Wie schon erwähnt kam es 1912 in Stockholm bei den Vorbereitungen für die Spiele zum Konflikt zwischen den teilnehmenden europäischen Mächten. Somit war auch auf dieser Ebene ein Konfliktherd für den 1914 ausbrechenden Weltkrieg geschaffen.
Schon vor Kriegsbeginn spielte Coubertin mit dem Gedanken, nach dem 20-jährigen
Jubiläum 1914 aus dem IOC auszutreten. Die derzeit ungünstige politische Lage brachte ihn jedoch von dem Gedanken ab: ,,Kein Kapitän verlässt die Brücke seines Schiffes während des Sturmes"10.
Nachdem 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, entstand natürlich die Frage um die Olympischen Spiele 1916 in Berlin. Der deutsche Reichsausschuss sagte die Spiele nicht direkt nach Kriegsbeginn ab. Auch Coubertin war der Meinung, die Spiele vorerst nicht auf eine andere Stadt zu übertragen, da er möglicherweise mit dem schnellen Ende des Krieges rechnete. Allerdings ergab sich mit dem Austragungsort Berlin ein weiteres Problem: das IOC sollte nämlich nach einstmaligem Beschluss seinen Sitz in der austragenden Stadt haben. Da Berlin zu dieser Zeit für einen Verwaltungssitz ungünstig war, handelte Coubertin überraschend schnell und verlegte den Sitz des IOC per Vertrag (s.o.) nach Lausanne, wo auch heute noch sein Standort ist. Nachdem recht offensichtlich wurde, dass der Krieg wohl doch ungewöhnlich lange andauern würde, änderten sich die Einstellungen auch in Sportlerkreisen. Auch die deutschen Athleten konnten sich nicht vorstellen, in Kürze wieder mit den Feinden Sport zu treiben, ohne damit den Regeln - fair und friedlich Sport zu treiben - untreu zu werden. Die Olympischen Spiele fielen demnach aus; die 6. Olympiade wurde aber dennoch gezählt: ,,Die Olympiade braucht nicht gefeiert zu werden; ihr Zahlzeichen aber bleibt."11. Schon im Frühjahr 1919 entschied sich das IOC für Antwerpen als Austragungsort der 7. Olympiade 1920. Hierbei wurden die deutschen, sowie die Sportler der anderen Mittelmächte - unter Nichtbeachtung der IOC-Regeln - ausgeschlossen. Als Neuerungen galten die von Coubertin entworfene Olympische Flagge und der Olympische Eid.
4 Die Person Coubertin
Als großer Humanist hinterließ sein Wirken unauslöschliche Spuren in der Kulturgeschichte der Menschheit. Grundlage der olympischen Konzeption Pierre de Coubertins war das Zusammenspiel von Sport, Kunst und Wissenschaft.
4.1 Die Wesensmerkmale eines hervorragenden Denkers
,,Der faszinierende Zauber seiner Persönlichkeit wirkte sich schon in jungen Jahren aus. Seine umfassende Bildung, sein wunderbarer Stil, seine hinreißende Sprache, sein schwungvoller dichterischer Sinn und seine große menschliche Klugheit vereinten sich und öffneten ihm alle Türen. Ein scharfer Geist und ein glückliches Gedächtnis weiteten den Raum des Wissens, dessen beherrschende Kraft verbindende Ordnung war."12
Pierre de Coubertin war ein nach universeller Bildung strebender Privatgelehrter, der stets unermüdlich, unbeirrbar und zielstrebig handelte. Als geschickter Diplomat und behutsamer Taktiker13entwickelte er schon sehr früh ein Verantwortungsbewusstsein für sein Volk. Er war sich stets seiner psychischen und physischen Grenzen bewusst und erreichte so Schritt für Schritt sein angestrebtes Ziel. Sein eigentliches Anliegen - die Wiedereinführung der Olympischen Spiele - bestand darin, die Leibesübungen in Frankreich, vor allem aber den Schulsport zu fördern. Er hielt den Sport für einen wesentlichen Bestandteil der Persönlichkeitsbildung junger Menschen und als Element der Völkerverständigung. Ihm gefiel die Idee des friedensstiftenden Sportwettkampfs in der Antike (,,Die Idee des Friedens ist wesentlicher Bestandteil des Olympismus"14). Er hatte eine hohe Meinung von den Griechen und sah in sportlicher Leibesertüchtigung [] kein Luxusgegenstand, auch keine Tätigkeit für Müßiggänger, sondern ein körperlicher Ausgleich für geistige Arbeit"15. Er träumte von einem sportlichen Wettkampf ohne kommerziellen Einfluss und politischen Hintergrund. Anfänglich (seit 1894) befasste er sich mit dem ,,Amateur-Problem" - Entschluss eines jeden Indiduums, Sport als Selbstverwirklichung oder als Streben nach Ruhm, Publikumserfolg und materiellem Gewinn zu betreiben - das auch während seiner gesamten Laufbahn noch mit in seine Überlegungen und Ausführungen einfloss. Coubertin vertrat hierbei den Standpunkt, Sport als Mittel zur Persönlichkeitsentfaltung anzusehen. Außerdem war er besonders vom Sport nach britischem Vorbild angetan; so lässt sich auch er-klären, dass er sich des öfteren Anregungen aus dem Nachbarstaat England holte. Er war stets darauf bedacht, dass sein humanistisches Grundanliegen die französischen Grenzen überschritt und der durch ihn erzielte Erfolg - die Wiederbelebung der Olympische Spiele - somit weltweit gewährleistet war.
5 Schlussbetrachtung
,,In der selbstgewählten Aufgabe, die Olympische Idee zu verbreiten und im Bewusstsein alle Völker zu festigen, fand Coubertin seinen Lebensinhalt."16Coubertin ging es bei der Reorganisation der Spiele nicht nur im Wesentlichen um die Durchführung der Spiele, sondern elmehr um die reformpädagogischen Aspekte, womit er die französische Jugend - und später auch die der ganzen Welt - erzieherisch zu beeinflussen versuchte. Auch wollte er mit ,,dem Sport" an sich, der ja nun international unter dem Zeichen der Olympischen Bewegung stand, das Völkerverständnis untereinander verbessern, um so zum allgemeinen Weltfrieden beizutragen - dem ,,Pax Olympica"17. Alle Sporttreibenden sollten ebenso wie die Hochleistungssportler und die Olympiateilnehmer an der olympischen Bewegung teilhaben können. Sein Gesamtkonzept bestand darin, vor allem die Jugend, aber auch den Normalbürger zu animieren, Sport zu treiben, welcher sich durchaus erzieherisch auf den jungen Menschen und auf die Ganzheit des Menschen mit all seinen Stärken und Schwächen auswirkt.
Er selbst war ebenfalls ein elseitig talentierter Sportsmann und wirkte so anregend und wegbereitend der Leibeserziehung und des Sports. Einige seiner Sinnsprüche haben für die Sportwelt bereits ,,klassische" Bedeutung erlangt: ,,Das Wichtigste im Leben ist nicht der Triumph, es ist der Kampf; das Wesentliche ist nicht gesiegt, sondern sich wacker geschlagen zu haben"18. Das olympische Motto geht auf seinen Freund Henri Didon zurück: