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Inselgeschichte - Sylt

Inselgeschichte - Sylt

Zwischen den Meeren: Großstadtflair an der Brandungsküste, Dorfidylle am Watt. Spaziergänge durch urwüchsige Heide zwischen Rotem und Weißem Kliff. Im Reich der Wanderdünen in List. Zu den Seevögeln im Rantum-Becken. Bummel durch das Kapitänsdorf Keitum. Auf den Spuren der Strandräuber in Hörnum.

Sobald der Zug kurz hinter Klanx-büll das Festland verläßt und auf dem Hindenburgdamm durch das Wattenmeer zuckelt, beginnt der Urlaub. Schafe grasen auf prieldurchzogenem Vorland, Vögel staksen im schlickigen Watt. Am Horizont die Silhouette der langgestreckten Insel: helleuchtende Dünenketten im Norden, der schwarz-weiße Leuchtturm n Kampen, der ehrwürdige Kirchturm n Keitum, der Hochhauskomplex n Westerland, eine weiße Sanddünenlandschaft und der rot-weiße Leuchtlurm n Hörnum im Süden. Auf der Insel dann, im äußersten Osten, flache, n geraden Straßen durchzogene Marschwiesen, vereinzelte Spaziergänger oder Radfahrer, ein paar Autos am Bahnübergang, Hünengräber, abgelegene Streusiedlungen mit Bauernhöfen, das Einkaufsgebiet n Tinnum, dann Westerland selbst, n dem es in einem Reiseführer heißt: »Zum Glück ist Westerland nicht Sylt.«

Sylt ist Mccr

Inselgeschichte

Bittere Armut prägte jahrhundertelang das Leben der wenigen Menschen auf der sandigen Insel. »Nom de Dieu, rien que le sable et la mer!« (Mein Gott, nichts als Sand und Meer!) - lautete 1935 der Stoßseufzer eines französischen Offiziers, der auf der Insel strandete. Die Insulaner fanden ihr kärgliches Auskommen in der Landwirtschaft. Sie hielten ein paar Schafe und Kühe, bauten ein wenig Getreide an, doch die kargen Geestböden brachten nur magere Ernten, über ihre Felder und Dörfer peitschte der feine, alles erstickende Flugsand der Wanderdünen, die nicdriggelegenen Marschwiesen auf der Ost-Halbinsel wurden bei jedem Orkan überflutet und versalzen. Der älteste von Chronisten erwähnte Deich zwischen Tinnum und Rantum wurde vermutlich schon 1362 in der großen Marcel-lusflut zerstört. Versuche, das fruchtbare Marschland erneut einzudeichen, scheiterten immer wieder. (Erst 1936/37 wurde der die Ost-Halbinsel schützende Nösse-deich fertiggestellt.) Im Verlauf des 14. und 15. )h. rissen gewaltige Sturmfluten Alt-Wennigstedt, Alt-List, später auch noch Eidum, den Vorläufer Westerlands, und Rantum ins Meer. Nach der Katastrophenflut von 1634 heuerten viele Insulaner auf holländischen, hanseatischen und dänischen Walfangschiffen an.



Erstmals kehrte ein überdurchschnittlicher Wohlstand auf der Insel ein. Der aus Alt-Rantum stammende Lorens Petersen de Hahn beispielsweise fing auf 38 Nord-meerfahrten 169 Wale. Da die gehobenen Ränge der Walfänger prozentual am Fangergebnis beteiligt waren, wurde er zum reichsten Mann der Insel. Wie viele andere zu Wohlstand gekommene Kapitäne lebte Lorens de Hahn aber äußerst bescheiden, einzig in die Ausstattung seines Hauses - es ist heute im Freilichtmuseum in Kiel/ Molfsee zu besichtigen - investierte er. Als er starb, fanden seine vier Töchter im Keller einen mit schwarz angelaufenem Silbergcld gefüllten Raum. Seine älteste Tochter hatte bis zu ihrer Hochzeit nie ein Hemd besessen.

Ab Mitte des 18. Jh. lohnte sich die Grönlandfahrt immer weniger, die Inselfriesen wandten sich verstärkt der Seefahrt zu. In privaten Navigationsschulen (s. S. 134) büffelten sie Mathematik und Astronomie. Um 1800 gab es auf Sylt 120 Kapitäne und fast doppelt so viele Steuerleute. Nach dem zeilweise völligen Zusammenbruch des Seehandels zu Beginn des 19. Jh. leble die Handelsschiffahrt wieder auf. In der Zeit von 1824 bis 1914 segelten allein auf Hamburger Schiffen 90 Sylter Kapitäne - acht von ihnen gehörten zu den Lassens von Sylt. Der Vater der Sippe war ein Norweger, der 1809 vor Rantum gestrandet war und sich in die Syltcrin Merret verliebt hatte. Die Insulanerin gebar ihm 21 Kinder. Von den zwölf Söhnen wurden acht Kapitäne auf Hamburger und Bremer Schiffen, zwei von ihnen gründeten in Hamburg sogar eine eigene Reederei. Als der dänische König Friedrich VI. auf Sylt zu Besuch war und den Wunsch äußerte, Merret Lassen kennenzulernen, öffnete sie kurz die Tür, zeigte sich von vorne: »So seh' ich von vorne aus«, drehte sich um: »Und so von hinten« und machte die Tür wieder zu.
Einer der bekanntesten Sylter Kapitäne war der 1804 in Westerland geborene Dirk Meinerts Hahn, der als 32jähriger das Kommando auf dem Dreimastvollschiff »Zebra« erhielt. Im Jahr 1838 segelte er mit 187 Auswanderern von Hamburg nach Australien. Nach der glücklichen Ankunft sorgte Hahn dafür, daß den sehr religiösen und - wie er meinte -»weltfremden« Ankömmlingen Land zum Siedeln zugewiesen wurde. Sie dankten ihm, indem sie ihre neue Siedlung »Hahndorf« nannten. Heute zählt die 30 km von Adelaide entfernte Gemeinde etwa 1000 Einwohner.

Eine herausragende Sylter Persönlichkeit war der in Westerland geborene und in Keitum wirkende Lehrer, Küster und Chronist Christian Peter Hansen (1803-79). Ohne seinen Sammel-, Forschungs- und Lehreifer wäre wohl vieles aus der Inselgeschichte in Vergessenheit geraten. F.r verfaßte die »Chronik der friesischen Uthlande«, schrieb die mündlich überlieferten Sagen auf, zeichnete die Sylter Landschaft und sammelte Fossilien und archäologische Fundstücke, die heute noch den Grundstock des Sylter Heimatmuseums in Keitum bilden. Mit seinem »Fremdenführer der Insel Sylt« trug er dazu bei, die Insel bekannt zu machen.

1855 wurde in Westerland das erste Sylter Seebad gegründet. Unter den ersten Syltbesuchern befand sich Dr. Gustav Ross, ein Arzt aus Altona, der von der heilklimatischen Wirkung eines Aufenthaltes an der Nordsee überzeugt war. Bei der Grundsteinlegung der »Diincn-halle« hielt er 1857 eine vielziticr-te Festrede, in der er dem jungen Seebad eine glänzende Zukunft prophezeite: »Vieler Orten sind Seebäder gegründet worden, aber nicht das schlechteste wird dasjenige sein, wozu wir heule den Grundstein legen, vielleicht das kräftigste von allen! - Ein großartiges Meer, ein Strand meilenlang ausgebreitet wie der köstlichste Samtteppich, die phantastische Dünenwelt, die hehre Schönheit der ganzen Insel, endlich die Tugenden solcher Bewohner - das ist eine so seltene Vereinigung von Vorzügen, daß sicherlich binnen wenigen Jahren Syll zu den gesuchtesten Nordseebädern zählen wird. Tausendc werden Eure gastliche Insel besuchen und mit neuer Kraft, freudigen Mutes und dankerfüllten Herzen wieder von dan-nen ziehen!«

Seine Prophezeiung erfüllte sich. Jahr für Jahr strömten mehr Gäste auf die Insel. Bereits Ende des 19. Jh. erhoben sich kritische Stimmen gegen den drohenden Verfall von Moral und Sitte, der mit dem Zuzug von Fremden einhergehe. Um dem Schwinden der Syltcr Eigenart, Sprache und Tradition entgegenzuwirken, wurde im Jahre 1905 der Söl'ring Foriining (fries.: Sylter Verein) gegründet. Er sollte der Erhaltung und dem Schulze von Küste, Brauchtum, Landschaft und Denkmälern auf der Insel Syll dienen. Doch der Erkenntnis, daß mil Badegästen mehr Geld zu verdienen ist als mit Schafen und Kühen, konnten sich auch die kritischen Geister nicht erwehren.

