FB Politikwissenschaften
Kurs: (HS) Zur Geschichte des Liberalismus im Nachkriegsdeutschland
Kernbereich: Politisches System der Bundesrepublik Deutschland
Thema der Arbeit:
Linksliberale ra und sozialliberale Koalition
Gliederung
Einleitung
A. Die Programmatik der FDP in der linksliberalen ra
I. Programme
1. Nrnberger Wahlplattform (1969)
2. Freiburger Thesen (1971)
3. Kieler Thesen (1977)
II. Linkliberalismus in der liberalen Tradition -
Oder: Ist der Liberalismus links?
1. John Stuart Mill
Fabianer
3. Friedrich Naumann
4. Karl Hermann Flach
5.Konklusion
B. Die sozialliberale Koalition
1. Grnde zur Hinwendung der FDP zur SPD
2. Deutschland- und Ostpolitik
3. Innenpolitische Reformpolitik
4. Grnde zur Hinwendung der FDP zur CDU
Fazit
Linksliberale ra und sozialliberale Koalition
Die FDP ist die lngste Zeit ihres Bestehens der Juniorpartner der CDU gewesen. Die Arbeit untersucht nun, welche Programmatik die Liberalen zur Zeit der sozialliberalen Koalition hatte.
Dabei wird im ersten Teil mittels Darstellung einzelner Wahlprogramme versucht, das Kennzeichnende der FDP in dieser Zeit herauszuarbeiten. Im Anschlu daran werde ich der Frage nachgehen, inwiefern die theoretische Darstellung der Partei als logische Ableitung liberalen Gedankengutes zu verstehen ist. Dabei werden mit Mill, den Fabianern und Naumann einige Vertreter des sozialen Liberalismus vorgestellt, die verstndlich machen sollen, warum Flach den Liberalismus als pervertiert ansieht und warum er seine Vision als Rckbesinnung auf den Liberalismus versteht. Daher trgt dieser Abschnitt der im Untertitel auch die Frage, ob der Liberalismus nicht von sich aus schon links ist.
Im Zweiten Teil geht es um die tatschlich betriebene Politik der sozialliberalen Koalition, wobei dem berlegungen vorangestellt werden, welche Ursachen die Orientierung der FDP hin zur SPD haben knnte. Nachdem kurz die Ergebnisse der Deutschland- und Auenpolitik sowie den innenpolitischen Reformbemhungen aufgelistet werden komme ich der Frage nach, warum die FDP 1982 sich auf eine Koalition mit der CDU zurckbesann. Gedanken dazu, ob und inwieweit die liberale Partei ber dem Theoretischen hinaus auch in der praktischen Umsetzung als linksliberal bezeichnet werden kann schlieen die Arbeit ab.
A. Die Programmatik der FDP in der linksliberalen ra
I. Programme
Wenn auch Theorie und Praxis in Parteien erfahrungsgem selten zur Deckung gebracht werden, so ist doch ein Blick in die Programme der FDP der damaligen Zeit aufschlureich. Er ermglicht es, fern einer Bewertung ihrer tatschlichen Umsetzung einen berblick darber zu erhalten, welche Themen die Partei besetzte und welche reformerischen Konsequenzen sie einforderte. Eine Wiedergabe einiger wichtiger Inhalte der Programme mgen ein Bild davon ergeben, was man - bei aller gebotenen Skepsis - unter der linksliberalen ra der FDP verstehen knnte.
1. Nrnberger Wahlplattform (1969
In der Prambel wird die seinerzeit bestehende groe Koalition als 'Kartell der Unbeweglichkeit' bezeichnet und die FDP dem Wahlvolk mit den Schlagworten 'Innenpolitik vernnftiger Reformen' und 'selbstbewutere Auenpolitik' prsentiert.
Beklagt wird im Folgendem, da die Notstandsgesetze 'hastig und ohne ausreichende ffentliche Diskussion' verabschiedet wurden. Die FDP setzt sich fr neue Formen direkter Demokratie ein und macht einen Seitenhieb auf die groe Koalition, wenn sie diesbezglich anregt, Parlamente und Regierung mittels Volksbegehren dazu zwingen zu knnen, wichtige Probleme anzufassen, wenn das zuvor nicht geschehen ist. Zudem erklrte die Partei den Wunsch, den Bundesprsidenten direkt vom Volk whlen zu lassen. Dem Brger sollte darber hinaus die Mglichkeit gegeben werden, strker in den politischen Parteien mitzuwirken, namentlich bei der Aufstellung der Kandidaten und der Willensbildung.
Breiten Raum nehmen die Stellungnahmen der Liberalen zum Thema Bildung ein. Es heit dort:
'Fr die FDP ist die Bildungspolitik Kernstck ihrer Gesellschaftspolitik. Bildung ist Brgerrecht und Aufstiegschance zugleich. Sie kann dies jedoch nur sein, wenn sie sich nicht an kurzfristigen Bedarfserwgungen orientiert, sondern die Entfaltung des mndigen Menschen mit seinen persnlichen Anlagen zum Ziel hat.'
Es folgen Vorschlge zum Ausgleich sozialer Benachteiligungen (Ganztagsschulen, staatliche Ausbildungsfrderung) und eine radikale Neuorientierung des schulischen Bildungssystems, indem man sich fr die 'Offene Schule' einsetzt, die 'keine Sackgassen der Bildung und kein Sitzenbleiben' kennt.
In der Wirtschaftspolitik fordert die FDP eine Abkehr von der 'Politik der staatlichen Konzentrationsfrderung' und eine Verschrfung der Mibrauchsaufsicht ber marktbeherrschende Unternehmen. 'Die Wirtschaftspolitik mu dafr sorgen, da alle Betriebsgren gleiche Bedingungen fr Start, Entwicklung und strukturelle Umstellungen haben.'
2. Freiburger Thesen (1971)
Die Freiburger Thesen, die unter mageblicher Beteiligung des Rechtsphilosophen Werner Maihofer formuliert worden sind und die auf dem Freiburger Parteitag `71 verabschiedet wurden, gehren zu den meistbeachtesten politischen Programmen in der Bundesrepublik berhaupt. Man mag darin auch den zentralen schriftlichen Ausdruck des parteipolitischen Linksliberalismus in Deutschland sehen, wird in den Thesen doch die liberale Theorie mit einer umfassenden sozialen Verantwortung des Staates verbunden.
Der Liberalismus wird als Trger und Erbe der demokratischen Revolutionen in Amerika und Frankreich im 18. Jahrhundert angesehen, welche von den Gedanken der Freiheit und Wrde des Menschen ausgingen.(S.5) In den 'tiefgreifenden und nachhaltigen Bewutseinsvernderungen', die sich in der weltweiten Jugendrevolte ankndigt, wird der Anfang einer 'zweiten Phase einer von der brgerlichen Revolution ausgehenden Reformbewegung' gesehen, die auf eine Demokratisierung der Gesellschaft abzielt.(S.6) Der Liberalismus erstrebt 'die Demokratisierung der Gesellschaft durch grtmgliche und gleichberechtigte Teilhabe aller an der durch Arbeitsteilung ermglichten Befriedigung der individuellen Bedrfnisse und Entfaltung der persnlichen Fhigkeiten.'(S.11) Als Freiheit versteht man in Anlehnung an Mill und Naumann 'nicht lnger die Freiheit eines aus der Gesellschaft herausgedachten', sondern die eines 'autonomen und sozialen Individuums, wie es als immer zugleich einzelhaftes und gesellschaftliches Wesen in Staat und Gesellschaft wirklich lebt.'(S.6) Der Leitsatz liberaler Gesellschaftspolitik wird wieder in Rckgriff auf Naumann formuliert: 'Industrieuntertanen mssen in Industriebrger verwandelt werden!'(S.12)
Der Kapitalismus hat zwar zu groen wirtschaftlichen Erfolgen gefhrt, gehrt aber reformiert, da er ob der Ballung wirtschaftlicher Macht 'auch zu gesellschaftlicher Ungerechtigkeit' gefhrt hat.(Siehe S.13) Die Konzentration des Zuwachses an Produktivkapital aus Gewinnen in den Hnden weniger Kapitalbesitzer ist zudem mit den liberalen Forderungen nach Gleichheit der Lebenschancen und optimalen Bedingungen fr die persnliche Selbstentfaltung nicht vereinbar.(Siehe S.33) Die Frage nach dem gerechten Anteil an der Ertragssteigerung der Wirtschaft und am Vermgenszuwachs der Gesellschaft wird - da 'Besitz und Geld der Schlssel fr fast alle Bettigung der Freiheit ist' - als Gerechtigkeits- und als 'die Freiheitsfrage schlechthin' verstanden(S.15): 'Erst durch breite Vermgensbildung wird freie Eigentumsordnung menschenwrdig und glaubhaft.'(S.19)
Auf der Basis dieser theoretischen Grundlegung folgen eine Reihe konkreter Umsetzungsvorschlge:
So sollen Gemeinden, die eine starke Stellung auf dem Bodenmarkt einzunehmen haben, Grundstcke nur unter dem Gesichtspunkt breiter Vermgensbildung privatisieren oder privater Nutzung zufhren(S.25) und Veruerungsgewinne beim Verkauf von Grundbesitz der Einkommenssteuer zum halben Steuersatz unterliegen(S.27). (Die jetzige Situation, in der es sich steuerlich lohnt, Kapital in Grundstcken anzulegen verschrft den Nachfragedruck und hat erhebliche Preissteigerungen zur Folge. S.28) Auf der Gegenseite sah das Programm vor, mittels Verbesserung des derzeitigen Frderungssystems und der Einfhrung von Mietkaufsystemen zur Erleichterung des Erwerbs von Wohnungseigentum und 'eigentumshnlichen Wohnrechten' beizutragen.(siehe S.30f.)
