Ingeborg Bachmann
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LEBEN Lebenslauf Die Lyrikerin, Erzählerin, Hörspielautorin und Essayistin Ingeborg Bachmann wird am 25.06.1926 in Klagenfurt (Kärnten) als Altestes von drei Kindern im kleinbürgerlichen Haushalt des Lehrers und späteren Hauptschuldirektors Mathias Bachmann geboren. Ihr Vater entstammt einer Bauernfamilie in Kärnten. Die Familie ihrer Mutter Olga Bachmann, geborene Haas, betreibt eine Strickwarenerzeugung in Niederösterreich. Von 1932 bis 1936 besucht Ingeborg Bachmann die Volksschule, von |
1936 bis 1938 das Bundesrealgymnasium und von 1938 bis 1944, dann das Ursulinen-Gymnasium für Mädchen in Klagenfurt, das sie 1944 mit dem Abitur abschließt. In dieser Zeit auf dem Ursulinen- Gymnasium entstehen erste Gedichte,u.a. das fünfaktige Versdrama 'Carmen Ruidera' (1942), sowie die Erzählung 'Das Hoditschkreuz' (1944). In den Jahren 1945 bis 1950 studiert sie in Innsbruck, Graz und Wien zunächst Rechtswissenschaft und Philosophie, später ausschließlich Philosophie mit den Nebenfächern Germanistik und Psychologie. 1946 erfolgt die Veröffentlichung der ersten Erzählung 'Die Fähre' in der 'Kärntner Illustrierten' in Klagenfurt. Zwischen 1947 und 1952 arbeitet Bachmann an ihrem ersten Roman 'Stadt ohne Namen', der aber bei keinem Verlag untergebracht werden kann, da die Deutsche Verlagsanstalt und andere ablehnen. In den Jahren 1948 und 1949 erscheinen neben weiteren Erzählungen die ersten Gedichte in der von Hermann Hakel herausgegebenen Zeitschrift 'Lynkeus. Dichtung, Kunst, Kritik' in Wien. 1949 macht sie ein Praktikum in der Nervenheilanstalt Steinhof bei Wien. 1950 promoviert sie zum Dr. Phil. mit einer Dissertation über 'Die Kritische Aufnahme der Existentialphilosophie Martin Heideggers' an der Universität Wien.
Nach ihrer Promotion nimmt sie eine Anstellung im Sekretariat der amerikanischen Besatzungsbehörde in Wien an. Von 1951 bis 1953 ist sie Redakteurin der Sendergruppe Rot-Weiß-Rot in Wien. In der Zeit fertigt sie mitunter auch Übersetzungsschriften an. Anfang 1951 liest sie in London bei einer Veranstaltung der "Anglo-Austrian Society" aus ihren Gedichten vor. Im Februar 1952 wird ihr Hörspiel 'Ein Geschäft mit Träumen' erstmalig gesendet.
Im Mai 1952 hält Bachmann eine erste Einladung von Hans Werner Richter, während der 10. Tagung der Gruppe 47 in Niendorf (Ostsee) unter anderem mit Ilse Aichinger zu lesen. Autoren wie Alfred Andersch, Heinrich Böll, Paul Celan, Hans Magnus Enzensberger, Uwe Johnson, Walter Jens, Siegfried Lenz, Wolfdietrich Schnurre, Martin Walser, Peter Weiss und Gabriele Wohmann gehören dieser Gruppe, die bis 1977 existiert, an. Inmitten einer männlichen Schriftstellergeneration, die zwar kaum älter, aber verhärtet und den vielfältigen Schrecken des Dritten Reiches entkommen ist, hinterlassen die Gedichte der Bachmann einen bleibenden Eindruck, denn sie wagt mutig und unbeirrt, wenn auch voller Zweifel, von der Verletzlichkeit und der Heilung des menschlichen Herzens zu sprechen.
Dort lernt sie auch den gleichaltrigen Komponisten Hans Werner Henze kennen und verliebt sich in ihn. Sie schreibt, Opernlibretti für ihn (Der Prinz von Homburg, 1958; Der junge Lord, 1964 u.a.m.) und sucht in ihrer Liebe zu Henze einen Ausweg aus der Verzweiflung an der Sprache, die sie bis zum gefühlsgeladenen Verstummen treibt. In ihrer Unbedingtheit des Gefühls scheitert sie an Henze wie später, von 1958 bis 1962, an Max Frisch, der seine ebenso bedrohte wie verletzte Eitelkeit als Schriftsteller in "Montauk" (1975) dokumentiert hat. Offenbar war die selbst schreibende Männerwelt der 50er und 60er Jahre nicht darauf vorbereitet, daß eine Frau nicht nur schrieb, was sie achte und empfand, sondern ihre Gefühle und Wünsche auch realisieren wollte.
Noch im selben Jahr wird ihr Gedichtzyklus "Ausfahrt" veröffentlicht.
Im September des Jahres reist sie mit ihrer Schwester Isolde zum ersten Mal nach Italien. Im Mai 1953 erscheint ihr erster großer Gedichtband "Die gestundete Zeit". Seit dem Spätsommer 1953 lebt sie bis 1957 mit Unterbrechungen als freie Schriftstellerin in Italien auf der Insel Ischia, in Neapel und Rom. Erstmalig veröffentlicht sie Gedichte in der mehrsprachigen Literaturzeitschrift 'Botteghe Oscure', Rom 1954, Quaderno XIV, herausgegeben von Marguerite Caetani.
Ihr zweites Hörspiel 'Die Zikaden' wird 1955 vom Hamburger Nordwestdeutschen Rundfunk uraufgeführt. Sie tritt auf Einladung der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts) eine Reise in die Vereinigten Staaten an und nimmt an dem internationalen Seminar der Harvard-Summer School of Arts, Sciences and Education teil, das von Henry Kissinger geleitet wird.
Im September des Jahres endet ihre beinahe einjährige Tätigkeit als Korrespondentin der 'Westdeutschen Allgemeinen' (Essen) in Rom. Für die acht politischen Beiträge, die zwischen dem 09.11.1954 und dem 23.09.1955 erschienen sind, benutzt Ingeborg Bachmann das Pseudonym 'Ruth Keller' (auch 'R.K.' bzw. 'er'). 1956 veröffentlicht sie zum ersten Mal beim Piper Verlag in München ihren zweiten Lyrikband 'Anrufung des großen Bären', aus dem wiederum die bis dahin unerhörte Radikalität der Liebe spricht. Es folgen die beiden Essays 'Die wunderliche Musik' und 'Noch einmal: Die wundersame Musik'.
Im Jahr 1957 ist sie korrespondierendes Mitglied der 'Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung' in Darmstadt. Ihre Gedichte 'Im Gewitter der Rosen' und 'Freies Geleit' werden durch Hans Werner Henze in 'Nachtstücke und Arien' vertont und am 20.10.1957 uraufgeführt anläßlich der Donaueschinger Musiktage. In den Jahren 1957 bis 1958 arbeitet Ingeborg Bachmann als Dramaturgin beim Bayerischen Fernsehen in München.
