Ödön von Horvath
Geboren in Fiume (heute Rijeka) im damaligen Königreich Kroatien als Sohn eines ungarischen Diplomaten und seiner deutschen Frau. Verlebte seine Kindheit in großen Städten Mittel- und Südosteuropas, begann er 1919 in München Theaterwissenschaft, Philosophie und Germanistik zu studieren. 1920 wurde er Mitarbeiter am Simplicissimus und an der Jugend, 1923 freier Schriftsteller in Murnau, 1924 in Berlin (lernte dort die Dramen Brechts, Zuckmayrs, Fleißers und die Regisseure Piscator und Reinhardt kennen). Hielt sich in Oberbayern auf. Nach der Machtergreifung Hitler 1933 wurden ihm Proben am Theater untersagt; er kam daraufhin vorübergehend in Schutzhaft und floh nach Wien und im Anschluß daran nach Henndorf bei Salzburg.
Da durch die politischen Spannungen im Land (wegen des immer stärker werdenden rechtsradikalen Druckes) die Aufführungsmöglichkeiten von Horvaths Theaterstücken nicht ermöglicht werden konnten, beschränkte er seine Arbeit auf Romanerzählungen. Nach dem Anschluß Österreichs an Deutschland mußte er erneut über Ungarn, Prag und Amsterdam fliehen, bis er schließlich in Paris seßhaft wurde. Dort ereilte ihn zufällig wie absurd der Tod. Während eines Gewitters auf den Champs-Elysees wurde er von einem herabstürzenden Ast erschlagen.
Dramen:
Die Revolte auf Cote 3018 (später: Die Bergbahn (1927))
Sladek oder die schwarze Armee (1931)
Geschichten aus dem Wienerwald (1931)
Italienische Nacht (1931)
Die Unbekannte aus der Seine (1933)
Figaro läßt sich scheiden (1935)
Don Juan kommt aus dem Krieg (1936)
Romane:
Der ewige Spießer (1930)
Ein Kind unserer Zeit (1938)
Jugend ohne Gott (1938)
Das Stück entstand zwischen 1930 und 1931 und wurde an Max Reinhardts Deutschem Theater in Berlin unter der Regie von Heinz Hilpert und den Stars des Max Reinhardt-Ensembles (Hans Moser, Carola Neher, Paul Hörbiger, ) uraufgeführt.
Die Kritiken der führenden Tageszeitungen fielen äußerst unterschiedlich aus. Tatsache ist, daß Horvath mit diesem Stück die endgültige Anerkennung als Autor erringen konnte und sogar auf Vorschalg von Carl Zuckmayr 1931 mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet wurde.
Marianne: Tochter des Zauberkönigs
Marianne ist die Tochter des autoritären Spielwarenhändlers Leopold, der ihr eine Berufsausbildung verbietet. Ihr Emanzipationsversuch scheitert. Als sie von Alfred verlassen wird, gerät sie in die Kreise der Wiener Unterwelt. Parallel zu dem sozialen Abstieg Mariannes kommt es jedoch zu einer geistigen Bewußtseinserweiterung. Sie gibt die Vorstellung, daß sie in dieser Welt noch ehrliche Liebe finden könnte, auf. Ausgehend von einem verschwommenen Gottesbegriff findet sie zur Eigenverantwortlichkeit. Erst der Tod ihres Sohnes führt zum geistigen Zusammenbruch. Sie hat keine Kraft mehr, sich Oskar zu widersetzen. Die spießbürgerliche Weltanschauung erweist sich als siegreich.
Alfred: ein mit Valerie befreundeter Ganove
Alfred, Mariannes Geliebter, ist ein junger Mann, der es nicht schafft, sich selbst eine Existenz aufzubauen. Er lebt vom Geld seiner um viele Jahre ältere Freundin Valerie. Als Marianne in sein Leben tritt, will er ein flüchtiges Abenteuer, aber keine feste Verbindung. Er versucht, Konflikten aus dem Weg zu gehen und erweist sich als feig und verantwortungslos. Wenn er sich einer Verantwortung entzieht, stellt er das als Bestimmung des Schicksals hin. Im Gegensatz zu Marianne macht Alfred in geistiger Hinsicht keine Entwicklung mehr durch.
