sich die Angehörigen einzelner Gewerbe zu religiösen oder karitativen Angelegenheiten zusammenfanden. Allmählich aber entwickelten sich die Zünfte zu Standesvertretungen, die für die beruflichen Interessen ihrer Mitglieder zuständig waren. Alle zunftmäßig organisierten Handwerker und Gewerbetreibenden unterlagen den Zunftordnungen, auch »Statuten« oder »Schrägen« genannt; von der Stadtobrigkeit bestätigt (oder von ihr erlassen), legten diese Zunftbriefe die wirtschaftlichen und organisatorischen Richtlinien für einzelne Betriebe fest; dazu zählten Vorschriften zu Betriebsgrößen und Arbeitszeiten, Produktgüte und Ausbildung, aber auch Regelungen der Selbstverwaltung, der zünftischen Gerichtsbarkeit, der Gemeinschaftaufgaben und nicht zuletzt des geselligen Zusammenseins.
Die älteste nachweisbare Bruderschaft in Köln ist die der Bettzeugweber, die 1149 erstmals erwähnt wird. Sie gehörte später zu jener großen Zunft, die als die angesehenste und mitgliederstärkste galt, der Weberzunft. Die in den Werkstätten der Woll-, Leinen-, Seiden- und Baumwollweber hergestellten Waren - das graue »Kölnische Tuch«, Decken, Möbel- und Dekorationsstoffe, Tisch- und Bettzeug und vieles mehr - stellten mit weitem Vorsprung das wichtigste Handelsgut Kölns dar. Den Webern und den mit ihnen verbundenen Gewerben der Spinner, Zwirner, Wollspüler, Tuchscherer, Färber und Gewandschneider folgten ihrer Bedeutung entsprechend die Waffenschmiede, gegliedert in Harnischmacher, Schildmacher, Helmschmiede, Büchsenmacher, Schwertfeger und Lanzenmacher. Aber auch die Gold- und Silberschmiede, die den Kölner Kirchen wertvolle Reliquienschreine und prunkvolle Meßgeräte lieferten, genossen hohes Ansehen. Weiter sind zu nennen die Glockengießer, Gerber, Riemenschneider, Sattler, Gürtelmacher, Steinmetze, Dachdek-ker, Zimmerer, Drechsler, Schuhmacher, Faßbinder, Seiler oder die Innungen der Nahrungsmittelgewerbe, die Bäcker, Fleischer und Brauer. Vielfach wohnten die Zunftgenossen in Straßen und Vierteln zusammen, so etwa am Rotgerberbach die Gerber, in der Glockengasse die Glocken- und Topfgießer, in der Streitzeuggasse die Harnischmacher und Helmschmiede, in der Kupfergasse die Kesselschläger, am Blaubach die Tuchfarber, in der Schildergasse die Schilderer, die Maler, Glaser und Wappensticker. Andere Straßennamen, die noch heute auf das mittelalterliche Gewerbe hindeuten, sind die Weberstraße sowie die Straßen Unter Goldschmied, Unter Taschenmacher und Unter Seidmacher. In Köln als einziger deutscher Stadt gab es auch Frauenzünfte, die der Seiden- und Garnmacherinnen und Goldspinnerinnen. Die Versammlungsorte der Zunftgenossen waren die Zunfthäuser, stolze und prächtige Gebäude, von den einige, darunter das Fleischerzunfthaus am Neumarkt, das der Brauer in der Schildergasse und das der Faßbinder am Filzengraben, lange erhalten blieben.
