Schizophrenie - Die Krankheit mit vielen Gesichtern
Da ich schon seit Jahren von der Psychologie und allem, was dazu gehört, fasziniert bin und ich besonders für dieses Fach großes Interesse hege, stand für mich von vornherein fest, dass ich meine fachspezifische Arbeit auch in diesem Bereich schreiben werde. Das erste Thema, das mir dazu einfiel, war Schizophrenie - zugegebenermaßen wahrscheinlich deshalb, weil ich mich selbst noch nicht richtig gut mit dieser Krankheit auseinandergesetzt hatte und ich genau in dem vorurteilbehafteten und "spektakulären" Glauben lebte, der das Wort "Schizophrenie" mit sich brachte. Nachdem ich mich jedoch umfangreich mit dieser Krankheit auseinander setzte und mir langsam klar wurde, dass ich - wie viele andere Menschen auch - mir eine Irrmeinung über diese häufig auftretende Psychose gebildet hatte, wollte ich es mir zur Aufgabe machen, mit dieser Arbeit auch einen Schritt in Richtung "Aufklärung" zu machen und - vor allem durch den praktischen Teil meiner Arbeit, einer Umfrage und Information über die Krankheit, die ich Pinzgauer Firmen zukommen ließ - dem sozialen Stigma, das auf dieser Krankheit lastet, wenigstens ein bisschen entgegenzuwirken.
Durch intensives "Büchlein studieren" und umfangreiche Recherchen bei allen möglichen Institutionen, die sich nur im Entferntesten mit dem Thema auseinander setzten, war es mir möglich, diese Krankheit in ihrer Komplexität so gut wie möglich auszuarbeiten. Ich habe mein Bestes gegeben - und, wie ich meine, kann sich das Ergebnis auch blicken lassen.
Danken möchten ich vor allem Nicole Mösenlechner für ihr großes Engagement und ihrer Mithilfe bei dieser Arbeit. Durch ihre Erfahrungen konnte sie mir umfangreiches Wissen vermitteln, und ohne ihren Rat wäre das Ergebnis wohl nicht so gut ausgefallen. Dank gebührt auch Frau Prof. Mag. Carmen Voit für ihre freundliche Unterstützung, sowie Frau Erika Kober, Frau Mag. Christina Mulneritsch und Herrn Primarius Univ. Prof. Dr. Christoph Stuppäck für ihre Informationen. Recht herzlichen Dank Ihnen allen!
Michaela Nocker
Das Krankheitsbild der Schizophrenie ist bereits seit dem Altertum bekannt und wurde in früheren Zeiten mit Begriffen wie Verrücktheit, Geisteskrankheit, Wahnsinn oder Irresein bezeichnet. 1896 prägte der deutsche Arzt und Psychiatrieforscher Emil Kraepelin (Foto rechts) den Sammelbegriff 'Dementia praecox (frühzeitige Verblödung) für eine Reihe von psychischen Störungen, bei denen es im Verlauf der Erkrankung zu charakteristischen Störungen des Denkens und frühzeitig zum Abbau intellektueller Fähigkeiten kam.
Der Begriff der 'Dementia praecox' beinhaltete einen unweigerlich voranschreitenden, bösartigen Verlauf der Erkrankung. Das gemeinsame Merkmal für diese psychischen Störungen war der Ausgang in einem Endzustand von Demenz oder Persönlichkeitszerstörung. In Kraepelins (1896) eigenen Worten wird das deutlich:
'Unter dem Namen Dementia praecox sei es uns gestattet, vorläufig eine Reihe von Krankheitsbildern zusammenzufassen, deren gemeinsame Eigentümlichkeit der Ausgang in eigenartige Schwächezustände bildet.'[1]
Kraepelin nahm also an, dass es zu keiner Besserung kommen kann, sondern nur zu einer Verschlechterung. Die damalige pessimistische Auffassung, die aufgrund der mangelhaften Behandlungsmöglichkeiten entstand, ist heute jedoch widerlegt.
Der Begriff der Schizophrenie wurde erstmals 1907 von dem Schweizer Eugen Bleuler in die Sprache der Psychologie eingeführt. 'Schizein' kommt aus dem Griechischen und bedeutet spalten, 'phren', d.h. Zwerchfell, wo man in der Antike Geist und Seele beheimatet sah. Bleuler (Foto rechts) wollte mit dem Begriff ausdrücken, dass bei den Erkrankten Denken, Fühlen und Wollen auseinanderfallen. Für ihn stand dabei die Beobachtung im Vordergrund, dass die Menschen zunehmend zersplittern und zerfahren können. Er sprach von 'Spaltungsirresein', was die Übersetzung von Schizophrenie ist.
Erst im 19. Jahrhundert hat sich die intensivere Erforschung psychischer Krankheiten und damit auch der Schizophrenie entwickelt.
Im medizinischen Sinn wird der Begriff Schizophrenie für eine ganze Gruppe von Erkrankungen verwendet, welche zu den sogenannten endogenen Psychosen gehören. Psychose ist ein Sammelbegriff für psychische Erkrankungen, die mit Realitätsverlust, Trugwahrnehmungen, Wahnvorstellungen, Bewusstseinsstörungen, Störungen des Denkens und der Gefühlswelt verbunden sind. 'Endogen' heißt, dass die Ursachen der Psychose nur bedingt erklärbar sind, die Erkrankung entsteht aus einer Vielzahl von Faktoren 'von innen' heraus.
Wegen seiner verschiedenen Verlaufsform und seiner sehr unterschiedlichen Symptomatik ist der Begriff Schizophrenie in seiner Einzahl irreführend. Schon Bleuler war sich bei seiner Begriffsbildung darüber im Klaren, dass es eigentlich 'die Schizophrenien' heißen müsse. Es gibt also nicht die eine Schizophrenie, sondern eine ganze Reihe von Erkrankungsbildern, welche alle unter dem Begriff der Schizophrenie zusammengefasst werden. Dem wird Rechnung getragen, indem heutzutage gelegentlich von 'Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis' gesprochen wird.
Schizophrene Störungen gehören zu den häufigsten Psychosen. Man schätzt sie auf rund 1 % der Gesamtbevölkerung, d.h. etwa eine Person auf 100 erfährt in ihrem Leben zumindest eine schizophrene Episode, unabhängig davon, in welchem Land sie wohnt und welcher Rasse oder Kultur sie angehört. Jährlich treten circa 10/10000 Ersterkrankungen auf. Diese Zahl bleibt stabil, d.h. Schizophrenien nehmen scheinbar nicht zu. Die Schätzung der Zahl an Schizophrenie leidender Personen weltweit belief sich im Jahre 1998 nach einer Studie der WHO, die in Genf durchgeführt wurde, auf 45 Millionen. Die Schizophrenie rangiert somit mit ihrer Häufigkeit an vierter Stelle der psychischen Erkrankungen. In Österreich werden jährlich rund 80 000 schizophrene Störungen diagnostiziert.
Männer und Frauen sind von der Krankheit etwa gleich oft betroffen, jedoch zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede im Ausbruch der Krankheit: Männer erkranken oft früher als Frauen, nämlich am häufigsten zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr, danach kommt es zu einem gleichbleibenden Abfall. Bei Frauen hingegen findet sich ein flacher Anstieg zwischen 20 und 29 Jahren und ein zweiter noch niedriger zwischen 45 und 50 Jahren, d.h. sogenannte Spätschizophrenien kommen bei Frauen häufiger vor als bei Männern. Beide Geschlechter erkranken zwar unterschiedlich früh, jedoch holen Frauen um das 30. Lebensjahr und vor allem in den Wechseljahren voll auf.
Diese unterschiedliche Ersterkrankungshäufigkeit vermutet man darin, dass die Östrogene, die weiblichen Sexualhormone, die Schwelle für eine schizophrene Erkrankung beim weiblichen Geschlecht erhöhen. Das erklärt den späteren Krankheitsausbruch und vor allem den 2. Häufigkeitsgipfel um die Wechseljahre.
Allgemein kann man sagen, dass die Erkrankung zumeist zwischen der Pubertät und dem 30. Lebensjahr auftritt, für die einzelnen Erkrankungsformen der Schizophrenie gibt es jedoch charakteristische Unterschiede für den Zeitpunkt der Ersterkrankung (siehe Kapitel 4 Formen der Schizophrenie).
Aus Sicht der Soziologie gibt es einige interessante Erkenntnisse im Auftreten und in der Häufigkeit schizophrener Störungen. Einige möchte ich hier anführen:
Schizophrene
Erkrankungen sollen in den untersten Sozialschichten häufiger vorkommen als in
den übrigen Sozialschichten.
Es gibt einige Hypothesen, die diese Beobachtung begründen:
Stress-strain-Hypothese Es handelt sich um eine Störung als Folge
der sozialen Ungleichheit. Durch die ständige Belastung, das
Unterprivilegiertsein, die Perspektivlosigkeit und die mangelnden Möglichkeiten
sozialer Teilhabe, kommt es zu einer schnelleren und eindeutigeren Spaltung.
Drift-Hypothese Schizophren Erkrankte werden 'an den
Boden der Gesellschaft' gespült und sacken ab.
Non-starter-Hypothese Sie besagt, dass es nach dem Ausbrechen und
Verdichtung der schizophrenen Symptome zu Versagenserlebnissen in Schule,
Ausbildung und Beruf kommt und dies das Erreichen eines höheren Status
verhindert.
Bei Menschen, die in Stadtkernen leben, sollen schizophrene Anteile offener hervortreten als bei Menschen in Vorstädten.
Schizophrene Störungen sind häufiger bei abrupten familiären Entwurzelungen.
Bei
schizophren diagnostizierten Menschen sollen mehr Ledige vorkommen als in der
vergleichbaren Durchschnittsbevölkerung.
Dies könnte damit begründet werden, dass entweder die soziale Isolierung,
die viele Ledige erleben, zur Spaltung führt, oder die Persönlichkeit so kontaktarm ist, dass sie wenig
Bindungen hat.
Wie bereits erwähnt, ist die Symptomatik schizophrener Erkrankungen äußerst vielgestaltet. Durch das Bemühen, die Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis zu systematisieren, entstanden eine Reihe verschiedenster und unterschiedlich detaillierter Klassifikationssysteme, die die Vielfalt von Erscheinungsformen dieser Erkrankungsgruppe aufzeigen (mehr dazu s. Kapitel 8.1 Klassifikationssysteme).
Grundsätzlich gibt es drei Arten, wie die Symptome, die uns in einer akuten Situation davon sprechen lassen, die Person sei schizophren, eingeteilt werden:
Nach E. Bleuler in Grundsymptome und akzessorische (hinzutretende) Symptome
Nach Kurt Schneider in Symptome 1. und Symptome 2. Ranges
in Plus- und Minussymptome bzw. Positiv- und Negativsymptome
Alle drei Einteilungsvarianten beinhalten die selben Symptome; in meiner Arbeit werde ich mich deshalb hauptsächlich auf eine Variante, die Einteilung nach E. Bleuler konzentrieren und diese umfangreich beschreiben.
