In der neuen Vortragsreihe in der Klangbrücke werden Komponisten der
Neuen Musik mit Leben und Werk vorgestellt. So geht es am Sonntag, 18.10.98,
12.00 Uhr um Arnold Schönberg, der der 'Vater der Neuen Musik'
genannt wird. Der Gedanke, daß Schönberg weit mehr ist, als des sich in
völliger Rationalität erschöpfenden Zwölftonkomponisten steht im Mittelpunkt
der Veranstaltung. Der Vortrag wird durch Musikbeispiele und Diaprojektionen
ergänzt. Der Referent ist Lutz Felbick.
Zeittafel (Kurzfassung)
1874 geboren in Wien, musikalischer Autodidakt, Banklehre
1891 Leiter des Metallarbeiterchors in Stockau/Wien Wohnorte wechseln
mehrfach zwischen Wien und Berlin, Unterrichtstätigkeiten am Sternschen
Konservatorium, Arbeit für das 'Bunte Theater' 'Überbrettl'
1898-1900 12 Lieder op.1-3 in spätromantischer Tonsprache ('Ich
war Brahmsianer')
1902 Verwendung von Quartenakkorden in 'Pelleas und Melisande,
op.5'
1903 Begegnungen mit Mahler
1905 Bewußtsein einer gemeinsamen Wiener Opposition mit der Kritik an
den eingeschliffenen Formen des Kunstbetriebes
1907 tumultartige Skandale bei der UA des 1. Quartett Über die UA der
Kammersymphonie schreibt das Illustrierte Wiener Extrablatt am 9.2.1907 sie sei
'entartete Musik'. 2.Streichquartett op. 10 (1907/08) letzter Satz
ohne Vorzeichen.
1908 ist eine Komposition, die auf ein tonales Zentrum verzichtet
(Schönberg nannte dies 'die chromatische Tonart' bzw 'polytonale
Kompositionen'), Viele nennen es irrtümlicherweise Atonale Musik.
1911 Harmonielehre, ist u.a eine Streitschrift für die kompositorische
Denkweise Schönbergs und die ab etwa 1921 entstandenen dodekaphonischen
Arbeiten 1913 erfolgreiche Premiere der Gurrelieder in Wien (gigantische
Orchesterbesetzung)
1923 Bekanntgabe der Methode der Komposition mit zwölf (nur auf einander
bezogene) Tönen (erste zwölftönige Komposition ist die Klaviersuite op. 25,
1923)
1925-33 Berufung als Leiter der Meisterklasse für Komposition an die
Berliner Akademie der Künste
1933 Übersiedlung nach Los Angeles
1936 Lehrstuhl an der Universität vcon California (UCLA)
1951 gestorben in Los Angeles
Vortrag mit Musikbeispielen: Neugierig werden auf
Musik von Schönberg
Referent: Lutz Felbick Sonntag,
18.10.98, 12.00Uhr, Klangbrücke Aachen
A) Einstimmung 1. Verankerung im traditionellen Tonsatz Klaviervortrag aus Modelle für den Anfängerunterricht S.36 Sie werden sicher fragen, warum ich einen Vortrag mit dem Titel Neugierig werden auf Musik von Schönberg mit einer Komposition beginne, dessen Klangvorstellung sich für Sie möglicherweise gar nicht mit dem Namen Schönberg verbindet und eher nach Schumann oder Brahms klingt. Es handelte sich also in der Tat um eine kompositorische Arbeit von Arnold Schönberg. Es war ein Scherzo aus einem Lehrbuch für Komposition mit dem Titel 'Modelle für den Anfänger im Kompositionsunterricht' welches der Kompositionslehrer 1942 veröffentlicht hat. Ahnlich wie die anderen Lehrbüchern von Schönberg handelt auch dieses ausschließlich von traditioneller Musik. Schon im Titel dieses Buches wird eines klar: Schönberg ging davon aus, daß Komponisten des 20. Jahrhunderts am Anfang Ihres Studiums in der Lage sein müssen, in den Stilen vergangener Jahrhunderte zu komponieren. So war es auch für den Traditionalisten selbstverständlich, sich selbst intensiv mit Bach, Wagner, Brahms, Strauß, und Mahler und vielen anderen europäischen Komponisten zu beschäftigen. Er bekennt sich offen zu dieser abendländischen Musiktradition- genauer der des deutschsprachigen Raumes - und nennt sich selbst einen 'Schüler Mozarts' (Stil und Gedanke S. 73). Deshalb kann er auch sagen: 'Immer wieder zu hören, was