»Zur Pegnitz ward die halbe Stadt, ein Nothpruck man errichtet hat, wer wollt darüber schreiten, der mußt el Puff erleiden «, reimte Hans Sachs anno 1509. Nun ist die Pegnitz normalerweise eher ein bedächtiger Fluss. Im Städtchen Pegnitz dem Karst entsprungen, verliert sie beim Mäandern durch die Hersbrucker Schweiz so einiges an jugendlichem Ungestüm. Wenn sie aber nach Dauerregen und Schneeschmelze so richtig aufdrehte, dann hieß es Land unter in der Altstadt. Bei der größten Überschwemmungskatastrophe im Februar 1909, die auch vor der Nachbarstadt Fürth nicht Halt machte, stieg der Pegel innerhalb kürzester Zeit auf 4,80 m und hinterließ in Werkstätten, Lagern, Läden, Wohnungen und Straßen ein schlammiges Chaos.
Das brachte das Fass zum Überlaufen. Erst 1962 aber war die Ben-gertz komplett begradigt. Seilher eilt sie an Steilulern rascher dahin. Die ökologische Kehrtwende stellt nun wiederum den Technikglauben infrage und so darl sie inzwischen, von St. Johannis bis zur Fürther Stadtgrenzc renaturiert, entlang neuer Freizeitanlagen durch die Wiesen schlingern und sogar ein Wasserschöpfrad antreiben. Eine erste Korrektur bedeutete bereits 1969 die Anlage des Wöhrder Sees im Osten. Inzwischen mit der Landschaft wie verwachsen und von Fuß- und Radwegen gesäumt, ist er kaum mehr als Stausee zu erkennen.
Folgen wir dem Flusslauf ein Stück gegen die Strömung, dann zeigen sich ufernahe Attraktionen der Altstadt von ihrer Schokoladenseite. Treten wir durchs Hallertürlein (1) ein, das, zur letzten Stadtbefestigung gehörend, von Anfang an Fußgängerzone« war. Das gilt auch für den Kettensteg (2), 1824 als erste frei schwebende Flussbrücke Deutschlands ein el bewundertes technisches Meisterwerk Georg Konrad Kupplers, auf dem es sich vor der Verankerung im Fluss (1930) außerdem herrlich schaukeln ließ.
Brücken bauen hieß die Losung fürs Zusammenwachsen beider Sladlhälflen. Der 1850-52 mit gusseisernen Maßwerkbrüstungen versehenen Maxbrücke (3) sieht man allerdings nicht mehr an, dass sie 1457 die allererste «Steinerne Brücke Nürnbergs war. Um so malerischer das Ensemble aus Weinstadel, Wasserturm und Henkersteg, das sich jenseits des Unschliltplatzes auftut. Hier sagte die Pegnitz noch im frühen 14. Jh. der umwehrten Sladt ade. Der sog. Wasserturm und der Henkersteg (4) sind Relikte der Befestigung aus jener Zeit. Vom Hals schaffen wollte man sich möglichst wie überall den Scharfrichter, und so hauste er bis ins 19. Jh. im ehemaligen Wehrgang über dem Fluss mit der Trauerweide als Nachbarin, deren Zweige sanft den Huss streicheln. Vom Leib halten wollte man sich gleichfalls die Leprakranken, sie aber nicht ohne Fürsorge lassen, und so errichtete man das pittoreske Fachwerk-Steinhaus mit den Holzgalerien 1446-48 als Siechkobel. Kaum ein Jahrhundert spater zum Weinstadel (5) (Lager) alkoholisiert, ist es nun völlig nüchtern zum Studentenwohnheim umfunktioniert, in dem hoffentlich keine akademischen Karrieren dahinsiechen.
Vorkriegsfotos betrachtend, wünschte man, dass der mit schicken I äden bestückte Trödelmarkt (6) auf der Pegnitzinsel noch mehr von seinem fast pariserischen Charme zurückgewänne. Beim Stöbern in den Budengassen des Trempela konnte man für wenig Geld alles finden, vom Zinnkrug, Reisekoffer, getragenem Schuhwerk, herzzerreißendem Schmöker bis zum Ohrensessel. Auf der mit Kanonenkugeln geschmückten Karlsbrücke (7) (1728) tragen zwei Obelisken Friedenstaube und Kriegsadler. Auf einer lateinisch beschrifteten Tafel lesen wir (übersetzt): »Wünsche, der du über diese Carls-Brücke gehst, dass des Kaisers Geschlecht fortbestehen möge, so lange dieses Wasser fließt«.