Am 29.05.1958 wird ihr Hörspiel 'Der gute Gott von Manhattan' uraufgeführt. Vor allem wegen dieses Hörspiels gehört sie zu den Schöpfern des modernen Hörspiels als selbstständige literarische Form. 1959 erhielt sie den anerkannten Hörspielpreis der Kriegsblinden für ihr drittes und letztes Hörspiel 'Der gute Gott von Manhattan', der ihr am 17.03.1959 während eines Festaktes im Plenarsaal des Bundesrates in Bonn verliehen wird. Die Jury begründet ihre Wahl, indem sie das Hörspiel als ein 'dichterisches Kunstwerk, ein unverwechselbares Liebesgedicht entgegen den aus Film und Illustrierten gewohnten Klischees' bezeichnete. Leider ist die Verherrlichung einer Liebe, die alle irdischen Ordnungen übersteigt und sich von jeder gesellschaftlichen Wirklichkeit entfernt, so daß der Liebestod als Gnade, die Trennung jedoch als tragisch empfunden wird, von einer klischeehaften Vorstellung romantischer Weltflucht gar nicht so weit entfernt. Von Ingeborg Bachmann jedoch keinesfalls in diese Richtung intendiert, versucht sie bereits in ihrer Rede 'Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar' zum Empfang des Hörspielpreises eine einseitige Interpretation vorzubeugen.
Am 03.07.1958 trifft sie Max Frisch in Paris bei einer Gastspielaufführung seines Dramas 'Biedermann und die Brandstifter' und verliebt sich in ihn. Zwischen 1958 und 1962 lebt Bachmann abwechselnd in Rom und Zürich. Im Wintersemester 1959/60 übernimmt Ingeborg Bachmann als erste Dozentin die vom S. Fischer Verlag eingerichtete Gastdozentur für Poetik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt/Main.
Während einer ersten Reise in die DDR im Jahr 1960 zusammen mit Hans Magnus Enzensberger und Walter Jens trifft sie erstmals mit Ernst Bloch und Stephan Hermelin zusammen. Im Jahr 1961 veröffentlicht der Horst Heiderhoff Verlag, Wülfrath (Rheinland), die zu Lebzeiten einzige bibliophile Ausgabe eines Werkes von Ingeborg Bachmann, nämlich die Erzählung 'Jugend in einer österreichischen Stadt'. Im Juni erscheint der erste Erzählband 'Das dreißigste Jahr', wofür sie dann im Oktober in Berlin den Literaturpreis 1960/61 des 'Verbandes der Deutschen Kritiker' erhält.
Ingeborg Bachmann übersetzt und veröffentlicht eine Auswahl der
Gedichte von Giuseppe Ungaretti. Im Frühjahr 1963 erfolgt die endgültige
Trennung von Max Frisch. Auf Einladung der Ford-Foundation zu einem einjährigen
Aufenthalt in Berlin wechselt sie anschließend ihren Wohnsitz nach Berlin. Sie
schließt sich der Klage gegen den CDU-Politiker Josef-Hermann Dufhues an, der
die Gruppe 47 als 'Reichsschrifttumskammer' bezeichnet hatte. Im
Januar 1964 macht sie eine Reise nach Prag, im Frühjahr nach Agypten und in den
Sudan. Am 22.01.1965 schreibt sie aus Berlin an Simon Wiesenthal, wobei sie für
eine Verlängerungsfrist für Naziverbrechen eintritt. Bachmann unterschreibt
1965 mit anderen Persönlichkeiten die 'Erklärung gegen den
Vietnamkrieg' und wird im Herbst zusammen mit Hans Magnus Enzensberger in
den Vorstand der 'Europäischen Schriftstellergemeinschaft' COMES
(Communità Europea degli Scrittori) gewählt. Ende des Jahres siedelt sie nach
Rom über, wo sie bis zu ihrem Tod lebt. Im Juni 1967 hält sie sich in London
auf, um mit Hans Magnus Enzensberger an einem internationalen Dichtertreffen
teilzunehmen.
Nach nahezu 10 Jahren veröffentlicht sie 1971 ihren Roman 'Malina' bei Suhrkamp in Frankfurt, mit dem
sie den Zyklus "Todesarten" eröffnen will. Dieser Roman sollte als Fortsetzung
des Versuchs, "sich selbst zur Sprache zu bringen", nach dem Erzählband
Simultan" von 1972 "Der Fall Franza" und "Requiem für Fanny Goldmann"
erscheinen, doch ihr Tod hat diese Absicht vereitelt. Im März 1973 stirbt ihr
Vater. Während einer Polenreise, anläßlich einer Vorlesungstournee, besucht sie
die Konzentrationslager Auschwitz und Birkenau.
Der offiziellen Version nach erleidet Ingeborg Bachmann in der Nacht vom 25. auf den 26. September in ihrer römischen Wohnung durch einen Brandunfall schwere Verletzungen. Demnach nimmt sie zunächst ein Beruhigungsmittel und legt sich dann mit einer brennenden Zigarette ins Bett. Sie schläft ein, Bett und Nachthemd fangen Feuer, und Ingeborg Bachmann stirbt am 17. Oktober an den Folgen ihrer Brandverletzungen. Aber ihr früher Tod in Rom konnte bis heute nicht restlos aufgeklärt werden. Freunde hegen den Verdacht, daß sie in Zusammenhang mit ihrer Drogenabhängigkeit ermordet wurde oder Selbstmord begangen hat. Sie wird am 25. Oktober auf dem Friedhof Klagenfurt-Annabichl begraben.
Politischen Aktivitäten
Bachmanns Beitritt zum "Komitee gegen die Atomrüstung" im April 1958, das Engagement der Autorin gegen den Algerien-Krieg 1960, gegen den Vietnamkrieg und gegen die Verjährung von Naziverbrechen, aber auch die große Zahl der begonnenen und wieder verworfenen Pläne sowie abgebrochenen Projekte der Autorin machen deutlich, daß Ingeborg Bachmann eine sehr engagierte und politisch interessierte Person war.
Wichtig für das Verständnis ihres komplexen Werkes sind die Verweise auf gesellschaftspolitische Kontexte sowie auf ihre kontinuierliche Auseinandersetzung mit der Shoah und dem jüdischen Denken. Sie untermauern noch einmal, was diese Monographie insgesamt sehr stringent herausarbeitet: Bachmann hat ein "Denken nach Auschwitz" vollzogen, und sie hat mit ihren literarischen Texten dazu beigetragen, es anderen zu ermöglichen.
