Stefan Zweig
SCHACHNOVELLE
Der Autor
"Ich bin 1881 in einem großen und mächtigen Kaiserreiche geboren, in der Monarchie der Habsburger. Aber man such sie nicht auf der Karte, sie ist weggewaschen ohne Spur. Ich bin aufgewachsen in Wien, der zweitausend- jährigen übernationalen Metropole, und habe sie wie ein Verbrecher verlassen müssen, ehe sie degradiert wurde zu einer deutschen Provinzstadt. Mein literarisches Werk ist zu Asche gebrannt worden. So gehöre ich nirgends mehr hin, überall Fremder und bestenfalls Gast".
Diese bitteren Worte finden sich in den Erinnerungen Stefan Zweigs, der am 28. November 1981 hundert Jahre alt geworden wäre. Dabei lag das Leben in seiner Jugend so vielversprechend vor ihm. Als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Industriellen hatte er nie mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Auch war es ihm möglich, die Gebiete zu studieren, die ihn interessierten, Philo- sophie, Germanistik und Romantistik. Er konnte reisen, wohin er wollte, durch Europa, Indien, Nordafrika, Nord- und Mittelamerika. Dann wandte sich Zweig der Schriftstellerei zu. Unter dem Eindruck des ersten Weltkrieges wurde er zum radikalen Parzifisten, eine Wandlung die er in Jeremias (1917) leidenschaftlich zum Ausdruck brachte. Schon bald zählte man ihn zu den erfolgreichen Autoren.
Nach dem Krieg ließ er sich in Salzburg nieder und schrieb Biographien und von der Psychoanalyse beeinflusste Novellen, darunter Der Amokläufer (1922), Angst (1925) und Verwirrung der Gefühle (1927). Außerdem entstanden zahlreiche Essays, z.B. Drei Meister (1920, über Honoré de Balzac, Charles Dickens und Fjodor Dostojewskij) sowie Heilung durch den Geist (1931, über Franz Anton Mesmer, Sigmund Freud und Mary Baker Eddy). In seiner Novelle Sternstunden der Menschheit (1927), die bei seinen Lesern sehr beliebt war, beschrieb Zweig pathetisch den Menschen in historischen Umschwungphasen. 1932 erschien seine Biographie Marie Antoinette. Auch entstand die Biographie Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam (1934) und im Folgejahr Maria Stuart.
Dann aber kamen die Nazis und machten dem überzeugten Parzifisten das Leben dort unmöglich, wo seine Bücher "Millionen Leser sich zu Freunden ge-macht". Und nicht nur in Deutschland, sondern "auch die eigentlichte Heimat, die mein Herz sich erwählt, Europa, ist mir verloren".
1935 hielt Zweig es in Deutschland nicht mehr aus und versuchte, sich in England eine neue Heimat aufzubauen. Hier traf er mit anderen jüdischen Emi-granten zusammen, darunter mit dem schwerkranken Sigmund Freud, um den sich - wie Zweig in seinen Erinnerungen schreibt - "nur ein kleiner Kreis von Getreuen zu allwöchentlichen Diskussionsabenden sammelte, in denen die neue Wissen-schaft der Psychoanalyse ihre erste Formung erhielt". 1938 schrieb er seinen Roman Ungeduld des Herzens.
In Freud fand Stefan Zweig einen Gesprächspartner, mit dem er oft über das Grauen, das Hitler in die Welt gebracht hatte, sprechen konnte. Als Sigmund Freud im September 1939 starb verlor Zweig nicht nur einen Freund, sondern auch ein lebensnotwendiges Verbindungsglied zur unvergessenen Heimat.
Bald hielt ihn nichts mehr in London. Er übersiedelte während des zweiten Weltkrieges 1940 in die U.S.A. und von dort aus 1941 ins brasilianische Petropolis. Doch nirgens gelang es ihm, heimisch zu werden und zur Ruhe zu kommen.
Am 23. Februar 1942 ging der Autor, dem seine Freunde und seine Bücher in der Fremde zum Leben fehlten, mit seiner zweiten Frau Lotte freiwillig in den Tod. Seine Autobiographie Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers wurde 1942 posthum herausgegeben. Seinem letzten Brief an den Verleger Ber-mann Fischer legte er das Manuskript der Schachnovelle, Zweigs wohl bekanntestes Werk, bei.
Inhalt
Wir befinden uns im New York der dreißiger Jahre. Um Mitternacht legt ein großer Passagierdampfer vom New Yorker Dock ab, und nimmt Kurs auf Buenos Aires. An Bord ist ein Mann der Weltberühmtheit erlangt hat, der Schachwelt-meister Czentovic, ein seltsamer Zeitgenosse, primitiv und habgierig, eiskalt und einfältig. Langeweile macht sich auf dem Dampfer breit. Ein österreichischer Emigrant versucht deshalb an den großen Meister heranzukommen. Czentovic jedoch lässt sich nicht oft an Deck blicken, und wenn er dies tut, um seine täglichen Spaziergänge zu machen, dann ist sein Tempo dabei äußerst groß.
