Herzog Christian Albrecht förderte Wissenschaft und (höhere) Bildung. Nicht nur, daß er zu Kiel die Unirsität gründete, er stellte auch ein Viertel seines Hofgartens zur Verfügung, damit ein Botanischer Garten, genauer ein »hortus medicus« angelegt werden konnte. Dafür sorgte ab 1669 (vier Jahre nach Gründung der Unirsität) der Lehrstuhlinhaber für »Theoretische Medizin und Botanik«, Johann Daniel Major. Ungefähr 500 Pflanzenarten wurden in Kiels erstem Botanischen Garten kultiviert.
Die Anlage des zweiten »hortus medicus« erfolgte 1727 in der Höhe des Kleinen Kiels, bei der Klosterkirche. Pflege und Nutzung wurden dem Hofapotheker übertragen. Außerdem hatte er das an der Uni für Vorlesungen und Examina benötigte Pflanzenmaterial zu liefern. Am damaligen Stadtrand, etwa dort, wo sich heute die Herzog-Friedrich-Straße befindet, entstand ab 1803 Kiels Botanischer Garten Nr. 3, auf einem zirka 2,25 Hektar großen Gelände.
Die Gewächshäuser waren bis zu sieben Meter hoch, mehr als 6000 Pflanzenarten standen in Kultur, ein Katalog erschien. Als offizielles Gründungsjahr des vierten Botanischen Gartens, auf einem etwa 2,5 Hektar großen, hügeligen Gelände zwischen Schwanenweg und Düsternbrooker Weg, gilt das Jahr 1884. Hundert Jahre lang diente er der Wissenschaft. Der heutige, der fünfte Botanische Garten an der Olshausenstraße wurde am 6. Juni 1985 eröffnet. Sein Vorgänger am Schwanenweg hatte damit für die bisherige Zweckbestimmung ausgedient. Fast wäre diese wunderbare Anlage mit dem vielfältigen alten Baumbestand Bauwünschen geopfert worden. Es konnte rhindert werden. Die Meinung der Bürger hatte sich damals deutlich artikuliert: für den Erhalt. Der »Alte Botanische Garten«, wie er heute genannt wird, ist nun eine ö£ fentliche Grünanlage. Der »Verein zur Erhaltung und Förderung des Alten Botanischen Gartens Kiel e.V.« leistete und leistet viel für Erhalt und Pflege dieses grünen Refügiums. Das vor 100 Jahren auf dem höchsten Punkt des Geländes errichtete Turmhäuschen ist ein Schmuckstück, das diesem rwunschenen Park zur zusätzlichen Zierde gereicht.
Eine grüne und blütenbunte Oase der Ruhe
Sämtliche Kleingärtner sowie alle professionellen Gartenbaubetriebsinhaber mögen bitte verzeihen - aber Kiels schönster Garten befindet sich an der Olshausenstraße/Leibnizstraße. Was heißt Garten - eine mehrere Hektar große Gartenlandschaft ist es. Mit Beeten, Rabatten und Teichen, mit schönsten Spazierwegen und lauschigen Pfaden, mit solitär stehenden Bäumen und mit Buschgruppen, mit Heide, Feuchtwiese, Halbtrockenrasen, Geröllhalde und vielerlei weiteren Boden- und Landschaftsformationen. Und vor allem mit einer Blütenpracht von mehreren tausend verschiedenen Pflanzenarten aus aller Welt. Fast ganzjährig blüht es hier, öffnen einige Pflanzen doch bereits im Winter ihre Blüten. Wer Wild-, Park- und sogenannte »alte« Rosen schätzt, hier sind sie zu bewundern. Pflanzen der Gebirgsregionen Europas, Asiens, Amerikas - im hiesigen Freilandalpinum wachsen und blühen mehr als 3000 Pflanzenarten. Im Abschnitt Küstendüne gedeiht unter anderem der Klippenkohl, Stammvater aller unserer Kohlsorten, sowie die seltene Heiderose und der Lungenenzian. In und an den Wasserflächen der Teiche können alle Vegetationszonen betrachtet werden, die zur Ver-landung eines Sees beitragen. Für Arznei-, Heil-und Gewürzpflanzen ist ein eigener Gartenbereich angelegt. Sommerblumen fehlen nicht. Und so weiter, und so weiter. Es ist eine großartige Pflanzen-, Blumen-, Blüten-, Artenfülle.
Das Schönste: Dieser prächtige, gepflegte große Garten, eine grüne und blütenbunte Oase der Ruhe, ist frei zugänglich für jedefrau und jedermann. Ganzjährig, jeden Tag, ohne Eintritt. Es handelt sich - natürlich - um den Botanischen Garten der Christian-Albrechts-Universi-tät.
Neben dem weitläufigen Freiland sind die hohen Gewächshäuser eine Besucherattraktion. Auch hier wird Eintritt nicht erhoben. Im Tropenhaus, Nebelwaldhaus, Mediterranhaus, Subtropenhaus, Aridhaus Amerika taucht man ein in die überaus üppige Vegetation fremder Klimazonen. Erstaunliches, Schönes, Interessantes dicht an dicht.
