Daten zur nordfriesischen Geschichte
8.-l1. Jh.
Südfriesen wandern von der südlichen Nordseeküste in das seil der Völkerwanderung nur noch spärlich besiedelte Gebiet des heutigen Nordfriesland ein. Auch Wikinger lassen sich hier im 9. und 10. Jh. nieder, im Verlauf der Zeit rmischen sie sich mit der einheimischen Bevölkerung. Die unter dänischer Herrschaft stehenden Ulhlande sind in sogenannte Harden, Verwaltungsbezirke, eingeteilt.
12.-14. Jh.
Um 1200 entstehen die ersten christlichen Kirchen, sie werden auf heidnischen Opferplälzen errichtet. Die St. Scrin-Kirche in Keitum/Sylt, die St. Johannes-Kirche in Nieblum/Föhr, die St. Salvator-Kirche auf Pellworm und die St. Magnus-Kirche in Tating/Eidersledl liegen auf einer geraden Linie in gleichmäßigen - heiligen - Absländen voneinander. Der Sage zufolge stammen alle von demselben Baumeister, der vor den großen Sturmfluten des Mittelalters den Weg von einer Baustälte zur anderen zu Pferde über Land zurücklegen konnte. Die Größe der Gotteshäuser zeugt vom Reichtum der Region: Durch den Abbau von Torf zur Salzgewinnung sowie den Export von landwirtschaftlichen Produkten kommen die zu Dänemark gehörenden Harden der Ulhlande zu großem Wohlstand. Aus dem »Erdbuch« des dänischen Königs Waldemar II. geht hervor, daß sie anno 1231 überdurchschnittlich hohe Steuern zahlen müssen. Als die Friesen eine Steuererhöhung mil dem Hinweis auf ihre Deichpflichten rweigern, kommt es 1252 bei Tönning zur Schlacht gegen Abel, den dänischen König und Herzog von Schleswig, der von den Friesen rnichtend geschlagen wird.
1362
Mit der Marcellusflul - auch große »Mandränke« genannt
- rsinkt das mittelalterliche Kulturland bis an die Geest des Festlandes in den Fluten, die Geestkerne von Sylt, Föhr und Amrum halten stand und werden zu Inseln. Die Zahl der Opfer entlang der Nordsecküste und auf den Inseln wird auf 100 000 Menschen geschätzt.
15. Jh.
Mit der Wiedergewinnung von Land, der Intensivierung der
Landwirtschaft und der Heringsfischerei vor Helgoland bietet sich erstmals seit der großen Mandränke wieder die Möglichkeit, einen bescheidenen Wohlstand zu erwirtschaften.
Ab 1435
Im Frieden von Vordingborg kommen die Uthlande zum
Herzogtum Schleswig; Westerlandföhr, Amrum und das Sylter Listland rbleiben noch bis 1864 beim dänischen König.
17. Jh.
Nachdem Versiegen der Heringsschwärmc erreicht die Ar-
mut auf den Geeslinseln um 1600 ihren Höhepunkt. Die Strandräuberei bietet zeitweise die einzige Erwerbsmöglichkeit. Strandräuberei hieß, angeschwemmte und geborgene Schiffsgüter heimlich nach Hause zu schaffen und nicht den Behörden zu melden. Die Insulaner empfinden das Vergehen als nicht ehrenrührig.
1634
Die Burchardiflut, auch die »zweite große Mandränke« ge-
nannt, rwüstet die Nordfriesischen Inseln. Zwei Drittel der Insel Strand gehen unter, übrig bleiben Nordstrand, Pellworm und die Hallig Nordstrandischmoor. An 44 Stellen brechen die Deiche, von den etwa 8800 Einwohnern ertrinken über 6200, von 22 Kirchen bleiben nur drei stehen.
