Bevölkerungsentwicklung
Als die langjährige Teilung Deutschlands in die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik mit der staatlichen Vereinigung am 3. Oktober 1990 beendet wurde, hatte das reinte Deutschland 79,7 Mill. Einwohner (Datenreport 1992, S. 38). Das waren insgesamt 11,3 Mill. mehr Menschen als 1950 und sogar fast 20 Mill. mehr als kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1939 (Tab. 2.1).
Mit 63,7 Mill. Menschen lebte der weitaus überwiegende Teil der Gesamtbevölkerung des reinten Deutschland im früheren Bundesgebiet (80 %); in den neuen Bundesländern lebten mit 16,1 Mill. Menschen 20 % der Bevölkerung.
Gegenüber 1950 bedeutete dies für das frühere Bundesgebiet eine Zunahme um 13,6 Mill. (+27%), für das Gebiet der ehemaligen DDR jedoch dagegen eine Abnahme um 2,3 Mill. Menschen (-l2 %).
1997 lebten in der Bundesrepublik Deutschland 82 Mill. Menschen und damit 2,4 Mill. mehr als im Vereinigungsjahr 1990 (davon 81,1 % im früheren Bundesgebiet und 18,9% in den neuen Bundesländern einschließlich Berlin-Ost).
Auch wenn keine linearen Zusammenhänge zwischen den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und demographischen Prozessen bestehen, so konnten doch die langjährig dirgierenden gesellschaftlichen Entwicklungen in beiden deutschen Staaten nicht ohne Einfluß auf die Bevölkerungsentwicklung bleiben (vgl. u. a. Wendt 1993, S. 99 -l13). So sind trotz weitgehender Konrgenzen in der demographischen Entwicklung auch deutliche Unterschiede und Besonderheiten festzustellen. Der gravierendste Unterschied zwischen beiden deutschen Staaten war im Ergebnis der unterschiedlichen demographischen Prozesse die Bevölkerungszunahme im früheren Bundesgebiet und die Bevölkerungsabnahme in der ehemaligen DDR.
Lag die Ursache für das starke Bevölkerungswachstum im früheren Bundesgebiet zunächst in einem hohen Lebendgeborenen-überschuß in Verbindung mit kräftigen Wanderungsgewinnen, so wurden seit Anfang der 1970er Jahre aufgrund der anhaltenden Geburtendefizite die fast durchgängigen Wanderungsgewinne zum bestimmenden Faktor der Bevölkerungszunahme.
Die Bevölkerungsabnahme in der ehemaligen DDR war dagegen zum weitaus überwiegenden Teil auf die durch Flucht und Ausreise bedingten hohen Wanderungsrluste gegenüber der Bundesrepublik Deutschland zurückzuführen und konnte selbst durch das im Vergleich zur Bundesrepublik zeitweilig höhere Geburtenniau nicht rhindert werden (Wendt 1991b).
Für das reinte Deutschland ist eine anhaltende Bevölkerungszunahme typisch. Von 1990 bis 1997 nahm die Bevölkerung um fast 3 Mio. zu (+3,7 %). Damit wurden Ende 1997 82,05 Mio. Einwohner registriert (Tab. 2.2). Die Bevölkerungszunahme wurde ausschließlich durch Wanderungsgewinne in Höhe von insgesamt 3,6 Mio. Personen rursacht, so daß der Gestorbenenüber-schuß (-642 000 Personen) nicht nur kompensiert, sondern auch das erwähnte deutliche Bevölkerungswachstum von nahezu 3 Mio. Personen erreicht werden konnte. Infolge der hohen Wanderungsgewinne von Ausländern (1990-l997 von 2,2 Mio. Personen) kann von einer zunehmenden "Internationalisierung" der demographischen Entwicklung in Deutschland gesprochen werden (Birg/Flöthmann 1993, S. 2).
Die Bevölkerungsentwicklung rlief auch nach der Vereinigung weiterhin gegensätzlich und rschärfte sich in der Übergangsphase sogar. Während von Anfang 1990 bis Ende 1997 im früheren Bundesgebiet die Bevölkerung um 4 Mio. Einwohner zunahm, ging diese in den neuen Bundesländern um 1 Mio. zurück.
Die Zunahme im früheren Bundesgebiet war fast ausschließlich das Ergebnis von Wanderungsgewinnen. Begünstigt wurde die Bevölkerungszunahme durch eine zeitweilig positi Geburtenentwicklung (1990 bis 1993 leichter Geborenenüberschuß). Tendenziell ist jedoch eine Abschwächung des Bevölkerungswachstums erkennbar. Diese Abschwächung beruht auf dem Rückgang der Geborenenüberschüsse, die zeitweilig (1994-l996) wieder in einen Gestor-benenüberschuß übergegangen sind, vorwiegend aber auf einem Rückgang der Wanderungsgewinne. So wurde 1997 bei insgesamt positim Wanderungssaldo -aufgrund hoher Zuwanderungsgewinne von Deutschen - erstmals wieder seit Anfang der 1980er Jahre ein negatir Wanderungssaldo bei Ausländern registriert (-22000).
In den neuen Bundesländern setzte sich der Bevölkerungsrückgang nach der Vereinigung zunächst rstärkt fort. Von Anfang 1990 bis Ende 1997 betrug der Rückgang, der überwiegend auf eine extrem hohe Geburtenabnahme, aber auch auf die anfänglich noch sehr hohen Wanderungsrluste gegenüber dem früheren Bundesgebiet zurückzuführen war, gut 1 Mio. Einwohner. Da jedoch seit 1992 Wanderungsgewinne gegenüber dem Ausland registriert und 1995 erstmals wieder ein Rückgang der Gestorbenenüberschüsse rmerkt wurden, schwächte sich die negati Bevölkerungsbilanz ab. Allerdings hält die negati Bevölkerungsbilanz und damit der Bevölkerungsrückgang in den neuen Bundesländern tendenziell an.
Während in den alten Bundesländern von einer weitgehenden Silität der Bestimmungsfaktoren demographischer Verhaltensweisen und damit einer Kontinuität der demographischen Prozesse auszugehen ist, sind mit dem tiefgreifenden politischen und gesellschaftlichen Wandel in den neuen Bundesländern ebenso tiefgreifende demographische Veränderungen rbunden. Gerade in der Übergangsphase sind schockartige Veränderungen demographischer Verhaltensweisen mit der Folge einschneidender Rückgänge der Geburten und Eheschließungen typisch. Rascher sozialer Wandel kann zu sozialer Anomie (Normlosigkeit) führen und nimmt damit auf langfristige Verpflichtungen - wie es die Prozesse der Familienbildung nun einmal sind (Eheschließungen und Geburten) - negativ Einfluß (Wendt 1993, S. 102; Höpflinger 1987, S. 43). Verstärkt wird der erosi Geburtenrückgang in den neuen Landern durch hohe Wanderungsrluste an die alten Bundesländer, die sich erst mit der Angleichung der Lebensbedingungen, der Erschöpfung der Aufnahmefähigkeit des westlichen Arbeitsmarktes und einer Zunahme der gegenläuen West-Ost-Wanderung rringern werden.
Mit Angleichung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen an das Niau der alten Bundesländer ist allerdings langfristig auch von einer generellen Angleichung der demographischen Prozesse an die jeweiligen Niaus der alten Bundesländer auszugehen.
Bevölkerungsdichte und Bevölkerungsrteilung
Entsprechend der unterschiedlichen Bevölkerungsentwicklung ränderten sich auch die Bevölkerungsdichte und Bevölkerungsrteilung in den alten und neuen Bundesländern. Die Ausgangssituation für das Jahr 1989 rmittelt Abbildung 2.1. Angaben für 1993 macht Abbildung 2.2. Im früheren Bundesgebiet stieg die mittlere Bevölkerungsdichte an. Sie lag 1996 bei 272 Ew./km2, während sie in den neuen Bundesländern auf 131 Ew./km2 zurückging. Deutschland insgesamt hatte Ende 1996 eine durchschnittliche Bevölkerungsdichte von 230 Ew./km2. Die höchsten Bevölkerungsdichten sind in den Stadtstaaten zu rzeichnen (Berlin 3883, Hamburg 2262, Bremen 1677 Ew./km2) und unter den Flächenländern in Nordrhein-Westfalen (527 Ew./km2). Die niedrigste Bevölkerungsdichte weisen die neuen Bundesländer mit Mecklenburg-Vorpommern (78 Ew./km2) und Brandenburg (87 Ew./km2) auf (Stat. Jahrbuch BRD 1998, S. 47). Gerade die niedrige Bevölkerungsdichte in den neuen Bundesländern erschwert und rteuert oft die notwendigen Infrastrukturinstitionen erheblich, da z. B. die Einzugsgebiete für Einrichtungen der sozialen Infrastruktur besonders groß sind (Schulen, Einrichtungen der Kultur, des Gesundheitswesens etc.).
Die bevölkerungsreichsten Bundesländer sind Nordrhein-Westfalen mit 17,9 Mio. Einwohnern, gefolgt von Bayern (12 Mio. Einwohner) und Baden-Württemberg (10,4 Mio. Einwohner). Das nach der Einwohnerzahl aber auch nach der Fläche kleinste Bundesland ist Bremen (678000 Einwohner und 404 km2). Die flächenmäßig größten Bundesländer sind Bayern (70 550 km2), Niedersachsen (47 612 km2) und Baden-Württemberg (35 752 km2); (Stat. Jahrbuch BRD 1998, S. 47).
Der Urbanisierungsgrad ist im früheren Bundesgebiet höher als in den neuen Bundesländern. So lebten 1996 in den ländlichen Gemeinden (weniger als 2 000 Einwohner) der neuen Bundesländer mit 2,9 Mio. Einwohnern fast ein Fünftel der Bevölkerung (19,1 %), in den alten Bundesländern aber nur 5,4% (3,6 Mio.). Demgegenüber lebten in den alten Bundesländern mit einem Drittel (33 %) der Bevölkerung mehr Menschen in Großstädten (Gemeinden mit 100000 und mehr Einwohnern) als in den neuen Bundesländern (27%) (Stat. Jahrbuch BRD 1998, S. 57).
Natürliche Bevölkerungsbewegung
Ist auch die natürliche Bevölkerungsentwicklung im früheren Bundesgebiet durch eine relati Kontinuität charakterisiert, so zeigen sich doch Anderungen im Altersmuster des Geburtenrhaltens (zunehmendes Alter der Frauen bei der Geburt) und im strukturellen Wandel der Ordnungsfolge der Geborenen (Reduzierung des Anteils dritter und weiterer Kinder), aber auch in einer zunehmenden Kinderlosigkeit. In den neuen Bundesländern kommt es infolge des gravierenden sozialen Wandels zu schockartigen Veränderungen demographischer Prozesse, die sich erst allmählich normalisieren und sich denen der alten Bundesländer nur langsam annähern (Wendt 1993, S. 99ff.; Höhn 1998, S. 99).
