Architekturbände für das Bildungsbürgertum und Fremdenverkehrsbroschüren des modernen Massentourismus bemühen sich in gleicher Weise um die Dokumentation der architektonisch wertllen Grundsubstanz der europäischen Stadt; bildmäßig unerfreulicher Bodensatz n Slumquartieren, ungenutztem Ödland, Verkehrsengpässen, leer stehenden Fabrikbauten u. dgl. mehr wird darin bereits ausgefiltert. Ebenso llziehen sie meist, ohne diese Absicht direkt auszusprechen, eine erste Unterscheidung zwischen den Städten mit rindustriellem Bauerbe und den Industriestädten, die ihre Entstehung dem 19. Jahrhundert verdanken und in denen, abgesehen n Fotomontagen technisch fortschrittlicher Industrieanlagen und sozialer Wohlfahrtseinrichtungen, kaum Anreiz für eine n ästhetischen Grundsätzen diktierte Bildauswahl besteht.
Die Gliederung der Stadt
Mehrere Merkmale kennzeichnen die Gliederung der europäischen Stadt mit vorindustriellen Wurzeln:
1. Die historische Vielschichtigkeit der europäischen Stadt spiegelt sich in dem komplizierten, schwer auflösbaren Stückwerk des Straßennetzes wider. Um seine Entwicklung zu begreifen, bedarf es einer sehr sorgfältigen historischen Analyse. Dabei erweist es sich zumeist, dass in den jeweiligen Wachstumsperioden der Planausbau gegenüber der spontanen Entwicklung zurückgetreten ist. Die Erschließung von neuem Bauland erfolgte bis ins 19. Jahrhundert meist nur schrittweise, alten Feldwegen und Rainen nachtastend, Gemarkungsgrenzen akzentuierend, wie es der Einschmelzung der vor der Stadt liegenden Siedlungen und Fluren entsprach. Selbst dort, wo großzügige Konzepte am Werk waren, wie in der Barockperiode mit der Anlage von weiträumigen Alleen und Boulevards, ergaben sich damit keineswegs neue Leitlinien für die Aufschließung, sondern es erfolgte vielmehr eine Überlagerung des bereits in der mittelalterlichen Bürgerstadt angelegten Straßen- und Parzellennetzes durch das neue "höfisch-aristokratische Boulevardprinzip. Im französischen Städtebau zuerst erprobt, gewann es freilich nur Bedeutung, wo dieser nachgeahmt wurde, wie in Spanien und Belgien, aber selbst dort nur in den Großstädten. In der überwiegenden Mehrzahl der Städte sind bis heute die mittelalterlichen Torstraßen die Hauptachsen geblieben und bilden das radiale Skelett des Straßennetzes. Unregelmäßig genug wurden sie durch verschiedene jüngere Aufschließungen miteinander verkettet, wobei ringförmige Verbindungen nahezu ausschließlich längs ehemaliger Befestigungsanlagen entstanden. Damit ist das Problem der europäischen Stadt für die Bewältigung des modernen Verkehrs bereits angedeutet. Es besteht einerseits in den zu engen Radialstraßen und andererseits im Fehlen von Kreisverbindungen. Vor allem das Fehlen von Außenringen im Weichbild von vielen Städten wird den Verkehrsbehörden noch im 21. Jahrhundert Kopfzerbrechen bereiten. Mauer und Graben waren auf dem Kontinent bis zur liberalen Gemeindeverfassung des 19. Jahrhunderts Ausdruck städtischer Existenz und damit zugleich einer rechtlichen Sonderstellung, welche die Stadt von dem umgebenden flachen Land abhob. Die Festungswerke besaßen somit nicht nur eine militärische Aufgabe, sondern formten zugleich auch eine soziale und wirtschaftliche Barriere zwischen der Stadt und den vor allem in der Neuzeit vor ihren Toren aufwachsenden Vorstädten. Die Entfestigung der Städte und die Stadterweiterungen, welche das liberale Zeitalter in Angriff nahm, gingen daher weit über eine bloß städtebauliche Aufgabe hinaus. Sie hatten eminente Konsequenzen in administrativer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht. Obwohl in den meisten Städten des Kontinents bereits eineinhalb Jahrhunderte seit der Abtragung der Stadtmauern verstrichen sind, gelang es nirgends, diese ehemalige Grenze im kompakt verbauten Stadtraum völlig auszulöschen. Nicht zuletzt deswegen, weil das ehemalige Befestigungsareal im Zuge der gründerzeitlichen Bautätigkeit jeweils als eine selbständige Bauaufgabe behandelt wurde, für deren Gestaltung man je nach der Größe der Stadt verschiedene tösungen wählte - von der Anlage von Parkringen bis zu einem Wohngürtel und schließlich bis zu monumentalen Lösungen, für welche die Wiener Ringstraße ein Beispiel setzte.
