Der weitaus bedeutendste Bahnhof auf Hemer Stadtgebiet heißt heute noch »Wanne-Eickel Hbf< und nicht etwa >Ilerne-Wanne< -eine prokante Erinnerung an die früher selbständige Doppelstadt? Dieser Bahnhof wurde 1869 an einem Knotenpunkt der Köln-Mindener Eisenbahn angelegt und sollte rrangig dem stark expandierenden Kohlentransport aus den benachbarten Bergwerken dienen. 1872 öffnete man ihn auch für den Personenverkehr. Das heutige, breit gelagerte Empfangsgebäude stammt aus dem fahr 1913. Es wird n einem kleinen Uhrturm bekrönt: Pünktlichkeit ist eine wesentliche Voraussetzung des industriellen Verkehrswesens!
Vor allem auf Grund seiner zahllosen Gütergleise bildet der Bahnhof eine breite Barriere zwischen Wanne im Norden und Eickel im Süden. Mit einem kleinem Zipfel ragt Wanne allerdings über die Bahnlinie hinüber. In diesem Wanne-Süd verdient die neuromanische St. Josefs-Kirche Beachtung, eine hoch aufragende Basilika mit oktogonaler Qucrhauskuppel. Beim wuchtigen Turmrbau, dessen Bekrönung unllendet blieb, lasten die Säulen des Doppelportals auf drei grimmig blickenden Stein-Löwen, n denen jeder gerade einen Widder gerissen hat. Das Vorbild für diese imposante Eingangssituation lieferte die Kirche San Zeno in Verona aus dem 12. Jh.: Italiensehnsucht im Kohlenpott? (Architekt: Karl Pinnekamp, 1909-l2) Die Josefskirche liegt an der Hauptstraße. Diese Straße, die Wan-nc-Eickcl als >Lebensader< in Nord-Südrichtung durchzieht, dient nördlich des Bahnkörpers als Wanncr Hauptgeschäftsstraße und wird dort n zahlreichen Hausfassaden mit protzigem Stuckdekor gesäumt. An den repräsentativen Eckhäusern zur Mozartstraße deuten Jugendstil-Reliefs auf die ehemals wichtigsten Wirtschaftszweige des Orts: Bergbau, Kanalschifffahrt, Handel, Landwirtschaft Ursprünglich wurde diese Querstraße n einem Dach aus Stahl und Glas überspannt und hieß Kaiserpassage.
Nur wenig weiter nördlich steht die katholische Wanner Hauptkirche, die dem hl. Laurentius geweiht ist (Ecke Hauptstraße/Karlstraße). Für die schlichte neugotischc Hallenkirche (Arnold Güldcn-pfennig, 1884-l892) schuf Georg Meistermann 1979-89 moderne Glasfenster, die u. a. die acht Scligpreisungen der Bergpredigt symbolisieren. Der Kirchenraum birgt eine überraschende Fülle an bemerkenswerter Kunst aus sechs Jahrhunderten: Holzfiguren und Gemälde aus Spätgotik und Barock, zwei Ikonen aus Russland und Bulgarien, ein neugotisches Kruzifix, Skulpturen n Gerhard Marcks und Ernst Barlach, Christian Rohlfs' >GefangenenKringcl), die den 1286 erstmals erwähnten Ort früher halbkreisförmig umfloss. 1449 weihte man hier eine Kapelle auf den Namen des hl. Laurentius. 1484 wurde Crange in den Rang einer Freiheit erhoben und erhielt das Marktrecht zum Verkauf n wilden Pferden aus dem nahe gelegenen Emscherbruch. Nach dem Aussterben der Wildpferde im anbrechenden Industriezeitalter entwickelte sich der Markt zur weltbekannten Crangcr Kirmeß weiter, die nach wie r am Laurentiustag (10. August) abgehalten wird. Die gotische Kapelle ist allerdings bereits 1854 durch eine spätklas-sizistischc evangelische Kirche ersetzt worden. Von der Freiheit Crange blieben sieben Fachwerkhäuser aus dem 18. und 19. Jh. bis heute erhalten. Das ehemalige Wasserschloss Haus Crange verfiel während der letzten Jahre (!) zur irreparablen Ruine und besteht gegenwärtig nur noch aus gotischen Kellergewölbcn und baufälligen Außenwänden aus dem 18. Jh.
