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PLATON DER STATT POLITEIA SINNLICHKEIT UND VERNUNFT DES HOHLENGLEICHNIS

Platon

Der Statt (Politeia)

Sinnlichkeit und Vernunft des Höhlengleichnis





Platon (428-348 v.Chr.) gehört zu den ganz großen Phi­lo­so­phen der Antike. Seine Texte sind über­wiegend in Dialogen verfaßt. Er läßt Sokrates ein Gespräch mit Glaukon erzählen.

In dem wohl berühmtesten Beispiel der Philosophiegeschichte geht es um die Frage, wie die Menschen die Wirklichkeit wahr­nehmen, wie sie sich durch Sinne täuschen lassen und wie sie schließ­lich durch Vernunft zur Wahrheit aufsteigen können.




Vom Leben in der Höhle

»Hierauf vergleiche nun, fuhr ich fort, unsere Natur in be­zug auf Bildung und Unbildung mit folgendem Erleb­nis. Stelle dir Menschen vor in einer unterirdischen, höh­len­arti­gen Behausung; diese hat einen Zugang, der zum Ta­geslicht hinaufführt, so groß wie die ganze Höhle. In die­ser Höhle sind sie von Kind auf, gefesselt an Schen­keln und Nacken, so daß sie an Ort und Stelle bleiben und im­mer nur geradeaus schauen; ihrer Fesseln wegen kön­nen sie den Kopf nicht herumdrehen. Licht aber erhalten sie von einem Feuer, das hinter ihnen weit oben in der Ferne brennt. Zwischen dem Feuer und den Gefesselten aber führt oben ein Weg hin; dem entlang denke dir eine klei­ne Mauer errichtet, wie die Schranken, die die Gauk­ler vor den Zuschauern aufbauen und über die hin­weg sie ih­re Kunststücke zeigen. -  Ich sehe es vor mir.


Stelle dir nun längs der kleinen Mauer Menschen vor, die allerhand Geräte vorübertragen, so, daß diese über die Mauer hinausragen, Statuen von Menschen und anderen Lebewesen aus Stein und aus Holz und in mannigfacher Ausführung. Wie natürlich, redet ein Teil dieser Träger, ein anderer schweigt still. - Ein seltsames Bild führst du da vor, und seltsame Gefesselte, sagte er.


Sie sind uns ähnlich, erwiderte ich. Denn erstens: glaubst du, diese Menschen hätten von sich selbst und von­ein­an­der je etwas anderes zu sehen bekommen als die Schat­ten, die das Feuer auf die ihnen gegenüberliegende Seite der Höhle wirft? - Wie sollten sie, sagte er, wenn sie zeit­le­bens gezwungen sind, den Kopf unbe­weglich zu halten?


Was sehen sie aber von den Dingen, die vorübergetra­gen werden? Doch eben dasselbe? - Zweifellos. - Wenn sie nun miteinander reden könnten, glaubst du nicht, sie wür­den das als das Seiende bezeichnen, was sie sehen? - Notwendig.


Und wenn das Gefängnis von der gegenüberliegenden Wand her auch ein Echo hätte und wenn dann einer der Vorübergehenden spräche - glaubst du, sie würden etwas anderes für den Sprechenden halten als den vorbeizie­hen­den Schatten? - Nein, beim Zeus, sagte er. - Auf keinen Fall, fuhr ich fort, könnten solche Menschen irgend etwas anderes für das Wahre halten als die Schatten jener künstlichen Gegenstände. - Das wäre ganz unvermeid­lich, sagte er.


Der Austritt aus der Höhle

Überlege dir nun, fuhr ich fort, wie es wäre, wenn sie von ihren Fesseln befreit und damit auch von ihrer Tor­heit geheilt würden; da müßte ihnen doch naturgemäß folgendes widerfahren: Wenn einer aus den Fesseln gelöst und genötigt würde, plötzlich aufzustehen, den Hals zu wenden, zu gehen und gegen das Licht zu schauen, und wenn er bei all diesem Tun Schmerzen empfände und wegen des blendenden Glanzes jene Dinge nicht recht er­kennen könnte, deren Schatten er vorher gesehen hat - was meinst du wohl, daß er antworten würde, wenn ihm jemand erklärte, er hätte vorher nur Nichtigkeiten gese­hen, jetzt aber sei er dem Seienden näher und so, dem ei­gentlicher Seienden zugewendet, sehe er richtiger? Und wenn der ihm dann ein jedes von dem Vorüberziehenden zeigte und ihn fragte und zu sagen nötigte, was das sei? Meinst du nicht, er wäre in Verlegenheit und würde das, was er vorher gesehen hat, für wahrer (wirklicher) halten als das, was man ihm jetzt zeigt? - Für viel wahrer (wirklicher), erwiderte er.


Und wenn man ihn gar nötigte, das Licht selber anzu­blic­ken, dann schmerzten ihn doch wohl die Augen, und er wendete sich ab und flöhe zu den Dingen, die er anzu­schauen vermag, und glaubte, diese seien tatsächlich kla­rer als das, was man ihm jetzt zeigt? -Es ist so, sagte er.