Dieses Wasser war aber häu eher eine stinkende Brühe, denn nicht immer behandelten die Nürnberger ihre Lebensader rücksichtsvoll. Um 1600 trieben 31 Wasserräder 12 Mühlen an, die Korn mahlten, Leder und Tuche walkten, Holz sägten, Pulver produzierten. Im Bereich der Wöhrder Wiese verarbeitete Ulman Stromeirs erste Papiermühle nördlich der Alpen seit 1390 Hadern (Lumpen) zu Papier. Hammerwerke entstanden - der Stadtteil Hammer im Osten erinnert daran. Hämmern, Schleifen, Polieren, ürahtziehen (u. a. Instrumentensaiten), Waffen schmieden - ein höllischer Lärm, der bei beginnender Industrialisierung im 19. Jh. auch nicht weniger wurde. Der Fluss lieferte die Energie.
Das sollte sich nun ändern. In der zwischen Karls- und Fleischbrücke gelegenen, von der Kommune umgebauten, im Zweiten Weltkrieg untergegangenen Schwabenmühle mietete 1873 Sigmund Schuckcrt eine Werkstatt. Der 1843 in Nürnberg geborene Feinmechaniker erregte ungeheures Aufsehen, als er 1876 im Auftrag des Magistrats mit drei Bogenlampen hier in der Kaiserstraße Deutschlands erste bleibende Straßenbeleuchtung installierte, die 35 Gaslatcrnen ersetzte. Die Kenntnisse dazu hatte er sich in Lehre, Selbststudium und auf der Walz erworben. Diese führte ihn u. a. zu Siemens & Halske in Berlin, ohne zu ahnen, dass nach seinem Tod (1895) die inzwischen weltberühmte Firma mit der des ehemaligcn Brötchengebers zu den Siemens-Schuckert-Werken fusionieren würde. Wie ele mit Peg-nit7wasser Getaufte mehr Tüftler und Verbesserer als Erfinder, expandierte sein in den Nürnberger Süden umgezogenes Unternehmen mit Scheinwerfern, Dynamo-, Schleifmaschinen, Messinstrumenten, Schaltgeräten, Straßenbahnen oder ganzen Elektrizitätswerken. Schuckcrt und andere Pioniere stießen das Tor auf ins elektrische Zeitalter.
Die Pegnitz als Energiequelle war passe, dem jahrhundertealten Streit mit der Mühlenlobby um den Hochwasserschutz die Grundlage entzogen. Ein Mülleimer blieb sie trotzdem. Allerdings nicht mehr für tierische Abfälle, die schon im I lochmittelalter von den Fleischbänken an der Fleischbrücke (8) hineingekippt, so manches Mal die Mühlräder hatten still stehen lassen. Damals organisierten Nürnberger Kaulleute den Ochsentrieb aus dem Osten zu den Märkten der Metropolen Europas. Seinerzeit eine kühne Konstruktion, da sie ohne jeden Pfeiler auskam, ist die 1596-98 erbaute elegante Brücke heute ein Sorgenkind, denn durch Ritzen des Pflasters sickert im Winter das Schmelzwasser. Frostsprengung könnte das Gemeinschaftswerk des Ratsbaumeisters Wolf Jakob Stromer, Steinmetzen lakob Wolff d. A. und Zimmermanns Peter Carl auf Dauer schwer schädigen. Den Ochs über dem Portal (1599) an der Brücke, laut Inschrift »nie ein Kalb gewesen«, scheinen die Probleme der Sladtoberen nicht zu interessieren. Auch nicht, wie die Metamorphose des angrenzenden, nur in den Grundmauern originalen ricischhauses von Labors in ein eventuelles Wirtschaftsrathaus zu finanzieren sei. Traditionsgeschäfte, wie der Wurzelscpp im Erdge-schoss, eine wohlriechende Adresse für Tees und Gewürze, sollen auch bei einer derartigen Umwidmung in jedem Fall erhalten bleiben.
Und so kommen wir erneut zum Hauptmarkt (9), diesmal aus dem Blickwinkel des Flusses. Zu Anfang war hier alles malariavcrseuchter Sumpf, minderwertiges Baugelände also und daher seit dem 12, Jh. dem jüdischen Getto überlassen. Nach dem Pogrom trockengelegt, pflasterte man ein unrühmliches Kapitel einfach zu.