Von einer bestimmten Wertschpfung an (und zwar der Hhe, da es nur grere Unternehmen betrifft) sollen ffentliche und private Unternehmen verpflichtet werden, Beteiligungsrechte an ihrem Vermgenszuwachs einzurumen.(S.33) Bei Kapitalgesellschaften bestehen die Beteiligungsrechte aus stimmberechtigten Kapitalanleihen, denn nur so 'kann eine wirksame nderung der Verteilung des Produktivvermgens erreicht werden.'(S.35) Die Beteiligungsberechtigungen tragen zur Abschwchung der Kapitalakkumulation bei und ein Wachstum wirkt sich sozial gerecht auf die ganze Bevlkerung aus.(Siehe S.38) Darber hinaus erwerben die Zertifikatsbesitzer Teilhaberrechte, die Vertretungen fr sie wahrnehmen.(Vgl. S.39)
Die Erbschaftssteuer soll durch eine Nachlaabgabe ersetzt werden, was sich dergestalt auswirkt, das eine Akkumulation grter Vermgen verhindert wird. Fr alle ber 6 Millionen DM hinaus gehenden Vermgensnachlsse wird ein Steuersatz von 75% erhoben.(Vgl. S.43ff., konkrete Berechnungen: S.81ff.)
Da 'Selbstbestimmung der Arbeitnehmer Mitbestimmung bei der Fremdbestimmung durch die Arbeitgeber (verlangt)'(S.57), ist ein Betrieb und Unternehmen entsprechend demokratisch zu organisieren, d.h. die Interessen von Arbeitnehmern und leitenden Angestellten 'angemessen und verhltnismig' zu bercksichtigen.(Siehe S.59) Der Interessensausgleich zwischen dem Faktor Kapital und den Unternehmensangehrigen (Faktoren Disposition und Arbeit) ist zu gewhrleisten(S.61), letztere mssen 'in der Lage sein, ihre Interessen geltend zu machen, ohne berstimmt werden zu knnen.'(S.62)
Im letzten Abschnitt, der Umweltpolitik, wird zuvorderst festgehalten, da 'Umweltschutz Vorrang vor Gewinnstreben und persnlichen Nutzen (hat).'(S.72) Die Umweltpolitik sollte sich als Schrittmacher fr ein internationales Umweltrecht verstehen, der 'Hinweis auf schlechteren Umweltschutz in Nachbarlndern darf kein Grund fr die Verzgerung von eigenen Schutzmanahmen sein.'(S.74f.) Die Kosten der Umweltbelastung sollen nach dem Verursacherprinzip aufgebracht werden.(S.75) 'Keine Entscheidung der ffentlichen Hand oder Wirtschaft darf in Zukunft ohne Bercksichtigung kologischer Gesichtspunkte getroffen werden.'(S.77)
Die Kieler Thesen haben die 'Wirtschaft im sozialen Rechtsstaat' zum Thema. Man bekennt sich zunchst zum sozialen Liberalismus und stellt fest, da ein 'Minimum staatlichen Einflusses keineswegs immer ein Maximum an Freiheit fr den einzelnen' bedeutet. Gleichzeitig wird vor einer unbegrenzten und ungebundenen Wahrnehmung von staatlichen Aufgaben gewarnt ('gefhrliches Mittel illegitimer Machtausbung').
Liberale Wirtschaftspolitik dient allen Brgern und ist nicht auf Gruppeninteressen und Privilegien ausgerichtet, sie schafft Chancengleichheit.
These 10 des zweiten Abschnittes ('Es gibt Grenzen der Machbarkeit') spricht nunmehr von 'berzogenen Verteilungsansprchen aller sozialer Gruppen' auf welche die Schwierigkeiten konjunkturpolitischer Steuerung unter anderem beruht.
Das fr notwendig gehaltende Wirtschaftswachstum 'richtet sich nicht einseitig an ein Bruttosozialprodukt-Wachstum' aus. Zur Bewertung gehren ebenso soziale Indikatoren, Umweltvertrglichkeit, humanere Arbeitsbedingungen und gerechtere Verteilung der Zuwchse.
Es gilt, Anpassungshemmnisse abzubauen, die private Investitionsttigkeit zu sichern und die Mobilitt der Arbeitskrfte und des Kapitals zu erhhen. Die Verteilungspolitik sorgt dafr, da 'die marktmige Einkommensdifferenzierung nicht zu gesellschaftspolitisch unertrglichen Spannungen fhrt.'
II. Linksliberalismus in der liberalen Tradition - Oder: Ist der Liberalismus links?
Da die FDP sich in heutiger Zeit recht eindeutig als Wirtschafts- und Besserverdienenden-Interessenpartei positioniert hat, erscheint es aus heutiger Sicht schwer einsehbar, welche liberale Ideen namentlich in den Freiburger Thesen enthalten sein sollen. Ist dieses vieldiskutierte Thesenwerk der wahre Ausdruck von Liberalismus oder handelt es sich eher um einen 'Ausreier', der weiter nichts mit den Wurzeln des Liberalismus zu tun hat? Ist der Liberalismus links? Als Herangehensweise an diese Frage empfiehlt es sich, einige historische Vertreter des 'sozialen Liberalismus' zu untersuchen.
1. John Stuart Mill
Mill gehrt zu den sogenannten philosophic radicals. Sie stehen fr die Ausweitung der Reprsentation auf alle Schichten des Volkes und wenden sich der sozialen Frage zu, da der Liberalismus 'nicht mehr guten Gewissens annehmen' kann, 'da Ausbeutung und Elend der Arbeiterschaft durch die Krfte des Marktes, der sie bewirkt, auch wieder zum Verschwinden gebracht werden[].'(Ghler/Klein, 1993, S.447)
Mill setzt sich fr freie Meinungsuerung und einen konsequenten Minderheitenschutz ein, da niemand sicher sein kann, da er in Besitz der Wahrheit ist, auch die Mehrheit nicht. Obwohl er sich zum Individualismus bekennt, sieht er das Individuum doch verpflichtet, die Interessen anderer nicht zu verletzen sowie der Gesellschaft seinen Anteil zur Aufrechterhaltung des allgemeinen Selbstschutzes zu leisten. Die Individuen mssen sich ansonsten frei entfalten knnen, da in dem Mae der Entfaltung seiner Individualitt jeder Mensch wertvoller fr sich selbst wird und es darum vermag, wertvoller fr andere zu sein.(Siehe ebd. S.453) Nur durch Individualitt kann es in der Gesellschaft Fortschritt geben. Der Staat mu als Grundbedingung seiner eigenen Existenz und Fortentwicklung die Ausbildung von Individualitt ermglichen und befrdern.(Ebd. S.454)
John Stuart Mill ist Utilitarist; modifiziert aber in manchen Punkten den 'Ur-Utilitaristen' Bentham. Nach dieser Schule sind Handlungen (insbesondere des Staates) ntzlich, wenn ihr Ergebnis das Glck der Menschen ist. Im Unterschied zu Bentham fhrt Mill eine qualitative Gewichtung des Eigeninteresses des Individuums ein, wonach die geistigen den krperlichen Freuden berlegen sind. Wurde das allgemeine Wohl bei Bentham noch durch das Aufsummieren der Einzelinteressen erreicht, hngt es bei Mill nunmehr 'von der durchgngigen Einsicht der Individuen ab, da die Belange anderer oder allgemeine Belange fr sie selbst Opfer bedeuten knnen [].'(Ebd. S.457)
Diese Akzentverschiebung des Ntzlichkeitsprinzips hin zu sozialen Tugenden verlangt, da Gesetze und gesellschaftliche Verhltnisse die Interessen jedes einzelnen soweit wie mglich mit dem Interesse des Ganzen in bereinstimmung bringen. Erziehung und ffentliche Meinung mssen ihren Einflu darauf verwenden, in jedem die unauflsliche Verknpfung zwischen dem eigenen Glck und dem Wohl des Ganzen herzustellen ('Verinnerlichung des Gemeinsinns'). Fr jeden Brger mu ein unmittelbares Motiv zur Frderung des allgemeinen Wohls einer der 'gewohnheitsmigen Handlungsantriebe' werden.(Ebd. S.458)
Der Utilitarismus begrndet in der Deutung Mills soziale Gerechtigkeit. Es verlangt, 'da die Gesellschaft jeden gleich gut behandeln soll, der sich um sie im gleichen Mae verdient gemacht hat.'(Mill, zitiert in: Ebd. S.469) Jeder hat den gleichen Anspruch auf Glck und die Mittel zu seiner Erreichung. Eigentum kann daher nicht unantastbar sein. Privatbesitz steht dann zur Disposition, wenn es der allgemeinen Wohlfahrt der Gesellschaft und der sozialen Gerechtigkeit widerspricht.
