REFERAT-MenüArchaologieBiographienDeutschEnglischFranzosischGeographie
 GeschichteInformatikKunst und KulturLiteraturMarketingMedizin
 MusikPhysikPolitikTechnik

Leben in zwei Gesellschaften: Das europäische Zweitwohnungswesen

Leben in zwei Gesellschaften: Das europäische Zweitwohnungswesen

Die historische Tradition
Das Zweitwohnungswesen weist in Europa eine auf die antike Stadtkultur zurückgehende Tradition auf. Die römische Villa war ein spezifischer Ausdruck des römischen Lebensstils der Oberschicht. Die Villeggiatura der Römer hatte zwei Hauptgründe: Die vornehmen römischen Familien besaßen den größten Teil ihres Vermögens als ländlichen Grundbesitz, der von Pächtern bewirtschaftet wurde. Schon aus Kontrollgründen musste der Besitzer einen Teil des Jahres auf seinen Gütern rbringen. Dazu kamen weitere Gründe. Man wollte der Sommerhitze in Rom entfliehen und sich von den vielen anstrengenden Tätigkeiten, den politischen Kämpfen im Senat, den Reden vor Gericht und in der Volksrsammlung erholen, aber auch dem Schwärm von Klienten entgehen, von denen man sich in den Stadthäusern nicht abschirmen konnte. Das großartigste Beispiel dieser Villenkultur bietet das Ruinengelände der Villa des Kaisers Hadrian in Tivoli bei Rom.

Villa und Villeggiatura des Römischen Reiches finden ihre Nachfolge von der Renaissance (besonders in der Toskana) bis ins 18. Jahrhundert (besonders im Veneto und Vicentino). Ferner hat der kontinentaleuropäische Adel seit der Renaissance städtische Winter- und ländliche Sommerschlösser besessen, in denen er sich saisonal abwechselnd aufgehalten hat.



Bereits die Besitzbürger der mittelalterlichen Stadt haben mit Pachthöfen im Umland in die feudale Sphäre ausgegriffen. Viel mächtiger war dann die Landhausbewegung der so genannten "zweiten Gesellschaft im 19. Jahrhundert - von bürgerlichen Unternehmern, Kaufleuten und Angehörigen der freien Berufe -, welche in attraktin Gebieten den bürgerlichen Landhaus- und Villenstil vom Biedermeier bis zur Gründerzeit rbreitete.
Frankreich rdient in diesem Zusammenhang besonders hervorgehoben zu werden. Hier hat sich nach der Revolution 1789 das Bürgertum im gesamten Staatsgebiet weithin in den Haus- und Grundbesitz im ländlichen Raum eingeschaltet. So galt es bereits im 19. Jahrhundert für Angehörige des Großbürgertums, der freien Berufe und der hohen Beamtenschaft als Selbstrständlichkeit, die Familie während der heißen Jahreszeit auf einem Landsitz unterzubringen.

Die aktuelle Situation

Während die Zunahme der Wohnfläche pro Einwohner ein generelles Merkmal des wachsenden Wohlstandes aller postindustriellen Gesellschaften darstellt, ist die Aufspaltung der Wohnfunktion in Erst- und Zweitwohnungen ein europäisches Phänomen.
Der soziale Wohlfahrtsstaat hat aus dem Zweitwohnungswesen eine weitgehend egalitäre Wohnform gemacht. Die lange Zeit praktizierte Niedrig-mietenpolitik der sozialen Wohlfahrtsstaaten -und man muss hinzufügen, der bisher sozialistischen Staaten im Osten - hat im Verein mit der Sicherung des Wohnstandortes durch die Gesetzgebung und die großzügige Freizeitpolitik diese Aufspaltung mitsubventioniert. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die in manchen Staaten wie Österreich oder Frankreich lange Zeit betriebene Nie-drigmietenpolitik gewesen. Damit ist im Rahmen der Wohnungswirtschaft eine indirekte Subventionierung der Zweitwohnungen erfolgt. Andererseits waren und sind auch die Errichtung bzw. der Erwerb von Zweitwohnsitzen vielfach nicht von Renditeüberlegungen bestimmt, sondern zu einem Element des tebensstils geworden.
Bei der Aufspaltung der Wohnfunktion in Arbeits- und Freizeitwohnungen handelt es sich um den wichtigsten Vorgang der Gegenwart im europäischen Siedlungssystem. Er betrifft die Kernstädte, den suburbanen Raum und selbst die kleinen Gemeinden des ländlichen Raumes, in die eine Zweitwohnungsperipherie hinausgreift. Am wenigsten davon berührt sind die Zentralen Orte der mittleren und unteren Stufe.
Eine neue Lebensweise eines "städtischen No-madentums ist entstanden. Diese Nomaden führen ein "Leben in zwei Gesellschaften.
Es bestehen Komplementärformen des Woh-nens. Demgemäß sind es vor allem die großen Städte im Westen und Osten, in denen das Wohnen in Massenmietshäusern den Boom des Zweitwohnungswesens begründet hat.

