Der Schwerbehindertenschutz- Integration Behinderter in Gesellschaft und Arbeit
Inhaltsverzeichnis / Gliederung:
Einleitung - 1.1 Das aktuelle Schwerbehindertengesetz
2.3 Schwerbehinderte am Arbeitsplatz - 2.4 Die Beschäftigungspflicht
2.4.1 Statistik und Praxis
2.4.2 Kommentar - 2.5 Der Kündigungsschutz und Zusatzurlaub
2.6 Zusatzurlaub - 2.6.1 Statistik und Praxis - 2.6.2 Kommentar -
Die Schwerbehindertenvertretung
2.8 Versorgungs-, Arbeitsamt und Haupfürsorgestelle
In dem Referat über den Schwerbehindertenschutz und die Integration Behinderter in Gesellschaft und Arbeit, werde ich mich hauptsächlich mit den rechtlichen Bestimmungen, den berufsfördernden Leistungen und den zuständigen Amtern beschäftigen. Im Anschluss an die einzeln aufgeführten Aspekte soll erörtert werden, inwieweit sich das Recht in der Praxis bewährt und vollzieht.
Fragen wie: welche aktuellen rechtlichen Bestimmungen gibt es; wie wirken sie sich auf die Betroffenen aus und wie sieht die Lebensrealität, der alltägliche praktische Vollzug der rechtlichen Vorgaben aus? sollen hier erörtert und beantwortet werden.
Zum Schluss werde ich noch kurz auf die Situation im eigenen Betrieb eingehen und eine persönliche Meinung zu diesem umfassenden Thema abgeben.
Einleitung:
Seit 1974 existieren in der Bundesrepublik Deutschland die sozialrechtlichen Bestimmungen des Schwerbehindertengesetzes. Trotz Modifikationen und diversen Novellierungen ist die wesentliche Substanz des Gesetzes unverändert geblieben. Das aus dem Schwerbeschädigtenrecht entstandene Gesetzeswerk sollte behinderten Menschen unabhängig von der Ursache ihrer Behinderung einen rechtlichen Rahmen zur gesellschaftlichen und beruflichen Integration gewährleisten.
Aus den Begriffen der "Kriegsbeschädigung", "Kriegsversehrung",
"der Schwerbeschädigung" entstand der kausalitätsneutrale Begriff der "Schwerbehinderung".
Das Sozialgesetzbuch Neuntes Buch- Teilhabe und Rehabilitation behinderter Menschen- ist am 01.07.01 in Kraft getreten. Es beendet die bestehende Unübersichtlichkeit, indem die Vorschriften, die für mehrere Sozialleistungsbereiche gelten, zusammengefasst werden. Im Mittelpunkt stehen nicht mehr allein die Fürsorge und die Versorgung von behinderten und von Behinderung bedrohten Menschen, sondern ihre selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Beseitigung von Hindernissen, die ihrer Chancengleichheit entgegenstehen.
Es geht um ein besseres Recht, ein besseres Leben für die viele Menschen mit Behinderungen und für die von einer Behinderung bedrohten Menschen. Deswegen sind die Bestimmungen des SGB IX darauf ausgerichtet, dieses Ziel mit medizinischen, beruflichen und sozialen Leistungen schnell, wirkungsvoll, wirtschaftlich und auf Dauer zu erreichen.
Auf den nun folgenden Seiten werde ich mich nun näher mit den konkreten Wirkungskreisen dieses Gesetzes auseinandersetzen.
1.1Das aktuelle Schwerbehindertengesetz:
( in der Fassung vom 01.07.2001)
Mit Wirkung vom 01.07.2001 ist das Schwerbehindertengesetz in das Sozialgesetzbuch als Neuntes Buch (SGB IX) integriert worden.
