Erzählung von E.T.A. HOFFMANN, erschienen 1819 und ein Jahr später in die Sammlung Die Serapions-Brüder aufgenommen. - Den Gesprächen der Serapionsbrüder sind die Quellen zu entnehmen, die Hoffmann für diese "wahrhaft serapionistische" Erzählung benutzte: Eine Anekdote aus J. Ch. WAGENSEILS Chronik von Nürnberg (1697) liegt der Kriminalaffäre zugrunde, und der Geschichte von dem venetianischen Schuster entstammt das Urbild zu Cardillac, dem "verruchtesten und zugleich unglücklichsten aller Menschen". Bei der Schilderung der Giftmordgeschichten stützte sich Hoffmann auf die damals bekannte Sammlung merkwürdiger Rechtsfälle Causes célèbres et intéressantes des GAYOT DE PITAVAL. Die Erzählung setzt im Jahre 1680 ein, im Paris Ludwigs XIV.: Höflinge und reiche Edelleute, die bei Cardillac, dem berühmtesten Goldschmied der Stadt, köstliche Geschmeide haben anfertigen lassen, werden regelmäßig nachts, auf dem Weg zur Geliebten, des Schmucks beraubt und ermordet. Sorgfältigsten Fahndungen zum Trotz bleiben die Juwelenräuber unauffindbar. Der König, der von den besorgten Kavalieren um besondere Schutzmaßnahmen gebeten worden ist, fragt Mademoiselle de Scudéri, die bei Hof wegen ihrer anmutigen Verse und Romane beliebte alte Dame, um ihre Meinung. Sie erwidert mit einem Vers: "Un amant qui craint les voleurs, n`est pas digne d`amour." ( "Ein Liebender, der die Diebe fürchtet, ist der Liebe nicht würdig.") Die scherzhaft gemeinte Außerung, die die Verbrecher indirekt zu verteidigen scheint, verwickelt die arglose alte Dame in einen geheimnisvollen Kriminalfall. An demselben Abend nämlich wird ihr von einen völlig verstörten jungen Mann ein Kästchen überbracht, worin sie einen prachtvollen Halsschmuck und einen Zettel mit jenem von ihr geprägten Vers findet. Die kostbare Machart des Geschmeides deutet auf Meister Cardillac, der auch, später herbeigerufen, bekennt, dass dieser Schmuck vor kurzer Zeit auf unerklärlicher Weise aus seiner Werkstatt verschwunden sei; doch er bittet Mademoiselle de Scudéri, ihn als Geschenk anzunehmen. Einige Zeit später erschreckt sie der unbekannte Überbringer der Schatulle durch ein Schreiben mit der flehentlichen Bitte, den Schmuck innerhalb von zwei Tagen Cardillac zurückzugeben. Sie versäumt die Frist und findet den Goldschmied, als sie verspätet bei seiner Werkstatt anlangt, ermordet. Sein Gehilfe Olivier Brusson wird der Tat verdächtigt. Als die nächtlichen Morde nach seiner Verhaftung plötzlich aufhören, sieht man in ihm auch den gesuchten Raubmörder. Brusson ist mit Madelon, der Tochter Cardillacs, verlobt, die, überzeugt von seiner Unschuld, Mademoiselle de Scudéri um Hilfe bittet. Ein umfassendes Geständnis Oliviers bringt endlich volle Aufklärung: Er fühlte sich, der zarten und empfindsamen Mandelon zuliebe, verpflichtet, die grauenvolle Wahrheit zu verschweigen, daß deren Vater Cardillac selbst der Mörder seiner reichen Kunden war. Eine dunkle, dämonische Macht trieb den Goldschmied dazu, ein kostbares Geschmeide, woran er verbissen seine ganze Künstlerschaft gewandt hatte, nach dem Verkauf wieder an sich zu bringen, was ihm nur durch die Ermordung des neuen Besitzers möglich war. Als Olivier, zufällig Zeuge einer solchen Untat geworden, die Besessenheit Cardillacs, die jener mit der Überlassung des Geschmeides an die Scudéri überwunden zu haben glaubte, wieder aufflackern sah, schrieb er den warnenden Zettel, um die Dichterin nicht das nächste Opfer werden zu lassen. Doch auch ein königlicher Offizier namens de Miossens hat Cardillacs Geheimnis entdeckt: Als der Goldschmied ihm auflauerte und ihn überfiel, tötete er den Räuber in Notwehr. - Die Scudéri, von Oliviers Unschuld überzeugt, erwirkt beim König, dass dieser ihn von jedem Verdacht freispricht.
Hoffmann lässt die Handlung unvermittelt mit dem ersten Besuch Oliviers bei der Scudéri einsetzen, führt dann den Leser mit ungewöhnlicher erzählerischer Virtuosität hin zur Zentralfigur des Goldschmieds, der jedoch bis zur Aufklärung seiner Verbrechen in zwielichtigem Dunkel bleibt: Mit scharfer Charakterisierungskunst bereitet der Autor die Auflösung des kriminalistischen Rätsels vor, das psychologisch mit der problematischen Existenz eines künstlerischen Genies in einem grotesk hässlichen Körper begründet wird. Als ein Vererbungsphänomen, das auf ein Erlebnis seiner Mutter während der Schwangerschaft zurückgeht - sie verliebte sich in den blitzenden Halsschmuck eines Offiziers -, wird Cardillacs "böser Stern" motiviert.
Der Dichter greift in der Konfiguration Cardillac-Scudéri die Frage des Künstlertums selbst auf. Mit ihrer Einfühlungsgabe in die seelische Zwangslage Cardillacs verkörpert das Fräulein von Scudéri die verständnisvolle, humane Künstlerexistenz einer vergangenen Epoche.
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