1953 Preis der Gruppe 47 für die Gedichte "Die
große Fracht", "Holz und Späne", "Nachtflug" und "Große Landschaft bei Wien"
1955 Fördergabe des "Literarischen Förderungswerkes des Kulturkreises im
Bundesverband der deutschen Industrie" für einen Essay über Musil
1957 "Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen" von der
Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung
1959 Hörspielpreis der Kriegsblinden des Bundes der Kriegsblinden
Deutschlands/Bonn
1961 Kritikerpreis für Literatur des Verbands der deutschen Kritiker Berlin
1964 Georg-Büchner-Preis für Literatur der Deutschen Akademie für Sprache und
Dichtung Darmstadt
1968 erste Ehrung ihres Heimatlandes: Großer Österreichischer Staatspreis des
Bundesministeriums für Unterricht und Kunst für Literatur
1971 Anton-Wildgans-Preis der österreichischen Industrie für Literatur
Vielleicht ihr mysteriöser Tod verantwortlich
dafür, dass Werk und Person dieser "unfassbaren Fassungslosen" immer wieder
Gegenstand von Spekulationen sind.
Die meisten tendieren dazu, den Tod Ingeborg Bachmanns, der so sinnlos und
unbegreiflich ist wie jeder andere Unfalltod, im nachhinein als Opfertod
anzusehen. Unverkennbar ist allerdings auch der Wunsch, die Dichterin als
Ikone, als Mythos, als Legende oder als "Spiegelbild" und Identifikationsobjekt
zu stilisieren und zu verklären. Verklärung ist zugleich jedoch immer ein
Vorgang der Entpersonalisierung, der in vielen Fällen nur den Freibrief abgibt,
über die Person desto ungehemmter sprechen zu können.
In einer Auswahl von sieben Nachrufen, alle erschienen am Tag nach ihrem Tod, finden sich folgende Charakterisierungen, an denen die Verschiebung von der Verklärung ins Persönliche und in die Indiskretion deutlich abzulesen ist: "ungekrönte Königin dieser Literaturepoche", "Legende", "dunkle Schwester", "Person mit Aura", auf "Diskretion, Noblesse, Scheu und empfindsamen Abstand angewiesene Dichterin", "hinreißend seltsame, große Künstlerin", "Madame Melancholie", "die Zarte, die Empfindsame, die allzeit Gefährdete", "scheu und immer etwas verwirrt", "hilflos unsicher, allein gelassen", "fast verstört, doch nie linkisch, verlegen und königlich zugleich", "die elegant, ja chic angezogene Dichterin", sie habe eine "angeschlagene Privatsphäre" gehabt, ihre Texte seien "Dokumente der eigenen Lebenskrise" und plauderten ständig auch "Bachmann'sche Intimitäten aus", "eine große Liebende und auch eine große Leidende. Das eine hat sie so voll ausgekostet wie das andere".
Bachmann war vor allem anderen eine große Intellektuelle. Was einigen Männern ganz offensichtlich Mißbehagen bereitete. Etwa dem zeitweiligen Lebensgefährten und Schreibkonkurrenten Max Frisch, der dieses Unbehagen ausführlich in seinem autobiographischen Bekenntnistext "Montauk" beschreibt. Heinrich Bölls viel zitierter Ausspruch 'Ich denke an sie wie an ein Mädchen' etwa, ist da nur ein Beispiel von vielen, daß in dieser Verkennung das eigentliche Drama der begabten Schriftstellerin liegt. Angst und daraus resultierend Abwehr oder Kritik, gelegentlich auch Degradierung statt Respekt brachten nicht wenige der Kollegen und Literaturkritiker ihr entgegen, einschließlich Walser, Johnson, Frisch, Baumgart oder Reich-Ranicki. Die naive, chaotische, unsichere, mädchenhafte Frau, kurz: die "Taschentuchfallenlasserin" (Demski) weckt Beschützerinstinkte, vielleicht Zuneigung - mehr nicht. Die an Intellektualität, Selbstreflexion und Belesenheit überlegene Schriftstellerkollegin dagegen bereitet eher Unbehagen .
Doch das reale Bild dieser Frau blieb recht verschwommen. Ist Ingeborg Bachmann eine weltentrückte Dichterin, engagierte Feministin oder zeitkritische Schriftstellerin gewesen? Auf jeden Fall hat sie mit Strenge und Kompromißlosigkeit versucht, die Stellung des Menschen in der Welt zu bestimmen. Ideologiegebunden, in der Aufnahme der Existentialphilosophie der Existentialisten, war sie verstärkt auf geistige Auseinandersetzung statt auf Anschauung bedacht.
Ingeborg Bachmann hat nie gerne Interviews gegeben und auch nie gern von sich oder Privatem geredet. Sie war der Meinung, dass man das, was sie ausdrücken wollte, in ihren Werken findet. So fällt beim Lesen der Interviews auf, dass sie sich oft selbst zitiert, auf Textstellen ihrer oder anderer Romane verweist und immer wieder betont, dass das Schreiben ihr eigentliches Ausdrucksmedium sei:
"[]denn im Sprechen bleibt man ja hinter dem Schreiben zurück und tappt tolpatschig in den Gegenden herum, in denen man sich schreibend schon einmal zurechtgefunden hat."
So schließt sie auch jede Außerung zu ihrer eigenen Person aus, und schränkt den Bereich, zu dem sie bereit ist, sich zu äußern ganz deutlich ein, indem sie sagt:
"Ich nehme Stellung, wenn es mir richtig erscheint, zu politischen, gesellschaftlichen Verhältnissen oder zu den Unglücken der einzelnen, wenn ich gerade in der Nähe bin. Nicht zu meinem Leben. Denn ich habe zu schreiben. Und über den Rest hat man zu schweigen."
Ihr Versuch, ihr Privatleben vor der Öffentlichkeit zurückzuhalten steht in engem Zusammenhang mit ihrem ständigen Wechsel der Wohnorte. Und so gibt sie auf die Frage, warum sie nicht ständig in Österreich lebe, folgende Antwort:
"Ich brauche Freiheit. Viel Freiheit. [] Ich will nicht mundtot gemacht werden. Vielleicht kann man sogar sagen, daß ich eine Kämpfernatur bin. Vor allem aber möchte ich in Ruhe arbeiten. Ungestört sein. Ich komme jetzt öfter nach Klagenfurt, um meine Eltern zu besuchen, Spaziergänge zu machen, aber ich sehne mich nach Frieden und suche meine Zuflucht daher in der Anonymität."
Mit diesem Bedürfnis nach Anonymität und nach Privatsphäre geht eine Ablehnung jeglicher traditionell biographischer Literatur einher. Allerdings ist ihr bewußt, dass Biographisches in ihre Arbeiten einfließt, doch besteht dies für sie nicht in Daten, denn "[] die Angaben zur Person sind immer das, was mit der Person am wenigsten zu tun hat ."
