Noch mehr als das Münster
Was hat Ulm denn, was andere Städte nicht haben? Den höchsten Kirchturm der Welt natürlich. Und den pfifen Spatz, ohne den die Zimmerleute vielleicht bis heute nicht kapiert hätten, wie man die Balken zum Münsterbau transportiert. Oder den Schneider von Ulm, der so gern fliegen wollte und so viel genialer war, als sein Ruf vermuten lässt.
Und wenn in Ulm von alten Schachteln die Rede ist, sind nicht etwa despektierlich ältere Damen gemeint, sondern die flachen Handelsschiffe, die früher wertvolle Güter die Donau hinab transportierten - alles typisch ulmisch. Im Fischer- und Gerberviertel, das die grünleuchtenden Seitenarme der Blau durchfließen, findet man noch malerische Brücken, handtuchschmale Gassen und wunderbare Gaststuben in windschiefen Fachwerkhäusern.
Charakteristisch für das moderne Ulm (115 000 Einw.) sind aber auch die Kontraste: Neben das gotische Münster ließen die mutigen Stadtväter ein futuristisch anmutendes Kulturhaus setzen, ein High-Tech-Kongresszentrum steht direkt am Rand der Altstadt, und die noch junge Universität mit ihren so genannten Science Parks bringt Ulm völlig neue Impulse. Dafür leistet der Oberbürgermeister noch immer alljährlich öffentlich bei der Schwörrede den Eid auf die Verfassung-wie seine rgänger nun schon seit mehr als 600 Jahren.
Geschichte
Grabungsfunde belegen, dass schon Steinzeitmenschen das Donautal lebenswert fanden; in der Bronzezeit trafen in der Ulmer Gegend zwei Handelsstraßen zusammen. Erstmals erwähnt wurde die Ansiedlung 854. Die Staufer errichteten dann eine Stadt, in der Kaiser Friedrich I. Barbarossa bis 1183 mindestens sieben große Hoftage abhielt.
An mehreren Straßen und dem Wasserweg Donau gelegen, wurde Ulm bald zu einer Handelsmetropole und zur Freien Reichsstadt, in der sich die mächtigen Zünfte wesentliche politische Mitsprache erkämpften, die 1397 im Großen Schwörbrief besiegelt wurde.
500 Jahre Münsterbau
Ab 1377 bauten die Ulmer jahrhundertelang an ihrer neuen Bürgerkirche, dem Münster. Im Schmalkaldi-schen Krieg musste sich 1548 die einstmals reiche Stadt aus finanziellen Gründen Kaiser KarIV. unterwerfen; Pest, Missernten und Kriegsfolgen ließen Ulm später auf Provinzniveau herabsinken.
Erst der Bau der gewaltigen Bundesfestung und der Bahnan-schluss 1850 leiteten eine große wirtschaftliche Entwicklung ein. Weltbekannte Industrieunternehmen sorgten für Aufschwung, doch im Zweiten Weltkrieg wurden 85 Prozent der Stadt zerstört.
Aufschwung nach dem Krieg
Allerdings ging es danach rasch wieder aufwärts: Schon in den fünfziger lahren des zwanzigsten lahrhunderts wurden neue Industriegebiete erschlossen, in den Sechzigern eröffnete man Hoch- und Fachhochschulen sowie die Universität.
Das höchste Bauwerk Ulms und das umstrittenste stehen am Münsterplatz nebeneinander: Hier das in den Himmel strebende gotische Münster, dort das weiß strahlende neue Stadthaus. Ihren Hang zu Höherem demonstrierten die Ulmer mit dem Münster eindrucksvoll: Es sollte alle anderen Kirchen in den Schatten stellen. 1377 begann die Künstlerfamilie Parier mit dem Bau der größten Bürgerkirche Deutschlands, deren Dimensionen sich mit den aufwendigsten Bischofskathedralen messen können.
Die kühne Konzeption des »Fingers Gottes« geht auf Ulrich von Ensingen zurück, der wenig später auch am Straßburger Münster arbeitete. Der mit 161 m höchste Kirchturm der Erde wurde erst 1890 vollendet. Während die Parier noch eine Hallenkirche mit gleich hohen Schiffen geplant hatten, gelangte bis zur Mitte des 16. Jhs. eine fünfschiffige Basilika zur Ausführung. Während der Reformationszeit dezimierten Bilderstürmer die Ausstattung der Kirche, doch was blieb, ist von erlesener Qualität. Der Schmerzensmann am Chorpfeiler stammt vom Hauptportal (dort Kopie) und ist ein Werk Hans Multschers von 1429. Das figurenreiche, für eine eigentlich schlichte Pfarrkirche ungewöhnliche Chorgestühl - wohl in erster Linie ein Prestigeobjekt - schuf Jörg Syrlin d. Ä. um 1470. Ebenfalls aus dem 15. Jh. stammen die im Chor und in der Bessererkapelle erhaltenen Glasfenster.