Einen großen Aufschwung brachte der Bau des Hindenburg-dammes. Der erste Zug rollte im Juni 1927 auf die Insel. Mittlerweile ist der Fremdenverkehr die Haupterwcrbsquelle der Sylter. Seit 1992 liegt die Zahl der Übernachtungen bei über 5 Mio. Die Insel ist die beliebteste Ferieninsel der Deutschen. Die Grundstückspreise gehören zu den höchsten Europas, viele Arbeitnehmer können es sich nicht leisten, auf Sylt zu wohnen. Rund 2500 Pendler sind in der Saison täglich zwischen ihrem Wohnsitz auf dem Festland und ihrem Arbeitsplatz auf Sylt unterwegs. Die Zahl der Zweitwohnbesitzcr übersteigt an manchen Orten die der Einheimischen, ein Teil der Häuser steht in den stillen Wintermonaten leer, die Infrastruktur einiger Dörfer ist unwiederbringlich verlorengegangen. Der Föhringer Jakob Tholund, langjähriger Friesenratspräsident, liegt ziemlich richtig, wenn er einen Teil der Schuld der Sylter Landanbindung zuspricht: »Der Damm ist sozusagen das offene Stadttor, durch das die Fülle Trojanischer Pferde ziehen kann, deren hohlen Bäuchen dann die Heerscharen des Massenzeitalters entsteigen, von deren Getrampel jede gewachsene Ordnung gestört wird.«

1995 wurde die Bürgerinitiative »Rettet Sylt« gegründet. Ihre Kernforderung ist es, den Landschafts-verbrauch im Zuge des boomenden Tourismus einzudämmen und die ausgewiesenen Naturschutzgebiete zu bewahren.

Im gleichen Jahr «erfand« die Deutsche Bahn AG das SchöneWochenende-Ticket. Für 15 DM konnten Gruppen bis zu fünf Personen mit Bummelzügen der Bahn über den Hindenburgdamm nach Sylt fahren. Die Insel der Reichen erlebte die Invasion der Discounttouristen. Der Rummel machte sogar international Schlagzeilen -von »Germany's Unwashed« war in der »International Herald Tribüne« zu lesen. Als Pläne auf den Tisch kamen, Sylt von der Billigaktion der Bahn auszunehmen, wurden Teile der Hamburger autonomen Szene aktiv. Ihre Devise lautete: »Sylt für alle, sonst gibt's Krawalle.« Mittlerweile hat sich die Situation entschärft. Die Konditionen des Wochenendtickets sind um einiges ungünstiger geworden, an den Sylter Stränden wurde Kurtaxenpflicht für Jugendliche ohne Begleitung ihrer Eltern eingeführt, in den Sommermonaten werden sogenannte Beachworker eingesetzt, die mögliche Konflikte mit den anreisenden Jugendlichen, die höchstens 10 DM in der Tasche haben, zu verhindern suchen.

Auskunft: Bädergemeinschaft Sylt GmbH, Stephanstraße 6, 0 46 51/8 20 20 und 1 94 33, Fax 82 02 22, Mo-Sa 10-17 Uhr. Die Bädergemeinschaft gibt das schön gestaltete Info-Magazin »Natürlich Sylt« heraus, auch »Der Dicke Sylter« genannt, mit Angaben zu Unterkünften, Restaurant- und Veranstaltungslips sowie kurzen Ortsbeschreibungen - gut für den ersten Überblick. Monatlich werden die »Sylter Urlaubs-Tips« mit Veranstaltungen, Adressen usw. veröffentlicht (nur für Gäste mit Kurkarte in den Kurverwaltungen erhältlich). Die Adressen der örtlichen Zimmervermittlungen und weilerer Vermietungsagenturen sind in den jeweiligen Gastgeberverzeichnis-sen angegeben.

Flug: Linienflüge gibt es nach Westerland/Sylt im Sommer von und nach Basel, Berlin, Bremen, Dortmund, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Helgoland, München, Nürnberg und Stuttgart. Infos in jedem Reisebüro oder beim Flughafen Sylt, 92 0b 12, Fax 78 55.
Bahn: Westerland ist als Intercily-Station der Deutschen Bahn AG direkt mit Berlin, Dortmund, Frankfurt/M., Köln, Nürnberg, Regensburg usw. verbunden. Reiseauskunft an jedem Bundesbahnschalter oder in Westerland, 45 2 40 57, Fax 2 96 26. Auto-zug Sylt: Für den stündlich und zu Stoßzeiten auch halbstündlich zwischen 6 und 21 Uhr verkehrenden Autozug von Niebüll nach Westerland/Sylt sind keine Reservierungen möglich. Fahrtdauer 35 Minuten, während der Überfahrt bleibt man im Auto sitzen. Die Personenzüge nach Niebüll hallen in Klanxbüll, Mor-sum, Keitum und Westerland, die Autozüge fahren ohne Stopp von Niebüll nach Westerland. Information in Niebüll, 0 046 61/7 18, Fax 42 33.

Fähre: Die Anreise über Dänemark dauert länger, ist aber preiswerter als die Fahrt mit der Bundesbahn. Die Auto- und Personenfähre von Havneby/Romo nach List/Sylt verkehrt ganzjährig, in der Hauptsaison stündlich; Fahrtdauer 50 Min. Reservierung empfohlen, Romo-Sylt Linie, 43 046 51/87 04 75, Fax87 14 46 (List) oder 43 00 45/74 75 53 03, Fax 74 75 61 02 (Havneby/DK).


Verkehr auf der Insel: Autos gelangen per Zug und per Schiff auf die Insel. Fine Alternative zum Auto ist der Bus: Im Sommer verkehrt er zwischen List und Hörnurn tagsüber im 20-Min.-Takt, im Winter alle 30 Min. Die Preise sind ziemlich hoch, trotz neueingeführter, wiederaufladba-rer Chipkarte, mit der man bis zu 16 % sparen kann. Für Familien relativ preisgünstig ist das kombinierte ßus-/Schiff-ticket, das eine Ausflugsfahrt von den Sylter Häfen einschließt. Fahrradanhänger an einigen Bussen ermöglichen es, die Insel auf kombinierten Bus-Radtouren zu erkunden. Von List im Norden bis Hörnurn im Süden führt ein sehr schöner Radwanderweg fast 40 km auf der stillgelegten Bahntrasse der alten Inselbahn abseits der I lauptslraße mitten durch die Dünen. Schiffsfahrten: Ab Hörnurn und List bieten die »Adlerschiffe« der »Hallig- und Inselreederei Paul-sen« ( 0 46 51/9 87 00) Bcxitsausflüge zu den Nachbarinseln (auch Hojer/Dä-nemark) und Halligen. Die »Wyker Dampfschiffs-Reederei« ( 0 46 81/ 8 01 47) fährt ab Hörnurn nach Helgoland, zur Hallig Hooge, nach Amrum und Föhr.

Veranstaltungen: Der alljährlich veranstaltete »Surf World Cup« Ende Sept./Okt. bietet ein aufwendiges Rahmenprogramm, neben Spiel und Spaß auch die »Party-Week-Sylt« auf dem Westerländer Flughafengelände. Das oMccrkabarett« präsentiert von Ende Juni-Aug. jeden Abend Showlime am Flughafen, ab 19 Uhr, Informationen 47 11.


Westerland

Das meistbesuchte deutsche Nordseeheilbad (rund 220 000 Gäste bringen es auf stolze 2,2 Mio. Übernachtungen pro |ahr) ist erst gut 500 Jahre all. Es wurde gegründet, nachdem die Sturmflut von 1436 das Schicksal des etwa 2 km südwestlich gelegenen Dorfes Eidum endgültig besiegelt hatte. Die Bewohner des neuen Dorfes im Westen des Ortes Tinnum - daher der Name Westerland - ernährten sich mehr schlecht als recht vom Fischfang, von der Landwirtschaft und vom Strandgut. Erst als das armselige Dorf zum Seebad avancierte, und Dr. Gustav Ross auf die Heilkräfte und die Schönheit Sylts verwies, änderten sich die kargen Lebensumstände. Der eigentliche Badebetrieb setzte sich eher langsam durch - am Westerländer Strand wurden Warte-und Frühstückszcltc aufgebaut und Badekarren zur Verfügung gestellt. Julius Rodenberg, Herausgeber der »Deutschen Rundschau«, kam 1859 und 1875 nach Sylt und resümierte: »Ein Modebad ist Westerland nicht und wird es auch schwerlich werden.« Doch der Badebetrieb wuchs, in den Jahrzehnten bis zum Ersten Weltkrieg fand sich vor allem die feine Gesellschaft ein. Noble Logierhäuser, Villen und Hotels wurden in Strandnähe aus dem Boden gestampft, die landschalisgerechte Bauweise wurde völlig außer acht gelassen. Der Strand bildete den eigentlichen Mittelpunkt des sommerlichen Badelebens und wurde gleichzeitig durch die ewig nagende Nordsee immer schmaler. 1909 wurde eine 80 m lange Strandmauer unterhalb des Hotels »Miramar« gebaut, weil dieses bedrohlich nah an die Abbruchkante gerückt war. 1912 entstand die schützende Strandmauer mit Promenade, Pavillon und den Räumlichkeiten des Kurbetriebs, so, wie sie im wesentlichen heute noch zu finden sind.

In den 50er Jahren, die Wirtschaft boomte, schritt die Betonierung der Stadt im Eiltempo voran. Völlig ungeplant und wenig organisch wuchsen immer mehr gesichtslose Bauwerke empor, ein Großteil der Bauten der Gründer-jahre verschwand, Appartementblocks, moderne Geschäftshäuser und Ladenzeilen schössen aus dem Boden - man betonierte und zementierte. Die Wende kam 1971, als die Stadt grünes Licht für das »Projekt Atlantis« gab. Einen 80 m hohen Appartcmenlblock mit 3000 Betten in 28 Stockwerken wollte ein Baulöwe direkt an die Wester-länder Kurpromenade setzen. Insulaner und Gäste riefen zum Aufstand. Mit Protestaktionen und Unterschriftensammlungen - es unterschrieben zwei Drittel aller Inselbewohner - wurde das monströse Bauvorhaben zu Fall gebracht. Nach dem Motto »Atlantis ist tot - es lebe Sylt!« halten sich Bauherren und Investoren seither mit Projekten dieser Größenordnung zurück. An den zwei vergleichsweise harmlosen Kolossen, die sich mit bis zu 20 Stockwerken über dem Kurvicrtcl erheben, hat Westerland dagegen bis heute zu knacken. Von fast jedem Punkt der Insel prägen sie die Skyline. »Wir müssen uns mit dem, was nun einmal steht, abfinden«, meinte ein Weslerländer Baudirektor.