Aber sie gesteht ein: "[] Selbstverständlich würde man auch manches in meinen Arbeiten auf Biographisches zurückführen können. Begegnungen mit der Wirklichkeit, mit Orten, Ländern und Menschen sind oft wichtig gewesen und können in verwandelter Form nach Jahren wiederauftreten. Wichtig sind aber auch geistige Begegnungen, und mir war die wichtigste die mit dem Werk des Philosophen Ludwig Wittgenstein []."
So sieht Bachmann in der geistigen Entwicklung einer Person, in ihren Erfahrungen und der Beschäftigung mit Philosophie und Literatur die für die Biographie wichtigen Einflußfaktoren. Lebensdaten gehören für sie nicht dazu.
Die Gesellschaft
Ingeborg Bachmann litt unter Todesangst, und zwar schon seit frühester Kindheit. Als den Moment ihrer ersten Todesangst gibt sie den Einzug der Hitlertruppen in Klagenfurt an. Diese Angst hat sie nie losgelassen, hat sie krank gemacht. So ist Bachmanns Sicht auf die Gesellschaft, auf die moderne Welt, die sie umgibt, sehr hart. denn sie geht davon aus:
"Es ist ein so großer Irrtum zu glauben, daß man nur in einem Krieg ermordet wird oder nur in einem Konzentrationslager - man wird mitten im Frieden ermordet."
Und für dieses Morden "sorgen eben die anderen [] Aber der Anlaß ist immer ein Mensch.[] oder mehrere".
Für die Bachmann ist die Gesellschaft also ein Kriegsschauplatz, auf dem ein permanentes Morden stattfindet. Und als Hauptthema ihres Werkes gibt sie das "Leiden am Leben" an. Das Individuum steht, ihrer Ansicht nach, bedroht, ohne Halt da, wird von allen Seiten angegriffen und schließlich ermordet, innerlich zerstört. Bachmann geht sogar noch weiter und prägt eine Vorstellung, die immer wieder diskutiert worden ist und die deutsche Nachkriegsliteratur entscheidend beeinflußt hat. Sie überträgt die Vorstellung des Faschismus in die zwischenmenschlichen Beziehungen:
"[], wo fängt der Faschismus an. [] Er fängt an in Beziehungen zwischen Menschen. Der Faschismus ist das erste in der Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau, und ich habe versucht zu sagen [], hier in dieser Gesellschaft ist immer Krieg."
Immer wieder ist diese Sichtweise diskutiert und problematisiert worden. Es wird darüber gesprochen, wie man diese Vorstellung, der Faschismus fange in den täglichen Beziehungen zwischen Menschen an, zu verstehen habe. Und man ist zu dem Resultat gelangt, daß Bachmann hier die Vorurteile problematisiert, die die Gesellschaft uns vorgibt, die vorgefertigten Bilder und Schubladen, in die Menschen einander, sobald sie aufeinandertreffen, einordnen. Ein Mann und eine Frau haben schon aus ihren Rollen heraus ein ungefähres Bild voneinander, bevor sie einander wirklich kennen. Und Bachmann geht sogar noch weiter und sagt, daß wir durch dieses Bild, durch diese Vorurteile, die wir gegen uns selbst und gegen andere haben eingeschränkt sind in unserer Sicht. Daß die Gesellschaft uns dadurch "mordet", uns etwas wegnimmt, etwas vorenthält. Über diese Gedanken ist Bachmann immer wieder verzweifelt. Und sie versucht, ihn in ihrem Werk auszudrücken:
"Ich glaube, daß das aus allen Büchern herauskommt, daß alle Menschen in allen Beziehungen aneinander vorbeireden; dieses scheinbare Verständnis, das man Offenheit nennt, ist ja gar keines. Verstehen - das gibt es nicht. Offenheit ist nichts als ein komplettes Mißverständnis. Im Grunde ist jeder allein mit seinen, unübersetzten Gedanken und Gefühlen."
Daß Bachmann sich unverstanden fühlte, wird immer wieder deutlich, in ihrem Mißtrauen der Sprache gegenüber, im Abwägen der Worte, in der Ablehnung von Interviews, in ihrer Zurückgezogenheit und nicht zuletzt auch und natürlich besonders in ihrem Werk.
Ingeborg Bachmanns überschaubares, aber äußerst vielseitiges Werk wird bestimmt von einer utopischen Sehnsucht nach Befreiung. Gefühle der Vereinzelung und Vereinsamung, anhaltendes Entsetzen und Todesangst sind immer wieder präsent. Die Kennzeichen ihrer Werke sind freie Rhythmen, Musikalität und sprach- und bildschöpferische Intensität.
Bachmanns Arbeiten sind gekennzeichnet von einer in Bilder gefaßten Daseinsnot. Deshalb ist die Sprache stets bildkühn und klangstark.
Über abstrakte Gedankenwelten mit symbolhaften und eigenwilligen Bildern, bei sprachlicher Genauigkeit, Wortgewalt und natürlich-harmonischer Sprachmelodie, gelingt der Schriftstellerin eine Verbindung von Intellekt und Poesie. Aber nicht zuletzt deshalb gilt ihr Werk als schwer zugänglich. Auch die Betrachtung des Hörspiels "Der gute Gott von Manhattan" stößt in diesem Zusammenhang immer wieder auf Grenzen.
Ein typisches Motiv ihrer Literatur ist die Beschwörung einer utopischen Gegenzeit durch die Liebe, sowie die Kritik an einer von Männern getragenen, von Konkurrenz und Ausbeutung beherrschten Gesellschaft, die davon abweichende, von Frauen vorgetragene Lebensentwürfe nicht zuläßt.
Ein anderes Zentralthema ist die Befreiung des Menschen aus der Unverbindlichkeit des Lebens zur wahren Existenz. Gleichzeitig spiegelt sich im Frühwerk eine starke Antipathie gegen die restaurativen Tendenzen der Wirtschaftswunderzeit, die, so eine Botschaft der Texte, die Kriegsangst, statt sie zu verarbeiten, nur verdrängt habe.
Zwei große Themen kehren in ihrer Lyrik immer wieder: die Angst vor dem Ende einer menschlichen Welt und die gescheiterte Liebe.
Sprache
Für Ingeborg Bachmann war die Sprache stets ein zentraler Punkt ihres Schaffens. Sie hatte sich in ihrem Philosophiestudium stark mit Wittgenstein und Heidegger beschäftigt, was sie auch in ihrem literarischen Schaffen sehr stark beeinflusst. Sie beruft sie sich auf das Zitat Heideggers: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt" und gibt an, daß dies auch auf sie zutreffe. So war für Bachmann das Hinterfragen ihrer Sprache, die Arbeit mit Worten und das Finden "wahrer Sätze" stets der zentrale Punkt ihres Schaffens. Sie ist der Überzeugung "[] daß ja nur eine einzige Bemühung beim Schreiben sinnvoll ist; die um Sprache. Gestern, heute und morgen liegen in ihr beschlossen. Wenn die Sprache eines Schriftstellers nicht standhält, hält auch, was er sagt, nicht stand."
