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Das farbenreiche Land im Norden

Das farbenreiche Land im Norden

Schleswig-Holstein verdankt seine Existenz dem Norden. Aus Skandinavien stammt nämlich das Land. Es besteht aus Schuttmassen, welche die eiszeitlichen Gletscher einst hierher geschoben haben. Dieser Gesteinsschutt, auch Moränen genannt, weist häu eine Stärke von weit über 100 Metern auf. Ohne sie böten die Nord- und Ostsee ein großes Meer mit nur wenigen kleinen Erhebungen aus dem Wasser bei Helgoland, Sylt, Itzehoe und Segeberg. Nach der Eiszeit siedelten auf den Schuttmassen Pflanzen, Tiere und Menschen. Vermutlich sind in der jüngeren Steinzeit aus einer Vermischung von "Megalithikern und "Steinaxtleuten die Germanen hervorgegangen. In seinen historischen Grenzen nimmt Schleswig-Holstein die südlichste Hälfte jener Halbinsel ein, die sich vom mitteleuropäischen Kernland zum Norden in Richtung Norwegen erstreckt. Im Süden bildet das breite Urstromtal der Elbe mit starken tide- und windbedingten Wasserstandsverschiebungen einen natürlichen Abschluß gegenüber Niedersachsen. Im Norden setzt die Wiedau mit ihren Nebenflüssen und den Niederungen gegenüber Dänemark ebenfalls naturgegebene Akzente. Die Grenzen sind also weitgehend natürlich, und die einzelnen Teillandschaften bieten eigenständige Sitten und Bräuche. Auch in der Kunst und Architektur offenbart sich Typisches. Das Lied "Schleswig-Holstein meerumschlungen aus dem Jahr 1844 unterstreicht das Heimatbewußtsein in diesem abgegrenzten Land in schicksalhafter Zeit.




Ein einheitliches Gebilde, wie es der Liedtext vermitteln möchte, ist Schleswig-Holstein allerdings nicht. Schon die Küsten bieten Gegensätzliches, das sich im Landesinneren fortsetzt. Einer landfesten, starken Ostseeküste mit tiefen, ins Land einschneidenden Förden liegt im Westen eine nahezu konturlose weiche, flache Wattenmeer-und Marschenlandschaft gegenüber, die nur durch starke Deiche geschützt werden kann. Es ist verständlich, daß diese Menschenwerke immer wieder durch unberechenbare Sturmfluten zerstört beziehungsweise verändert werden, mit allen dadurch verbundenen Schicksalen, Land- und Küstenverschiebungen.

Überaus abwechslungsreich stellt sich der natürlich gefaßte Raum dar. Das trifft besonders auf die geologische Dreigliederung zu: Im Osten lockt das seenreiche Hügelland mit fruchtbaren Lehmböden - Jungmoränen der letzten Eiszeit. Der Mittelrücken, die magere Geest, besteht vornehmlich aus Sanderflächen, die vom Schmelzwasser der letzten Eiszeit ausgespült und aufgeschüttet wurden, und aus verwaschenen Altmoränen der vorletzten Eiszeit. Dieser Landschaftsteil leitet harmonisch von Ost nach West über. Gegenüber der Ostküste bietet die Nordseeseite durch und durch Kontrastierendes. Hier fasziniert ein weit überschaubares, flaches Land mit vom Meer abgelagerten und abgerungenen, stets von Hochwasser bedrohten Salzwiesen als rland im Gegensatz zu dem fruchtbaren Marschenland mit einigen inselartigen Altmoränenkuppen. Ebenso mannigfaltig wie das geographische Erscheinungsbild Schleswig-Holsteins sind auch die sozialen und ethnischen Strukturen. Schleswig-Holstein muß trotz aller Völkerabwanderungen, die Angeln und Sachsen etwa zogen im 5. Jahrhundert nach England, attraktiv gewesen sein. Immer wieder drangen von allen Seiten neue Völkergruppen auf die Landbrücke ein, wie zum Beispiel die Sachsen und Franken, Friesen, Juten, Dänen, Schweden und Slawen (Abotriten). Schließlich nahm Karl der Große die nordelbischen Sachsengaue Holstein, Stormarn und Dithmarschen in sein Reich auf. Etwa 300 Jahre lang wurde dann das Land zwischen den Meeren von Machtkämpfen zwischen Deutschen, Dänen und Slawen heimgesucht. Im Jahre 1111 setzte der Herzog von Sachsen, Lothar von Supplinburg, Adolf von Schauenburg als Grafen in Holstein und Stormarn ein. Während dieser Zeit verlor der wichtigste Ort des Landes, Schleswig, dem zuvor bereits die nahe gelegene Wikingersiedlung Haithabu als Handelszentrum angehört hatte, zugunsten von Lübeck seine rmachtstellung. Nun wurde Lübeck zur Perle der Hanse und deutscher Kultur im gesamten Ostseeraum. Im Gegensatz zum germanischen Altsiedeiland mit meist bäuerlichen Schichten erhielt der holsteinische Feudaladel im ehemals slawischen Wagrien und Polabien sowie im früher bewaldeten deutschdänischen Grenzgebiet (Dänischer Wohld und Schwansen) seit dem 12. Jahrhundert grundherrliche Rechte. Hier liegen die Anfänge für den seit Ende des 15. Jahrhunderts erfolgten Aufbau einer Gutswirtschaft mit dienstpflichtigen Untertanen.