Bei dieser Symptomatik ist der Erkrankte nicht mehr im Stande, Wichtiges von Unwichtigem zu unterschieden, oder zu entscheiden, welchen Gedanken er zuerst anführen soll. Das Denken entspricht nach seinen formalen Kriterien nicht mehr den Regeln Gesunder. Das Denken wird inkohärent, was zu einer erheblichen Erschwerung der sprachlichen Verständigung führt. Die Betroffenen bemerken selbst oft Sperrungen oder ein Abreißen des Gedankenflusses, ebenso wird oft ein Gedankendrängen, eine regelrechte Gedankenflut berichtet. Oft ist für den Beobachter wegen des dadurch veränderten Sprachgebrauchs kein Zusammenhang und keine Logik in den Gedanken des Schizophrenen zu erkennen. Auch der grammatikalische Zusammenhang kann schwer gestört sein. Hier spricht man von Zerfahrenheit. Die Sprache vermag keinen nachvollziehbaren Zusammenhang mehr zu vermitteln. Sätze erscheinen sehr verworren und sprunghaft, Verknüpfungen von Gedanken sind beobachtbar. Dies kann zu Wortneubildungen (Neologismen) und absurden Wortkonstruktionen führen, die dem Beobachter zusammenhanglos erscheinen. Ebenfalls zu erwähnen sind die verwendeten Stereotypien, das sind Sätze oder Wortkonstruktionen, die ständig wiederholt werden.
Um die Zusammenhanglosigkeit für den Beobachter verdeutlichen zu können, möchte ich einige Beispiele schizophrener Patienten nennen:
Inkohärenz:
'Als ich den Neumond sah, wusste ich, dass der russische Geheimdienst
wieder sendet, weshalb auch nicht? Die Leute haben ja kein Geld mehr, und, wenn
sie Geld haben, können sie ihr Fahrrad nicht gebrauchen, weil keine Luft mehr
in Läden liegt. Ich werde von dieser Kanaille missbraucht. Nachts ziehen sie
mir die Kraft ab. Mein Bruder hat immer besser gesehen als ich. So kann es aber
nicht weitergehen. Ich muss mehr essen, dass ich zu Kräften komme'
Zerfahrenheit
'Ich will Saft oder, nee, die hat den auch
gehabt. Legendär, weil all diese Kräfte geheim, lang und kurz, sich absetzen,
und dann bleibt Sperrmüll zurück. Wie auf Sperrmüll, Liebeslust? Und wozu das
Ganze besser schon Teufelszeug? Kanonierbusen und Wasserscheide. Wozu'
Neologismen
'Langelagenkunstkompost und leere Flaschen', 'Organoskomatsch, Zimbundeis, Kathedralzorn'[2]
Somit wären die formalen Denkstörungen der Schizophrenie beschrieben. Die inhaltlichen Denkstörungen, zu denen Wahnvorstellungen, -ideen, -bildungen gehören, werden später genauer behandelt, da sie Bestandteil der hinzutretenden Symptome sind.
Zu unterstreichen ist unbedingt noch, dass die Intelligenz bei dieser Erkrankung nicht beeinträchtigt ist! Denkstörungen haben nichts mit Demenz, also geistigem Abbau, zu tun.
Dinge werden zusammengehörig gesehen, die nicht zusammengehören - oder als zur eigenen Person gehörig, die nicht zur Person gehören. Wie bei den Störungen des Denkens fällt es dem Kranken auch hier schwer, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden. Die Struktur und Beschaffenheit eines Gegenstandes erscheint zum Beispiel für den Kranken subjektiv unwichtiger als die Wesens- oder Ausdruckseigenschaft. Unwesentliche Aspekte erhalten eine subjektiv so starke Bedeutung, dass sie für die Wahrnehmungsstrukturierung der Person zentral werden (z.B. bestimmte Geräusche, bestimmte Bilder). Gewisse Teile der Umwelt- Gesichter, Pflanzen, Straßenzüge zum Beispiel - werden in einer Weise bedeutungsvoll, dass der Mensch meint, er werde von ihnen gemeint, beobachtet, bedroht.[3]
Als weitere Wahrnehmungsstörungen werden Gefühle der Verfremdung, wie die Derealisation (Verfremdung der Umwelt) und die Depersonalisation (Verfremdung der eigenen Person), genannt. Die Umwelt und andere Menschen, aber auch die Zeit und die Luft, werden fremd, künstlich, verändert, verzerrt, schemenhaft oder schematisch wahrgenommen. Bei der sogenannten Depersonalisation meint der Betroffenen: 'Ich bin nicht mehr ich selber.' Einzelne Körperteile erscheinen der Person fremd, nicht mehr zum Körper gehörig, wie abgestorben. Körper, Körperteile, Organe und Körperfunktionen sehen anders aus, fühlen sich anders an, arbeiten anders als sonst, funktionieren nicht mehr richtig - aber natürlich nur im Bewusstsein oder besser: im krankhaften Erleben des Betroffenen.
Zu diesem Entfremdungsphänomen tragen auch die Halluzinationen bei, bei denen es sich vor allem um merkwürdige, fremdartige, oft kaum beschreibbare Wahrnehmungs- und Gefühlsstörungen des Körpers handelt. Hierbei sind Wahrnehmungen gemeint, für die es in der Umwelt keine entsprechenden Reize gibt. Auch zu den Halluzinationen werde ich später noch einmal zurückkommen.
Unter Affektivität versteht man laut E. Bleuler die Gesamtheit des Gefühls-, Gemüts- und Stimmungserlebens, kurz: die Emotionalität.
Die Veränderungen des Gefühlslebens können wiederum sehr vielgestaltig sein. Oft geht der Zusammenhang zwischen erlebtem Gefühl und Gefühlsausdruck verloren, d.h. die Stimmungslage des Schizophrenen passt nicht zu der Situation, in der sich der Kranke befindet. Beispielsweise können Gefühle flach erscheinen, der Kranke gibt sich, als würde ihn nichts um ihn herum berühren, als wäre er unempfindlich und empfände keinen Schmerz. Diese Beobachtung wird auch affektive Steifigkeit oder Affektverflachung genannt, die es nahezu unmöglich macht, an den Kranken emotional heranzukommen. Er wirkt spröde, kühl und gläsern. Auch stimmen oft die Gefühlsäußerungen in Mimik und Gestik nicht mehr mit dem überein, was gesagt wird. So kann z.B. ein Schizophrener über die Information, seine Mutter sei gestorben, beherzt lachen. Häufig ist dies jedoch nur eine Maske, hinter der sich der Kranke verbirgt, um sich vor gefühlsmäßigen Belastungen wie Schmerz, Trauer, Verluste usw. zu schützen. Die Gefühlsverarmung ist eine besondere Belastung für die Angehörigen des Erkrankten.
Die Stimmungslage des Erkrankten kann sich insofern verändern, dass gehobene, fast manische oder auch depressive Verstimmungen auftreten können. Eine gefühlsmäßige Verarmung tritt meist nach dem Abklingen einer akuten Erkrankung ein. Auch Angst ist ein ständiger Begleiter und kann oft zu unbegründeter Aggressivität oder Erregung führen, die es schwierig machen, sich dem Kranken zu nähern.
Unter Ich-Störungen versteht man das veränderte Erleben der eigenen Person, der eigenen Identität. Der Kranke kann sich nicht identifizieren bzw. nicht sicher sagen, wer er eigentlich ist. Gedanken, Gefühle, Entscheidungen und Handlungen werde nicht mehr als selbst gesteuert empfunden. Der Schizophrene glaubt, in ihm sei noch ein anderer, der seine eigenen Gefühle beeinträchtigt und lenkt. Bei diesem Phänomen kann der Kranke also gleichzeitig er selbst und ein anderer (eine berühmte Persönlichkeit, ein bekannter, ein Verwandter) sein. Dies hat jedoch nichts mit Persönlichkeitsspaltung ('multiple personality') zu tun, wie oft angenommen wird.
Eine weitere Möglichkeit ist, dass der Schizophrene erlebt, dass die eigenen Gedanken von anderen Menschen oder durch übernatürliche Kräfte, also durch Einfluss von außen, gelesen bzw. abgehört werden können, dass Gedanken von außen blockiert, entzogen, weggenommen, werden können. Der Kranke wird von fremden Mächten beeinflusst, er fühlt sich ihnen ohnmächtig ausgeliefert.
Ich-Störungen gehören zu den wichtigsten diagnostischen Hinweisen für eine Schizophrenie.
Ambivalenz ist die Bezeichnung für gleichzeitiges Vorhandensein gegensätzlicher Affekte, Vorstellungen, Wünsche oder Absichten. Das bedeutet, dass der Kranke völlig gegensätzliche Gefühle gleichzeitig empfindet. Sie treten jedoch nicht nur gleichzeitig sondern auch gleichwertig auf, sodass er beispielsweise eine Person gleichzeitig hasst und liebt, oder etwas sagt und im nächsten Satz sofort das Gegenteil hinzufügt. Das Denken kann unschlüssig sein, der Betroffene kann sich zu keiner Entscheidung durchringen oder lässt sogar bewusst alles unentschieden. Diese Unfähigkeit, Entschlüsse zu fassen, kann den Alltag erheblich beeinträchtigen, da sich der Betroffene durch seine Ambivalenz selbst blockiert und behindert.
Diese Ambivalenz erstreckt sich jedoch nicht nur auf das Gefühlsleben, sondern ist auch in Handlungen zu beobachten. So kann der Erkrankte hin- und hergerissen zwischen seinen zwei Strebungen sein, er geht beispielsweise einen Schritt vor und einen zurück.
Ein besonders qualvolles Symptom ist die sogenannte intellektuelle Ambivalenz, die sich in dem zermürbenden Nebeneinander von Gedanken, Überlegungen und Sorgen äußert, wie: 'Ich bin ein Mensch, ich bin kein Mensch, ich bin ein Mensch, ich bin.'
Als weiteres Grundsymptom der Schizophrenie wird der Autismus bezeichnet, der den Verlust der Realitätsbeziehungen bedeutet. Beim Betroffenen bemerkt man krankhafte Selbstbezogenheit, Rückzug aus dem Leben der Gemeinschaft und Abkehr von der Umwelt. Der Kranke kapselt sich von der Außenwelt ab und versinkt in seiner eigenen Gedanken- und Vorstellungswelt. Hinzu kommt noch eine Antriebsstörung, er wird passiv, interessenlos und kann gesetzte Ziele nicht mehr erreichen.
Das 'Innenleben' überwiegt bzw. unterdrückt alle sonst üblichen Außenkontakte. Das Extrem ist die absolute autistische Abkapselung.[5]
Akzessorische Symptome allein können laut Bleuler nicht ausschlaggebend für die Diagnose Schizophrenie sein, obwohl sie die eindrucksvolleren Symptome sind. Ihr Auftreten ist nicht obligatorisch, sie treten bei manchen Kranken nur vorübergehend oder gar nicht auf. Zu beachten ist, dass akzessorische Symptome auch bei anderen Psychosen wie z.B. bei exogenen Psychosen auftreten. Wer also nur auf diese spektakulären Krankheitszeichen fixiert ist, darf nicht von vornherein auf Schizophrenie schließen. Leider ist dies eine weitverbreitete Laienmeinung.
Der Wahn ist eine krankhaft entstandene Fehlbeurteilung der Realität. An dieser Fehlbeurteilung wird mit fester Überzeugung festgehalten, selbst wenn sie im Widerspruch zur objektiven Realität, zur eigenen Erfahrung und zum Urteil gesunder Mitmenschen steht. Dem eigentlichen Wahn ist oft eine sogenannte Wahnstimmung vorgelagert. In dieser fühlt der Kranke, dass eine rätselhafte Veränderung der Welt, die ihn umgibt, im Gange ist. Völlig natürliche Vorgänge sind plötzlich keine Zufälle mehr und sogar man selbst verwandelt sich auf unfassbare Weise. Aus dieser Stimmung heraus entsteht der eigentliche Wahn. Die Wahnwirklichkeit wird die einzige Wirklichkeit des Kranken, die eigentliche Realität, also z.B. 'es schneit' ist wird für ihn bedeutungslos.