Oscar: Fleischhauer
Der Fleischhauer Oskar, Mariannes Verlobter, ist der Prototyp des spießigen Kleinbürgers. Sein sentimental-brutales Wesen und seine Veranlagung zum Sadomasochismus zeigen sich einerseits durch die brutale Behandlung, die er seiner Verlobten zukommen läßt, andererseits durch eine oberflächliche Religiosität und durch das Schwelgen in Selbstmitleid. Alle diese Eigenschaften sind typische Bestandteile der kleinbürgerlichen Mentalität.
Oskar wünscht ganz offen den Tod des kleinen Leopold herbei. Er wird so zum potentiellen Mörder, nicht nur für Leopold, sondern auch für Marianne in geistiger Hinsicht. Für sie verkörpert er den Tod in der Maske des Erotischen.
Die Großmutter Alfreds
ist eine Gegenfigur zu ihrer sich kultiviert gebenden Umwelt. Sie ist frei vom Zwang zur konventionellen Verstellung. Sie zeigt ihre Bösartigkeit direkt, was zur Folge hat, daß es in ihrer Umgebung meist zu Auseinandersetzungen kommt. Ohne Skrupel befördert sie den kleinen Leopold ins Jenseits, weil er eben nicht ins System paßt.
Alle anderen Personen des Stücks sind keine ausgeprägten Charaktere, sondern eher feststehende Typen.
Zauberkönig: Besitzer eines Spielwarengeschäftes; repräsentiert den autoritären Vater und Haustyrannen.
Valerie: Witwe (und Trafikantin) ist eine gutmütige ältere Dame, die sich ausnutzen läßt.
Der Rittmeister repräsentiert die zerfallene Donaumonarchie, also die gute alte Zeit.
Der Student Erich ist ein Hinweis auf das Aufkommen des Nationalsozialismus.
Die leidende Heldin Marianne geht an der egoistischen Gleichgültigkeit und alltäglichen Phrasenhaftigkeit der gewissenlosen Männerwelt zugrunde. Die Tochter des "Zauberkönigs", Marianne, ist mit dem Fleischhauer Oskar verlobt, verfällt aber dem charmanten Tunichtgut Alfred, der sich bisher von der Trafikantin Valerie hat aushalten lassen. Nun soll Marianne für ihn sorgen. Als sie aber beim Stehlen ertappt wird, verstößt sie ihr Vater. Mariannes und Alfreds Kind wird bei Alfreds Mutter in der Wachau erzogen. Dort wird es von der Großmutter langsam umgebracht, weil es nicht ehelich ist. Alfred kehrt zu Valerie zurück, und der gefühlvolle Oskar will nun endlich seine Marianne heiraten. Ein Happy-End, als ob nichts geschehen wäre: das "goldene Wiener Herz" hat über eine Portion Gemeinheit gesiegt. Das Stück ist darauf eine bitter-ernste Satire.
Marianne, die Tochter eines Spielwarenhändlers, ist mit dem Fleischhauermeister Oskar verlobt. Bei der Verlobungsfeier im Wiener Wald leistet sie sich einen Seitensprung mit Alfred, einem Lebemann, der nicht viel taugt. Als sie dabei entdeckt wird, löst sie die Verlobung mit Oskar. Ihr Vater wirft sie aus dem Haus. Sie lebt nun mit Alfred zusammen. Als sie ein Kind bekommt, überredet Alfred sie, den kleinen Leopold zu seiner Mutter und Großmutter in die Wachau zu geben.
Marianne wird von Alfred verlassen und muß in einem drittklassigen Nachtlokal ihr Geld verdienen. Sie wird dort von ihrem Vater und ihren Freunden erkannt. Anschließend wird sie als Diebin verdächtigt und in Untersuchungshaft gesteckt.