Mit den »Gaffeln« traten in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts weitere Gruppierungen auf, die am politischen Leben Anteil nehmen wollten. 1363/64 wird zum ersten Mal die »Gaffel Eisenmarkt« erwähnt, die sich mit der Weberzunft und anderem Zünften verbündete. In dieser Korporation waren die Kaufleute rund um den Heumarkt vertreten, die in den risikoreichen Fernhandel eingestiegen waren und große Vermögen erworben, aufgrund der festgeschriebenen Geschlechterherrschaft zumeist aber keinen Zugang zur städtischen Elite hatten. Die neue Gemeinschaft, die sich regelmäßig zu gemeinsamen Mahlzeiten traf, erhielt ihren Namen von der großen Tranchiergabel, mit der sich alle Mitglieder bedienten. Bis 1396 bildeten sich nach dem Vorbild der Gaffel Eisenmarkt die Gaffeln Windeck, Himmelreich und Schwarzhaus - auch bei ihnen standen zunächst berufliche Fragen im Vordergrund, allmählich kam aber der Wunsch auf, auch politischen Einfluß ausüben zu können.
Die Kölner Wirtschaft im 14. Jahrhundert
Seine Rolle als führende deutsche Handelsstadt hatte Köln wahrscheinlich schon im 11. Jahrhundert erreicht. Schon um das Jahr 1050 schlössen sich Kölner Fernhändler zu Gilden zusammen, größter Handelspartner war damals England. Wein, den die Kölner vom Mittelrhein und aus dem Elsaß bezogen, bildete mengenmäßig zunächst das größte Exportgut. Vor allem aber waren Kölner Metallwaren und Seidenprodukte auf dem englischen Markt sehr gefragt. Aus England brachte man Wolle, Häute, Schaffelle und Rohmetalle mit, seit Anfang des 14. Jahrhunderts auch Tuch und Fisch. Brügge in Flandern war für die Kölner Kaufleute einer der wichtigsten Umschlagplätze. Daneben orientierte sich Köln auch zum brabanti-schen Antwerpen hin; privilegiert vom Herzog von Brabant, dem Verbündeten in der Worringer Schlacht, traf man sich hier beispielsweise mit Kaufleuten aus Portugal oder mit venezianischen und genuesischen Finanzleuten. Hier verkauften die Englandfahrer große Mengen des eingehandelten Tuches, Kölner Seidenhändler und -verarbeiter erwarben ihrerseits Rohseide aus Lyon. Das berühmte »Kölner Salz« kam aus Portugal; Kölner Spediteure kauften es auf dem Antwerpener Salzmarkt. Antwerpen war auch ein bedeutender Absatzmarkt für typische Kölner Exportprodukte wie Flanell und Leinen, Garn und Seidentuch sowie Metallwaren. Natürlich verkaufte man auch Rheinwein, eine Anzahl von Tavernen in Antwerpen und Brügge wurden von Kölnern betrieben. Ein weiterer Schwerpunkt des Kölner Handels lag in Frankfurt. Zu Zeiten der Frankfurter Messe wurde im Kölner Rat keine wichtige Entscheidung getroffen, weil viele Ratsherren am Main weilten. Über diese Messe wurden vor allem Kölner Wolltuch und englisches Tuch bis nach Prag, München und Basel verkauft. Kölner Eisen- und Buntmetallwaren gingen von hier aus nach Luxemburg, Paris und Lyon. Das Warenangebot aus Köln galt als hochwertig - der Zusatz »Kölnisch« war der Inbegriff für Qualität in ganz Europa. Umgekehrt nutzten viele Kölner Handwerkszweige das große Rohstoffangebot der Messe. So kauften Weber und Färber Wolle, Garn, Flachs und Färbedistel, die Hutmacher böhmische Hutwolle, die Kürschner Buntwerk aus dem Osten, die Kerzenzieher Wachs und Talg, um nur einige Beispiele zu nennen.