Der Historiker Christian Degn beschreibt in seinem eindrucksvollen historischen Atlas (1994) die Komplexität der schleswig-holsteinischen Geschichte und erinnert an ein Wort des britischen Premierministers Lord Palmerston (1784-l865): "Die Geschichte Schleswig-Holsteins sei so kompliziert, daß nur drei Menschen sich darin auskennten: 1. Albert von Sachsen-Coburg-Gotha, der Prinzgemahl der Queen Victoria - aber der sei schon tot; 2. ein deutscher Professor - aber der sei verrückt geworden; 3. er selbst, Lord Pam - aber er habe alles wieder vergessen, zum Glück, sonst wäre er auch noch verrückt geworden. Und weiter schreibt Degn: "Doch der englische Lord vergaß einen vierten, der die Geschichte nicht nur kannte, sondern so beherrschte, daß er sie auch zu nutzen verstand: Palmerstons großer Gegenspieler Bismarck. Durch Bismarcks Politik - er sprach nach vielen Jahren und Erfolgen von seinem .Meisterstück!' - wurde Schleswig-Holstein 1864/1867 preußisch und deutsch. Die vielhundertjährige Brücke nach Dänemark wurde abgebrochen. Berlin wurde nun für lange Zeit der Ort politischer Entscheidungen. Das Ergebnis der lksabstimmung aus dem Jahre 1920 legte im Landesteil Schleswig eine Grenzverlegung von der Königsau bei Ribe zur Wiedau bei Tondern fest. Dieser Grenzverlauf überdauerte das "Dritte Reich und findet bis heute überwiegend Zustimmung. Auf die historischen Ereignisse antwortet die Formensprache der Architektur und Kunst. Vielerorts zeigen sich Einflüsse aus Kopenhagen und aus Berlin. Beispielsweise künden zwei prägende Kirchenbauten und Hauptwerke des Klassizismus, die Neu-münsteraner Vicelinkirche (1828-34) und die Husumer Marienkirche (1829-33), die beide von dem bekannten dänischen Architekten Christian Frederik Hansen im Anschluß an die Frauenkirche in Kopenhagen gebaut wurden, von dänischen Einflüssen. Dagegen setzt das in den Jahren 1875-78 erbaute heutige Oberlandesgericht in Schleswig als ehemaliger Sitz des Oberpräsidenten und der Regierungaus preußischer Zeit nach den Plänen von Landbaumeister Heinrich Köhler eindeutig Berliner Zeichen. Ebenso wird die Berliner Schule anhand der alten Kieler Universitätsbibliothek (1881-84) von Martin Gropius und Heino Schmieden deutlich.

Unabhängig von politischen Ereignissen blieben die überlieferten bäuerlichen baulichen Bestandsschichten auf dem Lande. Diese Baukultur fußt auf gewachsenen Traditionen, die aus allen Himmelsrichtungen auf das Brückenland Schleswig-Holstein einwirkten und hier dann über Jahrhunderte eigenständig geprägt wurden. Ein Kennzeichen aller Bauernhäuser ist ihre zweckgebundene Architektur: Die Form folgt der Funktion. Nur ein Gebäude, das den extremen Witterungsbedingungen in Schleswig-Holstein trotzen kann, ist für diesen Landstrich geeignet. Aus der Fülle der unterschiedlichen historischen Haus- und Hofformen sei eine hervorgehoben: das uthlandfriesische Haus. Als die "Uthlande bezeichnet man vornehmlich die Halligen und Inseln Nordfrieslands. Der danach benannte Haustyp ist ein langgestreckter Massivbau. Hier finden sich Wohn- und Stallbereich - wie bei allen traditionellen schleswig-holsteinischen Bauernhäusern - unter einem Dach, das von inneren wandnahen Ständern getragen wird. Im Falle von Verwitterungen oder Unterspülungen durch Sturmfluten hält die im Inneren des Hauses liegende, geschützte Ständerkonstruktion lange stand. "Luxus boten diese Häuser natürlich kaum. Meist war im Wohnbereich bis auf die Küche nur die täglich genutzte Stube, die "Dons, beheizbar. Die "beste Stube, der sogenannte "Pesel, blieb den großen Feierlichkeiten vorbehalten. Einzigartig ist die Landschaft Schleswig-Holsteins, einzigartig ist auch der Reichtum von Geschichte, Kunst und Kultur, der in den ca. 130 schleswig-holsteinischen Museen aufs beste erschlossen ist. Mit etwa 2,6 Millionen Besuchern jährlich nehmen die musealen Einrichtungen genauso viele Gäste auf, wie das Land Einwohner zählt. Das Schleswig-Holsteinische Landesmuseum auf Schloß Gottorf in Schleswig, das Wikinger Museum Haithabu, das Schleswig-Holsteinische Freilichtmuseum in Molfsee bei Kiel, das Dithmarscher Landesmuseum in Meldorf sowie das Nissenhaus/Nordfriesisches Museum in Husum gehören zu den meistbesuchten Kulturstätten dieser Art. Das nördlichste Bundesland Deutschlands, ein Agrarland mit bedeutender Viehzucht und vorbildlichem Ackerbau auf nur etwa 160 mal 90 Kilometern, stellt wie zur Zeit seines Ursprungs nicht nur auf dem Landwege, sondern auch über das verbindende Element Wasser weiterhin Kontakte zwischen Nord und Süd zu allen Nordsee- und Ostseeanrainern her. Das vor einigen Jahren aus der Taufe gehobene "Ars Baltica ist das Zauberwort, das die Kommunikation über Kunst und Kultur belebt. Das Schleswig-Holstein Musik Festival, das seit vielen Jahren mit hochrangigen Künstlern aus aller Welt veranstaltet wird, unterstreicht diese Bemühungen. Die Industrie- und Handelskammer zu Kiel bündelt rund um die Ostsee Interessen aus den Wirtschaftssphären Nord-, West- und Osteuropas. Über 100 Jahre bestehen die Kieler Woche, das große Sport- und lksfest, und der Nord-Ostsee-Kanal, eine der meistbefahrenen Wasserstraßen der Welt. Sie sind nicht nur Zeugnisse der Gestaltungskraft von Land und Leuten, ihrer maritimen und kulturellen Traditionen, sondern gleichzeitig Symbole der wirtschaftspolitischen Perspektiven.