Anderungen demographischer Verhaltensweisen, wie der einschneidende Geburtenrückgang in den neuen Bundesländern, sind ein markantes Indiz für die hochgradig sensiblen Reaktionen demographischer Verhaltensweisen auf tiefgreifende gesellschaftliche Umbrüche. Im Prozeß des damit rbundenen Wertewandels kommt dem Werte- und Normensystem der alten Bundesländer eine Leitfunktion zu. Da sich Normen und Werte aber nur in zeitlicher Verzögerung zu den ränderten Rahmenbedingungen herausbilden können, bestehende Werte aber weitgehend entwertet wurden, ist es zu anomischen Verhaltensweisen im Sinne von Normlosigkeit und demographischer Insilität gekommen (Höpflinger 1987, S. 45). Dies rdeutlicht sich in den neuen Ländern für eine Übergangsphase in einschneidenden Verhaltensänderungen, wie sie vor allem in einem erosin Geburtenrückgang registrierbar sind (Wendt 1993, S. 102). Langfristig kann jedoch von einer Angleichung demographischer Verhaltensweisen an das Niau der alten Bundesländer ausgegangen werden.
Auch wenn der Geburtenrückgang in den neuen Ländern durchaus das Geburtengeschehen im reinten Deutschland beeinflußt, so werden infolge des größeren demographischen Potentials der alten Bundesländer (80 % der Bevölkerung) und unter der Prämisse der längerfristigen Angleichungsprozesse zwischen Ost und West die demographischen Entwicklungen weitgehend vom demographischen Verlauf der alten Bundesländer bestimmt, wobei dieser wiederum durch eine weitgehende Stetigkeit charakterisiert ist.
1 Eheschließungen und Ehescheidungen
Da Geburten überwiegend in Ehen erfolgen, haben das Heirats- sowie das Scheidungsrhalten einen entscheidenden Einfluß auf die Geburtenentwicklung, obwohl in zunehmendem Maße Kinder auch nichtehelich bzw. in eheähnlichen Lebensgemeinschaften geboren werden.
Der Trend zur Abnahme der Eheschließungshäukeit in Ost und West setzte sich auch nach der Vereinigung weiter fort. Heirateten im Jahre 1990 noch 516000 Paare in Deutschland, so nahm die Zahl der Eheschließungen in den Folgejahren tendenziell weiter ab und erreichte 1997 mit 423 000 einen neuen Tiefstand (Tab. 2.3).
Bei differenzierter Betrachtung dieser Tendenz zeigt sich, daß der Rückgang vor allem aus einer einschneidenden Verringerung der Eheschließungen in den neuen Bundesländern resultiert. Sank in den alten Bundesländern die Zahl der Eheschließungen von 1990 bis 1997 um 11 % (-45 000), so ging sie in den neuen Bundesländern sogar um die Hälfte (-48% oder um fast 49000 Eheschließungen) zurück (Abb. 2.3). Auch wenn in den neuen Bundesländern in den letzten Jahren die Eheschließungszahlen tendenziell wieder leicht angestiegen sind, so kann noch längst nicht von einer Normalisierung des Heiratsrhaltens gesprochen werden.
Die tendenzielle Zunahme von Wiederrheiratungen (Eheschließungen Geschiedener) hat sich in den 1990er Jahren sowohl in Ost wie in West auf einem relativ hohen Niau silisiert. 1996 waren im gesamten Bundesgebiet etwa 77 % aller Eheschließenden noch ledig, 21 % bereits geschieden und 2 % rwitwet. In den neuen Bundesländern war infolge der höheren Scheidungsrate auch der Anteil Geschiedener (26 %) an den Eheschließungen höher und derjenige an Ledigen niedriger (71 %).
Betrachtet man das Heiratsrhalten nach dem früheren Familienstand, so heirateten nach wie vor überwiegend Ledige untereinander. Allerdings sinkt der Anteil der Erstheiraten zugunsten der Wiederrheiratung Geschiedener (1950: 15% und 1996: 21 %). Die Wiederrheiratungsneigung ist sehr hoch. Immerhin heirateten mehr als die Hälfte aller geschiedener Frauen (60 %) und Männer (54%) wieder (Grünheid/Mammey 1998, S. 390/395).
Auch wenn die überwiegende Mehrheit aller Eheschließungen im früheren Bundesgebiet nach der Staatsangehörigkeit zwischen Deutschen geschlossen wird (1994: 85 %), so hat mit steigendem Ausländeranteil auch der Anteil an Eheschließungen zwischen Ausländern leicht zugenommen (1994: 3%); derjenige zwischen Deutschen und Ausländern hat sich aber gegenüber 1970 rdoppelt (1994: 12%) (Lederer 1977, S. 34). Damit wurden 1994 über 53 000 binationale Ehen geschlossen. Das sind mehr Eheschließungen als zwischen ausländischen Staatsbürgern gleicher oder unterschiedlicher Nationalität (11 000). Aufgrund des niedrigen Ausländeranteils in den neuen Bundesländern ist der Anteil der Eheschließungen zwischen Deutschen und Ausländern dort deutlich niedriger als in den alten Bundesländern und derjenige zwischen Ausländern nahezu bedeutungslos.
Der Trend zur sinkenden Heiratsneigung Lediger (Erstheiratsneigung) hat sich in Deutschland weiter fortgesetzt. Sollte die Heiratsneigung des Jahres 1994 im früheren Bundesgebiet über das gesamte heiratsfähige Alter beibehalten werden, so würden etwa 40 % aller Ledigen niemals heiraten. Dabei ist jedoch zu beachten, daß spätere Nachholeffekte problemlos möglich sind. Allerdings hat sich die niedrigere Erstheiratsneigung im früheren Bundesgebiet weitgehend rfestigt (Grünheid/Mammey 1997, S. 385ff.). Die derzeit extrem niedrige Heiratshäukeit der Ledigen in den neuen Bundesländern würde unter den gegenwärtigen Bedingungen erwarten lassen, daß dort sogar 70% niemals heiraten würden. Es ist jedoch davon auszugehen, daß durch stärkere Nachholeffekte sich das Heiratsrhalten in der Tendenz weiter normalisiert.
Der Trend einer sinkenden Heiratsneigung wird auch durch das gestiegene durchschnittliche Heiratsalter Lediger beeinflußt. Das Erstheiratsalter liegt in den alten Bundesländern 1996 für ledige Frauen bei 27,7 Jahren (1970: 23 Jahre) und für Männer bei 30 Jahren (1970: 25,3 Jahre). Dabei hat sich das Erstheiratsalter zwischen dem früheren Bundesgebiet und den neuen Bundesländern inzwischen weitgehend angenähert, wobei in den neuen Bundesländern noch immer etwas jünger geheiratet wird (Frauen mit 26,7 Jahren und Männer mit 29 Jahren).
Die Zahl der Ehescheidungen stieg im Vergleich zu den Vorjahren weiter an. Wurden in Deutschland im Jahre 1990 noch 154 786 Ehen geschieden, so waren es im Jahre 1996 bereits 175000 (+12 %). Gerade im früheren Bundesgebiet hat sich damit der Trend einer zunehmenden Scheidungshäukeit fortgesetzt, während in den neuen Bundesländern aufgrund des neuen Scheidungsrechts ein enormer Rückgang der Scheidungen zu rzeichnen war. Bereits 1990 wurden (mit 32 000 Ehescheidungen) fast 20 000 weniger Ehen geschieden als 1989. Der bisherige Tiefstand wurde im Jahre 1991 mit knapp 9000 Ehescheidungen erreicht. Dabei ist zu beachten, daß durch die Einführung des Trennungsjahres sich die Scheidungshäukeit 1991 zwangsläu rringern und zeitlich rschieben mußte. Auch wenn seit 1992 die Zahl der Ehescheidungen wieder leicht anstieg, kann noch nicht von einer Normalisierung des Scheidungsrhaltens in den neuen Bundesländern gesprochen werden (1996 fast 23 000 Scheidungen).
Besser als die absoluten Scheidungszahlen wird das Scheidungsrhalten durch die zusammengefaßte Scheidungsziffer ranschaulicht. Lag die Scheidungshäukeit in der ehemaligen DDR stets höher als im früheren Bundesgebiet, so stieg sie im früheren Bundesgebiet in den 1990er Jahren kontinuierlich an. Bei der Scheidungsneigung des Jahres 1996 würde zu erwarten sein, daß etwa jede dritte Ehe geschieden werden würde. Demgegenüber nahm die Scheidungshäukeit infolge des neuen Scheidungsrechts und der ränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den neuen Bundesländern drastisch ab. Trotz eines leichten Wiederanstiegs würde gegenwärtig "nur" jede fünfte Ehe (21 Scheidungen je 100 Ehen) geschieden werden. Damit war die Scheidungshäukeit etwa halb so hoch wie im früheren Bundesgebiet.
Gegenwärtig besteht das höchste Scheidungsrisiko bei einer durchschnittlichen Ehedauer zwischen fünf und neun Jahren. Dabei ist ein früher Scheidungsgipfel bei Jungrheirateten nach fünf Ehejahren auszumachen.
In zunehmendem Maße sind Kinder von Ehescheidungen betroffen. Insgesamt waren 1995 142 000 Kinder von Ehescheidungen betroffen, 119 000 in den alten Bundesländern und 23000 in den neuen Bundesländern (Grünheid/Mammey 1996, S. 401).
2 Geburtenentwicklung und generatis Verhalten
Das Geburtenniau ist für die natürliche Bevölkerungsentwicklung die wichtigste Komponente, da sie Ausmaß und Tempo von Wachstum bzw. Rückgang einer Bevölkerung, aber auch das der demographischen Alterung bestimmt. Im Jahre 1989 gab es in Deutschland große regionale Unterschiede hinsichtlich der Geburtenrate (Abb. 2.4). Eine zweite Komponente, die zur Alterung der Gesamtbevölkerung beiträgt, ist das steigende individuelle Lebensalter, so daß die deutsche Bevölkerung sowohl von der Basis (Geburtenrückgang) als auch von der Spitze her (Zunahme der Bevölkerung über 70 Jahre) altert.
Durch den rapiden Geburtenrückgang, der seit Anfang der 1970er Jahre einen hohen Gestorbenenüberschuß zur Folge hat, kann der demographische Alterungsprozeß selbst durch hohe Wanderungsgewinne nicht aufgehalten, sondern nur abgeschwächt und zeitlich gedehnt werden (Höhn 1996, S. 215; Wendt 1997, S. 336).
1997 wurden 812 000 Kinder in Deutschland geboren. Das waren deutlich weniger (-l0%) als im Jahre 1990, allerdings 16000 mehr als im Vorjahr. Im früheren Bundesgebiet wurden 88 % aller Kinder geboren.
Nachdem im früheren Bundesgebiet 1990 mit 727000 Geburten erstmals wieder Größenordnungen der 1970er Jahre erreicht wurden, gingen seitdem die Geburtenzahlen wieder stetig zurück, um erst seit dem Jahre 1996 wieder leicht anzusteigen (Abb. 2.5).