Die »trendige Metropole« zählt heute etwa 9400 Einwohner und 24 900 Gästebetten. Sie ist in architektonischer Hinsicht kaum attraktiv zu nennen. Es wird viel über die Bausünden der 60er jähre, über das Verkehrschaos und den Massentourismus geschimpft, und doch möchten die meisten Sylturlauber die einzige Stadt der Insel nicht missen: den Rummel in den Shoppingmeilen, den Trubel auf der Strandpromenade, die breite Palette kulinarischer Genüsse -von der Pommesbude bis zum Gourmeltempel ist alles da. Aufwendige Bade- und Kureinrichtungen verkürzen lange Regentage. Weder Galerien, Kino noch Spielbank fehlen, und auch das Nachtleben bietet für alle Geschmäcker etwas, von der gemütlichen Kneipe bis zu einer I landvoll Discos.

Die City

Das Zentrum Westerlands bildet die Fußgängerzone mit den zwei breiten, parallel zueinander verlaufenden Flaniermeilen Strand- und Friedrichstraße, durch die sich in der Saison die Menschenmassen schieben -zum Gucken, zum Kaufen -, wenn es für den Strand entweder zu heiß oder zu kühl ist. In diesen durch kleinere Querstraßen miteinander verbundenen touristischen Hauptadern, die beide an der Promenade enden, reihen sich elegante Geschäfte, Restaurants, Imbisse und Cafes aneinander.
Die 2 km lange Kurpromenade mit dem großen Musikpavillon bildet den Mittelpunkt des Bade- und Kurlebens. Wie überall an der Westküste Sylts werden nur Besitzer einer gültigen Kur- bzw. Tageskarte an den Strand gelassen. Die iStrandwächten an der Westerlander Kurpromenade halten - langer als irgendwo sonst auf der Insel -bis 20 Uhr die Stellung! In der Saison finden in der Musikmuschel mehrmals täglich Konzerte statt. Der »Musik am Meer« kann man mit Blick auf die anbrandende Nordsee lauschen, und am Abend bietet die breite Treppe mit den steil übereinander angeordneten Zuschauerbanken einen idealen Platz, um den Sonnenuntergang zu beobachten.

Ein Abstecher von der Friedrichin die Elisabethslraße führt zum Friedhof der Heimatlosen. Hier ruhen seit 1855 unbekannte Seeleute, deren Leichen an den Strand gespült wurden. Die schlichten Holzkreuze verzeichnen nur Datum und Ort der Bergung. Auf dem Weg in den ehemaligen Ortskern Alt-Westerland passiert man in der Wilhelmstraße ein Wahrzeichen der Stadt: die dicke Wilhelmine, die seit 1980 in einem Brunnen sitzt und sich vergnügt die Füße wäscht. Im alten Dorfzentrum stehen noch einige reetgedecktc Friesenhäuser, die man am einfachsten im Rahmen der Führung »Westerland - früher und jetzt« ausfindig macht (in der Saison Sa 10 Uhr, Treffpunkt: Zimmernachweis vor dem Bundesbahnhof). Die alte Dorfkirche St. Niels ist dem Schutzheiligen der Seefahrer geweiht. Das 1635 erbaute, im 18. Jh. und 19. )h. erweiterte Gotteshaus birgt einen spätgotischen Flügelaltar aus der zweiten I lälfte des 15. )h., der wie auch das Kruzifix über dem Chorbogen vermutlich aus der alten Eidumer Kirche stammt. Das Kreuz wird ins 13., der Corpus ins 15. Jh. datiert. Die 1715 gefertigte Kanzel zeigt Szenen aus dem Leben Jesu. Auf dem von einem Feldsteinwall umgebenen Friedhof ruhen einige berühmte Sylter, darunter Käpt'n Hahn (s. S. 62), der deutsche Auswanderer nach Australien brachte, und Merret Lassen aus Rantum (s. S. 60).


List

Deutschlands nördlichster Ort liegt inmitten einer unberührten, atemberaubenden Nalur. Die Lister Wanderdüne - im größten zusammenhängenden Dünengebiet Deutschlands - und der schmale Ellenbogen mit dem vogelreichen Königshafen sind nach Meinung vieler Inselliebhabcr das schönste Stück von Sylt.
Bis weit ins 19. Jh. hinein sprach man hier oben Dänisch. Listland, so wird das Gebiet im Norden Sylts genannt, unterstand bis 1864 der dänischen Krone, während der Rest der Insel zu Schleswig-Holstein gehörte, das sich zwar unter dänischer Oberherrschaft befand, aber von den Schleswiger Herzögen verwaltet wurde. Eine alte Redewendung drückt die Distanz zwischen den dänischen Listern und dem übrigen Teil der Insel aus. Wer in Richtung Kampen oder Westerland aufbrach, sagte: »Ich gehe nach Sylt.«

In älterer Zeit gab es auf Listland zunächst zwei »Erbfestehöfe«, den West- und den Osthof, die als erbliches Lehen vom dänischen König an ihre Besitzer vergeben waren. Da Erbfesten unteilbar sind, fand die meist mit einer Erbschaft verbundene Aufteilung des Besitzes nur im Grundbuch statt. Bis heute sind die Königsbauern und ihre Nachfahren Eigentümer des Listlandes, das mit 1286 ha immerhin ein Achtel der gesamten Inselfläche einnimmt. Die ersten Naturschulzbemühungen für den Sylter Norden datieren in das Jahr 1910, als der Verein »Jordsand« den Ellenbogen von den Listlandbesitzern pachtete, um auf dem Nehrungshaken die bestehenden Seevögelkolonien vor den zerstörerischen Einflüssen des zunehmenden Fremdenverkehrs zu schützen. Bereits 1923 wurde auf Betreiben des Vereins »Naturschutz Insel Sylt« der gesamte Bereich nördlich der Kampener Vogelkoje unter Naturschutz gestellt. Schwerwiegende Eingriffe in das Schutzgebiet erfolgten im Zuge der militärischen Befestigung der Insel nach dem Ersten Weltkrieg. In der Ortschaft List wurde ein Zeppelinhafen angelegt, in den 20er Jahren kam eine der Lufthansa angegliederte Verkehrs-fliegcrschule hinzu. 1934 wurde Lisi Garnisonsort, man setzte Kasernen in die Dünen und baute eine Betonstraße von Kampen nach List. Diese Baumaßnahmen geschahen ohne Einwilligung der Eigentümer, denen als Wiedergutmachung neben einer Barabfindung das Recht eingeräumt wurde, Bereiche des Naturschutzgebietes im Lislland und an der Blidselbucht als Bauland zu verkaufen. Die Erbengemeinschaft verkaufte das Land an auswärtige Investoren, die dort Mitte der 60er lahre mehrere Ferienhauskolonien errichteten: Hier stehen reetgedeckte Friescn-häusen mit Blick aufs Wattenmeer in bevorzugter Wohnlage mitten im Naturschutzgebiet.

Der Ort

Die militärische Vergangenheit läßt sich nicht leugnen. Kasernen, gleichförmige Reihenhäuser und ausufernde Betonflächen prägen den 2900-Scclen-Ort. In der Marineversorgungsschule werden noch heute die zukünftigen Köche der Marine ausgebildet.

Der Mittelpunkt des Ortes ist der Hafen. Hier kommen die Fährschiffe aus Romo/Dänemark an, legen Ausflugsdampfer ab, liegt ein Seenotkreuzer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger vor Anker. In den Sommermonaten gibt es fangfrische Krabben vom Kutter. Im Hafenvorfeld herrscht kirmesartiges Treiben mit Souvenirbuden, Fischimbissen und Kiosken - weshalb auch häufig von »List-Vegas« die Rede ist. In der maritim ausgestatteten »Alten Bootshalle« des Fischspczialisten Gösch geht es nicht nur in der Saison so munter zu wie in einem bayerischen Bierzelt im Oktober: Hier gibt es Bier, eine Riesenauswahl leckerer Fischgerichte am Tresen und viel Stimmung.

DTip: Für die, die Meeresdelikatessen schätzen: In der kleinen Austernprobierstube »Auslernmeyer« kann man die berühmte »Sylter Royal« kosten, die von »Dittmeyer's Austern-Compagnie« seil 1986 in der südöstlich von List gelegenen Blidselbucht gezüchtet wird. Bis in die Mitte der 20er Jahre war die Austernfischerei für die listlandbewohner von großer wirtschaftlicher Bedeutung, Überfischung und ein paar strenge Winter machten ihr den Garaus. Seither gibt es nur noch Austern aus Zuchtanlagen. Der Preis der kostbaren Schlabber-Delikatesse hängt mit der aufwendigen und mühevollen Zucht zusammen: Die importierte pazifische Auslernart wächst in Netzsäcken heran, die auf Eisengestellen verankert sind, muß im Winter an Land geholt und dort in meerwasserdurch-strömten Becken gehegt werden. Erst nach drei lahren sind die Auslern reif zum Verzehr. Ein Film im Probierstüb-chen informiert über die Austernzucht auf Sylt (Hafenstraße 10-12).