Ein kurzer Schwenk zur Musc-umsbrücke. denn hier zeigt sich das Heilig-Geist-Spital (10) dank der den Pegnitzarm überspannenden Schwibbogen von seiner attraktivsten Seite. Dieser Gebäudekomplex, der sich am Flussufer in Richtung Brücke fortsetzt, ist ein Erweiterungsbau aus dem 16. Jh., den der geniale städtische Baumeister I lans Beheim d. A. vollendete. Nach massiven Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg wurde er über den Grundfesten originalgetreu rekonstruiert. Nicht so die einst gotisch basilikale Spitalkirche zum Hl. Geist, die eine Zeitlang die Reichskleinodien hütete (s. Stadt, Land, Fluss - Nürnberg 66). An ihre Stelle traten Studentenwohnheim, Bildungszenlrum und Bibelmuseum der evangelischen Kirche. Hinter Arkaden versteckt, komplettieren Läden das Bild zur Spitalgasse und Stirnseite des Hans-Sachs-Platzes hin.
Von der Spilalbrücke aus gelangt man in den Kreuzigungshof und 7um Hochgrab des Stifters Konrad Groß (um 1280-l356). Den Erben gewaltiger l.ändcreien, wozu Mühlen gehörten und vermutlich fast der gesamte Stiftungsbereich, machten die Einheirat ins Patriziat und das Glück des Tüchtigen noch reicher. Die Freundschaft Kaiser Ludwigs des Bayern, dem er als Hofbankicr über manche Geldnot hinweghalf, verschaffte ihm gewinnträchtige Prilegien. Ein Kapitalist mit sozialer Ader also, den elleicht auch die Sorge um sein Seelenheil umtrieb, da er dem vom Papst permanent gebannten Kaiser die Treue hielt. Eine reich ausgestattete und wirtschaftlich autarke Stiftung jedenfalls, die umfassendste eines Privatmannes im Deutschen Reich überhaupt -und vom Rat mil Handkuss angenommen, denn die Fürsorge für Alte, Kranke und mittellose Wöchnerinnen war eine teure Sache. Die Stiftung existiert weiterhin zur Unterstützung Bedürftiger, das Altenwohnheim ging in kommunale Regie über. Nach Betrachtung der Kreuzigungsgruppe des Veit Stoß (1505/06) und einem Blick in die zum Weinlokal umgewidmetc Suite (Siechen-Krankenstubc), verlassen wir das Hei-Gei zur Vorderen Insel Schutt hin.
»Der Fluss, der sich die Mühe gibt, durch Nürnberg zu fließen, trägt keinen Ruhm davon. Er heißt Pcgnitz und das ist ein stiller Name«, schrieb Hermann Kosten. Ein stummes Signal sendet an der Spilalbrücke der Gedenkstein für die Hauptsynagoge (11) aus, die bis zum 10. August 1938 am Hans-Sachs-Platz stand. Monate vor der Pogromnacht wurde auf Betreiben des Gauleiters Julius Streicher (übrigens kein Franke) ein Stück Heimat für die jüdische Gemeinde mitten aus dem Herzen der Stadt gerissen. Um 1850 halte sie einen neuen Anlauf zur Sesshaftig-keit in Nürnberg gewagt, die Industrialisierung maßgeblich mit auf den Weg gebracht, weltweit bedeutende Werke und Arbeitsplätze geschaffen, sich als generöse Stifter erwiesen. So Kommerzienrat Heinrich Berolzhei-mer, 1889 aus Fürth zugezogener Bleisliftfabrikant. Er finanzierte das 1911 eröffnete Luitpoldhaus am Cewerlyemuscumsplalz, in dem das Museum der Naturhistorischen Gesellschaft vor dem Umzug in die No-rishalle logierte. Die Stadtbibliothek (12) blieb und gewann an Raum und Attraktität, /um Schmökern lädt in ihr das einem Wiener Kaffeehaus nachempfundene Zeitungs-Cafe Hermann Kestcn mit einem Riesenangebot an Tagespresse ein, dem der Kreuzgang des einstigen Katharinen-klosters eine stimmungsvolle Note verleiht.
Literaturgeschwängert war die Luft der Reichsstadt seit eh und je, nicht nur dank der umfangreichen Handschriftenkollektion der Dominikanerinnen. Eine Oberschicht, die bei allen geistigen Strömungen kräftig milmischte, brauchte belesene Leute. Papiermühlen halte man, Metallhandwerker für die Lettern auch - kein Wunder, dass Gutenbergs schwarze Kunst alsbald einen Boom auslöste. Von Marco Polos Reisebeschreibung (1477), Deutscher Bibel (1493), Brants Narrenschiff (1493), llartmann Schedels Weltchronik (1493) bis zum Tierfreund und Gong lief bzw. läuft alles durch hiesige Druckpressen. Ein Leihbeleg des Juristen Gilbert Wey-gel von 1370 gilt zudem als 'Geburtsscheine der ältesten Bibliothek Deutschlands, deren bibliophile Schätze noch im Pellerhaus (s. Stadt, Land, Fluss - Nürnberg 91) archiert sind. Voraussichtlich 2005 zieht man in die Zentrale ans Pegnitzufer um, während das Kons ums Eck, seit 1998 Musikhochschule Augsburg-Nürnberg, zum Egi-dienplatz rochiert. Das Flair bleibt. Die seit 1945 ruinöse Kirche St. Katharina (13) (1297) talisiert sich weiterhin mit ist. katharina open airBeutegutLusthaus bauen, in dessen Nachbarschaft (Tucherschloss) nun wieder frisch drauflos geheiratet werden darf, mit Fototermin im Garten, der alten Vorbildern nachempfunden ist.