Menschen
Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
Behinderung
Gleichgestellte
Feststellung der Behinderung, Ausweise
Zweiter Abschnitt: Beschäftigungspflicht der Arbeitgeber
Pflicht der Arbeitgeber zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen
Beschäftigung besonderer Gruppen schwerbehinderter Menschen
Begriff des Arbeitsplatzes
Berechnung der Mindestzahl von Arbeitsplätzen und der
Pflichtarbeitsplatzzahl
Anrechnung Beschäftigter auf die Zahl der Pflichtarbeitsplätze für
schwerbehinderte Menschen
§ 10 Mehrfachanrechnung
§ 11 Ausgleichsabgabe
§ 12 Ausgleichsfonds
Menschen
§ 13 Zusammenwirken der Arbeitgeber mit der Bundesanstalt für Arbeit und
den Integrationsämtern
§ 14 Pflichten des Arbeitgebers und Rechte schwerbehinderter Menschen
§ 14a Besondere Pflichten der öffentlichen Arbeitgeber
§ 14b Integrationsvereinbarung
§ 14c Prävention
§ 15 Erfordernis der Zustimmung
§ 16 Kündigungsfrist
§ 17 Antragsverfahren
§ 18 Entscheidung des Integrationsamtes
§ 19 Einschränkungen der Ermessensentscheidung
§ 20 Ausnahmen
§ 21 Außerordentliche Kündigung
§ 22 Erweiterter Beendigungsschutz
Fünfter Abschnitt: Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalt- und Präsidialrat,