Schleppte man ihn aber von dort mit Ge­walt den rau­hen und stei­len Aufgang hin­auf, fuhr ich fort, und ließe ihn nicht los, bis man ihn an das Licht der Sonne hin­aus­gezogen hätte - würde er da nicht Schmer­zen empfinden und sich nur widerwillig so schleppen lassen? Und wenn er ans Licht käme, hätte er doch die Augen voll Glanz und vermöchte auch rein gar nichts von dem zu sehen, was man ihm nun als das Wahre bezeichnete? - Nein, erwiderte er, wenig­stens nicht im ersten Augenblick.


Er müßte sich also daran gewöhnen, denke ich, wenn er die Dinge dort oben sehen wollte. Zuerst würde er wohl am leichtesten die Schatten erkennen, dann die Spiegel­bilder der Menschen und der andern Gegenstände im Wasser und dann erst sie selbst. Und daraufhin könnte er dann das betrachten, was am Himmel ist, und den Him­mel selbst, und zwar leichter bei Nacht, indem er zum Licht der Sterne und des Mondes aufblickte, als am Tage zur Sonne und zum Licht der Sonne. - Ohne Zweifel.


Zuletzt aber, denke ich, würde er die Sonne, nicht ihre Spiegelbilder im Wasser oder anderswo, sondern sie selbst, an sich, an ihrem eigenen Platz ansehen und sie so betrachten können, wie sie wirklich ist. - Ja, notwendig.


Und dann würde er wohl die zusammenfassende Über­le­gung über sie anstellen, daß sie es ist, die die Jah­reszeiten und Jahre herbeiführt und über allem waltet in dem sicht­baren Raume, und daß sie in gewissem Sinne auch von allem, was sie früher gesehen haben, die Ursa­che ist. - Offenbar würde er nach alledem so weit kom­men.


Wenn er nun aber an seine erste Behausung zurück­denkt und an die Weisheit, die dort galt, und an seine da­maligen Mitgefangenen, dann wird er sich wohl zu der Verände­rung glücklich preisen und jene bedauern - meinst du nicht? - Ja, gewiß.


Die Ehren aber und das Lob, das sie einander dort spen­deten, und die Belohnungen für den, der die vorüber­zie­henden Schatten am schärfsten erkannte und der sich am besten einprägte, welche von ihnen zuerst und welche da­nach und welche gleichzeitig vorbeizukommen pfleg­ten, und daraus am besten vorauszusagen wußte, was jetzt kommen werde - glaubst du, er sei noch auf dieses Lob er­picht und beneide die, die bei jenen dort in Ehre und Macht stehen? Oder wird es ihm so gehen, wie Homer sagt, daß er viel lieber auf dem Acker bei einem armen Mann im Taglohn arbeiten und lieber alles mögliche er­dulden will, als wieder in jenen Meinungen befangen sein und jenes Leben führen?  - Ja, das glaube ich, sagte er. Lieber wird er alles andere ertragen als jenes Leben.

Die Rückkehr

Denke dir nun auch folgendes, fuhr ich fort: Wenn so ein Mensch wieder hinunterstiege und sich an seinen alten Platz setzte, dann bekäme er doch seine Augen voll Fin­sternis, wenn er so plötzlich aus der Sonne käme? - Ja, gewiß, erwiderte er.


Wenn er dann aber wieder versuchen müßte, im Wett­streit mit denen, die immer dort gefesselt wa­ren, jene Schatten zu beurteilen, während seine Augen noch ge­blendet sind und sich noch nicht wieder umgestellt haben (und diese Zeit der Umgewöh­nung dürfte ziemlich lange dauern), so würde man ihn gewiß auslachen und von ihm sagen, er komme von sei­nem Aufstieg mit verdorbenen Augen zurück und es lohne sich nicht, auch nur ver­suchsweise dort hinaufzu­gehen. Wer aber Hand anlegte, um sie zu befreien und hinaufzuführen, den würden sie wohl umbringen, wenn sie nur seiner habhaft werden und i[MW1] hn töten könnten. - Ja, gewiß, sagte er.


Dieses ganze Gleichnis, mein lieber Glaukon, fuhr ich fort, mußt du nun an das anknüpfen, was wir vorhin be­sprochen haben. Die durch das Gesicht uns erscheinende Region setze dem Wohnen im Gefängnis und das Licht des Feuers in ihr der Kraft der Sonne gleich. Und wenn du nun den Aufstieg und die Betrachtung der Dinge dort oben für den Aufstieg der Seele in den Raum des Einseh­baren nimmst, so wirst du meine Ahnung nicht verfehlen, die du doch zu hören wünschest. Gott aber mag wissen, ob sie richtig ist.


Meine Ansicht darüber geht jedenfalls dahin, daß un­ter dem Erkennbaren als letztes und nur mit Mühe die Idee des Guten gesehen wird; hat man sie aber gesehen, so muß man die Überlegung anstellen, daß sie für alles die Urheberin alles Richtigen und Schönen ist. Denn im Sichtbaren bringt sie das Licht und seinen Herrn hervor; im Einsehbaren aber verleiht sie selbst als Herrin Wahr­heit und Einsicht. Sie muß man erblickt haben, wenn man für sich oder im öffentlichen Leben vernünftig handeln will. - Ich bin derselben Ansicht, sagte er, soweit ich zu folgen vermag!«




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