Abbau regionaler Disparitäten hieß vor Jahrzehnten plakativ eine Zielsetzung, die auf den rschiedenen Ebenen raumbezogener Planung und Politik im Vordergrund stand.
Mit dieser Zielsetzung sollte bestimmten Vorgaben des Grundgesetzes entsprochen werden, wie dem Sozialstaatsgebot (Art. 20, Abs. 1) bzw. der Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensrhältnisse (Art. 72, Abs. 2). Ende der 1960er Jahre begann ein Prozeß des Wandels dieser Zielstellungen: aus der Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensrhältnisse wurde das Ziel der Schaffung Gleichwertiger Lebensbedingungen (Fürst/Ritter 1993, S. 36). Das Gewicht, das der Zielsetzung Abbau von Disparitäten beigemessen wurde, hat sich mit der Zeit beträchtlich rändert. Außerdem haben sich die inhaltlichen Schwerpunkte bei der Definition der Einheitlichkeit bzw. Gleichwertigkeit der Lebensrhältnisse im Laufe der Zeit erheblich rschoben. Beispielsweise ist der Abbau regionaler Disparitäten zwischen Ost- und Westdeutschland heute das wichtigste raumerische bzw. raum-entwicklungspolitische Thema.
Die anfängliche Leitvorstellung (der Leitbilddiskussion) der 1950er Jahre für die räumliche Ordnung war stark von einem humanistisch-liberalen Weltbild einer 'sozialen Ordnung' geprägt (Fürst/ Ritter 1993, S. 14). Die Entwicklung der Wirtschaft war an diesem Leitbild allerdings kaum orientiert. In den Verdichtungsräumen wurden in den 1960er Jahren erste Engpässe für das Wachstum sichtbar, und es kam zu einer Welle der Gründung von rlängerten Werkbänken in den ländlich geprägten Räumen. In diesem Zusammenhang war das Zentrale-Orte-Modell zu einem dominierenden raumgestalterischen Konzept ausgebaut worden, mit dem man meinte, regionale Disparitäten abbauen und den Arbeitsmarkt im ländlichen Raum erschließen und absichern zu können.
Regionale Disparitäten in der raumbezogenen Planung und Politik
Entstehung regionaler Förderpolitiken zum Abbau regionaler Disparitäten
In der Entwicklung des Ausgleichsgedankens, der mit dem Schlagwort regionale Disparitäten verbunden ist, sind seit Ende der 1950er Jahre zwei Entwicklungsrichtungen zu unterscheiden, und zwar - grob gekennzeichnet - eine Regionalförderung der reinen Versorgungsorientierung und eine Förderung, die primär auf den Produktionsbereich orientiert war.
Die Ausrichtung auf den Bereich der Produktion ging aus einer Politik (seit Beginn der 1950er Jahre) hervor, die der Behandlung regionaler bzw. punktueller Notstandslagen gegolten hatte. Sie wandelte sich zu einer industriebezogenen Politik, die zusätzliche außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze in agrarisch bestimmten Gebieten schaffen sollte. Schon 1959 wurde in diesem Zusammenhang mit Hilfe des Zentrale-Orte-Pro-gramms (später Bundesausbauorte) eine Konzentration der Förderung im Sinne räumlicher Schwerpunktbildungen vorgenommen.
Die nächste konzeptionelle Neuorientierung dieses Förderansatzes hatte als Auslöser den ersten schwerwiegenden konjunkturellen Einbruch von 1966/67. Durch die Einbeziehung monostrukturierter Industriegebiete verschoben sich die Förderpräferenzen zu Lasten der dezentral gelegenen ländlichen Räume. 1969 wurden Regionale Aktionsprogramme im Sinne der Zusammenfassung der einschlägigen Maßnahmen von Bund und Ländern entwickelt. Dabei entstand u.a. die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW). Zu diesem ausgleichspolitischen Programm der Regionalpolitik gehörten charakteristische Indikatoren, um die Abgrenzung der Fördergebiete langfristig überprüfbar zu gestalten. Die Diskussion über die anzuwendenden Indikatoren und ihre gegenseitige Verrechnung war damals und ist heute noch mit Konflikten verbunden. Einige Indikatoren hatten sich aber schon früh als konsensfähig herausgestellt. Dazu gehörte das 'Bruttoinlandsprodukt' als Maß für den jeweiligen regionalen Wohlstand, die 'Arbeitslosenquote' als Maß für Arbeitsmarktdefizite und schließlich 'Löhne und Gehälter je Beschäftigten' als Maß für die Qualität der Arbeitsplätze. Später trat ein 'Infrastrukturindikator' hinzu.
Neben dieser Förderprogrammatik der regionalen Wirtschaftspolitik wurde dem Versorgungsziel durch eine Raumordnungspolitik entsprochen, die expressis verbis auf die Herstellung oder Wahrung einer menschengerechten Umwelt gerichtet war. Mit diesem Ansatz - wie er dann in rahmensetzenden Konzepten und Programmen, z.B. dem Bundesraumordnungsprogramm (BROP) von 1975, zum Ausdruck kam - sollte Tendenzen in der Industriegesellschaft Rechnung getragen werden, wie der arbeitsteiligen Ausdifferenzierung und der räumlichen, der interregionalen funktionsräumlichen 'Arbeitsteilung1. Es sollte - komplementär -eine räumliche Ordnung und Verteilung angestrebt werden, mit der die sozialen Kosten, die mit jenen Tendenzen verbunden waren, verringert werden konnten.
Das rahmensetzende Raumentwicklungskonzept für das BROP von 1975 war das des 'Ausgeglichenen Funktionsraumes', ein Kompromiß zwischen dem versor-gungsorientierten Zentrale-Orte-Ansatz und dem wachstumsorientierten Entwicklungsschwerpunktkonzept. Der Kerngedanke des Ansatzes war, wirtschaftliche und infrastrukturbezogene Aktivitäten dezentral zu verdichten (Basis: Modell der Wachstumspole), gleichzeitig aber Regionen entstehen zu lassen,
- die, konzentriert auf das jeweilige Oberzentrum der Region, einen ausreichend komplexen Arbeitsmarkt bilden würden,
- die alle Daseinsgrundfunktionen in Mindestausstattung in interner funktionsräumlicher Arbeitsteilung beherbergen würden und
- mit denen, durch Kombination von hochwertigem Arbeitsmarkt und hochwertiger Versorgung mit Daseinsfunktionen, die erzwungene Abwanderung auf ein Minimum hätte reduziert werden können.