3. Von entscheidender Bedeutung für den Wachs-tumsprozess der Städte wurde die Tatsache, dass die liberale Gemeindeverfassung des 19.Jahrhunderts die auf die mittelalterliche Feudalgesellschaft zurückgehende Organisationseinheit der Gemeinde übernahm und als wesentlichen Baustein des Staatsaufbaus sogar mit einer erweiterten Autonomie ausstattete. Jede Stadterweiterung in Europa hatsich somit mit dem Problem der Eingemeindung auseinander zu setzen. In den Großstädten brachte schon der Wachstumsprozess des 18. Jahrhunderts die Eingliederung von dörflichen Siedlungen, Vorstädten und selbst Kleinstädten. Auch nach der administrativen Eingemeindung behielten sie häufig ihre eigenen Landmarken und Geschäftsstraßen sowie oft noch eine sehr ausgeprägte soziale und wirtschaftliche Eigentümlichkeit. Noch lange bestanden eine Identifizierung der Bewohner mit ihrer Siedlung und ein ausgeprägter Lokalgeist. Im 19. Jahrhundert vereinten Entfestigung und administrative Stadterweiterung zunächst die Vorstädte mit den Altstädten, erst später wurden die Vororte eingemeindet. Allerdings unterscheidet sich seit damals die Eingemeindungspolitik in den einzelnen europäischen Staaten. Eine vorauseilende administrative Stadterweiterungspolitik, bei der ausgedehnte unverbaute Areale als Baureserveland in das Stadtgebiet eingegliedert wurden, kennzeichnete das Dritte Reich und die einstigen Ostblockstaaten. Dagegen ist für Frankreich und Belgien eine extrem restriktive Eingemeindungspolitik kennzeichnend, welche alte historische Stadtgrenzen bis heute beibehalten hat. Das mit Abstand beste Beispiel bildet Paris, wo der Boulevard Peripherique der Stadtgrenze folgt und die Kernstadt von Paris mit rund 2,1 Mio. Einwohnern von der Agglomeration Paris mit rund 10 Mio. Einwohnern trennt.
Das Repräsentationsprinzip
Das Repräsentationsprinzip ist ein integrierender Bestandteil des europäischen Städtewesens. Seine Anfänge findet man wie bei anderen Phänomenen bereits in der mittelalterlichen Bürgerstadt. In ihrer kontrastreich gegliederten Silhouette, die wir in Vogelschauperspektiven des 17. Jahrhunderts und bei Museumsstädtchen bewundern können, spiegelt sich die architektonische Darstellung geistiger Werte, religiöser Ideen und politischer Ordnungsprinzipien wider. Die strikte soziale Kontrolle der Bürgergemeinde manifestiert sich in der Art und Weise, wie sich die individuell gebauten Häuser zu Platzfronten zusammenschließen. Selbst die Befestigungen vereinigten militärische Aufgaben mit der Präsentation von Macht und Reichtum der Bürgergemeinde in der Akzentuierung der Stadttore und Türme. Der barocke Städtebau des Absolutismus brachte den Höhepunkt repräsentativer Gestaltung. Frankreich setzte mit dem "Großen Stil globale Maßstäbe (Abb. 6.6). Hierbei war es nicht nur der königliche Wille zur Repräsentation, sondern die "Ecole des Beaux Arts, welche den "Großen Stil über ganz Europa verbreitete, wo er sich in der Weite Russlands in der Planung von St. Petersburg niederschlug. Die Planung von Washington durch t'Enfant war die überzeugende Demonstration der französischen Schule des Städtebaus in Nordamerika. Im Kolonialzeitalter gelangte der "Große Stil in alle Kolonialräume der Erde.