Schwerbehindertenvertretung, Beauftragter des Arbeitgebers
§ 23 Aufgaben des Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalt- und
Präsidialrates
§ 24 Wahl und Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung
§ 25 Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung
§ 26 Persönliche Rechte und Pflichten der Vertrauensperson der
schwerbehinderten Menschen
§ 27 Gesamt-, Bezirks- und Hauptschwerbehindertenvertretung
§ 28 Beauftragter des Arbeitgebers
§ 29 Zusammenarbeit
schwerbehinderter Menschen
§ 30 Zusammenarbeit der Hauptfürsorgestellen und der Bundesanstalt für
Arbeit
§ 31 Aufgaben des Integrationamtes
§ 32 Beratender Ausschuss für behinderte Menschen bei dem Integrationsamt
§ 33 Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit
§ 34 Beratender Ausschuss für behinderte Menschen bei der Bundesanstalt für
Arbeit
§ 35 Beirat für die Teilhabe behinderter Menschen
§ 36 Gemeinsame Vorschriften
§ 37 Übertragung von Aufgaben
§ 37a Begriff und Personenkreis
§ 37b Aufgaben
§ 37c Beauftragung und Verantwortlichkeit
§ 37d Fachliche Anforderungen
§ 37f Ergebnisbeobachtung
§ 37g Verordnungsermächtigung
Teilhabe schwerbehinderter Menschen und gleichgestellter
Behinderter Menschen
§ 38 Beendigung der Anwendung der besonderen Regelungen zur Teilhabe
schwerbehinderter Menschen
§ 39 Entziehung der besonderen Hilfen für schwerbehinderte Menschen
§ 40 Widerspruch
§ 41 Widerspruchssausschuss bei dem Integrationsamt
§ 42 Widerspruchsausschuss beim Landesarbeitsamt
§ 43 Verfahrensvorschriften
§ 44 Vorrang der schwerbehinderten Menschen
§ 45 Arbeitsentgelt
§ 46 Mehrarbeit
§ 47 Zusatzurlaub
§ 48 Nachteilsausgleich
§ 49 Beschäftigung schwerbehinderter Menschen in Heimarbeit
§ 50 Schwerbehinderte Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen,
Soldaten und Soldatinnen
§ 51 Unabhängige Tätigkeit
§ 52 Geheimhaltungspflicht
§ 53 Statistik
§ 53a Begriff und Personenkreis
§ 53b Aufgaben
§ 53c Finanzielle Leistungen
§ 53d Verordnungsermächtigung
Begriff und Aufgaben der Werkstatt für behinderte Menschen
§ 54a Aufnahme in die Werkstätten für behinderte Menschen
§ 54b Rechtsstellung und Arbeitsentgelt behinderter Menschen
§ 54c Mitwirkung
Anrechnung von Aufträgen auf die Ausgleichsabgabe
Vergabe von Aufträgen durch die öffentliche Hand
Anerkennungsverfahren
Blindenwerkstätten
öffentlichen Personenverkehr
§ 59 Unentgeltliche Beförderung, Anspruch auf Erstattung der Fahrgeldausfälle
§ 60 Persönliche Voraussetzungen
§ 61 Nah- und Fernverkehr
§ 62 Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr
§ 63 Erstattung der Fahrgeldausfälle im Fernverkehr
§ 64 Erstattungsverfahren
§ 65 Kostentragung
§ 66 Einnahmen aus Wertmarken
§ 67 Erfassung der Ausweise
§ 68 Bußgeldvorschriften
§ 69 Strafvorschriften
§ 70 Stadtstaatenklausel
§ 71 Sonderregelung für den Bundesnachrichtendienst
§ 72 Übergangsregelung
§ 73 Überprüfungsregelung
2.1 Wer gilt als Schwerbehinderter?
Nach §1 SchwbG sind
Schwerbehinderte im Sinne des Schwerbehindertengesetz Personen mit einem Grad
der Behinderung von wenigstens 50, sofern sie ihren Wohnsitz, ihren
gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne
des §7 Abs.1 SchwbG rechtmäßig im Geltungsbereich des Gesetzes, also in der
Bundesrepublik Deutschland haben. Kraft des Gesetzes gilt dies für alle
Personen, die die skizzierten Voraussetzungen erfüllen. Da die meisten
Behinderungen nicht sichtbar und eindeutig erkennbar sind, muss der Grad der
Behinderung (GdB) amtlich festgestellt werden. Dafür sind die Versorgungsämter
zuständig. Das SchwbG (§3) definiert Schwerbehinderung als eine
Funktionseinbuße, die regelwidrig, d.h. für das jeweilige Lebensalter atypisch,
also nicht altersbedingt, ist und nicht nur vorübergehend, d.h. länger als
sechs Monate besteht. Die Funktionseinbuße kann körperlicher, geistiger oder
seelischer Art sein. Der genaue Grad der Behinderung wird in einem
amtsärztlichen Gutachten festgelegt, wobei sich der Arzt streng an die Vorgaben
des Ministeriums (Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im
sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz) halten muss.
Wichtig erscheint auch, dass der Grad der Behinderung nicht additiv im Sinne
einer Summe von funktionellen Störungen und Behinderungen ermittelt wird,
sondern es wird ein qualitativer Gesamtgrad der Behinderung festgelegt. Der
Grad der Behinderung wird in Zehnerschritten (z.B. 60, 70) beziffert.
Neben den Schwerbehinderten, welche einen Behinderungsgrad von 50 oder mehr
haben, gibt es die Möglichkeit für Behinderte, sich ab einem Behinderungsgrad
von 30 und mehr, diesen gleichstellen zu lassen (sogenannte Gleichgestellte).
Eine Gleichstellung wird dann erfolgen, wenn der Antragssteller infolge seiner
Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des
§7 Abs.1 nicht erlangen oder behalten kann. In diesem Fall ist das Arbeitsamt
zuständig.
Personen, welche als schwerbehindert gelten, erhalten vom Versorgungsamt einen rechtsfähigen Bescheid sowie eine Schwerbehindertenausweis. Der Ausweis
( §4 Abs.5 SchwbG) ist meistens befristet( Höchstdauer 15 Jahre; vgl. Landschaftsverband Westfalen-Lippe 1997, 52f.), enthält keine medizinischen Daten, aber kann mit bestimmten Merkzeichen ausgestaltet sein, welche Rückschlüsse auf bestimmte Behinderungsarten zulassen.