Wenn Sie sich die Mühe machen, die 768 Stufen auf die Plattform des Turms zu erklimmen, können Sie auf Höhe des Dachfirsts den legendären Ulmer Spatz (s. S. 35) in Kupfer bewundern und mit etwas Glück auch eine Fernsicht auf die Alpenkette bis zur Zugspitze genießen.
Ulmer Spatzen aus feiner Scho- kolade gibt es im Cafe Trögten (Münsterplatz 5).
Vom Stadt- zum Schwörhaus
Das 1991-1993 erbaute 'Stadthaus
des Stararchitekten Richard Meier aus New York, der auch das 1997 eröffnete Getty-Center in Los Angeles schuf, bildet mit seinen weißen Rundungen und Durchblicken einen gewaltigen Kontrapunkt am Münsterplatz. In dem Kultur- und Veranstaltungsgebäude steht auch die Stadtinformation zu Diensten. Nach langen Diskussionen wurde der Bau von den Ulmern inzwischen mehrheitlich akzeptiert, die damit auch ausdrücken, dass sie eine lebendige Stadt einem Mittelalter-Museum vorziehen.
Der 1585 als Getreidespeicher errichtete Neue Bau © beherbergt heutedie Polizeidirektion. Das Schwörhaus aus dem 17. Jh. musste mehrfach wiederhergestellt werden, zuletzt in den 1950er Jahren. Vom Balkon im ersten Stock aus legt der Oberbürgermeister alljährlich den Bürgern Rechenschaft über seine Tätigkeit ab.
Das 'Fischer- und Gerberviertel
Nun sind es nur noch wenige Schritte hinunter zum Fischer- und Gerberviertel. In dem Ensemble sind einzelne, schön renovierte Gebäude besonders malerisch, etwa das Schiefe Haus (1443) in der Schwörhausgasse, heute ein originelles Hotel, das Zunfthaus und das Schöne Haus in der Fischergasse. Steinerne Brücken und Stege führen über die Arme des Flüsschens Blau, das sich zwischen den Häusern durchwindet.
Durch dieses stimmungsvolle, von Besuchern heiß geliebte Viertel sollte man hinunter bummeln zur gepflegten Uferpromenade an der Donau. Ein attraktiver Spazierweg führt auf der Stadtmauer entlang. Beiderseits des schiefen Metzgerturms , eines Teils der Stadtbefestigung, bauen sich verwinkelte, spitzgiebelige Häuser über der Wehrmauer auf.
Rund um den Marktplatz
Nun empfiehlt es sich, durch diesen Turm ein paar Schritte hinaufzugehen zum 'Rathaus, das als eines der schönsten in Deutschland gilt. Es wurde ab 1370 erbaut und im 16. Jh. grundlegend verändert. Der Freskenzyklus an der Nord- und Ostfront, der die bürgerlichen Tugenden darstellt, stammt aus dieser Zeit, die Bemalung an der Südfassade entstand dagegen erst 1907. Süd- und Ostseite zeigen heute Kopien der Fensterfiguren von 1420, darunter die Könige von Hans Multscher. Den Stand der Sterne gibt die astronomische Rathausuhr von 1520 an, darüber befindet sich eine wenig jüngere Sonnenuhr.
Gegenüber vom Rathaus steht das *Ulmer Museum O, dessen Schwerpunkt auf Kunst und Kunsthandwerk der Stadt und Oberschwabens seit dem Mittelalter liegt. Besonders beachtenswert sind die herausragenden Bildwerke der Spätgotik. Der 30 000 Jahre alte »Löwenmensch« aus Mammut-Elfenbein ist die älteste Tiermensch-Darstellung der Welt. Dem Museum angegliedert ist eine Galerie mit Kunstsammlung (20. |h.). (Öffnungszeiten: Di-So 11-17 Uhr, bei Sonderausstellungen Do bis 20 Uhr.)
Der Gebäudekomplex Grüner Hof© umfasste ab dem 13. Jh. ein Kloster sowie mehrere Pfleghöfe. Die mit ihrem Zwiebelturm weithin sichtbare Dreifaltigkeitskirche dient heute als ein kirchliches Begegnungszentrum. Ältestes Gebäude Ulms ist das Steinhaus mit der Nikolauskapelle von 1165 mit gotischen Fresken und einem Netzgewölbe aus dem 15. Jh. Im Innenhof des Reichenauer Hofs (Grüner Hof 2) führt das Theater in der Westentasche im Sommer volkstümliche Freilichtstücke auf. Die Adlerbastei ® ging als Ort des Flugversuchs des Schneiders von Ulm in die Geschichte ein (siehe rechts).