Ein weiterer, wesentlicher Faktor ist die sogenannte Ichbezogenheit zufälliger oder gleichgültiger Vorgänge. Das heißt, es werden zufällige und alltägliche Vorkommnisse der Umwelt, oder auch gleichgültige Handlungen, harmlose Worte, Bemerkungen oder sonstige Beobachtungen fälschlich für besonders bedeutungsvoll gehalten und gewöhnlich auf die eigenen Person bezogen.[6]
Der Wahn dient oft der Regulierung und der Steuerung des Handelns von Menschen. Bestimmte Handlungen werden aus dem Wahn heraus verständlich, sie dienen dazu, eine Orientierung in der Außenwelt zu finden. Wahnideen und Wahninhalte unterliegen sehr stark den gesellschaftlichen Einflüssen und verweisen häufig auf soziale Tabus oder Selbstverständlichkeiten.
Da es so eine große Vielzahl von Wahnformen gibt, möchte ich nur einige davon anführen und kurz erläutern:
Verfolgungswahn Hier ist der Kranke der Überzeugung, beobachtet und verfolgt zu werden. Selbst harmlose Ereignisse können gegen ihn gerichtet sein und eine Bedrohung darstellen. Der Betroffene sieht in jedem Menschen einen Verfolger oder Hintermann.
Größenwahn Diesen kann man wieder in verschiedene Unterformen, wie religiöser Wahn (jemand glaubt er sei Gott oder die Jungfrau Maria), Erfinderwahn oder politischer Wahn einteilen.
Liebeswahn Beim Liebeswahn ist der Betroffene wahnhaft davon überzeugt, verehrt oder geliebt zu sein. In Zusammenhang damit steht die zunehmende Überbewertung von Gesten, Blicken oder neutralen Verhaltensweisen.
Beziehungswahn Bei diesem Phänomen bezieht der Kranke alles auf sich selbst und ist der festen Überzeugung, dass z.B. bestimmte Ereignisse nur wegen ihm geschehen: ein Gespräch handelt von ihm, ein Blick, eine Geste gilt ihm usw. Diese Wahnform kann Grundlage für andere Formen, wie z.B. den Liebeswahn sein.
Hypochondrischer Wahn Der Betroffene fühlt sich unheilbar krank, glaubt, er sei an Krebs, AIDS usw. erkrankt und fühlt sich dem Tod nahe.
Wenn es sich um besonders merkwürdige, fremdartige, oft kaum beschreibbare Wahrnehmungs- und Gefühlsstörungen des Körpers handelt, spricht man von Halluzinationen. Diese sind Sinnestäuschungen, die im Gegensatz zu Illusionen keinen vorhandenen Sinnesreiz von außen und keine sensorische Erregung als Grundlage haben. Das heißt, etwas wird für einen realen Sinneseindruck gehalten, obwohl der entsprechende Sinnesreiz gar nicht vorhanden ist. Halluzinationen können einfach dadurch erklärt werden, dass der Betroffene an einer Reizüberflutung leidet, was die Folge von einer Störung der Filterfunktion des Gehirnes für die vielen Reize ist, die das Gehirn sonst regelrecht überfluten würden. Als Gegenstrategie wird eine komplette Abschottung von Außenreizen ähnlich wie es beim Schlaf passiert gesehen. Da das Gehirn aber weiterarbeitet, kommt es beim Schlafenden zum Traum, beim Erkrankten zu einer Art 'Wachtraum', den Halluzinationen.
Halluzinationen können alle Sinnesbereiche betreffen (Hören, Sehen, Fühlen, Riechen, Schmecken). Zu den wesentlichen Trugwahrnehmungen zählen:
Akustische Halluzinationen: Diese kommen am häufigsten vor und treten meist in Form des Stimmenhörens auf. Der Kranke hört Stimmen, die ihm Befehle erteilen, sich mit oder über ihn unterhalten, sein Verhalten kommentieren oder seine Gedanken laut aussprechen (Gedankenlautwerden). Es kann sich aber auch um Stimmen handeln, die den Betroffenen ermuntern, loben, ja sogar Witze erzählen, sein Tun oder Lassen positiv kommentieren.
Körperhalluzinationen: Hierbei empfindet der Betroffene brennen, stechen, zerren oder angefressen werden einzelner Organe oder Körperteile, jedoch wiederum ohne objektiv wahrnehmbaren Reiz. Nicht selten sind diese sexueller Natur. Männer glauben beispielsweise, es werde ihnen Samen abgezogen, sie würden sexuell manipuliert und missbraucht werden. Weibliche Betroffene empfinden 'Vergewaltigung', 'körperliche Misshandlung' oder auch das Eindringen in das Körperinnere.
Geschmacks- und Geruchshalluzinationen: Diese führe ich in einer Gruppe an, weil sie beide oft in Verbindung mit Wahnempfindungen stehen. So riecht der Kranke beispielsweise Giftgas oder schmeckt Gift in einer Mahlzeit, was seinen Verfolgungswahn bekräftigt. Sie kommen beide aber relativ selten vor und sind meist unangenehmer Art, das heißt der Geruch von Aas, Schwefel, Fäulnis, Leichengeruch oder salziger, bitterer, galliger Geschmack wird wahrgenommen. Natürlich stellen diese Arten von Halluzinationen eine besondere Belastung für den Betroffenen dar und können selten von Anderen nachvollzogen werden.
Optische Halluzinationen: Auch diese treten in enger Verbindung mit Wahnvorstellungen auf und kommen bei etwa einem Drittel der Betroffenen vor. Der Schizophrene sieht Personen, Tiere oder Dinge, die ihn bedrohen. Häufig treten optische Sinnestäuschungen in Form von sogenannten Photemen, das sind Blitze, Funken, Flecken, geometrische Figuren oder ein undifferenzierter Licht- oder Farbenschein, auf.
Diese Symptomatik beinhaltet Störungen der Psychomotorik d.h. Mimik, Gestik und Pantomime. Diese Bewegungsstörungen werden in zwei Gebiete eingeteilt, in den katatonen Stupor und den katatonen Erregungszustand.
Beim katatonen Stupor kommt es zu einer völligen Sperrung der Bewegungsimpulse. Der Erkrankte ist bewegungslos und reaktionslos, er spricht, isst und trinkt nicht, befolgt keine Aufforderungen und muss wie eine Puppe an- und ausgezogen werden. Der Mensch kann sich nicht mehr äußern, obwohl er innerlich bis zum Siedepunkt gespannt ist. Er ist aber in seinem Bewusstsein keineswegs beeinträchtigt sondern registriert sehr wohl die Vorgänge in seiner Umgebung und kann diese psychomotorische Starre als äußerst störend empfinden. Weitere Phänomene, die zum katatonen Stupor gezählt werden, sind die Katalypse (der Kranke verharrt plötzlich in irgend einer Stellung) und der Mutismus (der Betroffene spricht über einen längeren Zeitraum nicht, er gibt keinen Laut von sich).
Das Gegenstück zum Stupor ist die 'Katatone Erregung'. Sie bedeutet starke psychomotorische Unruhe. Der Betroffene ist ständig in Bewegung, springt, läuft auf und ab oder macht Kniebeugen. Er befindet sich in einem Bewegungsrausch und kommt keinen Augenblick zur Ruhe. Oft ist dieser Erregungszustand mit aggressiven Handlungen und Wutausbrüchen verbunden. Kranke zerschlagen alles, was ihnen im Weg ist, schlagen sogar auf ihre Mitmenschen ein. Zu diesen Symptomen zählen auch die sogenannten Stereotypien. Dabei handelt es sich um die Wiederholung von Bewegungen, Worten oder komplizierten Bewegungsabläufen. Die Stereotypien wirken nicht nur unsinnig, selbst die Patienten haben keine Erklärung für ihre Handlung, sie sind eher eine Art Bewegungsleerlauf.
Bei der katatonen Erregung bleibt noch zu erwähnen, dass sie, wenn auch in unterschiedlichem Maße, für den Kranken und seine unmittelbare Umwelt eine Gefahr darstellt. Sie kann zur ernsten und mitunter tödlichen Selbstschädigung, zur Verletzung anderer Menschen und zu unmittelbar lebensbedrohlichen körperlichen Folgen, Austrocknen, Elektrolytverschiebung, Puls- und Blutdruckanstieg, Fieberanstieg, dem Zustand der sog. febrilen (fieberhaften) Katatonie, führen.[7]
Der Negativismus ist ein weiteres katatones Symptom. Er meint, dass der Kranke ständig das Gegenteil des von ihm Verlangtem macht, er ist ein krankhafter Zustand der Verneinung, des Widerstrebens oder der Sperrung gegen äußere Einwirkungen. Zum Beispiel, wenn der Arzt den Patienten auffordert, die Zunge herauszustrecken, wir der Patient die Lippen zusammenpressen. Wenn man den Patienten auffordert, aufzustehen, wird er sich in den Sessel zurücklehnen. Allerdings kann sich der Kranke auch gegen eigene Bedürfnisse gesperrt sehen.
Dem Negativismus gegenüber steht die Befehlsautonomie Sie veranlasst den Kranken dazu, alles ihm Aufgetragene automatenhaft auszuführen.
Ein weiteres katatone Symptom bilden die Echolalie und Echopraxie Echolalie meint das willenlose Nachreden vorgesagter oder zufällig wahrgenommener Wörter oder Sätze. Bei der Echopraxie werden generell Bewegungen nachgeahmt. Diese beiden Phänomene werden auf eine Erlahmung des Willensantriebes zurückgeführt. (vgl. Kapitel 3.2.1 Autismus)
Abnorme Erlebnisweisen |
Symptome 1. Ranges |
Symptome 2. Ranges |
akustische Halluzinationen |
dialogische Stimmen, kommentierende Stimmen (imperative Stimmen), Gedankenlautwerden |
Sonstige akustische Halluzinationen |
Leibhalluzinationen |
leibliche Beeinflussungserlebnisse |
Coenästhesien im engeren Sinn |
Halluzinationen auf anderen Sinnesgebieten |
|
Optische, olfaktorische, gustatorische Halluzinationen |
schizophrene Ich- Störungen |
Gedankeneingebung, Gedankenentzug, Gedankenausbreitung, Willensbeeinflussung |
|
Wahn |
Wahnwahrnehmung |
einfache Eigenbeziehung, Wahneinfall |
Quelle: 'Schizophrenien', Asmus Finzen, S. 44
Begriffserklärungen:
Koenästhetische Schizophrenien: eine leibhypochondrische Schizophrenie; psychische Erkrankung, bei der körperliche Missempfindungen im Vordergrund stehen.
Olfaktorische Halluzinationen: Sinnestäuschungen des Geruchs
Gustatorische Halluzinationen: Sinnestäuschungen des Geschmacks
Kurt Schneider hat allein auf Grund klinischer Beobachtung den Versuch unternommen, diejenigen Symptome, die spezifisch für Schizophrenie sind, als Diagnosekriterien unter dem Begriff 'Symptome ersten Ranges' von den weniger spezifischen 'Symptomen zweiten Ranges' zu unterscheiden. Sein Konzept musste sich großer Kritik unterziehen, weil es als ungenau beurteilt wurde. Dennoch wurde es, weil es so einfach und so klar definiert war, in die Diagnosendefinition für Schizophrenie der internationalen Klassifikationssysteme aufgenommen.