Indikatoren und Mindeststandards zur Bestimmung regionaler Disparitäten
Um die Einhaltung von Mindeststandards regionaler Versorgung zu gewährleisten bzw. meßbar zu machen, wurden gesellschaftliche Indikatoren definiert, und es wurden versuchsweise Sollwerte festgelegt, mit denen die Erreichung und Einhaltung besagter Mindeststandards hätten kontrolliert werden können. Die Sollwerte sollten nicht - wie immer wieder polemisch und fälschlich von den Gegnern ausgleichender Raumpolitik behauptet - auf die Herstellung annähernd gleicher Verhältnisse in allen Regionen hinauslaufen. Sie sollten lediglich die aus Gründen der Gerechtigkeit wirklich notwendige Mindestversorgung der Bürger kennzeichnen; sie sollten regionale Differenzierungen oberhalb von absoluten Mindestniveaus keinesfalls ausschließen, sondern die regionalen Besonderheiten auf jeden Fall berücksichtigen (vgl. Storbeck 1982, S. 222).
Die normativen Aussagen des BROP sollten sich u. a. an einer Analyse der raumstrukturellen Ausgangslage orientieren, die folgende Merkmale aufwies:
- Sie enthielt an erster Stelle eine Infrastrukturanalyse.
- Regionale Unterschiede im erwerbsstrukturellen Bereich wurden über die Werte des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf der Wirtschaftsbevölkerung ermittelt sowie anhand der Lohn-und Gehaltssummen je abhängigem Beschäftigten insgesamt sowie im Verarbeitenden Gewerbe und Bergbau ermittelt.
- Es wurden zudem Gebietseinheiten mit besonderen Schwächen in der Siedlungsstruktur ausgewiesen.
- Schließlich wurden die regionalen Wanderungsverluste als eine Art zusätzlicher Gesamtindikator für räumliche Strukturschwächen in die Analyse einbezogen.
Interregionale Unterscheidungen mit Bezug auf die Umweltsituation konnten im BROP noch nicht vorgenommen werden.
Seitdem hat nun eine Vervielfältigung der Zahl der einschlägigen Indikatoren stattgefunden - bis hin zum Aufbau eines komplexen Systems Laufender Raumbeobachtung auf der Bundesebene (in der BfLR) und Länderebene. In der Zwischenzeit haben auch große Veränderungen in den Grundauffassungen über die Aufgaben raumbezogener Politik und Administration und deren Ausfüllung Platz gegriffen (vgl. Kap. 8.3).
Die hauptsächlichen Entwicklungsdisparitaten im Raum der Bundesrepublik Deutschland
Disparitätenmuster quer zum Raster der traditionellen Raumkategorien ?
Wenn es nach Aussagen der Zukunftsforschung der 1960er und frühen 1970er Jahre gegangen wäre, müßte sich unsere Gesellschaft schon Ende der 1980er Jahre sehr tief im Zustand einer postindustriellen Gesellschaft befunden haben. Man sprach vom Übergang in die sogenannte Dienstleistungsgesellschaft, durchdrungen von einem Ethos sozialer Verantwortung, sozialer Wohlfahrt und von Dienstleistungsidealen. Dieser Optimismus ist heute verflogen. Von einem Verschwinden von Entwicklungsdisparitäten im Raum der Bundesrepublik Deutschland kann nicht die Rede sein (vgl. unten), und dies nicht nur als Folge der Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten. Eine Tertiärisierung von Wirtschaft und Gesellschaft im Zusammenhang mit einer De-Industrialisierung, wie der Hypothese von der postindustriellen Gesellschaff implizit, bedeutet keinesfalls ein Absterben der Ordnung des Industrialismus: Die Hinausverlagerung von Industrien in andere, vor allem außereuropäische Länder heißt vielmehr, daß die Wirtschaftsordnung des Industrialismus immer noch nicht ihren Kulminationspunkt erreicht hat. Die von Hirsch (1985) vorausgesehene Industrialisierung des Tertiären Sektors ist in vollem Gange. Früher als nicht rationalisierbar erscheinende Formen von Dienstleistungsund Kopfarbeit werden weitgehend appara-tisiert und industrialisiert, womit es (wie im Verlauf der vorhergehenden Industrialisierung) zu kräftigen Schüben an 'Freisetzung' von Arbeitskräften kommt. Hirsch spricht in diesem Zusammenhang von Hyper-industrialisierung.
Auch die künftigen gesellschaftlichen Entwicklungen werden von den - noch stärker negativen - Rahmenbedingungen im Bereich von Beschäftigung und Arbeitsmarktentwicklung geformt sein und, in diesem Kontext, von einer verstärkten Zweiteilung von Wirtschaft und Gesellschaft (vgl. Kap. 8.3). Diese würde sich wiederum in stärker dualisierten Raumstrukturen niederschlagen (vgl. IRPUD 1992). Tendenzen dieser Art zeichnen sich hierzulande inzwischen auch konkret ab (vgl. u. a. BfLR 1997). Von einer größeren räumlichen Ausgeglichenheit - also geringeren räumlichen Disparitäten - wird also in der näheren bis ferneren Zukunft nicht die Rede sein können. Eher scheint das Gegenteil der Fall zu werden.
Dabei verlaufen die Grenzen zwischen den gutgestellten und den immer weiter zurückbleibenden Gebieten nicht mehr nur den traditionellen Trennungslinien siedlungsstruktureller Raumkategorien entlang. Das neue Disparitätsmuster 'schneidet' vielfach die herkömmlich genutzten Raumkategorien: Die neuen Grenzlinien zwischen wirtschaftlichen und sozio-Ökonomischen Entwicklungsrichtungen und -geschwindig-keiten verlaufen nun auch zwischen den Regionen ein und desselben Typs, wie auch in den folgenden Kapiteln deutlicher vor Augen geführt werden kann.
Die hauptsächliche Veränderung des Musters der Disparitäten im deutschen Staatsraum rührt aber von der Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten her. Diese Disparitäten werden im folgenden im Vordergrund stehen.
Entwicklung der Ost-West-Disparitäten
Der Entwicklungsstand in den Gebieten der beiden ehemaligen deutschen Teilstaaten ist immer noch höchst unterschiedlich. Das gilt nicht nur für den Abstand des Bruttosozialprodukts pro Einwohner zwischen Ost und West, sondern auch für die Rahmenbedingungen industrieller und gewerblicher Betriebe sowie für deren Zustand. Der Prozeß wirtschaftlicher Transformation ist noch mit einer Reihe spezifischer Probleme behaftet (u.a. die immer noch unausgeglichene Branchenstruktur, die im Schnitt noch geringere Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, die relativ hohe Arbeitslosigkeit usw.).