INHALT
Inhaltsangabe
Vor Gericht muß sich ein Angeklagter, der gute
Gott von Manhattan, für ein Attentat verantworten, das er mit Hilfe seiner
Agenten, den Eichhörnchen Billy und Frankie, auf das Paar Jan und Jennifer
verübt hat, so wie er auch schon in der Vergangenheit andere Paare in ähnlichen
Situationen getötet haben soll. Er beginnt dem Richter, der den Tatbestand
ermitteln und das Urteil sprechen soll, über die beiden zu erzählen.
An einem heißen Sommertag in den Fünfzigern in New York wird Jan, der sich auf
einer Durchreise befindet, von dem jungen Mädchen Jennifer angesprochen. Nach
anfänglicher Zurückhaltung Jans kommen sie ins Gespräch, und sie entschließen
sich den Abend gemeinsam zu verbringen. In einer Bar liest ihnen eine
Zigeunerin aus der Hand. Bei Jennifer kann sie nichts erkennen, weil Jan seine
Nägel in ihre Handflächen geschlagen hat, bei Jan hingegen sagt sie ein langes
Leben voraus. Das Paar durchwandert die nächtlichen Straßen, und schließlich
gehen sie in ein schäbiges Stundenhotel, wo sie sich im ersten Stock
einquartieren. Am nächsten Morgen erfährt Jan, daß sich seine Rückreise
verzögern wird. Sie entschließen sich die restliche Zeit miteinander zu
verbringen und ziehen in ein Zimmer im 7. Stock des Atlantic Hotels ein. Ihre
Liebesbeziehung wird stärker; ein Versuch, sich zu trennen, mißlingt.
Dies ist der Augenblick, wie der "gute Gott" erzählt, in dem er seine
blutrünstigen Eichhörnchen auf das Paar ansetzt. Jan und Jennifer besuchen im
Central Park eine Aufführung, die von den fünf schönsten Liebesgeschichten der
Welt handelt. Später erfährt Jan, daß er einen Platz auf dem Schiff bekommen
hat.
Eine Trennung ist aber bereits unmöglich. Über einen Zwischenaufenthalt im 30.
Stockwerk gelangen sie ins 57. Stockwerk. Beide sehen ein, daß eine Trennung
und eine Rückkehr ins alltägliche Leben unrealisierbar geworden ist. Der "gute
Gott" gibt das Signal zum Handeln. Billy und Frankie überreichen Jennifer eine
Paketbombe, die aber nur sie tötet, da Jan gerade in einer nahegelegenen Bar
ist. Die letzte Szene spielt wieder im Gerichtssaal; der Richter entläßt - in
Einsicht seiner Intention- den angeklagten "guten Gott" ohne Verurteilung.
"Der gute Gott von Manhattan" ist ein
analytisches Handlungsspiel, das im Rahmen eines Gerichtsverfahrens die zur
Verhandlung stehenden Geschehnisse in Rückblenden lebendig macht. So ergeben
sich zwei Spielebenen mit jeweils einem Aktionsstrang. Die äußere Aktion bildet
das an Ort und Zeit gebundene Gericht mit zwei handelnden Personen, Richter und
Angeklagter, was der Idealform des in den 50er Jahren geforderten hörspielgerechten
Kammerspiels entspricht. In der Erzählebene der Gerichtsverhandlung werden alle
erforderlichen Hinweise und Kommentare mitgeliefert.
Die Wahrheitsfindung steht der Rechtfertigung gegenüber, mit dem Ziel der
Aufklärung der Tatmotive. Die innere Aktion ist die anfangs banale, dann immer
außergewöhnlicher werdende Liebesbeziehung zwischen Jan und Jennifer. Diese
spielt sich im Stadtkern von Manhattan ab. Die beiden Spielebenen werden formal
durch eine Explosion verklammert. Damit kommen innere und äußere Entwicklung,
Liebe und Gericht, gleichzeitig zur Auflösung. Vorher entsteht ein
Spannungsfeld aus sachlicher Bestandaufnahme und emotionaler Verstrickung. Der
kühlen Abschätzung der Tötungschancen steht eine steigende Unkontrollierbarkeit
sexueller Zugeständnisse gegenüber.
Die Sprachgestaltung ist sehr straff und formal, die Liebenden führen einen hymnisch anmutenden Dialog, jedoch wirken die emotionalen Begegnungen sehr karg und nüchtern, fast abstrakt.
INTERPRETATION
Thematik
"Der gute Gott von Manhattan" ist eine Geschichte von Liebe und Untergang und beinhaltet auch das schwermütige, verzweifelte Leiden am Wirklichen. Die Bedingungen unter denen die Liebe geschieht und die Voraussetzungen, an denen sie scheitert, sind exemplarisch für eine Generation, die mit dem Klischee der Sentimentalitäten nichts mehr anzufangen weiß.
Es gehört zu den literarischen, lyrisch-poetischen Hörspielen der 50er Jahre. Das Hörspiel ist durchdrungen von einem unerschütterlichen Glauben an Utopisch-Vollkommenes und soll das Absolute und Unbedingte zur Sprache bringen.
Das Hörspiel handelt von Idealen (besonders jenem der reinen, absoluten Liebe), die sich in der Welt nicht verwirklichen lassen; im Gegenteil: Ideale sind tödlich. Der Mensch träumt von ihnen, ihre Unerreichbarkeit ist eine schmerzliche Erfahrung für ihn. Ingeborg Bachmann beschreibt den Riss der Schöpfung, diese Tragik der menschlichen Existenz. Ingeborg Bachmann beschäftigt sich mit dem zeitlosen Thema der Liebe. Sie nimmt dabei berühmte Liebespaare wie Romeo und Julia oder Tristan und Isolde zum Vorbild, wie diese endet auch die Liebe von Jan und Jennifer in einer Katastrophe. Ingeborg Bachmann selbst meinte in einem Interview: " Dieses Stück bezieht sich doch auf einen Grenzfall von Liebe, auf einen dieser seltenen ekstasischen Fälle, für die es tatsächlich keinen Platz in der Welt gibt und nie gegeben hat."