Landeigentum und der Grundbesitz sind dabei weniger legitimiert 'besitzt zu werden', da sie nicht unmittelbar ein Produkt des Produzenten sind.
2. Fabianer
Die Fabian Society wurde 1884 in London von einer linkssozialistischen Intellektuellengruppe gegrndet.(Siehe Meyer, 1986, S.169) Den Mitgliedern der Gesellschaft ging es darum, die individualistische Gesellschaft des Kapitalismus schrittweise 'durch gesellschaftlich verantwortliche Formen der Verfgung ber Grund und Boden und die Produktionsmittel' umzugestalten.(Ebd.) Dabei sollte die gesellschaftliche Kontrolle ber Boden und Produktionsmittel vorrangig durch die Kommunen ausgebt werden. Es geht darum, die evtl. folgenschwere individuelle Willkr durch gesellschaftliche Kontrolle und soziale Verantwortung zu ersetzen.
Die Fabianer waren der berzeugung, da diese Transformation der Gesellschaft nur als Reformproze im Rahmen der Demokratie mglich ist.(Siehe ebd.) Sie teilten die Grundlagen mit dem Liberalismus (Prinzipien der gleichberechtigten, individuellen Freiheit und praktische Chancengleichheit) und waren der berzeugung, da sozialistische Konsequenzen aus seinen Prinzipien zu ziehen sind (und versuchten erfolglos, die damaligen Liberalen davon zu berzeugen). Fr die Fabianer war der Sozialismus lediglich ein Individualismus, der vernnftiger organisiert wird.(Vgl. ebd.)
3. Friedrich Naumann
Friedrich Naumann war ein evangelischer Sozialpolitiker, der erst spt im Liberalismus seine politische Heimat fand. Er erkannte an, da die Sozialdemokratie fr die Bercksichtigung der Interessen des Volkes viel geleistet habe, Unterschied sich aber von ihr bezglich der Bewertung der Zukunftschancen des Kapitalismus.
Er erkannte jedoch grundstzlich die Berechtigung der sozialdemokratischen Forderungen an und pldierte fr eine Bearbeitung der sozialen Frage 'vom Standpunkte der Bedrngten, fr die Bedrngten und mit den Bedrngten.'(Naumann nach: ebd.)
Naumann sah einen Zusammenhang zwischen Kapitalkonzentration und Arbeitslosigkeit und vertrat aufgrund dessen die Meinung, da der Staat dieser Konzentration auf jede gesetzliche Weise entgegenzuwirken hat. Auf der anderen Seite hielt er es fr politisch geboten, die Arbeiterschaft mittels Ausbau des Versicherungswesens (Arbeitslosenversicherung), Ausgestaltung des Arbeiterschutzes und parlamentarische Fabrikverfassung (d.h. Mitbestimmung) zu strken.
4. Karl Hermann Flach
Mit dem Namen Karl-Hermann Flach verbindet sich die linksliberale ra wie mit kaum einen Anderen. Er wurde 1971 zum Generalsekretr der FDP gewhlt, verstarb jedoch bereits 1973 (was auch ein Grund dafr sein mag, weshalb sich die Partei in ihrer praktischen Politik nicht eines dauerhaften und stringenten linksliberalen Profils befleiigte).
Mit seiner Streitschrift: 'Noch eine Chance fr die Liberalen' war vermutlich nicht die Partei im engeren Sinne, sondern primr der Liberalismus im weiteren Sinne der Adressat des Titels. Es geht ihm um eine Rehabilitierung dieser politischen Tradition und vor allem um eine richtige Interpretation derselben. Seine Deutung bringt uns wieder direkt zur Ausgangsfrage, nmlich die, ob der Liberalismus seiner Natur nach links ist.
Flach stellt fest, da der Liberalismus teilweise versagt hat, da er sich als Interessenvertreter privilegierter Schichten mibrauchen lie und brgerlich-konservativ erstarrte(Flach, 1977: 9) Liberalismus definiert er als 'Einsatz fr grtmgliche Freiheit des einzelnen Menschen und Wahrung der menschlichen Wrde in jeder gegebenen oder sich verndernden gesellschaftlichen Situation.'(S.12) Der Liberale kennt keine letzten Wahrheiten, es bedarf der geistigen Freiheit und des Schutzes von Minderheiten, da jede Fortentwicklung als Abweichung von der herrschenden Lehre beginnt.(Siehe S.13)
Eine Gesellschaft braucht stndig Vernderung, da erstarrte Macht- und Besitzverhltnisse freiheitsfeindlich wirken.(S.15) (Daher verluft nach Flach auch die zentrale Frontlinie berall zwischen konservativ und liberal, die wiederum durch alle Blcke und Parteien geht - siehe S.74) Der Liberale sieht in der Begrenzung, Aufteilung und Kontrolle der Macht seine Aufgabe.(S.16)
Alsdann wird Flach deutlicher:
'Der Kapitalismus als vermeintlich logische Folge des Liberalismus lastet auf ihm wie eine Hypothek. Die Befreiung des Liberalismus aus seiner Klassengebundenheit und somit vom Kapitalismus ist daher die Voraussetzung seiner Zukunft.'(S.17)
Der Liberalismus hat nicht erkannt, da mit dem bergang vom Absolutismus zum Rechtsstaat nur der erste Schritt zu einer liberalen Entwicklung der Gesellschaft geleistet wurde.(Ebd.) Der Liberalismus begngte sich mit der Gleichheit der Startchancen auf dem Papier, und sicherte ebendiese nicht in der Realitt.(Vgl. S.18) Die Liberalen 'duldeten eine Verfestigung der sozialen Verhltnisse, die den theoretischen und juristischen Freiheitsbegriff zur Waffe in den Hnden einer begrenzten Schicht in der Abwehr der Ansprche breiter Schichten pervertierte.'(S.18f.)
Privateigentum an Produktionsmitteln und Marktfreiheit fhrt zu Ungleichheit, Vermgenskonzentration zur wachsenden Disparitt (Vgl. S.21f.)(nach dem geheimnisvollen Prinzip des Kapitalismus sammelt sich Vermgen vorwiegend dort weiter an, wo schon welches vorhanden ist - S.26). Wettbewerb hingegen ist fr Wachstum und Fortschritt notwendig, er lt sich aber mit verschiedenen Eigentumsformen organisieren. Es stellt sich die Frage nach der Verwendung und Verteilung des Profits.