Vom Haien kann man immer am Wasser enllang in Richtung Norden zum Königshafen spazieren. Am Wegesrand liegt eine kleine hübsche Strandbucht mit einer Surfschule und dem »Cafe Strandgut« sowie der Biologischen Station, die der Vogelbeobachtung und dem Naturschutz dient und das Vogelschutzgebiet Lister Koog betreut (Vogel- und naturkundliche Führungen, Wattenmeerinformationszentrum, Hafenstraße 39).
Die Biologische Anstalt Helgoland, die ein paar 100 m weiter liegt, bietet hingegen keine Führungen an. Das Institut betreibt in List marine Grundlagenforschung, u. a. werden Aquakulturen erforscht, die als Nahrungsmittel-qucllc der Zukunft eine bedeutsame Rolle spielen könnten (Hafenstraße 43).

Wenig besucht, aber doch sehenswert ist der kleine, mitten in den Dünen gelegene Friedhof, zu dem eine von der Mövenbergstra-ßc (Richtung Weststrand und F.llen-bogen) abzweigende Stichstraße führt.

Sylter Sahara, Königshafen und Ellenbogen

Unmittelbar an den Ort grenzt das Naturschutzgebiet Nord-Sylt mit beeindruckenden Düncnlandschaf-len. Bei einer Wanderung in den Lister Dünen schwärmte schon der Dichter Gerharl Hauptmann: »Es ist hier wie auf den Gletschern eines Hochgebirges!«
»Man glaubt, in der Sahara zu sein«, beschrieb Thomas Mann einen Ausflug auf die einzige Wanderdüne Sylts. Ursprünglich befanden sich auf Listland drei große Wanderdünen, von denen zwei aber vor rund 50 Jahren festgelegt wurden, um die militärischen Zweckbauten und vor allem die Straße von Kampen nach List vor Sandvcrwchungcn zu schützen. Die verbliebene Große Wanderdüne, fast 1 km lang und 30 m hoch, die jährlich etwa 3 m weiter gen Osten wandert, ließe sich durch Halmpflanzungen ohne Schwierigkeiten befestigen. Um die ursprüngliche Landschaft zu erhalten, wurde aber bislang auf eine Festlegung verzichtet. Das Wandern ist im Bereich der Großen Düne verboten. Die Syltcr Sahara läßt sich nur von der Autostraße bewundern.
Im Eingang zum Königshafen, einem buchtenarlig vom dünenreichen Ellenbogen umfaßten Naturhafen, liegt die Vogelschutzinsel Uthörn. Sic ist Brutgebiet von Eiderenten, Brandgänsen, Austernfischern, Mittclsägem, Sand- und Seeregenpfeifern sowie Küsten-und Zwergsccschwalben und gehört zur Schutzzone 1 (s. S. 29 f.) des Nationalparks Schleswig-Hol-steinisches Wattenmeer. Das Betreten der Insel und ihrer Vorländereien ist streng verboten.
Den besonderen Reiz des Könighafens macht neben seiner außerordentlichen landschaftlichen Schönheit auch seine bewegte Geschichte aus. Am 16. Mai 1644 gewannen die Dänen unler ihrem König Christian IV. in der Schlacht im Lister Tief zwischen Sylt und Romo gegen die damals vereinigte schwedisch-holländische Flotte. Allein die Schweden sollen bei dieser Kampfhandlung 1100 Soldaten verloren haben. Zum Gedenken an den Sieg verlieh Christian IV dem Schauplatz seines Sieges, der Reede von List, den Namen Königshafen.

Der Ellenbogen ist Sylts und damit auch Deutschlands nördlichster Zipfel - Natur pur kann man hier erleben: Brandung, Watt und einsame Dünen. An der Oslspitze treffen die offene Nordsee und das Wattenmeer aufeinander, deutlich an den schaumgekrönten Wirbeln zu erkennen - mit jeder Tide werden hier mehr als 500 000 m' Wasser ins Watt hineingepumpt. Baden ist in diesem von Strömungen bewegten Wasser nicht ratsam. Im Schutze des Königshafens liegt aber eines der beliebtesten und schönsten Surfgebiete der Insel. Auto- und Motorradfahrern wird in der Saison an der Zufahrt zum Ellenbogen, kurz hinter der Abzweigung zum Weststrand, eine Mautgebühr abverlangt - die Eigentümer bitten zur Kasse. Doch der Eintritt lohnt. Schafe weiden in den Dünen und auf den weiten Heideflächen. Die beiden Leuchttürme (der westliche ist Deutschlands nördlichstes Bauwerk) sind jeweils etwa 100 Jahre alt. Vom Parkplatz am Ostende des Ellenbogens empfiehlt sich eine etwa halbstündige Rundwanderung um die Ostspitze.


Kampen

»Ach Sylt, schön muß es hier einmal gewesen sein, auch im Sommer, bevor die Spekulation über die Kampener Heide und der Kapitalismus, Anschauungsunterricht erteilend, über das Land zwischen den Meeren triumphierte«, sinniert der Literatur-Professor Walter Jens, der 15 lahre lang seine Sommer-lerien in Kampen verbrachte, angesichts der Westerlander Skyline. Das 6 km nordöstlich von Westerland gelegene Kampen ist in architektonischer Hinsicht bodenständig geblieben. Reetgedecktc, idyllische Friesenhäuser säumen die Straßen, ducken sich zwischen Dünen und Heidehügel. Schon früh waren die Kampener daran interessiert, den malerischen Charakter ihres Ortes zu erhalten. Nach der heute noch gültigen Bauordnung aus dem Jahre 1913 dürfen keine Häuser gebaut werden, die höher als 8 m sind. Der Abstand zwischen den Häusern soll mindestens 25 m betragen - ein ganz beachtliches Maß, zieht man die Kampener Grundstückspreise in Betracht.

Die rotgeklinkerten Reetneubau-len sind überwiegend Zwcitwohn-sitze gutbetuchter Zeitgenossen. Die Möglichkeit, auf Prominenz zu stoßen, erhöhl den Reiz eines Bummels durch den mondänen Ferienort. Wohl nirgendwo in Nordeuropa sind auf so kleiner Fläche so viele Luxuslimousinen,' Nobellokale, Edelboutiqucn und Galerien zu finden. Es gibt nur wenige Orte, die so viele Sehnsüchte nach einem vermeintlich schillernden Leben nähren, das sich nur die wenigsten leisten können. Aber gerade hier, im »St. Tropcz Deutschlands«, dämmert die Erkenntnis, daß auch die Reichen und Schönen der Natur wegen nach Sylt kommen. In der begünstigten Lage zwischen brandender Nordsee und stillem Wattenmeer liegt der eigentliche Reiz des Nordseebades Kampen.
Kampen, das 1543 erstmals urkundlich erwähnt wurde, hat heute etwa 660 ständige Einwohner und 2750 Gästebetten.

Der erste Badegast erschien 1856. Der erste Fremde, der sich im Kampen ein Haus errichten ließ, war der Maler und Publizist Ferdinand Avenarius (1856-1923). 1903 bezog er sein Haus »Ulen-kamp«. Im Dach des reetgedeckten chaletartigen Friesenhauses befand sich das von unten nicht sichtbare legendäre »Storchennest«: eine auf dem Dachfirst zwischen den beiden Schornsteinen in Form einer Kupferwanne eingebaute Vertiefung, in der Avenarius die Heilkräfte des Sonnenlichtes unbekleidet auf sich wirken lassen konnte. Unter dem Einfluß des geselligen Avenarius entwickelte sich Kampen zu einem Geheimtip für Schriftsteller, Philosophen und Maler, die wie berauscht waren von der Einsamkeit zwischen offener Nordsee und stillem Wattenmeer. Im Gegensatz zu Westerland wohnte in Kämpen nicht die Prominenz des Geldes, sondern des Geistes. Allerdings resümiert Georg Quedens in seinem Buch »Sylt wie es früher war«: »Die Kunstproduzierenden zogen bald die Kunstkonsumierenden nach.« Grundstücke wurden gekauft, Sommerhäuser gebaut. Bereits 1913 plädierte Avenarius, der den »Verein Naturschutz Insel Sylt« mitbegründele, vergebens dafür, das gesamte Gebiet zwischen Kampen und List zum Naturschutzgebiet erklären zu lassen. In den 60er Jahren zog Kampen Heerscharen von Schönen und Berühmten an. Kampens Ruf als Eldorado der Playboys, der Reichen und Nackten, die legendäre Partys an der Buhne 16 feierten, wurde durch die Boulevardpresse in den entferntesten Winkel des Landes getragen - bis heute prägt er den »Schickeria-Ruf« Kampens bzw. ganz Sylts.

