Wolfgang Borchert - Draußen vor der Tür
Literatur nach 1945 - Trümmerliteratur
Erscheinungsjahr: 1956
Zum Autor:
Wolfgang Borchert wurde 1921 in Hamburg geboren. Seine Mutter war Schriftstellerin und sein Vater war Lehrer. 1938, im Alter von 17 Jahren, veröffentlicht er erste Gedichte. Er beginnt auf Wunsch seiner Eltern eine Lehre als Buchhändler. 1941 wird er eingezogen und erhält seinen Marschbefehl an die Ostfront. Da er an Gelbsucht erkrankt und eine Verletzung an der Hand erleidet, kehrt er aber schon nach kurzer Zeit in die Heimat zurück. Dort wird er wegen regimekritischer Außerungen mehrmals vor Gericht gestellt. Nach einigen Monaten in Haft wird er zwecks Bewährung wieder nach Russland geschickt. Er erkrankt aber neuerdings an Gelbsucht und darf deshalb wieder nach Hause. 1945 kommt er schwerkrank zurück nach Hamburg. Er arbeitet dann als Kabarettist und Regieassistent. Im Herbst 1946 entsteht das Drama "Draußen vor der Tür", welches am 21. November 1947 uraufgeführt wird. Einen Tag vorher stirbt Borchert im Alter von 26 Jahren.
Handelnde Personen:
Beckmann, die Hauptfigur
seine Frau
ein Mädchen
ein Oberst
ein Kabarettdirektor
der Andere, ein ständiger Begleiter Beckmanns
Inhaltsangabe:
Der aus dem Krieg heimkehrende Beckmann hat große physische und psychische Verletzungen. Er findet seine Frau mit einem anderen vor und sein einjähriger Sohn liegt unter Trümmern begraben. Deshalb will er sich das Leben nehmen. Er springt in die Elbe. Doch die Elbe spült den Selbstmörder wieder ans Ufer. Hier gesellt sich der "Andere" zu ihm. Dieser versucht, ihn davon zu überzeugen, dass das Leben lebenswert ist. Das gelingt ihm zuerst nicht, aber dann lernt Beckmann ein Mädchen kennen. Er begleitet sie in ihre Wohnung und sie gibt ihm trockene Kleidung. Nun taucht auch der Ehemann des Mädchens auf, vom Krieg heimgekehrt und verkrüppelt. Daraufhin verlässt Beckmann die Wohnung und der "Andere" rät ihm, seinen ehemaligen Vorgesetzten, einen Oberst, aufzusuchen. Er will ihm die Verantwortung für elf gefallene Kameraden zurückgeben, da er diese nicht mehr ertragen kann. Der Oberst nimmt ihn aber nicht ernst und erklärt ihn sogar für verrückt. Daraufhin geht er zu einem Kabarettdirektor und spricht bei ihm vor. Doch dieser gibt ihm keine Chance, weil die Vorstellung Beckmanns seiner Meinung nach niemand sehen will. Die Kunst hat ja schließlich nichts mit der Wahrheit zu tun. Nun will er seine Eltern aufsuchen. Doch sein Elternhaus wird jetzt von jemand anderem bewohnt. Er erfährt, dass sich seine Eltern das Leben genommen haben. Jetzt verschwindet auch der "Andere", der ihm bis dahin Mut spendete und sein Begleiter war, und Beckmann steht allein "Draußen vor der Tür" mit all seinen Erinnerungen und Alpträumen.
Interpretation:
Das Stück "Draußen vor der Tür" ist - wie man vielleicht zuerst meinen könnte - kein autobiographisches Werk des Heimkehrers Wolfgang Borchert.
Seine persönliche Situation nach dem Zusammenbruch Deutschlands war wesentlich besser, als die seiner millionenfachen Schicksalsgenossen. Im Gegensatz zu diesen war Borchert wirtschaftlich abgesichert, wenn auch bei gleichzeitigen gesundheitlichen Leiden. Schon zwei Tage nach Kriegsende war er ein freier Mann, konnte bei seinen Eltern einziehen und seine Freunde kümmerten sich um ihn. Für viele begann zu dieser Zeit erst die Tragödie von Flucht, Vertreibung oder Gefangenschaft.