Der Verfasser pldiert fr eine vergesellschaftete Privatwirtschaft: neue Formen der Mitbeteiligung (Strkung der Brgerrechte am Arbeitsplatz - S.34), genossenschaftliche Produktionsweise, fr grere Unternehmen hlt er die Idee einer gemeinntzigen Stiftung bereit.(Vgl.S.28f.) Ziel ist es, die Zahl der Kleineigentmer auf Kosten der Groen zu erhhen.(S.30) Die Entscheidung bei Groinvestitionen kann darber hinaus nicht Privatleuten anvertraut werden, es bedarf Prioritten und der Bercksichtigung der kologie.(S.31)
Auch die studentischen Unruhen werden von Flach analysiert. Er wirft den Protestlern dogmatische und letztlich systemerhaltende Positionen vor (vgl. S.48ff.), hlt ihr aber zugute, da erst durch den Protest einer breiten Schicht deutlich wurde, 'da unsere brave parlamentarische Demokratie vielen alten autoritren Strukturen nur aufgepfropft wurde, die unter der Decke formaler Freiheit ein munteres Eigenleben weiterfhren.'(S.44) Die junge Linke verdankt der Liberalismus, seine Eigentumsideologie neu zu berdenken und sich ber seine historischen Verfestigungen hinweg auf seine Wurzeln zu besinnen.(S.47)
Freiheit, Gleichheit und Wachstum (oder Effektivitt) mssen in einem ausgeglichenem Verhltnis gegenberstehen, fr soziale Ungerechtigkeit gibt es keine liberale Begrndung.(Siehe S.66 u.68) So mu auch das Recht die Besitzlosen vor den Besitzenden und die Schwachen vor den Mchtigen schtzen, nicht umgekehrt.(S.79)
5. Konklusion
Der Liberalismus lt sich unterteilen in philosophischen, konomischen, politischen und sozialen Liberalismus. Der philosophische stellt auf die Autonomie der Person ab, der konomische macht die Idee des Spiels der freien Krfte zum Ausgangspunkt seiner berlegungen. Der politische Liberalismus verstand sich als Bewegung zur Erstellung einer Verfassung und der soziale Liberalismus wiederum 'anerkennt, da Freiheit gesellschaftlich erfllte Freiheit sein mu, wenn sie nicht zum Privileg einiger weniger verkmmern soll.'(Verheugen in Meyer, 1986, S.401; zur Einteilung der Liberalismen: ebd.) Sicherlich ist das eine recht grob gestrickte Unterteilung. Sie soll lediglich zeigen, da der Liberalismus recht komplex ist und das die Blickwinkel, aus denen heraus die jeweiligen vorrangigen Ziele einer Liberalismustradition formuliert werden, sehr verschieden sind.
Indem sich der Liberalismus der sozialen Frage zuwendet (und gerade der zu skizzierende Linksliberalismus kennzeichnet sich durch eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema) begibt er sich auf einen schmalen Grat: Er mu seine ideologisch geschlossene Vision des Nachtwchterstaates und das ausschlieliche Zurckfhren sozialer Unterschiede als natrliche Folge unterschiedlich eingesetzter Fhigkeiten und Anstrengungen aufgeben. Im Gegenzug bekommt der Staat gem der liberal-theoretischen Antwort auf die sozialen Probleme die Aufgabe, Chancengleichheit herzustellen und zu gewhren.(Vgl. hierzu: Ghler/Klein in Lieber, 1993: 364)
Puristen unter den Liberalen knnen sagen, da diese Lsungsstrategie nicht-liberal ist, da hier das freie Spiel der Krfte empfindlich berhrt wird. Ebensogut lt sich aber dieser soziale Liberalismus quasi als historische Fortentwicklung und Erweiterung der liberalen Theorie ansehen, bei der sich eine verstrkte Verantwortlichkeit des Staates fr seine Brger auf das Recht der Menschen auf ein menschenwrdiges und selbstbestimmtes Leben zurckfhren lt, das ohne weitere Staatsaktivitten so nicht fr alle gleichermaen gewhrleistet wre. So argumentieren die Autoren der Freiburger Thesen, die gerade aufgrund der liberalen Postulate (Gleichheit der Lebenschancen, Menschenwrde und Schaffung optimaler Bedingungen fr die persnliche Selbstentfaltung) dem Staat dazu anhalten, den Kapitalismus entsprechend zu reformieren (Eindmmung der Konzentration, breite Vermgensbildung, Mitbestimmung im Betrieb etc.); gerade ein nicht-Einschreiten wre nach dieser Lesart nicht-liberal.
Die berlegungen, die sich in den wiedergegebenen Programmen und vor allem bei Karl-Hermann Flach finden lassen, drehen den Spie gewissermaen um: Es wird hier nicht mehr die Frage gestellt, ob ein umverteilender Interventionsstaat berhaupt in einem liberal organisierten Gemeinwesen Platz finden kann. Es wird im Gegenteil die Frage aufgeworfen, ob eine Auffassung vom Staat, die ihm nicht eine ausgeprgte soziale Ausrichtung zuspricht, vor dem Hintergrund der heutigen sozialen Bedingungen berhaupt liberal genannt werden kann. Ein Laisser-faire-Liberalismus mu sich fragen lassen, ob er den universalen Charakter seiner Theorie noch gengend bercksichtigt.
Wenngleich dem Liberalismus der Makel der Privilegienwahrung und -mehrung der Besitzenden anhaftet, so zeigt es sich doch, da aus der ideologisch gebotenen Wertschtzung des einzelnen genausogut ein Eintreten fr Menschen der unteren Schichten ableitbar ist.
Es bleibt festzuhalten, da das Freiburger Programm durchaus auf die Wurzeln des Liberalismus zurckgreift und eine zeitgeme Umsetzung versucht. Es entstand nicht im luftleeren Raum, sondern entwickelt eine durch Mill begrndete (und durch Naumann in Deutschland wieder aufgegriffene) Traditionslinie des Liberalismus fort. Konkret heit das, da man den Liberalismus mit sozialen Anforderungen vertrglich macht.
Ob man die mit den zu schaffenden materiellen Voraussetzungen fr das Glck begrndeten Elemente der Umverteilung als Kunstgriff sieht ist dabei eine Frage des persnlichen Standpunktes, zumal der liberalen Tradition mindestens ebenso entsprechen wrde, erworbenen Besitz (auch ber Generationen hinweg) zu schtzen und Umverteilung nicht als Staatsaufgabe anzusehen. Man sieht hier, da der Liberalismus Raum fr widersprchliche politische Storichtungen bereithlt.
Sucht man nun eine Antwort auf die Frage: Ist Liberalismus 'links'? und reduziert 'links' der Einfachheit halber auf 'soziales Engagement des Staates', so kommt man auch dann nicht zu einem eindeutigen Ergebnis: Einerseits soll sich der Staat weitestmglich zurckhalten, staatliche Arbeitsprogramme, die berdies noch dazu fhren, den Wettbewerb zu verzerren (z.B. ABM), sind abzulehnen. Sozialen Schieflagen ist nach Mglichkeit marktkonform zu begegnen, Eingriffe von auen sind tendenziell nur dazu geeignet, die gesamte volkswirtschaftliche Lage zu verschlechtern und wrden mithin der guten Absicht einen Brendienst erweisen.
Andererseits gibt es im Liberalismus der Idee nach die Anforderung an den Staat, jedem seiner Mitglieder fern der sozialen Herkunft gleiche Zugangsvoraussetzungen zu Bildung und Beruf zu ermglichen. Damit allerdings wchst dem Staat ein seiner Gre und Bedeutung nach kaum zu unterschtzender Auftrag zu, der letztlich in den sozialen Bereich fllt. Auf diese liberalen Tradition der Bildung (und den damit verbundenen Zielsetzungen der Aufklrung) besann sich die FDP Ende der 60er Jahre (Siehe Nrnberger Wahlplattform oben). Zusammen mit den Vorschlgen fr mehr direkte und betriebliche Demokratie, den berlegungen zur Verteilungsgerechtigkeit sowie der Besetzung des jungen Themas Umwelt (einschlielich eines entsprechend kritischen Wachstumsbegriffs) scheint dies das programmatische Rckgrat dafr zu bilden, was man heute im Rckblick 'Linksliberale ra' nennt.
B. Die sozialliberale Koalition
1. Grnde zur Hinwendung der FDP zur SPD
Da die Vergangenheit der FDP in der Regierungsverantwortung vor ihrer Koalition mit der SPD trotz differierender Haltungen beispielsweise in der Deutschlandpolitik oder in der Spiegel-Affre zur CDU insgesamt eher brgerlich-konservativ geprgt war, stellt sich die Frage, wie es zu ihrem Sinneswandel kommen konnte. Dabei ist sicherlich von groer Bedeutung, da die FDP sich in der Zeit von 1966 bis 1969 in der fr sie ungewohnten Oppositionsrolle befand, die ihr auf der anderen Seite erst den notwendigen Raum zur inhaltlichen Modernisierung gab. Fr die Opposition konnten in dieser Zeit vorrangig die von der groen Koalition verabschiedeten aber in der Bevlkerung umstrittene Notstandsgesetzgebung als auch ein von vielen empfundener Reformstau als Kristallisationspunkte fungieren.