Eine weitere Einteilungsmöglichkeit schizophrener Symptomatik besteht in der Unterscheidung zwischen Positiv- und Negativsymptomatik bzw. Plus- und Minussymptomatik, die auf Hughes Jackson (1869) zurückgeht, der mit seiner Theorie hierarchischer Ebenen der funktionellen Organisation des zentralen Nervensystems Funktionsverluste von positiven Störungsmustern unterschieden hatte. Wiederentdeckt wurde die Unterscheidung 1982 in den USA (Andreasen & Olsen) und später wurde sie unter Verzicht auf ihren theoretischen Hintergrund wieder ins internationale Qualifikationssystem aufgenommen.
Positiv- bzw. Plussymptomatik meint, dass Merkmale hinzukommen, die über das Verhalten und Erleben eines Gesunden hinausgehen (z.B. Halluzinationen, Wahnideen, Denkstörungen). Ein weiterer Begriff für Positiv- bzw. Plussymptomatik, der in der Fachsprache Anwendung findet, ist der Begriff der produktiven Symptome.[8]
Unter Negativ- bzw. Minussymptomatik versteht man ein Defizit im Vergleich zum Verhalten und Erleben Gesunder (z.B. Antriebsmangel, Gefühlsverarmung, Sozialer Rückzug, Depression).
Nach dem auch bei uns gültigem internationalen Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation, dem ICD-10 (siehe Kapitel 8.1 Klassifikationssysteme), werden schizophrene Erkrankungen in vier Hauptunterformen eingeteilt. Diese orientieren sich teilweise an der traditionellen, von Kraepelin gegebenen Systematik, die er 'Dementia praecox' nannte. Angesichts der verschiedenen Verlaufsbilder schizophrener Störungen (siehe Kapitel 6 Der Krankheitsverlauf) und der bereits beschriebenen unterschiedlichen und verschieden stark auftretenden Symptomatik erweist sich die Zuordnung zu einer Kategorie als äußerst schwierig. Diese klassische Einteilung in vier klinische Unterformen darf nicht als Krankheitseinheit gesehen werden, weil sie ineinander übergehen und beim gleichen Kranken wechseln können.
Die traditionellen Unterformen der Schizophrenie (nach ICD - 10)
Unterform |
Betroffene Systeme |
Typische Symptome |
Kommentar |
Paranoid |
Denken, Wahrnehmen |
Wahn (meist Verfolgungswahn), Halluzinationen |
Häufigste Form |
Hebephren (disorganisiert) |
Emotionen, Antrieb (Intentionalität) |
Inadäquater Affekt, Albernheit, formale Denkstörung, Ziel- und Planlosigkeit |
Beginn in der Adoleszenz |
Kataton |
Antrieb, motorische Aktivität |
Stupor, Erregung, Haltungsanomalie, Manierismus, Negativismus |
Selten geworden |
Einfach |
Antrieb, Persönlichkeit |
Sozialer Rückzug, Affektverflachung, Gedankenarmut, Antriebs- und Motivationsstörungen |
Schleichender Beginn mit Verhaltensauffälligkeiten |
Quelle: 'Das Rätsel Schizophrenie', Heinz Häfner, 2001, S. 49
Begriffserklärungen:
inadäquater Affekt: unangemessene, unpassende Gefühlsempfindung
Stupor: Erstarrung
Haltungsanomalie: ungleiche und unregelmäßige Haltung
Manierismus: gekünstelte, übertriebene Handlung, Außerung
[griech. Paranoia = Wahnsinn]
Diese Unterform tritt am häufigsten auf, etwa 60 - 80 % aller schizophrenen Patienten durchleben diese zumindest einmal im Leben.
In den Vordergrund der Handlung treten hierbei neben Störungen der Gefühle, des Willens und der Motorik Wahrnehmungsstörungen, Halluzinationen und Wahnbildungen, d.h. die sogenannten Plussymptome. Diese zeigen sich meist akut, einhergehend mit großer Erregung oder Zerfahrenheit.
Paranoide Patienten sind meist intelligenter als all die anderen Schizophrenen. Sie sind von Beginn an misstrauischer gegenüber anderen und neigen zu Fehldeutungen von Dingen und Ereignissen in einer Weise, die sie selbst herabsetzt. Negative Symptome wie Affektverflachung, Antriebsstörung oder katatone Symptome stehen hier nicht im Vordergrund.
Die rein paranoid-halluzinatorische Form tritt später auf als andere (etwa im vierten Lebensjahrzehnt.)
[griech./latein. Hebephrenie = Pubertätsirrsinn]
'Den Begriff 'hebephren' sollten wir nicht mehr benötigen. Er meint psychotische Zustände junger Menschen, die sich vor allem darin äußern, dass Gefühle flach und unangemessen wirken.'[9]
Die Hebephrenie äußerst sich oft in ein- oder mehrmaligen Entwicklungskrisen Jugendlicher. Selten tritt diese Form bei älteren Schizophrenen auf.
Läppische Stimmung, Enthemmung, leere Heiterkeit oder Gleichgültigkeit und soziale Beziehungslosigkeit kann man bei dieser Form als Hauptsymptome wahrnehmen. Die Betroffenen neigen dazu, sich abzusondern und sich als stolz und überlegen darzustellen. Die affektiven Störungen (Gefühlsstörungen), die die Hebephrenie begleiten, führen meist zur Beeinträchtigung der sozialen Kontakte.
Die formalen Denkstörungen, die hierbei auftreten, äußern sich in umständlicher und zerfahrener Sprache. Wahnvorstellungen und Halluzinationen sind bruchstückhaft und flüchtig, das Verhalten ist verantwortungslos und unvorhersehbar und Manierismen (=zweckmäßige Bewegungen werden sonderbar anmutend, unnatürlich-gekünstelt und verschroben ausgeführt) treten häufig auf.
[griech./latein. Katatonie = Spannungsirrsinn]
Wie der Name bereits verrät, handelt es sich hier um eine Form mit vorherrschenden katatonen Störungen, wobei hierbei einerseits der katatone Stupor (völlige Bewegungslosigkeit) und andererseits der katatone Erregungszustand gemeint ist.
In beiden Fällen ist der Mensch äußerst gespannt, verkrampft, innerlich erregt (katatoner Sperrungs- oder Erregungszustand). Mutismus, Haltungsstereotypien, Negativismus können genauso auftreten wie Befehlsautomatismen (siehe Kapitel 3 Symptomatik).
Ein weiteres Symptom der katatonen Schizophrenie ist die Flexibilitas cerea, die wächserne Biegsamkeit. Der Patient verharrt starr in einer vorgegebenen Körperhaltung, und sei sie noch so unbequem, wie eine Gliederpuppe.
Der Kranke neigt besonders zu akuten Schüben psychomotorischer Störungen mit teilweise dramatischem Verlauf. Die - heute selten gewordene - extreme Steigerung der Bewegungsstörung (akute perniziöse Katatonie) kann tödlich enden, ist nur durch hohe Dosen Neuroleptika und Infusionen auf der Intensivstation durchzustehen. Bei dieser Störung kommt es neben Handlungsunfähigkeit durch extrem hohe Körpertemperaturen und Austrocknung zu Kreislaufkrisen. Die Indikation für Elektrokrampftherapie (EKT siehe Kapitel 7.4) ist nur in lebensbedrohlichem Zustand und bei Versagen anderer Beeinflussungsmöglichkeiten gegeben.
Es gibt Kindheitserlebnisse, welche die katatone Psychose begünstigen können. Vor allem Menschen, die in der Kindheit immer nur auf Befehle der Eltern gehorcht haben und ihren eigenen Willen nicht richtig gebrauchen konnten, neigen zur Katatonie. Diese sind dann verzweifelt, wenn sie plötzlich eigene Entscheidungen treffen müssen. Sie haben sogar Schuldgefühle, weil sie ihre eigenen Wünsche in die Tat umsetzen und glauben, dass ihre Entscheidungen falsch sind.
Die eher seltene einfache Form der Schizophrenie kann als symptomärmste bezeichnet werden. Im Gegensatz zu den anderen Formen tritt sie fast nie plötzlich oder in dramatischer Weise auf, sondern entwickelt sich schleichend. Sie wird daher erst lange nach dem eigentlichen Ausbruch der Krankheit als solche erkannt und erst nach einer Längsschnittbeobachtung so genannt. Die Schizophrenia simplex ist gekennzeichnet durch eine über lange Zeit Nicht-mehr-Können oder -Wollen. Das heißt, der Kranke verliert an Dynamik, Vitalität, Initiative und Schwung. Er nimmt wenig Anteil an seiner Umwelt, und seine mitmenschlichen Beziehungen verblassen. Da er sich weigert, am Leben teilzunehmen, kann er sich weder emotional noch intellektuell weiterentwickeln.
Bei dieser Form neigt der Kranke jedoch kaum zu Gewalttätigkeit oder auffälligem Verhalten. Der einfache Typus weist zwar keine Symptome wie Wahnideen, Halluzinationen oder Anzeichen unlogischen Denkens auf, zählt jedoch trotzdem zu den schweren Schizophrenien, weil sie schwer oder kaum therapierbar ist und häufig sozialen Abstieg zur Folge hat.
Wenn ein Mensch eindeutig an einer Schizophrenie leidet, ohne dass eine katatone, hebephrene oder paranoide Unterform vorliegt, oder sind zeitgleich mehrere Charakteristika aus diesen Unterformen vorhanden, so spricht man von einer undifferenzierten Schizophrenie.
Bei der Residualschizophrenie oder auch schizophrenes Residuum genannt, kommt es nach einer eindeutigen psychotischen Episode von Schizophrenie zu ausgeprägter Verlangsamung und Passivität, zu einem vermindertem Kommunikationsbedürfnis und zu einer eingeschränkten Sorge um das eigene Wohlergehen (Nahrungsaufnahme, Körperpflege), das heißt, eine deutlich weiterbestehende Minussymptomatik tritt auf. Psychotische Symptome wie Wahn, Halluzinationen oder katatone Störungen sind hingegen nicht so häufig und weniger intensiv als bei anderen Formen.
Nach einer schizophrenen Episode kann es häufig zu traurigen Verstimmungen, zu Interessenlosigkeit oder zur gesteigerten Ermüdbarkeit kommen. Dann spricht man von einer postschizophrenen Depression. Eine solche Befindlichkeit kann auf die schizophrene Erkrankung selbst, auf die Neuroleptika (Medikamente) zurückzuführen sein oder auf eine hinzukommende Depression.
Trotz intensiver Forschungsarbeiten hat man bis heute die Ursachen schizophrener Störungen noch nicht klar definiert. Eine einzige Theorie gibt es nicht. Vielmehr geht man von mehreren Risikofaktoren aus, die in ihrer Zusammenstellung zu einer schizophrenen Psychose führen können. Man spricht von einer multifaktoriellen Genese, d.h. zahlreiche unterschiedliche Einflüsse sind von Bedeutung. Hiermit möchte ich einige Faktoren anführen, die zu einer Schizophrenie führen können:
Hier geht man von der Genetik des schizophrenen Patienten aus. Aus Untersuchungen geht hervor, dass die Häufigkeit der Erkrankung in der Verwandtschaft schizophrener Patienten höher als in der Gesamtbevölkerung ist. Dieser Einfluss der Vererbung kann nur als eine Teilbedingung für den Ausbruch von Schizophrenie angesehen werden, denn bei ca. 60 % der Betroffenen gibt es keine weiteren schizophrenen Erkrankungen in der Familie.