einem gefällt, ist angenehm und braucht nicht lächerlich gemacht zu werden.' (Stil und Gedanke S. 57). dann folgt jedoch Schönbergs ABER, doch ich will nicht vorweggreifen Hören wir den Text eines Liedes 'Der genügsame Liebhaber', welches Schönberg 1901 komponierte. Er war damals gerade 26 Jahre alt und hatte - um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten - gezwungenermaßen die Stelle eines Kapellmeisters bei dem Berliner Kabarett 'Buntes Theater' , angenommen. Zitat 1 Verlesung des Liedtextes 'Meine Freundin' Tondokument 1 CD 'Der genügsame Liebhaber' dito Die Kenner unter Ihnen mögen mir verzeihen, daß ich dieses Lied vorstelle. Es ist sicher nicht eine typische Komposition im Stile Schönbergs, aber die Beispiele zeigen, wie gut Schönberg die Kompositionstechnik vergangener Jahrhunderte beherrschte. Dabei spielten die Vokalkompositionen zu Beginn eine wichtige Rolle. Hören wir deshalb auch noch das kleine Chorwerk 'Schein uns Du liebe Sonne'. Es stammt aus einer Sammlung von Volksliedbearbeitungen, die Schönberg im Auftrag der 'Staatlichen Kommission für das Volksliederbuch' im Jahre 1928 verfaßte. Tondokument 2 CD 'Schein uns Du liebe Sonne'. Ich hoffe, ich habe Sie damit ein wenig neugierig gemacht auf das tonale Frühwerk von Schönberg, wahrscheinlich kannten viele von Ihnen den Komponisten nur unter dem Schlagwort 'Zwölftonkomposition'. Wir werden zu dieser Thematik kommen. Ich möchte Ihnen Schönberg aber zunächst von einer ganz anderen Seite vorstellen: 2. Schönberg als Maler, Erfinder und politisch denkender Geist Schönberg sagt dazu in einem Interview mit Halsey Stevens: 'Malen bedeutet für mich in der Tat das selbe wie Komponieren', Schönberg widmete sich bis 1912 der Malerei und schuf immerhin 58 Ölgemälde und etwa 150 Aquarelle. In einem Brief an den Verleger der Universal-Edition bietet er sich als Maler an, sicherlich auch, um seine finanzielle Situation zu verbessern. Aus dem Brief geht die Selbsteinschätzung Schönbergs sowohl als Maler als auch als Komponist hervor. Zitat 2 'Sie wissen, daß ich male'(rororo S. 61) Dia 3 Hände 1910 Schönberg malte nicht nur, sondern widmete sich einer Fülle von anderen Aktivitäten, z.B. war er als Erfinder tätig: Er entwarf einen Plan eines für alle Berliner Verkehrsbetriebe gültigen Umsteigescheins, den er mit einer 5-seitigen Begründung an die BVB schickte und er entwickelte Pläne für autobahnähnliche Verkehrssysteme in Los Angeles. Zitat 3 Sincovicz 304 Daß nicht nur der Kommunismus für Schönberg ein Greuel war, sondern insbesondere der Nationalsozialismus, bedarf kaum einer Erwähnung: In Deutschland galt er als Komponist sogenannter 'entarteter Kunst', der gleichzeitig 1933 zum jüdischen Glauben übergetreten war und wurde damit zum Prototyp des faschistischen Hasses. Dia 4 Roter Blick 1910 Zitat 4 Sincovicz 238 B) Hauptteil 0. Vorwort Soweit zunächst etwas collageartig und einleitend einige Impressionen zu dem 1874 in Wien geborenen, 1951 in Los Angeles verstorbenen Tonsetzer. Ich möchte Ihnen heute in den folgenden vier Abschnitten möglichst viele Aspekte der Musik Schönbergs zeigen, wobei ich durch ein gesetztes Zeitlimit von einer Stunde vieles weglassen muß, denn es sollte dann auch noch Zeit sein, daß Interessierte Gelegenheit haben, mit mir ins Gespräch über den Komponisten zu kommen. Es ist eine oft gemachte Erfahrung, daß einem bei dem Namen Schönberg meist Unverständnis und Ablehnung entgegentritt. Und eine solche Ablehnung kommt nicht nur von denen, die von sich sagen 'eigentlich verstehe ich nichts von Musik', sondern auch von anerkannten Komponisten und Dirigenten. Noch Jahrzehnte nach Schönbergs