So wird versucht den Schachweltmeister anders dazu zu bewegen, Schach zu spielen. Um dies zu bewerkstelligen will man selbst Schach spielen. McConner, ein schachbegeisteter schottischer Tiefbauingenieur, stellt sich als Spieler zur Verfügung, um gegen den Österreicher zu spielen. Als der Schotte die erste Partie verlor, forderte er sofort eine Revanche. Anfangs amüsierte dies den Österreicher, doch war dies nur eine Begleiterscheinung zu seinem eigentlichen Vorhaben, Czentovic an den Tisch zu locken.
Am dritten Tag der Reise, als die zwei Spieler wieder eine Partie spielen, maschiert Czentovic das Promenadendeck entlang. Als McConner einen ungeschickten Zug vollzieht, blickt Czentovic mit einem prüfenden Blick auf das Schachbrett, verzieht sein Gesicht und verschwindet wieder. Der Österreicher provoziert McConner, indem er ihm zuflüstert, dass sein Zug den Meister nicht gerade begeistert hätte. Der Schotte, nichtahnend das Czentovic an Bord ist, fühlt sich angegriffen von eben diesem, und verlangt gegen ihn zu spielen. Czentovic erklärt sich bereit um 250 Dollar zu spielen. McConner ist einverstanden und zahlt das Preisgeld. Es wird vereinbart, dass Czentovic eine Simultanpartie gegen alle anderen Zuschauer spielt. Nach einigen Zügen gewinnt der Meister die Partie, doch McConner will sich nicht geschlagen geben und verlangt Revanche. Wieder sieht es so aus als würden sie verlieren, als sich ein geheimnisvoller Zu-schauer einmischt. Dank seiner Hilfe endet die Partie mit einem Remis. McCon-ner will daraufhin eine dritte Partie zahlen, in der Czentovic gegen den Geheim-nisvollen spielt, doch der lehnt dankend ab und verschwindet. Der Österreicher wird geschickt, um mit ihm zu reden, da bekannt wurde, das er ebenfalls ein österreichische Emigrant ist. Als er auf den Geheimnisvollen findet, erzählt ihm dieser, warum er höchstens eine Partie spielen würde.
Sein Name ist Dr.B und er leitete zusammen mit seinem Vater eine Rechtsanwaltskanzlei in Wien. Jedoch beschäftigten sie sich mehr mit Rechts-beratung und vor allem mit der Vermögensverwaltung großer Klöster. Nach dem die Nazis in Wien einmaschierten nahmen sie ihn gefangen, da sie über seine Ge-schäfte mit den Klöstern, woher auch immer, bescheid wussten.
Er kam in kein KZ, sondern in ein Hotel, wo er sein eigenes Zimmer hatte. Anfangs war es für ihn ein Wunder, doch er bemerkte bald wie klug diese Methode war. Denn die Pression, mit der man uns das benötigte Wissen ab-zwingen wollte, sollte auf subtilere Weise funktionieren als durch rohe Prügel oder körperliche Folterung, durch die raffinierteste Isolierung. Man tut nichts, man stellt uns nur in das vollkomene Nichts, denn bekanntlich erzeugt kein Ding auf Erden einen solchen Druck auf die menschliche Seele wie das Nichts. Indem man uns jeden einzeln in ein völliges Vakuum sperrte, in ein Zimmer, das herm-etisch von der Außenwelt abgeschlossen war, sollte, statt von außen durch Prü-gel und Kälte, jener Druck von innen erzeugt werden, der uns schließlich die Lippen aufsprengte.Sein Zimmer sah auf den ersten Anblick durchaus nicht un-behaglich aus, doch hatte er kein Buch zum lesen, keine Zeitung, kein Blatt Papier, keinen Bleistift und vor dem Fenster nur eine Ziegelmauer. Tag für Tag dasselbe Zimmer und niemanden mit dem er hätte reden können. Manchmal wurde er zu einem Verhör gebracht wo sie versuchten ihn über die Vermögen der Klöster auszuquetschen. Er dachte nur mehr daran nicht zu viel zu verraten und rekonstruierte immer wieder ein Verhör in seinem Gedächtnis.
Eines Tages gelingt es ihm vor einem Verhör ein Buch zu stehlen, bei dem es sich um ein Schachbuch handelte, in dem Schachpartien von Welt-meisterschaften und großen Tunieren nachgestellt wurden. Zu Beginn nutzte er sein kariertes Bettuch und zu Spielfiguren geformte Brotkrumen zum Spielen. Bald brauchte er die Figuren nicht mehr, und schlussendlich konnte er die Partien ihm Kopf nachstellen. Er teilte sich die Anzahl der Spiele ein, sodass er nicht alle auf einmal spielte. Doch es kam trotzdem dazu, dass er praktisch alle Spiele auswendig konnte und er begann gegen sich selber zu spielen. Das einzige Problem dabei war, das er wenn er Weiß spielte genau wusste was er dann mit Schwarz spielen würde, er konnte also die Figuren nicht voneinander unabhängig spielen. Er ahnte, dass dies gefährlich wird, hatte aber keine andere Wahl. Endlich gelang es ihm die beiden Spieler zu trennen. Unzählige Partien gingen durch sein Gedächtnis und er wusste nicht mehr was er tat. Eines Tages wachte er in einem Krankenhaus auf, da er einen Selbstmordversuch verübte. Dr.B musste eine Teraphie machen, und sein Arzt riet ihm niewieder Schach zu spielen. Dr.B sagt aber trotzdem zu, eine Partie zu spielen, aber nicht eine mehr.
