B u c h b e s p r e c h u n g
T h o m a s M a n n
M a r i o u n d d e r Z a u b e r e r
Thomas Mann wurde am 6. Juni 1875 in Lübeck geboren. Er war Sohn eines wohlhabenden Getreidehändlers. Seine Mutter war aus portugiesisch-kreolischer Familie. Nach dem Tode seines Vaters 1893 siedelte er nach München. Dort machte er eine Ausbildung bei einer Versicherungsgesellschaft. 1898, nach einer zweijährigen Italienreise, erschien sein erstes Buch, die Novelle "Der kleine Herr Friedemann". 1933 emigrierte er zuerst nach Tschechien und 1936 weiter in die Schweiz, wo er sich weitere 3 Jahre bis 1939 aufhielt. Er ging dann in die USA, wo er 1944 die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt. Dort vollendete er den Josephsroman und verfaßte einen seiner bedeutendsten Romane, den "Doktor Faustus". Nach dem Krieg kehrte Thomas Mann in die Schweiz zurück und lebte seit 1952 bei Zürich. Am 12. August 1955 starb der Dichter in Kilchberg bei Zürich.
Thomas Mann stand von Anfang an unter dem Einfluß Schopenhauers, Nietzsches und Wagners. Er ist einer der bedeutendsten Erzähler des 20. Jahrhunderts. Bereits in seinem ersten Roman, "Buddenbrooks", der den in der Lebensuntüchtigkeit des künstlerisch veranlagten jüngsten Sprosses gipfelnden Verfall einer Lübecker Kaufmannsfamilie schildert, kündigt sich das Thema seines Gesamtwerkes an. Die Gegensätze Bürger - Künstler, Leben - Geist werden von ihm in potenzierter Dialektik immer neu variiert, immer anders akzentuiert, einander spielerisch beziehungsreich angenähert. Wesentlichstes Mittel der Gestaltung ist die psychologische Darstellung der Charaktere. Besonders liebt er das Stilmittel der Ironie. Mit der Selbstparodie des Romans, der Ironisierung der Aussage und neuer Zeitbehandlung durchbricht Thomas Mann die Schranken des herkömmlichen Romans.
Der Bogen seines Werkes reicht von Familienroman über vollendet gestaltete Novellen, den großen Zeitromanen "Der Zauberberg" (1924), den Künstlerroman "Doktor Faustus" (1947) und den Schelmenroman "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" bis zu der Romanserie "Joseph und seine Brüder". Daneben hat Thomas Mann in zahlreichen Essays zu literarischen, philosophischen und politischen Fragen Stellung genommen. Er erhielt 1929 den Nobelpreis für Literatur. Er hatte als Meister der künstlerischen Prosa und als Mahner zu Humanität beträchtlichen Einfluß.
Inhalt
Die 1930 erschienene Novelle "Mario und der Zauberer" ist eine Reiseerzählung mit autobiographischem Hintergrund. Der Ich-Erzähler reist mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Kindern nach Italien in einen kleinen Badeort, namens Torre di Venere.
Mussolini hatte damals die Führung des faschistischen Italiens übernommen und die Leute waren stark nationalistisch eingestellt. Thomas Mann schildert detailliert die Eindrücke und Erlebnisse dieses Ferienaufenthalts.
Der Ich-Erzähler beschreibt die unfreundliche Haltung der Italiener gegenüber den ausländischen Touristen und den übersteigerten Nationalismus der Italiener. So muß die Familie zum Beispiel das Hotel verlassen, weil die kleine Tochter erkältet ist und hustet. Das wiederum sei eine Lärmbelästigung und darum sollten sie ihr Zimmer und infolge das Hotel verlassen.
Eine Woche vor ihrer Abfahrt kommt ein Zauberer, namens Cippola, in den Ort und gibt eine Vorstellung. Da die Kinder so herzlich bitten, geben die Eltern schließlich nach und gehen zusammen mit den Kindern und dem Rest der Menschen, die sich zu dem Zeitpunkt in dem Badeort aufhalten, zu der Zaubervorstellung.
Dort erleben sie ein kleines häßlich verstelltes Männlein, den Zauberer Cippola, der den ganzen Saal zu hypnotisieren versteht. Er läßt die Leute mit Hilfe seiner Peitsche völlig willenlos werden, um sie dann tanzen, springen oder sonstige Sachen nach seinem Willen machen zu lassen. Die Zuschauer bringen Cippola wenig Sympathien entgegen. Man ist viel mehr erstaunt, entsetzt und doch wieder belustigt von den Fähigkeiten jenes Mannes.