Durch den etwas düster-verwittert wirkenden Gänsturm ffl kommt man zum Zeughaus ©, heute Wohnareal und Behördenzentrum.
Der originelle Einstein-Brunnen vor dem Zeughaus ist ein beliebtes Fotomotiv. Er stellt den in Ulm geborenen Nobelpreisträger mit seiner wohl berühmtesten Geste dar...
Am Kornhausplatz Das Kornhaus ©, 1594 im Übergangsstil von der Gotik zur Renaissance gebaut, ist heute ein Konzertsaal. Gegenüber befinden sich das Naturkundliche Bildungszentrum ® mit 60 000 Objekten zur Erdgeschichte sowie zur Tier- und Pflanzenwelt. Als ein »Museum zum Anfassen«, bei dem zahlreiche Exponate auch betastet werden dürfen und in Blindenschrift erläutert werden, wendet sich diese Ausstellung auch an Sehbehinderte (Öffnungszeiten: Di-So 11-17 Uhr).
Nördlich des Münsters
Ein zweiter verwinkelt-romantischer Altstadtbezirk neben dem Fischer- und Gerberviertel liegt nördlich des Münsters. Mit mehr alltäglichem Leben erfüllt, empfehlen sich die Gassen mit ihren Geschäften, Boutiquen, Galerien, Pubs und Bistros nicht nur zum Schauen, sondern auch zum gemütlichen Einkaufsbummel.
Der ehemalige Salzstadel, ein Renais-sance-Gebäude aus dem Jahr 1592, beherbergt das *Museum der Brotkultur ©. Auf drei Etagen wird die Bedeutung des Brotes in historischer, kultur und sozialgeschichtlicher Hinsicht überaus lebendig dokumentiert (Öffnungszeiten: tgl. 10-17. Mi bis 20.30 Uhr).
Warum der Schneider n Ulm in die Donau fiel
Der Schneider von Ulm - war das nicht jener Spinner, der fliegen zu können glaubte und jämmerlich in die Donau plumpste? Stimmt und stimmt nicht. Eigentlich war Albrecht Ludwig Berblinger, geboren 1770, ein vielseitiger Tüftler, Erfinder und Konstrukteur. Als Waisenjunge wurde er in eine Schneiderlehre gesteckt, doch sein Interesse galt der Mechanik. So erfand er schon 1808, zu Zeiten, da Tausende von Soldaten zu Krüppeln geschossen wurden, eine »künstliche Fußmaschine« mit beweglichen Gelenken, eine Vorläuferin der heutigen Prothesen. Immer wieder jedoch beschäftigte den Schneider wider Willen der Traum vom Fliegen. Mit einem selbst gebastelten Flugapparat experimentierte er am Michelsberg.
Als König Friedrich I. 1811 seinen Besuch ansagte, wollte die Stadt mit etwas Spektakulärem aufwarten und dem König mit dem ersten Flugversuch über die Donau imponieren. Berblinger ließ auf der Adlerbastei ein Gestellerrichten, um aus knapp 20 Metern Höhe über den Fluss zu gleiten. Was er nicht bedachte, war die hier - im Gegensatz zum Michelsberg -fehlende Thermik über dem kühlen Donauwasser. Den ersten Versuch vor Ihro Majestät brach er vorzeitig ab. Am nächsten Tag, diesmal vor des Königs Bruder, sprang er tatsächlich und plumpste wie ein Stein ins Wasser.
Es hält sich das Gerücht, ein Polizeidiener habe ihn geschubst. Die herbeirudernden Fischer konnten den unglücklichen »Luftflieger« zwar aus der Donau fischen, doch der gesellschaftliche Absturz folgte auf dem Fuße. Der Spott der Bürger über den gerade noch angesehenen »erfinderischen Kopf« war gnadenlos. Am 28. Januar 1825 starb Albrecht Ludwig Berblinger verarmt im Ulmer Spital.
Der Ulmer Spatz
Mächtige Balken waren für den Bau des Ulmer Münsters nötig. Sie wurden auf Wagen herangekarrt, doch am Stadttor endete der Transport, weil die quer liegenden Stämme nicht durchs Tor passten. Guter Rat war teuer. Schon wollte man das Tor abreißen, als die Arbeiter bemerkten, dass ein kleiner Spatz mit einem Strohhalm längs im Schnabel problemlos durch eine Mauerlücke flog. Da funkte es bei den wackeren Mannen, und flugs legten sie ihre Balken ebenfalls längs auf den Karren -worauf der Münsterbau weitergehen konnte.