Erkrankungsrisiken bei:
Eltern von Schizophrenen: 2 - 10 %
Geschwister von Schizophrenen: 6 - 12 %
Kinder eines schizophrenen Elternteils: 12 - 14 %
Kinder mit zwei schizophrenen Elternteilen: 36 - 46 %
Enkeln, Neffen: 1 - 3 %[11]
Es sind auch Forschungen an eineiigen Zwillingen durchgeführt worden. Man kam auf folgendes Ergebnis: Wenn ein Zwilling an Schizophrenie erkrankt ist, so liegt das Risiko für den anderen Zwilling bei 31 - 78% ebenfalls an Schizophrenie zu erkranken. Bei vollständiger Erbbedingtheit müsste es jedoch bei 100% liegen, d.h. beide Zwillingsgeschwister müssten an Schizophrenie erkranken.[12] Dies beweist, dass neben Erbfaktoren noch andere Faktoren und Einflüsse für die Krankheitsentstehung ausschlaggebend sind.
Dopamin ist eine chemische Überträgersubstanz (=Transmitter), die im Mittelhirn gebildet wird und in verschiedenen Bereichen des Großhirns am Hirnstoffwechsel beteiligt ist.
Wenn das Gehirn Informationen verarbeitet, werden diese als Nervenimpulse über Nervenbahnen weitergeleitet. Zwischen den einzelnen Nervenzellen gibt es Umschaltstellen (sog. Synapsen), wo Transmitter zur Beförderung notwenig sind. Aus Forschungen geht hervor, dass bei schizophrenen Patienten diese Reizübertragung bei den Dopamin-Synapsen gestört ist, da zuviel Überträgerstoff Dopamin vorhanden ist. Dies ist auch der Ansatzpunkt für die medikamentöse Behandlung der Schizophrenie mit Neuroleptika. Diese bewirken, dass die Empfangsstellen der Nerven (Rezeptoren) blockiert werden, damit es durch das Zuviel an Dopamin nicht zu einer Überreizung der Nerven kommt.
Quelle: Lundbeck 'Schizophrene/ Schizophreniforme Störungen', Informationsbroschüre, S. 7
Hier werden vor allem, psychosoziale, das heißt partnerschaftliche, familiäre, berufliche und gesellschaftliche Einflüsse genannt. Es gibt eine so große Vielfalt an Hypothesen, die sich mit den psychologischen Einflüssen beschäftigen, ich möchte daher nur einige Anmerkungen dazu anbringen.
In der Familienforschung wird beispielsweise davon ausgegangen, dass zwischenmenschliche Belastungen, Einbußen oder Mangelsituationen zu Auslösung, Verstärkung oder Rückfall einer schizophrenen Psychose beitragen können. Dies kann vor allem bei einer gestörten Mutter-Kind-Beziehung der Fall sein, ohne dass es sich dabei um eine schizophren erkrankte Mutter handelt.
So wurden beispielsweise folgende familienpsychologischen
Auffälligkeiten diskutiert:
überstarke Bindungsversuche durch die Mutter mit besitzergreifender oder gar
feindseliger Einstellung dem Kind gegenüber; die Neigung, Gefühle und
Bedürfnisse des Kindes misszuverstehen; ein gemütsmäßig unreifer
Erziehungsstil, der die dominierende Einstellung gegenüber dem Kind von der
eigenen Mutter, also der Großmutter des schizophrenen Kranken übernommen hat;
ferner natürlich gängige Belastungsfaktoren wie uneheliche Geburt, Trennung
oder Scheidung der Eltern, Alkoholabhängigkeit oder sonstige zerrüttete
Familienverhältnisse.[14]
Weiters diskutiert man Kommunikationsstörungen in der Entwicklung, wie z.B. der 'double-bind' Kommunikation, d.h. dem Kind werden ständig in sich widersprüchliche Botschaften vermittelt, Probleme in der Rollenzuweisung (z.B. das Kind als 'Ersatzpartner') und das Auftreten belastender, traumatischer Lebensereignisse.
Diese Hypothese besagt, dass manche Menschen empfindsamer gegenüber äußeren und inneren Reizen sind, was bewirkt, dass sie viele Dinge besonders intensiv erleben, aber auch, dass sie weniger 'robust' für Belastungen, Stress und innere Konflikte sind. Diese Verletzlichkeit (Vulnerabilität) wird in aktuellen Forschungen als Ursache der Erkrankung genannt. Zum Auftreten der Krankheitssymptome kommt es, wenn Belastungen und Stress zu groß werden. Zu einer Überforderung der nervlichen Belastbarkeit kommt es meist in folgenden Situationen:
bei nervlicher Daueranspannung
bei schulischer oder beruflicher Überforderung
bei sehr konfliktreichen Beziehungen
bei emotionalen Enttäuschungen
Mit dieser Vulnerabilität spielen weitere Faktoren zusammen, wie erbliche Faktoren, Entwicklungsstörungen im Embryonalstadium oder Komplikationen bei der Geburt.
In der folgenden Abbildung werden die Zusammenhänge zwischen der Vulnerabilität und dem Ausbruch der Erkrankung dargestellt:
Quelle: Lundbeck 'Schizophrene/Schizophreniforme Störungen', Informationsbroschüre, S. 7
So vielfältig wie die Erscheinungsformen und die Ursachenfaktoren der Erkrankung sind, so vielfältig sind auch die Verläufe und Prognosen. Die Bewertung der inzwischen vorliegenden Verlaufsforschung zeigt, dass es den Verlauf der Schizophrenie gar nicht gibt. Die Entwicklung einmal akut schizophren gewordener Menschen ist als 'ein offener Lebenslauf' (M. Bleuler, 1987) zu sehen.[15]
'Wichtig ist, nicht zu übersehen und zu vergessen, dass jeder schizophren Kranke seine eigene Schizophrenie lebt.'[16]
Vor Beginn der charakteristischen Symptomatik kann eine Wochen bis Monate dauernde Vorphase (Prodromalstadium) mit unspezifischen Symptomen auftreten. Diese Vorphase kann durch eine depressive Stimmung geprägt sein, eine Minderung der Leistungsfähigkeit, Unruhe und Gespanntheit sind mitunter beobachtbar. Es kann zu sozialem Rückzug kommen, viele Kranke sind scheu und empfindsam, andere neigen zu streitsüchtigem und oppositionellem Verhalten oder werden unnahbar. Charakteristisch sind auch sogenannte sinnlose, unverständliche Verhaltensweisen. Oft sind diese Symptome genauso belastend für die Familie und beeinträchtigend für den Patienten wie die später auftretenden eindeutigen Krankheitssymptome.
Es besteht auch die Möglichkeit, dass diese Vorphase bereits etwa 5 Jahre oder länger vor der eigentlichen Symptomatik beginnt. Die Interpretation dieser unspezifischen Prodromalsymptome ist jedoch oft erst im Nachhinein möglich, vor der Erkrankung werden sie oft als Persönlichkeitseigenheiten oder als alterstypisch (Pubertät) angesehen. Von den ersten produktiven Symptomen bis zum Vollbild der Erkrankung kann noch einmal ein ca. einjähriger Zeitraum liegen, in welchem sich die eigentlichen schizophrenen Symptome wie Wahngedanken und Halluzinationen ausbilden, zum Teil auf dem Hintergrund von Erlebnisfaktoren basierend. Wie bereits erwähnt gibt es als weitere Variante des Erkrankungsbeginns den akuten Erkrankungsbeginn innerhalb weniger Tage bis Wochen, die vergleichsweise seltener auftritt.
Die ersten Veränderungen, die einer akuten Erkrankungsphase vorausgehen, können sich bei jedem Betroffenen anders äußern. In einigen Fällen sind die Anzeichen stark ausgeprägt, in anderen beginnen sie eher schleichend. Man nennt diese ersten Veränderungen 'Frühwarnzeichen', zu denen ich im Kapitel 'Rückfälle' noch zurückkommen werde.
Zum einen ist der Verlauf der Schizophrenie durch das unregelmäßige Auftreten psychotischer Episoden, zum anderen durch mehr oder weniger lange Intervalle gekennzeichnet. Jede dieser Episoden kann einen sogenannten Residualzustand in Form einer Persönlichkeitsveränderung hinterlassen (vorwiegende Minussymptomatik), der in leichteren Fällen die Arbeits- und Anpassungsfähigkeit nicht aufhebt (soziale Remission). In rund 20 % heilt die erste Episode ohne erkennbare Folgen aus, und es kommt zu keinen weiteren Rückfällen. Dies zeigt, dass die Schizophrenie nicht als unheilbare Krankheit gesehen werden darf.
Rund zwei Drittel müssen jedoch nach einer Erkrankungsphase früher oder später mit einem Rückfall rechnen. Dieser kann nach Monaten, nach Jahren, vereinzelt auch nach Jahrzehnten auftreten. In schweren Fällen kann es dann zu kognitiver und sozialer Behinderung kommen, die mit beruflichen und sozialen Einbußen verbunden sind. Die verschiedenen Verläufe erstrecken sich von folgenloser Heilung nach einer kurzen psychotischen Episode bis zur chronischen Psychose mit erheblichen Verhaltensstörungen, schwerer sozialer Behinderung und Pflegebedürftigkeit. Es ist möglich, dass die Erkrankung nur einmal ausbricht und der Betroffene danach wieder völlig gesund ist. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die schizophrene Störung als Reaktion auf Schicksalsschläge ('reaktive Psychose'), zur Zeit hormoneller Umstellungen (z.B. Wochenbett) oder nach Drogenkonsum (häufig Marihuana) auftritt.[17]
Einige - eher seltene - Erkrankungstypen verlaufen mehr allmählich, ohne eine vordergründige produktive Symptomatik (Hebephrener Verlauf, Schizophrenia Simplex).
Die Ergebnisse von drei Verlaufsstudien zeigen, dass bei zwei Drittel der Krankheitsverlauf sehr günstig oder günstig ist. Besonders ein relativ stürmischer Beginn der akuten Phase wird als prognostisch günstig gesehen. Bei ca. 1/3 der Erkrankten kommt es jedoch zu einem ausgesprochen ungünstigem, chronifiziertem Verlauf. Jede erneute Krankheitsepisode hinterlässt bleibende Veränderungen in der Persönlichkeit, jede psychotische Episode treibt den Persönlichkeitszerfall voran.
Als Folge kommt es zum Verlust sozialer Fertigkeiten und zur Hospitalisierung. Jedoch kann es auch beim chronischen Verlauf der Schizophrenie in späteren Jahren eine spontane oder durch Therapiemaßnahmen erreichte Besserung geben.
Nach Shepherd wurden die Verlaufstypen der Schizophrenie folgendermaßen eingeteilt:
Verlaufstypen der Schizophrenie nach Shepherd et al. 1989
Durch ihre Komplexität ist die Behandlung einer schizophrene Psychose kein Kinderspiel. Sie verlangt Wissen und Erfahrung, Geduld und Engagement. Diese Erkrankung geht meist mit einer fehlenden Krankheitseinsicht des Patienten einher, zum Teil fühlen sich die Betroffenen nicht einmal krank. Dies kann die Behandlung mitunter erheblich behindern, das gilt besonders für das akute Stadium der Erkrankung.
