Das amerikanische Wachstumsmodell der Wirtschaft gilt weitgehend als Vorbild für die globale Positionierung der Europäischen Union.
Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und der Stunde Null der europäischen Wirtschaft im Jahr 1945 gelang es Europa zwar, bis etwa 1980 den großen Einkommensunterschied pro Kopf der Bevölkerung zu den USA erheblich abzubauen, hingegen trotz des Wirtschaftswunders der 1950er Jahre und späterer Erfolge nicht, die amerikanische Wirtschaft einzuholen. Dies belegen die gegenüber den USA wieder zurückbleibenden Zuwächse der Wirtschaftsindikatoren Beschäftigung und BIP für die letzten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts (European Commission to the United States: AMECO-Datenbank).
Zuwächse bei BIP Produk-
Beschäftigung tivität
EU USA EU USA EU USA
1970- -l979 0,3 2,2 3,2 3,6 2,8 1,4
1980- -l989 0,6 1,9 2,3 3,3 1,8 1,4
1991- -l995 -0,5 1,6 1,5 3,1 2,0 1,5
1995- -2000 1,4 2,0 2,7 4,1 1,3 2,1
Die auf einer wachsenden Bevölkerung beruhenden steigenden Beschäftigungszahlen sicherten den Vorsprung des amerikanischen BIP, den Europa ungeachtet seiner bis Mitte der 1990er Jahre anhaltenden höheren Produktivität im rarbeitenden Gewerbe und in den öffentlichen Dienstleistungen nicht wettmachen konnte. Schließlich ist seit 1995 auch in dieser Hinsicht ein Platztausch mit den USA erfolgt.
"Betrachtet man die gegenwärtige ökonomische Position der drei Global Players der Weltwirtschaft - EU, USA und Japan -, so kommt man zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem welche Maßzahlen man einem Vergleich zugrunde legt: Soll man in dem von der UNO empfohlenen gesamtwirtschaftlichen Maßstab BIP oder dem von den USA aus begreiflichen Gründen vorgezogenen BNP kalkulieren? Soll man diese Größen jeweils in US-Dollar oder zu Kaufkraftparitäten berechnen? Soll man die Einkommen pro Kopf, pro Beschäftigten oder pro geleisteten Arbeitsstunden im Jahr ranschlagen, welch letztgenannter Vergleich für das ausgiebig urlaubende Europa ungleich günstiger ausfiele? Soll man überhaupt von den die USA im besten Licht darstellenden Durchschnittsgrößen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen abgehen und das Ausmaß der Ungleichheit der Einkommensrteilung ins Spiel bringen oder gar noch (die Lebensqualität berücksichtigende) Sozialindikatoren in den Vordergrund rücken? Selbst ein Vergleich der Arbeitslosenraten zwischen den USA und den EU-l5 ist schon hoch problematisch, weil diese etwa gleich wären, wenn man zu den offiziell ausgewiesenen Raten den in den USA ungleich höheren Prozentsatz der Strafgefangenen hinzufügte (Erich Streissler, Anmerkungen).
Wie elle 8.5 zeigt, konnte die EU hinsichtlich des in Dollar gemessenen BNP mit den USA gleichziehen, freilich nur dank ihrer wesentlich größeren Bevölkerungszahl. Bezüglich des BNP pro Kopf erreicht die EU allerdings nur den dritten Rang nach den USA und Japan.
Für das ausgewiesene Jahr 2003 würde der in Kaufkraftparitäten gemessene Vergleich von EU und USA wenig anders ausfallen, andererseits Japan infolge seiner hohen Nahrungsmittelpreise und mancher Dienstleistungspreise wesentlich schlechter dastehen. Im Vergleich zu der Messung der elle 8.5 in US-Dollar würde sich für die Zeit nach 2003 eine rasche Verschiebung zu Ungunsten der USA ergeben, da der Dollar seit 2002 im Vergleich zum Euro jährlich stark abwertet. Rechnet man nicht in dem die USA günstig ausweisenden BNP, sondern im BIP, so stehen die USA sowohl gegenüber der EU wie Japan um einige Prozentpunkte schlechter da, denn insbesondere Zinszahlungen (netto) auf die Auslandsschulden der USA wären dann abzuziehen: Die USA sind das mit Abstand am stärksten international rschuldete Land der Welt und diese Verschuldung steigt infolge des ungewöhnlich hohen Leistungsbilanzdefizits rasch an. Weniger allgemein bekannt ist bislang, dass der durchschnittliche Konsum in Amerika deswegen besonders hoch ist, weil die USA fast ihr gesamtes Volkseinkommen konsumtiv nutzen, die Privaten keine persönlichen Ersparnisse bilden, die staatlichen Budgetdefizite hoch sind und somit die Institionen in erheblichem Maße vom Rest der Welt finanziert werden.
Wohl bekannt sind andererseits die Schattenseiten des ökonomischen Modells der USA: die sich immer weiter öffnende soziale Schere mit einem Inter-Quartilsabstand vom ersten zum vierten Quartil der Einkommensrteilung von 1:8, die Entstehung einer plutokratischen Mittel- und Oberschicht auf der einen Seite und einer "Under-class auf der anderen, die Polarisierung von Weltspitzeunirsitäten und Quasi-Analphabe-tismus breiter Bevölkerungsschichten, von fehlenden Gesundheits- und Rentenprogrammen für sozial Schwache, Arbeitsunfähige, Behinderte und Jugendliche sowie für nicht-weiße Bevölkerungsgruppen.