Tod wetterte der Dirigent Sergiu Celibedache: Zitat 5 Sincovicz 12. Das der Dirigent sich zu solchen Polemiken herabließ, ist wohl kaum rühmlich: Entweder kannte er das Werk Schönbergs nicht, ließ sich in den Strudel derer mit hineinziehen, die von 'entarter Kunst' sprachen oder hatte einfach keine Lust, sich mit einer solchen komplexen Kunstauffassung zu beschäftigen. Dabei wußte Schönberg sehr genau, was er tat, wenn er so eine zugegeben schwierige Musik komponierte. Mich persönlich hat gerade das fasziniert: Die Lust, mich einer solchen glasklar formulierten oder in Noten umgesetzten Provokation auszusetzen und die eigenen Musikauffassungen durch die kantigen Formulierungen Schönbergs genauer bestimmen zu können. Ich muß feststellen, daß mich nach fleißigem Studium der so fremden Geistigkeit, nach oftmaligem fleißigem Hören vieler seiner Werke und nach ebenso fleißigem Studium seiner Partituren dann sowohl seine Person als auch viele seiner Werke begeistern. Ich möchte heute einiges davon aufzeigen, wodurch seinerseits Schönberg bewegt wurde, seine Musik zu schreiben und mit welchen unbegründeten Vorurteilen seiner Gegner er zu kämfen hatte. Das ganze möchte ich tun unter Zuhilfenahme möglichst vieler Zitate aus dem Munde des Komponisten. Ich glaube zwar, das es das wichtigste ist, zunächst Verständnis für dieses musikalische Bewußtsein zu erlangen, wir sollten dann im zweiten Teil des Vortrags einige Ausschnitte aus seinen Werken zusammen hören lernen, denn das richtige Zuhörenkönnen ist neben den Fragen des musikalischen Bewußtseins das eigentliche Problem. Das richtige Hören - genauer das adäquate Hören - ist das eigentliche Problem, also ein Zuhörverhalten, welches den Intensionen des Komponisten gerecht wird. Fangen wir damit an: 1. Rezeptionsprobleme Neulich führte ich mit einem Freund ein Gespräch über das Zuhören. Er erklärte mir, er sei jetzt in einer Gruppe, in der man sich dem gegenseitigen Zuhören intensiv widmet. Eine Methode sei das paraphrasierende Wiederholen. Zur Übung hatte die Gruppe sich darauf verständigt, immer das gerade Gehörte unmittelbar zu wiederholen, zu paraphrasieren, wobei damit nicht ein seelenloses Nachplappern gemeint war, sondern es kam darauf an, das Gehörte aktiv zu verarbeiten und gegebenenfalls zu interpretieren. Auch in der Musik gibt es ein derartiges Zuhörverhalten. Bezeichnend ist ein 1995 erschienenes Buch mit dem Titel 'Der Hörer als Interpret'. Aktives Hören schließt Anstrengung mit ein, sei es beim Zuhören in einem wertvollen Gespräch oder sei es beim Hören von Musik, die ein intensives Zuhören fordert. Auch Schönberg war sich immer darüber im Klaren, daß es Hörprobleme, d.h. Verständnisprobleme bei seiner Musik gibt. 'Ich bin mir der Tatsache bewußt, daß das volle Verstehen meiner Werke für einige Jahrzehnte nicht erwartet werden kann.'. Wir haben gesagt, daß die Voraussetzung für gutes Zuhören inmd de Fähigkeit besteht, daß man sich daran erinnern kann, daß man es paraphrasieren kann. Der Meinung ist auch Schönberg und gibt dazu ein schönes Beispiel: 'Es gibt keinen Zweifel über den Augenblick, in dem ein Mann beginnt, an einem Schlager Gefallen zu finden. Das passiert, wenn er anfängt, ihn zu singen oder zu pfeifen - mit anderen Worten, wenn er sich ihn zu erinnern vermag Erinnern ist der erste Schritt zum Verstehen Natürlich ist der beste Weg, das musikalische Ohr zu schulen, es soviel ernster Musik wie möglich auszusetzen. Die musikalische Bildung würde schneller um sich greifen, wenn die Leute mehr Musik läsen, spielten und hörten Gerade [das intuitive oder bewußte Verständnis vom Aufbaus] eines Stückes hilft dem Hörer, den