In der Opposition mute sie aber auch mit ansehen, wie Plne der Koalition die Runde machten, das Verhltniswahlrecht durch ein Mehrheitswahlrecht zu ersetzen. Ist die Sperrklausel zur jener Zeit schon zur Hrde geworden, so wre die Abnderung der Wahlmodalitten in geplanter Form der sichere Tod der FDP auf Bundesebene gewesen. Lediglich die SPD sagte sich noch zu Zeiten der groen Koalition von diesem Vorhaben los.(Frlich, 1990: 14)
1966 hat die FDP ber die Optionen der Partei in der Opposition beraten. Dabei zeigte sich, da die Ost- und Deutschlandpolitik das entscheidende Bettigungsfeld darstellte, den Auffassungen der Groen Koalition entgegenzutreten.(Heitmann, 1989: 44) Die Koalition war in diesen Fragen - nicht offiziell, da die SPD den Kurs mittrug, der ihr nicht behagte - miteinander zerstritten.(Ebd.: 89) Die SPD zeigte sich bzgl. der Westgrenze Polens Status-Quo orientiert, pldierte wesentlich deutlicher noch fr eine Entspannungspolitik und wollte die Bndnisblcke im Gegensatz zur CDU durch ein gesamteuropisches Sicherheitssystem ersetzen.(Vgl. ebd.: 67) Im Bereich der Auenpolitik kristallisierten sich in der FDP Standpunkte heraus, die wesentlich nher an denen der Brandt`schen SPD lagen als an der CDU. So forderte Rubin 1967 eine an den Realitten angepate Deutschland und Ostpolitik und meinte damit die Anerkennung der Oder-Neie-Linie und eine Zurkenntnisname eines anderen deutschen Staates auf deutschen Boden. Ein auf diesem Feld (zu diesem Zeitpunkt) sturer Parteivorsitzender Mende wurde 1968 auf dem Parteitag durch Scheel abgelst, der innerhalb seiner Partei als gemigter Reformer galt und dem eine Entspannungspolitik mit dem Osten besonders am Herzen lag.
Von einiger Wichtigkeit bei dieser allmhlichen Neuorientierung ist, da die Gesellschaft in dieser Zeit weitreichenden Wandlungen unterlag, ohne die eine Hinwendung zu einem linksliberalen Profil schwer nachvollziehbar wre. Letztlich ist das Verhalten der FDP daher auch als Reaktion auf Entwicklungen in der Bevlkerung anzusehen.
Zum einen umfat diese gesellschaftlichen Umwlzung eine Art Erwachen der Brger, die sich nunmehr auch in den politischen Dingen einzumischen gedachten. Eine Aufbruchstimmung wurde sprbar. Mit Persnlichkeiten wie Karl-Hermann Flach und Ralf Dahrendorf und seinen berlegungen zur Erneuerung der Demokratie in der Bundesrepublik hatte die Partei Integrationsfiguren fr das anwachsende Protestpotential aufzuweisen, wenngleich diese nicht fr die gesamte Partei standen. Dennoch war von allen Parteien die FDP diejenige, in der die amorphen Ideen und Stimmungen der Zeit am meisten rezipiert wurden.(Heitmann, 1989: 93ff.) Auch wandelte sich in dieser Periode die Werteorientierung. Standen nach dem 2.Weltkrieg die materiellen Werte im Vordergrund und galt das Streben hauptschlich dem Erlangen von Wohlstand, rckten nun auch Gedanken in das Blickfeld, wie die Welt besser und menschlicher zu gestalten sei. Dabei wurde es Vielen schwer gemacht, in Anbetracht des Vietnam-Krieges die einseitige und intensive Orientierung der Bundesrepublik an die USA gutzuheien.
Zum anderen wandelte sich die Sozialstruktur der Bundesrepublik, und zwar in einer fr die Alt-FDP problematischen Weise. Eine groe Gruppe der typischen FDP Whler der jungen Republik, der sog. alte Mittelstand (Handwerker, Einzelhndler, Landwirte etc.) nahm stetig ab (Vgl. Geiler, 1996: 111), hingegen entstanden und wuchsen neue Mittelschichtsgruppen, die Reformen aufgeschlossener gegenberstanden.(Vgl. Lsche/Walther, 1996: 71 u. 75) Die regionalen Schwerpunkte der FDP-Whler verlagerten sich von den lndlichen Gebieten hin zu den urbanen Dienstleistungszentren.(Heitmann, 1989: 94)
Aus diesem Blickwinkel betrachtet war die neue F.D.P. ein Gebot von Marketingberlegungen (und bei ihrer Stimmenanteilsgrenordnung ein Gebot zum berleben der Partei).
Insgesamt sprach daher die gesellschaftliche Atmosphre im Land fr eine allmhliche Ablsung altliberaler Standpunkte und machte eine Hinwendung zur SPD - die gerade eine Entwicklung zur Volkspartei durchgemacht hatte - nahezu zwingend. Als zustzliche Geburtshelfer der neuen Partei verstanden sich dabei offensichtlich weite Teile der Presse (vor allem Stern[19] und Spiegel, aber auch Frankfurter Rundschau und Sddeutsche Zeitung), die Partei fr die Reformer (und gegen die Altliberalen) in der Partei ergriffen.
Zu diesem entscheidenden gesellschaftlichen Klima gesellten sich noch zwei weitere Argumente, die fr eine Neuorientierung sprachen. Zum einen gab es in Nordrhein-Westfalen seit 1966 eine funktionierende Koalition mit der SPD. Zum anderen trat die rechtsgerichtete NPD zwischen 1966 und `69 in sieben Landtagen ein und lie der FDP nur links Raum fr die oppositionelle Profilbildung, eine Absage an einen neu aufkommenden Nationalismus wurde forciert.
2. Deutschland- und Ostpolitik
Die Auenpolitik unter dem Vorzeichen der Entspannung wird als eine Art Markenzeichen der sozialliberalen Koalition angesehen. Auch heute steht diese Zeit fr einen letztlich erfolgreich abgeschlossenen Wandel in der Deutschland- und Ostpolitik. Zweifellos hat die Koalition auf diesem Gebiet die am besten sichtbaren Erfolge vorzuweisen, nicht zuletzt aus dem Grund, da die entscheidenden Reprsentanten mit Scheel bei der FDP und Brandt bei der SPD aufgrund weitgehender Gleichheit ihrer Meinungen in diesen Fragen ein schlagkrftiges Team bilden konnten.
Dennoch ist das Bild verzerrt, nach dem eine gnzlich entgegengesetzte Auenpolitik unter Brandt/Kiesinger nunmehr durch einen ganz anderen Ansatz ausgetauscht wurde. Vielmehr wurde eine neue Ostpolitik schon - vorsichtig - von der groen Koalition eingeleitet, die berdies auch den entspannungsorientierten Westmchten entsprach. So fanden erstmals Kontakte auf Regierungsebene statt und Kiesinger bekundete bereits in seiner Regierungserklrung von 1966 die Bereitschaft zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den stlichen Nachbarn.(Siehe Heitmann, 1989; 62ff.; Roth, 1981: 25 u. 27)
Die sozialliberale Koalition gab der Deutschland- und Ostpolitik jedoch einen entscheidenden Schub, auch in dem sie Tabus brach, an denen zuvor nicht gerttelt wurde. So wurde mit der Hallsteindoktrin auch der Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik fr Deutschland aufgegeben, ffentliche uerungen von Brandt (Auch wenn zwei Staaten in Deutschland existieren sind sie doch freinander nicht Ausland) wiesen in die Richtung einer allmhlichen de-Facto-Anerkennung eines zweiten deutschen Staates, die zuvor nicht denkbar war.(Vgl. Heitmann, 1989: 101) Man stellte nun die Deutsche Frage auch vor dem Hintergrund der sich stabilisierenden Zweistaatlichkeit hintenan, ohne sie aufzugeben. Vielmehr bestand die Philosophie der Regierung darin, sich konkret um Entspannung und um Freiheit im anderen Teil Deutschlands einzusetzen, um im Rahmen einer gesamteuropischen Friedensordnung spter auch die Deutsche Frage zu lsen.(Roth, 1981: 29) Man sah die Aufgabe darin, eine bereits unbersehbar einsetzende Entfremdung der Bevlkerungsteile Ost und West zueinander entgegenzuwirken, indem fr sprbare Verbesserungen fr die Menschen zu sorgen ist. Negativ- oder Nicht-Beziehungen sollten in normale und am Ende in freundschaftliche Beziehungen umgewandelt werden, um dann im gegenseitigen Einverstndnis eine berwindung der Spaltung Europas zu ermglichen.(Ebd.: 30)
Dieses Verstndnis der anstehenden Deutschland- und Ostpolitik wurde in vielen (auch) bilateralen Vertrgen umgesetzt und bildeten die Voraussetzung fr die Herausbildung eines gesamteuropischen Vertragskonstruktes, welches in der Schluakte von Helsinki 1973 ihren Niederschlag fand, die ber die Blcke des Kalten Krieges hinweg eine Zusammenarbeit einleitete.