Die Handelsbeziehungen zum Wirtschaftsraum rund um die Ostsee waren weniger intensiv, obwoh1 Kölner Firmen auch in Lübeck und Danzig über eigene Niederlassungen verfügten. Als größte deutsche Fernhandelsstadt trat Köln ohnehin des öfteren in scharfen Gegensatz zu den Kaufleuten aus Lübeck, Hamburg, Bremen oder Wismar- auch als sich die niederdeutschen Städte in der »Hanse« zusammenfanden. Die Anfänge der Hanse liegen im Dunkeln; zu »Hansen« (das Wort bedeutet »bewaffnete Schar«) verbanden sich seit dem 11. Jahrhundert Kaufleute, die mit dem Ausland Handel trieben und am Rechtsschutz sowie an Handelsfreiheit in der Fremde interessiert waren. In London gab es eine Kölner Hanse, die König Heinrich II. im Jahre 1176 unter seinen Schutz genommen
hatte. Die Kölner besaßen ein eigenes Haus in Themsenähe, die »Gildhalle«. Mit den Konkurrenten aus Hamburg und Lübeck schlössen sie sich erst um 1280 zusammen. Für diese Vereinigung ist damals der Begriff »deutsche Hanse« (lat. Hansa Almaniae) verwendet worden. Die Gildhalle ging im Stalhof, einer gemeinsamen Niederlassung, auf. Auch nach dem Zusammenschluß behielt Köln seine fuhrende Stellung im Englandhandel. In der Hanse leistete das 1158/59 von Heinrich dem Löwen neugegründete Lübeck Pionierarbeit. Die von dortigen Kaufleuten ins Leben gerufene »Gemeinschaft der Gotland besuchenden Deutschen«, in der auch Händler aus Sachsen und Westfalen vertreten waren, gilt als Urzelle der Hanse. Zu einem großen Städtebündnis entwickelte sich die Hanse erst in der Mitte des 14. Jahrhunderts. Unter Lübecks Führung entstand eine Wirtschaftsgemeinschaft, die den gesamten Handel im Nord- und Ostseeraum kontrollierte. Niederlassungen in Nowgorod und London, Brügge, Bergen und Stockholm waren die Eckpfeiler des hansischen Wirtschaftsraumes, nicht nur Küstenstädte wie Reval oder Riga im Baltikum, Königsberg, Stralsund oder Greifswald schlössen sich an - bald schon bildeten Städte des Binnenlandes in Pommern, Mecklenburg, Westfalen und im Rheinland die Mehrheit der Hansemitglieder. Auf dem Höhepunkt seiner Geschichte sollen dem Bund mehr als 200 Städte angehört haben. Von der »Städtehanse« spricht man, seit 1356/58 erste Hansetage in Lübeck stattfanden. Auf diesen Versammlungen war Köln, obwohl eingeladen, noch nicht vertreten. Selbst als 1367 ein Hansetag in Köln abgehalten wurde (an den der Hansasaal des Rathauses erinnert), verharrten die Kölner vorsichtig im Wartestand: Sie traten der »Kölner Konföderation«, die den Krieg gegen den Dänenkönig Waldemar Atterdag beschloß, nicht bei. Erst 1383 nahm Köln zum ersten Mal an einem Hansetag teil - und die Kölner Vertreter beanspruchten hier sofort den führenden Rang, vor Lübeck.