2.2 Übersicht der Merkzeichen (vgl. Der Beauftragte der Bundesregierung 1998, 24f.):
G: |
'erheblich gehbehindert', wichtig für Freifahrtregelungen im öffentlichen Personenverkehr und Ermäßigung der Kraftfahrzeugsteuer |
aG |
'außergewöhnlich gehbehindert', wichtig für die Freifahrtregelung im öffentlichen Personenverkehr, Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer sowie für Sonderparkrechte im Kraftfahrzeugverkehr |
H |
'hilflos', wichtig für erhöhte Freibeträge bei der Einkommensteuer, Freifahrtregelung im öffentlichen Personenverkehr und Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer |
BL |
'blind', wichtig für bestimmte Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz, für Landesblindengeld, für die Freifahrtregelung im öffentlichen Personenverkehr, Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer sowie für erhöhte Freibeträge bei der Einkommensteuer |
RF |
erfüllt die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht |
1.KL |
erfüllt die im Verkehr mit Eisenbahnen tariflich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Benutzung der 1.Wagenklasse mit Fahrausweis der 2.Wagenklasse |
B |
'Notwendigkeit ständiger Begleitung nachgewiesen', wichtig für die kostenlose Beförderung der Begleitperson im öffentlichen Personenverkehr |
2.3 Schwerbehinderte am Arbeitsplatz:
Zentrales Anliegen des Schwerbehindertengesetzes ist es, den Betroffenen ihrer Behinderung adäquate Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Natürlich geschieht dies nicht unmittelbar kraft des Gesetzes, sondern über bestimmte arbeitsrechtliche Bestimmungen, welche sowohl für private als auch öffentliche Arbeitgeber gelten. Dabei legt der Gesetzgeber den Arbeitgebern fundamentale Verpflichtungen auf, welche im Gesetzestext detailliert beschrieben werden.
2.4 Die
Beschäftigungspflicht:
Jeder Arbeitgeber mit mehr als 15 Arbeitsplätzen, d.h. mit 16 oder mehr, ist
verpflichtet nachzuweisen, dass mindestens 6% seiner Arbeitsplätze für
schwerbehinderte Arbeitnehmer zur Verfügung stehen (vgl. §5 SchwbG). Die
Beschäftigungsquote für Arbeitgeber der öffentlichen Hand kann höher beziffert
werden als die der privaten Wirtschaft. Bei der Berechnung von Pflichtplätzen
gibt es die Möglichkeit der Mehrfachanrechnung. Bestimmte Schwerbehinderte, die
besonders schwer zu vermitteln sind (vgl. §10 Absatz 1 SchwbG) können ebenso
wie schwerbehinderte Auszubildende (§10 Absatz 2 SchwbG) doppelt angerechnet
werden. Durch diese Maßnahmen soll die berufliche Integration schwerbehinderter
Jugendlicher und schwervermittelbarer Personen begünstigt werden. Für alle
Arbeitgeber, welche ihrer Pflichtquote nicht nachkommen, gibt es die
Möglichkeit, sich über eine Ausgleichsabgabe von ihrer Verpflichtung
freizukaufen. Diese liegt derzeit bei 200, -DM pro Pflichtplatz und Monat (§11
Absatz 1 und 2 SchwbG). Durch diese Abgabe sollen zum einen
Wettbewerbsnachteile für Unternehmen
ausgeglichen werden, zum anderen sollen Arbeitgeber finanzielle Nachteile spüren, wenn sie ihrer gesetzlichen Verpflichtung nicht nachkommen. Arbeitgeber, welche Aufträge an Werkstätten für Behinderte vergeben, können bis zu 30% des Rechnungsbetrages auf die zu zahlende Ausgleichsabgabe anrechnen, wenn u.a. der Rechnungsbetrag nicht zu weniger als 30% von den in der Werkstatt behinderten Beschäftigten als Arbeitsleistung erbracht wird (vgl. Bethmann/Feldes et al. 1999, 98).
Die Ausgleichsabgabe wird von der Hauptfürsorgestelle erhoben. Sie darf nur für Zwecke der Arbeits- und Berufsförderung Schwerbehinderter sowie für Leistungen zur begleitenden Hilfe im Arbeits- und Berufsleben (§31 Absatz 1 SchwbG) verwendet werden. Diese Leistungen bestehen in der Regel aus Zuschüssen zur behindertengerechten Umgestaltung von Arbeitsplätzen und aus Hilfen zur adäquaten betrieblichen Umstrukturierung im Hinblick auf schwerbehinderte Arbeitnehmer (z.B. Toiletten etc.).