1970 wurde im Moskauer Vertrag festgehalten, da beide Staaten die Normalisierung der Lage in Europa frdern wollen. Beide Vertragspartner verzichten auf die Drohung oder Anwendung von Gewalt und achten die territoriale Integritt der europischen Staaten in ihren heutigen Grenzen.
Im selben Jahr wurde mit Polen der Warschauer Vertrag ausgehandelt, der zustzlich festhlt, da die Oder-Neie-Linie die westliche Staatsgrenze Polens bildet.
1971 wurde durch das Viermchteabkommen, das die Anwesenheit der drei Westmchte in Berlin bekrftigt, die Lage in der Stadt stabilisiert. Zudem verpflichtete sich die Sowjetunion respektive die DDR, den Transitverkehr ohne Behinderungen zu gewhrleisten; Erleichterungen fr Westberliner bei Reisen in die DDR wurden ebenfalls festgeschrieben. Im Verkehrsvertrag von 1972 gestand die DDR ihren Brgern bei dringenden Familienangelegenheiten ein, in die Bundesrepublik zu reisen.
Der Grundlagenvertrag zwischen der BR Deutschland und der DDR vom gleichen Jahr beinhaltet das Ziel, normale, gutnachbarliche Beziehungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung aufzubauen und schreibt dabei u.a. die Unverletzlichkeit der zwischen ihnen bestehenden Grenze sowie eine gegenseitige Respektierung der Selbstndigkeit fest.
1973 wird im Prager Vertrag die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vereinbart und die Unverletzlichkeit der Grenzen versichert.
3. Innenpolitische Reformpolitik
Zu Beginn der sozialliberalen Koalition wurde hnlich der heutigen politischen Situation innenpolitisch ein Reformstau ausgemacht, den es abzubauen galt. Im Folgenden werden die Ergebnisse dieser Reformbestrebungen aufgelistet.
1972 wurde das Betriebsverfassungsgesetz verabschiedet, das die Stellung der Gewerkschaften zum Betrieb regelt und ihnen somit einen Zugang zum Betrieb verschaffte. Insbesondere die FDP bte dabei Druck auf die SPD aus, die parittische Mitbestimmung auch auerhalb des Bereichs der Montanindustrie einzufhren.(Siehe Mller, 1994: 390)
1976 wurde mit dem Mitbestimmungsgesetz die berbetriebliche Mitbestimmung von Betrieben mit mehr als 2000 Beschftigten geregelt. Die Aufsichtsrte sind nunmehr mit gleichen Teilen mit Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer zu besetzen, wobei sich der Arbeitnehmeranteil mindestens aus zwei von den Gewerkschaften Entsendeten, aus Arbeitern, Angestellten und leitenden Angestellten zusammensetzt. Die FDP konnte durchsetzen, da im Falle eines Pattes bei einer erneuten Abstimmung der mit dem Vertrauen der Anteileigner ausgestattete Vorsitzende zwei Stimmen erhlt. Diese Lsung ist Ausdruck eines Kompromisses, bei dem der SPD-Wunsch nach parittischer Mitbestimmung den Zielen der FDP entgegenstand, eine Einschrnkung der Verfgungsgewalt der Kapitalseite zu verhindern.
Das ist seitens der Liberalen ein ganz anderer Zungenschlag, als er in den Freiburger Thesen noch zu vernehmen war. Insofern ist es berechtigt davon zu sprechen, da diese Thesen einerseits Ausdruck einer kurzen Bltezeit (und Renaissance) des Linksliberalismus sind, jedoch nicht geeignet sind, als Charakterisierung der FDP whrend der gesamten sozialliberalen ra herangezogen zu werden.
Der Bildungsreform stand reformkonzeptionell an der Spitze der Prioritten.(Biehler, 1989: 91) Man ging bereinstimmend davon aus, da wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt von der Leistungsfhigkeit des Bildungssystems abhngen. Ziel war die Erlangung der Chancengleichheit und die Demokratisierung der Hochschulen.
Wie auf kaum einen anderen Feld war auf diesem Politikfeld jedoch der Handlungsspielraum der Koalition uerst begrenzt. Zum einen mute die CDU/CSU - Bundesratsmehrheit mit einbezogen werden. Diese aber folgte bzgl. der Demokratisierung nicht den Anstzen der Regierungskoalition. Zum anderen fllte das Bundesverfassungsgericht 1973 zum Vorschaltgesetz fr ein Niederschsisches Gesamthochschulgesetz ein Urteil, welches den Bestrebungen der Koalitionsparteien zum grten Teil zuwiderlief. Das Urteil wird insbesondere hinsichtlich der Gerichtskompetenzen (und der mglichen berschreitung derselben) kritisch bewertet: Angesichts der Allgemeinverbindlichkeit des Urteils, die den Gesetzgeber bindet, wurde vom Gericht eine politische Entscheidung mit gesetzgeberischer Kraft getroffen und die Legislativorgane zu Vollzugsorganen hchstrichterlichen Willens degradiert. (Ebd.: 100)
In dieser institutionellen Machtkonstellation konnte die Regierung keinen bundespolitischen Impuls in Form eines neuen (bzw. neuartigen) Hochschulrahmengesetzes geben. (Landespolitische liberale Hochschulgesetze fielen dem besagtem Urteil anheim.)
Eine Berufsbildungsreform, die vor allem die SPD anstrebte, scheiterte ebenfalls. Ziel des Kabinetts war es u.a., die berufliche Bildung in die allgemeine Bildung zu integrieren, die materiellen Aus- und Weiterbildungsinhalte sowie die schulischen mit der auerschulischen Berufsbildung abzustimmen. Der Staat sollte in diesem Bereich mehr Verantwortung tragen. Vor dem Hintergrund steigender Jugendarbeitslosigkeit schlug die von der Bundesregierung eingesetzte Edding-Kommission vor, mittels einer Fondfinanzierung die Wettbewerbsverzerrung zwischen ausbildungsaktiven und -passiven Betrieben einzudmmen und damit fr Ausbildungsaktivitten grere Anreize zu geben. Die Fondfinanzierung stie bei der FDP auf Widerstand (Bedenken: mangelnde Effizienz). Der gefundene Kompromi (Wenn das Ausbildungsplatzangebot weniger als 12,5 % ber [!] der Nachfrage liegt, kann eine Berufsbildungsabgabe erhoben werden) scheiterte am Bundesrat. Ein daraufhin eingebrachter Ausbildungsplatzfrderungsgesetz-Entwurf, der nach Meinung der Bundesregierung die Bundesratszustimmungselemente umschiffte scheiterte am Bundesverfassungsgericht, welches das Gesetz auf Antrag Bayerns fr nichtig erklrte, da es dem entgegen doch der Zustimmung bedurft htte.(Vgl. Biehler, 1989: 115ff.)
Insgesamt hat das Bundesverfassungsgericht eine entscheidende (und hemmende) Wirkung auf die Reformpolitik der sozialliberalen Koalition. Dieser Einflu zeigt sich des weiteren auf die von der Koalition verabschiedete Fristenlsung. Sie sollte den restriktiven 218 StGB, welcher den Schwangerschaftsabbruch unter Strafandrohung stellt, ablsen und ist Ausdruck des Zieles, eine legale Lsung unzumutbarer Konfliktlagen zu ermglichen.(Siehe Mller, 1994: 411) Diese Regelung hielt das Bundesverfassungsgericht fr mit der Verfassung unvereinbar. Die Regierungsmehrheit beschlo daraufhin die sog. Indikationenlsung.
Auch die Wehrpflichtnovelle der Bundesregierung, nach der auf ein Anhrungsverfahren und die Gewissensprfung verzichtet werden sollte, stellte sich das Bundesverfassungsgericht entgegen und argumentierte dabei mit der Funktionsfhigkeit der Bundeswehr.
Erfolgreich hingegen verlief die Familienrechtsreform. Teil dieser Reform ist ein neues Scheidungsrecht, deren Innovation darin besteht, den bergang vom Schuldprinzip zum Zerrttungsprinzip zu vollziehen.(Siehe Biehler, 1989: 162) Infolgedessen ist vor Gericht eine Schuldfrage der Scheidung nicht zu klren.