Das schon erwähnte Stapelrecht war eine der Wurzeln der Kölner Wirtschaftskraft. Der Rhein, die Lebensader der Stadt, konnte bis Köln mit Seeschiffen befahren werden - alle von den Niederlanden herkommenden Waren mußten hier auf kleinere Schiffe umgeladen werden, auf die sogenannten »oberländischen« Schiffe; umgekehrt verfrachtete man diejenigen Güter, die stromabwärts transportiert wurden, in Köln auf die Seeschiffe, die »Niederländer«. Das Stapelrecht besagte nun, daß die umzuladenden Waren drei Tage in Köln auszustellen, zu »stapeln«, und zum Verkauf an die Bürgerschaft freizugeben waren. Während dieser drei Tage unterzog man sie einer strengen Prüfung - entsprachen sie den gestellten Anforderungen, so erhielten sie neue, mit dem Stadtwappen versehene Verpackungen. Aufgrund des Stapelrechts nahm Köln auch im Handel mit Seefischen eine führende Stellung ein. Kölner Kaufleute, zum Teil spezialisierte Fischgroßhändler, versorgten nicht nur die Stadt, sondern auch das Umland vor allem mit Hering, Stockfisch, Makrelen und Kabeljau. Mit zahlreichen holländischen, seeländischen und zuiderseeischen Städten schloß Köln Verträge ab, in denen Packung, Sortierung und Konservierung der verschiedenen Fischsorten genau geregelt wurden. Die Sendungen, die in Köln ankamen, wurden streng kontrolliert, ordnungsgemäß verpackte und konservierte Ladungen erhielten das städtische Dreikronenbrandzei-chen, den »Kölner Brand«, eine in ganz Deutschland bekannte Qualitätsgarantie. Einkaufs- und Umschlagplatz für den Fischhandel wurde später das 1425 errichtete Fischhaus - das heute, nicht ganz zutreffend, Stapelhaus genannt wird.
Das religiöse und geistige Leben in der Stadt
Herausragende Stätten mittelalterlicher Gelehrsamkeit waren die schon erwähnten Klöster der Dominikaner und Franziskaner. Im Dominikanerkloster an der Stolkgasse hatte der große Albert gelebt und gelehrt, nicht nur ein bedeutender Theologielehrer, sondern auch ein berühmter Naturwissenschaftler. Schon zu seinen Lebzeiten hatte sich ein ganzer Kreis von Sagen um ihn gebildet - viele Kölner hielten ihn für einen Zauberer. Seinem Wirken war es zu verdanken, daß das Kölner Generalstudium der Dominikaner sich zu einer Lehranstalt von europäischem Rang entwickelte. An ihr wirkten die hervorragendsten Wissenschaftler der Zeit, nach Albert vor allem Meister Eckhart, der von 1320 bis 1327 hier tätig war. Durch ihn-und seine Schüler Johannes Tauler und Heinrich Seuse -wurde Köln in der ersten Hälfte des H.Jahrhunderts auch zu einem Mittelpunkt der sogenannten »Mystik«, einer neuen Frömmigkeitsbewegung, die die offiziellen kirchlichen Heilsmittel in den Hintergrund treten ließ und auch den Ungelehrten Zugang zur Theologie ermöglichen wollte. Eckharts Predigten erregten daher Anstoß beim Erzbischof, der ein Inquisitionsverfahren gegen den Dominikaner einleitete; den Schuldspruch - Verurteilung wegen Häresie - erlebte Eckhart nicht mehr, 1328 starb er in Avignon.
Eine ähnliche Schule wie die Dominikaner richteten 1260 auch die Franziskaner ein. Am minoritischen Generalstudium war als bedeutendster Gelehrter der in Schottland geborene Johannes Duns Scotus tätig, auch er kam von Paris nach Köln, wo er 1308 - nach nur einjährigem Wirken - starb. Durch seine Betonung der Mathematik und empirischer Kenntnisse trug Duns Scotus dazu bei, den einzelnen Wissenschaften einen eigenständigen Rang gegenüber der Theologie zu verschaffen. Schon vor seiner Lehrtätigkeit hatte der Minoritenkonvent den der Dominikaner an Mitgliedern übetroffen - um 1300 lebten im Konvent mehr als 300 sogenannte »Minderbrüder«, die aus allen Teilen Europas stammten.