Infolge der gesellschaftlichen Umwälzungen in den neuen Bundesländern und der Abwanderung von Frauen und Männern im familienbildenden Alter war hier der Geburtenrückgang extrem hoch. So wurden 1994 mit knapp 79 000 Lebendgeborenen die bisher wenigsten Kinder im Gebiet der ehemaligen DDR bzw. in den neuen Bundesländern geboren. Im Vergleich zu 1985 waren das 65% weniger Lebendgeburten. Erst 1995 ist dieser erosionsartige Geburtenrückgang in den neuen Bundesländern zum Stillstand gekommen, und es ist seitdem ein leichter Anstieg zu rzeichnen.
Interessanter als die absoluten Geburtenzahlen sind Indikatoren der Geburtenhäukeit (auch Fertilität), die das Niau der demographischen Reproduktion einer Bevölkerung (allgemein gemessen mittels der zusammengefaßten Geburtenziffer) aufzeigen und das generati Verhalten der Frauen und ihrer Partner in ihren Entscheidungen für oder gegen die Geburt von Kindern ranschaulichen. Die zusammengefaßte Geburtenziffer zeigt an, wieviel Kinder von 1000 Frauen zwischen ihrem 15. und 50. Lebensjahr voraussichtlich geboren werden. Soll die Elterngeneration durch die Kindergeneration "ersetzt" bzw. "reproduziert" werden, so wären je 1 000 Frauen etwa 2100 Geburten notwendig.
Bei einem tendenziellen Rückgang der Geburtenhäukeit in beiden deutschen Staaten - mit einem in der Vergangenheit zeitweilig höheren Niau in der ehemaligen DDR - sind die Ursachen für diese Differenzen in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungen zu sehen (Wendt 1991a, S. 251 -280 u. 1993, S. 30-33). Dem tiefgreifenden strukturellen gesellschaftlichen Umbruch in der Phase der Vereinigung folgen in den neuen Bundesländern ebenso tiefgreifende generati Verhaltensänderungen, wie sie besonders in einem rapiden Fall der zusammengefaßten Geburtenziffer sichtbar werden.
Die zusammengefaßte Geburtenziffer fiel im reinten Deutschland im Zeitraum 1990 bis 1994 von 1 453 auf 1 241 Kinder je 1 000 Frauen. Damit würde die Elterngeneration bereits 1990 nur noch zu ca. 70 % ersetzt werden, 1994 aber sogar nur noch zu 59 %. Danach ist ein leichter Anstieg der Geburtenhäukeit zu rzeichnen, so daß für das Jahr 1996 die Elterngeneration zu 63% ersetzt würde.
Die niedrige Geburtenhäukeit ist in den neuen Bundesländern noch stärker ausgeprägt. Dort halbierte sich die zusammengefaßte Geburtenziffer innerhalb von vier Jahren und sank 1994 auf 772. Damit wurde in den neuen Bundesländern die Elterngeneration im Jahre 1994 nur noch zu 39 % ersetzt werden. Dieser erosi Einschnitt in die Geburtenhäukeit ist bisher einmalig in der demographischen Geschichte. Erst 1995 kam der Rückgang der Geburtenhäukeit zum Stillstand und erreichte (mit 947 Geburten je 1000 Frauen) ein Reproduktionsniau von 45%.
Wird in die Betrachtung der Geburtlich-keit auch die Nettoreproduktionsrate einbezogen (sie gibt an, in welchem Maße eine Frauengeneration durch die geborenen Töchter ersetzt wird), so bestätigt sich, daß sowohl in West wie in Ost das für die Bestandserhaltung der Bevölkerung notwendige Geburtenniau (mit einem Wert von 0,7 bzw. 0,5) deutlich unterschritten wird (sollte die Nettoreproduktion gesichert sein, müßte die Ziffer bei 1 liegen).
Der bisher einmalig hohe Geburtenrückgang kurz nach der Wende beruht in den neuen Ländern fast ausschließlich auf Verhaltensänderungen. Da diese jedoch oft auch kurzfristiger Natur sind und Geburten durchaus zu einem späteren Zeitpunkt "nachgeholt" werden können, sind die aktuellen Entwicklungen allerdings vorsichtig zu interpretieren, und es kann von den bereits erwähnten Angleichungs-prozessen ausgegangen werden. Gegenwärtig ist jedoch noch keine spürbare Erholung des generatin Verhaltens zu konstatieren.
Veränderungen des generatin Verhaltens werden durch Polarisierungs- und Individualisierungstendenzen der Lebensformen beeinflußt, wie sie sich in "familienorientierten Paaren" (Ehen mit Kindern) einerseits und "individualisierten Paaren" mit starker Berufsorientierung und häuer Kinderlosigkeit andererseits konstituieren (Burkart/Kohli 1989, S. 417ff.; Strohmeier 1993, S. 11-l7). Für jüngere Jahrgänge wird bereits ein Kinderlosenanteil von ca. 30 % geschätzt (Birg/Flöthmann 1992, S. 151).
Aufgrund der sich durch Kinderlosigkeit auflösenden Familiennetzwerke ist zukünftig mit einem höheren Bedarf an institutioneller Betreuung und Pflege zu rechnen.
In zunehmendem Maße sind Mütter bei der Geburt ihrer Kinder älter. 1994 lag das durchschnittliche Alter der Mütter bei der Geburt ihrer Kinder bei 28 Jahren. In den neuen Bundesländern waren die Mütter ein Jahr jünger. Eine Analyse der Altersmuster der Geburtlichkeit weist daraufhin, daß jüngere Frauenjahrgänge in den neuen Bundesländern sich den westdeutschen Verhaltensmustern bereits annähern.
Der Anteil der nichtehelich Geborenen (Abb. 2.6) ist in den neuen Bundesländern augenfällig höher als in den alten Bundesländern. Bei sinkender absoluter Geburtenzahl wurden 1996 in den neuen Bundesländern 42 % aller Kinder nichtehelich geboren; in den alten Bundesländern waren es demgegenüber nur 14 %. Es ist allerdings zu berücksichtigen, daß gerade in den neuen Bundesländern ein nicht unerheblicher Anteil dieser Kinder in Lebensgemeinschaften geboren und zu einem späteren Zeitpunkt durch Eheschließung legitimiert wird.
Schwangerschaftsabbrüche 1996 wurden in Deutschland 131 000 Schwangerschaftsabbrüche gemeldet (101 000 in West und 30 000 in Ost). Damit war die Zahl der Abbruche erneut gestiegen (+33 000).
In den neuen Bundesländern ist nach wie vor eine wesentlich höhere Abbruchshäukeit von Schwangerschaften zu konstatieren. 1996 wurden 3560 Abbruche je 10 000 Geburten ermittelt. Damit war die Abbruchshäukeit gegenüber den Vorjahren zwar zurückgegangen (extrem hoch war die Abbruchshäukeit 1992 mit 4 934 Abbruchen je 10 000 Geburten), aber immer noch mehr als doppelt so hoch (2,5) wie im früheren Bundesgebiet (1 429 Abbruche je 10000 Geburten). Hier wird deutlich, daß der Anpassungsprozeß bezüglich der Bereitschaft zu einer Schwangerschaftsunterbrechung nicht kurzfristig rlaufen dürfte.
3 Sterblichkeit
Bereits seit den 1970er Jahren ist ein Sterbefallüberschuß für Deutschland charakteristisch (Abb. 2.4). 1997 starben in Deutschland insgesamt 880 000 Menschen und damit 48 000 Menschen mehr als geboren wurden. Veränderungen der Gestorbenen-zahl sind vor allem auf Veränderungen im Altersaufbau der Bevölkerung zurückzuführen.
Die allgemeine Sterbeziffer, die die unterschiedlichen Bevölkerungsgrößen in beiden Teilen Deutschlands relativiert, aber immer noch von der jeweiligen Altersstruktur beeinflußt wird, dokumentiert eine niedrigere Sterblichkeit im früheren Bundesgebiet (mit 10,6 Gestorbenen je 1 000 Einwohnern) als in den neuen Bundesländern (mit 11,3). Auch die standardisierte Sterbeziffer, die den altersstrukturellen Einfluß ausschaltet, bestätigt eine höhere Sterblichkeit in den neuen Bundesländern (8,9) gegenüber dem früheren Bundesgebiet (7,5).
Den besten Vergleich der Sterblichkeit ermöglicht jedoch auf der Grundlage von Sterbetafelberechnungen die mittlere Lebenserwartung. Diese Kennziffer erlaubt Rückschlüsse auf die Lebensqualität einer Bevölkerung, die Arbeits- und Lebensbedingungen sowie Umweltbelastungen, auf Ernährungs- und Verhaltensweisen, die Qualität der sozialen Sicherungssysteme und die medizinische Versorgung. Ursachen für die Zunahme der Lebenserwartung sind vor allem im medizinischen Fortschritt, einer rbesserten Ernährung und sozialeren Arbeitsbedingungen zu sehen.
Obwohl in beiden deutschen Staaten in der Vergangenheit ein kontinuierlicher Anstieg der Lebenserwartung zu registrieren ist (Abb. 2.7), bestehen noch immer deutliche Unterschiede zwischen Ost und West im reinten Deutschland. Im Vergleich zu den alten Bundesländern ist die Lebenserwartung in den neuen Ländern um zwei bis drei Jahre niedriger. Hatten neugeborene Mädchen in den alten Bundesländern eine Lebenserwartung von 80 Jahren, so lag sie in den neuen Bundesländern um eineinhalb Jahre darunter. Jungen haben in den neuen Bundesländern bei ihrer Geburt mit 71,2 Jahren eine sogar um zweieinhalb Jahre niedrigere Lebenserwartung als die männliehen Neugeborenen in den alten Bundesländern.
4 Wanderungen
Bei Wanderungen - auch räumlichen Bevölkerungsbewegungen - ist zwischen den Außenwanderungen (Zu- und Fortzüge über die Grenzen Deutschlands) und den Binnenwanderungen (Wohnortwechsel zwischen den Gemeinden innerhalb des Bundesgebietes) zu unterscheiden.
4.1 Außenwanderungen
Durch Wanderungen können - im Unterschied zur natürlichen Bevölkerungsbewegung - in relativ kurzer Zeit sehr beträchtliche Veränderungen der Bevölkerungsentwicklung und damit auch der Bevölkerungsstruktur (z. B. Altersstruktur) bewirkt werden. Gerade unter den Bedingungen des säkularen Geburtenrückganges - wie er in allen Industriestaaten zu rzeichnen ist - werden Wanderungen zu einem immer entscheidenderen Faktor der Bevölkerungsentwicklung. So ist Deutschland ein Beispiel dafür, daß trotz des seit den 1970er Jahren zu rzeichnenden natürlichen Bevölkerungsrückganges (Geburtendefizit und Gestor-benenüberschuß) ein Bevölkerungswachstum nur infolge von Wanderungsgewinnen zu rzeichnen ist.
Bis zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten rliefen die Außenwanderungs-prozesse gegensätzlich: nahezu kontinuierliche Wanderungsgewinne in der Bundesrepublik Deutschland (von Ausländern, deutschstämmigen Aussiedlern sowie Übersiedlern aus der ehemaligen DDR) und ebenso kontinuierliche, aber beträchtliche Wanderungsrluste (vor allem bis zum Bau der Mauer 1961 und nach dem Mauerfall) in der DDR andererseits.