Die kulturelle Tradition erklingt auch in den einzigartigen Stimmen der unvergessenen Literaten, die unsere Heimat weltberühmt gemacht haben. Durchreisen wir Schleswig-Holstein, dann holen uns diese eindringlichen und bilderreichen Beschreibungen immer wieder ein. In Lübeck etwa befindet sich eine der bekanntesten Adressen der Weltliteratur. Das 1758 erbaute Patrizierhaus in der Mengstraße, das einst der Familie Mann gehörte, ist zu großen Teilen der Schauplatz der "Buddenbrooks von Thomas Mann (1875-l955). Heute beherbergt dieses altehrwürdige Gebäude eine Gedenkstätte. In dem grünen Bauernland Dithmarschen denken wir an den in Heide geborenen Müllerssohn Klaus Groth (1819-l899), der die klangvolle plattdeutsche Sprache des lkes in seinen niederdeutschen Gedichten verewigt hat. In Dithmarschen, und zwar in einem kleinen verträumten Museum in Wesselburen, wird man auch an den von hier stammenden Friedrich Hebbel (1813-l863) erinnert, einen der bedeutendsten Dramatiker des deutschen Nordens. Und ist man während eines Tages, an dem graue Sturmwolken über den Himmel ziehen, auf dem Weg durch die erhabene Koog- und Marschenlandschaft an der Nordseeküste, so kommt dem Betrachter eine Passage aus Theodor Storms (1817-l888) "Schimmelreiter in den Sinn: "Es war im dritten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts, als ich bei starkem Unwetter auf einem nordfriesischen Deich entlangritt. Zur Linken hatte ich schon seit über einer Stunde die öde, bereits von allem Vieh geleerte Marsch, zur Rechten, und zwar in unbehaglicher Nähe, das Wattenmeer der Nordsee, zwar sollte man vom Deiche aus auf Halligen und Inseln sehen können, aber ich sahnichts als die gelbgrauen Wellen, die unaufhörlich wie mit Wutgebrüll an den Deich hinaufschlugen

In diesem Land der Kontraste und der Buntheit, das so viele Literaten für immer auf Papier bannten, erwachsen trotz allen Handelns und Tuns dennoch Ruhe und Beschaulichkeit: In den gletschergeformten, sanftwelligen Hügellandschaften der Ostküste ebenso wie auf den nahezu unendlich linearen Weiten im gegenüberliegenden, benachbarten Westen. Hier wie dort begegnen sich Urlauber mit Kind und Kegel auf stillen Bauernhöfen, in gemütlichen Landkrügen und Fischerhäusern - wo sich Erholung und Arbeit mischen, wo Wind und Wetter, Sonne und Regen sich zu einem großen Ganzen fügen. Schleswig-Holstein ist über die Jahreszeiten ebenso farbenreich wie die Landschaften des Malers Emil Nolde (1867-l956). m zarten Maiengrün über die frühsommerliche Rapsblüte bis zu den Herbstfarben passen sich in alter und neuer Gestalt die Städte und Dörfer ein, zwischen Flensburg und Lübeck, Keitum und Koll-mar, Büsum und Burg auf Fehmarn.







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