Obwohl der Tertiärisierungsgrad z.T. als Maß des Entwicklungsstandes der Wirtschaft verwendet wird, ist für den Wohlstand der Regionen der Sekundäre Sektor, also das Ausmaß industrieller Produktion, nach wie vor eine entscheidende Größe. Im Osten hat der Sekundäre Sektor seit der Wende geradezu dramatische Einbrüche erfahren, die z.T. als 'Deindustrialisierung', d.h. als Verlust der wirtschaftlichen Basis, bezeichnet werden müssen. Neben Thüringen hat sowohl in Sachsen als auch in Sachsen-Anhalt die Zahl der in der Industrie Beschäftigten um mehr als die Hälfte abgenommen; in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und (Gesamt-)Berlin sind immerhin noch Rückgänge von rund 40 % zu verzeichnen. Entsprechend ist die Beschäftigung insgesamt im Sekundären Sektor in den neuen Ländern deutlich niedriger als im Westen (wird einmal von den beiden Stadtstaaten Hamburg und Bremen abgesehen). Noch immer entspricht dem eine höhere Beschäftigung im Tertiären Sektor der neuen Länder. Dies ist jedoch nicht mit 'modernen' Wirtschaftsstrukturen gleichzusetzen.
Von den Problemen, die die ökonomische
Transformation in Ostdeutschland erschwert
haben, sind hauptsächlich folgende zu
nennen (vgl. Gloede 1996):
- Die ostdeutschen Unternehmungen sahen
sich vom ersten Tag der Wiedervereinigung
an einem aggressiven Wettbewerbsdruck
der westdeutschen und westeuropäischen
Wirtschaft ausgesetzt. Es gab kaum die Chance, die drastische Wettbewerbsschwäche rasch zu überwinden.
- Ein wesentlicher Anteil der ostdeutschen Nachfrage konnte durch eine höhere Auslastung der Produktionskapazität der westdeutschen bzw. westeuropäischen Anbieter befriedigt werden; ostdeutsche Güter wurden zunächst kaum nachgefragt.
- Aufgrund der schrittweisen Tarifannäherung der Ostlöhne an die Westlöhne sowie der weiter bestehenden Wettbewerbsschwäche waren die ostdeutschen Unternehmen nicht besonders als Zweigniederlassungen und Zulieferer westdeutscher Unternehmen gefragt. Hinzu kam, daß sich die Löhne in den östlich und südöstlich benachbarten Ländern auf einem viel niedrigeren Niveau befanden und befinden.
Der enorme Rückstand in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Regionen kann nicht in kurzer Zeit aufgeholt werden. Somit ist Ostdeutschland als Ganzes im internationalen Vergleich noch auf längere Zeit als eine strukturschwache Region zu betrachten.
Die anfängliche Massenabwanderung ist zwar abgeebbt, aber nicht gestoppt. Dies stellt unter Gesichtspunkten der Verstärkung großräumiger Disparitäten ein besonderes Problem dar. Vor allem junge und qualifizierte Menschen ziehen fort. Damit werden die Entwicklungschancen vieler Regionen in den neuen Ländern auch weiter nachhaltig beeinträchtigt.
In der Gesamtregion Ostdeutschland bestand eines der Hauptdefizite bei den Standortfaktoren in der veralteten und nicht ausreichend leistungsfähigen Infrastruktur, insbesondere der wirtschaftsnahen Infrastruktur. Besonders gravierende Rückstände gab es zum Beispiel auf den Gebieten Telekommunikation, Qualität des Verkehrsnetzes, Abwasserbeseitigung.
Für einen Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit nord- und osteuropä ischen Staaten sind die Regionen in den neuen Ländern zwar günstig gelegen, doch sind bei der inter- und intraregionalen Erreichbarkeiten über Schiene und Straße noch erhebliche Engpässe festzustellen. Dabei sind es weniger die Netzdichten von Schiene und Straße, die zu schlechten Erreichbarkeiten führen, sondern die qualitativen Mängel. Bedarfsschätzungen für notwendige Infrastrukturinvestitionen in den neuen Bundesländern für den Zeitraum 1991 bis 2005 ergaben einen Gesamtbedarf von annähernd 600 Mrd. DM. Darunter würden allein auf die Verkehrsinfrastruktur gut 300 Mrd. DM entfallen.
Die regionale Arbeitsmarktentwicklung in den neuen Ländern ist - entsprechend zur geschilderten gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - immer noch durch Arbeitsplatzeinbußen und regional konzentrierte Beschäftigungskrisen gekennzeichnet. Welche Gruppierung der Arbeitslosen auch immer betrachtet wird - bei Männern und Frauen, in allen Altersgruppen, sowohl bei den Langzeitarbeitslosen als auch bei den Ausländern, Schwerbeschädigten und Angestellten -, überall liegt das Niveau der Arbeitslosigkeit deutlich über dem westdeutschen Vergleichswert. Am spürbarsten fiel dieser Unterschied in bezug auf die Frauenarbeitslosigkeit aus. Bezogen auf 100 erwerbsfähige Frauen (15-< 65jährige) zählte man in den neuen Ländern mehr als doppelt so viele arbeitslose Frauen wie im Westen. Selbst in strukturschwachen Regionen des Westens liegt die Arbeitslosenquote meist noch unterhalb des ostdeutschen Niveaus (Abb. 8.1). Im Gegensatz zu den alten Ländern bezogen sich die Arbeitsmarktprobleme in den neuen Ländern längere Zeit etwas stärker auf die ländlichen Räume. Der massive Beschäftigungsabbau in Landwirtschaft und Industrie führte hier zum Wegfall eines Großteils der Arbeitsplätze, die bisher durch die neu entstandenen Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich bzw. im Baugewerbe nicht kompensiert werden konnten.
In Ost wie in West erhöhte sich vor allem die Zahl der älteren Arbeitslosen (55 Jahre und älter). Wurden in den neuen Ländern anfangs noch viele ältere Arbeitnehmer durch die umfangreichen Vorruhestands-und Altersübergangsregelungen aufgefangen, so schlugen die schlechteren Arbeitsmarktchancen dieser Altersgruppen nach dem Auslaufen der arbeitsmarkt-entlastenden Maßnahmen auch auf den ostdeutschen Arbeitsmarkt durch.
Die Arbeitslosenquoten spiegeln in den neuen Ländern nach wie vor nur einen Teil der gravierenden Arbeitsmarktprobleme wider. Immer noch sind viele Personen auf Kurzarbeit gesetzt, in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen integriert oder an Fortbildungsund Umschulungsmaßnahmen beteiligt. Ohne derartige arbeitsmarktpolitische Aktivitäten wäre das Ausmaß der Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern noch gravierender. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist in den neuen Ländern das größte Problem.
Gravierende West-Ost-Disparitäten gibt es - trotz Angleichung - nach wie vor bei den Erwerbseinkommen (wie in Abbildung 8.2 durch die Lohn- und Gehaltssumme der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten des Sekundären Sektors ausgedrückt). Die Löhne und Gehälter liegen in den alten Ländern immer noch rd. 20% über denen in den neuen Ländern.
Zusatzproblem: Disparitäten zwischen den Regionen in den neuen Bundesländern selbst
Auch innerhalb der neuen Länder bestehen große Unterschiede in den regionalen Ausgangsbedingungen und Entwicklungsperspektiven. So ist zwar das relativ hohe Qualifikationsniveau als ein besonderes Entwicklungspotential der neuen Länder anzusehen, doch gibt es hierbei beträchtliche räumliche Unterschiede: Das höchste Qualifikationsniveau und breiteste Qualifikationsspektrum wird in den Großstädten und den südlichen industriellen Agglomerationen sowie in den jungen IndustrieStädten des Nordens und in der Mitte der neuen Länder erreicht.
