Der zerbrochne Krug
Autor
geb. 18. 10. 1777 in Frankfurt a. d. Oder, gest. 21. 11. 1811 in Berlin
Der aus einer alten preußischen Offiziersfamilie stammende Kleist trat mit 15 Jahren in das Potsdamer Garderegiment ein und nahm 1793-95 am Rheinfeldzug gegen das französische Revolutionsheer teil. 1799 verließ er die Armee, studierte drei Semester in Frankfurt a. d. Oder und verlobte sich 1800 mit Wilhelmine von Zenge. Kleist lebte zunächst in Berlin, wo er das Drama Die Familie Ghonorez entwarf. Der von Todessehnsüchten gepeinigte Dichter reiste gehetzt und ruhelos durch Deutschland, Frankreich und die Schweiz. Nach seelischem und körperlichem Zusammenbruch verbrannte Kleist das Manuskript seines Stücks über den heroischen Normannenherzog Robert Guiskard. 1804 trat Kleist wieder in preußische Dienste und arbeitete in Berlin und Königsberg (Amphitryon, 1807; Penthesilea, 1807/08). Nach dem Sieg Napoleons als angeblicher Spion verhaftet, bewegte sich Kleist nach seiner Freilassung im Kreise der Dresdener Romantiker (Adam Müller, Ludwig Tieck), gründete 1807 das Kunstjournal Phöbus und vollendete das Lustspiel Der zerbrochne Krug (1808) sowie das träumerisch-wunderbare Volksschauspiel Das Käthchen von Heilbronn (1808).Der einstige Anhänger Rousseaus wurde nun zum erbitterten Napoleon-Gegner und Fürsprecher eines deutschen Nationalismus (Die Hermannsschlacht, 1808; Kriegslyrik und politische Gedichte, 1808/09). Er verkehrte in Kreisen der Berliner Romantiker (Achim von Arnim, Clemens Brentano, Rahel Varnhagen) und war Herausgeber und Redakteur der Tageszeitung Berliner Abendblätter (1810/11). Kleist trat auch als begnadeter Essayist und Erzähler auf. In seinen Prosaarbeiten, von denen die Novelle Michael Kohlhaas (1810) vielleicht die bekannteste ist, werden meist außerordentliche Ereignisse in unnachahmlich dichtem Sprachstil poetisch gestaltet. Nach Vollendung des Prinzen Friedrich von Homburg (1811) in finanziellen Schwierigkeiten und persönlichen wie familiären Problemen, ging Kleist zusammen mit seiner Geliebten, der unheilbar kranken Henriette Vogel, in der Nähe des Berliner Wannsees am 21. 11. 1811 bewusst in den Tod.
Inhalt
In einem kleinen holländischen Dorf namens Huisum ist Adam Dorfrichter. Eines Tages erfährt er, dass ihm ein unerwarteter Besuch des Gerichtsrates Walter bevorsteht. Man sagt, dass er den Dorfrichter des benachbarten Dorfes Holla einsperren ließ und sich dieser darauf das Leben nehmen wollte. Durch jene Nachricht eingeschüchtert, versucht sich Adam bei Walter "einzuschleimen", indem er ihn von vorne bis hinten bedienen lässt. Zufälligerweise ist am selben Tag in Huisum Gerichtstag, der Tag, an dem die Dorfbewohner ihre Zivilprozesse führen können. Dadurch kommt Walter die Idee, im Gerichtssaal dem Dorfrichter Adam ein wenig auf die Finger zu schauen, um sich zu vergewissern, dass Adam ein kompetenter Richter ist.
Die erste Klage, die von Frau Martha Rull vorgebracht wird, handelt von einem Krug, den ihrer Aussage nach der Liebhaber ihrer Tochter zerbrochen haben soll. Die Wahrheit, die zu diesem Zeitpunkt noch keiner außer Eve kennt, ist aber, dass der Dorfrichter Adam aus Eves Zimmer durch das Fenster flüchten musste, weil Rupert, deren Liebhaber, im selben Moment die Tür zu ihrem Zimmer eintritt. Bei seinem Sprung aus dem Fenster wirft er nicht nur den besagten Krug um, sondern er verletzt sich auch am Kopf. Eve will die Wahrheit aber nicht preisgeben.
Die Klage von Frau Rull sieht Adam als perfekte Möglichkeit, Rupert die Schuld in die Schuhe zu schieben. Durch die Anwesenheit Walters ist es ihm jedoch nicht möglich, dies auf einfachem Wege und so schnell wie möglich zu machen, denn der Gerichtsrat hätte sein Vorhaben auf den ersten Blick durchschaut. Also muss Adam jeden Zeugen und beteiligten anhören, was er sonst nicht getan hätte. Durch einige verzwickte und versteckte Beweise schöpft jedoch Walter als einziger den Verdacht, dass etwas hier nicht mit rechten Dingen zugeht. Er verfolgt deshalb das Verfahren mit umso größerer Aufmerksamkeit und schafft es schließlich, den Richter mit einigen hinterlistigen Einwürfen in die Enge zu treiben, der daraufhin die Tat gesteht und aus dem Gerichtssaal flüchtet.
Als neuen Richter setzt Gerichtsrat Walter den Schreiber von Adam, nämlich Herrn Licht ein.