Gedanken zu behalten, seiner Entwicklung, seinem Wachsen, seiner Ausarbeitung, seinem Schicksal zu folgen. Wenn man gelernt hat, Haupt- und Nebengedanken zu unterscheiden, wird man wissen, wie man diese als Zeichen der Erinnerung benutzen kann.' (Briefe, S.261, Stil und Gedanke S. 140f). Den Gedanken, daß man seine Melodien nachpfeifen möge, greift er anderer Stelle in einem Brief nochmals auf: Zitat 6 Sincovicz 230 Ich glaube, diesen oftmaligen Hinweis Schönbergs darf man nicht falsch verstehen. Natürlich wußte er, daß es einen enormen Unterschied zwischen dem Nachpfeifen eines Schlagers und dem Nachpfeifen einer zwölftönig komponierten Melodie gibt. Erstere hört man ein oder zwei Mal, letztere muß man sich äußerst hart erarbeiten. 2. Mission und Kunstauffassung Aber zu der Frage, ob Kunst leicht konsumierbar sein sollte oder Herausforderungen bieten sollte, hat sich Schönberg oft geäußert. So schimpft er über die Außerungen eines erfolgreichen jungen Komponistenkollegen, der gesagt hatte: 'Die heutige jüngere Generation mag keine Musik, die sie nicht versteht', Schönberg meint hingegen, daß diese Einstellung nicht übereinstimmt 'mit dem Empfinden der Helden, die sich auf Abenteuer einlassen. Man könnte erwarten, daß ein junger Mensch von dem Schwierigen, Gefährlichen, Geheimnisvollen angezogen wird, eher sagen würde: 'Ja bin ich denn ein Kretin, daß man mir nur solches dummes Zeug vorsetzt, das ich verstehe, ehe ich es zu Ende gehört habe?' oder sogar: 'Diese Musik ist kompliziert, aber ich will nicht nachgeben, bis ich sie verstehe.' Natürlich werden Menschen dieser Art von Tiefe, Gedankenreichtum, schwierigen Problemen eher entflammt sein. Intelligente Menschen sind zu allen Zeiten beleidigt gewesen, wenn man sie mit Dingen belästigt, die jeder Trottel sofort verstehen konnte.Große Kunst setzt den beweglichen Geist eines gebildeten Hörers voraus. Dies gibt dem Musiker die Möglichkeit, für eine geistige Oberschicht zu schreiben Denn wenn es Kunst ist, ist sie nicht für alle, und wenn sie für alle ist, ist sie keine Kunst.' (Stil und Gedanke S.47, 52, 73) Das sich in diesem Zitat dokumentierende Bekenntnis zu einer heute so unpopulären gewordenen elitären Kunstauffassung spiegelt sich auch in den folgenden Zitaten. Für ihn galt es, den steinigen Weg seiner Mission einzuschlagen, denn 'Der Mittelweg ist der einzige, der nicht nach Rom führt' (Chorsatieren 1925). Er schreibt: 'Aus dem Leben wahrhaft großer Männer kann man schließen, daß der Schaffensdrang auf ein instinktives Lebensgefühl antwortet, einzig, um der Menschheit eine Botschaft zu bringen Mein persönliches Gefühl ist, daß die Musik eine prophetische Botschaft vermittelt, die eine höhere Form des Lebens enthüllt, auf die die Menschheit sich hinentwickelt Der oberste Befehlshaber hatte mich [deshalb] auf einen schweren Weg beordert [denn -so sagt er von sich selbst] Tapfere sind solche, die Taten verbringen, an die Ihr Mut nicht heranreicht. Sie besitzen nur die Kraft, den Auftrag zu konzipieren, und den Charakter, ihn nicht abweisen zu können. War ein Gott noch so ungnädig, ihnen Erkenntnis ihrer Lage zu gewähren, dann sind sie nicht zu beneiden. Und darum werden sie beneidet. ' (Stil und Gedanke S.183, 202, Aus Vier Chorstücke, op.27, Nr.1, Unentrinnbar). Diese letzten Gedanken hat Schönberg Vier Chorstücke, op.27, Nr.1 vertont: 3. Zwölftonmusik ( Schulwissen) Tondokument 3,4 CD op.27, Nr.1 (1925) Wie Bertold Brecht bezeugt, hatte Schönberg 1944 ihm gegenüber bei einem gemeinsamen Dinner erklärt, 'im gegensatz zu anderen, finde er seine werke mitunter schleußlich klingend. nachdem er sie niedergeschrieben