Das Victoria-Haus schließlich dient vor allem der Kultur tropischer und subtropischer Sumpf-und Wasserpflanzen. Besonders bewundert werden die mächtigen Blätter der Victoria regia. Im »Führer durch den neuen Botanischen Garten« (1. Auflage, 1991) heißt es dazu: »Die Mitte des Beckens wird von den riesigen Schwimmblättern der Victoria amazonica (V. regia) bedeckt. Die schildförmigen Blätter dieser nach Queen Victoria benannten, amazonischen Seerose können einen Durchmesser von 2 m erreichen; sie sind unterseits rippenartig verstärkt, bestachelt und können ein kleines Kind tragen. Merkwürdig ist ihr aufgebogener Rand, der ihnen das Aussehen übergroßer, schwimmender Kuchenbleche gibt. Die von Käfern bestäubten Blüten erscheinen oft erst im Juli und August. Sie öffnen sich ein erstes Mal, weiß blühend, mit Anbruch der Dämmerung, um sich erst am nächsten Vormittag wieder zu schließen. Danach öffnen sie sich wieder in der Dämmerung, nun aber rosaviolett gefärbt, ein zweites Mal, um gegen Morgen unter die Wasseroberfläche zu versinken, wo die Samen ausreifen. Während die Art in ihrer Heimat ausdauernd wächst, muß sie im Garten jährlich neu aus Samen herangezogen werden.«
Der Botanische Garten lohnt jeden Spaziergang. Zu jeder Jahreszeit und immer wieder. Ein großes Dankeschön der Uni, dem Botanischen Institut und dem Botanischen Garten, daß hier jeder (der sich ruhig und ordentlich verhält) kostenlos Spazierengehen und sich an einer wunderbaren Gartenlandschaft erfreuen darf.
Für Forschung, Lehre und Examina
Für den Ruhe und Erholung suchenden Besucher ist der Botanische Garten eine Grünanlage der besonderen Art. Für den Natur- und Pflanzenfreund ist es eine Stätte, um Beobachtungen anzustellen, Informationen und Anregungen zu gewinnen.
Die eigentliche Aufgabe des Botanischen Gartens ist das aber nicht. Im »Führer durch den neuen Botanischen Garten« (1. Auflage, 1991) wird ausgeführt:
»Die Aufgaben und Ziele eines Botanischen Gartens haben sich im Laufe der Jahrhunderte gewandelt und erweitert. Völlig neue Funktionen sind hinzugekommen, u.a. durch neue Forschungseinrichtungen. In erster Linie hat der Botanische Garten das vielfältige Pflanzenmaterial für Forschung, Lehre und Examina heranzuziehen und bereitzustellen. Durch menschlich bedingte Umweltveränderungen in aller Welt, namentlich aber auch in unserem Lande, sind zahlreiche Pflanzen gefährdet oder vom Aussterben bedroht. Bei uns sind das etwa ein Drittel aller Arten: Sie stehen auf der sogenannten Ro-ten Liste. Hier haben die Botanischen Gärten die wichtige Funktion, mitzuhelfen, daß die Mannigfaltigkeit der Lebensformen erhalten bleibt. Inzwischen wird der sogenannte Index Se-minum des Botanischen Gartens Kiel jährlich an etwa 360 Botanische Gärten in aller Welt verschickt. Er enthält ca. 1400 Arten, von denen Samen gesammelt werden. Mit Hilfe solcher Angebots-Verzeichnisse stehen die Botanischen Gärten in aller Welt untereinander im Austausch.«
Kieler Freilandkakteen - winterhart
Kakteen wachsen in wüstenartiger Landschaft, dort wo es heiß und trocken ist. Das stimmt. Aber es gilt nicht ausschließlich. Im Botanischen Garten ist auf einer Infotafel zu lesen, Kakteen gedeihen auch in Hochgebirgsregionen Süd-, Mittel- und Nordamerikas. In den Anden »klettern« sie sogar auf Höhen von 4000 Meter NN. Dort ist es allnächtlich kalt, die Temperaturen sinken unter den Gefrierpunkt. Auch das verkraften diese Hochgebirgskakteen. Kakteen aus diesen Höhenlagen können auch im Kieler Klima im Freiland gedeihen, sie sind winterhart. Der Botanische Garten macht es vor. Benötigt wird ein sehr sandiger Pflanzboden und ein sonniger, warmer Standort. Vor der winterlichen Feuchte an der Förde - so lehrt die Infotafel - kann man sie durch eine Abdeckung schützen.
Kakteenfreunde, die's nachmachen wollen mit. der Kieler Freiland-Kakteenkultur, können auf der Infotafel im Botanischen Garten nachlesen, welche sieben Arten hier ausgepflanzt sind und dem hiesigen Winter bereits erfolgreich getrotzt haben.
Die Blüten dieser Kakteen im Kieler Sommer sind einzigartig schön.