2.4.1 Statistik und Praxis: Schaut man sich die praktische Umsetzung der gesetzlichen Bestimmungen an, so lässt sich feststellen, dass wesentliche Aspekte des Gesetzes nicht erfüllen, was man sich in der Theorie von ihm versprochen hatte. Die Bundesregierung beziffert die tatsächliche Beschäftigungsquote für die Bundesrepublik auf 3,9% (Stand 1996; vgl. BMA 1998, 70). Somit ist die Quote seit 1982 (von 5,9%) kontinuierlich gesunken. Dabei fallen die Beschäftigungsquoten der öffentlichen Arbeitgeber (1996: 5,2%) deutlich höher aus als die der privaten Wirtschaft (1996: 3,5%). Der Bund als Arbeitgeber sollte dabei mit 6,9% (1996) eine Vorbildfunktion haben. Die private Wirtschaft scheint jedoch mit solchen Statistiken nicht zu beeindrucken zu sein. Für Oktober 1997 waren bei den Arbeitgebern 23,11 Mio. Arbeitsplätze vorhanden. Grundlage für die Berechnung der mit Schwerbehinderten zu besetzenden Pflichtplätze waren 20,62 Mio. Arbeitsplätze. Nach dem Pflichtsatz von 6% wären somit 1,24 Mio. Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten zu besetzen gewesen. Tatsächlich waren 795.100 Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten, Gleichgestellten und sonstigen anrechnungsfähigen Personen besetzt (vgl. Landschaftsverband Rheinland 1999, 13).
2.4.2 Kommentar: Wie die Kommentare der meisten Experten verzeichnen, wird die Ausgleichsabgabe als unzureichendes Instrument betrachtet, Arbeitgeber zur Beschäftigung von Schwerbehinderten zu bewegen (vgl. Cloerkes 1997, Wagner 1996, Niehaus 1994). Als eine Hauptursache wird gesehen, dass Betriebe, welche ihrer Beschäftigungspflicht nicht nachkommen, keinerlei Sanktionen drohen und die Ausgleichsabgabe ökonomisch leicht zu verkraften erscheint. Viele Arbeitgeber scheinen aber auch die bürokratischen Hindernisse, welche mit einer behindertengerechten Umstrukturierung von Arbeitsplätzen verbunden sind, zu überschätzen. In der Regel funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den interessierten Betrieben, dem Arbeitsamt und den Fürsorgestellen reibungslos und zügig (vgl. Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Hauptfürsorgestellen 1990). Es scheint einiges darauf hinzudeuten, dass traditionelle Vorurteile und Fehlinformationen oftmals Ursache für die skeptische bis ignorante Haltung der Arbeitgeber zu sein scheinen. Außerdem wird immer wieder festgestellt, dass es für Arbeitnehmer, welche bereits beschäftigt im Verlaufe des Berufsleben den Schwerbehindertenstatus erwerben, leichter ist, angemessene innerbetriebliche Unterstützung zu erfahren als das bei einer Neueinstellung von Schwerbehinderten der Fall ist. Vielfach ist von der Praxis die Rede, dass Bewerbungen von Schwerbehinderten entgegen der gesetzlichen Regelungen, gar nicht erst berücksichtigt werden und ohne Nennung von Gründen abgelehnt werden (vgl. Harmsen 1988, 60f).
2.5 Der
Kündigungsschutz und Zusatzurlaub
Ein möglicher Grund dafür, dass es Arbeitgebern schwer fällt, Schwerbehinderte
zu beschäftigen wird von Experten darin gesehen, dass unter ihnen die irrige
Vorstellung zu herrschen scheint, dass man schwerbehinderte Arbeitnehmer nicht
kündigen könne (vgl. Harmsen 1988, 94ff). Die gängige Redensart 'die
wirste nich mehr los' ist in diesem Sinne nur ein Beispiel für den
unzureichenden Informationsstand der Arbeitgeber hinsichtlich der geltenden
Rechtspraxis.
Tatsächlich steht Schwerbehinderten ein besonderer Kündigungsschutz (vgl.