Ab Milte des Jahrhunderts eröffnet sich den Bewohnern der Nordfriesischen Inseln ein neues Betätigungsfeld: Das goldene Zeitalter des Walfangs (s. S. 48 f.) nimmt seinen Anfang. Fast die gesamte männliche Bevölkerung rläßt im Frühjahr die Inseln-die jüngsten von ihnen sind elf, die ältesten 70 Jahre alt -, um auf holländischen, aber auch dänischen und hanseatischen Schiffen in den Gewässern vor Spitzbergen Wale zu fangen. Der Walfang führt teilweise zu einem beachtlichen Wohlstand auf den Inseln. Der Preis, den die Insulaner für den Wohlsland bezahlen müssen, ist hoch. Viele Männer bleiben auf See. Auf allen Inseln herrscht Frauenüberschuß.
Immer höher steigende Deichlastcn, Verheerungen und fortgesetzte Kriegssteuern (1643-45 Schwedisch-Dänischer Krieg, 1644 Schlacht im Lister Tief; 1657-60 Schwedisch-Dänische Kriege; 1700-21 Nordischer Krieg) bringen auch wirtschaftliche Not.
1636
Der Nordstrandcr Peter Sax faßt die vor seiner Zeit abge-
faßten Quellen zu einer ausführlichen Beschreibung des Landes zusammen. Mit ihm beginnt die Geschichtsschreibung Nordfrieslands.
1652
Der Husumer Bürgermeister Casper Danckwart rfaßt
eine »Newe Landesbeschreibung der zwey Herzogtümer Sleswich und I lolstein«. Das Werk ist mit Karten des Königlichen Mathematicus Johannes Mejer ausgestattet. Von Mejer stammt die vielgcdruckte Rekonstruktion der frühen Gestalt der Uthlande, die heute allerdings teilweise als Phantasieprodukt angesehen wird - Ortsnamen scheinen erfunden und willkürlich plaziert.
18. Jh.
In der Mitte des 18. Jh. ist der Grönlandwal so gul wie aus-
gerottet. Viele Seeleute wenden sich nun der Handelsschiffahrt zu. Die Landwirtschaft auf den Inseln liegt in der Hand der Frauen und Kinder. Zahlreiche Seeleule geraten in die Hände von Seeräubern des Osmanischen Großreiches und werden auf dem Markt von Algier als Sklan rkauft. Einige können von Verwandten in der Heimat oder durch die sogenannte Sklankasse wieder freige-kauft werden.
Ab 1792
Das bis dahin genossenschaftlich genutzte Land wird per
Regierungsorder Privateigentum, eine wichtige Voraussetzung für eine ertragreichere Bewirtschaftung. Erstmals kann man beispielsweise auf Föhr von der Landwirtschaft leben.
Durch die Kontinentalsperre, einer von Napoleon rhängten Wirtschaftsblockade gegen Großbritannien (1806-l3), und den Englisch-Dänischen Krieg (1807-l4) kommt die europäische Handclsschiffahrl weitgehend zum Erliegen. Die nordfriesischen Seefahrer kehren heim auf die heimatlichen Höfe.
1813
Der dänische Staat meldet Bankrott an, die Herzogtümer
sind wirtschaftlich zugunsten des Königreiches erschöpft. Der Sylter Uwe Jens Lornsen fordert in seiner Flugschrift »Über das Verfassungswerk in Schleswigholstein« die Trennung der Herzogtümer in Justiz und Verwaltung von Dänemark. Die Anhänger der dänischen und deutschen Nationalbewegungen treten sich in den folgenden Jahren immer unrsöhnlicher gegenüber.
1819
In Wyk wird die erste Seebadeanstalt gegründet. Der wich-
tigste Erwerbszweig bleibt aber weiterhin die Landwirtschaft. Durch die Realerbteilung werden die Erträge immer geringer. Viele junge Leute zieht es ab Mitte des Jahrhunderts wegen der dortigen Goldfunde nach Amerika und Australien.
1857
Westerland wird Badeort. Wyk kann seinen fast 40jährigen
Vorsprung nicht halten, obwohl es von 1842-47 Sommerresidenz des dänischen Königs ist.