Was es sonst noch gibt
Benediktinerabtei Ulm-Wiblingen Den letzten großen barocken Kirchen-und Klosterbau Oberschwabens bildet die ehem. Benediktinerabtei Ulm-Wiblingen (5 km südlich vom Zentrum), die 1714 begonnen wurde.
Prunkstück der Anlage ist der lichtdurchflutete Rokoko-Bibliothekssaal mit geschwungenen Galerien. Acht überlebensgroße Figuren symbolisieren klösterliche Tugenden und weltliche Wissenschaften (Öffnungszeiten: April-Okt. Di-So, Fei 10-12, 14-17, Nov.-März Sa, So, Fei 14-16 Uhr).
Donauschwäbisches Zentralmuseum
Die Geschichte der Donauschwaben, die ab dem 18. lahrhundert in Ungarn und Rumänien angesiedelt wurden, erzählt das Donauschwäbische Zentralmuseum, untergebracht im Festungsgemäuer der Donaubastion, Schillerstr. 1, Tel. 96254-0, Fax 96 25 4-200 (Öffnungszeiten: Di-So 10-17. Do bis 20 Uhr).
Ausflug zum Blautopf
20 km westlich von Ulm liegt *Blau-beuren, das sich idyllisch in eine Talschlinge am Blautopf schmiegt. Bei letzterem handelt es sich um eine der schönsten Karstquellen in ganz Deutschland. Der geheimnisvolle Quelltrichter, seine tiefblaue Farbe und die unwirkliche Atmosphäre beflügelten schon immer die Phantasie. Der Blautopf hat einen Durchmesser von 35 m und ist 22 m tief; darunter erstreckt sich ein kilometerlanges Höhlensystem. Im Blautopfhaus kann man Videos des Höhlenforschers Jochen Hasenmayer anschauen.
Im Blautopf siedelte Eduard Mö-rike die reizende Geschichte von der »Schönen Lau« an (in: Das Stuttgarter Hutzelmännlein, Reclam).
Das ehemalige Benediktinerkloster wenig unterhalb des Blautopfs wurde seit dem 15. Jh. kaum mehr verändert. Herzstück ist der reich ausgestattete spätgotische Chor, eine Arbeit der Ulmer Schule, die in der zweiten Hälfte des 15. Jhs. ihre höchste Blüte erreichte. Zu den Kostbarkeiten der Kirche zählt neben prächtigem Chorgestühl vor allem der spätgotische *Hochaltar (Öffnungszeiten: Palmsonntag bis 1. Nov. tgl. 9-18, sonst Mo-Fr 14-16, Sa, So auch 10-12 Uhr).
Fremdenverkehrsbüro, Rathaus, 89143 Blaubeuren,
Tel. 0 73 44/9 66 90,
www.blaubeuren.de
Hotel Löwen, Marktstr. 1,
Tel. 96 66-0,
www.hotel-loewen-blaubeuren.de
Ruhige Atmosphäre, persönliche Betreuung.
Infos
Tourist-Information, Münsterplatz 50.89073 Ulm,
Tel. 07 31/16128 30,
Fax 16116 41.
www.tourismus.ulm.de
Hotel Schiefes Haus, Schwör- hausgasse 6, Tel. 96 79 30, www.hotelschiefeshausulm.de. Originelles Hotel in einem 500 Jahre alten windschiefen Fachwerkbau. Liebevoll restauriert und komfortabel eingerichtet. Denkmalschutzpreis für gelungene Sanierung.
Hotel und Weinstube Baumle, Kohlgasse 6, Tel. 6 22 87, www. baeumle.ulm.de. Kleines Hotel in altem Fachwerkhaus in Münsternähe, einzige echt erhaltene holzgetäfelte Ulmer Stube mit bleiverglasten Fenstern.
Zur Forelle, Fischergasse 25, Tel. 639 24. Fischspezialitäten. Die Forellen holt der Koch persönlich aus den Fischkästen in der Blau.
Gaststuben im Zunfthaus der Schiffsleute, Fischergasse 31, Tel. 64411. Gemütliche Gasträume in historischem Gemäuer.
Schauspiel, Oper und Ballett werden im Ulmer Theater (Herbert-von-Karajan-Platz 1, Tel. 16144 44) geboten.
Experimentelles und Volkstümliches gibt's im Theater in der Westentasche (Herrenkellergasse 6, Tel. 6 87 97; s. a. S. 38) und in Dentlers Ulmer Komödie, Schillerstr. 1, gleiche Tel.-Nr.).