Insgesamt ist aber festzustellen, da die Reformfreudigkeit der Bundesregierung nach 1974 abnahm. Auch drngte die Wirtschaftskrise in Folge der lkrise die Politik von einer Position des Gestaltenden hin zu einer Politik der konomischen Sanierung. Man mute zunehmend mehr auf die konomischen Umstnde reagieren, als selbst zu agieren. Konnte man zuvor noch davon ausgehen (und die Reformprojekte entsprechend gestalten), da dauerhaftes Wachstum einem Naturgesetz gleich fr alle Zeiten gegeben ist (logische Schlufolgerung der tatschlichen wirtschaftlichen Entwicklung in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik) wurde nun deutlich, da dieses keineswegs der Fall ist. War also zunchst die Fragestellung akut, wie der grer werdende Kuchen gerecht verteilt werden kann, setzte sich an ihrer Stelle die Frage, wie berhaupt der Kuchen gleich gro zu erhalten ist. Das Problem der Arbeitslosigkeit tauchte auf.
4. Grnde zur Hinwendung der FDP zur CDU
Der Hauptgrund der FDP, sich 1982 der CDU zuzuwenden besteht mehr in einem Abwenden von der SPD als in einer aktiv betriebenen Hinwendung zu einem neuen Wunschpartner.
Mit der Verschiebung der Rechts- und Auenpolitik zur einer Politik, welche die Krisen zu bewltigen hat, vielen zwei Bereiche weg, in denen die Koalitionspartner in etwa gleiche Vorstellungen hatten und Ziele verfolgten. Es drngte der Bereich der Wirtschaftspolitik in den Vordergrund, in denen die Parteien traditionellerweise sehr unterschiedliche Herangehensweisen und Lehren vertraten.
Zuvorderst wurde am Ende der sozialliberalen ra sehr deutlich, da die Modelle zur Behebung der wirtschaftlichen Krise und dort insbesondere das Spannungsverhltnis zwischen schwieriger Haushaltslage und steigender Arbeitslosigkeit von FDP und SPD nicht kompatibel waren. Die FDP setzte sich fr ein verstrkte Haushaltsdisziplin ein, und stand (insbesondere in Form von Lambsdorff) dafr, mittels Einschnitten bei den Sozialausgaben eine strkere Begrenzung staatlicher Kreditaufnahme zu finanzieren. Die SPD hingegen wollte auf das klassische Instrument staatlicher Beschftigungsmanahmen zurckgreifen und diese mit einer Ergnzungsabgabe auf hhere Einkommen finanzieren.
Darber hinaus bot die SPD fr eine andauernde Zusammenarbeit keine hinreichende Perspektive, da ihr Erscheinungsbild unter innerer Zerissenheit litt, die - auch im Zusammenhang mit den erstarkenden GRNEN - eine erneute Mehrheitsbildung unwahrscheinlich machte. Zu den Fragen des Doppelbeschlusses und den Sozialausgaben war die SPD uneins und es mehrten sich Stimmen in der Partei, die Unverstndnis ber ihren Kanzler Schmidt uerten, mit welchem keine sozialdemokratische Politik mehr zu machen sei. Die FDP hatte erhebliche Sorge, mit den SPD an Ansehen zu verlieren und begannen sich, nach der Alternative umzusehen.
Ein anderer Grund fr eine Orientierung hin zur CDU bestand darin, da sich die Fraktionszusammensetzung der FDP erheblich gendert hatte. Paradoxerweise wurde die Koalition (auch) Opfer des erfolgreichen Abschneidens bei der Wahl 1980, bei der sie 10,6% der Stimmen auf sich vereinigen konnte (man spielte die Anti-Strauss Karte und trumpfte). Dieses nicht erwartete hervorragende Ergebnis fhrte dazu, da Listenpltze, ber die sich gar nicht mehr gestritten wurde, bei der Umrechnung in Fraktionssitze Bercksichtigung fanden. Schnell wurde klar, da die Fraktion nunmehr mit sehr viel greren Anteilen mit eher rechtsorientierten Abgeordneten bestckt war. Sie sammelten sich im sog. Wurbs-Kreis, der von Anfang an bei bestimmten Anlssen mehr als die Hlfte der Fraktion zusammenfassen konnte. Diese Spaltung der Fraktion war neu.(Verheugen; 1984: 112)
Fazit
Die linksliberale ra ist auch zeitlich nicht gleichbedeutend mit der ra der sozialliberalen Koalition!
Auch dauert der Linksliberalismus nicht bis zum Jahr 1980, nachdem die Partei im Bundestag deutlich nach rechts tendiert. Bereits seit 1974 ist mit Genscher und Schmidt ein Duo an die Spitze der Regierungspolitik getreten, die eher fr eine konservativere Innenpolitik stand. Wenn man der FDP zu einem Zeitpunkt berhaupt ein linksliberales Profil zuschreiben wollte, so endet dieses nach dem Beginn des Einstieges in die Koalition 1969 sptestens mit der bertragung der Regierungsverantwortung auf Schmidt/Genscher. Doch mu gesagt werden, da die FDP-Fraktion nie vollends einen kollektiven Linksruck vollzogen hat, der z.B. zu den Freiburger Thesen das entsprechende politik-praktische Pendant gebildet htte. Zwar nahm man sich mit Elan zusammen mit Brandt der Demokratisierung der Gesellschaft an, doch blieben die Reformen trotz einiger Erfolge weit von der Radikalitt entfernt, welche theoretisch als Programmatik erarbeitet wurde. Die zur Diskussion anregenden Thesen verdecken teilweise, da die Partei zwar einige linksliberale Kpfe hatte, sich aber ansonsten weitestgehend gemigte Reformer und auch Altliberale in ihren Reihen befanden. Von einer Partei, die etwa auf der Suche nach einem Dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus war (wie Flach ihn guthie) oder aber nennenswerte Anteile des Eigentums der Reichen zugunsten einer breiteren Vermgensstreuung zur Disposition stellten, war die Partei und insbesondere die Fraktion Lichtjahre entfernt. Zum groen Teil scheint der Linksliberalismus jener Zeit mehr in dem Auenglanz verschiedener Intellektueller (Dahrendorf, Flach, Maihofer) und ihrer liberal hergeleiteten Gerechtigkeitstheorien zu bestehen und weniger in der praktischen Politik. Die angestrengten Reformen waren nicht das Ergebnis einer vollkommen neu begrndeten Politik. Sie waren vielmehr - was sich im nachhinein zugegebenermaen leicht behaupten lt - logische Fortentwicklungen von bereits vollzogenen politischen Grundrichtungen. So lag die Demokratisierung von Unternehmen auf einer logischen Linie zu den bereits vollzogenen Mitbestimmungsmodellen der Montanunion; auch die Auenpolitik setzte nur mit Tempo und Verhandlungsgeschick fort, was in vorsichtigen Anstzen schon zuvor begonnen wurde.
Sogesehen knnte man den Linksliberalismus hinsichtlich seiner praktischen politischen Relevanz als Mitimpulsgeber einer Reformpolitik ansehen, die dynamisch einen Reformstau abbauen half, dabei aber nicht unbedingt neue politische Horizonte erffnet (zumindest was die politische Umsetzung anbelangt).
Insgesamt lt sich sagen, da der fr seine taktischen Fhigkeiten bekannte Genscher mit seiner Vorstellung einer Partei, die sich sowohl mit der SPD als auch mit der CDU koalitionsfhig zeigt (quidistanz zu beiden Parteien) durchsetzen konnte und das Bild der Partei als Korrektiv des groen Partners ber lange Zeit prgte.
Eine Partei des Aufbruchs verkrperten schlielich die GRNEN, zu einer Zeit, da sich die FDP von den fundamentalen linksliberalen Gedanken vergangener Tage bereits lange Zeit verabschiedet hatte.
Verzeichnis der verwendeten Literatur
Augstein, Rudolf: Der Unbequeme, in: Der Spiegel 42/1992, S.18f.