Valerie, der ehemaligen Freundin Alfreds, gelingt es schließlich, Marianne mit ihrem Vater und ihrem ehemaligen Verlobten auszusöhnen. Als die ganze Familie in die Wachau fährt, um den kleinen Leopold heimzuholen, wird bekannt, daß das Kind an einer Erkältung gestorben ist. Marianne ahnt, daß die Großmutter mit im Spiel war, und will sie erschlagen. Oskar hindert sie jedoch an ihrem Vorhaben. Die Familie verläßt die Wachau. Marianne wird von Oskar getröstet, den sie nun nicht mehr abzulehnen wagt.
In seinen Stücken versucht Horvath eine neue Form des Volksstückes zu finden. Dabei schreibt er meist über sozialkritische, sich im Kleinbürgertum abspielende Probleme und Schicksale und interpretiert diese manchmal absichtlich übertrieben zynisch. Horvath zeigt die Brutalität und Gemeinheit hinter der seelenvollen Fassade. Er schreibt nicht mehr, wie es in früherer Zeit üblich war, über die heile Welt, die mit Klischees nur so überfüllt war. Damit will er seinem Publikum einen Spiegel vor das Gesicht halten, um es zu demaskieren.
Das Stuck spielt Ende der Zwanziger Jahre, Der Autor hält sich nicht an die Einheit von Zeit, Raum und Handlung. Das Drama erstreckt sich über einen Zeitraum von ungefähr einem Jahr. Die Orte der Handlung sind Wien, der Wiener Wald und die Wachau. Es gibt zwei Handlungen, eine in Wien und eine in der Wachau, wobei der letzte Schauplatz für den Anfang und das Ende des Stücks einen Rahmen bildet. Dieses Volksstück besteht aus drei Teilen. Im ersten Abschnitt werden die Personen in der Wachau und in Wien in ihrer gewohnten Umgebung vorgestellt. Es kommt zur entscheidenden Begegnung zwischen Alfred und Marianne, was die Auflösung von Mariannes Verlobung zur Folge hat.
Im zweiten Teil folgt das traurige Leben Mariannes mit Alfred und dem gemeinsamen Kind. Die junge Mutter wird verlassen und kommt auf die 'schiefe' Bahn.
Im dritten Abschnitt findet die Begegnung zwischen Marianne und ihrem Vater statt. Dies stellt den dramaturgischen Höhepunkt des Stücks dar. Es erfolgt die Versöhnung. Das zu erwartende glückliche Ende bleibt jedoch aus. Der Tod des kleinen Leopolds bedeutet eine Katastrophe. Marianne ist gezwungen, in die kleinbürgerliche Welt, aus der sie ausgebrochen ist, zurückzukehren.
Mit Ausnahme des deutschen Studenten Erich, der Hochdeutsch spricht, bedienen sich die Personen der österreichischen Umgangssprache. Die Sprechweisen unterscheiden sich jedoch voneinander und tragen zur Charakterisierung bzw. zur Typisierung der Figuren bei. Marianne, Alfred und Valerie haben eine etwas rührselige, kleinbürgerliche Ausdrucksweise. Alfred verwendet besonders gern leere Phrasen. Mariannes Vater und besonders ihr Verlobter Oskar werden durch eine sehr brutale Sprechweise charakterisiert. Bei der Großmutter tritt an die Stelle der zivilisierten Außerungsform eine Art urtümliche Elementarsprache, die sich zwischen Infantilität und Senilität bewegt.
Das zentrale Thema ist die Kritik am Kleinbürgertum der Zwischenkriegszeit. Die Spießerideologie eines heruntergekommenen Bürgertums, das in seinem Seelenleben ausgelaugt, in seiner Moral korrumpiert (verdorben) ist, wird bloßgestellt.
Ein weiteres Thema ist die Zerstörung der Frau unter dem Deckmantel der Liebe. Oskars kitschige Romantik macht bald der Triebdynamik Platz, der sich die psychisch gebrochene Marianne nicht widersetzen kann.
Außerdem wendet sich Horvath gegen die gesamtgesellschaftliche Verblendung dieser Periode. Die allgemeine Sehnsucht nach der 'guten alten Zeit' vor dem Ersten Weltkrieg und die seelische Ausgelaugtheit des Kleinbürgertums machen es den Nationalsozialisten leicht, in Österreich Fuß zu fassen. Somit ist dieses Volksstück als Aufklärungsstück für die breite Masse gedacht.