1864
Als Folge des Deutsch-Dänischen Krieges fällt Schleswig inklusi der Nordfriesischen Inseln an Preußen, Holstein an Österreich. Nach dem Preußisch-Österreichischen Krieg werden beide Herzogtümer im Januar 1867 als Provinz Schleswig-Holstein Preußen einrleibt. Neue straffe Gesetze, beispielsweise die Einführung der dreijährigen Mililärpflicht samt vierjährigem Folgedienst, führen dazu, daß wiederum große Teile der Bevölkerung ihr Glück in der Auswanderung suchen, in Nord- und Südamerika oder Australien; heute leben mehr Föhrer und Amrumer in Amerika als auf ihren Heimatinseln.
1865
Gründung der »Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger« (DGzRS) in Kiel, die noch im gleichen Jahr beginnt, Rettungsstationen an der Nord- und Ostsee aufzubauen. Außer Rettungsdiensten üJernimmt sie heute u. a. auch Krankentransporte von den Inseln, Vorsorgungsfahr-ten zu den durch Eis und ungünstige Windrhältnisse abgeschnittenen Inseln.
1890
Helgoland wird von England im Tausch gegen Kolonial-
rechte in Deutsch-Ostafrika an das Deutsche Reich abgetreten.
1920
Nach dem Ersten Weltkrieg (1914-l8) stimmen die Bewohner Nord- und Mittelschleswigs über die künftige Staatsangehörigkeit ab. Nordschleswig entscheidet sich für Dänemark. Mittelschleswig stimmt für den Anschluß an Deutschland, 88,4 % der Sylter sind für die deutsche Staatsangehörigkeit. Sylts Festland-Fährhafen Hoyer liegt jetzt in Dänemark. Die Züge mit den Sylturlaubern werden für die Fahrt durch Dänemark »plombiert«.
1927
Der Hindenburgdamm, eine Eisenbahnrbindung von
Sylt zum deutschen Festland, wird eröffnet.
1940
Am 19. März werfen die Briten Bomben über Sylt ab, es ist
der erste Angriff der Royal Air Force auf Deutsches Reichsgebiet. Tausende von Flüchtlingen und Vertriebenen kommen im Verlauf des Krieges auf die Inseln. Vor dem Krieg zählte Sylt 8000 Einwohner, nach dem Krieg waren es 26 000. Helgoland wird durch Bombenabwürfe und Sprengungen völlig zerstört und erst 1952 von den Engländern wieder freigegeben.
Ab 1945
Der Rückgang des Fremdenrkehrs durch den Zweiten Weltkrieg ist schnell überwunden, in den 50er lahren nimmt der Tourismus rapide zu.
1946
Gründung des Landes Schleswig-Holstein.
1970
Im Rahmen der Kreisgebietsreform im Lande Schleswig-Holstein wird der Kreis Nordfriesland gebildet. Mit Ausnahme von Helgoland, das zum Kreis Pinneberg gehört, sind die Nordfriesen erstmals in ihrer Geschichte in einer Verwaltungskörperschaft reint.
1985
Einrichtung des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Die Umweltschützer kritisieren, daß die Schutzzonen ihrer Meinung nach zu klein sind und der Wirtschaft zu wenig Beschränkungen auferlegt werden. Die Küstenbewohner reagieren abweisend, sie befürchten aufgrund der vielen Einschränkungen die Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz.
1988
Innerhalb weniger Monate wird der Seehundbestand
durch eine ansteckende Viruskrankheit um 80 % reduziert. Die Seehundpopulation erholt sich wieder, 1994 erreicht sie den vorherigen Bestand. Durch die hohe Schadstoffbe-lastung in der Nordsee, mit der Immunschwächc und Krankheitsanfälligkeit der Tiere einhergehen, bleiben die Seehunde jedoch gefährdet.
1996
Veröffentlichung des Syntheseberichts der Ökosystemfor-
schung Wattenmeer mit Vorschlägen für eine bessere Entwicklung des Nationalparks, was auch seine Ausweitung beinhaltet. Diese Forderung stößt seitens der Küstenbevölkerung auf wenig Gegenliebe. Der Bericht dient als Diskussionsgrundlage für ein neues Nationalparkgesetz, das 1999 rabschiedet werden soll.