Der Ort der Handlung
Wie in dem früheren Hörspiel "Die Zikaden" wird auch hier für das Geschehen ein lokaler Hintergrund angegeben, der durch persönliche Reiseerfahrung der Autorin angeregt wurde. Aber es geht in diesem Stück nicht allein um den topographischen Aspekt. Manhattan ist zugleich bestimmend für das thematische Prinzip der von Stockwerk zu Stockwerk in die Höhe aufsteigenden Personen; es veranschaulicht die Entwicklung und Steigerung der Liebe von Jan und Jennifer. Es geht hier um ein Geschehen, das in der realen Gegenwart angesiedelt ist, inmitten eines modernen Babylons, der Stadt aller Städte: New York, ein idealer symbolischer Ort, da von extremer Einsamkeit bis zu Überfülltheit alles möglich ist. Deutlich ist aber auch zuerkennen, daß der reale Ort zugleich hintergründig gemeint ist: Das Wort "Ma na Hat-ta" ist indianischen Ursprungs und bedeutet "himmlische Erde", ein Hinweis auf die Verbindung moderner alltäglicher Lebensform mit dem Grenzfall einer aus allen Normen fallenden Liebe, wie sie in dem Hörspiel dargestellt wird.
Jan und Jennifer leben ohne Probleme, unbelastet von der Vergangenheit, losgelöst von Glauben und Moral, von Althergebrachtem und sozialer Verpflichtung. Sie gehören keiner Gruppe an, deren Erwartungen sie erfüllen und deren Verurteilung sie befürchten müssen. Sie haben keine Zusammenstöße mit der Umwelt. Es gibt weder Haß noch Intrigen, keine Rache, Eifersucht, Verrat oder Mord, dennoch gehen die Liebenden zugrunde.
Die Liebe zwischen beiden tendiert zum Absoluten. Mit ihrer Liebe streben Jan und Jennifer nach dem irreversiblen Ausstieg aus der herrschenden Norm. Die Liebe, die das gesellschaftlich legitimierte Maß an gegenseitiger Zuneigung bewußt überschreitet, unterläuft damit die unausgesprochenen Konventionen des gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Daß die Liebesbeziehung scheitert, liegt weniger an menschlichen Fehlern von Frau oder Mann. Die gesellschaftlichen Verhältnisse dieser feindlich gesinnte Gegenwelt der Liebenden, die einem Gott untersteht , verhindern die Realisation einer solchen absoluten Liebe. Liebende sprengen die Konventionen "in den Senkrechten und Geraden der Stadt", deshalb sind sie zum Scheitern verurteilt. Denn einer solchen Liebe außerhalb aller Normen dieser Welt ist als einzige Konsequenz der Untergang bestimmt.
Die Liebe von Jan und Jennifer durchläuft alle Stadien von einer flüchtigen Reisebekanntschaft bis zu einer leidenschaftlichen, tiefen Liebe, bei der die beiden rettungslos aneinander verloren, ausbrechen aus den Fesseln von Raum und Zeit und allen Bindungen, in denen sie bisher lebten. Auf das Ende ihrer Beziehung wird bereits in der Bar angespielt; die Zigeunerin kann Jennifer nicht aus der Hand lesen, da sie bereits gezeichnet ist. Liebe wird als Kreuzigung dargestellt. Die Vollendung ihrer Liebe im Tod wird auch durch das Höhersteigen im Hotel, vom ersten bis in das 57. Stockwerk, symbolisiert. In dieser Höhe verliert sich letztendlich jeder Bezug zur Realität.
Jan braucht mehr Zeit, die bis zur letzten
Hingabe orientierten Liebesleidenschaft Jennifers zu erreichen; auch er ist es,
der trotz aller Beteuerungen für einen Augenblick rückfällig wird. Er tut am
Ende einen kleinen Schritt, der nicht wieder gutzumachen ist. Dennoch ist es
zumindest fragwürdig, wenn nicht abwegig, eine grundlegende Differenz beider
Liebenden in dem Totalitätsanspruch ihres Gefühls herauszustellen. Es ist nicht
einleuchtend, wenn man Jennifers Bereitschaft zu bedingungsloser Selbstäußerung
als Ergebnis der "Machtausübung des Mannes" deklariert, wie Peter Beicken es in
seiner Studie über Ingeborg Bachmann getan hat. Die Frau ist hier keineswegs
hineingedrängt in die Rolle der Hingabe, wie Beicken es meint. Auch wenn der
Mann am Schluß nicht durchhält, kann durchaus nicht die Schlußfolgerung gezogen
werden, er spräche im Augenblick seiner Liebesextase nur in "hohlen Phrasen"
und es handle sich in seinen Außerungen lediglich um "eine Sprachübung". Es
geht hier nicht um den gesellschaftlichen Einfluß im Rollenspiel von Frau, wie
Beicken es behauptet hat. Sondern diese hier dargestellte Liebe ist in sich dem
Untergang geweiht und geht an der in der Struktur der Welt liegenden
Unmöglichkeit der Realisierbarkeit zugrunde geht. Wie die Dichterin selbst
sagt, handelt es sich um einen jener Grenzfälle der Liebe, wie sie in den
historischen Fällen von Tristan und Isolde, Romeo und Julia u. a.
vergleichsweise veranschaulicht wird. Der eigentliche Grund des Untergangs
liegt in der Gebrechlichkeit der Welt; in ihr kann das Absolute - absolute
Liebe, absolute Treue, der "andere Zustand" - nicht sein bzw. nicht dauern. Es
ist nicht die Norm der Gesellschaft, sondern die Norm der menschlichen
Existenz, gegen die eine solche absolute Liebe verstößt.
Der "gute Gott" ist der Beschützer der Gesellschaftsordnung wie sie ist und bleiben soll. Er steht als Angeklagter vor Gericht, weil er alles vernichtet, was sie in Unordnung bringt. In diesem Sinne versteht er die Zerstörung der Liebe zwischen Jan und Jennifer als seine gute Tat. Das bedeutet eine Umkehrung der Wertekategorien. Aber nur so ist der Fortbestand der bestehenden Ordnung garantiert. Es darf keinen Platz geben für jene, die ihre Liebe nicht "im Gleichgewicht der Ordnung vollziehen", sie werden eliminiert, damit "es Ruhe und Sicherheit gibt. und der Gang aller Dinge bleibt, den wir bevorzugen". Deshalb heißt er wohl guter Gott. Der Verfechter der alten Ordnung wird möglicherweise auch in Parallelität zum Christengott zum Gott ernannt. Der Christengott überwacht den Gang der Dinge, die Menschen rufen ihn in ihren Gebeten um Rat an, und letztendlich entscheidet er über Leben oder Tod. Warum soll das dann dem "guten Gott von Manhattan" nicht auch zugestanden werden, um damit die Sicherheit der Gesellschaftsordnung zu gewährleisten?
Doch es gibt eine Ambivalenz in der Figur des "guten Gottes". Indem er Jennifer tötet, bewahrt er ihre große und außergewöhnliche Liebe vor der drohenden Verwandlung in eine gewöhnliche Alltagsbeziehung. Das ist durchaus eine gute Tat, aber nicht, um die alte Gesellschaft zu schützen.