Borchert versucht mit der Figur des Beckmann die Millionen junger Soldaten, deren bisheriges Leben fast ausschließlich aus militärischen Gehorsam, Angst, Leid und Verwundungen jeglicher Art bestanden hat, widerzuspiegeln. Er stellt Beckmann als Heimkehrer dar, der mit der Rückkehr in seine Heimat auch auf dem Weg ist, den Anschluß an seine frühere Identität zu finden. Er versucht in jedem Akt eine Tür zu finden, die er aufstoßen kann und mit deren Durchschreiten er wieder bei den Menschen seines früheren Umfeldes ist. Aber jedesmal wird er abgewiesen, denn die Menschen wollen mit dem Krieg und seinen Folgen nicht mehr konfrontiert werden.
Ganz allgemein gesagt verurteilt Wolfgang Borchert in seinem Stück den Krieg und seine Folgen.
Textstelle:
Eine Stube. Abend. Eine Tür kreischt und schlägt zu. Der Oberst und seine Familie. Beckmann
Beckmann Guten Appetit, Herr Oberst.
Beckmann Guten Appetit, Herr Oberst.
möchte ich am Tage manchmal vielleicht etwas essen. Und nachts, nachts möchte ich
schlafen. Weiter nichts.
Oberst Na na na na! Reden sie nicht so unmännliches Zeug. Waren doch Soldat, wie?
Beckmann Nein, Herr Oberst.
Schwiegersohn Wieso nein? Sie haben doch Uniform an.
Beckmann (eintönig): Ja sechs Jahre. Aber ich dachte immer, wenn ich zehn Jahre lang die
Uniform eines Briefträgers anhabe, dann bin ich noch lange kein Briefträger.
Tochter Pappi frag ihn doch mal, was er eigentlich will. Er kuckt fortwährend auf meinen
Teller.
Beckmann (freundlich): Ihre Fenster sehen von draußen so warm aus. Ich wollte mal
wieder merken wie das so ist durch solche Fenster zu sehen. Von innen aber, von innen.
Wissen Sie wie das ist, wenn nachts so helle warme Fenster da sind und man steht
draußen?
Mutter (nicht gehässig, eher voll Grauen): Vater, sag ihm doch, er soll die Brille abnehmen. Mich friert,
wenn ich das sehe.
Oberst Das ist eine sogenannte Gasmaskenbrille, meine Liebe. Wurde bei der Wehrmacht 1934 als Brille
unter der Gasmaske für augenbehinderte Soldaten eingeführt. Warum werfen Sie den Zimt nicht weg?
Der Krieg ist aus.
Beckmann Ja, ja. Der ist aus. Das sagen sie alle. Aber die Brille brauche ich noch. Ich bin doch kurzsichtig,
ich sehe ohne Brille alles so verschwommen. Aber so kann ich alles erkennen. Ich sehe ganz genau von
hier, was sie auf dem Tisch haben.
Oberst (unterbricht): Sagen Sie mal, was haben Sie für eine merkwürdige Frisur? Haben Sie gesessen? Was
ausgefressen, wie? Na raus mit der Sprache, sind irgendwo eingestiegen, was? Und geschnappt, was?
Beckmann: Jawohl, Herr Oberst. Bin irgendwo mit eingestiegen. In Stalingrad, Herr Oberst. Aber die
Tour ging schief, und sie haben uns gegriffen. Drei Jahre haben wir gekriegt, alle hunderttausend Mann.
Und unser Häuptling zog sich zivil an und aß Kaviar. Drei Jahre Kaviar. Und die anderen lagen unterm
Schnee und hatten Steppensand im Mund. Und wir löffelten heißes Wasser. Aber der Chef mußte Kaviar
essen. Drei Jahre lang. Und uns haben sie die Köpfe abrasiert. Bis zum Hals - oder bis zu den Haaren, das
kam nicht so genau drauf an. Die Kopfamputierten waren noch die Glücklichsten. Die brauchten
wenigstens nicht ewig Kaviar zu löffeln.
Quellennachweis:
Sekundärliteraur: Kindlers Literaturlexikon, Band 2, Seite 927f
http://gutenberg.spiegel.de///borchert/draussen/draussen.htm
http://gutenberg.spiegel.de///autoren/borchert.htm
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