Architektur und Wohnkultur
Die Nordfriesische Inselwelt gilt in der schleswig-holsteinischen Kunst-und Kulturgeschichte seit jeher als besondere Region. Vom Festland durch das Wattenmeer getrennt, fortwährend vom Meer bedroht, hat sich hier eine besondere Architektur und Wohnkultur entwickelt. Während die Marscheninseln rein bäuerlich geprägt sind, haben Walfang, Seefahrt und Handel ihre kulturgeschichtlichen Spuren auf den Geestinseln und Halligen hinterlassen. In allen Kirchen hängen Modelle von Segelschiffen, Symbole der Hoffnung und Fürbitte, aus längst vergangener Seefahrerzeit.
Das uthländische Haus
Die reetgedeckten Friesenhäuser, die Wohnung und Wirtschaft unter einem Dach vereinen, wurden keineswegs von den Friesen erfunden, die sich ja erst nach der Völkerwanderung im heutigen Nordfriesland niederließen. Archäologische Ausgrabungen ergaben, daß dieser Haustyp bereits seit mehr als 2000 Jahren existiert. Das uthländische Haus war ursprünglich ein Ständerbau. Das weil herabgezogene Reetdach ruhte auf Ständerbalken, die tief im Boden verankert waren. Im Falle einer Sturmflut wurden die relativ dünnwandigen Backsteinfüllungen von den Wogen herausgeschlagen, während das schützende Dach mit dem Dachboden stehenblieb. Erst ab Mitte des 18. Jh. legte man die Dachbalken direkt auf die nun wesentlich stabiler gebaute Mauer. Über der Haustür befand sich ein Spitzgiebel, durch dessen Luke die Erntevorräte auf den Dachboden eingebracht werden konnten. Auch bot er im Fall von Feuer oder wenn die Flut das Haus einschloß einen Fluchtweg für die Bewohner.
Um dem Wind möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, lagen die Häuser meist in Westostlage, wobei die Wohnseite im geschützteren Osten, der Wirtschaftsbereich auf der Wind und Regen am stärksten ausgesetzten Westseite lag. Schutz vor dem Wind und vor freilaufendem Vieh boten die den Hausgarten umgebenden Steinwälle aus Lesesteinen, heule »Friesenwall« genannt.
Die Dächer waren mit Reet gedeckt. Dieses Material erfreut sich auch heute trotz der enormen Kosten - allein die Feuerversicherung verschlingt jährlich ein Vermögen - großer Beliebtheit. Die Vorteile liegen auf der Hand: Unter dem re-gcnsichcrcn, frostbeständigen und atmungsaktiven Weichdach, wie es im Fachjargon genannt wird, ist es im Winter schön warm, im Sommer angenehm kühl. Ein Vorteil ist seine lange Lebensdauer: Die windgeschützle Seite kann 100 jähre hallen, die Wetterseite immerhin 40- 50 Jahre. Während das Reel bis weil in unser lahrhundert hinein in Feuchtgebieten entlang der Nordseeküste geernlel wurde, wird es heute überwiegend aus Ungarn oder Österreich importiert.
»Wie das Blau des Himmels nach dem Regen«
Im Innern des uthländischen Hauses teilte eine Diele, die quer durch die Mitte des Hauses lief, den Wirtschaftsbereich mit Dreschtenne, Heuschober und Stall von der Wohnseite mit Küche, Kammer, Wohnstube und Pesel ab. Auf die Ausstattung des Pesels verwandle man besondere Sorgfalt, auch wenn man die gute Stube nur zu besonderen Anlässen nutzte. Der eigentliche Wohn- und Aufenthaltsraum war der sogenannte Dörnsk, der von der Küche aus über einen ßeilegeofcn - den sogenannten Bi-Icgger - geheizt wurde. Im 17. und 18. |h. gingen viele durch Walfang und Handelsschiffahrl zu Wohlsland gekommene Insulaner dazu über, die Zimmerwände mil Fliesen zu verkleiden. Die mit Muschelkalk befestigten Kacheln boten guten Schutz gegen Feuchtigkeit, die der stete Wind bei Nebel und Regen durch die dünnen Wände eindringen ließ. Die Fliesen zeigen meist in blauen und braun-violetten Farben Darstellungen aus der Bibel und Motive aus dem Leben, Menschen, Tiere, Schiffe, Mühlen, Brücken. Besonders beeindruk-kend sind die Bilder von Schiffen und vom Walfang, die aus vielen einzelnen Kacheln zusammengesetzt sind.