Meist wird bei der Behandlung schizophrener Psychosen ein mehrdimensionaler Therapieansatz praktiziert, der die biologischen, psychischen und sozialen Komponenten berücksichtigt und sich so als wirkungsvollste Methode erweist. Daraus ergibt sich eine Kombination aus pharmakologischer, psycho- und sozialtherapeutischer Maßnahmen. Durch diese Maßnahmen können die Symptome der Krankheit gut beeinflusst werden, oft sind sie ganz zu beseitigen. Schwere Episoden lassen sich durch konsequente Behandlung und Rückfallprophylaxe mildern, sodass die sozialen Folgen abgefedert und bei aktiver Mitarbeit des Kranken häufig überwunden werden kann. Die Behandlung lebt vor allem von der Zusammenarbeit und der Auseinandersetzung mit dem Kranken.
In erster Linie erfolgt die Behandlung schizophrener Psychosen durch die Pharmakotherapie. Diese bedient sich der sogenannten Psychopharmaka. Sie werden folgendermaßen eingeteilt:
Neuroleptika
Tranquilizer
Antiparkinsonmittel
Antidepressiva
Lithium-Salze und Carbamazepin
(Übersetzung in etwa: das die Nerven Beruhigende)
Neuroleptika spielen eine zentrale Rolle bei der medikamentösen Versorgung und haben bei schizophrenen Erkrankungen folgende drei Hauptwirkungen:
Sie lindern die akuten produktiven Symptome, d.h. sie bewirken eine Verbesserung von Verfolgungsangst, psychomotorischer Erregung, Halluzinationen oder Denkstörungen. In niedriger Dosierung führen sie oft auch zur Besserung der Minussymptomatik wie Antriebsarmut und Apathie (Teilnahmslosigkeit).
Sie wirken entspannend und schlafanstößend.
Sie bieten einen deutlichen Schutz vor einer Wiedererkrankung (Rezidiv). Das Rückfallrisiko kann mit der Behandlung von Neuroleptika auf 15 - 20 % gesenkt werden.
Aus den Vorstellungen, in welcher Weise neuroleptische Medikamente bei Schizophrenien helfen, scheint uns folgende am überzeugendsten zu sein: Neuroleptika machen Kranke dickfälliger. Außen- und Innenreize werden weniger bedrängend. Von dieser Hilfe bis zur Abstumpfung ist es allerdings nicht sehr weit (siehe Überdosierung). Hier liegt die Gefahr und die wichtigste Herausforderung für eine kompetente Anwendung von Neuroleptika.
Die Einteilung der Neuroleptika erfolgt nach Wirkungsart und Wirkungsstärke. Eine Besonderheit der Neuroleptika ist, dass die wenigsten Präparate eine sofortige Wirkung auf die Symptome zeigen. Mit den Neuroleptika ist es also nicht so wie z.B. mit einer Schmerztablette, welche ihre Wirkung schon nach wenigen Minuten entfaltet. Der Wirkungseintritt eines Neuroleptikums bedarf eines über Tage bis Wochen behutsame aufgebauten Medikamentenspiegels.
Für das Erreichen einer optimalen Wirkung gibt es Erfahrungswerte, keine ganz genauen Dosisangaben. Jeder schizophren Erkrankte braucht eine für ihn individuelle Dosis. Bei manchen Erkrankten lassen sich schon mit einer sehr geringen Medikamentendosis die Symptome lindern, andere wiederum benötigen ein Vielfaches desselben Präparates um symptomfrei zu sein. Bei der Dosierung gilt stets der allgemeine Grundsatz: 'soviel wie nötig, so wenig wie möglich!'
Was passiert bei einer Unter- oder Überdosierung?
Ist die Dosierung der Neuroleptika zu hoch, so fällt im Gehirnstoffwechsel die Weiterleitung von Reizen durch den Mangel an Überträgerstoffen (Dopamin) ab. Der Erkrankte fühlt sich sehr gedämpft, 'wie betäubt' und energielos.
Ist die Dosierung der Neuroleptika zu gering, so besteht weiterhin ein Überschuss an Dopamin. Der Erkrankte kommt nicht zur Ruhe. Eine exakte Dosierung auf Anhieb zu finden ist sehr schwierig.[19]
Eine weitere Besonderheit der Neuroleptika ist, dass mit dem Absetzen des Medikamentes nicht sofort die Wirkung nachlässt und gleich wieder Symptome auftreten. Dies liegt daran, dass der aufgebaute Wirkungsspiegel noch über längere Zeit verfügbar ist (Tage bis Wochen).
Nebenwirkungen von Neuroleptika
Ein großer Nachteil der Neuroleptika ist, dass sie zahlreiche Nebenwirkungen aufweisen. Die Empfindlichkeit für Nebenwirkungen ist sehr unterschiedlich. In vielen Fällen können Begleiterscheinungen durch Anderung der Dosis, durch Umstieg oder durch zusätzliche Medikamente gemildert oder beseitigt werden.
Bei Betroffenen, die über mehrere Jahre Neuroleptika einnehmen, können besonders unangenehme Nebenwirkungen auftreten, die Spätdyskinesien Sie zeigen sich durch unwillkürliche Bewegungen des Mundes, der Lippen und der Zunge, manchmal auch durch Bewegungen anderer Muskel. Spätdyskinesien sind relativ selten - bei jahrelanger Neuroleptika- Einnahme ist die Häufigkeit 15 - 20 %.[20]
Folgende Nebenwirkungen treten am häufigsten aufgrund der Einnahme von Neuroleptika auf:
Muskelkrämpfe im Bereich Zunge und Augen
Muskelsteifigkeit, Zittern, Unruhe
starker Bewegungsdrang (Akathisie)
Atypische Neuroleptika
Sogenannte atypische Neuroleptika gelten bei Psychiatern als die modernsten Mittel, um die Schizophrenie zu behandeln. Diese neuen Mittel sind besser verträglich als die "klassischen" Neuroleptika. Eine besonders unangenehme Gruppe von Nebenwirkungen, die gewisse Bewegungseinschränkungen, kleinschrittigen Gang, sowie Sitz- und Bewegungsunruhe umfasst, kommt bei den neuen Präparaten sehr selten vor. Außerdem wirken die atypischen Neuroleptika möglicherweise besser gegen Minussymptome, wie Antriebsmangel und sozialer Rückzug.[21]
Von Neuroleptika wird man nicht abhängig oder süchtig. Das ist eindeutig erwiesen!
Eine Angstminderung und Dämpfung übermäßiger Erregung sind die wichtigsten Wirkungen. Es besteht eine Abhängigkeitsgefahr bei längerer Einnahme.
Diese werden zur Behandlung von unerwünschten Wirkungen von Neuroleptika verabreicht.
Neben der depressionslösenden Wirkung haben diese Medikamente noch eine erwünschte aktivierende oder beruhigende Wirkung auf den Antrieb.
Kommt zu einer schizophrenen Symptomatik eine Steigerung des Antriebes hinzu, kann dieser mit Lithium- oder Carbamazepinpräparaten abgeschwächt werden.
Antipsychotika können als Tabletten, Saft oder Tropfen, die täglich genommen werden müssen, oder als Injektionen mit teilweise mehrwöchiger Wirkung (Depot-Injektionen) angewandt werden.
Das Ziel der Psychotherapie ist es, das seelische oder körperliche Leiden zu mildern, gestörte Einstellungen und Verhaltensweisen zu verändern, das gesunde Seelenleben wiederherzustellen und die Entfaltung und Reifung des Menschen zu fördern.
In Fachkreisen wurde lange behauptet, dass für schizophrene Kranke eine Psychotherapie schädlich sei. Dieses Vorurteil entstand im Zusammenhang mit der Gleichsetzung von Psychotherapie und Psychoanalyse. Letztere ist für Kranke belastend. Sie erfordert ein ausreichendes Maß an Stabilität und ist deshalb empfindsamen und verletzlichen Kranken nicht zumutbar. Aber Psychotherapie ist nicht nur Psychoanalyse. Zur Psychotherapie gehört auch einfühlsame Zuwendung, Unterstützung und Führung, Zuhören und Beraten, Üben und Lernen. Voraussetzung einer Psychotherapie ist jedoch, dass der Patient dazu bereit ist.
Besonders bewährt haben sich bei der Psychotherapie die verhaltenstherapeutischen Behandlungsansätze. Bei der Verhaltenstherapie geht es darum, dem Betroffenen ein Verständnis seiner Erkrankung zu vermitteln, seine Selbstverantwortung zu stärken, gesunde Anteile zu fördern und die Fähigkeit zur Selbsthilfe zu verbessern. Ebenso wird mittels Psychotherapie versucht, die erkrankungs- und medikamentenbedingten Einschränkungen zu verringern und eine Bereitschaft von seiten des Patienten herzustellen.
Um Wiedererkrankungen zu vermeiden bzw. zu reduzieren, wird versucht, die Betroffenen für die Wahrnehmung von Frühsymptomen zu schulen. Gemeinsam mit dem Patienten wird ein Krisenplan aufgestellt, der das Abgleiten in eine erneute akute Psychose verhindern soll.
Weitere psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten:
Entspannungsverfahren (Meditation, autogenes Training, Muskelentspannung)
Familientherapie (gemeinsame Bewältigung)
kognitives Training (Verbesserung von Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedächtnis und Sprache)
psychoedukative Gruppen: Informationen über die Krankheit und ihre Behandlung werden in verständlicher Form vermittelt. Die Teilnehmer lernen, soziale Kontakte zu knüpfen und helfen einander gegenseitig bei der Bewältigung der Krankheit.[22]
Die Erkrankung an Schizophrenie führt oft dazu, dass Kontakte abgebrochen werden und die Betroffenen in komplizierte soziale Situationen geraten. So kann es zu finanzieller Not kommen, Wohnung und Arbeitsplatz sind gefährdet oder verloren, die Krankenversicherung besteht nicht mehr oder Angehörige wenden sich ab. Soziotherapeutische Angebote, die vor allem im stationären Bereich angeboten werden, werden oft als erster Anlaufpunkt erlebt, wenn es um die Neustrukturierung eines durch die Erkrankung aus der Bahn geworfenen Lebens geht. Die Soziotherapie wirkt in den Bereichen Pflege und Rehabilitation, betreutes Wohnen, Betätigung und Arbeit sowie Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Sie ist vorrangig auf das Training sozialer Kompetenzen, die Aufdeckung von Hilfs- und Unterstützungsmöglichkeiten sowie die sozialrechtliche Aufklärung gerichtet.
Soziotherapie berücksichtigt, daß die Erkrankung eines Menschen nicht nur aus einem biologischen oder psychologischen Blickwinkel zu betrachten ist, sondern dass Erkrankungen auch eine soziale Komponente haben.
Eine weitere Therapiemöglichkeit ist die Elektrokrampftherapie. Sie liegt der Beobachtung zugrunde, dass sich bei Patienten, die an einer schizophrenen Psychose litten, nach einem epileptischen Anfall deutlich die Symptome verringerten. Dies machte man sich therapeutisch nutzbar, indem man solche Anfälle 1937 durch niedrigdosierte elektrische Reizung des Gehirns auszulösen versuchte. Es ist jedoch nicht detailliert bekannt, wie die EKT genau wirkt. Eine Hypothese besagt, dass sich während des Krampfanfalls schlagartig Nervenzellen entladen, und dass dies die psychotischen Symptome hervorruft.