Am Ende seiner Vorstellung bittet er noch Mario, einen jungen Kellner, der mit den Kindern des Ich-Erzählers befreundet ist, nach vor auf die Bühne. Dort hypnotisiert ihn Cippola und bringt Mario dazu ihn zu küssen, im Glauben Cippola sei Marios Geliebte. Als aber Mario nach dem Erwachen den grauenvollen Irrtum bemerkt zieht er seinen Revolver und erschießt den Hypnotiseur.
Interpretation
Die Novelle "Mario und der Zauberer" geht bis auf den "letalen Ausgang" auf Selbsterlebtes zurück. Während eines Badeaufenthaltes in Forte bei Marmi bei Viareggio vom 31. August bis 13. September 1926, zu einem Zeitpunkt, da der Faschismus in Italien totalitär geworden war, erlebte der Dichter die "Episode mit einem Zauberer", die später ihren Niederschlag in dieser Novelle fand. Sie entstand im August 1929 und erschien im April 1930.
Als Thomas Mann "Mario und der Zauberer" schrieb, hatte er die reale historische Situation eines faschistischen Führerstaates vor Augen. Das Verhältnis Führer und Geführte war im Staat Mussolinis politische Wirklichkeit geworden. Die Partei herrschte, und diese wiederum war "zusammengefaßt unter dem einheitlichen Willen des "Führers" (Duce del Fascismo).
Thomas Mann bezieht auch im Gegensatz zu seinen früheren Werken, wie "Propheten", am Ende der Novelle eindeutig Stellung zum gewaltsamen Tod des Zauberkünstlers mit der Reitpeitsche: "Ein Ende mit Schrecken, ein höchst fatales Ende. Und ein befreiendes Ende dennoch, - ich konnte und kann nicht umhin, es so zu empfinden!"
Der Autor macht immer wieder Vergleiche mit und Andeutungen an die faschistischen Tendenzen in Deutschland und natürlich besonders in Italien (da die Novelle in Italien spielt), ohne aber die Faschisten direkt anzusprechen oder zu erwähnen.
Schon aus der Schilderung der Erlebnisse am Strand geht hervor, daß die Geführten, hier gereizte italienische Nationalisten, sich im Sinn eines Massenwahns oder Art Krankheit verhalten. Den Kindern des Touristenehepaares, die unter diesen Nationalisten zu leiden haben, erklären die Eltern, die Leute hier "machten soeben etwas durch, so einen Zustand, etwas wie eine Krankheit, wenn sie wollten, nicht sehr angenehm, aber wohl notwendig." Als ideologisches Element des italienischen Faschismus tritt ein mit Fremdenhaß und "Sittenstrenge" gepaarter Nationalismus in Erscheinung.
Die gespannte Situation verkörpert sich in Cippola, dem Zauberer. Er hat einen festen Willen zur Herrschaft. Cippola, der aus seiner faschistischen Gesinnung auch theoretisch keinen Hehl macht, gelingt die Unterwerfung der Menge und das ohne Gewalt. Er ist ein Führer mit realer Macht. Es kommt ihm freilich zugute, daß der Faschismus in Italien am Ruder ist und seine Auswirkung sich, wie überall im Lande, so auch in dem Badeort spürbar gemacht hat. Cippola holt sich seine Versuchspersonen aus dem "Volk" und "hütet sich, den vornehmen Teil seines Publikums zu belästigen". Die Ich-Person scheint ja auch zu keinem Zeitpunkt Bedenken zu haben, daß sie selbst auf die Bühne gerufen werden könnte. Mit unbehaglich gefesselten Gefühlen aber verfolgt sie dennoch das Programm, dessen zweite Hälfte "ganz offen und ausschließlich auf den Spezialversuch, die Demonstration der Willensentziehung und -aufnötigung gestellt ist".
In seiner Willensleere unterliegt das europäische Publikum dem faschistischen Zauberkünstler. Es wird von dessen robustem Willen in eine Masse von Geführten verwandelt; die Menschen reagieren nicht mehr, wie sie als Individuen reagieren würden. Nach der Pause gelingt Cippola die "Auflösung der kritischen Widerstände, die solange dem Wirken des unangenehmen Mannes entgegengestanden sind". Dies bedeutet den Sieg des Prinzips der Gewalt und für Thomas Mann war die Gewalt das Wesen des Faschismus.