Die ursprünglich aus dem Orient stammende Sitte, Wände mit Fliesen zu verkleiden, brachten die Holländer im 17. Jh. aus China mit. Die Hauptfarbe der chinesischen Porzellanmalerei war Blau. Als der chinesische Kaiser Schi Tsung (954-960 n.Chr.) befragt wurde, was für eine Farbe die hergestellten Erzeugnisse haben sollten, antwortete er: »Wie das Blau des Himmels nach dem Regen, wenn es durch die Risse der Wolken sichtbar wird.«
Altes Tafelsilber auf den Halligen
In den Häusern der Inselfriesen finden sich Alltagsgegenslände und Kunstschätze aus aller Welt. Von ihren Reisen brachten die Walfänger und Seefahrer die unterschiedlichsten Kostbarkeiten als Geschenke oder Souvenirs mit nach Hause. Die Mitbringsel wurden als wertvoller Familienbesitz bewahrt und von Generation zu Generation weilervererbt.
Kunstvoll gearbeitete Silberlöffel, Tassen, Tee- und Kaffeekannen aus Porzellan, Glas- und Kristallwaren aus Holland, England, China und anderen Ländern der Welt füllen die Borde schön bemalter Schränke. Hänge- und Standuhren aus Holland, England und Dänemark schmücken manche Wohnstube. Stühle, Sofas, Tische, Schränke und Truhen aus Eiche, Mahagoni oder anderen Hölzern im Stil des Barock, Empire und Biedermeier stammen überwiegend aus Holland. In den Winlermona-ten, wenn man in den niedrigen Friesenstuben beim schwachen Lichtschein der Öllampen zusammensaß und sich von den Seefahrten und -abenteuern erzählte, dienten die mitgebrachten Kunstschätze als Anschauungsmaterial. Bei den wechselseitigen Besuchen, auch »Apscttcn« (Aufsitzen) genannt, trafen sich die Frauen, um Pullover zu stricken, Wolle zu spinnen und zu kardicren, die dabeisitzenden Männer fertigten Stricke aus Dünenhalm. Sagen und Anekdoten wurden crzähll. Einige der alten, gemütlichen Friesenstuben haben sich bis in die heulige Zeit erhalten. Wunderschöne und darum auch vielbesuchte Beispiele sind der »Königspesel« auf Hoogc (s. S. 169 f.), die »Friesenstube« (Honkenswarft; s.S. 166) und das Kapitän-Tadsen-Haus (Ke-telswarft; s. S. 165 f.) auf Langeneß.
Sprache, Brauchtum und Trachten
Die unterschiedliche geschichtliche und wirtschaltliche Entwicklung der einzelnen Inseln und Halligen führte zu einer ungewöhnlichen Vielfalt an Sprachen, Bräuchen und Trachten in einem räumlich eng begrenzten Gebiet. Bis ins 18. |h. hinein war die patronymische Namensgebung üblich, d. h. die Nachnamen der Kinder wurden aus dem Vornamen des Vaters gebildet: Die Kinder von Momme, Peter und Hans hießen dann Mommsen, Petersen und Hansen. Um Verwechslungen zu vermeiden, gab es sogenannte Oe-kel- oder Noeckernamen, die meist den Beruf oder eine Eigenschaft des Namenträgers hervorhoben - diese Tradition hat sich bis heute erhallen.