Der Ruf dieser Behandlungsmethode erlitt durch die damaligen unkontrollierbaren Durchführungsmethoden, bei denen es zu schweren Verletzungen wie z.B. Knochenbrüchen kam, einen schweren Schaden und wird auch heute noch stark kritisiert, obwohl sich die Durchführung der Behandlung wesentlich geändert hat. Für den Einsatz der EKT gibt es enge Kriterien. Diese sind z.B. seltene schwere lebensbedrohliche Erstarrungs- oder Erregungszustände im Rahmen einer katatonen Schizophrenie. Die EKT kann auch angewendet werden, wenn ein Patient mit einer schizophrenen Psychose nicht auf Medikamente anspricht und unter den Symptomen stark leidet.
Die EKT ist heute eine mögliche Ergänzung der Behandlungsmöglichkeiten, aufgrund ihrer Geschichte ist die Anwendungshäufigkeit regional jedoch sehr verschieden. [MN1]
Außer der Pharmakotherapie, der Psychotherapie und der Soziotherapie kann ein mehrdimensionaler Therapieansatz noch weitere Elemente beinhalten:
Ergotherapie (Belastungserprobung, Tagesstrukturierung, Vorbereitung berufliche Rehabilitation)
Körpertherapie (insbesondere Training der Körperwahrnehmung und aktivierende Verfahren)
Entspannungstherapie
Kunsttherapie/Kreative Gestaltung (Musik, Malen, Modellieren)
Wegen der unterschiedlichen Schizophreniediagnose in den Vereinigten Staaten und Europa in den letzten Jahrzehnten haben sich zwei große Projekte zur Verbesserung der Klassifikation psychischer Störungen und zur Sicherung ihrer Vergleichbarkeit herausgebildet: Die Internationale Klassifikation der Diagnosen (ICD der Weltgesundheitsorganisation) und das diagnostisch-statistische Manual (DSM) der American Psychiatric Association.
Gültig sind heute die vierte Fassung des DSM - das DSM-IV - und die 10. Fassung der WHO-Klassifikation, die ICD 10. Es ist wichtig zu wissen, dass es sich hierbei nicht um Naturgesetze handelt, sondern um annähernde Beschreibungen von Experten, die dem derzeitigen Wissenstand entsprechen sollen. Die Diagnose wird aufgrund eines Kriterienkataloges erstellt, in dem bestimmte Gruppen von Symptomen vorgegeben sind. Die Diagnose erfolgt dann durch Aufsummierung der bei den Kranken festgestellten Symptome.[24]
Wichtig ist, zu wissen, dass die neuen Klassifikationssysteme in erster Linie nicht der Diagnostik dienen. Klassifikationen sind keine Diagnosen. Diagnose geht vielmehr vom einzelnen Patienten aus, Klassifikation ist extrem reduktionistisch und dient statistischen und wissenschaftlichen Zwecken. Dies ist auch ein Einwand für die Diagnoseerstellung aufgrund der Klassifikationssysteme. Klassifikationssysteme reduzieren die 340 erwiesenen Schizophreniesymptome auf weniger als ein Dutzend. Aus diesem Grund sind Fehldiagnosen nicht selten. Eine größere Zahl von Kranken wird aufgrund des Kriterienkatalogs nicht erfasst, obwohl bei ihnen eine schizophrene Störung vorliegt.
Die ICD 10 klassifiziert alle medizinischen Krankheiten. Die psychischen Störungen werden im Kapitel 6 unter dem Buchstaben F geführt.
F. 20.0 - F20.3 Allgemeine Kriterien für die paranoide, die hebephrene, die katatone und die undifferenzierte Schizophrenie:
G1. Während der meisten Zeit innerhalb eines Zeitraumes von mindestens einem Monat (oder während einiger Zeit an den meisten Tagen) sollte eine psychotische Episode mit entweder mindestens einem der unter 1. aufgezählten Syndrome, Symptome und Anzeichen oder mit mindestens zwei der unter 2. aufgezählten Symptome und Anzeichen bestehen.
1. Mindestens eines der folgenden Merkmale:
a. Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung, Gedankenentzug oder Gedankenausbreitung;
b. Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, Gefühl des Gemachten, deutlich bezogen auf Körper- oder Gliederbewegungen oder bestimmte Gedanken, Tätigkeiten oder Empfindungen; Wahnwahrnehmung;
c. kommentierende oder dialogische Stimmen, die über die Patienten reden oder andere Stimmen, die aus bestimmten Körperteilen kommen;
d. anhaltender kulturell unangemessener, bizarrer Wahn, wie der, das Wetter kontrollieren zu können oder mit Außerirdischen in Verbindung zu stehen.
2. Oder mindestens zwei der folgenden Merkmale:
a. Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität, täglich während mindestens eines Monats, begleitet von flüchtigen oder undeutlich ausgebildeten Wahngedanken ohne deutliche affektive Beteiligung oder begleitet von langanhaltenden überwertigen Ideen;
b. Neologismen, Gedankenabreißen oder Einschiebungen in den Gedankenfluss, was zu Zerfahrenheit oder Danebenreden führt;
c. katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypien oder wächserne Biegsamkeit (Flexibilitas cerea), Negativismus, Mutismus und Stupor;
d. 'negative' Symptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, verflachte oder inadäquate Affekte.(Es muß sichergestellt sein, daß diese Symptome nicht durch eine Depression oder eine neuroleptische Medikation verursacht werden.)
G2. Häufigste Ausschlusskriterien:
Wenn die Patienten ebenfalls die Kriterien für eine manische Episode (F30) oder eine depressive Episode (F32) erfüllen, müssen die oben unter G1.1. und G1.2. aufgelisteten Kriterien vor der affektiven Störung aufgetreten sein.
Die Störung kann nicht einer organischen Gehirnerkrankung (im Sinne von F00-F09) oder einer Alkohol- oder Substanzintoxikation (F1x.0), einem Abhängigkeitssyndrom (F1x.2) oder einem Entzugssyndrom (F1x.3, F1x.4) zugeordnet werden.
Kommentar:
Bei dem Nachweis der abnormen subjektiven Erfahrungen und Verhaltensweisen sollten falsche positive Beurteilungen sorgfältig vermieden werden, vor allem wenn kulturell oder durch Subkulturen beeinflusste Ausdrucks- und Verhaltensweisen bzw. eine verminderte Intelligenz eine Rolle spielen.[25]
Angehörige sind von der psychotischen Erkrankung eines Familienmitgliedes in einschneidender Weise mitbetroffen. Das Leiden des Kranken verändert auch ihr Leben; oft haben sich aufgrund der Erkrankung starke Belastungen in der Familie entwickelt, die sich ihrerseits hinderlich auf die Bewältigung der Erkrankung auswirken. Insbesondere wenn die Krankheit im jugendlichen Alter beginnt und chronisch wiederkehrend verläuft, tragen Angehörige die Last der Psychose mit.
Eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung ist deshalb die Einbeziehung der Angehörigen. Lange Zeit hat sich die Psychiatrie schwer getan, Angehörige in die Behandlung miteinzubeziehen. Sie wurden eher als Störfaktoren gesehen, als eine Belastung für die Arzt-Patienten-Beziehung.
Heute ist eine kunstgerechte Schizophreniebehandlung ohne Einbeziehung der Angehörigen nicht mehr denkbar. Studien haben gezeigt, dass ein entspanntes emotionales Milieu in der Familie den positiven Verlauf schizophrener Psychosen begünstigt. Medikamente können reduziert und damit die Nebenwirkungen eingeschränkt werden. Ein wichtiger Faktor dabei ist auch die Offenheit in der Familie. Sorgen und Angste sollten bewältigt werden, über vorhandene Probleme, die die Erkrankung mit sich bringt, sollte gesprochen werden.
Experten wie Angehörige müssen lernen, dass sie häufig eine unterschiedliche Sichtweise haben. Angehörige sind darauf angewiesen, ihre eigenen Erfahrungen überdenken und ausdrücken zu können. Dies ist in Angehörigen-Selbsthilfegruppen oder in sog. psychoedukativen Gruppen für Angehörige möglich, wo sie neben Information über die Krankheit auch Beratung erfahren. Wichtig ist vor allem, dass sich Angehörige über die Krankheit umgehend informieren, denn nur dann kann der richtige Umgang damit gelernt werden. Adressen von Informationsgruppen sind am Ende angeführt.
Oft beschäftigt Angehörige die Frage, wie sie konkret Hilfestellungen bei der Bewältigung der Erkrankung geben können. Eine Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass sie sich von Schuldgefühlen befreien, die sie oft quälen. Denn nur, wer sich von Schuldvorwürfen und dem Druck des schlechten Gewissens freimacht, kann das Problem wahrnehmen und Verantwortung ablehnen oder übernehmen.
"Angehörige haben Schuldgefühle, keine Schuld. Es ist wichtig, diesen Unterschied zu klären."[26]
Nachfolgend möchte ich einige Möglichkeiten von Angehörigen auflisten, die zu einer erfolgreichen Behandlung beitragen können:
Hilfreiche Verhaltensweisen
emotionale Wärme jedoch keine Überfürsorglichkeit
spontane, positive Bemerkungen
Verständnis
Sympathie, Sorge, Interesse am anderen
Freude über gemeinsame Aktivitäten
Vorbeugung
Unterstützung bei der notwendigen Behandlung
gezieltes Entlasten in Überforderungssituationen
Früherkennung von Anzeichen eines möglichen Rückfalls
Unterstützung, Beratung und Beruhigung in frühen Stadien einer beginnenden Krise
Erhaltung von Fähigkeiten des Erkrankten
Ermutigung zur selbständigen Bewältigung von Alltagsaufgaben
Einbeziehung in familiäre Aktivitäten
Loben und Belohnen von selbständigem Verhalten
Herstellen einer Tagesstruktur
Setzen von Grenzen (Erhalten einer gewissen Anpassungsfähigkeit bezüglich sozialer Normen)
Förderung von Heilprozessen nach akuten Phasen
Unterstützung des Realitätsbewusstseins, Rückmeldungen geben um verfälschte Wahrnehmungen zu korrigieren
Akzeptanz und Verlässlichkeit vermitteln
Schaffen eines ruhigen, beschützen und eindeutigen Milieus für die Erholungsphase
Unterstützung der Motivation für andere Behandlungsmaßnahmen
Helfen, das Dasein zu bewältigen
Trost und Ermutigung
Hilfestellungen
Schaffen und Erhalten eines Schonraumes
Unterstützung in finanziellen Belangen
Hilfestellung bei Behördengängen, in der Klinik etc.
Hilfestellung bei Aufrechterhaltung eines Minimums an Ernährung, Kleidung, Hygiene
Repräsentation
Bildung und Unterhaltung von Selbsthilfeorganisationen
Mitarbeit in politischen Gremien
Sensibilisierung des öffentlichen Bewusstseins für die Situation und die Anliegen psychisch Kranken
Formulieren und Veröffentlichen von Kritik an bestehenden Institutionen, Verflechten von Ansprüchen bezüglich zu planender Einrichtungen des Gesundheitswesens
Engagement für den Abbau von Vorurteilen
Vermieden werden sollten:
Überfürsorglichkeit und Bevormundung
Kritikfreudigkeit
Feindselige Ablehnung gegenüber dem Erkrankten
Ein zentraler Punkt bei der Behandlung ist die Vermeidung von Rückfällen. Rückfälle sind eine große Belastung für alle Beteiligten, da der Betroffene mindestens 1 Jahr braucht, um sich zu erholen und wieder leistungsfähig zu werden. Rückfälle kündigen sich meist schon einige Zeit davor an: durch Nervosität, Schlafstörungen oder andere Zeichen. Auslöser von Rückfällen sind von Patient zu Patient verschieden. Angehörige sollten deshalb auf Frühwarnzeichen achten und sofort den Arzt aufsuchen, sobald sich ein Rückfall ankündigt. Je eher man die notwendigen Maßnahmen trifft, desto eher kann man einen neuerlichen Ausbruch der Krankheit verhindern.
