SIMON STEINER
oder: Wie Gewalt entstehen und
wohin sie führen kann
Der Roman "Katharina Blum", geschrieben von Heinrich Böll, geboren 1917 in Köln, spielt im Jahr 1974, vier Tage lang: von Mittwoch den 20. Februar bis Sonntag den 24. Februar, zur Karnevalszeit und zwar in einer Stadt am Rhein in Deutschland.
Die Hauptpersonen des Romans sind die Hausangestellte Katharina Blum, der Jurist Dr. Blorna und seine Ehefrau Dr. Trude Blorna, welche ihre Arbeitgeber sind, Else Woltersheim, Katharinas Tante, der Kommissar Beizmenne und der Staatsanwalt Hach.
Der Roman handelt von einer jungen Frau, die durch Zufall aufgrund einer Liebesbeziehung zu einem gesuchten Verbrecher in den Mittelpunkt der Sensationspresse gerät. Sie verkraftet die Verleumdungen nicht und erschießt den verantwortlichen Journalisten.
Katharina ist 27 Jahre alt und Hausangestellte. Sie ist eine schlanke, attraktive Person. Ihre besonderen Interessen gelten hauptsächlich ihrem Beruf, ihrer Eigentumswohnung und ihrem Auto.
Zur Vergangenheit und Vorgeschichte:
Katharina Blum wurde 1947 in Gemmelsbroich geboren. Der Vater war Bergarbeiter und verstarb als Katharina sechs Jahre alt war. Die Mutter arbeitete als Putzfrau und lebte nur von einen kleinen Rente. Sie hatte ein Alkoholproblem. Der Bruder von Katharina war straffällig. Katharina musste schon früh im Haushalt mithelfen. Sie war eine gute Schülerin, besuchte eine Hauswirtschaftsschule und arbeitete sich zur staatlich geprüften Wirtschafterin vor. Sie heiratete mit 20 Jahren, beendete die Ehe aber schon nach einem halben Jahr wegen unüberwindlicher Abneigung, gegen die Zudringlichkeiten des Ehemannes. Sie zog in die Stadt und arbeitete später bei dem Ehepaar Blorna, das ihr auch bei der Finanzierung der Eigentumswohnung behilflich war.
Verhaltensweisen:
Katharina Blum wird als ruhige freundliche, etwas kühle Person geschildert (S.52) und als treuer, fleißiger und hilfsbereiter Mensch. Außerdem wird sie als pedantische, ordnungsliebende und korrekte Person mit gutem Gespür für Organisation und Buchhaltung dargestellt (S.29: siehe Vernehmungsprotokoll)
2.3. Haltung zu anderen Personen:
Zur Tante Else Woltersheim besteht ein enges vertrautes Verhältnis (S.15), dem Ehepaar Blorna gegenüber empfindet sie große Dankbarkeit, und empfindet sie als "gütig" (S.30). Gegenüber dem Kommissar Beizmenne hat sie kein Vertrauen, da er durch seine ungehobelten Außerungen ihre Intimsphäre verletzt. (S.19, 32). auf die Verwaltungsangestellten wirkt sie humorlos (S.27). Die Hausbewohner empfinden sie als adrett, freundlich und kühl (S.31).
2.4.Inneres Erscheinungsbild / Gefühle
Katharina ist nicht bestechlich, stolz wehrt sie das Angebot ab, während der Vernehmung Kaffee und Brötchen anzunehmen und bezahlt ihren Tee selber.
