Heinrich Böll
"Und sagte kein einziges Wort"
Roman 1953
"Schreiben wollte ich schon immer, versuchte es schon früh,
fand aber die Worte erst später."
Heinrich Böll
A
Lebenslauf
Heinrich Böll (1917 - 1985) ist einer der bedeutendsten und politisch engagiertesten zeitgenössischen Schriftsteller Deutschlands. Nach dem Abitur ging er als Lehrling in den Buchhandel und fing gleichzeitig zu schreiben an.
Bölls Pläne, Literatur zu studieren, werden durch den Reichsarbeitsdienst der Nazis und die Einberufung zur Wehrmacht zerstört. Er dient von 1939 bis 1945 als Soldat und ist vorwiegend an der Rußlandfront stationiert. Er heiratet 1942 Anemarie Zech und kehrt nach der Kriegsgefangenschaft in das zerstörte Köln zurück. Nach seinen ersten literarischen Erfolgen wird er 1951 freier Schriftsteller. Er erhielt 1972 als erster deutscher Schriftsteller nach dem Krieg den Nobelpreis für Literatur.
Heinrich Bölls Werk umfaßt Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten, Satiren, politische und literarische Schriften, Hörspiele sowie ein Drama. Zu seinen bekanntesten Werken gehören: "Wo warst du, Adam?" (1951), "Und sagte kein einziges Wort" (1953), "Haus ohne Hüter" (1954), "Das Brot der frühen Jahre" (1955), "Billard um halb zehn" (1959), "Ansichten eines Clowns" (1963), "Gruppenbild mit Dame" (1971) und "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1974).
B
1. Inhaltsangabe
Heinrich Böll beschreibt in seinem Roman "Und sagte kein einziges Wort" die Probleme in der Ehe eines Kriegsheimkehrers, die durch das Elend der Lebens- und Wohnverhältnisse in einer Großstadt entstehen.
Fred Bogner lebt von seiner Frau Käte und seinen drei Kindern auf Grund dieser, ihn belastenden Umstände getrennt. Er arbeitet als Telefonist bei einer kirchlichen Behörde und wohnt zur Untermiete bei den Blocks. Nach einem mit seiner Frau gemeinsam in einem Stundenhotel verbrachten Wochenende scheint die Trennung endgültig zu sein. Doch kurz darauf erkennt er, daß er sie noch immer liebt und letztendlich zu ihr zurückkehrt.
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2.Interpretation
Religion und Liebe
Böll konfrontiert in seinem Roman sehr stark mit einem Christentum, dem Katholizismus, das sich von Glaube, Liebe und Hoffnung tragen läßt. Als aktives Mitglied der katholischen Kirche wird Frau Franke vorgestellt. Sie betätigt sich in verschiedenen Komitees, Ausschüssen und Vereinen und genießt den Ruf einer Person, die sich uneigennützig für die Belange des Katholizismus einsetzt. Täglich empfängt sie die heilige Kommunion und darf jeden Monat den Ring des Bischofs küssen, wenn er die führenden Damen der Diozöse (kirchlicher Grundbesitz) empfängt. Frau Franke ist der Prototyp des gewissenhaften Katholiken, der allen kirchlich auferlegten Pflichten regelmäßig nachkommt, jedoch für den Mitmenschen erschreckend verhärtet, gefühllos und ohne Liebe ist. Ihr Mann hat für Käte Bogners Kinder manchmal ein freundliches Wort übrig, er streicht ihnen über den Kopf oder macht ihnen kleine Geschenke. "Frau Franke aber ist anders, redselig und lebhaft, ohne Zärtlichkeit. Sie stammt aus einem alten städtischen Händlergeschlecht, das die Gegenstände, mit denen es Handel trieb, von Geschlecht zu Geschlecht wechselte, immer kostbarer fand, und ich meine heute manchmal, daß sie mit dem kostbarsten Handel treiben: mit GOTT." [1]
Frau Franke ist die typische Repräsentantin der falschen Frömmigkeit und der katholischen Heuchelei des deutschen Kleinbürgertums.