Um das Jahr 1305 war im übrigen die Gliederung der Kölner Pfarrgemeinden abgeschlossen - als letzte Pfarrkirche erhielt St. Maria im Pesch ihren Gemeindebezirk nördlich des Doms zugeteilt. Im Bereich der alten Römerstadt lagen St. Kolumba, St. Alban, St. Laurentius, St. Johann Evangelist und St. Peter, in der Kaufleutesiedlung am Rhein, die um die Mitte des 10. Jahrhunderts in die Stadt einbezogen wurde, St. Brigida und Klein St. Martin; dazu kamen mit den Stadterweiterungen die Gemeinden St. Jakob, St. Christoph, St. Maria Lyskirchen, St. Maria Ablaß, St. Paul, um nur einige zu nennen. Auch Stiftskirchen wie St. Severin, St. Aposteln und St. Kunibert wurden Mittelpunkt von Pfarrgemeinden; insgesamt gab es 19 Pfarrbezirke in Köln. Der Dom, dessen Chorweihe im Jahre 1322 feierlich vollzogen wurde, gehörte zur Pfarre St. Johann Evangelist.
Zu dieser Zeit bestanden in Köln schon zahlreiche »Hospitäler«, in denen nicht nur Blinde, Lahme, Patienten mit anstek-kenden Krankheiten gepflegt wurden, sondern auch arme und vereinsamte Alte sowie Beginen und Begarden Aufnahme fanden. Neben den Hospitälern von St. Gereon und St. Maria im Kapitol waren besonders die Hospitäler St. Agnes, Zum Heiligen Geist, Heiligkreuz und St. Quirin hochgeschätzte Stätten der Pflege und Nächstenliebe. Das um 1308 gegründete Hospital »Grünewald« (später »Allerheiligen« genannt) im Pfarrbezirk St. Kunibert nahm anfangs ausschließlich arme bekehrte Juden auf.
Im 13. Jahrhundert hatte sich die jüdische Gemeinde Kölns zum Zentrum des deutschen Judentums entwickelt. Das jüdische Viertel bestand im Jahre 1321, als auch die Stadt einen Schutzbrief für die Gemeinde ausstellte, aus etwa 90 Häusern und Hofstätten, in denen schätzungsweise 800 Menschen lebten. Es handelte sich um einen zusammenhängenden Komplex von Gebäuden, der seit etwa 1300 nach außen abgeschlossen und nur über ein Tor und wenige Türen zu betreten war. Zwischen Domsüdseite, Altermarkt, Marspforte und der Kirche St. Laurenz gelegen, bildete es - topographisch gesehen -das »Herz« der Stadt, zudem lag auch das Rathaus inmitten des jüdischen Wohngebiets. Mittelpunkt des Viertels war die Synagoge, die von der Mikwe, dem rituellen Bad, und anderen Gemeinschaftsbauten wie Bäckerei, Tanz- und Hochzeitshaus umgeben war. Hier spielte sich ein reges Gemeindeleben ab, geleitet von einem zwölfköpfigen Judenrat und einem sogenannten »Judenbischof«. Die literarische Hinterlassenschaft einzelner hochgelehrter Kölner Rabbiner, genannt seien Abraham Achselrad und Samuel Halevi, hat das westeuropäischjüdische Geistesleben mitgeprägt.