In engem Zusammenhang mit dem regionalen Ausbildungs- und Wissensstand steht das Forschungs- und Entwicklungspotential, das durch die hochqualifizierten Techniker, Ingenieure und Wissenschaftler in den Hochschulen und in der Wirtschaft verkörpert wird. Das Forschungs- und Entwicklungspotential der neuen Länder ist vor allem in den Regionen mit großen Städten konzentriert (Berlin einschließlich Potsdam, Dresden, Halle, Leipzig, Mittel-und Ostthüringen, Chemnitz - Zwickau -Freiberg sowie Rostock, Magdeburg, Frankfurt/Oder). Mit den qualifizierten Arbeitnehmern und den vorhandenen und entstehenden Einrichtungen des Technologietransfers bestehen dort relativ bessere personelle Voraussetzungen für moderne, innovationsorientierte Produktionen als außerhalb der genannten Regionen.
Ausgeprägte Monostrukturen sind hinderliche Voraussetzungen für die notwendigen Umstrukturierungs- und Umorientierungsprozesse in den neuen Ländern. So werden etliche Regionen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt relativ stark einseitig von der Landwirtschaft geprägt. In den Regionen Cottbus und Halle-Bitterfeld dominierten dagegen großindustrielle Monostrukturen.
Bei einer Gesamtbetrachtung der Entwicklungspotentiale und -engpässe in den Regionen der neuen Länder ergibt sich ein klares, aber differenziertes Potentialgefälle von den Großstadtregionen Dresden und Leipzig zu den ländlichen Regionen und Grenzräumen hin.
In den ländlich geprägten Räumen außerhalb der größeren Zentren sind Engpässe vor allem im Bereich Qualifikation/Innovation, bei der Infrastrukturausstattung und Verkehrsanbindung festzustellen. In den ehemaligen Randräumen im Südosten und Westen fallen diese Engpässe mit einer besonders ungünstigen Wirtschaftsstruktur zusammen. In den ländlichen Regionen des Nordens und Nordostens werden die Strukturprobleme zusätzlich von geringer Bevölkerungsdichte sowie der starken Abhängigkeit vom Landwirtschaftssektor geprägt. Ein spezifisches Merkmal der regionalen Beschäftigungsmuster und -trends liegt darin, daß sich auch innerhalb einer Region die Situationen wesentlich unterscheiden können. Viele Kreise weisen gegenüber dem größeren Arbeitsamtsbezirk, dem sie zugeordnet sind, eine wesentlich ungünstigere Beschäftigungssituation auf. Zu diesen Kreisen gehören vorrangig einerseits die Mehrzahl der peripher gelegenen und überwiegend durch die Landbewirtschaftung geprägten Kreise (vorrangig in den Ländern Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg) sowie andererseits Kreise mit altindustrialisierter bzw. monostrukturell ausgerichteter Wirtschaftsstruktur vorrangig in den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Die offizielle Arbeitslosenquote in den neuen Ländern liegt fast doppelt so hoch wie in den alten Ländern. Die höchsten Arbeitslosenquoten liegen bei 20 v. H.; die niedrigsten bei 10 v. H. Zu den Regionen mit einem weit überdurchschnittlichen Niveau der Arbeitslosigkeit zählen z. B. die Regionen Altmark, Rostock und Schwedt/ Eberswalde. In Ostdeutschland, wo die Frauen viel stärker als in Westdeutschland von Arbeitslosigkeit betroffen sind und die Frauenarbeitslosenquote mehr als doppelt so hoch wie im Westen ist, liegen die regionalen Schwerpunkte der Frauenarbeitslosigkeit eindeutig außerhalb der Agglomerationen (vgl. hierzu auch Hirschauer 1997).
Was den Indikator Löhne und Gehälter in bezug auf die neuen Ländern anbelangt, schneiden - bei insgesamt deutlich niedrigerem Niveau als im Westen - die brandenburgischen Kreise im Umland Berlins mit einem höheren Niveau vergleichsweise günstig ab, während die niedrigsten Industrieeinkommen in den vom Stellenabbau besonders betroffenen Gebieten Thüringens und Sachsens nachgewiesen werden
Wanderungen als Indikator der Disparitätenentwicklung
Binnenwanderungssalden werden in der raumbezogenen Wissenschaft und Planungspraxis als ein Maß betrachtet, mit dem über die Tendenzen in der Entwicklung der Wirtschaft bzw. der Arbeits- und Lebensbedingungen betreffender Räume Auskunft gegeben werden kann. Mit Blick auf die Ost-West-Unterschiede der Raumentwicklung (gemessen auf der Ebene der Kreise, vgl. Abb. 8.3), wird deutlich, daß nur im Bereich der neuen Länder negative Wanderungssalden wirklich flächenhaft auftreten. (Die in weit geringerer Zahl auftretenden negativen Salden im Westen sind zudem mehrfach in Kreisen zu finden, in denen Auffanglager für aus dem Ausland Zuwandernde liegen und in denen die Wanderung der Aussiedler nur in Form der Fortzüge innerhalb Deutschlands bevölkerungsstatistisch dokumentiert wird.)
In den neuen Ländern gibt es allerdings -gemessen an den Gegebenheiten in Westdeutschland - auch eine große Zahl von Kreisen mit höheren Zuwanderungsüberschüssen. Hierbei handelt es sich aber einerseits fast durchweg um Auswirkungen der nachgeholten Suburbanisierung zu Lasten der Agglomerationskerne und andererseits vermutlich schon um Auswirkungen einer nun auch hier in landschaftlich besonders attraktiven Gebieten einsetzenden Ruhestandswanderung.
Disparitäten in der Versorgung mit zentralörtlichen Diensten ?
Eine Befragung der Raumplanungsinstitutionen der Länder, die das BBR Anfang 1998 zum Thema der Strukturen und Funktionen der jeweiligen Zentrale-Orte-Systeme der Länder durchgeführt hat, ist zu dem Ergebnis gekommen (Stiens/Pick 1999), daß deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern bestehen, was die Differenzierung der Stufigkeit der Zentrale-Orte-Hierarchie (zwischen drei und neun Stufen) sowie die Mindestbevölkerungszahlen für zentralörtliche Verflechtungsbereiche der verschiedenen Stufen anbelangt. Bei der durchschnittlichen Erreichbarkeit von zentralen Diensten, sei es die der Oberzentren oder der Mittelzentren, gibt es ebenfalls - allein schon zwischen den alten Bundesländern - deutliche Unterschiede.