habe, verstehe er sie nur noch schwer und müßte sie mühsam studieren.' (Musikkonzepte, Sonderband, S.245). Gehört diese 1925 geschriebene Chorfuge möglicherweise auch dazu? Ich habe sie aber aus einem bestimmten Grund ausgewählt. Dazu muß ich - wenn Sie mir erlauben - ein wenig ausholen: Schönberg wird der Vater der Neuen Musik genannt. Außer der eben dargestellten besonderen Asthetik des Wahren anstatt des Gefälligen, die vor allem bis in die 60er-Jahre in den Zentren für Neue Musik als verbindlich galt, ist es natürlich auch die Dodekaphonie, bekannter unter dem Namen Zwölftonmusik, mit der eine neue Epoche der Musikgeschichte begann. Es ist erforderlich, diese von Schönbergs erfundende Kompositionsmethode in den Grundzügen zu erläutern. Da ist dieses Chorstück zugleich ein Musterbeispiel dafür, wie man es machen soll, und es ist auch ein Musterbeispiel dafür, wie man es nicht machen soll Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer: Strapaziere ich Ihre Geduld zu sehr? Das war sowohl ein gutes als auch ein schlechtes Beispiel? Zunächst: Was es denn nun eigentlich bedeutete, die bisher in der Tonwelt vorherrschende Hierarchie der Töne zunehmend in frage zu stellen, erläutert Schönberg sehr anschaulich in seiner 1911 verfaßten Harmonielehre. Er vergleicht die Stufen der Tonleiter, in der ein Ton als der alles beherrschende Grundton fungiert mit dem Verhältnis eines regierenden Herrschers zu seinen Untergebenen. Zitat 7 Tonalität HL 177 Im Anschluß an diese lebendige Darstellung läßt sich Schönbergs 'Methode der Komposition mit zwölf (nur auf einander bezogenen) Tönen' ganz gut erläutern. Aus der hierarchischen Struktur der Tonwelt wird nun eine konsequent demokratische, man möchte fast sagen basisdemokratische: Keiner der auf dem Klavier zu findenden 12 verschiedenen Töne darf sich innerhalb einer Melodie als beherrschend hervortun, alle sollen gemäß der Theorie Schönbergs gleichberechtigt nebeneinander stehen. Damit wird eine Tendenz, die es schon bei Komponisten wie Liszt und Wagner gab, bis zur letzten Konsequenz getrieben, systematisiert und innerhalb eines ästhetischen Kontextes entwickelt wie sie dann auch bei anderen bedeutenden Komponisten der Neuen Musik wie Boulez, dem frühen Stockhausen oder Lachenmann zu finden ist. Sicherlich gehört das eben vorgespielte Chorwerk zu den mit äußerster Konsequenz zwölftönig komponierten Stücken: Es ist ein Musterbeispiel, weil es so schön übersichtlich ist: Beim Studium der Noten kann man die Kompositionstechnik relativ leicht durchschauen: Die zwölf Töne der sogenannten chromatischen Tonleiter wurden zunächst gleichberechtigt nebeneinandergestellt. Dann wurde vor dem eigentlichen Kompositionsvorgang daraus eine festgelegte Tonreihenfolge erfunden , in unserem Falle der 7.-6.-2.-9Ton etc., dann muß der Chor schließlich nach einem bestimmten vorher festgelegten Prinzip diese Reihe singen: Die eine Stimme beginnt die Tonreihe von vorne zu singen, die andere muß die gleichen Töne vom Ende beginnen, eine andere Stimme muß das singen, was man die 'Umkehrung' nennt, mit anderen Worten: war die Melodie bisher aufsteigend, kehrt sich jetzt die Richtung um. So wird die Zwölftonmusik oft im Schulunterricht erklärt und dieses Werk mag manchem Gymnasiallehrer als willkommenes Unterrichtsmaterial dienen, um schnell mal zu erklären, was die Musik von Schönberg ausmacht Diesen Schullehrern rufe ich heute ein deutliches 'Mit nichten, meine Damen und Herren,' entgegen, 'so einfach und banal ist das zwar bei dieser sicher auch aus Demonstrationszwecken geschriebenen Schulfuge, aber damit ist bei weitem nicht der Kern des Kompositionsstiles von Schönberg beschrieben!' 