Was sind seine baulichen Elemente? Vom "Großen Stil werden die geraden Straßen wieder entdeckt und zum Boulevard erweitert, um Platz für das neue Fortbewegungsmittel, die Kutsche, zu schaffen; die Gebäude, welche den Straßenraum begrenzen, erhalten eine zusammenhängende Fassadengestaltung. Weiträumige Boulevards und Alleen mit perspektivischen Durchblicken zu monumentalen Bauwerken gehörten daher zu den beliebten städtebaulichen Mitteln des "embellis-sement der Fürstenstadt.
An die Stelle des Aufblicks zum Dom oder zur Hauptkirche in der mittelalterlichen Bürgerstadt trat der Blickfang der Schaufront von Schlössern mit zugeordnetem Straßenfächer bzw. das in ein Rondeau gestellte Monument mit zugeordnetem Alleenstern.
Der "Große Stil fasst die Stadt als Gesamtkunstwerk auf. Während die Gartenstadt und die Moderne eine monumentale öffentliche Sphäre ablehnen, wurde sie im "Großen Stil zelebriert, und während Gartenstadt und Moderne das Wohnen in den Mittelpunkt stellen, wurde dieses vom "Großen Stil in die Monumentalität der gesamten Stadt einbezogen. Daraus resultiert auch die Gestaltung von Platzräumen und Straßenfluchten durch die jeweiligen Entscheidungsträger, während die Gestaltung der Häuser dahinter den Bürgern überlassen blieb. Friedrich der Große hat aus italienischen Kupferstichen den hohen Staatsbeamten höchst eigenhändig die Fassaden ihrer Häuser ausgesucht! Die Ästhetik des "Großen Stils hat in Kontinentaleuropa tiefgreifenden Einfluss ausgeübt. Im Absolutismus folgte das Bürgertum dem Vorbild des Adels und zog Schaufronten vor ältere Fassaden. Der Bürger baute nach Adelsart.
Von diesen Bestrebungen führt eine Entwicklungslinie zum viel kritisierten Fassadenkult der Gründerzeit des späten 19. Jahrhunderts. Selbst die Mietskasernen mit den Substandardwohnun-gen der Arbeiter wurden an der Straßenfront mit reicher Ornamentik verkleidet, welche in einem starken Kontrast zu den trostlosen Mauern der Hinterhöfe stand. Es verdient in diesem Zusammenhang auch festgehalten zu werden, dass nur unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg eine Art Facelifting bei Erneuerung des gründerzeitlichen Baubestandes erfolgt ist, während mit dem Erstarken des Denkmalschutzes der historisierende Stil der gründerzeitlichen Fassaden wieder an Wert gewonnen hat.
Der "Große Stil kommt in der Zeit der Industrialisierung nochmals in den großen öffentlichen Bauten über weite Teile Europas hinweg zum Tragen. Der Staat baut in seiner Hauptstadt. Dies gilt für Paris und Wien ebenso wie für Budapest und das wilhelminische Berlin.
Im politischen System ist der Zusammenhang zwischen "Großem Stil und zentralistischer Herrschaft offensichtlich. Seine Verwirklichung setzt ungehinderte Entscheidungsfreiheit in politischer und finanzieller Hinsicht voraus. Der Anspruch auf absolute Macht erklärt die Vorliebe der totalitären Regime der 1930er Jahre unter Hitler, Mussolini und Stalin für den "Großen Stil.
Selbst kleine, wirtschaftsschwache COMECON-Staaten haben versucht, den "Großen Stil mit bescheidenen Mitteln zu imitieren. Die Verwendung des Konzepts der Magistrale bei neuen Industriestädten, wie z.B. in Nova Huta in Polen, ist hier ebenso anzuführen wie das Bemühen um repräsentative Stadteinfahrten, bei denen, wie in Belgrad oder in Bukarest in den späten 1960er Jahren, monumentale Schaufronten neuer Wohnbauten, deren Fassaden inzwischen abgebröckelt sind, den Besucher in das Stadtzentrum geleiteten (Abb. 6.7).