In Abbildung 8.4 sind diese Disparitäten mit Blick auf die Versorgung mit Diensten der Mittelzentren dargestellt. Hierbei schneiden die neuen Länder nicht schlechter ab als die alten Länder. In Thüringen scheint die durchschnittliche Erreichbarkeit von Mittelzentren sogar besonders günstig auszufallen. Eine entsprechende Ungunst auf Seiten von Sachsen-Anhalt gleicht das Erscheinungsbild der neuen Länder aber wieder dem Bundesdurchschnitt an. Doch ist insgesamt festzuhalten, daß manche Länder eher die Tragfähigkeit (d. h. die Träger) der Einrichtungen in den zentralen Orten im Auge gehabt zu haben scheinen, daß aber bei anderen Ländern eher die Erreichbarkeit der Einrichtungen im Vordergrund gestanden zu haben scheint.
Bei der Erreichbarkeit der Einrichtungen oberzentraler Standorte gibt es noch in größeren Gebieten (im Verhältnis zu solchen in Westdeutschland) Defizite. Ausschlaggebend sind hier jeweilige regionale Siedlungsstrukturen, die weithin noch nicht einmal die Ausweisung von möglichen Oberzentren gestatteten.
Auf dem Gebiete zentralörtlicher Versorgung ist also in Teilen von interregionalen Disparitäten der Erreichbarkeit auszugehen. Dies mag allerdings als weniger problematisch zu beurteilen sein als das Vorliegen verschiedener allgemeiner räumlicher Disparitäten des sozioökonomischen Bereichs.
Ausblick auf zu erwartende Raum- und Siedlungsstrukturentwicklungen in Deutschland: Ergebnisse aus BBR-Szenarien
Auf der Basis von aktuellen Modellrechnungen für den Zeitraum bis 2015, durchgeführt im Rahmen der 'Raum-ordnungsprognose' des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung, wurden vor kurzem Szenarien über die künftige Raum-und Siedlungsstrukturentwicklung in Deutschland entwickelt (BBR 1999). Deren Ergebnisse sollen in verschiedenen Zusammenhängen Verwendung finden, u.a. im nächsten Raumordnungsbericht der Bundesregierung. Im folgenden werden einige Ergebnisse aufgeführt, die Auskunft über mittelfristig wahrscheinliche bzw. mögliche Entwicklungen räumlicher Disparitäten geben.
Künftige disparitäre Entwicklungen im Gesamtraum
Die Dynamik der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland wird auch künftig aus dem Ausland importiert sein, denn ohne Zuwanderungen würde die Bevölkerung in den nächsten 15 Jahren um annähernd 4 Mio. Menschen abnehmen. Die deutsche Einigung und der eingeleitete Transformationsprozeß haben demographische Strukturbrüche ausgelöst, deren Folgen die Bevölkerungsentwicklung der neuen Länder noch über Jahrzehnte hinweg beeinflussen werden. Ost- und Westdeutschland werden auch auf mindestens mittlere Sicht gegenläufige Entwicklungen zeigen: In Westdeutschland wird die Bevölkerung zunehmen, die Bevölkerung Ostdeutschlands wird dagegen abnehmen. Hauptursache sind die Geburtenrückgänge nach 1989. Die Binnenwanderungsverluste in Richtung Westdeutschland fallen da kaum noch ins Gewicht, zumal sie durch Außenwanderungs-gewinne kompensiert werden.
Was die Arbeitsmarktentwicklung in Westdeutschland angeht, wird sie auch künftig durch charakteristische Abweichungen zwischen Süden und Norden geprägt sein. Im Süden stehen die Arbeitsmärkte weiterhin unter deutlich besseren Vorzeichen als im Norden. Dem vergleichsweise geringeren Erwerbspersonenzuwachs steht hier meist eine höhere Beschäftigungsdynamik gegenüber, so daß die Arbeitsmärkte hier vergleichsweise weniger als im Norden belastet werden. In den strukturschwachen westdeutschen Regionen bleiben die gegenwärtigen Arbeitsmarktprobleme in der Regel weitgehend bestehen (die niedersächsischen Regionen an der Nordseeküste sowie nördliches und östliches Ruhrgebiet). In einzelnen Regionen ist sogar eine weitere Verschärfung zu befürchten, indem sich Arbeitskräfteangebot und -nachfrage gegenläufig entwickeln.
In Ostdeutschland wird sich vor allem in den Ländern Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt sowie im östlichen Mecklenburg-Vorpommern eine z.T. beachtliche - allerdings nur statistische -Entlastung der regionalen Arbeitsmärkte ergeben. Diese resultiert weniger aus einem Anstieg der Zahl der Arbeitsplätze als vielmehr in erster Linie aus einem Rückgang des Arbeitskräfteangebots. Dahinter stehen individuelle Reaktionsformen auf Arbeitslosigkeit, wie Fernpendeln, Erwerbsverzicht und Rückzug in die stille Reserve.
Infolge dieser regionalen Unterschiede in der Entwicklung von Arbeitskräfteangebot und -nachfrage wird sich auch in den neuen Ländern ein anhaltendes Nord-Süd-Gefälle der Unterbeschäftigung herausbilden. Günstige Perspektiven ergeben sich für einzelne - gemessen am ostdeutschen Durchschnitt - strukturstärkere Regionen (wie Potsdam-Mittelmark, Leipzig, Dresden oder Erfurt), da dort einem sinkenden Arbeitskräfteangebot eine steigende Arbeitskräftenachfrage gegenübersteht. In Regionen wie Cottbus oder der Altmark ist hingegen aufgrund einer stark zurückgehenden Arbeitskräftenachfrage mit einer weiteren Verschärfung der arbeitsmarktpolitischen Problemlagen zu rechnen.
Künftige Disparitäten zwischen Verdichtungsräumen und Städten
Mit Blick auf die Zukunft der wirtschaftlichen Dynamik des deutschen Städtesystems werden die traditionellen harten Standortfaktoren, wie Infrastrukturausstattung und Arbeitskosten, im internationalen Wettbewerb nach wie vor eine wichtige Rolle spielen. Die Stellung von Städten im System der Verdichtungsräume wird vor allem davon abhängen, welche Position ihre Unternehmen auf dem Weltmarkt innehaben. Agglomerationsräume, die internationale Unternehmen (global players) beherbergen, haben besonders günstige Voraussetzungen. Für die großen Städte und Verdichtungsregionen wird es immer entscheidender werden, an einem der leistungsfähigen Knoten des europäischen und damit letztlich auch weltweiten Verkehrs- und Kommunikationsnetzes zu liegen bzw. schnellen Anschluß an einen solchen Knoten zu haben. Zu qualitativ höchstwertigen Telekommunikationsnetzen besteht heutzutage allerdings schon ein ubiquitärer Zugang. Der technische Fortschritt bei Informations- und Verkehrstechnologien begünstigt eine Intensivierung des arbeitsteiligen Handelns. Die räumlichfunktionale Arbeitsteilung nimmt zu.