Das Bevölkerungswachstum in der Bundesrepublik von Anfang 1950 bis Ende 1990 um fast 14 Mio. Einwohner wurde überwiegend (zu ca. 70 %) durch Wanderungsgewinne erzielt. Die DDR hatte dagegen, trotz einer weitgehend positin natürlichen Bevölkerungsbilanz, einen Bevölkerungsrückgang von 1950 bis 1990 um 2,3 Mio. Einwohner zu rzeichnen (davon bis Ende 1961 1,3 Mio.), der fast ausschließlich durch Abwanderung (Flucht und Ausreise bzw. Übersiedlung) in die Bundesrepublik Deutschland rursacht wurde (Wendt 1991a).
Im früheren Bundesgebiet standen langen Perioden mit Außenwanderungs-gewinnen nur kurze Perioden mit Wanderungsrlusten gegenüber. Die Wanderungsgewinne im früheren Bundesgebiet sind bis zum Bau der Mauer am 13. August 1961 zum weitaus überwiegenden Teil auf Vertriebene aus den ehemaligen Ostgebieten, den Zuzug von Flüchtlingen aus der ehemaligen DDR und deutschstämmigen Aussiedlern aus Ost- und Südosteuropa zurückzuführen. Da mit dem Bau der Mauer 1961 der Zuzug aus der ehemaligen DDR jäh und gewaltsam unterbunden wurde, das Wirtschaftswachstum aber anhielt und demzufolge die Arbeitskräftenachfrage ungebrochen blieb, wurden vorwiegend aus dem südeuropäischen Raum Arbeitskräfte ("Gastarbeiter") angeworben. Infolge des Konjunktureinbruchs erfolgte 1973 ein Anwerbestop, der auf die Größe des Wanderungsvolumens jedoch kaum Einfluß hatte, da sich die meisten Gastarbeiter entschieden, auf Dauer in Deutschland zu bleiben und ihre Familienangehörigen nachkommen ließen (Familiennachzüge).
Mit dem sprunghaften Anstieg der Asylbewerberzahlen in den 1980er Jahren hatten diese einen zunehmenden Anteil an den Zuzügen (Wendt 1993-l994, S. 520ff.).
Seit 1985 rzeichnet das frühere Bundesgebiet ausschließlich hohe Wanderungsgewinne, die nach dem Zusammenbruch des Ostblocks Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre alle bisherigen Größenordnungen übertrafen. Im Jahre 1992 wurde der bisherige Höchststand an Zuwanderungen mit ca. 1,5 Mio. registriert. Auch unter Berücksichtigung der Fortzüge waren die Wanderungsgewinne mit nahezu 790 000 Personen noch nie so hoch. Seit 1993 hat sich die Wanderungshäukeit leicht rringert. Es wurden sowohl weniger Zu- als auch weniger Fortzüge registriert. 1997 sank der Wanderungsgewinn erstmals seit 12 Jahren wieder unter 100 000 Personen, und es hatten mehr Ausländer Deutschland rlassen als zugezogen sind.
Von 1990 bis einschließlich 1997 wurden in Deutschland 9,2 Mio. Zuzüge und 5,6 Mio. Fortzüge registriert. Das führte zu einem Wanderungsgewinn von insgesamt 3,6 Mio. Personen. Das Wanderungsgeschehen der grenzüberschreitenden Wanderungen wurde vor allem von Ausländern getragen. Auch unter Berücksichtigung der ebenfalls recht hohen Fortzüge von Ausländern resultierten die Wanderungsgewinne gegenüber dem Ausland immer noch zu fast zwei Dritteln aus einem positin Ausländersaldo (+2,1 Mio. Ausländer).
Zuwanderung von Aussiedlern Der Zuzug von Deutschen aus dem Ausland wird vorwiegend vom Wanderungsgeschehen der Aussiedler bestimmt. Aussiedler sind deutsche Staatsangehörige und deutsche Volkszugehörige, die aus den Staaten Ost- und Südosteuropas in die Bundesrepublik Deutschland kommen, um hier auf dem Wege der Aufnahme ihren ständigen Wohnsitz zu nehmen. Aufgrund ihrer Deutschstämmigkeit besitzen Aussiedler ein Zuwanderungsprivileg. Von 1990 bis einschließlich 1997 kamen insgesamt fast 2 Mio. Aussiedler in die Bundesrepublik Deutschland (Tab. 2.7).
Die Herkunftsgebiete der Aussiedler haben sich im historischen Ablauf deutlich rändert. Verteilten sich die Aussiedler 1990 noch fast gleichmäßig auf die drei Herkunftsländer Sowjetunion, Polen und Rumänien, so kamen Aussiedler seit 1993 fast ausschließlich (zu über 90 %) aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion (GUS-Staaten).
Während davon auszugehen ist, daß das Aussiedlerpotential in Rumänien (Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben) weitgehend erschöpft ist bzw. aus Polen infolge der liberalen Reisebestimmungen und Demokratisierungsprozesse keine großen Aussiedlerströme mehr zu erwarten sind, zeigt sich in den GUS-Staaten eine andere Situation. Aufgrund der sich rschlechternden ökonomischen Situation und der ethnischen Konflikte in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion kann durchaus davon ausgegangen werden, daß hier weiterhin ein hohes Auswanderungspotential besteht.
Der Zuzug von Aussiedlern hatte sich Ende der 1980er Jahre drastisch erhöht, ist gegenwärtig aber wieder leicht rückläu (Frey/Mammey 1996, S. 28). 1990 wurde mit fast 400000 Aussiedlern das bisher größte Kontingent aufgenommen. Seitdem ging der Aussiedlerzuzug deutlich zurück und fiel seit 1996 sogar unter 200000. Der deutliche Rückgang an Aussiedlern von 1990 zu 1991 ist auf das Inkrafttreten des Aussiedleraufnahmegesetzes vom Juli 1990 zurückzuführen, nach dem Aussiedlungswillige erst nach Erteilung eines Aufnahmebescheides in die Bundesrepublik Deutschland einreisen können. Neuerdings ist auch ein Nachweis von deutschen Sprachkenntnissen Voraussetzung für die Bewilligung eines Aufnahmebescheides.
Aussiedler kommen vorwiegend im Familienrband (1990 z.B. zu 80%). Es sind Eltern mit ihren Kindern und z.T. auch Großeltern. Der Anteil an Kindern ist rgleichsweise hoch (1990 31 % gegenüber 18% im Familienrband in der Bundesrepublik Deutschland). Die Arbeitslosenquote der Aussiedler liegt signifikant höher als bei Deutschen (Kemper/Thieme 1992, S. 23). Die Gründe für Probleme bei der sozialen und ökonomischen Integration von Aussiedlern sind wohl vor allem in Sprachbarrieren, aber auch in den unterschiedlichen Normen und Wertestrukturen sowie den Qualifikationsvoraussetzungen zu sehen.
Zuwanderung von Asylbewerbern Im Vergleich zu anderen Staaten besitzt die Bundesrepublik Deutschland ein sehr großzügiges Asylrecht. Demzufolge, aber ebenso aufgrund der hohen ökonomischen Anziehungskraft und der zentralen geographischen Lage, hat Deutschland - trotz eines deutlichen Rückganges - auch im langjährigen internationalen Vergleich die meisten Asylbewerber (z.B. 1998 knapp 99000, Großbritannien 58000, USA 50000, Niederlande 42 000, Schweiz 41 000). Auf der Grundlage des Grundgesetzes haben politisch Verfolgte ein einklagbares individuelles Recht auf Asyl. Die Ursachen dafür sind in der deutschen Geschichte zu sehen, als deutsche Emigranten Schutz vor Verfolgung durch den Faschismus suchten. Die seit Ende der 1980er Jahre stetig steigenden Asylbewerberzahlen führten zu einer erneuten Diskussion um das Thema Asyl, in deren Folge schließlich das Grundgesetz geändert wurde. Zwar gewährt das neue Asylrecht, das am 1. Juli 1993 in Kraft trat, weiterhin das Grundrecht auf Asyl (Art. 16 a Abs. 1 Grundgesetz), es schränkt aber den Schutzbereich dieses Grundrechtes ein, um dadurch den Zuzug von Asylsuchenden nach Deutschland zu senken. Seit dem 1. Juli 1993 wird i.d. R. kein Asylrfahren durchgeführt, wenn der Asylsuchende über einen sicheren Drittstaat einreist. Anträge von Asylbewerbern aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten werden ebenso grundsätzlich als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt wie Asylbewerber, die aus wirtschaftlichen Gründen einen Antrag stellen. Als sichere Drittstaaten gelten alle Länder, in denen politische Flüchtlinge Schutz finden können und in denen es keine Verfolgung gibt (z. B. alle EU-Staaten). Zu den sicheren Herkunftsstaaten zählen u. a. Polen, die Tschechische Republik, Ungarn und Bulgarien.
Asyl berechtigte sind Asylbewerber, die in einem Anerkennungsrfahren durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge oder durch Verwaltungsgerichte als politische Flüchtlinge anerkannt werden. Sie erhalten eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und haben Anspruch auf rschiedene Leistungen zur sozialen Integration und Existenzsicherung. Neben den Asylberechtigten gibt es noch sogenannte de-facto-Flüchtlinge, die aus politischen, humanitären oder rechtlichen Gründen nicht abgeschoben werden können (Wendt 1995). Im Rahmen des neuen Asylrechtes erhalten Flüchtlinge aus Kriegs- und Bürgerkriegsregionen eine eigenständige Aufenthaltserlaubnis (z. B. Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien).
Mit dem Inkrafttreten des neuen Asylrechtes ist ein Rückgang an Asylbewerberzahlen seit 1993 augenfällig (Abb. 2.8). Der Rückgang von Asylbewerbern aus Rumänien, Bulgarien und Polen ist besonders hervorzuheben. Mit 333 000 Asylbewerbern wurden 1993 bereits 26% weniger als im Vorjahr registriert. 1994 setzte sich der Rückgang an Asylbewerbern rstärkt fort und blieb 1995 mit 128000 Antragstellern gegenüber dem Vorjahr nahezu konstant. 1996,1997 und 1998 setzte sich die Abnahme fort, so daß 1998 nur noch 99000 Personen Asyl in Deutschland beantragten. Von 1990 bis Ende 1998 beantragten insgesamt 1,8 Mio. Flüchtlinge Asyl in Deutschland. Asylbewerber aus der Türkei und Jugoslawien stellen nach wie vor die stärksten Kontingente, gefolgt von Asylbewerbern aus Irak und Afghanistan (Hölting 1999).