Dorfbummel

Im Zentrum des Ortes, an der viel-befahrenen Hauptstraße, sieht das 1956 erbaute und 1993 aufwendig restaurierte Kaamp-Hüs, in dem die Kurverwaltung untergebracht ist. Hier werden im Rahmen des Kampener Jazzclubs, des Kampener Musiksommers und des 1997 erstmals veranstalteten Kampener Literatursommers Konzerte und Lesungen bekannter Künstler geboten. Die Hauptstraße teill Kampen in zwei Hälften. Im Ostteil führen verschiedene Straßen durch ruhige Wohngegenden zur Waltseite. Schöne alte und viele geschmackvolle neue Friesenhäuser verbergen sich inmitten grüner Gärten hinter bewachsenen Steinwällen. Der idyllische Dorfteich liegt in einem kleinen Naturpark. Einen Abstecher wert ist das weithin gerühmte Cafe-Restaurant »Kupferkanne« (s. S. 87) mit seiner parkähnlichen Gartenanlage. Es gehört zu den Highlights eines Sylturlaubs, hier an einem sonnigen, warmen Nachmittag im Wind-schutze gepflegter Kiefern einen Apfelkuchen mit Sahne zu verzehren, während der Blick über die Heide zum Watt hin schweift.

Im Strönwai, besser bekannt als »Whiskystraße«, die bei der Kurverwaltung in Richtung Strand abzweigt, befinden sich die meisten der legendären Szenetreffs und Luxusboutiquen. Doch ebenso wie zum Watt führen viele Stichstraßen schnell hinaus in die einsame Hei-delandschaft oberhalb des Hauptstrandes. Die Nordwestheide zwischen Dorf und Strand steht seit 1952 unter Landschaftsschutz. Vor dem einsam am Weststrand gelegenen Panorama-Restaurant »Sturmhaube«, dessen 1936 entstandener Vorgängerbau 1968 wegen Absturzgefahr durch einen Neubau ersetzt wurde, befindet sich mit dem großen Parkplatz ein günstiger Ausgangspunkt für Strand- und Düncnwanderungen. Interesse erweckt sicherlich das Gästehaus Kliffende, das am nördlichen Fndc des Koten Kliffs in »risikoträchtiger Lage« direkt an der Abbruchkante steht. Als es noch gut 100 m vom Strand entfernt lag, bewirtete hier die legendäre Schauspielerin Clara Tiedemann namhafte Größen aus Kultur, Kunst und Politik, u. a. den Dichter Thomas Mann, die Maler Fmil Nolcle und Max Liebermann, Außenminister Guslav Stresemann und Verleger Ernst Rowohlt. Dann diente das Anwesen 42 |ahre lang einer Bank als Feriendomizil für ihre Mitarbeiter, bis es 1997 für 8 Mio. DM verkauft wurde - trotz Sturmflutgefahr ein »akzeptabler Kaufpreis«, meinen die neuen Eigentümer. Geplanl ist die Einrichtung eines Luxushotels.
Ein Bohlenweg führt von Kliffende zu einem kleinen, 1912 errichteten Quermarkenfeuer. Dieses wurde 1976 stillgelegt, von der Gemeinde Kampen erworben und 1993 vollständig renoviert. Die Höhe des hübschen und soliden Backsteinbauwerks beträgt nur 10 m, die Sichtweite etwa 14 Seemeilen. Der Parkplatz am Panorama-Restaurant »Sturmhaube« (s. o.) ist auch ein guter Ausgangspunkt für eine Wanderung zur höchsten Düne Sylts. 52,5 m über dem Roten Kliff erhebt sich die Uwe-Düne, benannt nach dem 1793 in Keitum geborenen Sylter Freiheitshelden Uwe Lornsen.

Südlich des Ortes steht das Wahrzeichen Kampens, das Rote-Kliff-Feuer. Das 38 m hohe, im Jahre 1856 in Betrieb genommene Leuchtfeuer ist Sylts ältester Leuchtturm und nicht zu besichtigen. Es erhielt 1953 seinen weißen Anstrich mit der schwarzen Bauchbinde. Sein gebündeltes Licht ist bei klarer Sichl noch in 38,9 km Entfernung zu sehen.

Direkt an der Straße liegt die in einem kleinen, urwaldartigen Wäldchen verborgene Kampener Vogelkoje, für die der dänische König Christian VII. am 20. Oktober 1767 die Konzession erteilte. Bis zur Stillegung im lahre 1921 wurden hier insgesamt fast 700 000 Stock-, Spieß-, Pfeif- und Krickenten gefangen. 1921 waren es nur noch 99 Enten - das schlechte Fangergebnis führte man auf die Störungen durch das anwesende Militär, den Ausbau der Inselbahn von Kampen nach Lisi und den mit dem Badebetrieb zunehmenden Lärm zurück. 1935 wurde die Koje unter Naturschulz gestellt. (Ostern-Pfingsten 13-16 Uhr, ab Pfingsten-Ende Okt. 10-16 Uhr. Gleich nebenan liegt das Cafö-Restaurant »Vogelkoje«.)

Auskunft: Kurverwaltung und Verkehrsverein Kampen/Sylt
g. V., Kaamp-Hüs, Hauptstraße 12, 046 51/469 80, Fax 46 98 40. Zimmernachweis 45 46 98 33 und 4 65 20 (automatische Ansage freier Unterkünfte).


Wenningstedt-Braderup

Das geographisch in der Mitte zwischen dem umtriebigen Westerland und dem exklusiven Kampen gelegene Familienbad bietet von allem etwas. Der moderne Ortskern von Wenningstedt liegt im Westen, der offenen Nordsee zugewandt, hoch über dem Roten Kliff; das eingemeindete, alte Bauerndorf Braderup erstreckt sich südlich der Braderuper Heide oberhalb des Weißen Kliffs am stillen Wattenmeer.

Das 1462 erstmals urkundlich erwähnte Wynningstede blickt auf eine lange Geschichte zurück. In seinem Wappen führt das kleine Städtchen am Roten Kliff einen goldenen Winkinger-Steven, der aus der Nordsee ragt. Der Sage nach hat Wenningstedt einen Vorläufer gehabt, den sogenannten Friesenhafen von Wendingstadt. Von hier sollen 449 n. Chr. die Stämme der Angeln und Sachsen unter ihren Anführern Hengist und Orsa auf Wikingerbooten nach England in See gestochen sein. Die Lage des einstigen Friesenhafens ist nicht genau bekannt. Vor 1000 Jahren lag die Küste noch etwa 2 km westlich der heutigen Abbruchkante. Der Name »Wenningstedt« weist auf die Bedeutung des Hafens hin: Das Wort Wynne bedeutet Hafenrinne, in der Silbe sledt steckt das Wort Gestade. Ob der Hafenort während der großen Mandränke anno 1362 oder schon früher zerstört wurde, ist nicht belegt. Sicher aber ist, daß seit dem Untergang des alten Friesenhafens die westliche Brandungsküste Sylts keinen Hafen mehr hat.
Der große Reiz Wenningstedts ist seine Lage am Roten Kliff (s. S. 89). Die Promenade führt unmittelbar an der Abbruchkante entlang. Schon mehrfach zwangen dramatische Sturmfluten Hausbesitzer dazu, Bauten abzureißen und sie ostwärts, d. h. inseleinwärts zu verlegen. Hoch über dem Abgrund thront rechter Hand der »Kliffkieker«, dessen Vorgänger 1983 nach einer Sturmflut kläglich über die weggebrochene Kliffkante hinaushing. Fotos und Zeitungsartikel im Restaurant erinnern an das Freignis.
Das neue Wenningstedt (1600 Einw., ca. 7200 Gästebetten) bietet wenig reizvolle Architektur, andererseits fehlen aber spektakuläre, in den Himmel ragende Bausünden, wie sie Westerland aufzuweisen hat. Fern der Brandung, im Windschatten dichter Büsche und Bäume liegt etwa zehn Fußminuten landein der alte Dorfteich. Das von einem Spazierweg umgebene idyllische Gewässer, das möglicherweise durch einen Meereseinbruch entstanden ist, wird heute von Schwänen, Enten und Möwen bevölkert. Hier findet man noch einige alle Friesenhäuser aus dem 17. und 18. Jh. und die schlichte Friesenkapelle aus dem Jahre 1914.

An der Kirche vorbei gelangt man zum Denghoog, einem der bedeutendsten vorgeschichtlichen Gräber Nordeuropas. Das 4000 Jahre alte Hünengrab verdankt seinen Namen den einst dort abgehaltenen Thingversammlungcn (Dcng = Thing, I ioog = Hügel). Drei gewaltige Decksteine (die Dccksteinc wiegen je zwei Tonnen!! ruhen auf zwölf Trägersteinen, Findlingen, die während der Eiszeit aus Schweden hierher transportiert wurden. Der 5 m lange, 3 m breite und bis zu 1,90 m hohe Grabraum diente vermutlich mehrere Jahrhunderte als Beisetzungsstätte für eine Familie oder Sippe. Als das noch völlig unversehrte Grab 1868 von dem Hamburger Professor Dr. Ferdinand Wibel untersucht wurde, fand er neben einem fast vollständigen unverbrannten menschlichen Skelett reiche Beigaben aus verschiedenen Bestattungen: Flintdolche, Steinbeile, Scherben von 24 Gefäßen und sieben Bernstein-perlen. Die Originalfunde befinden sich im Landesmuseum in Schleswig, einige Kopien sind im Keitu-mer Heimatmuseum zu besichtigen (s. S. 97). Man kann von oben in das Grab hinabsteigen und durch einen knapp 6 m langen, 1 m hohen Gang wieder hinaus ans Tageslicht krabbeln (Mo-Sa 10-17 Uhr, von Okt.-April nur nach Anmeldung bei Söl'ring Foriining, 0 328 05).