Der "gute Gott" sieht die Liebe als
ansteckende Krankheit, die dazu führt, daß man die Herrschaft über den gesunden
Menschenverstand und die Anpassung an das allgemein Übliche verliert. Gegen
diese Form der Ordnung würde die reine Form der Liebe verstoßen, denn in der
Gesellschaft, die durch den Richter und den guten Gott symbolisiert ist, können
zwei Menschen nicht ohne Ordnung, nur durch Liebe existieren.
Der "gute Gott" beginnt zu handeln, als mit den Worten des Mannes " Ich bin mit
dir und gegen alles" die Gegenzeit anbricht. Er ist der Hüter der Ordnung und
des Gleichgewichts, und auch der verwirrte Richter muß ihm zustimmen, daß etwas
anderes nicht möglich sei. Der Richter gewinnt seine Sicherheit erst wieder,
als Jan zur Normalität zurückkehrt und somit auch zur Sicherheit. Der "gute
Gott", davon ist der Richter überzeugt, vertritt die Ordnung der Welt. Jan und
Jennifer machen sich in seinen Augen schuldig, weil sie das bestehende
Ordnungsgefüge durcheinander bringen.
Jan wird alleine dadurch gerettet, weil er rückfällig wird. Er verspürt
plötzlich die Lust, in die Welt der Konvention zurückzukehren, während Jennifer
im 57. Stockwerk stirbt. Auffallend ist jedenfalls, daß die Frau stirbt,
während der Mann zum alltäglichen Leben zurückkehren kann.
Der "gute Gott" steht und handelt zwar gegen den Totaliätsanspruch der Liebe, wie sie hier praktiziert wird; etwas anders jedoch scheint die außerhalb seiner Funktion bestehende Beurteilung des Sachverhalts zu sein, wenn wir einige seiner Bemerkungen aus den Verhörszenen zur Ergänzung heranziehen. Als er hört, daß Jan sich nach der Katastrophe nicht einmal die Zeit nimmt, Jennifer zu begraben, schließt sich an diese Information eine zumindest zweideutige Bemerkung des "guten Gottes" an: "Nicht einmal begraben!" Die Intensität dieser Außerung des "guten Gottes" wird noch an einer anderen Stelle des Stückes gesteigert: "Nicht einmal begraben! Er verdient wirklich zu leben!"
Es ist äußerst fraglich, wenn man das Wort "verdient" in dieser Stellungnahme positiv werten will; ein Anflug verächtlicher Ironie schwingt zweifellos mit. Es gibt noch eine weitere Außerung des "guten Gottes", in der in den evozierten Bildern der Liebenden ein Schimmer der Verklärung spürbar ist: "Ich glaube, daß die Liebenden gerechterweise in die Luft fliegen und immer geflogen sind. Da mögen sie vielleicht in die Sternbilder versetzt werden."
Nicht nur dieses Zitat, sondern auch andere Aussagen des guten Gottes veranschaulichen, daß er -trotz aller Überzeugung von der Gefahr solcher Liebe für die Ordnung der Welt- in seinen Formulierungen die Sprache der Verurteilten spricht und nicht völlig auszuschließen vermag, daß es dennoch den Rang des Menschen ausmacht, nach dem Vollkommenen und Unmöglichen zu streben, ganz im Sinne der Dichterin, die dasselbe in ihrer Dankesrede für den Preis der Kriegsblinden aussagen wollte.
Die Eichhörnchen
Als Helfershelfer des "guten Gottes" sind die Eichhörnchen im Hörspiel keineswegs possierliche Spaßmacher, sondern negativ belastet aus der Mythologie. Die Grausamkeit der Aktion wird auf sie übertragen. Dabei werden die Tiere zum Träger menschlicher Handlungsweisen. Sie werden als falsche Liebesboten benutzt, die die Vernichtung der Liebenden vorbereiten. Sie spionieren, legen Bomben, erdenken sich die phantasiereichsten Todesarten. Aber je mehr sie menschlich zu handeln glauben, desto deutlicher wird das Animalische in ihnen.
Die Eichhörnchen sind das verbindende Element zwischen der Welt und den losgelösten Liebenden. Sie nehmen aktive Charaktere ein und werden ganz gegen die üblichen Vorstellungen als blutrünstige Henker dargestellt, die dem "guten Gott" gehorchen. In den Briefen der Eichhörnchen wird durch den stets enthaltenen Satz "Sag es niemand" von Außenstehenden der Ausschließlichkeitsanspruch der Liebe zwischen Jan und Jennifer deutlich gemacht.
Was die Art der Verwendung der Eichhörnchen im Stück betrifft, so kann man sie auch als komisches Aquivalent zu der tragischen Haupthandlung sehen, etwa mit Blick auf Shakespeare, der derbe Späße in die Handlung seiner Dramen einbaut, um die Spannung zu lockern. Das Tragische wird mit dem Komischen verbunden und dadurch erträglich. Als Figuren erinnern die Eichhörnchen auch an die Teufelchen in den Volkssagen. Der "Gute Gott" streitet auch dem Richter gegenüber nicht ab, daß seine "Agenten" gerüchteweise mit dem Bösen im Bund seien.
Der "gute Gott" repräsentiert die Realität/Welt, da man sein Wesen als rational und kühl bezeichnen kann, während Jennifer mit ihrem gefühlsorientierten Denken und Handeln und ihrem heißblütigen Charakter das Paradies/Traumwelt vertritt. Man kann den "guten Gott" als hinterhältig, argwöhnisch und bespitzelnd beschreiben, da er die zwei Eichhörnchen als Spione einsetzt und nicht daran glaubt, daß die Beziehung der zwei Liebenden ein gutes Ende finden kann. Jennifer hingegen besitzt ein naives, verträumtes Wesen. Sie schwebt mit ihren Gedanken in anderen Sphären und vergißt die alltägliche Welt und Zeit um sich herum. Dazu kommt, daß sie an die bedingungslose, wahre Liebe glaubt und sich hingebungsvoll einer einzigen Sache oder einem einzigen Menschen widmen kann. Doch der "gute Gott" ist im Gegensatz dazu ein Sinnbild für Vernunft, Normalität und Verantwortung. Er steht mit beiden Beinen fest im Leben und symbolisiert mit seiner konservativen, realistischen Einstellung den Durchschnittsbürger, der nur im Alltag lebt, wo es keinen Platz für Träume gibt.
Funktion der Lyrikteile
Atmosphärische Bestimmung der Grosstadthektik
Bruchstückhaft und unzusammenhängend aneinandergereiht ergeben die Stadtbeschreibungen und Reklametafeln eine Folge von Wortfetzen. In dieser Welt gibt es keine Stille; immer sind Stimmen im Hintergrund.
Gesellschaftsregeln sind zu respektieren
Vorausahnende Todesmotive ("Du kannst es nicht mitnehmen.")