Nur einem sehr geringen Teil der Antragsteller wird jedoch Asyl gewährt. Von den 147 000 Personen, über deren Asylantrag (Erst- und Folgeanträge) im "Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge" 1998 entschieden wurde, sind 4 % als Asylberechtigte (5883 Personen) anerkannt worden (Art. 16a) und fast ebensoviele Personen (5437) erhielten Abschiebeschutz (§51 AusIG) und damit ein Bleiberecht in Deutschland. Dabei berücksichtigt die Anerkennungsquote allerdings lediglich die durch das Bundesamt rfügten Anerkennungen. Es wird angenommen, daß sich durch Urteile der Verwaltungsgerichte die Anerkennungsquote etwa rdoppelt. Schätzungen des UNHCR gehen für Anfang der 1990er Jahre sogar von einer Anerkennungsquote von 30% aus (Eurostat 1994, S. 71).
Die Anerkennungsquote und die Gewährung von Abschiebeschutz von Asylbewerbern aus Ländern mit politischer Verfolgung sind im Vergleich zur durchschnittlichen Anerkennungsquote höher, wie dies z. B. bei Asylbewerbern aus der Türkei und dem Iran der Fall ist (12 % bzw. 13 %). Über ein Drittel aller Antragsteller aus dem Irak erhielten zudem Abschiebeschutz (29%) oder wurden zu einem geringeren Teil anerkannt (8,5 %).
Mit dem neuen Asylrecht nehmen allerdings auch die Versuche zu, illegal nach Deutschland zu kommen. Ungeachtet des derzeitigen Rückgangs der Asylbewerberzahlen bleiben die wachsenden Probleme der Zuwanderung weiter bestehen, bleibt es demzufolge eine dauerhafte internationale Aufgabe, die fluchtauslösenden Gründe zu beseitigen und dadurch die Flüchtlingsströme zu reduzieren.
Ausländerin Deutschland Im Ergebnis der anhaltenden Wanderungsgewinne gegenüber dem Ausland haben die Zahl und der Anteil von Ausländern an der deutschen Bevölkerung stetig zugenommen. Ausländer hatten 1961 noch einen rschwindend geringen Anteil von etwa 1 % an der deutschen Bevölkerung. Bereits 1970 wurde ein Ausländeranteil von 4% (2,6 Mio.) überschritten. In den nächsten 20 Jahren rdoppelte sich der Anteil an Ausländern auf 8,4%. Das entsprach 5,9 Mio. Ausländern im Jahre 1990. Der anhaltende Zuzug von Ausländern sowie ein zunehmender Geburtenüberschuß bewirkten auch für das reinte Deutschland einen weiteren Anstieg. Ende des Jahres 1997 lebten bereits 7,4 Mio. Ausländer in Deutschland (Tab. 2.9). Damit lag der Ausländeranteil in Deutschland bei 9%, so daß etwa jeder elfte Einwohner Deutschlands zu diesem Zeitpunkt nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besaß. Die Zunahmerate hat sich jedoch gegenüber Anfang der 1990er Jahre rringert, wodurch sich das Wachstum der ausländischen Bevölkerung leicht abgeschwächt hat.
Von den 7,4 Mio. Ausländern des Jahres 1997 war der weitaus überwiegende Teil Europäer (81,5%); allein ein Viertel (25,4%) kam aus den EU-Staaten (einschließlich Finnland, Österreich und Schweden, die seit dem 1.1.1995 Vollmitglied der EU sind). Der Anteil der Ausländer aus Asien betrug 10,6 %, aus Afrika 4,1 %, aus Amerika 2,6 % und 0,1 % aus Australien. Mit mehr als zwei Millionen stellen Bürger aus der Türkei die größte Zahl der ausländischen Mitbürger. Es folgen Jugoslawen (Serben und Montenegriner), Italiener, Griechen und Polen (Tab. 2.10).
Ausländer leben fast ausschließlich in den alten Bundesländern. 1996 lebten nur etwa 4 % aller Ausländer in den neuen Bundesländern. Die Bundesländer mit den höchsten Ausländeranteilen waren Ende 1996 Hamburg (17%), gefolgt von Hessen und Berlin (jeweils 14%) sowie Baden-Württemberg (13%). In den neuen Bundesländern bewegte sich der Anteil an Ausländern zwischen 2,4 % in Brandenburg und 1,2 % in Thüringen (Statistisches Jahrbuch 1998, S. 66).
Die räumliche Verteilung von Ausländern weist eine hohe regionale Konzentration auf, die im wesentlichen mit den Ballungsgebieten korrespondiert. Bevorzugte Zielregionen der ausländischen Zuwanderer sind im Süden die Ballungsgebiete Mittlerer Neckar, Untermain, München, Rhein - Neckar, Mittelfranken, im Norden Berlin und im Westen Düsseldorf sowie Hagen (Bucher /Kocks/ Siedhoff 1991, S. 504). Eine kleinräumigere Analyse der Zuzüge zeigt eine Konzentration auf die Kernstädte der Ballungsgebiete. So sind Städte mit überdurchschnittlich hohen Ausländeranteilen (Stand 1.1.1995) Frankfurt/M. (29%), Offenbach (28%), Stuttgart (24%), München (23%) und Mannheim (21 %). Die niedrigsten Ausländeranteile weisen unter den Großstädten Gera und Potsdam mit knapp 1 % auf. Städte mit den höchsten absoluten Ausländerzahlen sind Berlin (438000), München (287 000) und Hamburg (261 000) (Lederer 1997, S. 101). Ende 1993 lebte fast die Hälfte aller Ausländer (48 %) in kreisfreien Städten mit 100000 oder mehr Einwohnern. In Berlin, München und Hamburg sind Türken die jeweils größte Ausländergruppe. Durch Binnenwanderungen findet allerdings eine Umrteilung der Ausländer zugunsten suburbaner und ländlicher Räume statt (Bucher/ Kocks /Siedhoff 1991, S. 510).
Die ausländische Bevölkerung ist rgleichsweise jünger als die deutsche Bevölkerung. Dies ist auf die erwerbsorientierte Zuwanderung vorwiegend jüngerer Arbeitskräfte, den Familiennachzug und die relativ hohen Geburtenzahlen zurückzuführen. So war 1996 die Hälfte aller Ausländer (49 %) jünger als 30 Jahre (Deutschland insgesamt 35 %), demgegenüber aber nur knapp 4 % aller Ausländer 65 Jahre oder älter (Deutsche 17 %) (Bericht Lage Ausländer 1997, S. 177). Aufgrund dieser jungen Altersstruktur ist die Zahl der gestorbenen Ausländer rgleichsweise niedrig und der Geburtenüberschuß hoch (1995 standen 12 800 Sterbefällen 99 700 Geburten gegenüber). Infolge der jungen Altersstruktur wirkt die ausländische Bevölkerungsstruktur dämpfend auf den Alterungsprozeß in Deutschland, obwohl dieser aber selbst durch eine noch stärkere Zuwanderung nicht aufgehalten werden könnte.
Die Geburtenhäukeit ausländischer Frauen ist nach wie vor deutlich höher als die deutscher Frauen; somit steigt auch die Zahl der von Ausländerinnen geborenen Kinder. 1996 hatten 13% aller in Deutschland geborenen Kinder (106 000) eine ausländische Staatsangehörigkeit und sogar 20 % (159 000 Kinder) einen ausländischen Vater und/oder Mutter (Stat. Jahrbuch BRD 1998, S. 72).
Die Zahl der Eheschließungen zwischen Deutschen und Ausländern hat stetig zugenommen und war weitaus größer (1995 57 000 binationale Paare oder 13% aller Eheschließungen) als die der zwischen Ausländern. Die Zahl der Eheschließungen zwischen deutschen Frauen und ausländischen Männern war geringfügig höher als zwischen deutschen Männern und Ausländerinnen. Deutsche Frauen heirateten vor allem Männer aus der Türkei und Jugoslawien. Deutsche Männer heirateten 1993 überwiegend Polinnen, Frauen aus Rumänien und Thailand (Bericht Lage Ausländer 1997, S. 116).
Ausländer sind in den letzten Jahrzehnten in Deutschland zu einem wichtigen Faktor des wirtschaftlichen Lebens geworden. Fast 3 Mio. Erwerbstätige hatten 1995 eine ausländische Staatsangehörigkeit. Etwa 8 % von ihnen (240 000) waren selbständig (Bericht Lage Ausländer 1997, S. 203). Von den sozialrsicherungspflichtig beschäftigten Ausländern arbeiteten 1997 die meisten im Verarbeitenden Gewerbe (40 %), im Dienstleistungssektor (28%), im Handel (10%) und Baugewerbe (9%) (Stat. Jahrbuch BRD 1998, S. 117; Bericht Lage Ausländer 1997, S. 204).
Die stärkste Gruppe ausländischer rsicherungspflichtiger Beschäftiger kam 1996 aus der Türkei (578000), gefolgt von Erwerbstätigen aus dem ehemaligen Jugoslawien (408 000). Aus den EU-Staaten kamen insgesamt über 666 000 Beschäftigte (Bericht Lage Ausländer 1997, S. 201).
Mit der Verschlechterung der Situation auf dem Arbeitsmarkt hat 1992/1993 die Arbeitslosigkeit ausländischer Erwerbstätiger rapide zugenommen und rharrt seitdem auf einem hohen Stand. 1996 stieg die Zahl der Arbeitslosen auf 482 000 an. Dies entsprach einer Arbeitslosenquote von 20 % (Bericht Lage Ausländer 1997, S. 204/205).
Die Zahl der Einbürgerungen hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. 1990 wurden erstmals über 100 000 Ausländer eingebürgert. 1995 waren es bereits 313 000. Die hohe Zahl von Anspruchseinbürgerungen ist auch auf den sprunghaften Anstieg von Einbürgerungen deutschstämmiger Aussiedler aus Osteuropa zurückzuführen. Aber auch die Bestimmungen des neuen Ausländergesetzes von 1991 erleichtern Einbürgerungen junger Ausländer und von Ausländern mit längerem Aufenthalt. So wurden 1995 insgesamt 32 000 Ermessenseinbürgerungen registriert. Besonders die in Deutschland geborenen Ausländer zeigen ein starkes Interesse an Einbürgerungen und damit an einer vollen rechtlichen Gleichstellung. Es kann davon ausgegangen werden, daß mit zunehmender Aufenthaltsdauer von Ausländern auch die Einbürgerungszahlen in Deutschland weiter steigen werden. Das am 1.1.2000 in Kraft getretene neue Einbürgerungs- und Staatsangehörigkeitsrecht kann die Integration erleichtern; ein Garant für eine gelungene Integration ist das jedoch nicht, da ein deutscher Paß nicht mit Integration gleichzusetzen ist.
4.2 Binnenwanderungen
Vor dem Fall der trennenden Mauer unterschieden sich die Binnenwanderungen in Ost- und Westdeutschland deutlich voneinander. Grundsätzlich war in den alten Bundesländern die Mobilität erheblich höher. Sie resultierte vor allem aus den Erfordernissen des Arbeitsmarktes und der beruflichen Ausbildung. In der ehemaligen DDR wurden Binnenwanderungen vorwiegend von der Wohnungsbautätigkeit bestimmt.
Bereits im Jahre 1989 und dann auch nach der Vereinigung wurden die Binnenwanderungsströme in Deutschland grundlegend durch die Wanderungen zwischen Ost und West überlagert. Insofern kommt den deutsch-deutschen Wanderungen eine besondere Bedeutung zu.