Die Entwicklung des jüdischen Viertels zu einem Ghetto war bereits Ausdruck erneuter Spannungen zwischen der christlichen Mehrheit und den Juden. Die Pestepidemie, die in den Jahren 1348/49 ganz Europa heimsuchte, bildete schließlich den Anlaß für neue Verfolgungen, auch in Köln. Das Gerücht, die Juden hätten die Brunnen vergiftet, löste die Katastrophe aus: Der aufgehetzte Mob stürmte das Viertel, die Juden, Männer, Frauen und Kinder, wurden erbarmungslos niederge-macht, nur wenige Familien konnten sich durch die Flucht retten - weder der Erzbischof noch die Stadt, beide für den Schutz der Juden zuständig, griffen ein; um den Besitz der getöteten Juden stritten sie indessen noch bis ins Jahr 1352. Im Jahre 1378 kam es in Europa zum sogenannten »Großen Abendländischen Schisma« - es amtierten zwei Päpste, Urban VI. in Rom, Clemens VII. in Avignon, wo die Päpste seit 1308 residierten. Die Stadt Köln entschied sich im Frühjahr 1379 -wie der deutsche König und die Mehrheit der Fürsten - für die römische »Oboedienz«, sie erkannte Urban VI. als rechtmäßigen Papst an. Der dankte den Kölnern Bürgern, indem er zehn Jahre später ihrer Bitte entsprach, der Stadt die Gründung einer Universität zu erlauben. Am 21. Mai 1388 stellte Urban in Perugia die Gründungsurkunde der Kölner Universität aus -»nach sorgfältiger Überlegung, zum Nutzen und Vorteil der Stadt und der umliegenden Gebiete«. Damals gab es im deutschsprachigen Raum drei Universitäten, in Prag, in Wien und seit 1386 in Heidelberg. Die Kölner Hochschule war allerdings die erste, die nicht auf fürstliche Initiatve gegründet wurde - sie ging auf »die Räte, Schöffen und Bürger« zurück, wie es in der Urkunde ausdrücklich hieß. Am 22. Dezember 1388 wurde dieser Text im Kölner Rat verlesen, schon am 6. Januar 1389 nahm die neue Hochschule ihren Lehrbetrieb auf. Fast 600 Studenten waren im ersten Studienjahr immatrikuliert, den Grundbestand des Lehrkörpers unter dem ersten Rektor Hartlevus de Marca bildeten Professoren aus Paris, die nicht den französisch gesinnten Papst in Avignon anerkannten, sondern am römischen Papst festhielten.
Vorbild aller Neugründungen war die Pariser Universität; dort hatten sich zu Beginn des 12. Jahrhunderts Lehrer und Schüler verschiedener Anstalten zusammengeschlossen - sie traten fortan als »Gesamtheit« (lat. universitas) auf, eine Bezeichnung, die von allen späteren Hochschulen übernommen wurde. Wie in Paris richtete man auch in Köln vier Fakultäten ein, die theologische, die juristische, die medizinische und die »Artistenfakultät« mit den »sieben freien Künsten« (lat. artes liberales Septem: Grammatik, Dialektik, Rhetorik sowie Arithmetik, Musik, Geometrie und Astronomie). Ein zentrales Gebäude gab es damals nicht, die Hörsäle stellten die Generalstudien der Dominikaner und Franziskaner zur Verfügung - ohne deren gelehrte Tradition ist die Kölner Universität ohnehin nicht denkbar. Aus allen Teilen des Reiches, vor allem aus dem Umland, aus Westfalen, den Niederlanden, Luxemburg, aber auch aus Schottland und Dänemark strömten fortan Studenten nach Köln - schon wenige Jahre nach ihrer Gründung gehörte die Universität - gemessen an der Studentenzahl - zu den bedeutendsten europäischen Hochschulen.
Gaffeln und Zünfte übernehmen das Stadtregiment: der Sturz der Patrizier
Die Gründung der Universität war die letzte bedeutsame Amtshandlung der von den Geschlechtern beherrschten Verwaltungsorgane. Die personelle Verflechtung von Schöffen-kolleg, Rat und Richerzeche führte immer wieder zu Unregelmäßigkeiten und Mißständen in der Verwaltung, die vor allem die Mitglieder der Zünfte und Gaffeln verbitterte. So wehrte sich etwa im Jahre 1348 die Fleischerzunft gegen eine Verordnung des Rates, die sie als Beeinträchtigung ihrer Rechte empfand. Doch der »upstand« der Fleischer fand keine große Resonanz in der Bevölkerung - der Rat löste ihre Bruderschaft auf, fortan spielten die Fleischer keine Rolle mehr in den innerstädtischen Auseinandersetzungen.