Ludwig Götten gegenüber, dem gesuchten Deserteur, empfindet sie Liebe und Zärtlichkeit. Nach der Nacht mit Götten wirkt sie entspannt und glücklich, wenn er sie angerufen hat, reagiert sie wie andere Verliebte auch (S.28, 57, 59): "Mein Gott er war es eben, der da kommen soll, und ich hätte ihn geheiratet und Kinder mit ihm gehabt - und wenn ich hätte warten müssen, jahrelang, bis er aus dem Kittchen wieder raus war." Auf Beizmennes plump-vertrauliche Art, reagiert sie hilflos und beschämt, sie wird rot (S.19, 31). Sie ist empört über die falsche Einschätzung ihrer Person, was die Herrenbesuche betrifft (S.29, 31), sie reagiert verbockt (S.32) und zornig auf die Machenschaften der Zeitung (S.37), sie nennt sie "Schweine". Je mehr Lügen in der Zeitung über sie verbreitet werden, um so ängstlicher, eingeschüchterter und entsetzter reagiert sie (S.36, 60). Im Laufe der Zeit wird sie verstört und apathisch (S.61, 71) um dann aber wütend und planvoll zerstörerisch auf die anonymen Anrufe und Briefe, die sie infolge der ehrverletzenden Berichterstattung erhalten hat, alles zu zerschlagen, was sich in ihrer Nähe befindet (S.78). Später nimmt sie ruhig und gefasst, aber auch kaltblütig Kontakt mit dem Journalisten auf, der durch seine Berichterstattung ihr Leben ruiniert hat und verspricht ihm ein Interview (S.91, 107, 111). Sie erschießt ihn, ohne Reue zu empfinden (S.12) und ist eher glücklich und nicht deprimiert nach der Tat, weil sie "unter denselben Bedingungen wie mein lieber Ludwig" lebt (S.126).
3.1. Einteilung in Abschnitte
Es handelt sich um einen Erzählbericht, der insgesamt 58 knapp gefasste Kapitel umfasst. Der Erzähler gibt vor, dass er bestimmte Quellen gesammelt hat, um dem Geschehenen in Anlehnung an die Realität gerecht zu werden (S.7, 134). "Man ist in der glücklichen Lage, diese Schilderung wörtlich zu zitieren, da Katharina alle schriftlich niederlegte und Blorna zur Verwendung beim Prozess überließ." Er benutzt Aussagen und Berichte des Bekanntenkreises von Katharina, sowie Vernehmungsprotokolle der Polizeibehörde. Der Erzählbericht umfaßt einen Zeitraum von nur vier Tagen, und zwar von Mittwoch, 20. Februar 1974 bis den darauf folgenden Sonntag, wobei der Erzähler immer wieder Vor- und Rückgriffe vornimmt (S. 15, 21, 39, 43, 56, 75 usw.) Der Erzähler schaltet sich ein durch Unterbrechung der Fakten und gibt sein Anliegen zu erkennen (S.10). "Es soll hier nicht so viel von Blut gesprochen werden" Denn nicht Mord und "gewisse Farbeffekte" sind dem Erzähler wichtig, da sie ein beliebtes Thema der Massenmedien sind, sondern es soll sozusagen von einer höheren Warte auf die Handlung gesehen werden. Der Anfang des Berichtes beginnt mit dem Ende der Geschichte. Der Leser erfährt im Laufe der Zeit "wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann" wie im Untertitel bekannt gegeben. In sofern entwickelt sich der Spannungsbogen, wie in der Charakterisierung dargestellt, über die Gefühlswelt der Katharina.
3.2. Erzählperspektive
Es handelt sich um eine auktoriale Erzählsituation.
Es spricht ein allwissender Erzähler, der sich ständig in den Handlungsablauf einmischt, kommentiert, reflektiert und das erzählte Geschehen erklärt. So erhält der Leser den Eindruck einer objektiven, sachlichen Berichterstattung. Aber die Distanz des Erzählers wird nicht durchgehalten, sein moralischer Anspruch wird immer wieder spürbar: (s. S. 13) "gehen wir von diesem äußerst niedrigen Niveau sofort wieder auf höhere Ebenen".