§15-22 SchwbG) zu. Dieser besteht darin, dass im Falle eines schwerbehinderten
Arbeitnehmers weder eine ordentliche, noch eine außerordentliche Kündigung ohne
Zustimmung der zuständigen Hauptfürsorgestelle rechtswirksam ausgesprochen
werden kann (vgl. Schmidt 1997, 88ff.). Diese Regelung gilt nicht, wenn das
Beschäftigungsverhältnis weniger als 6 Monate besteht. 'Der
Kündigungsschutz gilt auch für Personen mit einem Grad der Behinderung von
weniger als 50, aber wenigstens 30, sofern sie vom Arbeitsamt den
Schwerbehinderten gleichgestellt worden sind' (Ministerium für Arbeit,
Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes NRW 1998/1, 16). Der
Kündigungsschutz gilt selbst dann, wenn der Schwerbehindertenstatus vom
Versorgungsamt noch nicht festgestellt, ein Antrag aber bereits gestellt wurde.
Das ist insbesondere dann wichtig, wenn schwerbehinderte Arbeitnehmer
innerbetrieblich Informationen über ihre potentielle Kündigung bekommen und
daraufhin einen formellen Antrag zur Feststellung des Schwerbehindertenstatus
beim Versorgungsamt oder zuständigen Stellen einreichen.
Der Arbeitgeber ist bei jeder Kündigung, welche schwerbehinderte Arbeitnehmer
betrifft, dazu verpflichtet, die Gründe für diesen Schritt dezidiert und
schriftlich bei der Hauptfürsorgestelle vorzulegen. Diese wird sich sorgfältig
mit den vorgetragenen Kündigungsgründen auseinandersetzen. In ihrer
Entscheidung ist sie jedoch auf Grund der Vorschrift des §19 SchwbG insoweit
eingeschränkt, als die Zustimmung zu erteilen ist, wenn der Betrieb oder Teile
von ihm aufgelöst werden und der Schwerbehinderte keinen anderen geeigneten und
zumutbaren Arbeitsplatz im Betrieb finden kann und wenn ihm ein anderer
diesbezüglicher Arbeitsplatz gesichert ist. Sollten die Kündigungsgründe in
irgendeinem Zusammenhang mit der Behinderung stehen, so sollte eine Kündigung
nach Möglichkeit vermieden werden.
2.6 Zusatzurlaub:
Nach §47 SchwbG haben Schwerbehinderte Anspruch auf einen bezahlten zusätzlichen Urlaub von fünf Arbeitstagen im Urlaubsjahr; verteilt sich die regelmäßige Arbeitszeit des Schwerbehinderten auf mehr oder weniger als fünf Arbeitstage in der Kalenderwoche, erhöht oder vermindert sich der Zusatzurlaub entsprechend (vgl. auch Schmidt 1997, 275f).
Statistik und Praxis:
'Die Zahl der Anträge auf Zustimmung zur Kündigung spiegelt die allgemeine
konjunkturelle Lage wider. So ist die Zahl der Anträge in den alten
Bundesländern von rund 15000 im Jahre 1990 auf rund 29000 im Jahr 1996
gestiegen. Endeten 1995 noch 81,5 v.H. aller Verfahren mit dem
Arbeitsplatzverlust, waren dies 1996 geringfügig weniger, nämlich 79,4 v.H. In
insgesamt etwa 7600 Fällen konnte der Arbeitsplatz mit Hilfe des Kündigungsschutzes
erhalten werden' (BMA 1998, 75). Das heißt, dass nur für etwas mehr als
20% der gekündigten Schwerbehinderten der besondere Kündigungsschutz wirksam
wurde. Im Bericht der Bundesregierung wird aber explizit darauf hingewiesen,
dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer zunehmend einvernehmlich über einen
Aufhebungsvertrag trennten.
2.6.2 Kommentar:
Die
geringe Zahl der vermittelten Arbeitsplätze für Schwerbehinderte (vgl. )
scheint ein Beweis dafür zu sein, dass sich der Kündigungsschutz zumindest nicht
positiv auf die Einstellungspraxis auswirkt.
Leider trägt die Unwissenheit und der häufig geringe Informationsstand der
Arbeitgeber dazu bei, dass sie Schwerbehinderte für unkündbar halten und sich
deshalb scheuen, Arbeitsplätze mit ihnen zu besetzen. Einen wichtigen Beitrag
in dieser Richtung leisten v.a. die Schwerbehindertenvertretungen in den
Betrieben.
