Der Talisman
Posse mit Gesang in drei Akten
Die wichtigsten Personen:
Titus Feuerfuchs, ein
vazierender Barbiergeselle
Frau von Cypressenburg, Witwe
Plutzerkern, Gärtnergehilfe, im Dienste der Frau von Cypressenburg
Monsieur Marquis, Friseur
Spund, ein Bierversilberer
Salome Pockerl, Gänsehüterin
Inhalt :
Der Barbiergeselle Titus Feuerfuchs tut sich schwer im Leben und in der Arbeit, denn er hat brandrote Haare. Dass die Menschen gegen diese ein Vorurteil haben, hat auch die Gänsemagd Salome Pockerl erfahren müssen, denn selbst der häßlichste Bursche im Dorfe weigert sich, mit einer Rothaarigen zu tanzen. Kein Wunder, wenn sich Salome zum Leidensgenossen Titus hingezogen fühlt. Mit diesem scheint allerdings das Schicksal Größeres vorzuhaben. Der Friseur Marquis, dessen scheugewordenen Gaul Titus zum Stehen bringt, schenkt seinem Lebensretter eine schwarze Perücke, die ihm die Gunst der Gärtnerswitwe Flora Baumscheer gewinnt. Sie steckt den Dunkellockigen in die Kleider ihres verstorbenen Mannes und macht ihn zum Gartenaufseher. Als solcher erblickt ihn die Kammerfrau Constantia, die ebenfalls darunter leidet, Witwe zu sein. Der Schwarzkopf gefällt ihr, und sie beordert ihn als Obstlieferant ins Schloß.
Titus hat den Dienst bei der Gärtnerin mit der Uniform und Stellung eines Jägermeisters vertauscht. Jedoch der Friseur Marquis, der Constantia seit langem verehrt, wittert in Titus einen Rivalen und nimmt ihm, während der Nebenbuhler schläft, kurzerhand die schwarze Perücke vom Kopf. Inzwischen ist der Ruf des neuen Jägermeisters bis zu Frau von Cypressenburg und ihrer Tochter Emma gedrungen. In verzweifelter Eile stülpt sich Titus, der einen raschen Griff in Marquis´ Bestände getan hat, statt der schwarzen eine blonde Perücke auf. Der Blondschopf gefällt der schriftstellerisch tätigen Freifrau so sehr, dass sie ihn zu ihrem Sekretär ernennt. Als dieser aber bei einer Abendgesellschaft aus den Memoiren seiner Gebieterin vorlesen soll, wird er von den rachesüchtigen Witwen und dem Marquis als Perückendieb entlarvt und mit Schimpf und Schande aus dem Hause gejagt.
Der schwerreiche Bierversilberer Spund, Titus´ Onkel, der sich bisher um den rothaarigen Neffen kaum gekümmert hatte, ist diesem nachgereist und will ihm in der Stadt einen Barbierladen einrichten, damit der Außenseiter der Familie keine Unehre mache. Salome, der Spund sein Herz ausschüttet, schickt diesen aufs Schloß, wo der Gesuchte sich aufhalte. Als man im Schlosse erfährt, daß der Hinausgeworfene einen so gewichtigen Onkel habe, beeilt man sich, ihn zurückzurufen. Bevor Titus dorthin aufbricht, verbirgt er die fatalen roten Haare unter der grauen Perücke des seligen Gärtnermeisters Baumscheer. Die bestürzte Frage Spunds, wohin die roten Haare gekommen seien, benützt Titus zu der Beteuerung, der Kummer über das bisherige lieblose Verhalten seines Oheims habe ihn frühzeitig ergrauen lassen. Gerührt will Spund ihn zum Universalerben einsetzen. Die Witwen schöpfen neue Hoffnung. Als der
Notar das Testament beglaubigen will, wird Titus abermals entlarvt. Frau von Cypressenberg besänftigt den Zorn des Bierversilberers, aber Titus erklärt, er verzichte auf die Erbschaft und sei zufrieden, wenn Spund ihm zu einem Barbierladen verhelfe. Und weil er damit diejenigen nicht heiraten könne, die rote Haare nur an einem Universalerben verzeihlich fänden, wähle er die Salome, die ihm seine Haarfarbe nie zum Vorwurf machen werde.
Entstehung:
Die Handlung geht auf ein französisches Vaudeville-Stück 'Bonaventure' von Duperty und de Courey zurück. Nestroy hat aus der Vorlage, die er in der Bibliothek gelesen hatte, eine seiner an heiteren Situationen reichsten Komödien gemacht.an der heute noch jedes Wort lebendig, jede Szene überwältigend wirkt. Erstaufführung der Posse "Talisman" war am 16. Dezember 1840 im
Theater an der Wien.
Der Autor:
Als Sohn eines Wiener Rechtsanwalts am 7.12.1801 in Wien geboren. Er brach das Studium der Rechtswissenschaft nach einem Jahr ab und begann eine Sängerlaufbahn in Wien, 1822-25 in Amsterdam. Es folgten Engagements in der österreichischen Provinz, wobei er immer mehr als Schauspieler auftrat; Stationen waren Brünn, Graz und Preßburg. 1832 wurde er Mitglied des Ensembles im Theater an der Wien,1845 wechselte er an das Leopoldstädter Theater. 1860 zog er sich in den Ruhestand nach Graz zurück, wo er am 25.5.1862 starb.