4. Herz und Hirn in der Musik In der Tat gab es zwar schon in dieser Zeit einen Komponisten, der die Zwölftonmusik rein mechanisch und mathematisch verstand - und sie sogar etwas früher als Schönberg anwandte: Es war der in Wien lebende Komponist Josef Matthias Hauer. Er war ein eifriger Verfechter rationaler Methoden des Komponierens. Zitat 8 Sincovicz 181 Ich hoffe, Sie verstehen jetzt, warum das eben gehörte Beispiel sowohl gut als auch schlecht ausgewählt war: Ein derartiges mechanisches Abzählen von Tönen ist typisch für einige tastende Versuche in dieser Kompositionsart, vor allem in der Frühphase der Dodekaphonie, und beim Partiturstudium dann auch sehr übersichtlich, aber keineswegs typisch für eine ausgereifte Komposition Schönbergs. Ich möchte in weiteren Beispielen andeuten, wie man auch anders zwölftönig komponieren kann. Kommen wir zu der Nr. 4 aus op.27. 'Der Wunsch des Liebhabers' : Anhand des Ihnen vorliegenden Auszuges der Partitur, welcher den vollständigen Text und die Hauptstimmen enthält, kann ich einiges näher erläutern. Sie sehen, daß der Text nach einem kleinen Vorspiel von Klarinette, Geige und Mandoline zunächst vom Sopran, später - in der Mitte der Seite - vom Tenor, unten dann in Takt 31 vom Alt, und auf der zweiten Seite vom Sopran, Baß und wieder Sopran vorgetragen wird. Die träumerische Gesamtstimmung des Textes ist hervorragend durch die schwebende Tonalität und die bizarre Besetzung (Mandoline, Klarinette, Geige und Violoncello mit Dämpfern und einem durchweg dolce singenden Chor) in Klang umgesetzt. Das zwölftönig komponierte Werk ist inspiriert durch die chinesische Pentatonik, durch Quint- und Quartklänge und davonhuschende Figuren. Die in der chinesischen Musik benutzte Pentatonik kann man am Klavier einfach darstellen, indem man nur schwarze Tasten spielt. Schönberg beginnt seine Reihe mit diesen 'schwarzen fünf Tasten'. Dann schreibt er die gleiche Folge einen Halbton tiefer und hat damit 10 Töne komponiert. Die Folge ist so konzipiert, daß die verbleibenden Töne e und h als Quinte sich hervorragend für einen Bordunklang in der Mandoline eignen. (Erläuterungen am Klavier). Hören wir diese einleitenden zwei Takte. Tondokument 5 Nr. 4 aus op.27. 'Der Wunsch des Liebhabers' Takt Wie Sie sehen, habe ich jeweils fünf Töne umkreist. Es sind jeweils die pentatonische Folgen, wie sie in der Hauptstimme erscheinen und aus den ersten 5 Tönen der Komposition abgeleitet sind. Wir hören Sie uns zunächst am Klavier einmal an. Jetzt hören Sie den vollständigen ersten Teil: Tondokument 6 Nr. 4 aus op.27. 'Der Wunsch des Liebhabers' Takt Sie bemerken auch, daß der Komponist dieses Stück klanglich sehr gut ausgehört hat. Nach einigem Einhören kann das Ohr die Ausgewogenheit der führenden, meldodietragenden und der begleitenden, Atmosphäre schaffenden Stimmen hören. Obwohl dieses Stück relativ einfach konzipiert ist, setzt es doch voraus, daß der Hörer sich einhört, er wird nur Freude an dem Stück haben, sobald er die durch die Stimmen wechselnde Melodie nachzuvollziehen kann, ansonsten wird er nur Chaos empfinden. Beobachten Sie einmal Ihr eigenes Wahrnehmungsverhalten beim nochmaligen Zuhören! Tondokument 7 Nr. 4 aus op.27. 