Denkmalschutz in Europa
Die Idee des Denkmalschutzes für den Profanbau ist erst im 20. Jahrhundert entstanden und damit verhältnismäßig jungen Datums. Vergangene Bauperioden, darunter insbesondere die Barockzeit, haben mit größter Unbekümmertheit den älteren Baubestand beseitigt und dies als eine wesentliche Verschönerung des Stadtbildes aufgefasst. Im 19. Jahrhundert hat die Idee des "embellissement in Frankreich die Haussmann'sche Umgestaltung von Paris als Beispiel gesetzt. Die Epoche der Gründerzeit hat mit dem Motor der Industrialisierung und des enormen Bevölkerungswachstums, wie keine Zeit vorher und keine nachher, zerstörend in das ältere Gefüge der Städte eingegriffen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand eine erste Gegenreaktion. Die Kräfte zur Bewahrung des wertvollen Bauerbes sammelten sich im Denkmalschutz.
1902 erließ Baden-Württemberg, 1907 Preußen ein Gesetz gegen die "Verunstaltung von Siedlungen. Andere Länder und Staaten folgten. Durch die Entstehung der City in den historischen Stadtkernen ergab sich, dass dort die Interessengegensätze zwischen den wirtschaftlichen Exponenten der Citybildung und den Verfechtern des Denkmalschutzes am schärfsten aufeinander treffen.
Auf die Zäsur des Ersten Weltkrieges für die Stadtentwicklung in Europa wurde hingewiesen. Die Bautätigkeit verlagerte sich an den Stadtrand und in das Umland der Städte. Der Druck auf den Stadtkern ließ nach; nicht zuletzt dadurch gelang es dem Denkmalschutz, seit der Zwischenkriegszeit an Terrain zu gewinnen.
Zu einer mächtigen Bewegung ist der Denkmalschutz allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg geworden. Nach einer Periode der Industrialisierung des Wohnungsbaus, welche über Europa hinweg, beginnend mit den "grands ensembles in Frankreich, z.T. monströse Großanlagen am Stadtrand errichtet hat, nach einer Periode der Stadterweiterung, der Trabanten- und Satellitensiedlungen fand man wieder zu den alten Stadträumen zurück. Schrittweise wurde der Altbaubestand als kulturelle Ressource entdeckt. Altstadterhaltung und Denkmalpflege vereinigten sich rasch zu einer städtebaulichen Ideologie. 1975, im europäischen Denkmalschutzjahr, wurde erstmals die Gesetzeslage des Denkmalschutzes in den europäischen Staaten offen gelegt. Die Perspektive konzentrierte sich auf einzelne Städte, die sich als Modellprojekte etablieren konnten. Ihre Reihe ist bereits beachtlich lang. Hierzu gehören: Brügge in Belgien, Rouen und Colmar in Frankreich, Rothenburg ob der Tauber in Deutschland, Amsterdam und Middleburg in den Niederlanden, ehester und Edinburgh in Großbritannien, Arcos de la Frontera und Trujillo in Spanien, Venedig, Siena und Bologna in Italien, Salzburg in Österreich, um nur einige der bekanntesten Beispiele zu nennen. In Nordeuropa wurde u.a. die Altstadt von Stockholm unter Ensembleschutz gestellt (Abb. 6.8).
Der Preis für die fabelhafte Ästhetik der unter Denkmalschutz stehenden Altstädte ist hoch; er erfordert eine ausgedehnte Vermarktung der historisch-architektonischen Inhalte und eine ebenso tiefgreifende Veränderung in der sozialen Organisation.
