Die literarische Welt auf Sylt
Die »Königin der Nordsee« hat viele Literaten angeregt, ihre Inselerinnerungen in ihre Bücher einfließen zu lassen, so beispielsweise auch Thomas Mann, der 1921 für eine Woche nach Wennigstedl kam.
In seinem Tagebuch notiert er stichwortartig: »Baden vom Strandkorb in der gewaltigen Brandung. Begeisterung durch das Meer. Der große weiche Wind « Drei lahre später ließ er Romanheldcn Hans Caslorp in seinem Roman »Der Zauberberg« in die mächtige Sylter Brandung steigen. Bei einem zweiten Aufenthalt im Jahre 1927 residierte Mann -wie übrigens auch der Verleger Ernst Rowohlt - im »Kliffende« in Kampen. Am 11. September 1927 trug er ins Gästebuch ein: »Nicht Glück oder Unglück - der Tiefgang des Lebens ist es, worauf es ankommt. An diesem erschütternden Meere habe ich tief gelebt« Über kaum eine so begrenzte Landschaft ist eine derart umfangreiche Literatur zu finden. In den Beschreibungen spielt stets die Natur - Meer, Brandung, Luft, Strand, Kliff und I leide - die Hauptrolle. »Wie einsam ist es auf Sylt! Am Abend, als ich ankam, und ein Rauschen, halb des Meeres, halb des Windes auf dem sanften Rasenboden, aber keines Menschen Tritt, gehört war, während mich das Geheimnis der Dunkelheit und des Unbekannten umgab: da hatte ich die Empfindung, als könne man hier ein neues Leben voll schweigender Glückseligkeit beginnen«, so schwärmt der Berliner Schriftsteller Julius Rodcnberg in seinem Sylter Tagebuch, das er 1861 unter dem Titel »Stilleben auf Sylt« röffentlichte.
1851 erschien der Roman »Der Vogt von Sylt« von Theodor Müg-ge (1806-61). Protagonist der dramatischen Geschichte ist der Sylter Freiheitsheld Uwe Jens Lornsen, der sich für die Unabhängigkeit Schleswig-Holsteins von Dänemark einsetzte. In einem Dialog zwischen Lornsen und dem dänischen Kronprinzen läßt Mügge den Regenten den prophetischen Rat erteilen: »Legt Seebäder an, und eure Möwen und Seeschwalben werden goldene Flügel bekommen!« Das Werk wurde ein Bestseller, drei lahre später erschienen die ersten Badegäste in Westerland.
Der Schriftsteller Wilhelm Raabe kam im Sommer 1867 nach Sylt, um auf ärztlichen Rat hin sein Asthma auszukurieren. Während seines Aufenthaltes rlaßte er die Erzählung »Deutscher Mondschein«. Ort der Handlung ist Sylt, wo der Held, ein lustizbeamter, dem Einfluß des Mondes zu entfliehen sucht, weil das Gestirn in ihm alles Romantische, Poetische, das im bürgerlichen, geordneten Beamtenalltag rdrängt wird, hervorruft. Auf Sylt erkennt er: »Ich bin zu solide gewesen und bereue es heute in Kummer, Schmerz und im Syller Badekostüm. Oh, hätte ich mich doch ausgetobt in meiner Jugend! Hätte ich doch meiner Phantasie die Zügel über den Hals geworfen und die Gefahr, abgeworfen zu werden und das Genick zu brechen, zur rechten Zeit auf mich genommen! Unterdrückte Phantasie ist es, welche mich rrückt macht.«
Raabcs Werk ist eines der wenigen, das direkt auf der Insel entstanden ist. Viele schafften weniger, als sie erwartet hatten. Thomas Mann klagt nach einem ansonsten gelungenen Syltaufenthalt in einem Brief: »Ich schäme mich, nichts geleistet zu haben; außer unförderlichen Kleinigkeiten ist nichts zustande gekommen.«
Vielleicht lag es daran, daß - wie Peter Suhrkamp schrieb - »alle Sinne im Augenblick des Betretens der Insel von dieser vollauf in Anspruch genommen und ausgefüllt werden das Gemüt ist entweder rschüchtert oder betäubt oder beseligt«.