Das Egidienerlel galt jahrhundertelang als Topadresse. Davon ist 1945 kaum etwas übrig geblieben. Am Egidienplalz vermochte auch Kaiser Wilhelms I. Reiterstandbild (1905) das Pellerhaus (20) nicht zu schützen, von dem allein die Grundmauern dem Inferno standhielten. In das vormals prächtigste Renaissance-Bürgerhaus Nürnbergs harte der Kaufmann Martin Peller bis zur Fertigstellung anno 1625 eine Stange Geld investiert, u. a. den Stararchitekten |akob Wolff d. A. engagiert. An den geten Ringtausch Literatur gegen Musik (s. Stadt, Land, Fluss - Nürnberg 89) schließen sich nun weitere Gedankenspielc an, etwa das Angebot des evangelischen Dekanats an die Stadt, die Egidienkirche (21) als Konzertsaal der Hochschule zu nutzen. Seil längerem bereits profilier! man sich hier neben St. Lorenz und St, Sebald mit Nischenkullur. St. Egi-dien ist zwar die einzige Barockkirche (1711-l8), aber nur mehr als 1959 erbaute Kopie, die auf die reiche Stuckatur verzichtete. Unbeschädigt blieb die romanische Eu-chariuskapelk (1120/30, Glastür), vom Querschiff aus über die Wolf-gangskapellc anzusteuern, ein Überbleibsel des Königshofs, an dessen Stelle 1140 ein Benediktiner-Schottenkloster entstand.
Draußen vor der Penne steht Philipp Melanchthon auf dem von Jakob Daniel Burgschmiet gemeißelten Denkmal. Luthers Weggefährte gründete 1526 auf Bitte des reformierten Rats eines der drei ersten Gymnasien im Reich, die die Klosterschulen ablösten. G. W. F. Hegel, 1808-l6 Rektor der Anstalt, wurde hier nicht nur zur 'Wissenschaft der LogikMe-lanchthon« in die Sulzbacher Straße um, das Willsfätter-Gymnasium aber ein. Bald füllt die Musikhochschule eventuelle kreative Lücken. Zumal sich das |azzStudio (22), einer der weltweit ältesten Jazzkeller, am nahen Paniersplatz live fürs abendliche Life empfiehlt.
Einen Exkurs zu Alt-Nürnberg provoziert am Theresienplatz das 1890 mit großem Pomp enthüllte Denkmal Martin Behaim d. J. (23) (1459-l507) samt dem berühmten Erdapfek Die zur bayerischen Pronz herabgesunkene Stadt brauchte dringend eine Identifikationsur, die sowohl die glorreiche Vergangenheit als auch den technischen Fortschritt repräsentierte, und erkor sich dafür den Patriziersohn. So wurde eine eher schillernde Persönlichkeit - intelligent, aber unstet, ohne Fortune als Kaufmann, trotz eines beträchtlichen Erbes und der Einheirat in eine der vornehmsten Familien Portugals stets in Geldnöten, einsam in Lissabon gestorben -zur Ikone hoch gepuschl. 1847 trug eine Lokomotive seinen Namen, das Große Deutsche Sängerfest ließ 1861 sein Geburtshaus am Hauptmarkt nicht aus. Buchillustrationen kolportierten das Image, der Veit Harlan-Film Das unsterbliche Herz (1939) bastelte weiter daran. Auch wenn Martins des Seefahrcrsi weitestes Ziel Westafrika war, bleibt ihm der Ruhm, 1492 die älteste Darstellung der Erde in Kugelgestalt geschaffen zu haben (Original im GNM, s. Stadt, Land, Fluss - Nürnberg 82). An das Gerücht, Behaim sei Schüler Regiomontans gewesen, knüpft die Allegorie der Wissenschaft (s. Stadt, Land, Fluss - Nürnberg 41).
Ohne bombastische Allüren, einfach eine sympathische Erscheinung, steht auf dem Rathausplalz die bekannteste deutsche Bronzeplastik der Renaissance, das Gänsemännchen (24) (um 1540), das Wasser speiende Federeh unterm Arm.