Das Schweigen der Hämmer
tssen, mit rund 600 000 Einwohnern die bevölkerungsreichste Stadt des Reviers und zugleich sechstgrößte Deutschlands, hat sich innerhalb weniger Jahrzehnte vom Bergbauort zum attraktiven Schaufenster des Ruhrgebiets entwickelt. Ihr äußeres Bild zeigt sich dreigeteilt: Während im Norden ehemalige Zechenanlagen das Bild bestimmen, von denen viele unter Denkmalschutz stehen, präsentiert sich die City mit ihren großzügig angelegten Fußgängerzonen und Ladenpassagen als eine der Einkaufsmeilen des Reviers. Die Region südlich der Autobahn A 52 bietet wiederum ein völlig anderes Bild. Hier ist die grüne Lunge der Stadt. Am Baldeneysee und entlang den Ruhrauen hat sich eine attraktive Naturlandschaft erhalten bzw. wurde in den letzten Jahrzehnten wiederhergestellt.
Obwohl Essen im Krieg zu fast 80% zerstört wurde, zeigt sich die Stadt heute von ihrer besten Seite. Viele alte Gebäude aus der fast 1200-jährigen Geschichte sind vorbildlich wieder aufgebaut worden. Ein Spaziergang durch die Innenstadt steckt voller Überraschungen: Moderne Architektur der repräsentativen rwaltungsgebäude konkurriert mit romanischen Kirchen, Fabrikhallen verwandeln sich in Musical Halls, und manchmal stößt man auf wunderbare Fachwerkidyllen. Neben den Einkaufszonen sind es auch eine Vielzahl von internationalen Messen, Wirtschaftskongressen, Kulturveranstaltungen sowie Kunstausstellungen, die jedes Jahr rund 800 000 Gäste anziehen.
Geschichte
852 gründete Bischof Altfried von Hildesheim, ein rtrauter König Ludwigs des Deutschen, auf seinem Gut Assnidi ein Kanonissenstift für die unverheirateten Töchter des sächsi- sehen Hochadels - die Keimzelle Es- sens. Bereits 796 hatte der Benediktinermönch Liudger im heutigen Stadtteil Werden ein Kloster ins Leben gerufen, aus dem später die Werdener Abtei entstand. Während des Dreißigjährigen Krieges wurde die Stadt gleich zweifach verwüstet. Zum einen brach der Konflikt zwischen den evangelisch gewordenen Bürgern und dem katholischen Kloster offen auf, zum anderen hinterließen die durchziehenden Heere ihre Spuren.
Trotz einiger wirtschaftlicher Erfolge, insbesondere aufgrund des florierenden Büchsenmachergewerbes, blieb Essen bis ins 19. Jh. eine Kleinstadt. 1803 wurde es preußisch, und die neuen Herrscher förderten das Gebiet nach Kräften. Alfred Krupp (s. S. 73) baute seinen Konzern auf Kohle und Stahl auf, und vom Anfang des i8.Jhs. bis zu seinem Todesjahr stieg die Bevölkerungszahl Essens von 5000 auf über 75 000. Auch die Infrastruktur wurde weiter ausgebaut, und Essen entwickelte sich rasch zur Metropole des westlichen Ruhrgebiets.
Als »Waffenschmiede des Reiches« gelangten Ort und Industrie während der NS-Zeit zu traurigem Ruhm, für den sie schwer bezahlen mussten: Während des Krieges verheerten Z72 Bombenangriffe die Stadt, die dadurch fast 50% des Wohnungsbestandes verlor. Von 1946 bis 1949 leitete der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann als Oberbürgermeister den Wiederaufbau. 1956 galt Essen mit 22 Zechen als die größte Bergbaumetropole in ganz Europa.
Angesichts der Strukturkrise im Bergbau begannen die Stadtväter in den 1960er Jahren, sich ein neues Image zu verschaffen: Fortan galt Essen als Einkaufs- und Messestadt und eröffnete 1972 auch eine eigene Universität. Bergbau und produzierendes Gewerbe gingen weiter zurück; die Schließung der Zeche Zollverein beendete im lahre 1986 die fast 700-jährige Bergbaugeschichte der Stadt. Handels- und Dienstleistungsfirmen siedelten sich seitdem verstärkt an: 1999 waren schon 75 % aller Beschäftigten auf dem Dienstleistungssektor tätig.
Stadtrundgang
Der Rundgang beginnt im Westen am Berliner Platz, direkt gegenüber einer ehemaligen Fabrikhalle, dem Colosseum Theater Essen O. In der Halle, die mit ihrer hoch aufragenden gründerzeitlichen Fassade die Umgebung beherrscht, werden seit 1996 Musicals (s.S.26) aufgeführt. Links davon erhebt sich unübersehbar das größte Multiplexkino des Ruhrgebiets: das CinemaxX: 16 Kinos bieten hier 5200 Besuchern Platz.