Folgende Frühwarneichen können auf einen drohenden Rückfall hinweisen:
Sozialer Rückzug (z.B. vermeidet Kontakt mit anderen) |
Übererregbarkeit (z.B. reagiert schnell gereizt) |
Schlafstörungen |
Unruhe, Nervosität, Anspannung |
Lustlosigkeit, Niedergeschlagenheit, Interessenverlust |
Konzentrations- und Gedächtnisstörungen |
Veränderung der Ess- und Trinkgewohnheiten (z.B. Appetitlosigkeit) |
Absonderliches Verhalten (z.B. übermäßige Beschäftigung mit Religion) |
Gefühl, von allen beobachtet zu werden |
Geräuschempfindlichkeit |
Ebenso ist es wichtig, dass das Einnehmen der Neuroleptika regelmäßig erfolgt, dadurch kann das Rückfallrisiko auf 15 - 20 % gesenkt werden. Ein plötzliches Absetzen von Neuroleptika kann folgendes Rückfallrisiko bewirken:
Rückfälle bei schizophrenen Psychosen mit/ohne Neuroleptika
(innerhalb von 12 Monaten)
Zu erwähnen ist noch, dass auch Alkohol- und Drogenkonsum das Rückfallrisiko erhöhen kann, da der Nervenstoffwechsel und die Wirkung der Neuroleptika durch diese Substanzen stark gestört wird. Patienten sollten deshalb unbedingt darauf verzichten.
Die Behandlung psychischer Erkrankungen trifft oft auf das Problem, dass Patienten und Angehörige eine medikamentöse Therapie ablehnen. Ursachen dafür sind u.a. ein Informationsdefizit zu den Arten und Schweregraden psychischer Erkrankungen. Das Wissen über solch ernsthaften Erkrankungen wie der Schizophrenie ist äußerst begrenzt und eher durch Furcht als durch tatsächliche Kenntnisse geprägt. Ebenso spärlich wie in der Bevölkerung das Wissen zu den seelischen Erkrankungen ist, so gering ist die Kenntnis der Psychopharmaka. Einige Falschannahmen möchte ich hier anführen:
Bei Psychopharmaka handle es sich um unnötige Medikamente, diese seien schädlich, würden leichtfertig verschrieben und machten abhängig. Hier ist anzumerken, dass Psychopharmaka sogar in der Behandlung von Suchterkrankungen eingesetzt werden.
Ebenfalls wird gefolgert, auf Medikamente könne bei der Behandlung einer psychischen Erkrankung verzichtet werden, die Erkrankungen seien lediglich Befindlichkeitsstörungen, welche sich durch Willensanstrengung überwinden ließen.
Weiterhin wird befürchtet, Psychopharmaka führten zum Verlust der Selbstkontrolle und raubten letztendlich die Persönlichkeit. Diese Angst ist insofern zu überdenken, da es gerade die akuten psychotischen Erkrankungen sind, die mit Verlust der Kontrolle über Denken und Handeln einhergehen, dass sich schizophren Erkrankte gerade in der akuten Phase oft fremdbestimmt erleben.
Psychopharmaka dienen aber zu einem großen Teil dazu, dass die Kontrolle über das eigene Erleben und Handeln wiedergewonnen wird. Psychopharmaka können den Erkrankten wieder dazu befähigen, aus krankheitsbedingter sozialer Isolation zurückzukehren und an sozialer Gemeinschaft teilzuhaben.
Oft wird auch bemängelt, Psychopharmaka beseitigten nur die Anzeichen einer Erkrankung, nicht aber ihre Ursache.
Eine Therapie als rein symptomatisch zu bezeichnen, diskreditiert diese jedoch nicht. Zum einen wirkt die Therapie mit Psychopharmaka, als Beispiel sei hier der nachgewiesene Rückfallschutz durch Neuroleptika angeführt. Symptomatische Therapie heißt also nicht wirkungslose Therapie. Zum anderen ist symptomatische Therapie bei anderen Erkrankungen durchaus üblich in der Medizin. So wirkt die Insulintherapie bei einer Zuckerkrankheit rein symptomatisch, abgelehnt wird sie deshalb noch lange nicht. Gleiches gilt für Bluthochdruck, auch hier wird rein symptomatisch behandelt.
Um diesen Falschannahmen der Psychopharmaka vorzubeugen ist es vor allem notwendig, dass Betroffene und Angehörige über die Behandlung und die Erkrankung aufgeklärt werden und dass diese Informationsbereitschaft immer wieder signalisiert wird. Dabei ist eine reine, auf Rationalität begrenzte Aufklärung jedoch nicht ausreichend, mitbeachtet werden müssen auch die persönlichen Angste und Erfahrungen.
Zusammenfassend können folgende Vorteile durch die Behandlung mit Psychopharmaka genannt werden:
Verbesserung der Lebensqualität
Verkürzung des stationären Aufenthaltes
Schutz vor Rückfällen
weniger Risiko eines chronischen Verlaufes
weniger Risiko der Suizidalität
Menschen mit schizophrenen Störungen sind häufig mit völlig falschen Vorstellungen ihrer Umwelt über ihre Erkrankung konfrontiert. Dies bedeutet für sie zusätzlich Diskriminierung in der Gesellschaft, die bis zur sozialen Ausgrenzung führt. Menschen mit psychischen Erkrankungen und besonders mit Schizophrenie sind in allen entwickelten Ländern mit einem sozialen Stigma belastet. Unter Stigma versteht man sozialpsychologisch eine niedrige Position auf der Prestigeskala der menschlichen Gesellschaft. Das Stigma, das auf den Kranken lastet, verbindet sich mit den Befürchtungen und falschen Annahmen rund um diese Krankheit. Folgende Vorstellungen sind - wenn auch für einige, die sich mit Schizophrenie schon beschäftigt haben, wunderlich - weit verbreitet:
Schizophrenie sei ansteckend. Dieses vor allem in Entwicklungsländern weit verbreitete Stereotyp veranlasst Menschen dazu, Kontakte mit Kranken zu meiden und sie vom sozialen und beruflichen Leben auszuschließen, ähnlich der sozialen Isolierung leprös Erkrankter.
Schizophrenie werde durch böse Geister verursacht. Dies ist ebenfalls eine Überzeugung, die besonders in Entwicklungsländern verbreitet ist und Angste vor dem Erkrankten, aber auch Exorzismen zur Austreibung der Geister auslöst. Ganz selten ist dieses Stereotyp in unserer Kultur nicht. Beinahe jedes Jahr wird über Exorzismusriten an psychisch Kranken berichtet.
Schizophren Erkrankte seien unberechenbar und gefährlich und müssen deshalb gemieden werden. Dieses Stereotyp ist in unserer Kultur weit verbreitet. Mit der Realität hat diese Vorstellung natürlich wenig zu tun. Untersuchungen zufolge sind Schizophrenie-Kranke deutlich weniger gefährlich als beispielsweise Menschen unter Einwirkung von Alkohol oder Drogen. Während der psychotischen Episoden kann es zwar zu Aggressionen kommen, allerdings ist die Gefährdung vorhersehbar. Schizophrenie-Kranke sind in Wirklichkeit eher Opfer von Missbrauch oder Gewalt als selbst die Täter. Sie sind nicht unberechenbar, sondern in dem, was anderen als Wirklichkeit erscheint, höchst verunsichert.
An Schizophrenie Erkrankte seien grundsätzlich unzurechnungsfähig und deshalb nicht imstande, Lebensentscheidungen zu treffen oder die Unterrichtung über ihre Krankheit und deren Behandlung zu verstehen und darüber mit zu entscheiden. Außerdem seien Schizophrene grundsätzlich träge und unzuverlässig.
Schizophrene hätten eine gespaltene Persönlichkeit. Wie bereits erwähnt, ist dieses Stereotyp in unserer Kultur weit verbreitet. Zur Wiederholung: Der Erkrankte kennt zwar zwei Wirklichkeiten, die reale und seine zweite Wirklichkeit, er besitzt jedoch nicht mehrere Persönlichkeiten ("multiple personality
Auch die Medien tragen durch die starke Repräsentation negativer und sensationell aufgemachter Bilder und Meldungen von und über psychisch Kranke zur Aufrechterhaltung der negativen Einstellung der Bevölkerung bei. Mehrere Medienanalysen zeigten, dass schizophrene Patienten häufig in sog. Seifenopern als aggressiv, gefährlich und nicht selten auch als Mörder dargestellt werden. Eine amerikanische Studie zeigte, dass in Programmen, die in der Hauptsendezeit ausgestrahlt werden, 70 % der psychisch kranken Charaktere als gewalttätig porträtiert wurden gegenüber nur 42 % der gesunden Individuen. Die Mehrzahl der Rollen von psychisch Kranken im Fernsehen stellt diesen nicht nur als gefährlich dar, sondern auch von einem Hauch des Bösen umgeben, so dass Misstrauen und Schikane gerechtfertigt erscheinen.
Sensationelle Pressemeldungen, wenn ein psychisch Erkrankter eine Gewalttat verbrochen hat, lassen unter anderem die Vermutung entstehen, dass besonders grausame Verbrechen nur durch einen psychisch Kranken begangen werden kann.
Die Stigmatisierung schizophren erkrankter Menschen wirkt sich vor allem ungünstig auf den sozialen Verlauf der Krankheit aus. Die Wiedereingliederung Kranker in Gesellschaft, Arbeit und Beruf, wird dadurch sehr erschwert. Viele Arbeitgeber nehmen aus Irrmeinung und unzureichender Information Abstand von psychisch Erkrankten. Der soziale Status, den psychiatrische Patienten einnehmen, ist weit niedriger als der von ehemaligen Strafgefangenen: laut einer US-Studie wird ein ehemals psychiatrisch Behandelter sogar nach fünf Jahren normalen Lebens und geregelter Arbeit sozial weniger akzeptiert als ehemalige Gefängnisinsassen. Konsequenzen der Stigmatisierung sind neben den Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf u.a. Geldmangel für die Entwicklung von Einrichtungen des psychiatrischen Gesundheitswesens, Wohnungsprobleme, Arbeitslosigkeit und soziale Isolierung.
Dies alles bedeutet für die Erkrankten eine zweite Belastung, die sie neben der Bewältigung der Krankheit zu tragen haben.
aus Psychiatrie-Aktuell.de [http://www.psychiatrie-aktuell.de/disease_print.jhtml?itemname=schizophrenia]; eingesehen am 14.12.02
vgl. Dr.med. Stefan Hoppe [http://www.medizin-netz.de/icenter/schizophrenie.htm]; eingesehen am 01.12.02
aus Kompetenznetz Schizophrenie [http://www.kompetenznetz-schizophrenie.de/SUBSITES/BETROFFENE/verlauf. htm]; eingesehen am 14.12.2002
Seite: 40
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