Free Jazz
In den sechziger Jahren kommt es zu einer der grössten Stilwenden des Jazz, seine kontinuierliche Entwicklung ist damit zu Ende. Trotzdem ist der Free Jazz ,der zu seinen Anfängen noch als "new thing" bezeichnet wurde, kein Bruch mit der Tradition des Jazz, sondern ein Teil von ihr.
Die wichtigsten Merkmale des Free Jazz sind wohl das als Exposition an Bedeutung verlierende Thema, der völlig verschwindende Beat (Grundrhythmus) und der Fall der Rolleneinteilung zwischen der Melodie- u. den Rhythmusgruppe, mit anderen Worten der Verzicht auf die in Europa so typische Funktionsharmonie.
Das Thema erscheint nun vielmehr neben der Improvisation, wodurch die harmonische Abfolge nicht mehr voraussehbar ist sondern als jeweils spontanes Spannungs- und Intensitätsverhältnis entsteht.
Es kommt zum Durchbruch in den freien Raum der Atonalität, die von den angedeuteten tonalen Zentren bis zur völligen harmonischen Freiheit alles einschliesst. Während Tonika und Dominante aber immer noch als harmonisches Grundgerüst benützt werden, sind alle anderen Stufen frei.
Weiters treten alle Spieler und ihre Instrumente gleichberechtigt in Erscheinung. Zu dieser Befreiung sind auch Parallelen in der Entwicklung der Konzertmusik und der modernen Literatur (Entgrammatisierung!) zu finden.
Die Freiheit, die der Free Jazz meinte, sollte bewusst eine Freiheit von jeglicher in Europa gebildeter musikalischer Ordnung sein, es kam zu einer harmonischen und formalen Distanzierung vom "weissen Kontinent", neben der auch soziale, kulturelle und politische Distanzierungen auftraten. Die "schwarze Musik" bewies ihre Stärke, indem sie das, was sie am meisten an die europäische Tradition band, einfach missachtete und darauf verzichtete. Die europäische Musik als ausschließliches Gegenüber hatte sich erschöpft und Einflüsse von aussereuropäischen Musikkulturen nahmen zu, vor allem die indische und arabische Welt und Musik haben reges Interesse gefunden.
Indem man sich auch von der "weissen Religion", dem Katholizismus, abwandte und immer mehr Schwarze zum islamischen Glauben übertraten, glaubte man, die Distanzierung von den Europäern besonders wirkungsvoll vollziehen zu können.
Sowohl mit der Erschliessung der Weltmusik als auch mit der aufs äusserste gesteigerten Intensität hängt die Ausweitung in den Bereich des Geräuschs zusammen, bisher typische Instrumente wie Saxophone, Trompeten oder Klaviere werden dazu verwendet, ihnen neben Klängen auch Geräusche zu entlocken.
Sofort wurde der neu entstandene Free Jazz von einer Vielzahl an jungen Hörern und Jazzmusikern überall in der Welt verstanden. Innerhalb von wenigen Jahren wurde er eine reich gegliederte Ausdrucksform, die über die gesamte Skala menschlicher Emotionen gebietet und in der keinesfalls nur Zorn, Hass und Protest gehört werden darf.
Durch die Befreiung von der Funktionsharmonik und dem durchgehenden Rhythmus wurden auch die europäischen Musiker frei von ihrem imitatorischen Verhältnis gegenüber dem amerikanischen Jazz, der europäische Jazz bekam endlich eine unverwechselbare Identität.
Free Jazz muss ohne das Bedürfnis, bestätigt zu werden, gehört werden, die Musik folgt nicht mehr dem Hörer sondern der Hörer der Musik, wo immer sie auch hinführt.
Massgeblich beteiligt an der Entwicklung des Free Jazz waren Musiker wie Ornette Coleman (*1930), John William Coltrane (1926-1967), Donald E. "Don" Cherry (*1936) und Percival "Cecil" Taylor (*1933).
Ornette Coleman wurde 1930 in Fort Worth, Texas, geboren und begann bereits mit 14 Jahren, Saxophon (Altsaxophonist) zu spielen und in der Nachbarschaft aufzutreten. Er spielte in mehreren Rhythm and Blues- und Karnevalbands, bevor er 1950 nach Los Angeles ging, wo er sich im Selbststudium Harmonielehre und Musiktheorie beibrachte.
Während dieser Zeit in Los Angeles begann Coleman, seinen eigenen Stil und seine unkonventionellen Konzepten zu entwickeln. Sein Werk betonte die neue Idee des Free Jazz und mit der Veröffentlichung einer Reihe von Aufnahmen wie z.B. The Shape of Jazz to Come erregte er weltweite Aufmerksamkeit und leistete Pionierarbeit bei der Entwicklung des atonalen Free Jazz. Sein 1960 veröffentlichtes Album Free Jazz war eine durchgehende Kollektivimprovisation und wegweisend für die Welt des Avantgarde-Jazz.
Danach zog Coleman sich für einige Zeit zurück, lernte Trompete und Violine und trat wenige Jahre später wieder auf. Er unternahm Konzertreisen durch die USA und schaffte es, die entstehende Avantgarde-Jazz-Bewegung zu inspirieren.
Seine grösseren, symphonischen Werke sind Ausdruck seines "harmolodischen Konzepts": mehrere Musiker spielen gleichzeitig eine Melodie in verschiedenen Tonhöhen und Tonarten, diesen Ansatz verstand Coleman als eine Vorgehensweise für den Ausbruch aus harmonischen Konventionen.
1975 gründete er die Band Prime Time, mit der er zu einem Pionier des Free Funk wurde, indem er sein harmolodisches Konzept mit aggressivem Rock fusionierte.
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