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Gutehoffnungshütte, Neue Mitte, Am Grafenbusch

Gutehoffnungshütte, Neue Mitte, Am Grafenbusch

Die Gutchoffnungshüttc, die Oberhausen im Industriezeitalter mehr als ein Jahrhundert lang nahezu monopolistisch prägte, lässt sich in ihren Anfängen bis ins 18. Jh. zurückverfolgen. Nördlich n Sterkrade gründete der Münsteraner Domkapitular Franz Ferdinand Freiherr n der Wenge 1758 die St. Antony-Hütte. Als Rohstoff diente damals Raseneisenerz, das man in der Emscherniederung dicht unter der Erdoberfläche abbaute. Als Brennstoff diente Holzkohle. 1782 folgte die Hütte Gute Hoffnung, die fünf Jahre später die Schienen für die erste Kohlenbahn Deutschlands (im Süden Bochums) produzierte. Diese Hütte geriet 1800 in den Besitz n Helene Amalie Krupp aus Essen, der Urgroßmutter des späteren »Kanonen-königs« Alfred Krupp. Auf Veranlassung der letzten Essener Fürstäbtissin, Maria Kunigundc n Sachsen, erfolgte schließlich durch Gottlob Jacobi 1791 die Gründung der Hütte Neu Essen.
Die drei Hütten wurden 1808 zusammengeschlossen. Nach seinen damaligen Besitzern erhielt das neue Industriewerk zunächst den Namen >Hüttengesellschaft und Handlung Jacobi, Haniel & Huys-senTechnologiczentrum Umweltschutz< umgebaut. In dem 50 m hohen Wasserturm an der Mülheimer Straße, der früher die Wasserversorgung des Werks sicherstellte, hat heute ein Vermessungsingenieur sein Büro eingerichtet. Der Wasserbehälter unterhalb der Turmspitze wird abends giftig grün angestrahlt und wirbt dabei mit Logo und Schriftzug für das in Oberhausen zuständige Wasserwerk. Der ehemalige Gasometer der Gutehoffnungshütte -l928/29 als größter in Europa errichtet und nach einer Explosion (1946) wieder aufgebaut - wurde 1994 als unkonventioneller Ort für Großausstellungen und künstlerische Aktionen neu in Betrieb genommen. Das 116 m hohe Industriedenkmal dient heute auch als öffentlicher Aussichtsturm und bietet in allen vier Himmelsrichtungen einen eindrucksllen Blick über das westliche Ruhrgebict.




Zu den bedeutendsten Architekturleistungen der frühen Moderne zählt ein Baukomplex aus Hauptverwaltung und Lagerhaus der Gutehoffnungshütte an der Essener Straße. Vermutlich entschied sich die Firmenleitung 1920 aus ästhetischen Gründen für den entwurf n Peter Behrens, denn es lagen funktionalere und kostengünstigere Konkurrenzentwürfc ähnlieh renommierter Architekten r. Offenbar wollte der Konzern sein öffentliches Image durch ein herausragendes Bauprojekt aufbessern. Immerhin ist es bezeichnend, dass allein für die teuren Spczialziegel der Außenverkleidung ein finanzieller Mehraufwand n 400 000 Mark problemlos bewilligt wurde. In der zeitgenössischen Fachwelt sprach man denn auch n dem »ersten monumentalen Kunstwerk deutschen Aufbauwillens im besetzten Gebiet nach dem Versaüler Vertrag trotz Ruhrkampfcs« (Richard Klapheck, 1928). Während das Lagerhaus den Zweiten Weltkrieg ohne nennenswerte Schäden überstand, brannte das Verwaltungsgebäude 1943 nach einem Luftangriff teilweise aus. Der verbliebene Rest der Inneneinrichtung, die ebenfalls n Behrens entworfen worden war, wurde beim Wiederaufbau zerstört.

Auf dem aufgegebenen Werksgelände der Gutchoffnungshütte entstand in den 1990er Jahren die Neue Mitte Oberhausen, die zwischen der Innenstadt und den nördlichen Vororten ein urbanes Bindeglied darstellen soll. Mittelpunkt des neuen CENTROs ist eine verglaste Einkaufspassage mit mehr als 200 Geschäften und 20 Restaurants. Angegliedert sind die nötigen Parkhäuser sowie ein Hotel, ein Großkino, ein Park und eine Arena für Sport-, Rock- und Klassik-Veranstaltungen. In Verbindung mit der gigantischen Baumaßnahme wurde Oberhausen nach mehr als zwei Jahrzehnten wieder an das Straßenbahnnetz des westlichen Ruhrgebicts angeschlossen: Die neue Linie beginnt am Mülheimer Hauptbahnhof und verbindet dann das Oberhauscner Stadtzentrum mit der neuen Mitte und den nördlichen Vororten Osterfeld und Sterkrade.
Von den Werkssiedlungen der Gutehoffnungshütte sollen nur zwei beschrieben werden. Westlich des zentralen Werksgelände entstand 1910-23 die Siedlung Am Grafenbusch für das Management des Konzerns. Sie ist einerseits durch ihre noble Lage in der Nähe n Schloss Oberhausen und dem Kaiserpark ausgezeichnet. Andererseits grenzt sie aber auch unmittelbar an die Werksanlagen an, sodass die Verantwortlichen bei eventuellen Betriebsstörungen ihren Arbeitsplatz in wenigen Minuten erreichen konnten. Das homogene Ensemble n elitären Direktionsvillcn und großzügigen Mehrfamilienhäusern wurde n dem Architekten Bruno Möhring konzipiert. Anordnung und Erscheinungsbild der einzelnen Häuser lassen eine Hierarchie erkennen. Während der Architekt die Mehrfamilienhäuser entlang eines Bahndamms aufreihte, dokumentiert sich bei den exklusiven Villen eine höhere Wohnqualität u. a. durch eine enge Nachbarschaft zum Schloss oder eine zurückgezogene Lage am Nordrand der Siedlung.