Die Flüchtlings- und später auch die Ausreiseströme aus der ehemaligen DDR machen - ebenso wie die gegenwärtigen Binnenwanderungen zwischen den neuen und den alten Bundesländern - den Einfluß unterschiedlicher gesellschaftlicher Rahmenbedingungen auf Richtung, Volumen und Strukturen dieser Wanderungsprozesse augenscheinlich. Durch eine "Übersiedlung", die nur durch Flucht oder Ausreise in den Westen Deutschlands möglich war, wollten die "Übersiedler" günstigere politische wie wirtschaftliche Rahmenbedingungen und damit bessere individuelle Lebensumstände erreichen. Stets war die Vernetzung von politischen, wirtschaftlichen und familiären Gründen typisch für die Herausbildung der Motivstruktur der "Übersiedler". Wegzüge aus der ehemaligen DDR waren immer gleichzusetzen mit der Flucht aus einem totalitären Staat. Konnten Flüchtlinge die DDR nur unter Lebensgefahr rlassen (selbst der Versuch einer "Republikflucht" wurde strafrechtlich rfolgt), so hatten Antragsteller auf "Ausreise aus der DDR und Entlassung aus der Staatsbürgerschaft" während der oft jahrelangen Wartezeit bis zur Genehmigung ihres Antrages eine Fülle einschneidender und abschreckender Hindernisse, wie z. B. Berufsrbot oder gar strafrechtliche Verfolgung, zumindest aber sicherheitsdienstliche Überwachung und psychische Belastungen sowie administrati Schikanen, in Kauf zu nehmen (Wendt 1990, 1991a und 1994). Insofern waren die deutsch-deutschen Wanderungen bis zum Fall der Mauer ein Sonderfall von Zwangswanderungen. Bis zur staatsrechtlichen Vereinigung am 3. Oktober 1990 waren die deutsch-deutschen Wanderungen de jure Außenwanderungen.
Die ansteigenden und immer unkontrollierbarer werdenden Flucht- und Ausreisebewegungen nahmen im Sommer und Herbst 1989 einen massenhaften Charakter an und trugen dadurch wesentlich zur Desilisierung des DDR-Systems bei. Allein im Verlauf des Jahres 1989 hatten bis zum Fall der Mauer in der Nacht vom 9. zum 10. Nomber bereits etwa 180000 überwiegend junge Personen die DDR rlassen. Der Fall der Mauer war schließlich das äußere Zeichen für den endgültigen Zusammenbruch der DDR. Mit dem Fall der Mauer entfielen die restriktin Bedingungen für ein Verlassen der DDR, so daß die Übersiedlerzahlen abermals anschwollen. 1989 hatten insgesamt ca. 388 000 Personen die noch existierende DDR in Richtung Westen rlassen.
Da die Skepsis gegenüber einer Refor-mierbarkeit der noch bestehenden DDR weiterhin anhielt, setzte sich der Übersiedlerstrom in Richtung West auch im ersten Quartal 1990 nahezu ungebrochen fort. Als Fortzugsgründe kamen im Verlauf des Jahres 1990 zunehmend wirtschaftliche Erwägungen (bessere Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten) aber auch die Sogwirkung bereits übergesiedelter Verwandter und Freunde hinzu (Voigt u.a. 1990, S. 336 bis 338). Die Übersiedlerzahlen aus der DDR gingen erst nach den ersten freien Wahlen am 18. März 1990 zurück, während die Zahl der gegenläuen West-Ost-Wanderungen nur langsam anstieg. Insgesamt hatten im ersten Halbjahr 1990 257000 Personen die "Noch-DDR" rlassen. Mit der Bildung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion am 1. Juli 1990 entfielen der Übersiedler-status und damit auch die Eingliederungsbeihilfen für DDR-Bürger. Dadurch nahmen die deutsch-deutschen Wanderungen de facto den Status von Binnenwanderungen an, die mit der staatsrechtlichen Vereinigung am 3. Oktober 1990 dann auch de jure zu Binnenwanderungen wurden.
Bis zur Vereinigung hatten 1990 insgesamt fast 345 000 Personen die noch existierende DDR in Richtung Bundesrepublik Deutschland rlassen. Auch nach der Vereinigung riß der Strom der nun innerdeutschen Ost-West-Wanderung nicht ab, so daß 1990 insgesamt fast 400000 Personen die DDR bzw. die nun neuen Bundesländer in Richtung Westen rlassen hatten. Das Wanderungsvolumen hatte damit 1990 gegenüber 1989 sogar noch leicht zugenommen. Auch unter Berücksichtigung der einsetzenden gegenläuen West-Ost-Wanderungen in Höhe von 36000 Personen rblieb für 1990 noch immer ein Wanderungsrlust für die neuen Bundesländer in Höhe von 360000 Personen. Erst 1991 sind die Fortzüge aus den neuen in die alten Bundesländer gegenüber dem Vorjahr deutlich zurückgegangen und haben sich die Wanderungsrluste der neuen gegenüber den alten Bundesländern im Vergleich zum Vorjahr etwa halbiert. Auch 1992 und in den Folgejahren setzte sich die Tendenz einer abnehmenden Ost-West-Wanderung bei gleichzeitig zunehmender West-Ost-Wanderung fort. Allerdings halten die Wanderungsrluste gegenüber dem früheren Bundesgebiet - wenn auch mit abnehmender Tendenz - weiterhin an (Tab. 2.11 und Abb. 2.9).
Im Zeitraum 1990 bis einschließlich 1997 hatten insgesamt fast 1,7 Mio. Personen die neuen Bundesländer in Richtung alte Bundesländer rlassen. Infolge der zunehmenden West-Ost-Wanderung (von insgesamt 935 000 Personen) reduzierte sich der Wanderungsrlust für die neuen Länder 1990-l997 jedoch auf 747000 Personen.
Die größten absoluten Wanderungsrluste hatte das bevölkerungsreichste neue Bundesland, Sachsen (Abb. 2.10), gefolgt von Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Berlin-Ost rzeichnete aufgrund der innerstädtischen Umzüge sowie seiner Sonderstellung als Teil der künftigen Hauptstadt seit 1992 sogar geringe Wanderungsgewinne. Bezogen auf die Bevölkerung von 1991 hatten die anteilmäßig höchsten Wanderungsrluste jedoch Mecklenburg-Vorpommern und die niedrigsten relatin Wanderungsrluste Sachsen.
Die in die alten Bundesländer ziehende Wanderungsbevölkerung ist deutlich jünger als die Wohnbevölkerung der neuen Bundesländer. So war im Zeitraum 1991-l996 der Anteil der 18- bis 25jährigen mit ca. 24% etwa dreimal so hoch wie derjenige der Wohnbevölkerung (8 %). Demgegenüber war der Anteil der 65jährigen und älteren an der Wanderungsbevölkerung äußerst niedrig (Abb. 2.11). Unter Berücksichtigung des hohen Anteils an Kindern und der weitgehend ausgeglichenen Geschlechterrelation, kann angenommen werden, daß der überwiegende Teil der Fortzüge aus den neuen Bundesländern Familienwanderungen sind.
Die Fortzugsströme aus den neuen Ländern folgen regional differenzierten Mobilitätsmustern (Abb. 2.12). Gerade peripher gelegene Regionen Mecklenburg-Vorpommerns, Brandenburgs und Sachsen-Anhalts, aber auch industrialisierte Regionen Sachsens und Sachsen-Anhalts waren und sind ebenso wie Städte mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit (z. B. Eisenhüttenstadt, Schwedt, Greifswald) von Fortzügen besonders betroffen (Regionalbarometer 1993, S. 59).
Der größte Teil aller Migranten aus dem Osten zog im Zeitraum 1991 - 1997 nach Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Berlin-West (75 % aller Fortzüge). Dabei ist Bayern im Durchschnitt der Jahre das stärkste Zuzugsland. Seit 1995 wurde es jedoch von Berlin-West als stärkstem Zuzugsland abgelöst. Aufgrund der - zumindest noch Anfang der 1990er Jahre - bestehenden vielfältigen Erwerbsmöglichkeiten und der Sozialstruktur boten gerade diese Länder oft die günstigsten Möglichkeiten für einen Neubeginn und eine soziale Integration. Neben diesen Erwägungen beeinflussen auch die räumliche Nähe, traditionelle regionale Verflechtungen und tradierte Raummuster Richtung und Umfang der Wanderungsströme. So ziehen Ostberliner vorwiegend nach Berlin-West, es folgen Nordrhein-Westfalen und Bayern. Brandenburger bevorzugen neben Berlin-West vor allem Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen als neuen Wohnsitz, während Sachsen den Ländern Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen den Vorzug geben. Binnenwanderer aus Mecklenburg-Vorpommern favorisieren Schleswig-Holstein und Niedersachsen als Zuzugsländer. Fortzügler aus Sachsen-Anhalt wählen besonders häu Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen als neue Heimat, während Thüringer ihren neuen Wohnsitz vor allem in Hessen und Bayern nehmen.
Die gegenläuen West-Ost-Wanderungen haben von Jahr zu Jahr deutlich zugenommen. Gegenüber 1991 haben sie sich 1997 rdoppelt. Im Zeitraum 1991-l997 zogen fast 900 000 Personen aus dem früheren Bundesgebiet in die neuen Bundesländer. Aufgrund des geringeren Anteils an Kindern wie auch des überproportionalen Anteils an Männern bleibt es jedoch noch offen, in welcher Größenordnung die West-Ost-Wanderungen als dauerhafte Umzüge zu werten sind. Ein Teil der Umzüge sind sicherlich als "Vorauszüge" von erwerbstätigen Familienvätern zu werten, ein anderer Teil aber wohl nur als zeitlich begrenzte Umzüge im Rahmen des Aufbaus neuer Verwaltungs- und Wirtschaftsstrukturen in den neuen Ländern. Da sich jedoch der Anteil von Frauen und Kindern an der Migrationsbevölkerung erhöht hat, kann davon ausgegangen werden, daß in zunehmendem Maße dauerhafte Familienumzüge an den West-Ost-Wanderungen beteiligt sind.
Die meisten Migranten der alten Bundesländer kamen im Zeitraum 1991-l997 aus Berlin-West, Niedersachsen, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Zuzügler aus dem Westen gingen vor allem nach Sachsen und Berlin-Ost (unter Einbeziehung der Zuzüge aus Berlin-West), dann folgt Brandenburg (bevorzugt das Umland der Hauptstadt Berlin). Die geringsten Zuzüge hatte Mecklenburg-Vorpommern. Die Zuzüge aus den alten Bundesländern folgten ebenfalls regionalen Mustern. So gaben Bayern und Baden-Württemberger den Ländern Sachsen und Thüringen den Vorzug. Zuzügler aus Nordrhein-Westfalen wählten vor allem Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt als Zielländer. Westberliner nahmen ihren Wohnsitz bevorzugt in Berlin-Ost und Brandenburg (Umland von Berlin), während Schleswig-Holsteiner eindeutig Mecklenburg-Vorpommern den Vorrang gaben und Hessen das Land Thüringen als künftigen Wohnsitz prä-ferierten. Dabei ist zu beachten, daß die regionalen Migrationsmuster auch durch "Patenschaften" im Rahmen der geleisteten Aufbauhilfen der alten Bundesländer überprägt wurden.