Ebenso ruhig und beschaulich wie am Dorfteich wohnt es sich im Ortsteil Braderup am Wattenmeer. Hübsche reetgedecktc Häuser duk-ken sich zwischen Heckenrosen,Dünengras und Heidesträuchern oberhalb des Weißen Kliffs. Das bis zu 15 m hohe und teilweise grün überwachsene Kliff trägt seinen Namen zu Recht: Es besieht fast ausschließlich aus hellem Kaolinsand.
Zwischen Braderup und Kampen erstreckt sich die Braderuper Heide, die erst seit 1979 unter Naturschulz stehl. Mit einem kleinen Wald, ausgedehnten Heideflächen und Tälern breitet sich hier hoch über dem Wattenmeer eine überaus reizvolle Landschaft aus. Sie ist durch ein ausgedehntes Wegenetz erschlossen und über die Parkplätze am Rande des Gebietes gut zu erreichen. Betreut wird das Naturschutzgebiet von der »Naturschulzgemeinschaft Sylt-Nordfriesland e. V.«, die an der Straße von Keitum nach Kampen ein sehenswertes Naturschutzzentrum eingerichtet hat. Nicht nur für Kinder interessant sind die Aquarien, die Grabbelkiste mit Funden aus dem Spülsaum und das Vogelgczwit-scher-Erkennungsspiel (April-Okt., Mo-Sa 10-12 Uhr, 14.30-18 Uhr. Naturkundliche Heidewanderung Di, Do 10 Uhr, Treffpunkt Naturzentrum Braderup, M.-T.-Buch-holz-Stig 1). Gleich nebenan kann man im »Körnerladen« Naturkost und frisches Gemüse aus ökologischem Anbau sowie bei »Leder und Mode« Kleidung aus Schafwolle und Nalurleder erstehen.

Auskunft: Fremdenverkehrsver-ein, Zimmernachweis, Wenningstedl-ßraderup, Westerlandstraße 1, t 046 51/989 00 (24 Std.-Info-Telefon), Telefax Schnellservice 457 72. Kurverwaltung, Strandstraße 25, % 44 70, Fax 447 40.

Hotels: Strandhörn, mit
Feinschmeckerrestaurant Lässig, slrandnah mit Wellness-Anlage, gehobene Preisklasse, Dünenstraße 1, 43 945 00, Fax 457 77; Windrose, mit exklusivem Restaurant, Dampfbad, Solarium, strandnah, gehobene Preisklasse, Strandstraße 21-23, 43 94 00, Fax 94 08 77. In Braderup: Landgasthof Weißes Kliff, Nähe Braderuper Heide und Wattenmeer, M.-T.-Buchholz-Stig 9, 45 4 30 08. Pensionen: Gästehaus Gundi, Im Tal 3, 45 985 40, Fax 420 32; Gästehaus Hellner, Berthin-Bleeg-Stra-ße 9, 45 429 37; Marcussen, Am Dorfteich 17, 4? 428 23; Gästehaus Möwennest, Seestraße 8, 45 413 51, Fax 459 32; Süderwong, Norder Wung 4, 45 414 41, Fax 414 16; Skala, Heidegrund 5, 45 419 31; Strandläufer, Berthin-Blecg-Straße 19, 43 434 41; Leißner, Seeblick 1, 45 414 70, Fax 462 71.

Campingplatz: ruhiger Plalz hinter den Dünen, Anmeldung: 45 94 40 04, Fax 447 40. im Winter 45 44 70.

Kinder: Kindern wird einiges geboten: eine Kinder-Motorradbahn, Minigolf am Kurzentrum, »Bodil's Ponyfarm« in Braderup. Im Juli/Aug. 1998 spielen berühmte Kinder- und |u-gendzirtusse jeden Nachmittag um 16 Uhr im »Meercircus«.


Sylt-Ost

Die auf drei Seiten vom Wattenmeer umgebene Gemeinde Sylt-Ost ist der Zusammenschluß von vier Dörfern: Archsum, Keitum (mit Ortsteil Munkmarsch), Morsum und Tinnum. Im Gegensatz zu den klassischen Badeorten im Westen Sylts sind die Ostdörfer Luftkurorte. Weitab vom Trubel der Weststrände gibt es hier manches zu entdek-ken. Typische Friesenhäuscr hinter bewachsenen Feldsteinwällen inmitten von Wiesen, Weiden und Kornfeldern, einsam gelegene, startliche Höfe und immer wieder schmale Straßen, die in die offene Marsch, I leidclandschaft, ans Wattenmeer oder zum Kliff hinausführen. Überall stößt man auf Spuren der Vergangenheit, auf bronze-und wikingerzeitliche Grabhügel. Entlang des Nössedeiches erlebt man die Weite des Wattenmeers und - allem Vogelgeschrei und blökenden Schafen zum Trotz -eine Ruhe, wie sie sonst nur auf den Marscheninseln herrscht. Wer hier mit dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs ist, erlebt ein unbekanntes, in seiner stillen Art bezauberndes Sylt.

Keitum

Das unbestritten schönste Dorf auf Sylt ist zugleich das grüne Herz der Insel. Fliederhecken und mit Hek-kenrosen bewachsene Steinwälle säumen verwinkelte Straßen. Das zum Watt hin abfallende Kliff ist nicht lehmig-karg, sondern mit dichtem Gras bewachsen. Hohe Laubbäume - Linden, Buchen, Kastanien - überragen reelgedeckte, alte Friesenhäuser. Trauer herrschte im Februar 1998, als insgesamt 550 der vom Ulmensplintkäfer unheilbar befallenen, z. T. über 100 Jahre alten Ulmen gefällt werden mußten. Die C.-P.-Hansen-Allee stand plötzlich kahl da. Die Kurverwaltung der 1500-Seelen-Ge-meindc rief die insgesamt 1200 Zweitwohnungsbesitzer zu Spenden für die Neubepflanzung auf -ein Baum von 3,50 m Höhe war für 575 DM zu haben, 5 m Baumhöhe kosteten schon 1750 DM. Keine Ulmen, sondern Eichen, Sommerlinden, Kastanien, Spitz- und Feld-ahorne, Platanen und Vogelbeeren werfen fortan ihren Schatten auf die alten Alleen. Der üppige Baumbestand Keitums ist übrigens noch gar nicht so alt, erst Mitte des 19. Jh. pflanzten die Bürger in dem bis dahin baumlosen I leidedorf auf Anregung des Lehrers Christian Peter Hansen Bäume an. Keytum wurde ebenso wie andere Inselorte in einer dänischen Sleuerliste anno 1440 erstmals urkundlich erwähnt, ist aber mit Sicherheit beträchtlich älter. Im 17./18. Jh. wählten zahlreiche wohlhabende Walfangkapitäne und Handelsfahrer den Ort als Alterssitz. Keitum entwickelte sich allmählich zum Hauptort Sylts. Als der ambitionierte Kapitän Jens Booysen im Jahre 1821 einen Hafen anlegen ließ, wurde es das »Tor zu Sylt«. Drei Jahre später wurde der Hafen Landeplatz für die Postfähre vom Festland - auf lange Sicht erwies sich seine Lage aber als ungünstig, er verschlickte und mußte 1868 endgültig aufgegeben werden. Mit dem Anwachsen des Badeortes Westerland büßte Kei-tum schließlich seine Funktion als Hauptort der Insel ein. Obwohl Keitum mit dem Bau des Hinden-burgdamms eine Bahnstation erhielt, wurde das beschauliche Dorf am Grünen Kliff erst spät als Urlaubsziel entdeckt und ist bis heute etwas Besonderes. Viele alte Kapitänshäuser beherbergen inzwischen Kunsthandwerker mit ihren Werkstätten und Läden: Töpfer, Goldschmiede, Weber und Glasbläser lassen sich bei der Arbeil zuschauen.
Doch auch Keitum ist mittlerweile kein Geheimtip mehr. Boutiquen namhafter Firmen haben unter Reet ihre Filialen eröffnet, ein großer Teil der alten Friesenhäuser des Dorfes ist an kapitalkräftige Auswärtige verkauft. Um mit dem Verkehrschaos in der Saison fertig zu werden, ist das Dorfzentrum für Autos gesperrt.

Dorfbummel: Das alte Dorfzentrum erstreckt sich unmittelbar oberhalb des grünen Kliffs. In den vergangenen lahrzehnten hat sich das Ortsbild kaum verändert. Die alten, liebevoll restaurierten Bauernhäuser werden heute als Wohn-und Ferienhäuser genutzt, neue Gebäude, auch die größeren wie das Müttererholungswerk, sind reetgedeckt und im friesischen Stil gehalten. Für Spaziergänger bietet sich folgender Rundgang an: Vom Parkplatz am Ortseingang durch das malerische Gassengewirr zur Kurverwaltung am Schwimmbad und weiter bis zu den Hünengräbern Tipkenhoog und Harhoog. Zurück geht es auf einem idyllischen Wanderweg am Grünen Kliff entlang mit Blick über die Keitumer Bucht und das Wattenmeer zur altehrwürdigen St. Severin-Kirche, die schon auf halbem Weg nach Munkmarsch liegt. Auch die Parkplätze am Schwimmbad und vor der Kirche sind günstige Ausgangspunkte für einen Dorfspaziergang.
Die berühmteste Sehenswürdigkeit auf diesem Spaziergang ist die auf dem höchsten Punkt des Sylter Geestkerns gelegene Seefahrerkirche St. Severin. Seit ihrem Bau im 12. |h. - der Turm stammt erst aus der Zeit um 1450 - war das wehrhafte, spätromanische Gotteshaus ein wichtiges Seezeichen für die Schiffahrt und das Wahrzeichen der Insel. Einer Sage zufolge haben zwei alte Damen, Ing und Dung, Turm und Glocke gestiftet - die beiden eingemauerten Findlings-hälften an der Westseite des Gotteshauses sollen ihre Grabsteine sein.