Von den spezifischen Entwicklungsstrukturen her wird es zwei Hauptgruppen von Agglomerationsräumen geben: I.Regionen mit Verdichtungsräumen, die auch auf mittlere Sicht eine hohe Wettbewerbsfähigkeit bei hoher Entwicklungsdynamik aufweisen; 2.Regionen mit Verdichtungsräumen, für die auch künftig modernisierungsbedürftige Strukturen charakteristisch sein werden und/oder defizitäre Bedingungen infolge ungünstiger geograpischer Lage. Die großen Städte und Verdichtungsräume der heute besonders wirtschaftsstarken Regionen werden auch künftig die Motoren der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung sein. Die Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit moderner Gesellschaften hängt künftig noch stärker von einem leistungsfähigen Netz international orientierter großstädtischer Zentren ab. In Deutschland wird es zwar auch künftig keine primäre 'global city' geben, die den internationalen Wettbewerb mit anderen Metropolen - wie Paris, London oder New York - allein oder vorrangig bestreiten würde. Diese internationalen Funktionen von 'global cities' oder großen Metropolen können in Deutschland jedoch von den großen Verdichtungsräumen (Berlin, Hamburg, München, Rhein-Main, Köln/Düsseldorf bzw. Rhein-Ruhr, Stuttgart) - also im Rahmen eines interregional polyzentralen, auf Arbeitsteilung und Spezialisierung beruhenden Städtesystems - voll wahrgenommen werden. Die stärkste Entwicklungsdynamik wird nicht nur innerhalb dieser großen Verdichtungsräume, sondern auch in deren Umland und in Korridoren zwischen ihnen zu finden sein.
Ob sich die hochverdichteten Agglomerationsräume weiterhin - gemessen an ökonomischen Kriterien wie Wertschöpfung, Wirtschaftskraft und Einkommen - besonders dynamisch entwickeln, wird auch künftig daran gemessen, inwieweit die zu erwartenden Wertschöpfungs- und Produktionssteigerungen sich in zusätzlichen Arbeitsplätzen niederschlagen. Dies ist nicht sicher. In einigen dieser großen Verdichtungsräumen hoher Wettbewerbsfähigkeit können langfristig auch Wachstums-abschwächungen auftreten, insbesondere im süddeutschen Raum. Hierbei handelt es sich um Stadtregionen mit zwar traditionell erfolgreichen industriewirtschaftlichen Strukturen. Infolge produktzyklisch verursachter Alterungen können sich die Entwicklungsprozesse mittelfristig abschwächen.
Einige dieser Regionen werden zu besonders starken Expansionen tendieren und im europäischen Kontext weitere Metropol-Funktionen zu übernehmen versuchen. Hierzu zählen stark vom Tertiären Sektor geprägte Räume, wie Rhein-Main, Hamburg und Köln /Düsseldorf.
Zur Gruppe von Verdichtungsräumen mit hoher Wettbewerbsfähigkeit werden außerdem mittlere bis kleinere dieser Räume, die moderne Produktionsstrukturen beherbergen und teilweise überdurchschnittlich mit wissenschaftlich-technischen Einrichtungen ausgestattet sind, zählen. Hierzu würden z. B. die Verdichtungsräume Karlsruhe, Hannover und Aachen zu rechnen sein.
Günstige Entwicklungsperspektiven besitzen Verdichtungsräume ferner auch dadurch, daß sie an europäischen Verkehrsachsen liegen. Deren Dynamik gründet -teils oder vor allem - in dem stark wachsenden Bereich interregionaler und internationaler Transport- und Distributionsfunktionen; z. B. die Räume Hamburg, München, Frankfurt am Main, Berlin, Rhein-Ruhr und wiederum auch Hannover und Aachen.
Modernisierungsbedarf werden in Westdeutschland auch weiterhin vor allem hochverdichtete Agglomerationsräume mit bedeutenden Anteilen altindustrieller Strukturen haben (z. B. Saar, Ruhrgebiet, Nürnberg). Dies wird auch weiterhin den konzentrierten Einsatz vielfältiger staatlicher Hilfen erfordern. Mit einem mittelfristigen Abbau der relativ hohen Arbeitslosigkeit, die zu einer Verfestigung sozialer Benachteiligungen und starken Belastung der kommunalen Haushalte führt, ist kaum zu rechnen. Auch die absehbar nicht versiegende Zuwanderung von Ausländern erschwert die Entspannung auf den Arbeitsmärkten dieser Räume. In den ostdeutschen Ländern werden die Verdichtungsräume, die einseitige Wirtschaftsstrukturen und eine starke Ausrichtung auf alte Industrien zeigen, noch lange mit einem schwierigen Umstellungsprozeß zu tun haben.
Unter den Verdichtungsräumen dieses Typs wird es allerdings sowohl in Westdeutschland (z. B. die Verdichtungsräume Bremen, Nürnberg, Braunschweig oder Paderborn) als auch in Ostdeutschland einige geben, die in ihrem jeweiligen regionalen Kontext durchaus überdurchschnittliche Entwicklungschancen besitzen könnten. Hier sind vor allem die Agglomerationsräume Leipzig und Dresden als wieder aufsteigende Handels- und Dienstleistungsstandorte mit innovationsfähigen Industriekernen zu nennen, aber auch Erfurt oder Chemnitz.
Verschärfung regionsinterner Disparitäten
Die räumlichen Entwicklungen werden aber nicht nur von den Raumnutzungsstrukturen bzw. Standortentscheidungen der Betriebe geprägt, sondern auch von den Nutzungsmustern und Wohnstandort- bzw. Mobilitätsentscheidungen der privaten Haushalte. Die Veränderungen der Sozialstrukturen, die zu beobachten sind, wird sich vermutlich intensivieren. Individualisierungsprozesse und Prozesse sozialer Polarisierung, die gleichzeitig stattfinden, drücken sich auch im Raum aus. Diese Prozesse schleichender sozialer Polarisierung und Entflechtung haben, wie inzwischen vielfach beschrieben, innerstädtische Folgeerscheinungen bzw. Segregationen zum Resultat: Der Prozeß der Globalisierung wird zu einer Homogenisierung der internationalen Bereiche in den Metropolen, aber gleichzeitig auch zu Zersplitterung bzw. Differenzierungen innerhalb der großen Kernstädte führen. Die in den internationalisierten Vierteln stattfindende Homogenisierung drückt sich z. B. in der Ähnlichkeit der postmodernen Architektur der Bürohäuser und Einkaufszentren sowie der Flughäfen aus, begleitet durch weiter rasch steigende Boden- und Mietpreise. Die Nutzung dieses internationalisierten städtischen Raumes ist insbesondere nur noch Menschen bzw. Haushalten mit hohem Einkommen möglich, was u.a. zu einer Entdifferenzierung der Wohnbevölkerung führt. Andere soziale Gruppen werden immer stärker in Stadtgebiete gedrängt, in denen die Boden- bzw. Mietpreise gerade noch bezahlbar sind. Diese relativ zentralen Wohnbereiche werden einerseits der Gefahr ausgesetzt sein, zu verslumen (geringe Investitionen in Wohngebäude sowie Spekulationen). Andererseits droht, daß weitere Wohnnutzungs-flächen in Büroflächen überführt werden. Die Verwaltungen dieser großen Städte könnten sich künftig Zielen und Interessen ausgesetzt sehen, die immer stärker divergieren: einerseits auf das Ziel der profitablen Nutzung der Stadt zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit im Weltsystem der Städte (Schaffung eines innovativen Milieus, Vorhaltung von Lebensqualität für Führungskräfte); andererseits auf Interessen, die die Stadt als Lebensraum für verschiedene sozialen Gruppen zu erhalten versuchen.