Die auch nach der Vereinigung anhaltenden Binnenwanderungsprozesse zwischen Ost und West werden in hohem Maße vom sozialen und ökonomischen Transformationsprozeß in den neuen Ländern getragen. Wurden die anhaltenden Fortzüge aus den neuen Bundesländern durch den wirtschaftlichen Umbruch in Verbindung mit einem rigorosen Arbeitsplatzabbau rursacht und durch die anfänglich hohe Aufnahmebereitschaft des Arbeitsmarktes im früheren Bundesgebiet zusätzlich erleichtert, so ist der Rückgang der Fortzüge aus den neuen Bundesländern wiederum auch auf die mangelnde Aufnahmefähigkeit des Arbeits- und Wohnungsmarktes im Westen zurückzuführen. Zugleich wirken sich die langfristig rbessernden Lebensbedingungen in den neuen Bundesländern dämpfend auf die Abwanderungsbereitschaft aus. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß die bereits erfolgten hohen Wanderungsrluste von vorwiegend jüngeren Bevölkerungsgruppen auch das demographische Abwanderungspotential der neuen Bundesländer stetig rringert haben.
5 Bevölkerungsstruktur
Altersstruktur
Die Altersstruktur einer Bevölkerung kann am anschaulichsten in einer sogenannten Alterspyramide dargestellt werden. Während Deutschland noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Altersaufbau in der klassischen Pyramidenform erkennen ließ, wie er für eine wachsende Bevölkerung und damit heute noch für Entwicklungsländer typisch ist, gleicht gegenwärtig die Bevölkerungspyramide eher einer von den Stürmen der Zeit zerzausten Tanne. In ihren Ausbuchtungen und Einschnitten spiegelt sich die demographische Geschichte der deutschen Bevölkerung der letzten 100 Jahre wider (Abb. 2.13).
Die Bevölkerungspyramide Deutschlands macht folgende Besonderheiten sichtbar:
- einen höheren Anteil der männlichen Bevölkerung besonders in jüngeren Jahrgängen (natürlicher Geborenenüber-schuß), der
- ab dem 58. Lebensjahr in einen höheren Frauenanteil übergeht (Frauenüberschuß). Ursachen hierfür sind sowohl die höhere Lebenserwartung von Frauen als auch die rgleichsweise größeren Verluste der jetzt über 60jährigen männlichen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg,
- die Geburtenausfälle durch den Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie während der Weltwirtschaftskrise um 1932/1933,
- den Wiederanstieg der Geburten nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges und das Geburtenhoch in den 1960er Jahren sowie den Geburtenrückgang seit den späten 1960er Jahren und das anhaltend niedrige Geburtenniau.
Die geburtenstarken Jahrgänge nach der Weltwirtschaftkrise sind heute in der Altersgruppe der Endfünfziger zu finden. Die vor dem Ersten Weltkrieg Geborenen zählen heute zu den hochbetagten Pensionären (über 80jährige). Die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre sind inzwischen über dreißig Jahre alt.
Die Geburtenrückgänge und die steigende Lebenserwartung haben das demographische Altern der Bevölkerung rursacht. Dies drückt sich sowohl in einem höheren Durchschnittsalter der Bevölkerung als auch in einer Verschiebung der Relationen zwischen den Altersgruppen aus. Auch das Wanderungsgeschehen konnte diesen Trend nicht aufhalten. Noch 1950 lag der Anteil der Kinder und Jugendlichen (unter 20 Jahre) bei fast 30 % (28,5 %), ging aber 1996 auf 22% zurück und wird 2040 voraussichtlich nur noch 15% betragen. Grund dafür sind einmal die bereits erwähnten geringer werdenden Kinderzahlen und zum anderen die steigende Lebenserwartung. Damit nimmt zugleich der Anteil der älteren Personen an der Gesamtbevölkerung zu. Lag der Anteil der 65 Jahre und älteren Personen 1950 noch bei 11 %, so hat er sich gegenwärtig (1996) auf fast 16 % erhöht und wird voraussichtlich 2010 auf 20 % und 2040 wohl sogar auf 30 % ansteigen. Diese Altersstrukturrschiebung hat erhebliche Konsequenzen auf die Renten und Krankenrsicherungssysteme. Während die Zahl der heranwachsenden potentiellen Erwerbsfähigen abnimmt und zugleich die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes zurückgeht, steigen mit der Zunahme der älteren Bevölkerung die Ausgaben für diese Bevölkerungsgruppe.
Weitere Kennziffern für den Alterungsprozeß sind der Jugend- und Altenquotient, der jeweils das Verhältnis zwischen den Kindern/Jugendlichen bis zu 25 Jahren bzw. der Alteren ab 65 Jahre zur erwerbsfähigen Bevölkerung (25 - 60 Jahre) widerspiegelt. 1995 kamen 48 Kinder/Jugendliche auf 100 Erwerbsfähige (25 - 65 Jahre). Der Altenquotient betrug 27. Das bedeutet, daß insgesamt 75 Nichterwerbsfähige (Jugendliche und ältere Bürger) 100 Erwerbsfähigen gegenüberstanden (Belastungs- oder Gesamtquotient) (Grünheid/Mammey 1996, S. 425f.).
Vollziehen sich bezüglich der demographischen Alterung gegenwärtig nur relativ geringe Veränderungen, so rdeutlichen Bevölkerungsvorhersagen jedoch, daß die Altersstrukturrschiebung vor allem nach 2010 durch einen sinkenden Jugend- und einen sprunghaft ansteigenden Altenquotient gekennzeichnet ist.
Haushaltsstruktur
Als Haushalte werden zusammenlebende und eine wirtschaftliche Einheit bildende Personengemeinschaften sowie Einzelpersonen definiert. Der säkulare Geburtenrückgang ist mit dem Übergang von der Groß- zur Kleinfamilie rbunden. In Konsequenz dieser Entwicklung nehmen die durchschnittlichen Haushaltsgrößen ab, und gleichzeitig nimmt die Zahl der Haushalte zu. Belief sich die durchschnittliche Haushaltsgröße um die Jahrhundertwende noch auf 4,5 Personen, so waren es 1950 noch 2,9 und im Jahre 1997 nur 2,2 Personen. In den neuen Bundesländern war die durchschnittliche Haushaltsgröße geringfügig größer als im früheren Bundesgebiet (2,3 gegenüber 2,2). Grund dafür ist vor allem der höhere Anteil von Einpersonenhaushalten im Westen (36% gegenüber 30 %).
Nach Ergebnissen des Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes 1997 (Statistisches Jahrbuch 1998, S. 64) gab es in Deutschland 37,4 Mio. Privathaushalte (30,6 Mio. in den alten und 6,8 Mio. in den neuen Bundesländern). Überwiegen auch die Mehrpersonenhaushalte (65 %), so lebt doch bereits in gut einem Drittel aller Haushalte nur noch eine Person (35%). In je einem weiteren Drittel aller Haushalte leben zwei Personen bzw. drei oder mehr Personen. Der Anteil der Haushalte mit fünf oder mehr Personen ist bereits unter 5 % gesunken.
Während noch Mitte der 1980er Jahre Einpersonenhaushalte vorwiegend von Verwitweten gebildet wurden, so dominieren heute überwiegend Ledige. Zu beachten ist hierbei aber auch, daß nur ein Teil dieser Single-Haushalte tatsächlich ohne einen Partner lebt, der andere Teil aber z.B. in der Form des "living-apart-together".
Familienstruktur
Familienrbände sind besonders im Hinblick auf das Zusammenleben mit Kindern von gesellschaftlicher Bedeutung. Laut amtlicher Definition sind Familien Ehepaare bzw. alleinerziehende Mütter oder Väter, die mit ihren ledigen Kindern (ohne Altersbegrenzung) zusammenleben (Eltern-Kind-Gemeinschaft bzw. Zweigenerationenfamilie). In einer erweiterten Definition zählen dazu auch Ehepaare ohne Kinder. Eheliche Gemeinschaften sind nach wie vor die wichtigste Lebensform. Immerhin lebten 61 % aller 20jährigen und älteren Personen im Jahre 1995 als Verheiratete (Ergebnisse des Mikrozensus); zwischen dem 35. und 55. Lebensjahr sind es sogar 70 bis 80%. 1997 gab es in Deutschland 19 617 000 Ehepaare, von denen über die Hälfte (10,3 Mio.) mit Kindern lebten (58 %). Dabei waren Ehepaare mit zwei und mehr Kindern häuer anzutreffen als Ehepaare mit nur einem Kind. Bei 7,6 Mio. Ehepaaren leben Kinder unter 18 Jahren. Der Anteil der "unvollständigen Familien", also von alleinerziehenden Müttern oder Vätern, ist im ständigen Wachsen begriffen. Über 1,8 Mio. Alleinerziehende - zum weitaus überwiegenden Teil Frauen - lebten mit einem oder mehreren Kindern unter 18 Jahre zusammen. Diese Situation ist überwiegend auf Scheidung (40%) oder auch Tod des Partners (8 %) zurückzuführen. Damit wird offensichtlich, daß die unvollständige Familie nicht immer von vornherein eine selbstgewählte Lebensform ist. Weiterhin ist zu berücksichtigen, daß ein relativ hoher Anteil der ledigen Alleinerziehenden in vorehelichen Partnerschaften zusammenlebt.
Nichteheliche Lebensgemeinschaften sind eine zunehmende Sonderform familienähnlichen Zusammenlebens. Sie werden vor allem von jüngeren ledigen Frauen und Männern gegründet, die noch keine Kinder haben. 1995 wurde die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften auf über 1,9 Mio. geschätzt (Stat. Jahrbuch BRD 1998, S. 65). Damit leben fast 4 Mio. Menschen in "Ehen ohne Trauschein". Nimmt in den alten Bundesländern auch die Tendenz der Lebensgemeinschaften mit Kindern zu, so zeigt sich in den neuen Bundesländern bereits heute, daß die Mehrheit der Lebensgemeinschaften Kinder hat.
Nichteheliche Lebensgemeinschaften tragen überwiegend einen vorehelichen Charakter oder aber werden als Lebensform einer gescheiterten Ehe gewählt.
6 Bevölkerungsprognose
Durch die genaue Kenntnis von Größe und Altersstruktur der gegenwärtigen Bevölkerung haben Szenarien zur künftigen Bevölkerungsentwicklung im Vergleich z. B. zu Wirtschaftsprognosen eine recht hohe Sicherheit. Durch unterschiedliche Annahmen zur Geburtenrate und Sterblichkeit sowie Wanderungen - also demographischen Verhaltensweisen, die sich nicht exakt voraussagen lassen - unterliegen Bevölkerungsprognosen dessenungeachtet oft starken Modifikationen und tragen bedingten Charakter (Wenn-Dann-Aus-sagen).
