Auf dem nur wenige Schritte entfernten Oder-Havel-Kanal passiert Schiffseinheit auf Schiffseinheit. Hier, an der Lieper Schleuse des alten Finowkanals, zwischen den Ortschaften Liepe* und Niederfinow*, herrscht dagegen die Stille, die melancholische Ruhe, die »ausgemusterten« künstlichen Wasserstraßen eigen ist. Beschaulich-romantische Kanalbilder allenthalben. Dabei war der Finowkanal früher die wirtschaftliche Lebensader einer ganzen Region
Vergangenheit! Die Lastkähne von heute nutzen den weitgehend parallel verlaufenden Oder-Havel-Kanal. Für diese langen Schubeinheiten wäre der alte Kanal auch in jeder Weise zu schmal, in den Biegungen zu eng, die Schleusen wären zu kurz. Was bleibt, sind einige Sportboote, Wasserwanderer, kleine Ausflugsschiffe auf Teilstrecken. Durchgehend ist der Kanal auch dafür nicht mehr befahrbar.
So ist es eben, auch Kanäle kommen in die Jahre, sind irgendwann nicht mehr zeitgemäß, nicht mehr genügend leistungsfähig. Immerhin, um die 200 Jahre lang hat der Finowkanal seinen Dienst getan. Am 16. Juni 1746 führ darauf das erste, mit 100 Tonnen Salz beladene Schiff von der Havel zur Oder. Nach ergänzenden Baumaßnahmen verfügte der Kanal ab 1767 auf einer Gesamtlänge von 43 Kilometern über 17 Schleusen.
Eine Arbeitsgruppe setzt sich intensiv für den Erhalt dieser Wasserstraße mitsamt der zugehörigen Anlagen ein. Der Finowkanal, so argumentieren sie, stellt in seiner Gesamtheit eine technisch-historische Einmaligkeit dar.
Möge dem Aufruf »Rettet den Finowkanal« Erfolg beschieden sein, damit er nicht das gleiche Schicksal erleidet, wie der allererste, in den Jahren 1605 bis 1620 gebaute Finowkanal. Der wurde im 30jährigen Krieg völlig zerstört.
Schiffe 36 Meter heben und senken
Der erste Eindruck: eine Riesenmenge, ein Gewirr massiver, mächtiger Stahlträger, zum Teil hoch aufragend, zum anderen Teil horizontal angeordnet, verbunden durch Stahlstreben, seitlich gestützt durch noch gewaltigere Stahlpfeiler. Stück für Stück zusammengefugt und zusammengehalten durch lange Reihen und Bänder von Nieten. Niete neben Niete, im Wortsinn. n Schweißnähten keine Spur.
Allein die Stahlbaukonstruktion des Schiffshebewerks Niederf inow* am Oder-Havel-Kanal ist eine großartige Ingenieurleistung. Erst recht die zugehörige Ausstattung und Technik.
In diesem 59,10 Meter hohen, 94 Meter langen und 27 Meter breiten Stahlgerippe werden Schiffe 36 Meter heraufgezogen oder heruntergelassen. Das geschieht in einem Trog, der - wassergefullt -4290 Tonnen wiegt. Das Troggewicht ist übrigens mit oder ohne Schiff stets gleich. Der Trog samt Schiff hängt an 256 Drahtseilen. Der Gewichtsausgleich erfolgt durch 192 Gegengewichte, die Hubgeschwindigkeit beträgt 12 Zentimeter pro Sekunde. Das Heben bzw. Senken dauert somit nur 5 Minuten, die gesamte Durchschleusung etwa 20 Minuten.
Und das alles ist für Besucher zugänglich, kann auf der Besuchergalerie von oben und auch von unten beobachtet werden. Es ist ein beeindruckendes Schauspiel zu erleben, wie die Binnenschiffe und die Schubeinheiten auf dem Kanal ankommen, in das Schiffshebewerk, also in den geöffneten Trog, einfahren, wie dieser geschlossen und dann an den Seilen 36 Meter herabgelassen wird, wie sich gleichzeitig die Gegengewichte nach oben bewegen, und das Schiff sodann, nach Offnen der anderen Trogklappe, in den tief unten liegenden Kanal wieder hinausfährt. Dort warten bereits andere Schiffe, um - in umgekehrter Reihenfolge des Verfahrens - nach oben befördert zu werden. Mit dieser Prozedur überwinden die Schiffe im Eberswalder Urstromtal die geologische Höhendifferenz zwischen der Landschaft Barnim und dem Oderbruch.
1934 hat das Schiffshebewerk Niederfinow seinen Betrieb aufgenommen. Zuvor erfolgte der Schiffs-Auf- bzw. -Abstieg durch vier Schleusen der sogenannten Schleusentreppe Niederfinow. Das dauerte rund zwei Stunden und führte infolge steigenden Verkehrsaufkommens auf dem Kanal zu immer längeren Wartezeiten. Der Bau des Oder-Havel-Kanals selbst erfolgte gemäß Gesetz vom 1. April 1905 in der Ara Kaiser Wilhelms II. 1914 wurde der Kanal seiner Bestimmung übergeben. Er löste nach und nach seinen rgänger, den Finowkanal, ab.