Diese Prozesse gesellschaftsstruktureller Veränderungen, die insbesondere in den besonders dynamischen Agglomerationen stattfinden, werden zudem dazu führen, daß auch der Stadtrand bzw. die 'Zwischenstadt' und auch die dispersionsbetroffenen Gebiete des ländlichen Umlands sich noch stärker nach Einkommensklassen 'ordnen' werden. Da diese Prozesse immer auch räumliche Umstrukturierung bedeuten, wird es in diesen Gebieten mittelfristig auch keinen Stillstand und schon gar keine Trendwende im Landverbrauch geben. Weiterhin hohe Bodenpreisunterschiede zwischen Kernstadt und Umland werden das Siedlungswachstum weiter antreiben. In den rein ländlichen Umlandbereichen der westdeutschen Agglomerationen wird die mehr oder weniger disperse Siedlungsentwicklung mithin als ein flächen-hafter und flächenverbrauchender Prozeß weiter anhalten - mit dem bekannten Resultat verkehrlicher und ökologischer Probleme.
In den ostdeutschen Agglomerationen wird die Bevölkerung zwar in absoluten Zahlen weiter abnehmen, doch wird der Prozeß der nachholenden Suburba-nisierung im Umland verstärkt weitergehen.
Künftige Disparitäten in ländlich geprägten Räumen
Überblick
In den ländlich geprägten Räumen Deutschlands wird es zu unterschiedlichen Grundtendenzen der Raumentwicklung kommen: So wird für einige stadtnahe und verstädterte ländliche Gebiete eine starke (ökonomische) Aufwertung erwartet, die zu einer verstärkten Inanspruchnahme von Freiräumen führen wird. In dünner besiedelten und strukturschwachen ländlichen Räumen mit besonderen regionalwirtschaftlichen Friktionen (z. B. Konversion) werden sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen weiter verschlechtern (unter der Voraussetzung, daß Raumordnungs- und Regionalpolitik nicht gegensteuern). Außerdem wird der Rückzug der Landwirtschaft aus der Fläche zu einer stärkeren Polarisierung in der Flächennutzung führen. Mittelfristig bleiben vor allem in den ländlichen Gebieten in den Grenzregionen zu den benachbarten mitteleuropäischen Staaten starke sozio-ökonomische Unterschiede bestehen.
Auch für die Städte und Regionen in ländlichen Räumen - d. h. für ihre lokale bzw. regionale Wirtschaft - wird es künftig immer entscheidender sein, nahe an einem der wirtschaftlich leistungsfähigen Knoten des europäischen Netzes von großen Verdichtungsräumen zu liegen bzw. schnellen Anschluß an solche Knotenpunkte zu haben, sonst sind auch solche städtischen Zentralorte der Gefahr ausgesetzt, Einbußen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich hinnehmen zu müssen. Solchen Einbußen entgehen sie auch, wenn sie durch Nachbarschaft in funktionale Verbindungen zu den metropolitanen Regionen oder in attraktive Landschaftskontexte der Freizeitgesellschaft eingegliedert sind.
Wirtschaftliche bzw. landwirtschaftliche Anpassungsprobleme
Die teilweise ohnehin geringere Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in den meisten ländlichen Regionen wird sich in Räumen mit strukturellen Schwächen weiter verringern. Diese strukturellen Schwächen treffen häufig noch mit ungünstigen Erreichbarkeiten oder peripherer Lage und dünner Besiedlung zusammen, in Westdeutschland z. B. an der Nordseeküste, im südlichen Rheinland-Pfalz, in Nordhessen sowie an der Grenze zu Tschechien. In den neuen Ländern werden die Problemstrukturen noch auf länger eine flächendeckende Erscheinung darstellen. Der Verlust an Humankapital wird langfristig die Entwicklungsprobleme dieser Abwanderungsregion weiter verstärken. Die Abwanderungstendenzen werden in den neuen Ländern insbesondere dort anhalten, wo mittelfristig die größten Probleme in der Umstrukturierung bestehen. Dies sind die ländlich geprägten Regionen, die nicht im Blickwinkel von Investoren liegen und in denen aus Gründen zu großer Distanzen eine Kompensation durch Pendeln nicht möglich ist.
Allerdings kann es wirtschaftliche Dynamik auch außerhalb der Verdichtungsräume geben. Hauptsächlich in den alten Ländern zeigen einige geringer verdichtete Gebiete außerhalb der großen Verdichtungsräume eine diversifizierte Wirtschaftsstruktur und günstige Entwicklungsperspektiven auf. Auch andere Gebiete in den geringer verdichteten Regionen außerhalb der großen Verdichtungsräume können eine ökonomische Aufwertung erfahren, und zwar als Folge weiterer Kostensteigerungen sowie von steigendem Raum- und Flächenbedarf im engeren urbanen Bereich und schließlich aufgrund von betrieblicher Flexibilisierung, technologischem Fortschritt und fortentwickelter Telekommunikation, die wirtschaftliche Dispersionsprozesse begünstigen.
Doch können auch Regionen, die heute noch keine ausgeprägten strukturellen Schwächen zeigen, sich Problemen gegenübersehen, die eine günstige Einschätzung der Entwicklungsmöglichkeiten erschweren, wozu z. B. negative Auswirkungen der Konversion oder ungünstiger Erreichbarkeit gehören. Letztere sind mittelfristig nur dann kein Handicap, wenn diese Räume eine besonders große landschaftliche Attraktivität aufzuweisen haben, die zu einem immer bedeutenderen Standortfaktor zu werden scheint.
In der Landwirtschaft ist insgesamt eine stärkere räumliche Polarisierung zu erwarten. Sie wird sich in Gebieten mit guten Produktionsvoraussetzungen konzentrieren. Hier wird dann - bei starker Spezialisierung (z. B. Mastbetriebe, Veredelungsbetriebe, Sonderkulturen) - zwar teils weniger flächenintensiv, aber mit höherer Produktivität gearbeitet. Eine Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion hat noch weitere raumrelevante Auswirkungen: Freisetzung von Arbeitskräften durch höhere Produktivität mit Auswirkungen auf nachgeordnete Betriebe; erhöhtes Transportaufkommen, Zunahme der Umweltbelastung durch Schadstoffeinträge; Beeinträchtigung der Artenvielfalt und der Attraktivität der Kulturlandschaft.