Eine soziale Aufwertung der unter Denkmalschutz stehenden Bauten, eine Gentrifizierung, um diesen aus der angelsächsischen Welt stammenden Begriff zu verwenden, ist daher erforderlich. Überall dort, wo diese Gentrifizierung infolge zu geringen Potentials einer Stadt in Hinblick auf einkommensstarke und/oder an Denkmalschutzobjekten interessierte Schichten nicht stattfindet, können denkmalgeschützte Objekte auch nicht auf Dauer in gutem Zustand erhalten werden. Die ostdeutschen Städte, in denen in den 1960er Jahren in großem Umfang Sanierungsmaßnahmen im Altbaubestand erfolgten, die laufenden Kosten jedoch nicht vom Staat übernommen wurden, bieten ein Exempel für diese Feststellung.
Die europäische Bewegung des Denkmalschutzes hat im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zwei wesentliche Verschiebungen der Perspektive erfahren, und zwar einerseits in Richtung auf den Ensembleschutz hin und andererseits durch Einbeziehung immer jüngerer Bauten. Registrierte man zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur Bauten bis zur Mitte des 19.Jahrhunderts, d.h. vor der historisierenden Stilperiode der Gründerzeit, als denkmalschutzwürdig, so rückt heute in Deutschland bereits die Wiederaufbauphase der 1950er Jahre ins Blickfeld von Schutzbestimmungen. Deutschland hat dem Denkmalschutz durch ein 1991 begonnenes städtebauliches Förderprogramm eine neue Größenordnung verliehen. Mehr als 100 Städte in den neuen Bundesländern partizipieren daran.
Von Großbritannien ausgehend, sind seit den 1970er Jahren auch Bauten der so genannten Industriearchäologie als schutzwürdig "entdeckt worden. Damit geraten Bauten des technischen Städtebaus zunehmend in das Interessenfeld des Denkmalschutzes.
Insgesamt haben sich seit den 1970er Jahren die nationalen Akzente verschoben. Staaten wie Italien und Spanien, die relativ spät in die Bewegung eingeschwenkt sind, haben aufgrund ihrer alten urbanistischen Tradition nunmehr weitflächig Denkmalschutzprogramme installiert und gleichzeitig auch den Autoverkehr aus den historischen Stadtkernen verbannt. Fußgänger und Radfahrer beherrschen die Szene.
Getragen vom rasch steigenden internationalen Städtetourismus ist der Denkmalschutz in den 1990er Jahren eine "unheilige Allianz mit den Tourismusinteressen eingegangen. Überträgt man die Konzentrationstendenzen der Wirtschaft auf das historische Bauerbe von Städten, so gelangt man zur Aussage, dass Modellstädte und Modellviertel des Denkmalschutzes, einerseits als "nationale Monumente bzw. andererseits als Vermarktungsobjekte des internationalen Tourismus präsentiert, die größten Chancen auf Fortbestand haben, die unteren Ränge des historischen Städtesystems dagegen starker lokaler Lobbies bedürfen, um weiter erhalten zu werden.
Der Denkmalschutz in den postsozialistischen Staaten
Das Wegziehen des Eisernen Vorhangs hat die Sicht auf den Osten Zentraleuropas wieder frei gemacht. Hier kann Polen für sich in Anspruch nehmen, als erster europäischer Staat nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs den Wiederaufbau in Richtung auf eine Rekonstruktion der Altstädte in ihrem vorindustriellen Ambiente, d.h. unter Weglassen der durch das 19. Jahrhundert vorgenommenen Veränderungen, durchgeführt zu haben.
Bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit wurden bekannte, aber auch weniger bedeutende mittelalterliche Städte nach alten Plänen wieder aufgebaut: Warschau, Krakau (Abb. 6.9), Danzig (Abb. 6.10), Posen, aber auch Städte des Deutschen Ritterordens, wie Thorn, Kulm und Schwetz. Mit dem Wiederaufbau der historischen Stadtkerne hat Polen ein klares Bekenntnis zur europäischen Architekturtradition abgelegt. Als wohl einzigartiges Beispiel der Demonstration nationalen Selbstbe-wusstseins darf der Wiederaufbau von Warschau gelten. Hier fügte man liebevoll an die bis ins kleinste Detail rekonstruierte spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Altstadt, der man ursprünglich nur Museums- und Wohnfunktion zuwies und die nunmehr zu einer Touristenattraktion geworden ist, ein barockes Palastviertel als Regierungsund Repräsentationsviertel an. In den 1970er Jahren wurde das Königsschloss wiederaufgebaut. Deutlich abgesetzt entstand die neue City. Als ein Geschenk der damaligen UdSSR sollte das Kulturhaus, von den Warschauern spöttisch als "Die Torte bezeichnet, das neue Warschau symbolisieren. Nach der Wende haben ausländische Investoren recht zügig Bürohochhäuser als neue Landmarken errichtet.