Roman
Deutschland 1937
Hauptfigur, und zugleich Ich Erzähler, ist ein 34jähriger Lehrer, der in einem Gymnasium Geschichte und Geographie unterrichtet. Obwohl er jede oppositionelle Handlung oder Außerung zu vermeiden sticht, gerät er durch seine Bemerkung im Unterricht, 'auch Neger seien Menschen' - eine Bemerkung, die zeigt, daß er an humanen Grundsätzen festhält, in Konflikt mit seinen Schülern und deren Eltern, die Anhänger des herrschenden Regimes sind. Auf Anordnung der Schulbehörde begleitet er seine Schüler zu einem Zeltlager, das der militärischen Ausbildung dient. Während des Zeltlagers lernt Z, ein Schüler, ein verwahrlostes Mädchen, Eva, kennen und verliebt sich in sie. Er trifft sie heimlich nachts, und der Lehrer erfährt davon, als dieser heimlich Z's Tagebuch liest.
Z hat festgestellt, daß jemand in seine Geheimnisse eingedrungen ist, und sein Verdacht fällt, da der Lehrer schweigt, auf seinen Zeltmitbewohner N. Dieser kehrt von einem Marsch der Klasse nicht zurück. Als er erschlagen aufgefunden wird, bekennt Z sich schuldig, ihn ermordet zu haben. Der Lehrer ist überzeugt, an dem Verbrechen mitschuldig zu sein, und unter dem Eindruck einer Gottesvision entschließt er sich, seine Mitwissenschaft zu bekennen, obwohl er weiß, daß ihn diese Aussage seine Stellung kosten wird. Daraufhin bricht auch das Mädchen Eva ihr bisher gewahrtes Schweigen und berichtet, daß ein ihr unbekannter Junge den Mord begangen habe.
Die Mordanklage gegen Z wird fallengelassen, das Mädchen aber, das Z durch ihr Geständnis hatte decken wollen, gilt nun als die Schuldige. Der Lehrer ist überzeugt, daß sie die Wahrheit spricht, und versucht nun den Mörder ausfindig zu machen.
Er verdächtigt Schüler T, auf den die Beschreibung paßt. Schließlich findet er Kontakt zu einer Gruppe oppositioneller Jugendlicher, die ihn bei seinen Bemühungen unterstützen, T zu überführen. Sie stellen T eine Falle, doch dieser entgeht ihnen. Der Mordfall wird schließlich aufgeklärt, als T, der glaubt, seine Schuld sei entdeckt worden, die Tat eingesteht und sich das Leben nimmt.
Der Roman endet mit dem Abschied des Lehrers, der eine neue Aufgabe in einer Missionsschule in Afrika gefunden hat.
Horvaths Roman läßt zwei Handlungen erkennen:
Die äußere Handlung: Mord an 'Z' - überraschende Wendung mit Freispruch des 'T'. Strukturelemente des Kriminalromans sind zu erkennen (mehrere Verdächtige, Tatmotiv fehlt, kein Zeuge,)
Die innere Handlung: Verhalten und Veränderung des Lehrers (moralische Wandlung)
Die Thematik des Werkes ist das faschistische Verhalten einer Schulklasse am Vorabend der Machtergreifung durch die NS. Horvath zeigt die Ideologie und die moralische Deformierung der Jugend im Faschismus. Diese wird durch Erziehung der Jugend zu Rassismus und Kriegsbegeisterung durchgesetzt. Die Ideologie wird im Denken und Verhalten der Jugendlichen durch mächtige Massenmedien erreicht (Propaganda), die keinen Widerstand duldet und auf die Vernichtung von intellektuellem und moralischem Widerstand aus ist. Die emotionale Kälte der Jugendlichen macht sie unfähig zu humanem Empfinden und Handeln.
Horvaths Roman kann auch heute noch Aufschluß über subjektive Reaktionen auf den Faschismus geben und dessen kritische Bewertung und emotionale Ablehnung fördern.
Ende
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