Titel: Schachnovelle
Autor: Stefan Zweig
Ein als Schachspieler mäßig dilettierter Ich-Erzähler berichtet von seiner Begegnung mit dem Weltschachmeister Mirko Czentovic, den ein selbstgefälliger Millionär gegen Honorar zu einer Simultanpartie herausfordert. Der primitive und zugleich arrogante Czentovic, ein 'Spezimen der intellektueller Eingleisigkeit', beherrscht fast automatisch die kalte Logik des königlichen Spiels; er tritt als halb analphabetischer Roboter auf, der alles mit 'ordinärer Habgier' überspielt. Ein fremder Herr, der österreichische Emigrant Dr. B., greift beratend in die hoffnungslos verfahrene Partie ein und rettet gegen den eiskalt operierenden Weltmeister ein schmeichelhaftes Remis. Dr. B., als Vermögensverwalter großer Klöster von der Gestapo verhaftet, hatte sich - in einem Hotelzimmer von der Außenwelt abgeschnitten - vor nervlicher Zermürbung und geistiger Aushöhlung bewahrt, indem er Monate lang eine Sammlun von Meisterpartien blind durchspielte und mit diesen intellektuellen Exerzitien jene Widerstandskraft zurückgewann, die ihm tägliche Verhöre abverlangten. Später dachte er sich zu den alten Partien neue aus und überwand so die völlig raumlose und zeitlose Leere; schließlich um nicht wieder in das Nichts der zermürbenden Langeweile zurückzufallen, spielte er notgedrungen gegen sich selbst - eine Paradoxie wie über den eigenen Schatten zu springen. Diese 'Schachvergiftung' verursachte ein Nervenfieber, das seine Entlassung bewirkte. Zum ersten Mal nach seiner Entlassung spielt nun Dr. B. auf einem richtigen Schachbrett gegen einen kongenialen Gegner. Sein Motiv ist einzig die posthume Neugier, festzustellen ob das in der Zelle Realität oder schon Wahnsinn gewesen ist. In der ersten Partie schlägt er den Weltmeister souverän; gegen seinen ursprünglichen Willen läßt er sich auf eine Revanche ein und verfällt wieder in jenes Nervenfieber, das damals seinen Zusammenbruch herbeigeführt hatte. Er denkt in weiten Zügen voraus, und sagt seinem Gegner schon ein Schachmatt an, welches sich erst im Laufe des Spieles gezeigt hätte. Dr. B. muß die Partie abbrechen, entfernt sich, um nie wieder ein Schachbrett zu berühren. Sensibilität und differenzierte Intelligenz unterliegen dem brutalen Ungeist.
Zweig 1881-1942 erschienen 1941
letzte abgeschlossene Prosadichtung Zweigs - kurz vor Selbstmord im Exil. Sie prangert auf dem Hintergrund des 2. Weltkrieges die Brutalität der fasch. Regime an und entlarvt im Geist bürgerl. Humanität die natsoz. Terrormethoden.
Mit dem resignativen Schlußakkord der Novelle will Zweig gleichsam metaphorisch auf die Gefährdung der abendländischen Kultur durch die faschistische Gewaltpraxis hindeuten. Im Schicksal des exilierten, ehemaligen Gestapohäftlings leuchtet schlaglichtartig ein größeres Schicksal auf, unter dem zur Entstehungszeit der 'Schachnovelle' Millionen von Verfolgten in den Konzentrationslagern des Hitlerregimes zu leiden gezwungen waren. Verselbstständigt sich Zweigs Kunst der psychologischen Analyse und der effektvollen, auf spannende Höhepunkte berechneten Handlungsführung in zahlreiche anderen Novellen, so steht sie hier im Dienst einer politischen Anklage. Deren Hilflosigkeit ist freilich schon in der von Zweig vertretenen bürgerlich-ästhetischen Humanität begründet, die durch ihren unpolitischen Charakter notwendig Opfer des Faschismus werden mußte.
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