'Der Wunsch des Liebhabers' (Vollversion) Bei vielen Stücken Schönbergs wird es nicht zu vermeiden sein, daß der Hörer sich so weit mit den Noten des jeweiligen Werkes vertraut macht, daß sie ihm eine Orientierung geben. Das Hören von Musik wird also anders definiert als in mancher leicht konsumierbaren Musik: Voraussetzung für ein adäquates Hören ist bei vielen Werken der Neuen Musik das Studium der Partitur. Lassen Sie mich es ein wenig überspitzt sagen: Es leuchtet ein, daß es auch anstrengt, ein Buch zu lesen, alleine es unter das Kopfkissen zu legen und sich dem Gefühl hingeben, man habe Literatur in der Nähe des Kopfes, wird nicht ausreichen Damit ist ein Aspekt der Rezeption erfaßt. Daß es auch andere Möglichkeiten gibt, zeigt das folgende Stück, das sich dem Hörer unmittelbar erschließt. Hören wir aus op. 19 den Titel 'Sehr langsam': Tondokument 8-10 op. 19,6 (1911) Ich hoffe, ich konnte Sie überzeugen, daß Celebidache Unrecht hatte, wenn er sagte, das klingt alles gleich! Lassen Sie uns als letztes Beispiel des Beginn des Violinkonzertes op. 36 gemeinsam hören. Ich muß Ihnen dazu sagen, daß ich das Werk beim ersten Hören als ein großes Chaos empfand und lange keine Freude hatte, mich mit ihm zu beschäftigen. Schließlich erkannte ich: das Thema des Konzertes ist nicht anders aufgebaut als ein dreiteiliges Lied mit den Abschnitten A B C. Diese Struktur möchte ich Ihnen vermitteln. Der Abschnitt A besteht aus einem Wechselspiel Frage-Antwort zwischen der Sologeige und dem Orchester: Tondokument 11 Dieses Frage-Antwortspiel setzt sich in den folgenden Perioden fort. Der Abschnitt B beginnt zunächst mit einer geschwungenen Melodie der Sologeige als Vordersatz. Tondokument (12/)13 Abschnitt B endet dann mit der dazugehörigen Antwort als Nachsatz. Tondokument 14/15/16/17 auch im folgenden Abschnitt C gibt es eine derartige Periode mit Vorder- und Nachsatz. Charakteristisch ist hier die rhythmisch-energische Komponente. Hören wir zunächst den Vordersatz des Abschnittes C: Tondokument (18)19 und nun den ganzen Abschnitt C Tondokument 20 Ich möchte Ihnen nun alle Abschnitte A-C des Violinkonzertes vorspielen. Tondokument 21/22/24 C) Schluß Ich möchte zusammenfassen: Schönbergs größtes Verdienst war es, das Musikdenken des 20. Jahrhunderts durch eine alles bisherige übertreffende Radikalität provoziert zu haben und damit einen Prozeß in der musiktheoretischen und musikästhetischen Diskussion ausgelöst zu haben, dessen Auswirkungen heute noch spürbar sind. Das ganze bleibt nicht frei von spannungsreichen Widersprüchlichkeiten und Paradoxien: Er entwickelte einerseits sein gewissermaßen 'basisdemokratisches' Tonsystem und sagte andererseits von sich selbst, er habe eine 'Abneigung gegen Demokratie u. dergl.' (Briefe S. 116f.). Er wurde einerseits der 'Vater der Neuen Musik' und ein vorausschauender Revolutionär und Avantgardist genannt. Andererseits wurde er als Meister des motovisch-thematischen Denkens den Traditionalisten der Romantik zugerechnet, die fern von jeder Musikästhetik des 20. Jahrhunderts lägen (Adorno). Linke Ideologen feierten ihn - insbesondere nach seinem Spätwerk 'The Survivor from Warsaw' als großen antifaschistischen Komponisten, die anderen warfen ihm vor, ein 'potentieller Faschist' zu sein, insbesondere weil er nicht nur davon überzeugt war, daß die Vorherrschaft der deutschen Musik in der Welt für die nächsten hundert Jahre gesichert sei, sondern, daß er seine Zwölftontechnik als Ursache für diese deutsche Überlegenheit ansah. (Musikkonzepte S.185,188, rororo S. 100) Diejenigen aber, die ebenfalls davon überzeugt waren, daß am deutschen Wesen die Welt genesen soll, waren seine größten Feinde. Lassen Sie mich enden mit einer kleinen Kuriosität: In seinen 1947 veröffentlichten Menschenrechten, in denen er sich u.a. für die Toleranz zwischen den Kulturen einsetzt, schreibt Schönberg: 'Man muß auch die Menschenfresserrechte anerkennen. Sie beruhen auf der instinktmäßigen Erkenntnis, daß aus Blut wieder Blut und aus Fleisch wieder Fleisch wird. ' (Stil