Am nächsten Tag versammeln sich viele Leute im Smoking Room, um das Spiel der beiden zu beobachten. McConner zahlt wiedereinmal das Preisgeld. Die ersten Züge waren schnell getan. Doch dann benötigt Czentovic für seine Überlegungsphasen immer länger. Dr.B hingegen scheint alle seine Züge vorauszuahnen und seine Zugzeit sehr kurz ist. Je länger die Partie dauert, desto nervöser wird Dr.B. Er läuft im Raum herum und bestellt sich ein Glas Wasser, welches er hastig hinunterschlingt. Er beginnt Czentovic mit abfälligen Bemerk-ungen zu drängen, seine Überlegungsphasen zu kürzen. Dieser jedoch bleibt ganz ruhig und lässt sich davon nicht beirren. Letztendlich gewinnt Dr.B das Spiel, doch ist er sehr aufgeregt. Czentovic bietet ihm ein zweites Spiel an. Dr.B nimmt an, obwohl ihm davon abgeraten wird. Die Eröffnungszüge sind wieder schnell gezogen, doch nun greift Czentovic die Taktik auf, noch länger zu warten. Dr.B ist schon fast außer sich, als er einen Zug ansagt, der gar nicht möglich ist. Er entgeht knapp einem Nervenzusammenbruch, doch er fängt sich wieder. Dr.B entschuldigt sich höflichst, gibt das Spiel ab und verschwindet leise durch die Tür. Er spielte wohl alle Möglichkeiten auf Centovics Züge zu reagieren im Kopf durch, und verlor darüber die Kontrolle. Czentovic meinte hochnäsig, dass Dr.B gar nicht so schlecht spielte.
Interpretation
Meiner Meinung nach identifiziert sich Stefan Zweig teilweise mit dem genialen Dr.B. Beide haben viele Gemeinsamkeiten, wie z.B. die Reise von Amerika nach Brasilien. Beide sind irgendwie von der Außenwelt abgeschirmt. Dr.B durch sein Erlebnis im Gefängnis, wo er niemanden mehr hat, nicht einmal ein Buch, ihm fehlt das Verbindungsglied nach außen. Stefan Zweig erging es ähnlich. Nach dem Tod Freuds fehlte ihm ein Gesprächspartner mit dem er reden konnte. Er begann sich nach und nach zurückzuziehen.
Czentovic spielt dabei auch eine wichtige Rolle. Bei dem Spiel
gegen Dr.B wendet er die gleiche Taktik an wie sie die Nazis bei Dr.B versuch-ten. Er stellt ihn durch seine langen Überlegungsphasen vor das Nichts. Durch die Vorbelastung aus seiner Zeit in Haft ist schnell der alte Zustand hergestellt, bei der er nach und nach verrückt und schizophren wurde. Bei Zweig sind es zuerst die Nazis die ihn durch die Verbrennung seiner Werke vor das Nichts stellen, und später ist es er Tod der ihm sozusagen alles nahm. Dr.B konnte zwar die psychische Belastung durch die Gefangenschaft anscheinend überwinden, doch hatte er an Bord des Schiffes einen Rückfall den er zwar überlebte, die alten Gefühle aber wieder hervorbrachte. Zweig überwindet auch die Nazis, kann dann zwar in England halbwegs Fuß fassen, doch als Freud stirbt, was ungefähr dem Rückfall des Dr.B gleichbedeutend ist, versucht Zweig auch dies zu überwinden, doch er schafft es nicht ganz und begeht schließlich Selbstmord. Da die Geschichte nach der Schachpartie des Dr.B gegen Czentovic nicht weitergeht kann man nicht sagen, ob Dr.B dies überwinden kann. Ich glaube Zweig wollte die Geschichte nicht fortsetzen, da die Parallelen zwischen Zweig und Dr.B so offensichtlich sind, dass wenn Dr.B sterben würde, dies wie ein Abschiedsbrief wirken würde. Es könnte aber auch sein, dass Zweig die letzten Jahre seines Lebens überhaupt verdrängen wollte, und deshalb nicht darüber schrieb.
Die letzte Gemeinsamkeit ist natürlich das sowohl Dr.B als auch Stefan Zweig aus Österreich stammen.
Charakteristik
Dr.B
Czentovic
österreichischer Emigrant (Erzähler)
McConner
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