Sprachenvielfalt
Die ursprüngliche Sprache der Insel- und Halligbewohner, das Friesische, ist kein Dialekt, sondern wie Englisch und Deutsch (Niederdeutsch und Hochdeutsch) eine selbständige, westgermanische Sprache. Im Friesischen gibt es zahlreiche Übereinstimmungen mit dem Englischen. In der Sprache der Inseln Föhr und Amrum findet man beispielsweise folgende Worte: kaai (engl, »key«) Schlüssel, daai (»day«) Tag, sliap (»sleep«) schlafen. Kerngebiete des Nordfriesischen mit insgesamt neun recht unterschiedlichen Dialekten sind heute Amrum, Wcsterlandföhr, Ost-Sylt, Helgoland und auf dem Festland die Region um Niebüll. Es gibl keine einheitliche Bezeichnung für das Friesische: Die Syltcr sprechen Sölring, die Föhrer fering, die Amrumer öömrang und die Helgoländer Halunder. (Auch in der Groß- und Kleinschreibung herrscht keine Übereinstimmung.) Auf den Marscheninseln Pellworm und Nordslrand wird schon seit lahrhunderlen kein Friesisch mehr gesprochen. Nach der Sturmflut von 1634, die die alte Insel Strand zerslörle, wanderten viele Bewohner ab, zugleich kamen viele des Deichbaus kundige Niederländer nach Nordstrand.
Das Friesische hatte es schwer, sich als Schriftsprache durchzusetzen, da es nie Kirchen- oder Amtssprache war. Erst seit den 70er Jahren dieses lahrhunderts engagieren sich die Friesen verstärkt für ihre Sprache, die im Aussterben begriffen war. Die Sprachpflege auf den Inseln tragen im wesentlichen örtliche Heimatvereine: auf Sylt die Söl'ring Foriining (Syltcr Vereinigung), auf Föhr der Fering Ferian (Föhrer Verein) und auf Amrum der Öömrang Ferian (Amrumer Verein). Anlaul'slelle und Stützpunkt für den friesischen Sprachkampf ist das bereils 1965 gegründete Nord-friisk Institut in Bredstedt, die zentrale Einrichtung für die Pflege, Förderung und Erforschung der friesischen Sprache und Kultur. An der Landesuniversität in Kiel wurde eine Friesisch-Professur eingerichtet, ab 1978 entstanden hier Ge-brauchswörlerbücher und Lehrmittel für den Friesischunterricht. Seit Mitte der 80er lahre wird an den Grund- und Hauplschulen des gesamten Sprachgebiets wieder Friesisch unterrichtet. Der Interessen der Nordfriesen wird mittlerweile auch in der Landesverfassung gedacht: Artikel 5 garantiert der friesischen Volksgruppe Schulz und Förderung ihrer Sprache und Kultur.
»Weadke teare! Weadke teare!«
»Wotan zehre! Wolan zehre!« -pflegten Frauen und Männer noch im vergangenen Jahrhundert beim Tanz um die Biikefeuer auszurufen. Die Biikefeuer (von Bake = Feuerzeichen) brannten von altersher in der Nacht vor dem 22. Februar. In uralter heidnischer Zeit weihten die abreisenden Seefahrer und Krieger Weda oder Wotan dieses Opferfest. Als sich die Inselfriesen im 17. und 18. )h. auf Grönlandfahrt begaben, verband man die alte Kulthandlung mit einem Abschiedsfest und einer Volks- und Gerichtsversammlung (Thing). Vor der Abreise zur Wal- und Robbenjagd ins Eismeer, von der viele Männer nicht heimkehrten, mußten alle notwendigen Rechtsfragen geregelt, Verbole und Bekanntmachungen verkündel werden. Als zu Beginn des 19. Jh. die Grönlandfahrten eingestellt wurden, veranstalteten zunächst nur noch Kinder das Biikebrcnnen. Heute feiern die Großen gerne wieder mit, viele junge Mädchen legen zum Biike-brennen ihre Festtagstracht an. Der Charakter eines Abschiedsfestes isl geblieben, heute wird mit dem Büken der Abschied des Winters gefeiert - ausgediente Tannenbäume und Baumschnitt werden entsorgt. Wenn der Holzstoß abgebrannt ist, trifft man sich zum deftigen Grünkohlcssen mit Kasseler und Schweinebacke, Teepunsch und Grog. Die Schulkinder haben am nächsten Tag frei.