und Gedanke S.199) Ich möchte dazu sagen: Man muß - bei allem Respekt - nicht alles, was aus der Feder von Geistesgrößen stammt, kritiklos hinnehmen, und es ist wirklich auch nicht jedes Detail zu empfehlen Ich danke Ihnen. Werkverzeichnis Arnold Schoenberg Werke mit Opuszahlen Op.1 TWO SONGS for baritone and piano Op.2 FOUR SONGS for voice and piano Op.3 SIX SONGS for medium voice and piano Op.4 VERKLAERTE NACHT (sketches) Op.5 PELLEAS UND MELISANDE, symphonic poem Op.6 EIGHT SONGS for voice and piano Op.7 FIRST STRING QUARTET IN D MINOR Op.8 SIX ORCHESTRAL SONGS Op.9 CHAMBER SYMPHONY FOR 15 SOLO INSTRUMENTS Op.10 SECOND STRING QUARTET IN F SHARP MINOR, with voice Op.11 THREE PIANO PIECES Op.12 TWO BALLADS for voice and piano Op.13 FRIEDE AUF ERDEN for mixed chorus Op.14 TWO SONGS for voice and piano Op.15 THE BOOK OF THE HANGING GARDENS for high voice and piano Op.16 FIVE ORCHESTRAL PIECES Op.17 ERWARTUNG Op.18 DIE GLUECKLICHE HAND (stage settings) Op.19 SIX LITTLE PIANO PIECES Op.20 HERZGEWAECHSE Op.21 PIERROT LUNAIRE (preface to the score) Op.22 FOUR SONGS for voice and orchestra Op.23 FIVE PIANO PIECES Op.24 SERENADE Op.25 SUITE FOR PIANO Op.26 WIND QUINTET Op.27 FOUR PIECES for mixed chorus Op.28 THREE SATIRES for mixed chorus Op.29 SUITE Op.30 THIRD STRING QUARTET Op.31 VARIATIONS FOR ORCHESTRA Op.32 VON HEUTE AUF MORGEN Op.33a PIANO PIECE Op.33b PIANO PIECE Op.34 BEGLEITUNGSMUSIK ZU EINER LICHTSPIELSZENE Op.35 SIX PIECES FOR MALE CHORUS Op.36 CONCERTO FOR VIOLIN AND ORCHESTRA Op.37 FOURTH STRING QUARTET Op.38 CHAMBER SYMPHONY NO. 2 Op.39 KOL NIDRE Op.40 VARIATIONS ON A RECITATIVE FOR ORGAN Op.41 ODE TO NAPOLEON BUONAPARTE Op.42 CONCERTO FOR PIANO AND ORCHESTRA Op.43a THEME AND VARIATIONS for band Op.43b THEME AND VARIATIONS for orchestra Op.44 PRELUDE TO GENESIS SUITE Op.45 STRING TRIO Op.46 A SURVIVOR FROM WARSAW Op.47 PHANTASY FOR VIOLIN with piano accompaniment Op.48 THREE SONGS for low voice Op.49 THREE FOLKSONGS for mixed chorus a cappella Op.50a DREIMAL TAUSEND JAHRE for mixed chorus cappella Op.50b PSALM 130, DE PROFUNDIS for 6-part mixed chorus a cappella Op.50c MODERNER PSALM for speaker, mixed chorus and orchestra Werke ohne Opuszahlen GURRELIEDER for soli, chorus and orchestra LIED DER WALDTAUBE SUITE FOR STRING ORCHESTRA MOSES AND ARON DIE JAKOBSLEITER SIX PIECES FOR PIANO FOUR HANDS, 1894 CABARET SONGS STRING QUARTET IN D MAJOR CANONS CONCERTO FOR STRING QUARTET AND ORCHESTRA CONCERTO FOR VIOLONCELLO AND ORCHESTRA THREE FOLKSONGS for 4-part mixed chorus a cappella FOUR GERMAN FOLKSONGS for voice and piano BACH: 'SCHMUECKE DICH, O LIEBE SEELE' for orchestra BACH: 'KOMM, GOTT, SCHOEPFER, HEILIGER GEIST' for orchestra BACH: PRELUDE AND FUGE IN E FLAT MAJOR for orchestra BRAHMS: PIANO QUARTET IN G MINOR, OP. 25 for orchestra LOEWE: DER NOECK for orchestra STRAUSS: EMPEROR WALZ for flute, clarinet, string quartet and piano STRAUSS: ROSES FROM THE SOUTH Schriften von Arnold Schönberg (Auswahl): Harmonielehre, Wien 1911 Modelle für den Anfänger im Kompositionsunterricht, N.Y. 1943; Stil und Gedanke, N.Y. 1950 Die formbildenden Tendenzen in der Harmonie 1954 (deutsch 1957) Sekundärliteratur (Auswahl): Eberhard Freitag, Schönberg (rororo-Biographie), Hamburg 1973 Hans Stuckenschmidt, Schönberg - Leben, Umwelt, Werk, Zürich-Freiburg i.B. 1974 Heinz-Klaus Metzher, Rainer Riehn (Hrsg.), Musik-Konzepte Arnold Schönberg, München 1980 (enthält eine umfangreiche Diskographie und Bibliographie) Wilhelm Sincovicz, Arnold Schönberg - Mehr als zwölf Töne, 1998 Schoenberg im Internet (Auswahl): http://www.schoenberg.org/ http://mediatheque.ircam.fr/internet/internet.html#rech