Eisenheim
Nur einen Kilometer nördlich der Management-Siedlung liegt Eisenheim, die älteste Kolonie des Ruhrreviers. Die Absieht des Hüttendirektors Wilhelm I.ueg, qualifizierte Arbeiter durch attraktive Werkswohnungen sesshaft zu machen, ist bereits für 1836 aktenkundig. Mit dem Bau der ersten Werkssiedlung der Gutehoffnungshütte wurde aber erst 1846 begonnen. Ein Jahr später wurde auch der Name behördlich genehmigt: Im Wort >Eiscnheim< verbinden sich >kalte< Industricsvmbolik und biedermeierliche Familienideologie.
Die Annahme, die neue Kolonie werde sich bald zu einem eigenständigen Dorf weiterentwickeln, erfüllte sich allerdings nicht. Die Bauzeit Eisenheims zog sich - mehrfach n langen Pausen unterbrochen -fast 60 Jahre hin. Trotz Bombenschäden und Teilabriss blieben 39 (der ursprünglich 51 Wohnhäuser) bis heute erhalten.
Entlang der Sterkrader Straße entstanden im Frühjahr 1846 in einem ersten Bauabschnitt zunächst sieben anderthalbstöckige Meister- oder Beamtenhäuser, die in ihrer Architektur an die Schnitterkasernen des friderizianischen Preußens erinnerten. Diese Häuser wurden 1964 abgerissen. Ebenfalls wohl 1846 erfolgte der Bau n zwei doppelstöckigen Wohnhäusern an der Wesselkampstraße (Nr. 27/29, 31/33) sowie einer >Kaserne< für ledige Arbeiter an der Fuldastraße 5/7. Diese Bauten stehen noch in der Tradition der spätklas-sizistischen Stadthäuser, wie sie in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh. in den Hellwegstädten in größerer Zahl errichtet worden waren.
In einem zweiten Bauabschnitt entstanden 1865/66 an der Berliner Straße sieben anderthalbstöckige Wohnhäuser {Hausnummern 8, 10, 12, 14,16, 18, 20). Hier handelt es sich um einen >Rücken-an-Rückcn-Typ< mit jeweils zwei Arbeiterwohnungen zur Straße und zum rückwärtigen Wohnweg hin. Zwei Haustüren liegen jeweils nebeneinander an der Vorder- und Rückfront. Jede Wohnung besteht aus_zwei Räumen im Erdgeschoss und Dachgeschoss (insgesamt 64,5 m2) und verfügt über eine eigene Treppe und einen eigenen Eingang. 1866 wurden zudem an der Wesselkampstraße (Nr. 19/21, 23/25) zwei anderthalbstöckige Zweifamilienhäuser für Werksbeamte errichtet. Die Wohnungen sind hier deutlich größer und umfassen 96,5m2 an Wohnfläche. 1872 folgte dann an der Wesselkampstraße (Nr. 35) das erste Eisenheimcr Vierfamilienhaus mit einem >Kreuzgrundriss«, der es ermöglichte, die F.ingangstüren zu den vier Wohnungen auf alle vier Hauswändc zu verteilen. Bei dieser Grundrisslösung hat jeder Mieter psychologisch das Gefühl, seinen eigenen Eingang, seine eigene Fassade und damit sein eigenes Haus zu haben. Der Haustyp stellt die Zusammenfassung n »vier Häusern unter einem Dach« dar (Nikiaus Fritschi).
Nach der Überwindung der Gründerkrise folgten 1897 und 1901 noch zwei weitere Bauabschnitte mit Vierfamilienhäusern, bei denen der Grundriss des Hauses n 1872 variiert wurde. In diesen Häusern lebten rwiegend Bergarbeiterfamilien der benachbarten Zeche Osterfeld. Die Bauten liegen an der Eisenheimer Straße (Nr. 1-l0), Berliner Straße (Nr. 4, 6), Fuldastraße (Nr. 3, 9, 11), Wesselkampstraße (Nr. 37, 39, 41-43) und Werrastraße (1-l0; Nr. 9 ist zerstört). Bei vielen dieser Häuser wurden die Längswände relativ aufwändig mit Ziegelsteindckor (u. a. Zahnschnitt- und Schrägschnittfriese) verziert.
Seit 1958 gab es ungen, die historischen Arbcitcrhäuscr Eisenheims abzureißen, um das stadtnahe Terrain mit modernen Wohnhochhäusern zeitgemäß zu bebauen. Als diese Pläne zehn Jahre später realisiert werden sollten, leisteten die Bewohner Widerstand -zunächst durch Unterschriftenaktionen und Leserbriefe an die Lokalpresse. 1972 untersuchten Dozenten und Studenten der Fachhochschule Bielefeld in einem Modellprojekt die Lebensbedingungen in dieser Siedlung. Dabei entstanden ein Film, eine Ausstellung und ein Buch, wodurch auch überregional auf die hohe Wohnqualität und aktuelle Gefährdung Eisenheims aufmerksam gemacht werden konnte. In der Folgezeit gelang es dieser ersten Arbeiter-Bürgerinitiative der Bundesrepublik, alle Abrisspläne zu vereiteln. Das Land Nordrhein-Wcstfalen stellte die Kolonie schließlich unter Denkmalschutz. 1977 wurde mit der Anlage einer Kanalisation sowie mit der Renovierung der Häuser begonnen. 1983 kamen die Arbeiten zum Abschluss.