Symbol für verworrene Gedanken
Der Chor besteht aus Stimmen, die Gedichte, Floskeln und Slogans - Maßregeln und Normen des Wohlverhaltens in einem vernünftig geordneten Dasein - vortragen und die Kluft zwischen den beiden Welten demonstriert. Zweimal taucht das Wort "Gnade" auf; das letzte Wort ist "Halt". Das "rote Licht" im Zusammenhang mit den Stimmen enthält den Hinweis auf Gefahr. Einzelne Bruchstücke klingen wie Appelle an die Liebenden . Aber insgesamt handelt es sich inhaltlich um Stimmen aus der Gegenwelt der Liebenden; man kann hier auch von den üblichen Banalitäten der normativen Welt sprechen. Doch die inhaltlichen Bezüglichkeiten sind im Hörspiel Ingeborg Bachmanns meist verschleiert bzw. unauffindbar.
So gegensätzlich wie die wissenschaftlichen Meinungen zu Ingeborg Bachmanns literarischem Schaffen, sind die Rezensionen direkt nach der Ursendung des Hörspiels "Der gute Gott von Manhattan". Das wird deutlich an den zwei ersten ablehnenden Reaktionen der Zeitungskritiker der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und der "Zeit". Die "Zeit" empfindet die "Liebesgeschichte" und die "weibliche Tragik" in einer Rahmenhandlung aufgefangen, "die nicht stimmt und nicht trägt. Auch die "FAZ" empfindet den Rahmen als "unleidlich, erklärend". Bei "Gelegenheit zu dichterischen Ausbrüchen zu zornigem oder schwermütigem Gesang in der Prosa war die Bachmann großartig. Immer wo sie zu bauen und zu gestalten versuchte, wurde sie unglaubwürdig und bizarr". Außerdem wurde ihr grundsätzlich die Verlegung eines "echt romantischen Themas" in die Kulisse von Manhattan übel genommen.
Doch einige Zeit später änderte sich die Kritik beider Zeitungen völlig. Für Günter Blöcker von der "Zeit" war "Der gute Gott von Manhattan" "mehr als ein Hörspiel - es ist Funkdichtung und damit Dichtung überhaupt." Klaus Wagner schätzt in der "FAZ" das Hörspiel als "Funkdichtung, die an den Schlaf der Welt rührt" ein.
Der Südwestfunk Baden-Baden kritisierte das Hörspiel mit den neutralen Beschreibungen wie "unbequem", "nicht populär", "höchst verschlüsselt und eigentümlich", "ohne intendierte Breitenwirkung" oder "schwer zugänglich" laut. Außerdem sei das Werk "grandios-pessimistisch", die scheiternden Liebenden nähmen "im Grunde den gemeinsamen Kampf gar nicht erst auf." Die konträren Bewertungen resultieren nicht zuletzt aus den vielfältigen Deutungsmöglichkeiten besonders dieses Hörspiels.
Es liegen eine Reihe von Studien zum "Guten Gott" vor. Reich-Ranicki erkennt die Liebesdialoge als den Höhenpunkten der Lyrik ebenbürtig an, bemängelt indessen einzelne Züge der Rahmenhandlung. Er nennt die süßlich-peinliche Eichhörnchen-Symbolik. Das mag zutreffen und weitere Peinlichkeiten anzuführen fiele nicht schwer. Auch die Prosa ist nicht frei davon, wie von der Kritik bemerkt wurde. Noch etwas weiter geht Hädecke, in dem er nicht nur die Trivialität der Eichhörnchen- Metaphorik anprangert, sondern die Verwendung des Motivs als willkürlich und ohne Zusammenhang mit dem inneren Geschehen hinstellt.
"Wie bei den Schriftstellern Günter Eich und Ilse Aichinger zeigt sich auch in den Hörspielen Ingeborg Bachmanns die typische Tendenz zur Gleichnishaftigkeit, zur metaphysichen Überhöhung der existentiellen Nöte des Menschseins sowie eine eher romantische Gesellschaftskritik. Das Literarische Hörspiel der 50er Jahre ist eine Kunstform, die nur in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext angemessen bewertet werden kann. Dem allmählichen Verschwinden des Subjekts soll mit den Mitteln der Kunst entgegengewirkt werden.
Das Interesse namhafter Lyriker am Hörspiel stellt in den 50ern eine durchaus typische Zeiterscheinung dar.
Anspruchsvolles ästhetisches Niveau kann durch die Popularität des Rundfunks einer großen Zahl an Rezipienten zugänglich gemacht werden. Außerdem sind die Literaten fasziniert von den spezifisch künstlerischen Möglichkeiten des Mediums durch die moderne Radiotechnik. Lyrisches und diskursives Sprechen treten in ein besonderes Verhältnis zueinander. Die technischen Möglichkeiten bieten die Chance zur Darstellung eines differenzierten und vielschichtigen Bildes der Wirklichkeit. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die spielerische Verarbeitung von Zeit- und Wirklichkeitsebenen durch die Suggestion von Gleichzeitigkeit. Deshalb wird auch der Traum und dessen gespanntes Verhältnis zur Wirklichkeit zum inhaltlichen Schwerpunkt der Hörspiele der 50er Jahre.
Das in den 50ern dominierende Hörspiel wird häufig auch als "Hörspieltyp der verinnerlichten Imagination" bezeichnet, da sich die Schriftsteller immer weiter von der gesellschaftlichen Wirklichkeit in einen mystischen Irrationalismus entfernen. Sie ziehen sich in ihren Werken ins Abgeschiedene, Befremdliche und Unerklärliche zurück und verlieren sich in einer glatten Sprache, die sich völlig ins Dichterisch-Unverbindliche auflöst. Aber anders als bei Ingeborg Bachmanns Lyrik handelt es sich bei ihren drei Hörspielen keineswegs um dunkle Texte, deren Gehalt sich erst auf endlosen Umwegen durch die Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts angemessen rezipieren läßt, sondern um relativ eindeutig strukturierte Sinnbilder. Doch das Hörspiel rechnet mit der Einbildungskraft des Zuhörers und eröffnet auf diese Weise zahlreiche Deutungsmöglichkeiten. Trotzdem treten die Grundkonstanten Bachmanns Schreibens, die Utopieproblematik und ein konfliktgeladenes Geschlechterverhältnis, in ihren charakteristischen Konstellationen in den Hörspielen wieder auf. Die Utopie im Hörspiel "Der gute Gott von Manhattan" deutet sich in der Unmöglichkeit des Austritts aus der Gesellschaft an. Der Gegensatz von Wirklichkeit und Möglichkeit spitzt sich dramatisch zu. Das Geschlechterverhältnis betreffend, ist es für Ingeborg Bachmann bezeichnend, daß es der Mann ist, der seine Liebe verrät, während die Frau, ihrem Gefühl hingegeben, zugrunde geht.
Quellen:
Hans Höller
Hauptwerke der österreichischen Literatur
Ernst Fischer
Ingeborg Bachmann
Peter Beicken
Ingeborg Scholz
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