Wie auch die Handlungsebene ständig wechselt, wechselt auch der Satzbau. Es gibt sowohl verschachtelte als auch ganz kurze Sätze (S.13): "Die Wohnung der Katharina Blum ist inzwischen gesäubert, die unbrauchbaren Teppiche sind auf dem Abfall gelandet, die Möbel abgewischt und zurechtgerückt, das alles auf Kosten und Veranlassung von Dr. Blorna, der sich dazu durch seinen Freund Hach bevollmächtigen ließ, wenn auch noch lange nicht sicher ist, dass Blorna der Vermögensverwalter sein wird." (S.126) "Sie gilt als vorbildliche Gefangene, arbeitet in der Küche, soll aber, wenn sich der Beginn der Hauptverhandlung noch hinauszögert, in die Wirtschaftsabteilung (Ökonomie) versetzt werden; dort aber - so ist zu erfahren - erwartet man sie keineswegs begeistert: man fürchtet - auf Verwaltungs- und auf Häftlingsseite - Den Ruf den Korrektheit, der ihr vorangeht, und die Aussicht, das Katharina möglicherweise ihre ganze Haftzeit - man rechnet damit, dass fünfzehn Jahre beantragt werden und dass sie acht bis zehn Jahre bekommt - im Wirtschaftswesen beschäftigt werden soll, verbreitet sich als Schreckensnachricht durch alle Haftanstalten." Es gibt noch weit aus längere und kompliziertere Sätze (z.B. S.16, 19 usw.). Daneben kurze Sätze, allerdings wenige (S.13): "Weg mit dem Blut." (S.36): "Er trank viel und schlief schlecht."
Böll verwendete bestimmte Namenssymbole. Als besonderes Beispiel nenne ich den Namen Katharina Blum. Zum einen bedeutet Katharina (griech.) "Die Reine" und Blum assoziiert etwas feines zartes.
Bei Tötges denkt man an töten. Der Name Beizmenne erweckt Assoziationen mit einer ätzenden Flüssigkeit. Die Namen der Ermittelnden Polizisten, sind hart auszsprechen, wie "Hach", "Zündach" und "Pletzter". In dem Namen Sträubleder (dem erfolglosen Verehrer Katharinas) kommt zum Ausdruck, dass er sich sträubt in den Fall hineingezogen zu werden. Die Namen der Verwandten und wohlgesinnten Katharinas, sind auch wohlklingend: Frau Woltersheim bietet Katharina jederzeit ein Heim. Möding bleibt eher Menschlich.
Kennzeichen der Sprache: Die Sprache ist im ersten Kapitel sachlich und objektiv. Im Laufe der zeit wird sie emotional ironisch. Der Erzähler bedient sich ironisch- spöttischer Kommentare und benutzt satirische Einlagen um seine aufgestauten Emotionen zu entladen, die sich auf bestimmte gesellschaftlich Kreise beziehen. Beispiele: "So lernt der einfache Mann auch einmal die sorgen der vornehmeren gesellschaftlichen Kreise kennen, in dem er sie abhört." Bölls satirisches bedauern gilt der Psyche der Telefonzapfer.
Böll benutzt in dieser Erzählung durchaus umgangssprachliche und vulgäre Redewendungen. Er lässt Katharina z.B. "verdammte, feige Sau" sagen (S.???). Tötges schlägt vor einmal zu "bumsen", Beizmene fragt, ob sie denn "gefickt" worden sei. Auch Frau Blorna verliert nach dem Lesen der Sonntagszeitung die Fassung und ruft den verantwortlichen Lüding an: "Sie Schwein, sie elendes Ferkel".
Zusammenfassend kann man sagen, dass die von Böll angewandten sprachlichen Mittel jeweils dem Grad seiner Betroffenheit entsprechen.