Keimzelle und Namensgeber des westlich anschließenden Herner Vororts war die Zeche Unser Fritz. Sie wurde 1872 noch im Siegesrausch des Deutsch-Französischen Kriegs so getauft. Der Name erinnert an den >Heerführer< und preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, der 1888 für 99 Tage deutscher Kaiser werden sollte. Letztes Überbleibsel dieser Zeche ist heute ein monumentaler Malakofl-turm n 1872/73, der n zwei oktogonalen Ecktürmchen für die Fluchttreppen flankiert wird. Im Zuge der Installation einer modernen Turmfördermaschinc hat man ihn noch in den 1970er Jahren um ca. einen Meter aufgestockt (Unser-Fritz-Straße, Höhe Alleestraße). Die neugotische Lutherkirche des Stadtteils besitzt eine aufwändig gestaltete Eingangsfassade, die Vorbilder aus der norddeutschen Backsteingotik zitiert (Kloster Chorin, Rathaus in Stralsund). Der Architekt wollte offenbar demonstrieren, was für kunstlle Muster sich aus Backsteinen mauern lassen: Wir finden hier Friese und Flechtbänder zur Unterteilung n Wandflächen, kleine Rosetten in den Ziergiebeln des Mittelschiffs, filigranes Netzwerk als Umrandung der Turmuhr (R. Fischer, 1907/08; Unser-Fritz-Straße. Nähe Hauptstraße).
Schließlich birgt Herne-Unser-Fritz noch ein sehenswertes, 1925 gegründetes Heimatmuseum. Bereits das Freigelände macht neugierig. Lockt es doch mit alten Straßenbahnwagen, Grubenlokomotiven und Bergbaumaschinen sowie mit einer translozierten Trinkhalle n 1870/71, die - als Anspielung auf den Dcutsch-I-'ranzösischen Krieg? - n einer Germania-ur bekrönt ist. Im Innern des Museums beeindruckt ein äußerst vielfältiger Exponatbestand: frühe Versteinerungen und eiszeitliche Tierknochen, ein kleines Schaubergwerk und eine geräumige Backstube, altertümliche Fotoapparate und gussei-sernc Ofen, Omas -Gute Stube< und eine Wohnküche mit Wachstuchsofa, die Fahne des .Weichensteller- und Bahnwärter Vereins Wanne n 1907< und eine ausgestopfte Bache mit ihren Frischlingen Prunkstück des Museums ist eine reich bestückte Jugendstil-Drogerie aus Herne-Röhlinghausen. Alle diese Schätze wurden um 1970 in die leeren Klassenräume eines gründerzeitlichen Schulgcbäu-des geräumt, und dabei blieb es. Noch heute spiegelt das Museum den Charme n bürgerlicher Sammelleidenschaft, behördlichem Improvisationstalent und Liebe zur Sache auf sympathische Weise wider - ungebrochen durch wissenschaftliche Bermundung oder designerischen Ehrgeiz. Dieses -Museum eines Museums- sollte unter Denkmalschutz gestellt werden! (Unser-Fritz-Straße 108; heute Außenstelle des Herner Emschertalmuseums)
Der rindustriellen Dorfkern n Eichel hat längst neueren Gebäuden Platz gemacht. Beim Abriss der mittelalterlichen Dorfkirche wurde 1890 das prunklle Grabdenkmal des Conrad n Strün-kede ins Märkische Museum nach Witten gegeben (s. S. 65f.).
Weitaus mehr und besser erhaltene Koloniehäuser gibt es im benachbarten Röhlinghausen, in den Stadtvierteln um die Plutostraße und die Westfalenstraße. Vor allem aber lohnt sich hier ein Besuch der katholischen Kirche, die sowohl dem Heiligen Geist als auch der Bergbau-Heiligen Barbara geweiht ist. (Stephan Legge / Ursula Legge-Suwelak, 1968/69; Ecke Holstraße/Westfalenstraße). Das moderne Gotteshaus besitzt nicht nur theologisch anspruchslle Fenster n Georg Meistermann, sondern auch einen neugotischen Schnitzaltar aus dem Vorgängerbau, der 1965 auf Grund n Bergschäden gesprengt werden musste. An diesem Altar findet sich eines der seltenen Zeugnise n polnischem Katholizismus im Ruhrgebiet: Auf der Außenseite des rechten Flügels ist der Bischof Adalbert (>WojciechGniezno