Der Gegensatz zwischen anonymem großstädtischem Wohnmilieu und überschaubarem ländlichem Milieu potenziert den Freizeitwert des privaten Grüns und der persönlichen Gestaltungsmöglichkeit des Zweitwohnens in weit höherem Maße, als dies bei suburbanen Gesellschaften, wie in Nordamerika, der Fall ist. Zudem wird die oft nicht befriedigende berufliche Rolle kompensiert durch die Schaffung einer "Freizeitrolle, die neues persönliches Prestige gewährt.
Über das Primat von großen Städten in der Rangordnung der nationalen Stadtsysteme ist viel geschrieben worden, ebenso über deren überragende Funktion auf dem Kapitalmarkt in den jeweiligen Volkswirtschaften. Es ist daher nicht überraschend, dass auch der Anteil der Hauptstädte am jeweiligen Gesamtbestand von Zweitwohnungen weit über dem Durchschnitt liegt. Derart entfällt auf die Pariser Bevölkerung ein Drittel der Zweitwohnungen in Frankreich, auf die Wiener Bevölkerung zwei Drittel aller Zweitwohnsitze in Österreich. Jeder dritte Budapester und jeder dritte Prager Haushalt besitzen eine Zweitwohnung, in Stockholm erreicht der Anteil der Zweitwohnungshaushalte 40%.
Die Entstehung von Freizeitwohnungen im ländlichen Raum bildet das kontinentaleuropäische Pendant zur Counterurbanization Nordamerikas. In den USA, wo drei Viertel der Bevölkerung in Einfamilienhäusern leben, wird den "second homes eine andere Funktion zugeschrieben als in Europa. Im Rahmen der Klassifikation der "second homes werden drei Fünftel als "cottages eingestuft, deren Kapitalwert nicht einmal die Hälfte des Wertes der Einfamilienhäuser beträgt. Doch entrinnt man im Cottage der strikten sozialen Kontrolle durch die Nachbarschaft der Suburb ebenso wie der technischen Perfektion der Haushaltsführung. Man kann sich in die Pionierzeit zurückversetzen und/oder sportlichen Betätigungen, wie Jagen und Fischen, nachgehen, die unter Entrichtung von Minimalgebühren für jedermann möglich sind. Schon von der Weite des Raumes her ist das nordamerikanische Zweitwohnungswesen nicht mit dem europäischen vergleichbar.
Während sich in den USA nur 3% der Haushalte an der Zweitwohnungsbewegung beteiligen, ist es in Nordeuropa bereits ein Drittel, und alle ehemaligen Oststaaten hatten, trotz verschiedener Restriktionen, größte Schwierigkeiten, die Bestrebung, eine "Datscha zu erwerben, in den Griff zu bekommen.
Allerdings ist die Aufspaltung der Wohnfunktion eingebunden in die nationalen Strategien der Wohnungswirtschaft. Dementsprechend bestehen von Staat zu Staat sehr große Unterschiede hinsichtlich des Ausmaßes und der Struktur des Phänomens.
In Deutschland haben Zweitwohnsitze zum Unterschied von allen Nachbarstaaten relativ geringe Bedeutung; genaue Zahlen liegen allerdings nicht vor. Ebenso geringe Bedeutung kommt den "second homes in Großbritannien zu, wo nur 1 Mio. Haushalte über einen Zweitwohnsitz verfügen. In Nordeuropa gehört hingegen das Freizeithaus, d.h. das Sommerhaus mit einer Grundausstattung von Sauna und Boot, zu den von breiten Bevölkerungsschichten angestrebten Besitztümern.