Figuren
Kommentar
Im Werk von Heinrich von Kleist ist eines der wichtigsten Motive die Lüge. Man kann sagen, das Ganze Drama lebt von der Lüge und dem Bestreben, die Unwahrheit von der Wahrheit zu trennen. Das Problem ist nur: Der Dorfrichter höchstpersönlich verbreitet ohne Unterlass Lügen, Halb- und Unwahrheiten, anstatt wie für seinen Beruf üblich, die Wahrheit herauszufinden. Sein Problem ist nur der plötzlich auftauchende Walter, den er typisch scheinheilig behandelt, wie zum Beispiel bei der Begrüßung: "Ei, willkommen! / Willkommen, gnädiger Herr, in unserem Huisum! / Wer konnte, du gerechter Gott, wer konnte / So freudigen Besuchs sich gewärtgen." (Vers 285 ff)
Auffallend ist auch der Umgang Adams mit der Klägerin und dem Geklagten: "Schweig, Maulaffe!" (Vers 606) oder "Hund, jetzt, verfluchter, schweig, / Soll hier die Faust den Rachen dir nicht stopfen!" (Vers 783 f). Man stelle sich vor, ein Richter würde heutzutage in diesem Ton mit den Leuten sprechen, noch dazu wenn er von seinem Vorgesetzten überwacht wird!
Das Drama ist wie die meisten Werke der Klassik in Versform geschrieben, es gibt aber selten Reime, was einen Schritt in Richtung Romantik erkennen lässt.
In diesem Werk sind auch einige biblische Parallelen zu erkennen, wie zum Beispiel in der Namensgebung. Adam und Eve sind meiner Ansicht nach sogenannte "sprechende Namen", da durch die beiden die "Katastrophe" am Ende des Werkes hervorgerufen wird (beide könnten mit einem Geständnis die Geschichte kurz uns schmerzlos beenden), sowie Adam und Eva im biblischen Schöpfungsbericht durch ihre Vergehen den Menschen über Gut und Böse, oder besser gesagt: Recht und Unrecht, entscheiden lassen. Adam ist im Drama der einzige, der keinen religiösen Glauben zu haben scheint, was sich darin zeigt, dass er in "seinem" Gerichtssaal kein Flehen zu irgendwelchen heiligen duldet: "Lasst Joseph und Maria aus dem Spiele." (Vers 803). Um im Schnee nach seinem Sprung aus dem Fenster keine Spur zu hinterlassen, benutzt er außerdem noch einen Pferdefuß, mit dem er die "Gangart" des Teufels nachzuahmen versucht. Der Trick gelingt: Die Dorfbewohner glauben, der Leibhaftige sei von Eves Fenster geflüchtet. Daraufhin wollen die Dorfbewohner nichts mehr mit der Angelegenheit zu tun haben, nur Walter ist schlau genug, der Sache auf den Grund zu gehen.
Aufbau
Dieses Lustspiel von Heinrich von Kleist ist in 13 Auftritte geteilt, wobei jeder dieser Aufritte etwa sechs bis sieben Seiten umfasst.
Gattung
"Der zerbrochne Krug" ist ein Musterbeispiel für ein analytisches Drama (Enthüllungsdrama): Das Handlungsschema ist so aufgebaut, dass für den dramatischen Konflikt wichtige Ereignisse vor der eigentlichen Bühnenhandlung geschehen, sie werden nur noch analysiert. Diese Vorgeschichte ist den Bühnenfiguren grundsätzlich nicht bekannt, nur einzelne Personen kennen Teilaspekte. Aus der Diskrepanz zwischen dem, was der Zuschauer weiß, und dem Nichtwissen einer Bühnenfigur entwickelt sich die dramatische Ironie.
Der Doppelsinn der Geschichte - nichts ist so, wie es scheint - ist ein durchgehendes Formprinzip des Stückes.
Durch folgende Mittel erhält das Publikum zusätzliche Hinweise:
Beiseite-Sprechen
Heimlicher Dialog, nur für den Zuschauer bestimmt
Vorausdeutende Träume
Dadurch ist das Publikum spätestens nach dem siebenten Auftritt Mitwisser bei den Machenschaften des Dorfrichters, es kann sich also darüber amüsieren, wie Adam mit allen Mitteln versucht, die Enthüllung seines Vergehens zu verhindern.
Sprache
Die Sprache dieses Werkes ist sehr umständlich, man kann sich kaum vorstellen, dass jemand wirklich so gesprochen hat. Diese komplizierte Sprache ist unter anderen auch ein Grund, warum sich das Werk nicht in die Romantik einreihen lässt, da sie ein typisches Merkmal der Klassik darstellt.
Geschichtliche Einordnung
Die Dichter Heinrich von Kleist und Friedrich Hölderlin lassen sich weder in die Klassik noch in die Romantik einordnen, sie fühlen sich keiner Gruppierung zugehörig und leben ihre literarischen Vorstellungen individuell aus.
Es gibt Merkmale der Romantik, wie zum Bespiel:
Entdeckung des Unbewussten und Irrationalem
Neigung zu Improvisation
Die "romantische Ironie"
Neben diesen "romantischen" sind auch Merkmale der Klassik zu finden, die eine eindeutige zeitgeschichtliche Einordnung unmöglich machen.
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