Gegenüber der Frau Franke steht die Gestalt der Käte Bogner, die sich nicht an den Veranstaltungen der kirchlichen Vereine beteiligt und nicht zur Kommunion geht. Sie haßt die Priester, die in prunkvollen Häusern wohnen, während sie selber mit ihren Kindern in einem schmutzigen Zimmer hausen muß. Käte ist katholisch, doch sie hat jeden Kontakt mit der Kirche verloren. Im Grunde ist sie ein gläubiger Mensch geblieben, denn ihren Mann ermahnt sie: "Und niemals denkst du daran, daß Beten das einzige ist, was helfen könnte."[2] In der tiefsten Erniedrigung bleibt Gott ihr einziger Trost: "GOTT schien der einzige zu sein, der bei mir blieb in dieser Übelkeit, der mein Herz überschwemmte, meine Adern füllte und kreiste in mir wie mein Blut - kalten Schweiß spürte ich und eine tödliche Angst - Augenblicke lang hatte ich an Fred gedacht, an die Kinder, hatte das Gesicht meiner Mutter gesehen, die kleinen, so wie ich sie im Spiegel sehe - aber sie schwammen alle weg in dieser Flut der Übelkeit-, Gleichgültigkeit gegen sie alle erfüllte mich, und es blieb nichts bei mir als das Wort GOTT."
Den Bischof, der ein gebildetes und gepflegtes Leben führt, der das Elend und die Wohnungsnot nicht wahrnimmt, beschreibt Böll dagegen sarkastisch. Fred verachtet die Kirche und damit auch den Bischof, denn er sagt über denselben: "Ich habe den Bischof schon oft gehört, mich immer bei seinen Predigten gelangweilt - und ich kenne nichts Schlimmeres als Langeweile . Der Bischof liebt es, seiner Stimme jenen Beiklang von Dialekt zu geben, der eine Stimme populär macht, aber der Bischof ist nicht populär. Das Vokabularium seiner Predigten scheint theologischen Stichwortverzeichnissen entnommen,
die seit vierzig Jahren unmerklich, aber stetig an Überzeugungskraft verloren haben. Stichworte, die Phrasen geworden sind, halbe Wahrheiten.
Die Wahrheit ist nicht langweilig, nur hat der Bischof offenbar die Gabe, sie langweilig erscheinen zu lassen."[4] Mit diesem letzten Zitat wird die Einstellung Bölls gegenüber der katholischen Kirche veranschaulicht. In diesem Roman findet man eine recht scharfe Kritik am Klerus (Gesamtheit der sakramental geweihten Geistlichen in der römisch - katholischen Kirche: Diakone, Priester, Bischöfe. Die Mitglieder des Klerus verfügen im kirchlichen Sinne über die Kirchengewalt und sind in eine Diozöse oder einen Orden eingegliedert), besonders aber an den höheren Würdenträgern der Kirche.
Die Rolle der Frau - und die Probleme einer Ehe in der Nachkriegszeit
" daß Lieben wie Wohnen, Essen, Trinken, Sprechen, Schlafen für ihn zum Bereich des "Humanen", zur Moral des Lebens gehört und das in jeder Liebesbeziehung, auch der außerehelichen, etwas von diesem Humanen realisiert wird."
Böll in einem Interview von 1967
Die Problematik der Ehe Bogners und dessen Lebensbedingungen, die von allen Seiten beschrieben werden, stehen im Mittelpunkt dieser Geschichte. Die Armut, Wohnungsnot, Trostlosigkeit und die Aussichtslosigkeit der Verbesserung ihrer Lage verweigern es Fred, ein "geregeltes" und "normales" Leben mit seiner Familie zu führen. Böll verwendet bei der Gegenüberstellung von Armut und Reichtum gezielt eingesetzte Kontrastmotive, die verdeutlichen sollen, daß auch Freds Freund namens Bückler, der mit seiner Freundin Dora in einer vornehmen Villa wohnt, vom Reichtum umgeben, doch ebenso enttäuscht vom Leben ist wie Fred. "Auch er ist alt geworden, lebt nun schon seit Jahren mit dieser Dora zusammen und ihre Freundschaft ist langweiliger geworden, als eine Ehe werden kann."[5] Der Autor verzichtet hier jedoch auf eine Lösung der Probleme. Der eigentliche Held dieser Geschichte ist weniger Fred, der planlos auf Friedhöfen herumirrt und sich der Auseinandersetzung mit seinen Problemen entzieht. Es ist vielmehr dessen Frau Käte, auf die sich auch der Buchtitel bezieht, denn Böll verwendet hierzu ein Zitat aus dem Lied des Negersängers: " sie schlugen ihn ans Kreuz, schlugen ihn ans Kreuz, und er sagte kein einziges Wort" . Auch den schwersten Schicksalsschlägen und Demütigungen, dem aussichtslosen Kampf gegen Schmutz und Armut unterwirft sich Käte ohne Klagen und erträgt sie um ihrer Kinder willen. Bölls Frauenfigur in diesem Roman gewinnt an unerwarteten Einfluß, den sie auf den Mann ausübt. Das Paar, die wechselseitigen Beziehungen zwischen Mann und Frau sind die wichtigsten und am häufigsten wiederkehrenden Themen in Bölls Werk.