Die ehemaligen sozialistischen Staaten in Ostmitteleuropa haben eine enorme Entwicklung des Zweitwohnungswesens erlebt. Dieser Boom war zweifellos dadurch begünstigt, dass infolge der Verstaatlichung des Mietshausbestandes die Mieten nur Anerkennungsgebühren darstellten, so dass im Budget der Haushalte ein beachtlicher Freiraum für Investitionen in Zweitwohnungen gegeben war. Allerdings hat die staatliche Kontrolle in einzelnen Staaten die bauliche Ausführung drastisch minimiert. So gestatteten die Vorschriften am Plattensee, dem bevorzugten Zweitwoh-nungsrevier der Budapester, nur Parzellengrößen von 200 m2 und eine Grundfläche der Holzbauten von 20 bis 25 m'. Erst in den 1990er Jahren begann ein zügiger Aus- und Umbau zu größeren Objekten. Dasselbe gilt für Tschechien.
Untersuchungen in Frankreich belegen die soziale Funktion des Zweitwohnungswesens. Hier hat die Beibehaltung von ererbtem tand- und Hausbesitz eine alle Schichten umgreifende Tradition. Sie führte und führt im Alter häufig zur Rückkehr von der Großstadt in die kleine Heimatgemeinde. Besitz und Nutzung der "residences secondaires umfassen daher in hohem Maße alle Sozialschichten.
In den 1990er Jahren ist ferner die Zahl der Zweitwohnsitze weiter angestiegen und beträgt derzeit 3 Mio., von denen nahezu zwei Drittel auf Einzelbauten, das restliche auf Wohnungen entfallen. Ferner hat von 1988 bis 1997 die Durchschnittsfläche der Zweitwohnsitze von 57 auf 80 m' und die der dazugehörigen Grundstücke von 700 auf 2000 m? zugenommen (European Environment Agency 2001).
In Frankreich und den südeuropäischen Staaten haben Zweitwohnungen auch die soziodemogra-phische Funktion, in der Freizeit die am Hauptwohnsitz getrennten Haushalte von zwei Generationen wieder zu vereinigen. Zweitwohnsitze bilden ein wichtiges Element der Urlaubsgestaltung in den genannten Staaten. Auf die bedeutende familiale Komponente in der Urlaubsgestaltung der jeweiligen "inländischen Bevölkerung wird noch eingegangen. Sie unterscheidet sich jedenfalls auffallend von der als "Weltmeister des Rei-sens apostrophierten deutschen Bevölkerung.

Die baulichen Formen der Zweitunterkünfte reichen von der Adaptierung von Objekten des alteren ländlichen Siedlungsbestandes (Bauernhäuser Almhütten, Mühlen und dergleichen in den Alpen, den vielfältigen Formen italienischer Poderi) bis zur Übernahme von städtischen und suburbanen Wohnweisen, von großen Anlagen mit Appartementhäusern bis zu Reihenhaus- und Bungalow-Aufschließungen und ausgedehnten Chaletlandschaften wie in der Schweiz. Ferner werden Wohnformen der Leicht- und Holzbauweise verwendet. Die Sommerhäuser Nordeuropas ebenso wie die Kleinhäuser des Prager und Budapester Umlandes gehören in diese Kategorie.







Haupt | Fügen Sie Referat | Kontakt | Impressum | Nutzungsbedingungen