Am eigenen Beispiel deutet Thomas Mann die Willensschwäche des Publikums, und zwar gerade auch des vornehmen Teils, an. Auch neben dem Programm, auch zwischen den Kunststücken findet sich das Touristenehepaar in seiner Entschlußkraft durch die "Faszination" gelähmt, die von Cipolla ausgeht, doch spiele überdies Neugier eine Rolle, weil es im Grunde um die Frage gehe, warum man nicht schon vorher Torre verlassen habe, wo es ebenso kränkend zugegangen sei.
Aber der großen Anzahl der Anhänger des Faschismus stehen andere gegenüber, die sich zur Wehr setzen und ihre Freiheit verteidigen wollen. In "Mario und der Zauberer" zeigt der Autor namentlich am Beispiel des Giovannottos, eines streitbaren jungen Mannes, eines Herrn aus Rom und eines "schnurrbärtig stattlichen Colonellos" die Fehler auf, die dabei begangen werden können. So heißt es im Bezug auf letzteren: "Er schien zu wollen und nicht zu können - aber er konnte wohl nur nicht wollen und es waltete da jene die Freiheit lähmende Verstrickung des Willens in sich selbst, die unser Bändiger vorhin schon dem römischen Herrn höhnisch vorausgesagt hatte."
Auf dem Höhepunkt der ausgelassen Stimmung des Publikums ruft der "im Erfolg thronende Mann" Mario, einen jungen Kellner, auf die Bühne. Bei der Begegnung mit Cippola verhält er sich weder aggressiv wie der Giovanotto noch verweigernd wie der Römer. Er ist weder im positiven noch im negativen Sinn von dem Zauberer beeindruckt. Er ist zerstreut, melancholisch, höflich. Ganz erfüllt von seiner unglücklichen Liebe, erschießt er Cipolla, der ihn darin zu entehren versucht hat, indem er die Bereitschaft in den Liebesgefühlen des jungen Mannes, sich täuschen zu lassen, ausnutzte. Die Ich-Person empfindet das Handeln Marios als ein zugleich fatales und befreiendes Ende. Thomas Mann zeigt hier, daß es, um gegen die faschistische Suggestion, die Versuchung durch das "Böse" einigermaßen gewappnet zu sein, weniger auf starken Willen und Vorsatz als auf den Schutz durch ein positives Ideal, einen Glauben, eine Liebe ankommt.
Der Ich-Erzähler des "tragische Reiseerlebnisses" empfindet das Ende Cippolas als ein vorgezeichnetes Ende - Thomas Mann hielt sich während der nationalsozialistischen Herrschaft daran aufrecht, daß "dieses vor Gott und den Menschen unmögliche Regime nicht bestehen könne, daß ihm trotz Gewalt und Müh' ein schändlicher Untergang unfehlbar vorgezeichnet sei".
Die Begegnung Marios mit Cippola ist eine Begegnung der "Macht des Anständigen mit derjenigen des Bösen, Dämonischen", wie es von Thomas Mann mit seinem fast märchenhaftem Blick beschrieben wird. Mario, der Cippola und sein "dunkles Spiel" erst dann richtig durchschaut, als er sich von ihm tödlich beleidigt fühlt, fällt, zur Waffe greifend, die Rolle des Guten zu. Das heißt, daß er im Augenblick des Tötens das Gute als Negation des Bösen vertritt, wenn auch nicht als positives Programm.
Nachdem Mario am Ende den Beleidiger von Torre di Venere und des Publikums erschossen hat, stürzt sich das ganze Publikum auf ihn. Mario erscheint als Objekt für die aufgestauten Aggressionen der selbst Unterdrückten, die sich nicht gegen die Ursache der Unterdrückung, nämlich Cippola, wenden, sondern gegen den "Sündenbock". Obendrein macht diese Stelle deutlich, daß nicht für alle Zuschauer, das heißt im übertragenen Sinne, nicht für alle einem faschistischen System enthobenen Menschen, die Auflösung des Verhältnisses von Führer und Geführten etwas Angenehmes, eine Erlösung, ein befreiendes Ende zu bedeuten braucht.
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