2.7 Die
Schwerbehindertenvertretung
Laut §24 SchwbG muss in allen Betrieben oder Dienststellen, in denen wenigstens
fünf oder mehr Schwerbehinderte (oder Gleichgestellte) nicht nur vorübergehend
beschäftigt sind, in regelmäßigen Abständen (mindestens alle vier Jahre) eine
Schwerbehindertenvertretung und ein/e Stellvertreter/in gewählt werden.
Wahlberechtigt sind alle im Betrieb beschäftigten Schwerbehinderten (das genaue
Verfahren ist in der Wahlordnung Schwerbehindertengesetz (SchwbWO)
festgeschrieben). Hauptaufgaben dieser Vertretungen sind die Eingliederung der
Schwerbehinderten in den Betrieb zu fördern, ihre Interessen zu vertreten und
ihnen beratend zur Seite zu stehen (vgl. §25 SchwbG). Vor allem soll die
Schwerbehindertenvertretung
- darüber wachen, dass der Arbeitgeber seine Pflichten gegenüber den
Schwerbehinderten erfüllt und die zugunsten der Schwerbehinderten geltenden
Gesetze, Verordnungen und Tarifverträge beachtet werden.
- Maßnahmen, die Schwerbehinderten dienen, bei den zuständigen Stellen selbst
beantragen (z.B. technische Hilfen am Arbeitsplatz).
- berechtigten Anregungen und Beschwerden von Schwerbehinderten nachgehen.
Eine wichtige Aufgabe der Schwerbehindertenvertretung besteht darin, den
innerbetrieblich beschäftigten Schwerbehinderten als Ansprechpartner in
persönlichen und betrieblichen Angelegenheiten zur Verfügung zu stehen. Das
gilt in besonderem Maße dann, wenn es darum geht, einen Arbeitsplatz
behindertengerecht umzugestalten. Dabei gewähren die Vertretungen Hilfen bei
der Antragsstellung und informieren über außerbetriebliche Nachteilsausgleiche
bezüglich der behinderungsspezifischen Problemlagen (vgl. BMA 1999, 108ff).
Damit die Schwerbehindertenvertretung / die Vertrauensleute ihre Aufgaben
überhaupt sorgfältig und umfassend bewältigen können, ist vonnöten, dass sie
sich regelmäßig fortbilden und in aktuellen Rechtsfragen geschult werden. Der
Arbeitgeber ist verpflichtet, den Vertrauensleuten diesbezüglich Freistellung
von der betrieblichen Arbeit zu gewähren (vgl. §26 SchwbG Nr.15. 3/4 Rd.Erl.).
Neben der Schwerbehindertenvertretung gelten der Arbeitgeber, der Beauftragte
des Arbeitgebers (§28 SchwbG) und der Personalrat als die betrieblichen Helfer.
Für diese betrieblichen Helfer besteht die gesetzliche Verpflichtung zur
Zusammenarbeit (§29 SchwbG). Sie haben die Aufgabe, zur Sicherung der
Eingliederung Schwerbehinderter in den Betrieb beizutragen, Schwerbehinderte bei
einer Einstellung zu beraten, zu unterstützen und zu vertreten und sind diesen
gegenüber bei einer Entlassung zu besonderer Fürsorge verpflichtet
(Fürsorgeerlaß Nr.4).
2.8 Versorgungs-, Arbeitsamt und Hauptfürsorgestelle:
Die Aufgabe nach dem Schwerbehindertengesetz werden u.a. von Versorgungsämtern, der Arbeitsverwaltung und Hauptfürsorgestelle wahrgenommen.
Die Versorgungsämter stellen die Behinderung, den Grad der Behinderung und weiter gesundheitliche Merkmale fest. Außerdem stellen sie die Schwerbehindertenausweise aus. Die Bundesanstalt für Arbeit fördert die Einstellung schwerbehinderter Menschen und überwacht die Beschäftigungspflicht. Die Hauptfürsorgestellen schließlich kümmern sich um den besonderen Kündigungsschutz und die begleitende Hilfe im Arbeits- und Berufsleben(vgl. Soziale Sicherung im Überblick,1997,S.71)
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