Fred Bogner, Bölls Männergestalt, ist ein Mensch ohne einen starken Willen, ohne ein gefestigtes Weltbild, ohne ein klares Ziel im Leben. Was ihm fehlt, besitzt seine Frau Käte, die mit Behutsamkeit in das Leben ihres Mannes eingreift und ihn auf den richtigen Weg führt. Fred kehrt zwar am Ende des Romans zu seiner Familie zurück, jedoch ganz so überzeugend ist das Ende nicht, da keines der auftretenden Probleme, die Fred zu einem wurzellosen Herumtreiber gemacht hatten, gelöst wurde.
Charakterisierung Fred Bogners
Die beengten Wohnverhältnisse dienen Fred Bogner nur als Vorwand, sich aus seiner Verantwortung gegenüber seiner Familie zu entziehen, obwohl er seine Frau und seine drei Kinder innig liebt. "Ich werde alles tun", sagte ich, " wirklich alles, damit wir eine Wohnung bekommen.""Hör schon auf" sagte sie, und es klang, als wenn sie lachte "es liegt gar nicht an der Wohnung. Glaubst du wirklich, es läge daran?"[7] In finanziellen Fragen jedoch zeigt er Verantwortungsbewußtsein gegenüber seiner Familie, indem er sein gesamtes Monatsgehalt ihr überläßt. Trotzdem leiht er sich Geld, um es sofort an Spielautomaten zu verschwenden oder auch zu vertrinken.
Seine kindliche Naivität, seine ständige Selbstbemitleidung, seine Unstetigkeit und seine Wechselhaftigkeit spiegeln sich in seinem Handeln wider. Er ist anspruchslos und schläft da, wo er gerade Unterschlupf finden kann. Er lebt nur für den Augenblick, ohne Pläne oder Sorgen für die Zukunft. Der einzige Hinweis darauf, daß er über den Tag hinausblicken kann ist, als er für das Treffen mit seiner Frau ein Hotelzimmer zu mieten plant, und mit aller Kraft der Versuchung widerstehen kann, das Geld dafür zu verschleudern. Er, der Mißhandlungen und Ungerechtigkeiten verabscheut, erschrickt vor sich selbst, als ihm klar wird, wie unbeherrscht er sich seinen Kindern gegenüber verhalten hatte, als er sie schlug.
Fred, der vor allen Problemen davonläuft, verkörpert in dieser Geschichte einen passiven, in gesellschaftlichen Verhältnissen immer wieder versagenden Heldentypen.
3. Sprache und Stil
Formal weist die Geschichte die für einen Roman typischen Merkmale auf: Sie ist in drei Teile gegliedert, beginnend mit der Rahmenhandlung, der Vorgeschichte beider Hauptpersonen, gefolgt vom Hauptteil, dem Treffen von Fred und Käte Bogner im Hotelzimmer, das dramatisch zum Höhepunkt führt und dem Entschluß Freds, zu seiner Familie zurückzukehren, der am Ende des Romans steht.
Der Autor erzählt den Roman aus einer personalen Erzählsituation heraus, da die Handlung aus den Perspektiven von zwei Personen (Fred und Käte) heraus dargestellt wird. Der Wechsel zwischen den Sprachebenen des Mannes und der Frau ist nicht ausgearbeitet, d.h. Böll verwendet den gleichen Sprachduktus wie "Sprecht ihr von mir? Ja sie fragen mich, wo du bist und ich sage, daß du krank bist." "Bin ich krank?" - "Ja, du bist krank." Er schwieg, und ich hörte seinen Atem in der Muschel."[8]
Die Sprache des Werkes ist der Banalität und Monotonie des Alltages angepaßt. Sie ist eine Mischung normalsprachlich bzw. umgangssprachlich, wie z.B. "Und trinkt, nicht wahr?"[9] bis hin zum dichterischen und poetischen, wie z.B. "Es braust heran mit tödlicher Eleganz: niedrig über den Häusern, graue Schwingen schaukelnd, und das Geräusch ihrer Motoren zielte in unser Herz und traf genau." Die Schlüsselwörter, die Böll öfter und zum Teil auch wahllos benutzt, sind "lächeln" und "erschrecken".