Unter den Hauptstädten der postsozialistischen Staaten kann im Hinblick auf das historische Bauerbe Prag den ersten Rangplatz beanspruchen. Die historische Altstadt von Prag gehört zum Weltkulturerbe (Abb. 6.11). Die Zeitspanne der Existenz des politischen Systems des Staatssozialismus war zu kurz, das Erbe der Vergangenheit zu mächtig, als dass eine durchgreifende Umgestaltung des älteren Baubestandes, wie z.B. in Sofia oder in einzelnen Städten der DDR, hätte erfolgen können. Ein "sozialistischer Städtebau konnte sich in der Innenstadt nicht durchsetzen. Großbauten der kommunistischen Ära haben in Prag das Stadtzentrum nicht "erobern können. Aufgrund des "zentrierten Modells blieb die historische Stadt vielmehr das Zentrum der staatlichen Einrichtungen und auch das Zentrum des "kollektiven Konsums.
Hier wurden neue Kaufhäuserund internationale Hotels so in die bisherige Skyline eingefügt, dass sie eins werden konnten. Der bereits in der Zwischenkriegszeit etablierte Denkmalschutz wurde als Ensembleschutz auf den gesamten Bereich der historischen Stadt ausgedehnt. Die verkehrspolitische Ideologie lautete ähnlich wie in der Wiener Altstadt: Verkehrsberuhigung (Parkbeschränkung), Einrichtung von Fußgängerzonen und Verkehrsbedienung durch die U-Bahn. In Prag umfasst der Bestand an Baudenkmälern I. Klasse in der historischen Stadt 1.423 Objekte, der Ensembleschutz erstreckt sich jedoch auf insgesamt 3.673 Gebäude. Diese Zahlen belegen den in zahllosen Kunstführern dokumentierten Umfang des zu schützenden Baubestandes und geben eine Vorstellung von den Schwierigkeiten der Instandhaltung.
Die Erneuerung der historischen Stadträume ist vor der politischen Wende ausschließlich als "nationale und gleichzeitig kulturelle Aufgabe gesehen worden.
Hinter dem Glanz renovierter Fassaden ist derzeit die Frage offen, in welcher Weise die historische Stadt von Prag künftig genutzt werden soll und wer dafür bezahlen kann und wird. Die Altstadterhaltung ist auf bedeutende Finanzmittel von auswärts angewiesen, deren Geber freilich auch die Ziele des immanenten Erneuerungsprozesses vorschreiben können.
Die historische Front der europäischen Stadtkultur außerhalb der Europäischen Union liegt heute im Vorland des Karpatenbogens in der südlichen Ukraine und in Moldawien. Dort wo das Römische, später das Byzantinische Reich am Dnjestr befestigte Außenposten hatte, Grenzen verschoben, Bevölkerungen vertrieben und ausgetauscht worden sind, haben sich aus der Zeit der polnischen Reichsbildung und der eineinhalb Jahrhunderte währenden Zugehörigkeit zur Donaumonarchie beachtenswerte Stadtarchitekturen erhalten, vor allem das historisch vielschichtige Lemberg, an dessen Oper das Wiener Vorbild zu erkennen ist (Abb. 6.12), das "Biedermeier-Atmosphäre atmende Ivano-Frankisk und das gründerzeitliche Czer-nowitz, Herzeigeprodukte des ukrainischen Denkmalschutzes, die infolge des Vorbeiziehens der Hauptfronten im Zweiten Weltkrieg nur mäßige Kriegsschäden davongetragen haben und nunmehr zur nationalen Identitätsfindung beitragen.