Nun ist von Kennern beider Kontinente immer wieder zu hören, dass man in den USA bessere Arbeitsbedingungen vorfindet, während man in Europa besser leben kann. Dieser Frage nach dem Trade-off von ökonomischer Leistung und Lebensqualität sind Kluge und Fassbender nachgegangen und haben rsucht, darauf eine messbare Antwort zu finden. Der von ihnen berechnete Quality-of-Life-lndex besteht aus folgenden Kategorien: Als Wohlstandsindikator wird das BIP rwendet, als Umweltindikator der Co2-Ausstoß, unter dem Begriff "soziale Gerechtigkeit sind der Gini-Koef-fizient, die Dezile der untersten Einkommensklasse und die Arbeitslosenrate zusammengefasst, als Freizeitindikator wird die Zahl der jährlichen Arbeitsstunden pro Kopf der Bevölkerung berechnet.
EU -l5 USA
Ökonom. Wohlstand 22 46
Umwelt 13 -
Soziale Gerechtigkeit 9 7
Freizeit 11 2
Quality-of-Life-lndex 5 5 55
Die Indexrechnungen führen zu folgender Gesamtaussage: "Zwar liegt Europa bei dem harten Faktor Wirtschaftsleistung pro Kopf hinter den USA. Es kann jedoch bei den weichen Faktoren von Lebensqualität in einem Ausmaß kompensieren, dass bei allen rnünftigen Gewichtungen der amerikanische und der europäische Trade-off als insgesamt gleichwertig betrachtet werden müssen (Kluge und Fassbender, 2003 S.32 f.).
Interkontinentale Direktinvestitionen
Dieser komparatistischen Innensicht der Wirtschaft der EU-15 und der USA ist noch die Außensicht hinzuzufügen.
Die interkontinentalen Direktinvestitionen bieten sich als Indikator an, da Kapital nur dort investiert wird, wo eine Rendite erwartet wird. Nun sind seit Mitte der 1990er Jahre steigende Direktinvestitionen von Europa in den USA erfolgt. Die Jahre des beschleunigten Produktivitätswachstums in den USA fielen zusammen mit immer mehr Anlageinvestitionen und Firmenkäufen europäischer Unternehmen in den Vereinigten Staaten.
Von Europa wurde jedoch nicht nur in den USA investiert, sondern nahezu gleich hohe Investitionen gingen auch in andere Teile der Welt, während die Vereinigten Staaten sowohl in Europa als auch in der übrigen Welt im selben Zeitraum weniger investiert haben.
Die globale Exportstellung der EU-15 und ebenso die von Japan fand damit auch in entsprechend hohen globalen Investitionen einen Niederschlag. Ferner war zu beobachten, dass europäische Firmen den US-Markt aus US-Produktionsstätten belieferten, dagegen US-Firmen für den Absatz in Europa hier weit seltener produzierten. Die Angst vor einer "Überfremdung der europäischen Industrie infolge steigender amerikanischer Direktinvestitionen, die noch in den 1960er Jahren bestanden hatte, ist längst vorbei. Heute sind europäische Unternehmen zu einem wesentlichen Faktor der Globalisierung geworden. Allerdings wird damit auch der Prozess der Entindustrialisierung der europäischen Wirtschaft weiter angekurbelt.
Im Zeitalter der Europäisierung der Erde hat Europa Menschen und Kapital ausgeführt. An der Wende zum 21. Jahrhundert beginnt es, in erstaunlichem Umfang Kapital zu exportieren, während es andererseits Bevölkerung importieren muss.
Effekte der EU-Erweiterung
Durch die EU-Erweiterung hat sich die globale Position der EU wesentlich verändert, wenn man die Auswirkungen auf die Schlüsselindikatoren der Wirtschaft betrachtet, über die im Vorfeld der EU-Erweiterung sehr kontrovers diskutiert worden war. Angesichts der vollzogenen Erweiterung ist festzustellen, dass die gesamtwirtschaftlichen und die Beschäftigungsindikatoren für die EU-25 weiterhin von der Situation in der EU-15, in der über 80% der Bevölkerung der EU-25 leben, bestimmt werden. Während die Gesamtbevölkerung der EU-25 um rund 20% höher ist als die der EU-15, haben die Gesamtbeschäftigung um etwa 18% und das Gesamt-BIP nur um 9% zugenommen (Tabelle 8.6).
Die Arbeitsproduktivität in den EU-Erweiterungsländern erreicht etwas über 50% des Wertes der EU-15 und das Pro-Kopf-BIP nicht einmal die Hälfte. Aufgrund der relativ geringen Bevölkerungszahl der zehn Erweiterungsländer sind die Arbeitsproduktivität und das Pro-Kopf-BIP in der EU-25 jedoch nur um 7 bzw. um 9% gesunken. Beim Beschäftigungsniveau bestehen freilich signifikante Unterschiede. Während die Beschäftigungsquote 2002 für die EU-15 bei 64,3% lag, erreichten die beitretenden Länder nur 55,9%. In der EU-25 sank demnach die Beschäftigungsquote auf 62,9% (2002). Soll die Lissaboner Gesamtvorgabe von 70% für die Beschäftigungsquote in der EU-25 erreicht werden, so müssten im Zeitraum 2002-2010 etwa 22 Mio. Arbeitsplätze geschaffen werden, was wenig wahrscheinlich ist.