Sehenswert ist der romanische Taufstein mit den vier verwitterten Sockellöwen, vermutlich aus dem ausgehenden 12. Jh. Der prächtige spätgotische Schnitzaltar stammt aus der Mitte des 15. Jh., die Renaissancekanzel aus der Zeit um 1580. An der Empore hängt ein Porträt des Keilumer Lehrers, Chronisten und Heimatforschers C. P. Hansen (1803-79; s. S. 107). Die Orgel aus dem Jahre 1787 ist für ihren schönen Klang berühmt, hat aber ihre altersbedingten Schwächen, so daß für ein neues Instrument gesammelt wird, das 1999 erklingen soll. Die Mittwochskonzerte ziehen das ganze Jahr über bekannte Organisten und Musikfreunde an. Großer Beliebtheit erfreuen sich auch die unkonventionellen, lebensbejahenden und kraftvollen Predigten des Pastors Traugott Giesen. Auf dem von einer Feldsteinmauer umgebenen Friedhof findet man noch 17 historische, unter Denkmalschutz stehende Grabsteine - neben der Kirche sowie hinter der Kapelle. Begraben sind hier auch der Chronist C. P. Hansen, Ferdinand Avcnarius (s. S. 82), der 'Entdecken Kampens, und der Verleger Peter Suhrkamp (die Kirche ist tagsüber geöffnet, Führungen Mo und Do 1 7 Uhr).

Von hier führt der Kirchenweg direkt ins alte Keitum, das immer noch das eigentliche Zentrum der friesischen Inselkultur darstellt. Am Rande des grünen Kliffs liegen zwei schmucke Friesenhäuscr mit besuchenswerten Museen: das 1759 errichtete Sylter I leimatmu-seum und das Altfriesischc Haus von 17.39, beide gehören dem Söl'ring Foriining. Das Syltc Heimatmuseum dokumentiert die Geschichte der Insel. Es beherbergt vorgeschichtliche Funde, friesische Handwerkskunst, Möbel, Hausrat, Trachten, Schmuck, Kostbarkeiten aus der Walfängerzeit, Seekarten und alte Stiche. Großer Raum ist Uwe-Jens Lornsen (1793-1838) eingeräumt, dem in Keitum geborenen Freiheitshcldcn von Sylt, dessen Großvater das Haus erbaute (im Sommer tgl. 10-17 Uhr, im Winter kürzere Öffnungszeiten, Am Kliff 19, 316 69).

Das Altfriesische Haus, ehemaliger Wohnsitz von C. P. Hansen, wurde bereits 1908 als Museum eingerichtet. Ausgestattet mit Möbeln - Hausgerätschaft, Wandbetten und Schränken - aus dem 18. und frühen 19. Jh. vermittelt es einen guten Einblick in die Wohnkultur und Lebensweise der Inselfriesen. Der Wiener Autor Ludwig Hevesi notierte 1894 nach einem Besuch: »So haben sie gelebt, da draußen im Nordmeer, auf ihrer zerfressenen Scholle, die immer kleiner wird. Einst wird sie ganz verschlungen sein, die Sylter glauben fest daran; aber übrig bleiben wird jedenfalls ein anderer Hansen, der die letzten Bröckchen seines ertrunkenen Vaterlands unter Glasstürze stellt ...« (April-Okt. 10-17 Uhr, sonst auf Anfrage, Am Kliff 13, 2? 311 01).
Etwa 200 m östlich der Kurverwallung und des Schwimmbades erheben sich zwei Hünengräber aus vorgeschichtlicher Zeit malerisch über dem Watt. Auf dem Hügel Tipkenhoog, auf dem lange Zeit zum Pelritag das Biikefeuer brannte, soll einer Sage zufolge der Riese Tipke begraben sein, der von einem in der Nähe gelegenen Wachturm Ausschau nach anrückenden Feinden hielt. Laut Anmerkung des ersten Grabungsleiters im Jahre 1870 enthielt die Grabanlage aus der Jungsteinzeit »nicht das geringste Produkt menschlichen Kunst-lleißes«. Im Zweiten Weltkrieg wurde auf dem Hünengrab eine Flakstation installiert. Ein paar Meter weiter liegt das Großsteingrab Harhoog. Die ursprünglich nordwestlich des Ortes gelegene Steinkammer wurde beim Sandaushub für den Deich des Nössekooges freigelegt und mußte wegen einer Flugplatzcrweiterung verlegt werden.

Naturschutzgebiet Sandinseln

Die südlich von Keitum gelegenen Sandinseln sind seit 1975 als Naturschutzgebiet ausgewiesen und dürfen nicht betreten werden. Sie entstanden als Nebenprodukt der ersten Sylter Sandvorspülung im Jahre 1972 aus Abraummaterial - bestehend aus grobem, unbrauchbarem Kies -, der von Baggern abgetragen werden mußte, bevor man den feinen Kaolinsand für die Sandvorspülung entnehmen konnte. Ohne menschliches Einwirken entwickelten sich die liegengelassenen Sandbänke rasch zu einem der bedeutendsten nordfriesischen Brutgebiete für Möwen und Seeschwalben. Andernorts wurden ihre Brut- und Rastplätze immer stärker durch Störungen - sei es durch Touristen oder das Eindringen der Füchse über den Hinden-burgdamm - dezimiert. Im Frühjahr 1985 wurde der landnahe Bereich der Sandbänke abgetragen und der Inselcharaktcr damit wiederhergestellt. Ein Zivildicnstleistender der Schutzstation Wattenmeer betreut die Sandinseln von März bis September. Die Schutzstation unterhält eine Außenstation im südlich von Keitum am Nösse-deich gelegenen alten Schöpfwerk. Von hier nehmen die Wattwanderungen und vogelkundlichen Führungen ihren Ausgang (Infos in der Kurverwaltung in Keitum).

Munkmarsch

Zwischen Braderup und Keitum liegt das Dörfchen Munkmarsch schön in einer Bucht direkt am Wattenmeer. Einst war der kleine Ort, der heute zu Keitum gehört, der wichtigste Verkehrsknotenpunkt von Sylt. Von hieraus wurde das Mehl der 1744 errichteten Mühle aufs Festland verfrachtet, seit 1 755 legten hier die Postboote an. Nachdem in Keitum ein neuer Hafen ausgebaggert und ein Zollbüro eingerichtet worden war, übernahm dieser Nachbarort ab etwa 1820 die führende Rolle. Als die Keitumer den Hafen Ende der 60er Jahre des 19. Jh. jedoch wegen Verschlickung aufgeben mußten, baute der geschäftstüchtige Kapitän Thomas Selmer in Munkmarsch eine Mole und ein prächtiges Fährhaus. 1866 erhielt der Kapitän die offizielle Genehmigung, Passagiere von Hoyer nach Munkmarsch zu befördern. Vom Hafen aus wurden die Badegäste dann per Pferdedroschken weiterkutschiert. Anno 1888 rollte der erste Zug von Munkmarsch nach Westerland. Stationsvorsteher war der tüchtige Wirt Selmer, der in seinem Gasthaus am Hafen auch einen Warteraum für Fahrgäste einrichtete. Mit der Eröffnung des Hinden-burgdamms im Jahre 1927 fiel der Hafenort in einen langen Dornröschenschlaf, der Hafen versandete. Die sanftgeschwungene Sandbucht, die in den 70er Jahren von Surfern entdeckt wurde, ist Sitz einer renommierten Surf- und Scgel-schule. Vor Munkmarsch wurde um den ersten »Windsurfing World Cup Sylt« gekämpft. Mittlerweile hat man die Austragung der Wettkämpfe an die Brandungsküsle vor Westerland verlegt. Das Herz des alten Hafens ist immer noch das Fährhaus, das frischrenoviert im Herbst 1997 als Nobelreslaurant neu eröffnet wurde.

Auskunft/Unterkunft: s. Keitum S. 99.

Restaurants: Moby Dick, exklusive nordfriesische Küche mit badischem Einschlag, Panoramaaussicht von der großen Sonnenterrasse, Galerie, Munkhoog 14,49 3 21 20. Im historischen Fährhaus gibt es das Restaurant Petersilie für gehobene Ansprüche sowie ein Bistro, das norddeutsche Küche anbietet - für windzerzauste Spaziergänger wohl zu abgehoben, 49 9 39 70. Etwas bodenständiger ist das Ambiente im Cafe-Restaurant Zur Mühle, mit Terrasse am Watt, Lochterbarig 24, 38 77.