Von der Reform der Agrarpolitik in der Europäischen Union, die das Ziel hat, das Angebot an überschüssigen Agrarprodukten zu verringern, werden die Gebiete intensiver landwirtschaftlicher Nutzung am geringsten betroffen sein. Von der Intensivlandwirtschaft werden künftig noch mehr Belastungen für Wasser, Boden und Luft ausgehen.
Extensivierung und Marginalisierung in der Landwirtschaft werden in erster Linie in Gebieten auftreten, in denen die natürlichen und agrarstrukturellen Voraussetzungen ungünstig sind. In Regionen, die gleichzeitig wirtschaftsschwach sind, werden erhebliche Auswirkungen auf die Raumstruktur durch Veränderungen in der Flächennutzung und durch Verringerung der Möglichkeit des landwirtschaftlichen Nebenerwerbs erwartet. Andere, außerhalb der Nahrungsmittelproduktion liegende Be-schäftigungs- und Entwicklungspotentiale - wie gewerbliche Arbeitsplätze, Tourismus, Landschaftspflege, nachwachsende Rohstoffe - treffen in diesen Regionen auf unterschiedliche Voraussetzungen und Chancen. Allerdings wird durch den Rückzug der Landwirtschaft aus der Fläche hier auch zuerst die Chance zur Extensivierung und zum Schutz von Naturpotentialen ergriffen.
Die Belastungs- und Entlastungseffekte auf den Arbeitsmärkten der ländlichen Räume werden mithin je nach Region sehr unterschiedlich ausfallen und auch auf unterschiedlichen Problemkonstellationen und -niveaus aufbauen. So werden in den strukturschwachen westdeutschen Regionen die gegenwärtigen Arbeitsmarktprobleme in der Regel weitgehend bestehen bleiben. In einzelnen Regionen (Ostfriesland, Bremerhaven oder der Westpfalz) ist sogar mit einer weiteren Verschärfung zu rechnen, da sich Arbeitskräfteangebot und -nachfrage weiterhin gegenläufig entwickeln werden. In Westdeutschland wird die Arbeitsmarktentwicklung im ländlichen Raum weiterhin durch ein Süd-Nord-Gefälle geprägt sein. Im Norden wird der Druck auf die Arbeitsmärkte vor allem durch die starke Zunahme der Zahl der Erwerbspersonen verursacht. Im Süden werden die Arbeitsmärkte insgesamt gesehen unter einem relativ besseren Vorzeichen stehen.
Verschärfung siedlungsstruktureller Unterschiede
Die geringer verdichteten ländlich geprägten Räume stehen in der Nähe von Verdichtungsräumen mit diesen in besonders engen funktionalen Zusammenhängen. Durch gute Erreichbarkeitsverhältnisse wird diese Kategorie ländlicher Räume auch künftig zum immer weiter ausgreifenden Pendlereinzugsbereich der Verdichtungsräume. Bei gleichzeitig hoher landschaftlicher Attraktivität werden sie bevorzugt als Wohnstandorte und Altersruhesitze, aber auch als Standorte von Unternehmen gewählt.
Bei weniger attraktivem landschaftlichem Umfeld werden diese allerdings mehr noch als heute zu Standorten von Einrichtungen, deren Leistungen in erster Linie für die Stadtregionen erbracht werden: Entsorgungseinrichtungen, Verkehrsachsen, Distributionsfunktionen (flächenintensive Lagerhaltung, Güterverteilung etc.).
In weiten Teilen der ländlichen Räume wird die Siedlungs- und Verkehrsfläche je Einwohner nach dem Jahre 2010 bei mehr als 1 000 m2 liegen, also besonders hoch sein. Die hierfür verantwortlichen Faktoren sind dieselben wie heute: Die (Sub-) Urbanisierung der engeren und weiteren Umlandgebiete mit einem starken Zuwachs an Siedlungs- und Verkehrsfläche und häufig starken Zersiedelungstendenzen hält weiter an. Noch weiter vergrößerte Bodenpreisunterschiede zwischen kernstädtischen Bereichen und den benachbarten Räumen treiben das Siedlungswachstum im Zusammenspiel mit einer extensiven Siedlungsflächenerweiterung weiter voran. Die weiter zunehmende Distanz zwischen Wohnort und Agglomerationskern, d. h. die Dispersion der Wohnungsbautätigkeit, führt auch zur verstärkten Umstrukturierung und zur Erhöhung des Flächenbedarfs im Einzelhandel, also zur Nutzung von großflächigen Einzelhandelsstandorten in der Peripherie der Verdichtungsräume. Ausweisung und Erschließung von Gewerbeflächen werden auch künftig durch stille Subventionierung gefördert werden.
In einigen landschaftlich attraktiven Gebieten wird der Tourismus eine noch größere regionalwirtschaftliche Rolle spielen: in Küstenregionen, in Mittel- und Hochgebirgen sowie in Seen- und Flußgebieten. In den neuen Ländern sind Erholungspotentiale in nennenswertem Umfang vor allem an der Ostseeküste, in der Mecklenburgischbrandenburgischen Seenplatte, im Eibsandsteingebirge sowie im Ostharzvorland vorhanden. Sie sind häufig gleichzeitig ausgedehnte Ferienhaus- und Zweitwohnsitzgebiete, die regional zwar das Nachfragepotential erhöhen, für die einheimische Bevölkerung aber auch mit Kostensteigerungen, z. B. bei den Baulandpreisen, verbunden sein werden. Auch in den neuen Ländern werden die vorhandenen Erholungspotentiale mit dem Ausbau der touristischen Infrastruktur zunehmend intensiver genutzt werden. In einigen Regionen besteht die Gefahr, daß die zunehmende Nutzung als Ferienhaus- und Zweitwohnsitzgebiet mit einer Zersiedelung und Übernutzung der Landschaft verbunden ist, die gleichzeitig die vorhandenen Naturpotentiale gefährdet.
Auch außerhalb der engeren Einzugsbereiche der Städte und Verdichtungsräume werden künftig noch mehr Kompensationsleistungen erbracht, z. B. Abfallentsorgung, Energie- und Wasserversorgung. Diese Vermehrung der Kompensationsleistungen bzw. -funktionen birgt die Gefahr (zumal wenn diese gebündelt auftreten), die Standortattraktivität für Gewerbe, aber auch die Erholungsfunktionen und die natürliche Umwelt der betroffenen ländlichen Räume zu beeinträchtigen. In den eher dünn besiedelten ländlichen Räumen werden die Konflikte zwischen den oft sperrigen und umstrittenen Infrastruktureinrichtungen und der ansässigen Bevölkerung in der Regel weniger deutlich und heftig ausgetragen als in den Städten und Verdichtungsräumen.