Alle vorliegenden Prognosen, die aufzeigen, wie sich die Bevölkerung bei unränderten Geburten- und Sterberaten entwickeln würde, wenn keine Zuwanderung mehr stattfände, gehen von einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung aus. Der Geburtenrückgang würde eine Verringerung der Kindergeneration gegenüber der Elterngeneration bewirken; gleichzeitig würde sich die Lebensdauer rlängern und wären die Altenjahrgänge stärker besetzt. So würde die Bevölkerungszahl bis zum Jahre 2030 auf 62 Mio. Einwohner zurückgehen, ein Viertel der Bevölkerung wäre dann 65 Jahre und älter und nur noch jeder Sechste (16,5%) jünger als 20 Jahre. Der Bevölkerungsrückgang würde sich zukünftig weiter beschleunigen. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung würde im Jahre 2030 um 10 Jahre höher liegen als heute (nach Steinmann 1993, Deutscher Bundestag 1994, S. 48 - 50).
Die Modellrechnung des Bundesministeriums des Inneren (1996) bis zum Jahre 2040 geht von einer konstanten Geburtenhäukeit im früheren Bundesgebiet und einem allmählichen Anstieg in den neuen Bundesländern auf das "westliche" Geburtenniau aus (Modell 1). Ausländer nähern sich an das Geburtenniau der alten Bundesländer an (Modell A) oder es wird in einer zweiten Variante von einer Konstanz der Geburtenhäukeit ausgegangen (Modell B). Um die wesentlich schwerer abzuschätzenden Auswirkungen der Zuwanderungen auf die Bevölkerungsentwicklung aufzuzeigen, wurde bei den Wanderungsgewinnen neben einer niedrigeren Variante (+100000; Modell A) und einer höheren Variante (+200000; Modell B) auch eine Kontrollvariante mit ausgeglichenem Wanderungssaldo (Modell K) ausgegangen. Unabhängig von den unterschiedlichen Annahmen ist in allen Varianten mit einem deutlichen Bevölkerungsrückgang zu rechnen. Gravierender als der Bevölkerungsrückgang sind jedoch die Anderungen der Altersstruktur.
In der Variante mit niedrigem Zuwanderungssaldo (Modell 1 /A) geht die Bevölkerung von 81,5 Mio. - nach einem vorübergehenden Anstieg auf 82,2 Mio. (2000) -auf 68,8 Mio. im Jahre 2040 zurück. Der Anteil der jungen Menschen (unter 20 Jahre) fällt von 21 % auf 15 %, während der Anteil der älteren Menschen (60 Jahre und älter) von 21 % auf fast 37 % ansteigt. Gleichzeitig nimmt aber auch die erwerbsfähige Bevölkerung um 10 % ab und fällt auf 33 Mio.
Auch in der Variante mit höherem Wanderungssaldo (Modell 1 /B) steigt die Bevölkerung bis 2000 auf 82,6 Mio., um dann ebenfalls einen allerdings schwächeren Bevölkerungsrückgang (auf 74,1 Mio.) zu rzeichnen. Aber selbst bei höherer Zuwanderung ergibt sich ein Rückgang der jüngeren Generation (auf 15,4%) bei einem gleichzeitigen Anstieg des Anteils der älteren Generation (60 Jahre und älter auf 35,5 %).
In der Kontrollvariante mit weitgehend ausgeglichenem Wanderungssaldo (Modell 1 /K) geht die Bevölkerung bis 2040 sogar auf 63 Mio. zurück und steigt der Anteil der Alteren sogar auf fast 40 % (39,3 %).
Diese Vorausberechnungen zeigen, daß selbst durch anhaltende Wanderungsgewinne der Alterungsprozeß der deutschen Bevölkerung nicht aufgehalten, sondern nur abgeschwächt werden kann. Einer Zunahme der Geburtlichkeit käme deshalb eine wichtige Funktion hinsichtlich der Dämpfung des Alterungsprozesses zu. Durch umfangreichere familienpolitische Maßnahmen kann ein berechenbarer Rahmen für junge Familien geschaffen werden, um ihnen dadurch die langfristigen Entscheidungen für ein Leben mit Kindern zu erleichtern und die vorhandene "strukturelle Rücksichtslosigkeit" gegenüber Familien beseitigen (Kaufmann 1990, S. 132).
Der zunehmende Alterungsprozeß der Bevölkerung wirft Fragen zur künftigen Alterssicherung, der gesundheitlichen Versorgung und Betreuung aber auch zu spezifischen Wohnformen im Alter auf. Künftig werden immer weniger Erwerbsfähige einen wachsenden Anteil an Rentnern "rsorgen" müssen. Der zunehmende Anteil an älteren Menschen bei gleichzeitigem Rückgang der jüngeren Bevölkerung wird darüber hinaus das gesamte öffentliche Leben und den politischen Handlungsbedarf prägen. Dabei ist allerdings auch zu beachten, daß die ältere Bevölkerung in zunehmendem Maße eine akti Bevölkerung ist, was sich hinter dem Schlagwort "die jungen Alten" rbirgt.
Eine regionale Bevölkerungsprognose der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung für das reinte Deutschland, die bis zum Jahre 2010 reicht (Bucher u. a. 1994, S. 815 ff.), geht von einer weitgehend silen Geburtenhäukeit bei langfristiger Anpassung der neuen Bundesländer an das westliche Niau aus. Die Lebenserwartung wird in Ost und West weiterhin kontinuierlich steigen. Langfristig wird sich die Lebenserwartung im Osten dem westdeutschen Niau nähern. Die Mobilitätsbereitschaft der jungen Altersgruppen im Westen wird zurückgehen und die Altenwanderung zunehmen. Während die innerdeutschen Ost-West-Wanderungen weiterhin abnehmen, werden die West-Ost-Wanderungen gleichzeitig zunehmen, wodurch sich für die neuen Länder ein Binnenwanderungsrlust von lediglich 300000 Personen im Prognosezeitraum ergeben würde. Die Außenwanderung wird sowohl bei den Zu- als auch bei den Fortzügen eine fallende Tendenz aufweisen, so daß sich bis 2010 (bei 21 Mio. Zuzügen und 13 Mio. Fortzügen) Wanderungsgewinne von insgesamt etwa 8 Mio. Personen ergeben würden. Unter diesen Annahmen würde die Bevölkerung in Deutschland bis 2010 -trotz eines hohen Sterbefallüberschusses -um insgesamt fast 5,5 Mio. Einwohner zunehmen. Obwohl die Wanderungsgewinne anhalten, geht nach 2010 die Bevölkerung dann deutlich zurück.
Ein Ost-West-Vergleich rdeutlicht jedoch gravierende regionale Unterschiede. Die neuen Bundesländer würden infolge eines hohen Sterbefallüberschusses (-l,5 Mio.) und der Binnenwanderungsrluste (-0,3 Mio.) eine weitere Bevölkerungsabnahme zu rzeichnen haben, die aber durch zunehmende Außenwande-rungsgewinne (+1,4 Mio.) relativ gering sein wird (-400 000). Demgegenüber nimmt die Bevölkerung in den alten Bundesländern trotz Sterbefallüberschuß (-l,1 Mio.) infolge der leichten Binnenwanderungsgewinne sowie vor allem der hohen Außen-wanderungsgewinne (+ 6,7 Mio.) um 5,8 Mio. Personen zu.
Eine regional tiefergehende Gliederung zeigt, daß in den neuen Bundesländern die Regionen Berlin/Potsdam und Frankfurt (Oder) die einzigen mit BevölkerungsWachstum sein werden. Der Nordosten Mecklenburg-Vorpommerns und der Südosten (Oberlausitz) werden die höchsten Bevölkerungsrluste aufweisen. In den alten Bundesländern haben dagegen fast alle Regionen Bevölkerungszuwachs, besonders jedoch die Regionen in Süddeutschland (Bayern und Baden-Württemberg). Überdurchschnittlich hohe absolute Bevölkerungszunahmen werden die Regionen mit großen Verdichtungsräumen aufweisen.
Der natürliche Bevölkerungsrückgang (Sterbefallüberschuß) ist eine gesamtdeutsche Erscheinung, auch wenn er im Osten noch stärker ausgeprägt ist. Die wenigen Regionen mit natürlicher Bevölkerungszunahme konzentrieren sich auf Süddeutschland (Baden-Württemberg und Bayern) sowie den Nordwesten der Bundesrepublik (Münsterland, Emsland, Ostfriesland).
Die höchsten Binnenwanderungsrluste haben die peripher gelegenen ostdeutschen Regionen zu erwarten, die stärksten Binnenwanderungsgewinne die süddeutschen Regionen.
Außenwanderungsgewinne weisen alle Regionen auf, jedoch in unterschiedlichem Umfang. Überdurchschnittliche Wanderungsgewinne gegenüber dem Ausland haben die süddeutschen Länder Hessen, Baden-Württemberg und Bayern sowie Sachsen und der Großraum Berlin. Durch Bevölkerungsrluste einerseits und Außenwanderungsgewinne andererseits wird es besonders in einigen ostdeutschen Regionen zu beträchtlichen Bevölkerungsumrteilungen kommen.
Festzuhalten bleibt, daß eine Bevölkerungszunahme bei gleichzeitiger Alterung sich regional differenziert vollziehen wird. Vor allem werden sich diese demographischen Prozesse konzentrieren auf Agglomerationsräume. Das Bevölkerungswachstum beruht vorwiegend auf Wanderungsgewinnen gegenüber dem Ausland. Durch die "Internationalisierung" der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland kommt es deshalb besonders in den Verdichtungsräumen zu einem weiteren Anstieg des Ausländeranteils.
Durch den Bevölkerungsrückgang in den neuen Bundesländern einerseits, der nur zum Teil durch Außenwanderungsgewinne kompensiert werden kann, und Bevölkerungszunahme in den alten Bundesländern andererseits, werden sich die regionalen Dirgenzen der Bevölkerungsentwicklung künftig sogar noch rstärken. Raumwirksame Folgen sind eine Verschärfung der Probleme auf dem Wohnungsmarkt - vor allem in den Verdichtungsräumen der alten Bundesländer - und in Verbindung mit der Suburbanisierung eine recht problematisch zu wertende disperse Siedlungsentwicklung. In den neuen Bundesländern wird es durch die deutliche Bevölkerungsabnahme zu einer demographischen Ausdünnung in vielen Regionen kommen, die zu Engpässen bzw. zusätzlichen Aufwendungen zur Aufrechterhaltung der infrastrukturellen Versorgung aber auch der regionalen Arbeitsmärkte führen wird.
Die Zunahme der älteren Bevölkerung rursacht - wenn auch in regional unterschiedlicher Intensität - einen zusätzlichen Bedarf an altengerechtem Wohnraum sowie Einrichtungen der Gesundheits- und Altenpflege. In den neuen Ländern kommt es dagegen zu Überkapazitäten in den Bereichen der Kinderbetreuung und der Bildungseinrichtungen.
Als Herausforderung bleibt das Erkennen der aus der demographischen Entwicklung resultierenden Probleme und die Aufgabe, die sozialen wie wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Konsequenzen zu ziehen, die insbesondere aus der demographischen Alterung erwachsen.