Seine wichtigsten Werke:
1833 Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt
1834 Die Familien Zwirn, Knieriem und Leim
1835 Zu ebner Erd und erster Stock
1837 Das Haus der Temperamente
1840 Der Talisman
1841 Das Mädl aus der Vorstadt
1842 Einen Jux will er sich machen
1843 Liebesgeschichten und Heiratssachen
1844 Der Zerrissene
1849 Freiheit in Krähwinkel
1862 Frühere Verhältnisse
Ausgewählte Textstelle:
Diese Stelle wurde von mir ausgewählt, weil sie ein für die Possen Nestroys typisches Lied, ein sogenanntes Couplet, enthält und auch deutlich zeigt, dass der Autor sich im Stück "Talisman kritisch mit dem Thema Vorurteile auseinandersetzt. Gleichzeitig kann man sowohl im Lied als auch im Prosateil Nestroys Wort- und Sprachwirt deutlich erkennen.
Fünfte Szene
Titus Feuerfuchs (tritt während des Ritornells des folgenden Liedes erzürnt von rechts vorne auf)
Lied:
Der hat weiter nit
g'schaut,
Beinah' hätt' ich'n g'haut;
Der Spitzbub', 's is wahr,
Lacht mich aus weg'n die Haar'!
Wen geht's denn was an,
Ich hoff doch, ich kann
Haar' hab'n, wie ich will,
Jetzt wird's mir schon z'viel!
Rote Haar' von ein' falschen Gemüt zeig'n soll'n?
's is's Dümmste, wann d' Leut' nach die Haar' urteil'n woll'n.
's gibt G'schwufen g'nug mit ein' kohlrab'nschwarzen Haupt
Und jede is ang'schmiert, die ihnen was glaubt;
Manch blondg'lockter Jüngling is beim Tag so still
Und schmachtend - warum? Bei der Nacht lumpt er z' viel!
Und mit eisgraue Haar' schaun die Herrn aus so g'scheit
Und sein oft verruckter noch als d' jungen Leut'!
Drum auf d' Haar' muß man gehn,
Nachher trifft man's schon schön.
(Drohend in die Szene blickend, von woher er gekommen.)
Mir soll einer traun,
Der wird sich verschaun,
Auf Ehr', dem geht's schlecht,
Denn ich beutl' ihn recht;
Der Kakadu is verlor'n,
Wenn ich in mein' Zorn
Über d' Haar' ein' kumm,
Der geht glatzkopfet um.
Die rothaarig'n Madeln, heißt's, betrüg'n d' Männer sehr;
Wie dumm! Das tun d' Madeln von jeder Couleur.
Die schwarz'n, heißt's, sein feurig, das tut d' Männer locken,
Derweil is a Schwarze oft d' fadeste Nocken.
Die Blonden sein sanft? O! A Blonde is a Pracht!
Ich kenn' eine Blonde, die rauft
Tag und Nacht.
Doch mit graue Haar' sein s' treu, na, da stund man dafur,
Nit wahr is, die färb'n sich s' und geb'n auch keine Ruh' -
Drum auf d' Haar' muß man gehn,
Nachher trifft man's schon schön.
So kopflos urteilt die Welt über die Köpf', und wann man sich auch den Kopf aufsetzt, es nutzt nix. Das Vorurteil is eine Mauer, von der sich noch alle Köpf', die gegen sie ang'rennt sind, mit blutige Köpf' zurückgezogen haben. Ich hab' meinen Wohnsitz mit der weiten Welt vertauscht, und die weite Welt is viel näher, als man glaubt. Aus dem Dorngebüsch z'widrer Erfahrungen einen Wanderstab geschnitzt, die Chiappa-via-Stiefel angezogen und 's Adje-Kappel in aller Still' geschwungen, so is man mit einem Schritt mitten drin in der weiten Welt. - Glück und Verstand gehen selten Hand in Hand - ich wollt', daß mir jetzt ein recht dummer Kerl begegnet', ich sähet das für eine gute Vorbedeutung an.
Persönliche Stellungnahme:
Das Werk habe ich gewählt, weil mir eine Komödie besser gefällt als ernste Dramen oder Tragödien. Nestroy-Stücke kenne ich von verschiedenen Ausschnitten im Fernsehen, die recht lustig schienen. Beim Lesen hatte ich allerdings Probleme, denn manche Ausdrücke klingen heutzutage etwas veraltet, manche Stellen sind auch kompliziert formuliert. Allerdings gefällt mir die Verwechslungshandlung sehr. Der rasche Aufstieg des rothaarigen Helden erfolgte dadurch, dass jede seiner Gönnerinnen ihn in die Kleider ihres verstorbenen Mannes steckte, das ist ein ebenso einfacher wie genialer Einfall. Auch das Grundthema hat mich angesprochen: Die Menschen urteilen zu sehr nach Außerlichkeiten und haben zu viele Vorurteile anderen Menschen gegenüber.
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