Ein alter Volksbrauch ist auch das Rummelpottlaufen (auf Am-rum auch HuIken genannt). Am Silvesterabend ziehen Kinder nach Einbruch der Dunkelheit von I laus zu Haus. Sie sind maskiert und verkleidet, wünschen in den Häusern ein gesegnetes Neues Jahr und bitten mit Gedichten und Sprüchen um eine milde Gabe. Früher spielten sie aul lauten Instrumenten, daher der Name Rummelpott.
Ein beliebter Brauch ist das Ringreiten, dessen Wurzeln möglicherweise in mittelalterlichen Ritterturnieren zu finden sind. Das älteste Ringreitercorps besteht seit 1861 auf Sylt. Auf den im Sommer stattfindenden Turnieren stechen die Reiter in vollem Galopp mit einer Holzlanze einen am Seil hängenden Ring herunter, der im Laufe des Turniers in zwei Schritten durch kleinere ersetzt wird. Die Treffsichersten werden als König, Kronprinz und Prinz gefeiert. Der König wird zum nächsten Fest vom Ringreiterverein zu Pferd und mit Musik abgeholl.
Trachten
Aus der Zeit um 1600 stammen die ältesten Nachrichten über die Volkstrachten der Nordfriesischen Inseln. Zu jener Zeit sind die Trachten sehr schlicht und schmucklos. Die Landwirtschaft ist noch wenig entwickelt, der Boden nicht so fruchtbar wie in der Marsch, die Grönlandfahrt hat noch nicht begonnen. Mit dem wachsenden Wohlstand im 17. und lö. Jh. werden die Trachten farbenprächtiger, stoffreicher und kostbarer. Silber und Gold in Form von Brustschmuck, Mantelschließen, Gürtel-verzierungen usw. künden vom Reichtum seiner Trägerin. Mit der Verarmung der Inseln zu Beginn des 19. Jh. werden die feinen, oft aus Samt und Seide gewirkten Rök-ke abgeschafft, man kleidet sich wieder in handgefertigte wollene oder halbwollene Stoffe. Gegen Mitte des 19. |h. treten auf Amrum und Föhr die Vorläufer der heutigen Tracht auf: Die Schultern bedeckt ein großes Fransentuch, eine große, meist weiße, feinverzierte Schürze wird um den dunklen, langen Rock getragen. Um den Kopf wird ein Tuch gebunden, das mit Blumen bestickt und an den Rändern mit Fransen geschmückt ist. Auffällig ist der große, silberne Föhringcr Brustschmuck mit kunstvoll verzierten Befestigungshaken, zarten Silberketten und in Silberfiligran gearbeiteten Zierknöpfen. Der Schmuck ist auf einen samtenen Latz genäht, der als Ganzes angelegt wird.
Wahrzeichen der farbenfrohen Sylter Tracht mit einem etwas über knielangen weißen Rock, einem roten Oberteil und roten Strümpfen ist die schwarze Haube (Huif). Sie ist etwa 20 cm hoch und oben breiter als unten. Die Helgoländer Frauen tragen ein schlichteres Häubchen (Hülnduk) aus Brokat, in das eine l.einenhaubc mit weißer Spitze eingenäht ist. Ihre Tracht besteht aus einem roten Wollrock, über den eine buntgemusterte Bluse und eine Schürze aus Baumwollstoff, Brokat oder Seide getragen wird. Das Brusttuch wird vom Herzchen (Hartjen), einem herzförmigen Silberschmuck, zusammengehalten. Die Männertracht ist eine Seemannskluft mit langer schwarzer Tuchhose, einem dunkelblauen Pullover und darüber einem blauweiß gestreiften Hemd (Pastrunt-jen). Noch aus englischer Zeit stammt die schottische Mütze (Skottsk Kwap). Auf den anderen Inseln entwickelte sich keine typische Männertracht, die seefahrenden Männer orientierten sich an der Mode, die sie in den europäischen Hauptstädten kennenlernten. Auf den Marscheninscln verschwanden die alten Trachten bereits nach der Zerstörung von Alt-Nordstrand in der Mitte des 17.Jh. Die heutigen Pellwormer und Nordstrander Trachten wurden in den 70er Jahren des 20. jh. nach alten Vorbildern neu entworfen.