Die Arbeitsergebnisse dieser Gruppe sowie ergänzende Untersuchungen n Jannc und Roland Günter dokumentieren, wie Anlage und Architektur Eisenheims die Grundlage für ein eindrucksll-intensives soziales Leben in der Siedlung bilden. So haben etwa speziell die Häuser mit Kreuzgrundriss eine Wohnungs- und Raumaufteilung, die zwischenmenschliche Konflikte vermeiden hilft. Schlaf-und Wohnräume liegen auf verschiedenen Etagen. Dies bewirkt ein gewisse Schallisolierung, sodass der Vater nach der Nachtschicht auch tagsüber halbwegs ungestört oben schlafen kann, während unten die Kinder spielen. Da Flure und Treppen jeweils nur n einer Familie benutzt werden, kommt es nicht zu Nachbarschaftsstreit um Verschmutzung oder nicht eingehaltene Putzordnung. Die Eisenheimer Häuser sind allgemein so niedrig, dass spielende Kleinkinder n der Mutter durchs Fenster problemlos beaufsichtigt werden können. Die Wohnungen liegen nah an der Straße und ermöglichen auch spontane Gespräche über die Fensterbank hinweg. Schließlich bietet der »halböffentliche Wohnweg< zwischen Haus und Hofgebäude Raum für vielfältige Aktivitäten. Hier herrscht r allem an Sommerabenden ein geradezu mediterranes Leben. Man sitzt auf der Gartenbank und hält ein Schwätzchen mit Vorbeikommenden, man repariert oder bastelt, Kinder spielen Im Gegensatz zur Sterilität n Hochhaussiedlungen herrscht hinter den Eisenheimer Häusern eine Atmosphäre wohnlicher Unordnung - herrgerufen durch die vielen Utensilien (Stühle, Spielzeuge, Gartengeräte), die man für die Stunden im Freien braucht.
In den kleinen Hofgebäuden, wo früher Toiletten, Waschküchen oder auch Ställe für Kleinvieh untergebracht waren, haben manche Sicdlungsbewohncr nun Werkstätten eingerichtet. Die engen nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen einzelnen Familien - herrgerufen durch Verwandtschaft, gemeinsamen Arbeitsplatz oder langjähriges Wohnen im gleichen Ort - werden durch gegenseitige Hilfe ständig weiter vertieft. Ein wichtiges Betätigungsfeld für vielfältige Bastelarbeiten sind die Gärten, wo man z. B. gemeinsam Lauben baut oder Zierfischteichc anlegt. Zu jeder Wohnung gehören ein Stück Ziergarten zwischen den Häusern oder Hofgebäuden und eine Nutz-gartenfläche auf den drei großen Feldern, die n den Eisenheimer Straßenzügen umschlossen werden. Die einzelnen Gartenstücke sind nicht durch Mauern oder Zäune neinander getrennt. Der großzügige Zuschnitt der Grundstücke bietet auch heute noch genug Raum für Klcintier- und gelegentlich auch Nutztierhaltung. Eine Eisenheimer Besonderheit bilden die skurrilen Skulpturen aus Schlacke und Zement, die der Rentner Karl Falk für manche Ziergärten baute: meist Burgen, Türme oder Zwerge, die allerdings in ihren keineswegs niedlichen Physiognomien an harte, n jahrzehntelanger Maloche geprägte Gesichter erinnern.







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