Morsum

Sylts östlichster Ort besteht aus mehreren Streusiedlungen: Groß-morsum, Kleinmorsum, Schelling-hörn, Osterende und Wall mit insgesamt etwa 1200 Einwohnern. Bis ins 18. Jh. bildete Morsum mit 140 Häusern den Hauptort der Insel, erst später liefen ihm Keitum, Munkmarsch und Westerland den Rang ab. Erstaunlich großzügig für das - trotz Bahnhof - überwiegend ländlich geprägte Dorf Morsum wirkt das 1989 in der Ortsmitte eröffnete Kulturzentrum Muascm Hüs, in dem auch die Kurverwaltung untergebracht ist.

Sehenswert ist die im Stil der Spätromanik um 1100 erbaute trutzige St. Martin-Kirche. Das schlichte, leuchlendweiß getünchte Gotteshaus blieb ohne Turm: Ein bescheidenes Holzgestell mit der 1767 in Hamburg gegossenen Glocke steht neben der Kirche. Das meterdickc Mauerwerk der Kirche aus Back- und Feldsteinen ruht auf einem Sockel von Granitquadern. Der Flügelaltar an der Nordwand des Chores stammt aus der Zeit um 1500. Beeindruckend schlicht ist der gotländische Taufstein aus dem 13. Jh., die Messingtaufschale wurde 1682 gefertigt. Die Kanzel von 1698 zeigt goldgetönte Reliefszenen aus dem Leben Jesu. Eine Holztafel erinnert an den 15. März 1744, als 84 heimkehrende Grönlandfahrer, darunter 50 Morsumer, in Sicht ihrer Heimatinsel erlranken (Kirche tagsüber geöffnet).

Östlich von Morsum erstreckt sich das Naturschutzgebiet Morsumer Heide mit seltenen Pflanzen wie Zwergbirke, Sonnentau und Ährenlilie. Hier finden sich auch mehrere vorzeitliche Grabhügel sowie weiter im Westen eine Hü-gclgruppe aus der Wikingerzeit. Berühmt ist Morsum für das spektakuläre, bis zu 20 m hohe Morsum-Kliff, das nur auf der dänischen Ostsecinsel Mon seinesgleichen findet und seit 1923 unter Naturschutz steht. Vom Jungtertiär bis zur Eiszeit lassen sich hier fast 10 Mio. Jahre erdgeschichlliche Entwicklung ablesen. In der Saale-Eiszeit wurden die einzelnen, im Tertiär entstandenen Schichtungen durch die gewalligen Gletscher unter immensem Druck zusammengestaucht und schräggestellt: blauschwarzer Glimmerion (8-5 Mio. Jahre alt), darüber rostfarbener Li-monitsandstein (6-4 Mio. Jahre altj und ganz oben weißer Kaolinsand (3-2 Mio. Jahre alt). Am besten lassen sich die bunten Schichten von unten, vom Watt betrachten, aber auch von der Aussichtsplattform von der oberen Kante der Steilküste ergeben sich faszinierende Einblik-ke in das geologische Bilderbuch (Informationstafel, Mo, Mi und Fr Führungen um 11 Uhr, Treffpunkt Nösseparkplatz).
An der sich östlich anschließenden Nössespitze erstreckt sich noch ein kleines Vogelschutzgebiet. Besonders an stürmischen Tagen bietet das kleine, auf der anderen Seite der Bahnlinie gelegene Nössewäldchen Windschutz (von Morsum aus folgt man der Straße »Zum Wäldchen«).

Archsum
Kaum zu glauben, daß es einen so stillen, ländlich-bescheidenen Ort auf Sylt gibt. Bis zum Bau des Nös-sedeiches 1937 wurde das Bauern-und Seefahrerdorf, dessen Bevölkerung zum Großteil noch Friesisch spricht, häufig von Sturmfluten heimgesucht. Seit der Steinzeit ist das Gebiet der Archsumer Geest besiedelt. An die in die Wikingerzeit datierte Archsumer Burg erinnert nur noch der Name einer Straße: Borig. Die ältesten erhaltenen Besiedlungsspuren liegen direkt am Nössedeich und sind schwierig zu finden: Am besten folgt man dem »Deichweg« 7um Nössedeich und wendet sich auf der Deichkrone nach rechts. Nach einigen hundert Metern stößt man auf die jungsleinzeitliche Grabkammer Modjes Küül (Großmütterchens Kuhle/Keller) - wenig mehr als ein zusammengesunkener I laufen großer Findlinge. Bei Niedrigwasser sieht man südwestlich von Arch-sum im Watt Findlinge, die einsl zu Großsleingräbern gehörten.

Auskunft: Kurverwaltung Arch-sum, Dorfstraße, 85 0 46 51/ 337 44, Fax 337 47.

Tip: Im Ifauenhof Archsum, einem historischen Friesenhaus aus dem 18. Jh., ist neben stilvollen Ferienwohnungen auch eine Gemäldegalerie untergebracht. Hier wird auch Honig verkauft, Norderende 20.

Tinnum
Tinnum (2500 Einw.), das verwaltungsmäßig zu Sylt-Ost gehört, geht fast nahtlos in Westerland über. Die Reihen schlichter Einfamilienhäuser mit gepflegten Gärten in ruhigen Straßen, das große Ge-werbegebict am Ortsausgang mit Supermärkten, Reformhaus, Friseur, Getränkemarkt, Autowerkstatt usw. und die Eisenbahnlinie am nördlichen Ortsrand verleihen der einstigen Hochburg der Landwirtschaft den Charakter einer Vorstadt, wie man sie auch irgendwo auf dem Festland finden könnte. Einst wohnten hier wohlhabende Bauern, und es gab mehrere Mühlen. Noch bis 1850 wurden Tausende von Schafen gehalten - die Wollverarbcitung war eine der wichtigsten Erwerbsquellen. 1843 sollen mehr als 7000 in Tinnum hergestellte lacken und fast 3000 Paar Strümpfe nach Hamburg exportiert worden sein.

Im alten Dorfkern findet man noch einige alte Friesenhäuser wie beispielsweise in Kampende die 1649 erbaute Alte Landvogtei, eines der ältesten Häuser auf Sylt. Zur Zeit der Dänenherrschaft war es Sitz des höchsten Beamten der Insel. Zehn Tage residierte hier der Sylter Landvogt Uwe-|ens Lornsen, bevor er seines Amtes enthoben wurde.

Viele Straßen führen von Tinnum direkt in die grüne Marsch. Ein beliebtes Ausflugsziel für Spaziergänger und logger ist die sagenumwobene Tinnumburg, die einzig erhaltene der ehemals drei Ringwallanlagen Sylts (Zugang über den von Kampende abzweigenden Borig-wai). Eine Attraktion für Familien mit Kindern ist das 30 000 m2 große Wild- und Vogelparadies. In Gehegen, z. T. aber auch frei herumlaufend, können Wildschweine, Hirsche, Affen und Waschbären, exotische Vögel und schwarze Schwäne beobachtet werden. Kinder können auf Eseln und Ponys erste Reitversuche unternehmen (Mai-Okt. tgl. 10-19 Uhr, Ponyhof 15-18 Uhr, Ringweg).

Auskunft: Kurverwaltung Tinnum, Dirksstralk.' 11, 85 0 46 51/ 337 11.

Hotels: Hotel Christiansen, mit Sauna und Solarium, Zur Eiche 32-34, 85 93 00, 93 01 28. Pensionen/Privatunterkünfte: Bahnsen, Boy-Nielsen-Straße 23, 85 3 19 32, Fax 3 01 32; Bobka, Boy-Niclsen-Slraße 2, 85 3 21 38; Jacobsen. Gästehaus, Alle Dorfstraße 22, 85 93 50 80, Fax 93 50 85; Karg, Fröddenwai 15, 85 37 79; Kraut, Königskamp 29, 85 38 53; Kühne, Dirksstraße 61, 85 38 53; Lemp, Königskamp 21, 85 36 64.

Restaurants: Eine der besten Adressen Sylts ist das reetgedeck-te Landhaus Stricker mit exklusiver internationaler und regionaler Küche, gehobene Preisklasse, Boy-Nielsen-Straße 10, 85 3 16 72. Gemütlich für abends ist die Zottelhexe, Rosenweg 11. Leckerer Fisch und regionale Küche (u. a. Lamm) wird in der Gaststube )an-ke's serviert, Ziegeleiweg, neben dem Campingplatz Südhorn, 85 3720.

Von Rantum-Becken nach Hörnum

Rantum
Nirgends ist Sylt so schmal wie hier - 500 oder 600 m, Tendenz abnehmend. Nur zehn Spazierminuten sind es von den Dünen des Weststrandes bis zu den Salzwiescn am Wattenmeer. Wer in Rantum unterkommt, wohnt meist unter Rcct-dach, nie mehr als 300 m vom Meer entfernt. Seit seiner Gründung war der Ort, der 1440 erstmals urkundlich erwähnt wird, durch seine Randlage besonders gefährdet - immer wieder wurden Häuser von der See verschlungen oder vom Dünensand zugeweht. Anno 1725 zählte die kleine Siedlung 40 Häuser, 1777 noch 26, im Jahre 1858 standen hier nur noch fünf von Wasser und Sand bedrohte Hütten. Als der dänische König Friedrich VII. zur Besichtigung der Schäden nach der Sturmflut auf die Insel kam, nahm ihn eine Rantu-merin bei der Hand und führte ihn in ihre elende Hütte in den Dünen: »Komm nur herein, kleiner König, und sieh, wie wir es haben!«







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