Biehler, Gerhard: Sozialliberale Reformgesetzgebung und Bundesverfassungsgericht: Der Einflu des Bundesverfassungsgerichts auf die Reformpolitik - zugleich eine reformgesetzliche und -programmatische Bestandsaufnahme. Nomos Universittsschriften Bd. 6, Baden-Baden 1990;
Fenske, Hans: Politisches Denken im 20. Jahrhundert, in: Lieber, Hans-Joachim (Hrsg.): Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart. 2. Aufl., Bonn 1993;
Flach, Karl-Hermann: Noch eine Chance fr die Liberalen. Frankfurt am Main 1974;
Frlich, Jrgen: Geschichte und Entwicklung des Liberalismus in Deutschland. Heft 3 Liberalismus in der Bundesrepublik, 2.Aufl., Sankt Augustin 1990;
Geiler, Reiner: Die Sozialstruktur Deutschlands. 2.Aufl., Bonn 1996;
Ghler/Klein: Politische Theorien des 19. Jahrhunderts, in: Lieber, Hans-Joachim (Hrsg.): Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart. 2. Aufl., Bonn 1993;
Heitmann, Clemens: FDP und neue Ostpolitik. Zur Bedeutung der deutschlandpolitischen Vorstellungen der FDP von 1966 bis 1972. Sankt Augustin 1989;
Lsche/Walther: Die FDP. Frankfurt am Main 1996;
Mller, Helmut M. Schlaglichter der deutschen Geschichte. 2.Aufl., Bonn 1994;
Roth, Margit: Zwei Staaten in Deutschland. Die sozialliberale Koalition und ihre Auswirkungen 1969 - 1978. Studien zur Sozialwissenschaft Bd.50, Opladen 1981;
Verheugen, Gnther (1984): Der Ausverkauf. Macht und Verfall der FDP. Reinbek bei Hamburg 1984;
Ders. (1986) : [Stichwort] 'Liberalismus', in: Lexikon des Sozialismus. Hrsg.: Klr, Karl-Heinz; Meyer, Thomas; Mller, Susanne u.a. Kln 1986;
Die Formulierung: 'selbstbewu tere Au enpolitik' ist vermutlich im Sinne einer eigenst ndigeren, weniger vom Westen diktierten Rolle der Bundesrepublik innerhalb des Ost-West Konfliktes zu interpretieren.
Dieser Vorschlag erscheint juristisch schwer handhabbar (was ist ein wichtiges Problem?) und es lassen sich darhber Spekulationen anstellen, inwiefern dieser Punkt parteiintern hberhaupt fhr durchsetz- und regelbar gehalten wurde!
An wenigen Stellen l t sich derart intensiv der Geist der Zeit erahnen wie hier. Interessant ist dabei die Koppelung der '68er-Bildungsdiskussion' mit den Idealen liberaler Tradition: Starre Jahrgangsklassen in allen F chern und Schranken zwischen den Schulsystemen werden als ungeeignet erachtet, die vielf ltigen Talente zur Entfaltung zu bringen.
Das verwendete Vokabular erinnert zuweilen an Marx. Man redet nicht von der Marktwirtschaft, sondern vom Kapitalismus und seinen negativen Folgen, an andereren Stellen ist die Rede von einer 'Zerst rung der Person durch die Fremdbestimmung'(S.8) oder wird als Begrhndung fhr die Kontrolle durch die Mitbestimmung angegeben, der Entfremdung entgegenzuwirken.(S.52) Auch 'die Befreiung der Person aus Unmhndigkeit und Abh ngigkeit'(S.9) erinnert nicht nur an Kant. Allerding ergreift das Programm eindeutig Partei fhr die Marktwirtschaft und bemhht sich um eine menschenwhrdigen Umsetzung derselben (S.16: Die liberale Gesellschaft 'fhgt der unbestrittenen Leistungsf hikeit dieses privatwirtschaftlichen Systems die noch ausstehende Glaubwhrdigkeit und Menschlichkeit hinzu.) Abermals in Anlehnung an Naumann wird der Kapitalismus insgesamt nicht als Auslaufmodell eingestuft (wie es Marxisten tun), sondern als Organisationsform, die 'erst am Anfang einer ungeheuren Aufstiegsperiode' steht.(S.15)
Beim Mietkaufsystem soll die Gesamtfinanzierung des Wohnungsbaus die Mietkaufgesellschaft hbernehmen; die Mietk ufer 'tilgen durch eine entsprechende Kaufmiete die von der Mietkaufgesellschaft zur Vorfinanzierung aufgewendeten Kapitalbetr ge.' Dieses System soll den Erwerb von Wohnungseigentum insbesondere jenen Bev lkerungsschichten erm glichen, 'die nicht hber die notwendigen Eigenmittel verfhgen.'(S.31)
Die Kieler Thesen werden auch als Beginn eines Rhckzuges aus der linksliberalen Politik bewertet. Zwar gibt es noch die eine oder andere entsprechende Aussage (z.B. bzgl. der Privilegien, der Umwelt) doch hat sich der Akzent verlagert. Ging es in den Freiburger Thesen noch darum, wie man gerechter verteilt, geht es nunmehr darum, 'die Grenzen der Machbarkeit' in den Mittelpunkt zu stellen. Es geht nicht mehr prim r darum, Unternehmermacht zu begrenzen, sondern vor allem darum, Anpassungshemmnisse zu beseitigen. Die schwierige wirtschaftliche Lage fordert ihren Tribut.
Der Utilitarismus versucht, Handlungen aufgrund ihrer Wirkungen auf alle Individuen zu bewerten. Handlungen sind dann moralisch richtig, wenn sie die Tendenz haben, Glhck zu bef rdern. (Siehe G hler/Klein in Lieber, 1993, S.456)
Damit vollzieht Mill einen deutlichen Bruch zum klassischen Liberalismus eines John Locke. Er sah die Hauptaufgabe des Staates darin, erworbenes Eigentum fhr den einzelnen zu schhtzen und vor dem Zugriff eines Dritten zu sichern. Eigentum wurde im klassischen Liberalismus fhrderhin als Mittel gegen Armut und zu Mehrung von Wohlstand verstanden. Zu Zeiten Mills deuten nun offensichtlich viele Indizien daraufhin, da Eigentum und vor allem seine gro e Konzentration nicht ausschlie lich positive Folgen zeitigt. Die soziale Frage stellt sich.
Flach spricht im Zusammenhang der liberalen gbernahme der calvinistischen Pr destinationslehre, wonach wirtschaftlicher Erfolg ein Beweis fhr das Ausgew hltseins durch Gott sei, von einer vollendigen Pervertierung des Liberalismus.(Siehe Flach, 1977: 18)
Flach geht noch einen Schritt weiter. Fhr ihn ist seine Vision von einer liberalen Gesellschaft keine Fortentwicklung der liberalen Theorie, sondern ein Wieder-anknhpfen an die Wurzeln, ein Befreien der Theorie von einer privilegierten Schicht und von entsprechenden Pervertierungen (z.B. des Begriffs der Freiheit).
Nicht die soziale Hekunft soll idealerweise hber den Werdegang eines einzelnen entscheiden, sondern allein seine Talente. Der Staat hat dafhr zu sorgen, da jeder seinen F higkeiten entsprechend einen Beruf ergreift (was letztlich auch dem Staat zugute kommt).
Wenngleich es sich in der damaligen aufgeregten Bildungsdiskussion fhr die FDP nahezu aufdr ngte, das Thema Bildung als ein wichtiges Element ihrer Profilbildung einzusetzen, so darf nicht hbersehen werden, da dieses Themenfeld wie kaum ein zweites dazu geeignet ist, schlhssig mit den (sonstigen) Idealen des Liberalismus verbunden zu werden: Bildung ist ein wesentlicher Teil der Pers nlichkeitsentwicklung, wirkt auf eine pers nliche Autonomie hin, sie tr gt dazu bei, den mhndigen Bhrger herauszubilden und der Zugang zu Bildung mu fhr alle m glich sein (Chancengleichheit). Nicht prim r die Besetzung dieses Feldes ist also typisch fhr die liberale Partei dieser Zeit, sondern vielmehr die Art ihrer Behandlung (Stichwort: Offene Schulen), die antiautorit re Elemente mit einbezieht.
Dabei darf nicht hbersehen werden, da diese Vorstellungen auch innerhalb der FDP zu den Radikalforderungen geh rten und die Partei namentlich zur Oder-Nei e Grenze lange keine einheitliche Linie vertrat.
Das das Ausrichten am Markt der W hler durchaus eine Rolle spielte zeigt folgende Passage in L sche/Walter, 1996: 76: Friedrichs hielt sich bei Werbefachleuten und Meinungsforschern stets hber Trends und Stimmungen auf dem laufenden. Danach richtete er seine Partei aus. Die Partei hatte sich marktgerecht zu verkaufen - und der Markt hatte sich eben ver ndert.A
Dabei gewinnt das Bild des Geburtshelfers dadurch zus tzliche metaphorische Kraft, als der Erneuerungsproze der FDP fhr diese u erst schmerzhaft war und bezhglich der W hler und Mitglieder an die Existenz der Partei ging. Siehe dazu anschaulich: L sche/Walter, 1996: 66ff.
Gerade bei der Publikmachung der programmatischen (und fhr die damalige FDP nicht unbedingt typischen) Vorstellungen zur Au en- und Deutschlandpolitik von Schollwer und sp ter Rubin hat der Stern gro en Anteil. Henri Nannen bot Mende darhberhinaus seine Auneingeschr nkte publizistische Untersthtzung an, wenn die FDP auf diesem Feld der Politik den neuen Str mungen gem agierte. (Mende lehnte dieses Angebot ab.) (Vgl.: Heitmann, 1989; 47)
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