Mit dem Filmpalast im Rücken überquert man die mehrspurige Ostfeldstraße, biegt links ab und steht vor dem größten Kaufhaus der Stadt -dem KarstadtgebäudeO. Seit 1912 stand hier ein Warenhaus, aus dem später der Karstadt-Konzern hervorging. Heute ist Essen Hauptverwaltungssitz des größten europäischen Warenhauskonzerns.
Wenige Schritte weiter beginnt die Limbecker Straße, neben der Kettwiger Straße eine der beliebtesten und umsatzstärksten Einkaufsmeilen der Stadt.
Altstadt mit Superlativen
Am Ende der Limbecker Straße liegt der Kornmarkt O, der, wie es im mittelalterlichen Essen üblich war, ebenso wie Flachsmarkt, Gänsemarkt und Pferdemarkt seine schon aus dem Namen ersichtliche spezielle Aufgabe hatte. Die Marktkirche, bereits im u.Jh. erwähnt, wechselte während der Reformationszeit mehrmals die Konfession und wurde 1630 endgültig evangelisch.
Ein paar Schritte weiter hat man dann einen guten Blick auf das City-Center O, ein modernes Einkaufszentrum, und auf zwei Superlative: die Alte Synagoge 0 und das Essener Rathaus O. Mit 106 m ist das 1979 eröffnete Rathaus das höchste in Deutschland. Mit der steinernen Fassade aus sardischem Granit und einer nicht unumstrittenen rtäfelung aus afrikanischem Wengeholz hat der Rat der Stadt nicht gekleckert, sondern richtig geklotzt.
Südlich vom neuen Rathaus am Porscheplatz steht die 1913 erbaute Synagoge, seinerzeit das größte jüdische Gotteshaus in Deutschland. Der gewaltige Kuppelsaal aus Muschelkalk, der über 1400 Gläubigen Platz bot, ist über 70 m lang und 34 m hoch. Die restaurierte Synagoge ist seit 1980 Gedenkstätte mit Dauer- und Wechselausstellungen. Eine Inschrift weist auf die Judenverfolgung während des Dritten Reichs und auf die Mitverantwortung jener Bürger hin, die fast ohne Widerspruch die Deportation ihrer jüdischen Nachbarn mitansahen.
Weiter zum Münster Auf dem Kennedyplatz findet alljährlich im Dezember ein stimmungsvoller Weihnachtsmarkt statt. Linker Hand steht das Europahaus O. Der Bau von 1952 war ein Geschenk der USA. Es dient heute u. a. kulturellen Zwecken.
Im Europahaus gibt es neben einem Cafe auch die Cocktailbar Doc's Bar (Do-Sa 19-l Uhr, jeden zweiten Mittwoch Jazz) und das beliebte Kabarett, in dem oft die Kultfigur Dr. Stratmann in der Hauptrolle auftritt.
Besuchenswert ist auch das Re-staurant Stratmanns, Kennedyplatz 7, Tel. 82040-20-60, das mit einer schönen Terrasse und interessanten Sonderarrangements aufwarten kann.
Direkt am Kennedyplatz lädt auch der Szenetreffpunkt Cafe
Extrablatt zu einem schnellen Capuccino oder Espresso ein.
An der Treppe, die vom Kardinal-Hengsbach-PlatzO aus zur Kettwiger Straße und zum Burgplatz führt, steht eine Säule mit einem goldenen Hahn auf der Spitze. Ursprünglich war dieses Monument am Kornmarkt als ein Mahnmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten aus Essen aufgestellt worden. Der Hahn auf seiner Säulenspitze erinnert jedoch an eine alte Essener Legende, die besagt, dass im Mittelalter ein »wachsames Hähnchen« die Bürger mit seinem Krähen vor eingedrungenen Dieben und Räubern gewarnt habe.
Münsterstadt Essen
Über den Kardinal-Hengsbach-Platz erreicht man nach wenigen Metern das historische Zentrum, ja die eigentliche Keimzelle der Stadt: den Burgplatz mit dem Essener Münster und der vorgelagerten St.-Johannis-Kirche®. Beide Gotteshäuser sind durch ein Atrium mit romanischen Säulenarkaden (11. Jh.) verbunden. Die Johanniskirche (auch Anbetungskirche) diente ursprünglich als Taufkirche des Stifts und ist ein spätgotischer Hallenbau (1471). Im barocken Innenraum sind das Taufbecken und der ehemalige Sakramentsaltar des Münsters sehenswert. Auf dem letzten der vier Altarbilder wird die Kreuzabnahme Christi dargestellt; im Hintergrund ist die älteste Stadtansicht Essens (von 1528) zu erkennen.
Der Gesamteindruck lässt Münster und St.-Johannis-Kirche als eine einzige Anlage erscheinen, was typisch für mittelalterliche Kirchenbauten war. Man betritt die Anbetungskirche gewissermaßen als »Vorkirche«, als Ort der Reinigung und Läuterung, und gelangt dann durch das Atrium in die Hauptkirche - das Münster.
Schon beim Betreten des Münsters wird die Dreiteilung von karolingi-schem Westwerk, dreischiffigem Langhaus und Querschiff deutlich. Sehenswert ist im Mittelschiff der 2,30 m hohe siebenarmige Leuchter, eine Nachbildung des jüdischen Leuchters aus dem Tempel in Jerusalem. Er besteht aus rund 40 Einzelteilen und wurde wahrscheinlich um 1000 in Konstantinopel gefertigt. In der nördlichen Seitenkapelle steht die älteste vollplastische Marienfigur des christlichen Abendlandes. Die ca. 70 cm hohe ausdrucksstarke Plastik, um 990 geschaffen, besitzt einen Holzkern und wurde mit Goldblech überzogen.
Ein Blick in die Domschatzkammer rundet den Besuch erst ab. Hier befinden sich neben der Krone Ottos III. reich verzierte Vortragekreuze aus dem 10./11. Jh., diverse Reliquien und ein karolingisches Evangeliar.
Bevor man wieder in den geschäftigen Trubel der Fußgängerzone eintaucht, sei jedem Besucher noch der Kreuzgang des ehemaligen Stiftes empfohlen. Mit dem gepflegten Garten und seinem alten Baumbestand stellt er quasi eine andere Welt, einen Ort der Zuflucht dar. Eine Tafel an der Westseite erzählt von der Geschichte des Stifts und seiner Bewohnerinnen.
Wer mehr über Essen und seine rgangenheit erfahren möchte, der kann in der Buchhandlung Baedeker®, gegenüber dem Münster, seinen Wissens- und auch Kaffeedurst stillen. Die uren an der Fassade symbolisieren Kunst, Arbeit, Wissenschaft und Handel.
Kinostadt Essen
Weiter auf der Kettwiger Straße, vorbei am Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. und dem Lichtburggebäude®, erreicht man die Kreuzung I. Dellbrügge/Kettwiger Straße. Die Lichtburg war in den 1930er Jahren mit 1600 Plätzen größtes deutsches Lichtspielhaus, nach dem Krieg das berühmteste Premierenkino der Republik. Hier waren internationale Stars zu Gast; Berühmtheiten wie Gregory Peck, Curd Jürgens, Louis Armstrong, Lex Barker und Klaus Kinski besuchten das Kino anlässlich der Erstaufführungen ihrer Filme. Auch heute dient die aufwendig restaurierte Lichtburg noch als Kino, Theater, Jazzclub und Kabarett, obwohl auch andere Nutzungskonzepte diskutiert werden.
Theaterstadt Essen
Von der Lichtburg kann man rechts bereits das älteste Schauspielhaus des Ruhrgebiets sehen, das von dem Industriellen Friedrich Grillo gestiftete Grillo-Theater ©. Bis 1989 diente das neoklassizistische Gebäude am Theaterplatz als Aufführungsort für Schauspiel und Oper. Nach der Eröffnung des Aalto-Theaters (s. S. 71) im südlich gelegenen Stadtgarten wurde 1990 für das Grillo-Theater das Konzept des »Raumtheaters« entworfen. Die Bühne reicht dabei in den Zu schauerraum hinein, so dass die Schauspieler an jedem beliebigen Punkt des 400 Sitzplätze umfassenden Raumes agieren können. Zusätzlich gibt es im Obergeschoss noch ein Studiotheater, eine Buchhandlung sowie das Cafe Central. (Tel. 812 20; Karten: Tel. 812 22 00.)
Direkt gegenüber erhebt sich ein markanter Ziegelbau aus den 1930er Jahren. Der Block an der Rathe-naustraße wurde 1985 entkernt, und es entstand die Theaterpassage©, die neben exklusiven Geschäften und anspruchsvoller Gastronomie das einzige Plakatmuseum Deutschlands beherbergt. Auf über 500 m' Ausstellungsfläche werden in wechselnden Ausstellungen Plakate vom 18. Jh. bis in die Gegenwart gezeigt. Das Museum beherbergt über 120000 Exponate (Öffnungszeiten: Di-So 12 bis 20 Uhr; Tel. 224266).
Ebenfalls in der Theaterpassage sind die Studiotheater Casa Nova I und II untergebracht.
Westlich der Passage und in Sichtweite des Grillo-Theaters lohnt sich noch ein Abstecher zum Hirschlandplatz. An seiner Westseite steht das 1929 errichtete Deutschlandhaus, in dem u. a. die Lindengalerie mit attraktiven Geschäften, Galerien und Restaurants untergebracht ist. Am Ende der Rathenaustraße liegt der wichtigste rkehrsknotenpunkt der Stadt - der Willy-Brandt-Platz mit dem Blick auf den Essener Hauptbahnhof.
Schaut man nach Norden in die Kettwiger Straße hinein, fällt einem das wuchtige Sandsteingebäude auf der rechten Seite auf: der Handelshof. Schon seit 1952 prangt der Slogan »Essen - die Einkaufsstadt« in Form einer großen Leuchtreklame auf dem Dach. Heute beherbergt das Gebäude ein Hotel und die Essener Touristikzentrale.