An die Spitze all derer, die mit der Politik der führenden Kreise unzufrieden waren, stellten sich in der Mitte der 1360er Jahre die Mitglieder der wirtschaftlich bedeutendsten Zunft, des »Wollenamtes«, die Weber. Unregelmäßigkeiten einzelner Ratsherren nahmen sie im Sommer 1370 zum Anlaß, gegen die Geschlechterherrschaft vorzugehen. Mit Hilfe anderer Zünfte erzwangen sie die Festnahme von Ratsmitgliedern, denen Veruntreuungen städtischer Gelder nachgewiesen worden waren. Im Bewußtsein ihrer neuen Stärke gelang den Webern gleich ein zweiter Coup: Die Richerzeche wurde aufgelöst, die Schöffen von Rat und Bürgermeisteramt ausgeschlossen, der weite Rat umgewandelt - er hatte nun nur noch 50 Mitglieder, unter denen neben den Webern auch Vertreter anderer Handwerke zu finden waren. Der enge Rat blieb allerdings in seiner bisherigen Zusammensetzung bestehen; es ging den Webern offensichtlich in erster Linie um Einflußnahme auf die städtische Finanzverwaltung. Doch die sogenannte »Weberherrschaft« und die neue Verfassung (lat. nova ordinatio) hatten nur kurzen Bestand. Unterstützt von einigen Zünften, die fit den Webern uneins waren, bereiteten die Patrizier dem «eberregime ein schnelles Ende: In einer blutigen Schlacht, die am 20. November 1370 zwischen Waidmarkt und Griechenmarkt geschlagen wurde, erlitten die Weber eine schwere Niederlage - ihre Rädelsführer wurden auf offener Straße erschlagen, viele Weberfamilien mußten aus der Stadt fliehen. Umgehend wurde die Patrizierherrschaft wiederhergestellt; der weite Rat zählte nur noch 31 Mitglieder, Zünfte und Gaffeln wurden gezwungen, dem Rat Gehorsam zu schwören.
Der Druck der politisch Unterprivilegierten hatte die herrschenden Familienverbände noch einmal zusammengeführt -nach dem Sieg über die Weber zerbrach diese Einheit sehr rasch: Alte Familienfehden entzweiten die patrizischen Kreise, es bildeten sich die Gruppierungen der »Greifen« und der »Freunde«. Die Greifen-Partei stützte sich im wesentlichen auf den weiten Rat und dessen kapitalkräftige Mitglieder, während die »Freunde« ihre Basis im engen Rat und im Schöffenkolleg hatten. Die »Greifen« unter der Führung von Hilger Quattermart von der Stessen gewann zunächst die Oberhand, doch am 4. Januar 1396 kam es zum Gegenschlag der »Freunde«: Eine verfassungswidrige Einberufung des weiten Rates nahmen sie zum Anlaß, mit Waffengewalt gegen die »Greifen« vorzugehen; 17 der »Greifen« wurden verhaftet, nur ihrem Anführer Hilger gelang die Flucht. Die »Freunde« wollten nun für klare Verhältnisse sorgen und die Stadtverfassung in ihrem Sinne erneut ändern. Die Stadtgemeinde hatte sich bisher aus dem Kampf der patrizischen Oberschicht herausgehalten; andererseits war das Unbehagen gegenüber dem ungeliebten Regime und seinen repressiven Maßnahmen stetig gewachsen. Als der Schöffe Konstantin von Lyskirchen, der verhaßte Führer der »Freunde«, am 18. Juni 1396 eine Versammlung von Gaffelgenossen in anmaßender Weise auflösen wollte, war dies der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte: Mitglieder von Zünften und Gaffeln, die sich des städtischen Banners bemächtigt hatten, nahmen Konstantin und etwa 100 Patrizier, die im Hause Arsburg am Duffesbach zusammengekommen waren, in Haft - mit dem Zusammentreten eines provisorischen Rates, der aus 48 Mitgliedern (davon stellten die Zünfte 27) bestand und am 24. Juni 1396 erstmals tagte, war das Ende der patrizischen Stadtherrschaft gekommen: Die Macht lag fortan in den Händen der Zünfte und Gaffeln.