In seiner Erzählung benutzt Böll eine Frauengestalt, die sich in einer bestimmten Gesellschaft zurecht finden muss. Er hat hier das Thema Sensationsjournalismus aufgegriffen. Ahnlichkeiten mit der "Bild Zeitung" nennt er "weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich" (S.5). Böll stellt eine Gesellschaft vor, in der eine Zeitung gnadenlos das Leben eines Menschen ausschlachten und ruinieren kann, ohne dass der betroffene Mensch sich dagegen wehren kann. Das Thema Massenmedien und deren Machenschaften wird hier geschickt und nachvollziehbar aufgearbeitet und dem Leser drastisch vor Augen geführt. Dem Leser werden die Gefühle der Katharina nachvollziehbar. Die Katharina, die fleißig und strebsam, aus schwierigen Verhältnissen stammend, ihr Leben in den Griff bekommen und organisiert hat, wird von der "ZEITUNG" als "Mörderbraut", als "Räuberliebchen", als "kaltblütig" und "herzlos" dargestellt. Der Zeitungsleser empfindet Verachtung und Abscheu vor Katharina, die "ihren Mann verlassen hat, weil sie hoch hinaus wollte". "Unser bescheidenes Glück genügte ihr nicht, wie es ein redlicher Arbeitsmann zu bieten hat." Hiermit will die "ZEITUNG" ihren Lesern vermitteln, dass sie sich auf die Seite des "kleinen Mannes" stellt und falsche Vorstellungen von Sozialismus im Keim ersticken muss. In den 70er und 80er Jahren wurde von der Springerpresse die Angst vor Sozialismus und dem Kommunismus geschürt Dies geschieht im sprachlichen Bereich mit kurzen leichtverständlichen Sätzen und gleichzeitig wird eine Parteilichkeit des Lesers herausgefordert. Zitate werden verdreht oder total verfälscht (S.41) "So musste es ja kommen, so musste es ja enden" satt "warum musste es so kommen, warum musste es so enden", oder läßt Brettloh, den Exmann der Katharin sagen:" So müssen falsche Vorstellungen von Sozialismus ja enden"( S. 41) Es wird ein Freund- Feind-Verhältnis aufgebaut. Auch heute verwendet die "Bild-Zeitung" diese Techniken: das Sprachniveau ist niedrig, Schlagzeilen werden fett gedruckt, sowie grammatikalische Verkürzungen genutzt (z.B. Mörderbraut verstockt).
Für einen selbst stellt sich das Problem dieser Verkürzungen insofern, als dass sich die Schlagzeilen der "Bild Zeitung" ins Gedächtnis einprägen, ob man will oder nicht. Die Titelseiten der Bild Zeitung werden in jedem Kaufhaus, in jedem Geschäft, jedem Besucher vor Augen gehalten. Der Mensch der in die Mühle der Springerpresse geraten ist, muss damit rechnen, dass seine persönliche Ehre und seine beruflich Existenz verloren sind. Dies hat Böll dem Leser Im Fall der Katharina Blum vor Augen geführt und damit eine Hetze auf seine eigene Person in Kauf genommen.
Ich finde an diesem Buch besonders interessant, dass anhand der Gefühlslage der Katharina, die Auswirkungen der Regenbogenpresse nachzuempfinden sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Bild-Zeitungs-Leser, dieses Buch lesen würden. Da "Katharina Blum" sowohl als Theaterfassung aufgeführt, als auch verfilmt wurde, gab es in den 70er und 80er Jahren heiße Diskussionen um die Machenschaften der Bild-Zeitung. Heinrich Bölls Buch barg zum damaligen Zeitpunkt einigen Zündstoff in sich, denn kein Text erfuhr soviel Aufmerksamkeit, Zustimmung und Ablehnung zugleich. Bis heute hat sich aber an den Strategien der Boulevardpresse nichts geändert, die Bild-Zeitung ist immer noch die meistgelesenste Zeitung und die Pressefreiheit ein unangetastetes Thema, die Menschenwürde wird mir Füßen getreten.
Haupt | Fügen Sie Referat | Kontakt | Impressum | Nutzungsbedingungen