Käte und Fred Bogner erschauern immer wieder vor der Härte, Scheinheiligkeit und Gleichgültigkeit ihrer Mitmenschen. Sie erschrecken aber auch vor dem eigenen Gesicht - "Ich schlug sie heftig, sehr heftig, daß es ungerecht war, was ihnen durch mich geschah, und es erschreckte mich, weil ich die Herrschaft über mich verlor." , vor der eigenen Armut und vor dem Schmutz in der Wohnung - ", und wenn auch Sonntag ist, ich muß putzen, ich muß gegen den Schmutz kämpfen. Seit Jahren kämpfe ich gegen den Schmutz dieses einzigen Zimmers; "
Bildhaft wird die Sprache in dieser Geschichte durch Farb- und Wassermetaphern, wie z.B. "das helle Grau des Morgendämmers."[13] oder "Ich schwamm hinter Käte her, wie durch graues Wasser," Diese Metaphern symbolisieren die Trostlosigkeit, die Ausweglosigkeit und die Eintönigkeit der unglücklichen Ehe Bogners. Aber das metaphorische Bild, was der Autor zeigt, ist nicht nur düster und grau, sondern auch poetisch und romantisch: " sah die schmale, weiße Straße ihres Scheitels, in die ich o oft hineingefallen bin,"
Intention des Autors
Böll verstand es deshalb so gut, die Nöte und Leiden des unheroischen kleinen Mannes in der Nachkriegszeit so überzeugend und präzise in dieser Geschichte darzustellen, weil er als einer der wenigen deutschen Schriftsteller während des 2. Weltkrieges nicht emigrierte oder mit den Nazis kollaborierte, sondern wie so viele einfache Deutsche auch diese Zeit erlebte und sie auch erleben mußte. Heinrich Böll war alles andere als ein Radikaler, als ein Revolutionär. Er war Kleinbürger, Christ, Katholik und er wollte nicht ausbrechen. Er verabscheute den Krieg mit Ekel und Verdruß. Das Leben in der Nachkriegszeit, die Realität vermitteln ihm Anreiz genug zum Schreiben. Denn gerade hier ist das Leben - das Leben der kleinen Leute, ihre Leiden und Ausweglosigkeiten, ihre kleinen und großen Entbehrungen, ihr manchmal ganz zufälliges Glück. Die Wohnungsnot, die Armut und die Eheschwierigkeiten eines kleinen Angestellten werden in dem Roman "Und sagte kein einziges Wort" (1953) von Heinrich Böll thematisiert.
Persönliche Stellungnahme
Heinrich Böll hinterließ mit diesem Roman in mir den Eindruck, daß er ein sehr realistischer lebensnaher, sorgfältiger und wahrhaftiger Erzähler ist. Die Banalität, mit der er die Ehe der Bogners beschreibt, verdeutlicht mir, wie schwer doch die Zeit der Kriegsfolgen und des Wiederaufbaues für die unschuldigen Opfer gewesen sein muß. Böll vermeidet sogar die offene Verurteilung des Krieges, da er nur von der Langeweile, dem Schmutz und den Läusen berichtet. Er überläßt es dem Leser seine eigenen Schlußfolgerungen zu ziehen. Der Roman "Und sagte kein einziges Wort" macht für mich Böll zum Volksschriftsteller der deutschen Volksliteratur.
Literaturangabe
Heinrich Böll "Und sprach kein einziges Wort"
Roman
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, Berlin 1953
Franz Lennartz "Deutsche Schriftsteller der Gegenwart"
Alfred Kröner Verlag in Stuttgart 1978
Dietrich Weber "Deutsche Literatur der Gegenwart"
Band 1
Alfred Kröner Verlag in Stuttgart 1976
Dieter Lattmann "Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart"
Autoren - Werke - Themen - Tendenzen seit 1945
Fischer Taschenbuch Verlag 1980
Wilhelm Johannes Schwarz "Der Erzähler Heinrich Böll"
A. francke AG Verlag Bern 1967
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